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LIBRARY
HANDBUCH DER PSYCHIATRIE.
UNTER MITWIRKUNG VON
Professor A. Alzheimer (München), Professor E. Bleuler (Zürich),
Professor K. Bonhoeffer (Breslau), Privatdozent G. Bonvicini (Wien),
Professor 0. Bumke (Freiburg i. B,), Professor R. Gaupp (Tübingen),
Direktor A. Gross (Rüfach l E.), Professor A. Hoche (Freiburg i. B.), Privat-
dozent M. IssERLiN (München), Professor T. Kirchhoff (Schleswig), Direktor
A. Mercklin (Treptow a. R.), Professor E. Redlich (Wien), Professor
M. Rosenfeld (Strassburg lE.), Professor P. Schroeder (Breslau), Professor
E. ScHOLTZE (Greifswald), Privatdozent W. Spielmeyer (Freiburg l B.),
Privatdozent E. Stransky (Wien), Professor H. Vogt (Frankfurt a. M.),
Privatdozent G. Voss (Greifswald), Professor J. Wagner Ritter von
Jauregg (Wien), Professor W. Weygandt (Hamburg-Friedrichsberg)
HERAUSGEGEBEN VON
PROFESSOR De. G. ASCHAPFENBUßG
IN KÖLN A. RH.
SPEZIELLER TEIL.
4. ABTEILUNG, 1. HÄLFTE.
DEMENTIA PRAECOX oder CxRUPPE DER SCHIZOPHRENIEN.
VON
Professor E. BLEULER.
LEIPZIG UND WIEN.
FRANZ DEUTIOKE.
1911.
J-'BRARY
DEMENTIA PRAECOX
ODER
GRUPPE DER SCHIZOPHRENIEN
VON
PROF. E. BLEULER.
^-'BRARY
LEIPZIG UND WIEN.
FRANZ DEUTIOKE.
1911.
Verlaars-Nr. 1902.
fe?e
Druck von Rudolf M. Rohrer in Brünn
LIBRARY
Vorwort.
Die Kenntnis der Krankheitsgruppe, die Kraepelin unter dem Namen
der Dementia praecox zusammengefaßt hat, ist zu jimg, als daß man jetzt schon
eine abgeschlossene Beschreibung derselben geben könnte. Alles ist noch flüssig,
unfertig, vorläufig. Es wäre aber zu schleppend, überall die dadurch bedingten
Vorbehalte zu machen; ich darf wohl annehmen, daß jeder Leser sie sich hinzu-
denken kann.
Noch eine Schwierigkeit kommt bei den psychopathologischen Kapiteln
hinzu: der embryonale Zustand unserer Psychologie. Wir haben keine Aus-
drücke für die neuen psychologischen Begriffe; alle Worte, die wir braucben,
können auch in anderem Sinne angewandt werden. Wer sich nicht die Mühe
geben kann, sich ganz in die Ideen des Schreibenden hineinzudenken, wird die
Ausdrücke anders verstehen als sie gemeint sind, und deswegen einen unrichtigen
Gedankengang herauslesen. Wenn ich trotz dieser Schwierigkeit versuche, die
psychologischen Zusammenhänge ein wenig zu beleuchten, so tue ich es nicht
bloß deshalb, weil jedes neue Erkennen an sich Wert hat, sondern namentlich
auch, weil man meines Erachtens beim jetzigen Stande unserer Wissenschaft
auf diesem Wege am ehesten neue Einblicke in die Natur der Psychosen
erwarten darf.
Der Sachlage entsprechend mußten die einzelnen Themen ungleich be-
handelt werden. Was im Prinzip für jeden Psychiater verständhch ist, durfte
einfach hingestellt werden, während weniger bekannte Dinge eben eine Ein-
führung, eine Erklärung und Stützung durch Beispiele verlangen. Es bheb mir
nichts übrig, als den praktischen Zielen die ästhetischen zu opfern. — Auch
Wiederholungen heßen sich nicht vermeiden, da die Komphziertheit der Psyche
die gleichen Vorgänge in die verschiedensten Zusammenhänge bringt.
Die ganze Idee der Dementia praecox stammt von Kraepelin;
auch die Gruppierung und Heraushebung der einzelnen Sym-
ptome ist fast allein ihm zu verdanken. Es wäre zu schleppend, bei jeder
Einzelheit seine Verdienste besonders hervorzuheben. Diese Bemerkung mag
ein für allemal genügen. Ein wichtiger Teil des Versuches, die Pa-
thologie weiter auszubauen, ist nichts als die Anwendung der
Ideen Freuds auf die Dementia praecox. Ich denke, jedem Leser wird
ohne weiteres klar sein, wieviel wir diesem Autor schulden, auch wenn ich
dessen Namen nicht überall anführe. Zu danken habe ich femer meinen Mit^
VIII
arbeitern im Burgiiölzli, ich nenne nur Rikliii, Abraham, und vor allen
Jung. Es ist nicht möglich, alles auseinander zu halten, was an Beobachtungen
und Ideen dem einen oder dem andern von uns angehört.
Die Literatur vollständig anzuführen wäre wertlos und ist zugleich un-
möghch, denn man müßte einen großen Teil der psychiatrischen Literatur
zitieren, da ja z. B. fast alle systematischen Arbeiten das berühren, was jetzt
die Dementia praecox-Frage genannt werden kann. Einen gewissen Wert haben
nur neueire Publikationen^) ; auch davon sind viele nur insofern interessant, als
sie zeigen, wie man einen so schönen Begriff falsch auffassen kann. Bei den
dem Deutschen weniger zugänglichen Arbeiten habe ich meist noch auf ein
bequem erreichbares Referat hingewiesen, auch dann, wenn ich das Original
kenne. Unbedeutende Sachen im Original zu lesen, habe ich aber meist
unnötig gefunden.
In weniger wichtigen Dingen Prioritäten zu registrieren, halte ich für
eine Rücksichtslosigkeit gegen den Leser. Danach habe ich gehandelt.
Die Arbeit ist im Sommer 1908 abgeschlossen worden; doch gaben spätere
Pubhkationen Anlaß zu Zusätzen und Änderungen.
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf die Nummern des Literatur-
verzeichnisses.
^) Und von diesen hauptsächlich deutsche, weil außerhalb Deutschlands nur wenige
Autoren die Psychosen unter dem hier maßgebenden Gesichtswinkel betrachten.
Inhaltsübersicht.
Seite
.... 1
Einleitung ^
Historisclies ^
Der Name der Krankheit
Die Definition der Krankheit
I. Abschnitt.
Die Symptomatologie.
9
Einleitung
1. Kapitel.
Die Grundsymptonie.
Ä. Die einfachen Funktionen 10
«) Die alterierten einfachen Funktionen 10
a) Die Assoziationen 10
ß) Die Affektivität 31
-y) Die Ambivalenz . . . .'
h) Die „intakten" einfachen Funktionen '^^
a) Die Empfindung und Wahrnehmung 45
ß) Die Orientierung 47
f) Das Gedächtnis 48
8) Das Bewußtsein 50
e) Die Motilität 51
B. Die zusammengesetzten Funktionen 51
Das Verhältnis zur Wirklichkeit. Der Autismus 52
ß) Die Aufmei'ksamkeit 56
'() Der Wille 57
8) Die Person 58
e) Die schizophrene „Demenz" 58
Q Das Handeln und Benehmen 74
2. Kapitel.
Die alczessorisclien Symptome 78
a) Die Sinnestäuschungen 78
ß) Die Wahnideen 96
'f) Die akzessorischen Gedächtnisstörungen 113
X
8) Die Alteration der Persönliclikeit
e) Die Alterationen der Sprache und Schrift 121
Q Die körperlichen Symptome 132
TTj) Die katatonen Symptome
1. Die Katalepsie
2. Der Stupor j^^2
3. Die Hyperkinese I53
4. Die Stereotypien 2,53
5. Die Manieren jgr^
6. Der Negativismus jgg
7. Die Befehlsautomatie und die Echopraxie 163
8. Die Automatismen jg5
9. Die impulsiven Handlungen 169
S-) Die akuten Syndrome I70
1. Melancholische Zustände 172
2. Manische Zustände 173
3. Katatonische Zustände 174
4. Der Wahnsinn 178
5. Die Dämmerzustände 179
6. Benommenheit 182
7. Verwirrtheit, Inkohärenz 184
8. Zornanfälle 184
9. Gedenktagaufregungen 185
10. Stupor 185
11. Delirien 185
12. Wanderzustände 185
13. Dipsomanie 186
II. Abschnitt. '
Die Untergruppen.
Einleitung ^'^'^
A. Das Paranoid IS^
B. Die Katatonie
C. Die Hebephrenie 192
D. Die einfache demente Form oder Schizophrenia simplex 194
E. Spezielle Gruppen
a) Periodische
197
b) Altersgruppen
c) Ätiologische Gruppierungen, Haftsyndrome -i»»
(l) Gruppierung nach der Intensität der Krankheitserscheinungen 200
III. Abschnitt.
Der Verlauf.
A. Der zeitliche Verlauf
XI
Seite
^ ^ . 208
C. Der Ausgang
a) Der Tod f ^
b) Grad der Verblödung. Heilungsmöglichkeit 209
Ol K
Z). Die Endzustände
IV. Abschnitt,
Kombinationen der Schizophrenie mit anderen Psychosen.
a) Idiotie ^^'^
b) Organische Psychosen 217
91 Q
c) Alkoholismus ''^^
d) Manisch-depressives Irresein 219
e) Epilepsie 219
f) Hysterie, Neurasthenie, Paranoia 220
g) Fieberdelirien 220
V. Abschnitt.
Der Krankheitshegriff 221
VI. Abschnitt.
Die Diagnose.
A. Allgemeines 239
B. Die dif f erential-diagnostische Bedeutung der einzelnen Symptome . 242
C. Die Differentialdiagnose 247
a) Manisch-depressives Irresein 248
b) Organische Psychosen 254
c) Idiotien 256
et) Paranoia 257
e) Epilepsie 257
f) Alkoholpsychosen 259
g) Amentia usw 260
h) Hysterie. Neurasthenie 261
i) Degeneratives Irresein 265
k) Basedowpsychose 266
l) Simulation 266
VIT. Abschnitt.
Die Torhersage 267
VIII. Abschnitt,
Häufigkeit und Verbreitung 273
IX. Abschnitt.
Die Ursachen.
A. Heredität 275
^•^i*-. • ^ ^ ^ ;278
C. Individuelle Dispositionen und auslösende Ursachen 279
XII
X. Abschnitt.
Die Theorie.
1. Kapitel. s^itg
Die Theorie der Symptome 284
A. Die primären Symptome 285
B. Die sekundären Symptome 288
a) Die einzelnen Symptome 288
b) Die Entstehung der sekundären Symptome 289
a) Gedankenablauf. Spaltung 290
ß) Die A£fektivität 297
Der Autismus 3O4
6) Die Ambivalenz 305
e) Das Gedächtnis und die Orientierung 307
0 Der schizophrene Blödsinn 308
7}) Die Wirklichkeitsfälschungen 311
1. Die Wahnideen 311
2. Die Sinnestäuschungen 315
3. Die Gedächtnistäuschungen 317
4. Die Genese des Inhaltes der Wirklichkeitstäuschungen . . . 317
{►•) Die katatonen Symptome 358
1. Allgemeines 358
2. Stupor 358
3. Negativismus .... 358
4. Motorische Symptome 361
5. Katatone Komplexsymptome (Automatismen, Manieren, Ste-
reotypien) 364
i) Allgemeine Gesichtspunkte 371
2. Kapitel.
Die Theorie der Krankheit 372
Ä. Die Auffassung der Krankheit 372
B. Der Krankheitsprozeß 376
XI. Abschnitt.
Die Therapie 380
Literatur
395
Einleitung.
Historisches.
Die Beobaclitung, daß eine akute Krankheit dauernde Schädigungen des
betroffenen Organes hinterlassen kann, hat auf keinem Gebiete eine so große
Bedeutung bekommen wie in der Psychiatrie. Die „sekundären", unheilbaren
Krankheiten füllen von jeher unsere Irrenanstalten. So wurde es zu einer der
brennendsten Fragen der Psychiatrie, welche akuten Formen in unheilbare
Endzustände übergehen und welche nicht. Alle bis vor kurzem aufgestellten
akuten Formen der „einfachen Psychosen" konnten sowohl heilen als sekundär
werden. Endlich gelang es Kraepelin, bei den Krankheiten ungünstiger Pro-
gnose eine Ari::ahl Symptome herauszuheben, die bei anderen Gruppen fehlten.
Die dadurch charakterisierten Psychosen faßte er als Dementia praecox
zusaromen. Immerhin fanden sich auch FäUe mit jenen Symptomen, die an-
scheinend heilten. Es blieb aber die Erkenntnis, daß eine bestimmte
Symptomengruppe die Neigung zur Verblödung anzeigte, während
die akuten Krankheiten, denen diese Symptome fehlten und die
man größtenteils unter dem Namen des manisch-depressiven
Irreseins zusammenfassen konnte, niemals in sekundären Blöd-
sinn ausgehen. Damit war praktisch und theoretisch sehr viel .'gewonnen,
indem doch eine große Anzahl von Fällen ihre sichere Prognose quoad Anfall
und quoad Kesiduärzustand bekam.
Durch das Vorhandensein der herausgehobenen Symptomenkomplexe bleibt
die große Gruppe der Dementia praecox als Einheit charakterisiert. K r aep elins
Auffassung findet aber immer noch Widerspruch, indem sich manche, ganz
abgesehen von der Vielgestaltigkeit der äußeren Bilder, nicht mit einem Krank-
heitsbegriff befreunden können, der sich ursprünglich auf den Verlauf zu stützen
schien und doch gut und schlecht ausgehende FäUe in sich schließt. Ein ge-
naueres Zusehen zeigt aber, daß aUe diese FäUe doch viel Gemeinsames haden,
und daß sie sich von den anderen Formen klar abgrenzen, was von keinem der
früher aufgesteUten Krankheitsbilder aus dieser Gruppe gesagt werden kann.
Wenn auch der Ausgang gar nicht immer ein ausgesprochener Blödsinn ist, so
lassen sich doch bei genauem Zusehen in jedem Falle mehr oder minder deutHch
gemeinsame Residuärerscheinungen finden; neben der Einheit in der Sympto-
matologie ist also die Einheit des Ausganges gewahrt, wenn auch nicht in bezug
Handbuch der Psychiatrie: üleui er.
2
Schizophrenie.
auf das Quantitative des Prozesses, so doch in bezug auf das Quäle, d. Ii.
die Riclitung, in der der Prozeß fortschreitet. Andere Psychosen haben 'weder
die gleiche Symptomatologie noch den gleichen Ausgang. Umgekehrt weisen
alle die Psychosen, die man bisher als sekundäre zusammenfaßte, die gleichen
Symptomenkomplexe auf. Die Abgrenzung dieser Gruppe ist also bei dem
jetzigen Stande unseres Wissens nicht nur erlaubt, sondern geboten.
Es hat sich ferner herausgestellt, daß auch alle Verblödungsformen, die
ohne ein akutes Stadium mehr oder weniger schleichend auftreten, die näm-
lichen SxTuptome haben und zu keiner Zeit von den „sekundären" Formen
imterschieden werden können. Man mußte also auch diese Krankheiten, die
unter verschiedenen Namen, wie „primärer Blödsinn", „verblödende Paranoia"
usw., registriert worden waren, hierher zählen.
Alle Bestrebungen, die große Zahl von Fällen und von äußeren Zustands-
bildern in distinkte abgrenzbare Untergruppen zu zerlegen, sind bis jetzt er-
folglos geblieben.
So fassen wir unter dem Namen der Dementia praecox oder Schizo-
phrenie eine ganze Gruppe von Krankheiten zusammen, die sich scharf von
allen anderen Formen des Kr aepelin sehen Systems unterscheiden lassen; sie
haben viele gemeinsame Symptome und eine gemeinsame Richtungsprognose;
ihre Zustandsbilder aber können äußerst verschieden sein. Wenn die Auf-
stellung dieses Begriffes auch eine vorläufige ist, insofern als er später wird
aufgelöst werden müssen (etwa in dem Sinne wie die Bakteriologie die Pneu-
monien in verschiedene Infektionen zerlegt hat), so halten wir doch den dadurch
erreichten Fortschritt für noch größer als den der Entdeckung der Paralyse,
die sich auch lange in anderen Krankheitsbildern versteckt hatte; denn die
Dementia praecox-Frage greift viel mehr in die Systematik aller Psychosen ein
als seinerzeit die Paralyseaufstellung; und was an systematischer Unklarheit
jetzt noch übrig bleibt, das bezieht sich nicht mehr auf die Hauptmasse der
vorkommenden Fälle, sondern auf Ausnahmen und auf Krankheiten, die, wie
die Fieberpsychosen, dem Psychiater bis jetzt zu wenig zugänghch waren. Wir
haben zum ersten Male Grenzen, über die man sich verständigen kann, und wissen
nun auch, wo mit den jetzigen Mitteln Grenzen nicht gezogen werden können.
Die Entwicklung des Begriffes der Dementia praecox ist ein guter
Teil der Entwicklung der theoretischen Psychiatrie überhaupt. Das eine ohne das
andere läßt sich nicht beschreiben. Es ist deshalb an dieser Stelle nicht möghch,
eine zusammenhängende Darstellung der Genese des Dementia praecox-Begriffes zu
geben. Es sei auf die Arbeiten E. Arndts und Voisins hingewiesen. Die Wiege
des Begriffes ist die fünfte Auflage von Kraepelins Psychiatrie (1896).
Natürhch hatte man schon längst gewußt, daß ein Teil der akuten Psychosen
heüt und ein anderer Teil chronisch wird. Man hat auch die einfacheren Verblödungen,
die ohne auffallende akute Symptomenkomplexe verlaufen, von jeher beachtet. Schon
Es quirol trennte die „erworbene oder akzidentelle Idiotie" von der angeborenen.
Er hat auch schon die Stereotypien beachtet. Man wußte ferner früh, daß namenthch
jugendUche Leute von solchen Verblödungsprozessen befallen wrden; deshalb hat
Morel den Namen der Demence precoce geschaffen. Man fand aber m dem Chaos
aller äußerhch so verschiedenen zur Verblödung führenden Symptomenbilder dio
Einheit nicht. Ein großes Hindernis der vorurteilslosen Erkenntnis war auch der
besonders um die Mitte des vorigen Jahrhunderts verbreitete Glaube, daß die Psy-
Einleitung. Historisches.
3
chosen — oder die eine Psychose — einen bestimmten Verlauf haben müsse, an
dessen Anfang man gewöhnlich ein melancholisches Stadium setzte.
An der°letzteren Vorstellung krankten auch die Kahlba umsehen Ideen, die
im übrigen einen wesentlichen Fortschritt bedeuteten. Die klareren Köpfe hatten
natürlich schon vor ihm gewußt, daß die alten Namen wie Melancholie, Tollheit,
Manie, Delirien nur Zustandsbilder bezeichneten. Eigentliche Krankheitsbilder
herauszuheben war man aber außerstande, und so behandelte man meist diese sym-
ptomatologischen Begriffe, wie wenn sie Krankheiten entsprächen. Erst Kahl-
baum suchte mit bewußter Konsequenz die Erscheinungsbilder zu Krankheits-
bildern zu ordnen.
Er hat 1863 in seiner ,, Gruppierung der psychischen Krankheiten" auf Zu-
stände wie die Katatonie aufmerksam gemacht, aber erst im Laufe der folgenden
Jahre die Krankheit unter diesem Namen genauer beschrieben und endlich 1874
in einer Monographie fixiert. Die Katatonie durchläuft nach ihm (in Anlehnung
an seine Vesania typica) der Reihe nach die Stadien der Melancholie, der Manie, der
Stupeszenz, der Verwirrtheit und schließlich der Demenz. Jedes einzelne dieser
Stadien konnte aber fehlen, und die Krankheit konnte in jedem derselben (mit Aus-
nahme des letzten) heilen. Sie wurde außerdem, ähnlich wie die Paralyse, charakterisiert
durch eine Anzahl von dem Autor als körperlich angesehener Symptome, die wir
jetzt den katatonen Erscheinungen beizählen.
Seitdem ist der Begriff der Katatonie aus der Literatur nicht mehr ver-
schwunden, wenn er auch viel angefeindet wurde. Er hat sich nur bei einzelnen Autoren
die Anerkennung als Krankheitsbegriff erringen können; die Mehrheit der deutschen
Psychiater lehnte ihn ab aus dem naheliegenden Grunde, daß eben ein typischer
Verlauf im Sinne Kahlbaums eine Ausnahme bildet, und vor allem deshalb, weil
der Begriff nach keiner Seite hin klare Grenzen hatte.
So hat denn auch Kahlbaum selbst die Hebephrenie, die Hecker 1871
auf seine Anregung hin beschrieb, der Katatonie angenähert und dann die ganze
Gruppe durch die Beschreibung des Heboids, einer hauptsächlich auf dem Gebiete
des Charakters sich äußernden leichten Form der Hebephrenie, erweitert. Schuele
konnte schon früh die Katatonie eine Hebephrenie mit zugehöriger Spannungs-
neurose" nennen
Im Gegensatze zu Kahlb a um wurden von anderen die verblödenden Psychosen
mit der Entartung (der Familie wie des Individuums) in Zusammenhang gebracht,
nachdem schon Morel die kausale Bedeutung der Heredität hervorgehoben hatte.
Defekt angelegte Hirne sollten besonders disponiert sein zu der Krankheit.
Etwas später als die Katatonie und die Hebephrenie hat dann die einfache
Verblödung, die oft in der Praxis diagnostiziert, aber wenig beschrieben wurde,
bessere Beachtung gefunden; so von Pick (573), 1891, dann aber besonders von
Som mer (725), der drei Jahre später nicht nur eine gute Beschreibung der katatonen
Zustände lieferte, sondern auch die verschiedenen Formen primärer Demenz, in
denen die Hebephrenie der anderen eingeschlossen war, schilderte und dabei den
Begriff in richtiger Weise erweiterte, indem er der primären Demenz die verblödenden
paranoiden Formen angliederte. Allerdings hat er in seinem System die Katatonie
und diese Verblödungen noch getrennt.
Im Auslande fanden Kahlbaums Aufstellungen wenig Beachtung. Auch
beglas und Chaslin, die sich zuerst mit der Katatonie eingehender beschäftigten
kamen zu dem Schlüsse, daß es sich bei dem Symptomenkomplex nicht um°eine
eigenartige Krankheit handle. In England hat man die Sache noch später beachtet.
im Jahre 1896 hat Kraepelin die „Verblödungspsychosen" in eine Gruppe
^zusammengestellt, die er als Stoffwecliselerkrankungcn auffassen zu müssen glaubte.
1*
4
Schizophrenie.
Een wieder aufgenommenen Namen der Dementia praecox gab er zunächst nur den
Hebephrenen und primär dementen Formen der anderen Autoren, den der Katatonie
allen Formen mit vorwiegenden katatonen Symptomen, während er unter dem Namen
der Dementia paranoides noch die nicht häufigen Formen von rascher Ausbildung
von Halluzinationen und konfusem Wahn bei relativ gut erhaltener äußerer Haltung
und frühem Stillestehen des Prozesses beschrieb. Erst drei Jahre später faßte er
mit dem Namen der Dementia praecox die ganze Verblödungsgruppe zusammen.
Die Katatonie behielt ungefähr ihren Umfang; das, was vorher Dementia praecox
genannt war, wurde nun zum größten Teil als Hebephrenie bezeichnet; während —
und das ist der wichtigste Schritt — als paranoide Formen der Dementia praecox
auch die früher sogenannte Paranoia hallucinatoria oder phantastica in den Begriff
eingezogen wurden.
Seitdem ist der Umfang des Begriffes der Dementia praecox im wesentlichen
gleich geblieben. Eine Entwicklung hat er nur insofern noch erfahren, als Krae peli n
den zunächst stark betonten Ausgang in Verblödung ein wenig hat zurücktreten
lassen, indem er es deutlicher aussprach, daß auch viele Fälle hierher gehören, die
wenigstens praktisch dauernd oder doch für längere Zeit zur Heilung kommen^). Auch
treten jetzt die katatonen Symptome, die eine Zeitlang weniger den Krae peli n-
schen Begriff als die Diskussion beherrschten, gegenüber den Störungen der Asso-
ziationen und der Affektivität etwas in den Hintergrund.
Hand in Hand mit der Schöpfung der Dementia praecox ging die Ausbildung
der übrigen Krankheitsbegriffe, unter denen, wie schon erwähnt, namentlich das
manisch-depressive Irresein zu nennen ist. Dadurch erst bekam die Dementia praecox
scharfe Gegensätze und ihre Grenzen wurden nicht mehr einseitig von innen heraus,
sondern auch von außen festgelegt.
Der Name der Krankheit.
Leider konnten wir uns der unangenehmen Aufgabe nicht entziehen, einen
neuen Namen für die Krankheitsgruppe zu schmieden. Der bisherige ist zu unhand-
lich. Man kann damit nur die Krankheit benennen, nicht aber die Kranken, und
man kann kein Adjektivum bilden, das die der Krankheit zukommenden Eigen-
schaften bezeichnen könnte, wenn auch ein verzweifelter Kollege bereits „präkoxe
Symptome" hat drucken lassen. Eine ausführliche Differentialdiagnostik ohne ein
solches Wort wäre schlimm zu schreiben und noch schlimmer zu lesen.
Es gibt aber noch einen viel wichtigeren, materiellen Grund, warum es mir
unausweichlich schien, neben den bisherigen Namen einen neuen zu stellen: der
alte Name ist gebildet worden zu einer Zeit, da sowohl der Begriff der Dementia
wie der der Präcocitas auf fast alle einbezogenen Fälle anwendbar war. Zu dem
jetzigen Umfang des Krankheitsbegriffes paßt er nicht mehr, denn es handelt sich
weder um lauter Kranke, die man als dement bezeichnen möchte, noch ausschließlich
um frühzeitige Verblödungen.
Man sollte allerdings meinen, die ui-sprüngliche Bedeutung des Namens sei
irrelevant, da Kraepelin in klassischer Weise ausgeführt hat, was er darunter
versteht; man spricht ja auch von Melancholie, ohne sich durch die schwarze Galle
stören zu lassen. Es ist keine Ehre für die Psychiatrie, daß dem gar nicht so ist.
Dem „periodischen Irresein" Kraepelins hat sein Name manche Türe verschlossen,
die dem „manisch-depressiven" Irresein offen war, weil es Psychiater gab, die es.
1) Seitdem dies geschrieben, hat Kraepelin den Begriff zu Gunsten des manisch-
depressiven Irreseins wieder stark eingeengt.
Einleitung-. Name der Krankheit.
5
niclit über sich bringen konnten, eine Krankheit, die sich in einem ganzen Leben
unter Umständen nur wenige Male oder nur ein einziges Mal äußerte, als eine periodi-
sche zu bezeichnen oder so bezeichnen zu hören.
Dem Ausdruck „Dementia praecox" geht es noch viel schlimmer. Es wird
wohl keinen Psychiater geben, der nicht schon vielfach gehört hat, daß viele Kata-
tonien und andere Fälle, die symptomatologisch nach Kraepelin der Dementia
praecox zuzuweisen wären, doch nicht verblödet seien; folglich sei die ganze Kon-
zeption unrichtig. Ebenso glaubt man die Sache abgetan zu haben durch den Nach-
weis, daß jemand nicht präcociter, sondern im späteren Alter erst verblödet sei;
oder man identifiziert den Begriff der Dementia praecox mit dem des Jugendirre -
Seins und hat dann sehr leicht nachzuweisen, daß es verschiedene Erkrankungen des
Pubertätsalters gebe, daß es also unrichtig sei, diese unter einem Begriff zusammen-
zufassen. Am schlimmsten steht es in dieser Beziehung in England, wo, soweit ich
die Diskussionen kenne, die große Mehrzahl der Psychiater sich einfach an das Wort
der Dementia praecox anklammert und den Begriff derselben gar nicht kennt oder
ignoriert.
So bUeb nichts anderes übrig, als hier die Krankheit mit einem Namen zu
bezeichnen, der weniger mißverständlich ist. Ich kenne die Schwächen des vor-
geschlagenen Ausdruckes, aber ich weiß keinen besseren, und einen ganz guten zu
finden, scheint mir für einen Begriff, der noch in der Wandlung begriffen" ist,
überhaupt nicht möglich. Ich nenne die Dementia praecox Schizophrenie, weil,
wie ich zu zeigen hoffe, die Spaltung der verschiedensten psychischen Funktionen
eine ihrer wichtigsten Eigenschaften ist. Der Bequemlichkeit wegen brauche
ich das Wort im Singular, obschon die Gruppe wahrscheinlich mehrere
Krankheiten umfaßt.
* *
*
Von ähnlichen Vorstellungen gehen Zweig und Groß (278) aus; ersterer
nennt sie „Dementia dissecans", letzterer „Dementia sejunctiva". Wie schon ge-
zeigt, ist aber das Wort „Dementia" sehr ungeeignet^) ; dazu kommt beim zweiten
Vorschlag, daß der Begriff der Sejunktion bei Wer nicke nicht ganz in dem Sinne
definiert ist, wie er sein sollte, um die Krankheit richtig zu bezeichnen, und daß er
von anderen [gerade Gro ß und nach ihm Weber (798), S. 922] in viel unbestimmterem
Smne gefaßt wird, so daß weiteren unfruchtbaren Diskussionen wieder Tür und Tor
geöffnet wären.
Paris hat die Bezeichnung „Psychose catatonique degenerative" vorgeschlagen.
Da wir den Begriff der Degeneration in diesem Zusammenhang ablehnen müssen
und die katatonen Symptome nicht wesentlich sind, können wir auch diesen Namen
nicht annehmen. Zu einseitig erscheinen uns auch der von Bernstein empfohlene
Name der „Dementia paratonica progressiva" oder „Paratonia progressiva" und
Evensens (211) „Amblythymia" oder „Amblynoia simplex et catatonica". In
allen Beziehungen unpassend ist natürlich „Adolescent Insanity" (Conaghey) und
„Jugendirresein". - Wolff hat neuestens „Dysphrenie" vorgeschlagen. Der Aus-
druck ist aber schon in anderem Sinne gebraucht worden, er ist so leicht ver-
ständlich und seine Bedeutung so weit, daß die Versuchung,' ihm einen unpassen-
den binn unterzuschieben, zu groß wird.
T^»^ '^,^^^^°'^,'^<^'?.d°^l!«'lbB3zei^ (IteUener, Sommer)
örnrÄS^^ "^r'^'l' appercoptiva" (Weygandt) schon aus diesem
*.runcle mcht aufnehmen. Ich wurde auch noch Brugias „Paradementia" fürchten.
6
Schizophrenie.
Die Definition.
Mit dem Namen der Dementia praecox oder der Schizophrenie bezeichnen
wir eine Psychosengruppe, die bald chronisch, bald in Schüben verläuft, in
jedem Stadium Halt machen oder zurückgehen kann, aber wohl keine volle
Restitutio ad integrum erlaubt. Sie wird charakterisiert durch eine spezifisch
geartete, sonst nirgends vorkommende Alteration des Denkens und Fühlens
und der Beziehungen zur Außenwelt.
In jedem Falle besteht eine mehr oder weniger deuthche Spaltung der
psychischen Funktionen: ist die Krankheit ausgesprochen, so verhert
die Persönhchkeit ihre Einheit; bald repräsentiert der, bald jener psychische
Komplex die Person: die gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Komplexe
und Strebungen ist eine ungenügende oder geradezu fehlende; die psychischen
Komplexe fließen nicht mehr wie beim Gesunden zu einem Konglomerat von
Strebungen mit einheitlicher Resultante zusammen, sondern ein Komplex
beherrscht zeitweilig die Persönhchkeit, während dessen andere Vorstellungs-
oder Strebungsgruppen abgespalten" und ganz oder teilweise unwirksam sind.
Auch die Ideen werden oft nur zum Teil gedacht und Bruchstücke von Ideen
werden in unrichtiger Weise zu einer neuen Idee zusammengesetzt. Sogar die
Begriffe verlieren ihre Vollständigkeit, entbehren eine oder mehrere, oft wesent-
hche Komponenten; ja sie werden in manchen Fällen nur durch einzelne Teil-
vorstellungen repräsentiert.
Die Assoziationstätigkeit wird also oft nur durch Bruchstücke von
Ideen und Begriffen bestimmt; schon dadurch bekommt sie neben dem In-
korrekten etwas Bizarres, für den Gesunden Unerwartetes; oft auch hört sie
mitten in einem Gedanken, oder wenn sie auf einen andern Gedanken übergehen
soUte, plötzHch auf, wenigstens so weit sie bewußt ist (Sperrung); statt der
Fortsetzung tauchen dann manchmal neue Ideen auf, die weder das Bewußt-
sein des Patienten selbst noch der Beobachter in Zusammenhang mit dem
früheren Gedankeninhalt bringen kann.
Primäre Störungen der Wahrnehmung, der Orientierung und des
Gedächtnisses sind nicht nachzuweisen.
Gefühlsäußerungen sind in den schwersten Fällen überhaupt nicht
mehr zu bemerken. In leichteren fällt nur auf, daß die Stärkegrade der Ge-
fühlsreaktionen auf verschiedene Erlebnisse in keinem richtigen Verhältnisse
zueinander stehen, und zwar kann die Intensität von vollständig fehlender
Gefühlsäußerung beim einen, Gedankenkomplex bis zur übertriebenen Affekt-
reaktion beim andern schwanken. Auch können die Affekte quahtativ abnorm
erscheinen, d. h. den intellektuellen Vorgängen inadäquat sein.
Zu den angeführten Zeichen einer „Verblödung" treten in der Mehrzahl
der Anstaltsfälle noch andere Symptome hinzu, so namenthch Halluzinationen
und Wahnideen, Verwirrtheiten, Dämmerzustände, manische und melan-
chohsche Affektschwankungen, katatone Symptome. Von diesen akzessorischen
Symptomen und Symptomenkomplexen tragen manche einen spezifisch schizo-
phrenen Charakter, so daß auch sie, wenn sie vorhanden smd, zur Diagnose
der Krankheit verwendet werden können. Außerhalb der Anstalten gibt es viele
Schizophrene, bei denen akzessorische Syndrome zurücktreten oder ganz fehlen.
Eialeitung. Definition.
7
Wir zerlegen die Dementia praecox vorläufig in vier Unterformen:
1. Das Paranoid. HaUuzinationen oder Wahnideen oder beide stehen
dauernd im Vordergrund. , , i a a u
2. Die Katatonie. Katatone Symptome stehen dauernd oder doch
längere Zeit im Vordergrund.
3. Die Hebephrenie. Akzessorische Symptome kommen vor, ohne an-
haltend das Bild zu beherrschen. i i: • j
4. Die einfache Schizophrenie. Während des ganzen Verlaufes smd
nur die spezifischen Grundsymptome nachzuweisen.
Genaueres siehe im Abschnitt IL
Die theoretische Abgrenzung der Schizophrenie von den anderen Psychosen-
gruppen ist eine sehr scharfe, wie ein Blick auf die in Betracht kommenden Symptome
der anderen Krankheiten zeigt.
Die „organischen Psychosen", d. h. diejenigen, die als Ausdruck emes
diffusen Schwundes der Hirnrinde zu betrachten sind (die unter den Namen der
Dementia paralytica und Dementia senilis zusammengefaßten Krankheiten und in
gewissem Sinne der Korsakow), haben folgende Charakteristika:
Intellektuelle Seite: Unscharfe und Langsamkeit der Wahrnehmungen:
Unfähigkeit, kompliziertere Dinge vollständig zu denken (d. h. es werden nur die-
jenigen Assoziationen herbeigezogen, die dem momentanen Trieb entsprechen).
Gedächtnisstörmig, stärker für die frischeren Erlebnisse als für die älteren. Die
Orientierung in Eaum, Zeit und Situation stark beeinträchtigt. — Zwischen-
gebiet: Die Aufmerksamkeit ist gestört, die habituelle meist viel stärker imd früher
als die maximale. — Af fektivität: Alle Affekte sind erhalten und entsprechen
qualitativ dem intellektuellen Inhalt. Sie sind aber „oberflächlich", meist flüchtig,
nicht imstande, dauernd den Trieben eine bestimmte Richtung zu geben. — Keines
dieser Symptome gehört der Dementia praecox an.
Epileptische Zustände: Intellektuelle Seite: Auffassung, wenn
überhaupt alteriert, verlangsamt mid unscharf. Ideenassoziationen allmählich sich
einschränkend, ähnlich wie bei den organischen Psychosen, aber deutlicher ego-
zentrisch; Gedankengang verlangsamt, häsitierend: Schwierigkeit von einem Thema
loszukommen; große Neigung zu unnötigem Detail (Umständlichkeit im Reden und
Handeln); Tendenz zu einer bestimmten Art Perseveration. Gedächtnisstörung
spät, viel diffuser als bei den organischen Krankheiten. Amnesien aus anscheinend
physischen Gründen. — Affektivität: Alle Affekte qualitativ dem intellektuellen
Gedankeninhalt adäquat; aber verstärkt, und zum Unterschied von den organischen,
nachhaltig, schwer ablenkbar. In einem gegebenen Moment ist die Affektivität
durchaus einheithch (epileptisches Delir!). — Motorisch: Singende häsitierende
Sprache. (Die epileptischen Anfälle kommen in ganz der gleichen Weise auch bei
verschiedenen anderen Krankheiten, so namentlich bei der Schizophrenie vor;
charakteristisch für Epilepsie ist nicht der Anfall an sich, sondern die häufige Wieder-
hohmg während vieler Jahre und dann eben der psychische Zustand.) — Bei der
Dementia praecox nichts von all diesen Symptomen.
Alle die vielen idiotischen Störungen haben gemeinsam: Beginn in früher
Jugend oder intrauterin, im wesentlichen ohne Fortschreiten. Affektivität ungemein
verschieden, aber prinzipiell nicht abweichend von der des Gesunden, nur scheint
die Variationsbreite womögUch noch größer als bei den Normalen; keine Affekt-
einklemmung. Assoziationen emgeschränkt auf das intellektuell zunächst-
liegende. — - Bei Dementia praecox andere Assoziationsstörimg, typische Affekt-
störung.
8
Schizophrenie,
^.1, ,f Ai'Mdung eines aus gewissen falsehen Prämissen lo^iscli ent-
«ckelten und m semen Teilen logisci. verbundeneu unerschütterlichen Wahn ystem,
ohne nachweisbare Störung aller anderen Funktionen, also auch Mangel aU r :
idet'IÄneVwir ""^^ ^»
Bei Demeutia praecox zeigen die Wahnideen selbst, wenn solche vorhanden
sind, meist ganz grobe, immer aber feinere Verstöße gegen die Logik; außerdem
kommen die anderen Symptome der Dementia praecox hinzu.
Alkoholismus chronicus: Intellektuell: Rascher, oberflächlicher Ge-
dankenablauf mit starkem Bedürfnis zur Abrundung der Ideen, namentlich in kausaler
Beziehung. Im Speziellen lebhaftes Empfinden aller persönlichen Antastungen mit
bestandiger Bereitschaft von Ausreden. — Die Affektivität schlägt auf alles an
rasch entflammt, Strohfeuer, labil. Dementsprechend Aufmerksamkeit auf das
Momentane gerichtet, ohne Ausdauer. In späteren Stadien oft Zeichen organischer
Störung (Hirnatrophie). — Also überall das Gegenteil der Schizophrenie. (Doch sind
Kombinationen beider Krankheiten sehr häufig!)
Delirium tremens: Bestimmte Art der Halluzinationen. Charakteristischer
deliriöser Bewußtseinszustand mit Weckbarkeit. Variable, aber in jedem Moment
■einheitliche Affektivität mit Gruiidstimmung des „Galgenhumors".
Alkoholwahnsinn: Siehe den Abschnitt V.
Amentia: Die Kraepelinsche Amentia hat eine charakteristische Störung
der Wahrnehmung und Auffassung. Es gibt aber auch andere Formen, die noch
-nicht beschrieben sind.
Die Fieberpsychosen können nicht kurz charakterisiert werden, weil sie
noch gar nicht studiert sind.
Manisch-depressive Formen: Erklärbarkeit alles Wesentlichen im Krank-
heitsbilde durch eine ganz allgemeine Erhöhung oder Depression des psychischen
Tonus in bezug auf Affektivität, Assoziationen und Motilität (krankhafte Euphorie,
Ideenflucht, Beschäftigungsdrang auf der einen Seite, Depression, Denkhemmung,
allgemeine motorische Hemmung auf der andern Seite). Fehlen der spezifischen
Zeichen der übrigen Krankheitsgruppen, so auch der Verblödung im Sinne
der Schizophrenie. (Was man beim manisch-depressiven Irresein etwa Verblödung
nennt, ist affektive Inkontinenz oder depressive Denkhemmung oder hinzukommende
hirnatrophische Demenz.) — Bei der Dementia praecox sind die positiven Symptome
des manisch-depressiven Irreseins nicht selten; sie sind aber kompliziert durch die
spezifischen Symptome der Dementia praecox.
Hysterie (wie bei der Dementia praecox): Psychogene Erklärbarkeit der
wesentlichen Symptome und namentlich auch des Verlaufes aus Übertreibungen
von an bestimmte Vorstellungen geknüpften Affekten. Dagegen: Fehlen von Ver-
blödung und eigentHch schizophrenen Zeichen. Bei Dementia praecox kommen
hysterische Symptome in Menge vor, erscheinen aber meist schizophren gefärbt,
karikiert und werden gemischt mit den spezifischen Symptomen dieser Krankheit.
Von den beiden letzteren Kranlcheiten, manisch-depressivem Irresein und
Hysterie, und in gewissem Sinne vielleicht auch von der Paranoia kennen wir also
bis jetzt nur Symptome, die bei Dementia praecox auch vorkommen können. Der
Unterschied zwischen diesen Psychosen und der Dementia praecox besteht nur in
einem Plus auf Seite der Dementia praecox. Alle anderen psychotischen Zustände
haben ihre spezifischen Symptome, die bei der Dementia praecox nicht vorkommen.
I. Abschnitt.
Die Symptomatologie.
Einleitung.
Einzelne Symptome der Scliizophrenie sind zu jeder Zeit und in jedem
Talle vorhanden, wenn sie auch wie jedes andere Krankheitssymptom einen
gewissen Grad erreicht haben müssen, um überhaupt mit Sicherheit erkannt
zu werden. NatürUch reden wir hier nur von den großen Symptomenkomplexen
als Ganzen. Immer vorhanden ist z. B. die eigenartige Assoziationsstörung,
nicht aber jede Teilerscheinung derselben. Die AssoziationsanomaHe wird bald
mehr in Sperrungen, bald in Zerklüftung der Ideen, bald in irgend welchen
anderen schizophrenen Erscheinungen manifest.
Neben diesen spezifischen Dauersymptomen oder Grundsymptomen finden
wir ein Heer von anderen mehr akzessorischen Erscheinungen, die wie die Wahn-
ideen, Halluzinationen und die katatonen Symptome zeitweise oder sogar
während des ganzen Verlaufes eines Krankheitsfalles fehlen können, während
sie andere Male allein und anhaltend die Erscheinungsweise bestimmen.
Die Grundsymptome sind, soviel wir bis jetzt wissen, für die Schizophrenie
charakteristisch, während die akzessorischen Symptome auch bei anderen
Krankheiten vorkommen können. Doch findet man auch hier bei genauerem
Zusehen oft Eigentümhchkeiten der Genese oder der Erscheinung eines Sym-
ptoms, die nur bei der Schizophrenie zu finden sind; und es ist zu erwarten, daß
man nach und nach das charakteristische in einer großen Zahl dieser akzessori-
schen Symptome erkennen wird.
Der Beschreib ung der Symptome können natürlich nur ausgesprochene
Fälle zugrunde gelegt werden. Es ist aber sehr wichtig zu wissen, daß
es alle Übergänge zum Normalen gibt, und daß die leichten Fälle,
die latenten Schizophrenien mit wenig ausgesprochenen Sym-
ptomen, viel zahlreicher sind als die manifesten. Ferner darf man
bei den großen Schwankungen im schizophrenen Krankheits-
bilde nicht darauf rechnen, in jedem Moment jedes Symptom
nachweisen zu können.
10
Scliizophrenie.
1. Kapitel.
Die Griindsymptome.
Die Grandsymptome werden gebildet durch die schizoplu-ene Störung
der Assoziationen und der Affektivität, durch eine Neigung, die eigene Phantasie
über die Wirklichkeit zu steUen und sich von der letzteren abzuschheßen (Autis-
mus). Man kann ferner dazuzählen das Fehlen der Symptome, die bei gewissen
anderen Krankheiten eine große EoUe spielen, z. B. der primären Störungen
der Wahrnehmung, der Orientierung, des Gedächtnisses usw.
A, Die einfachen Funktionen.
a) Die alterierten einfachen Funktionen,
a) Die Assoziationen.
Überblick.
Die Assoziationen verlieren ihren Zusammenhang.' Von den tausend Fäden,
die unsere Gedanken leiten, unterbricht die Krankheit in um-egelmäßiger Weise
da und dort bald einzelne, bald mehrere, bald einen großen Teil. Dadurch wird
das Denkresultat ungewöhnlich und oft logisch falsch. Ferner schlagen die
Assoziationen neue Bahnen ein, von denen uns bis jetzt folgende bekannt sind:
Zwei zufällig zusammentreffende Ideen werden miteinander in einen Gedanken
verbunden, wobei die logische Form der Verknüpfung durch die Umstände
bestimmt wird. Klangassoziationen bekommen eine ungewohnte Bedeutimg;
ebenso die mittelbaren Assoziationen. Zwei oder mehrere Ideen werden in
eine verdichtet. Die Neigung zu Stereotypierung bewirkt, daß der Gedanken-
gang an einer Idee hängen bleibt, oder daß der Kranke immer wieder auf die
gleichen Ideen zurückkommt. Überhaupt besteht häufig Ideenarmut bis zu
Monoideismus; oft beherrscht eine irgendwie aufgefaßte Idee den Gedanken-
gang in Form der Bannung, des Benennens, der Echopraxie. Die Ablenkbarkeit
ist in den verschiedenen schizophrenen Zuständen nicht in einheitlicher Weise
gestört. Sind die schizophrenen Assöziationsstörungen hochgradig, so führen
sie zu Verwirrtheit.
In bezug auf den zeitHchen Ablauf der Assoziationen kennen wir nur zwei
speziell der Schizophrenie angehörende Störungen, das Gedankendrängen,
d. h. ein pathologisch vermehrtes Zuf Keßen von Gedanken, und dann die be-
sonders charakteristische Sperrung.
* *
*
Ein junger Schizophrene, der erst paranoid oder hebephren erschien und
einige Jahre später schwer katatonisch wurde, schrieb spontan folgendes:
Die Blütezeit für Hortikultur.
Zur Zeit deß Neumondes steht venuß am Augusthimmel Aegyptens und er-
leuchtet mit seinen Lichtstrahlen, die Kauffahrteihäfen, Suez, Kairo und Alexandria.
Grundsymptome. Assoziationen.
11
in dieser historiscli berühmteu Kalifenstadt, findet sich das Museum assyrischer
Denkmäler von Makedonien. Dort gedeihen neben Pisang Maiskolunen, Hafer,
Klee und Gerste auch. Baananen, Feigen, Citronen, Orangen und Oliven. Das OHven-
öl ist eine arabische Liqueur Sauce, mit welcher die Afghanen Mauren und Mosle-
miten die Straußenzucht betreiben. Der indische Pisang ist der Whiyski des Parsen
und Arabers. Der Parse oder Kaukasier besitzt genau so viel Beeinflußungskraft
auf seinen Elephanteu wie der Maui'e auf sein Dromedar. Das Kameel ist der Sport
des Juden und indier. In indien gedeiht vorzüglich Gerste, Reis und Zuckerstock
das heü3t Artischoc. Die Brahmanen leben in Kasten auf Beladschistan. Die Tscher-
kessen bewohnen die Mandschurei von China. China ist das Eldorado deß Pawnees."
Ein Hebephrene, der, seit mehr als 15 Jahren krank, immer noch arbeits-
fähig ist und voller "Wünsche steckt, gab mir auf die Frage: Wer war Epami-
nondas? mündHch^) folgende Antwort:
„Epaminondas war einer, der namentHch zu Wasser und zu Lande mächtig
war. Er hat große Flottenmanöver und offene Seeschlachten gegen Pelopidas ge-
führt, war aber im Zweiten punischen Krieg aufs Haupt geschlagen worden durch
das ScLeitern einer Panzerfi'egatte. Er ist mit Schiffen von Athen nach dem Hain
Mamre gewandert, hat kaledonische Trauben und Granatäpfel hingebracht und
Beduinen überwimden. Die Akropolis hat er mit Kanonenbooten belagert und
heß die persische Besatzung als lebende Fackeln verbrennen. Der nachherige Papst
Gregor VIT. — äh — Nero folgte seinem Beispiel, und durch ihn wurden alle Athener,
alle romanisch-germanisch-keltischen Geschlechter, die den Priestern gegenüber
keine günstige Stellung einnahmen, durch den Druiden verbrannt am Fronleich-
namstag dem Sonnengott Baal. Das ist die Periode der Steinzeit. Speerspitzen
aus Bronze."
Die beiden Leistungen zeigen mittlere Grade der schizophrenen Asso-
ziationsstörung. Sie stammen von Patienten mit diametral verschiedenem
Verhalten und sind doch verblüffend gleichartig. Unter den Determinanten
ihrer Assoziationsrichtung fehlt die wichtigste, die Zielvorstellung. Der
eine scheint über orientalische Gärten schreiben zu wollen, ein sonderbarer
Einfall für einen Kommis, der nie über die Grenzen seines kleinen Vaterlandes
hinausgekommen ist und seit einigen Jahren in der Anstalt herumsitzt; der
andere hält sich zwar formell an die gestellte Frage, redet aber faktisch gar
nicht von Epaminondas, sondern von einem viel weiteren Begriffskreis.
Die Gedanken werden also hier durch eine Art Oberbegriff, nicht aber
durch eine Richtungs- oder Zielvorstellung zusammengehalten. So sieht
es aus, als ob man Begriffe einer bestimmten Kategorie — beim ersten auf den
Orient bezügliches, beim zweiten Tatsachen aus der alten Geschichte — in
einen Topf geworfen und durcheinander gerüttelt hätte, und nun nach Belieben
des Zufalles die einzelnen herausgriffe, sie durch grammatische Formen und
einige Hilf s Vorstellungen miteinander verbindend. Immerhin haben manche
nacheinander folgenden Begriffe wieder ein gemeinsames, etwas engeres Band,
das aber doch viel zu locker ist, um eine logisch brauchbare Verbindung darzu-
stellen (Flottenmanöver — Seeschlacht — Panzerfregatte; Akropolis — per-
1) Für die Theorie des assoziativen Denkens muß der Umstand, daß die EigentümUch-
^eiten emes Ideenganges sich raeist ganz gleich im müncUichen wie im schriftliclien Ausdruck
zeigen, von noch unerkannter Wichtigkeit sein.
12
Schizophrenie.
sisclie Besatzung - verbrennen - lebende Fackeln - Nero ; Priester - Druide -
J^ronleichnamstag — Sonnengott Baal usw.).
w.« .•^''■p'^'J',-^''''^^f 1'' Assoziationsstörungen ist es nötig, sich klar zu machen,
''"Vn ^^bejrhaupt unsere Gedanken leiten. Durch Assoziationen bloß
nach Gewohnlieit, Ähnlichkeit, Subordination, Kausalität usw. kann natürlich kein
h-uchtbarer Gedankengang entstehen; erst die Ziel Vorstellung formt Begrif£sreihen
zu Gedanken. Was man aber Zielvorstellung nennt, ist nicht eine Einheit, sondern
eine unendhcli komplizierte Hierarchie von Vorstellungen. Bei Ausarbeitung eines
Themas ist das nächste Ziel die Formulierung des Teilgedankens, den wir gerade
fixieren wollen und für den im allgemeinen der Satz, den wir eben schreiben das
Symbol sein wird. Ein weiteres, allgemeineres Ziel liegt etwa im Absatz- dieser
ordnet sieb einem Abschnitt unter usw., usw. Im Gedanken des arbeitenden Bauers
darf nie fehlen das Hauptziel, die möglichste Fertilisation seines Bodens, mag auch
diese Vorstellung im gegebenen Moment im Bewußtsein noch so sehr zurück-
treten; sie bestimmt seine Assoziationen; denn könnte man ihm beweisen, daß das,
was er gerade tut, nicht jenem Hauptzweck dient, er ließe es sofort sein. Der Haupt-
zielvorstellung ordnen sich eine Menge Nebenziele unter: rüstet er sich zu einer
bestimmten Zeit zum Säen, so muß er sich abfinden mit anderen Geschäften, die
damit^ kollidieren können, mit Essen, Schlafen, mit Wetter und Tageszeit. Auch
alle die einzelnen Handlungen, aus denen sich der Säakt zusammensetzt, Samen
zurichten, aufs Feld gehen, Samen auswerfen, haben wieder ihre Spezialziele. Die
Vorstellungen dieser Ziele sowie die des Zusammenhanges derselben müssen be-
ständig sein Tun (also zunächst seine Assoziationen) beeinflussen.
Nicht nur die Zielvorstellungen, sondern auch die als einfach geltenden Begriffe,
mit denen wir gewöhnlich operieren, sind zusammengesetzt aus mannigfaltigen
Komponenten, die je nach dem Zusammenhang wechseln: der Begriff Wasser ist
ein ganz anderer, je nachdem er gebraucht wird in bezug auf Chemie, Physiologie,
Schiffahrt, Landschaft, Überschwemmung oder als Kraftspender usw. Jeder dieser
Spezialbegriffe wird durch ganz andere Fäden mit den übrigen Ideen verbunden;
kein Gesunder denkt an das Kristallwasser, wenn ihm das Wasser sein Haus fort-
schwemmt, niemand an die Tragfähigkeit desselben für Schiffe, wenn er sich damit
den Durst stillen will.
Natürlich ist sogar der engste Begriff ,, Wasser" wiederum zusammengesetzt
aus Vorstellungen wie: flüssig, verdampfbar, feucht, kalt, farblos usw.; auch von
diesen Teilvorstellimgen stehen beim normalen Menschen immer nur diejenigen
im Vordergrund, die zum Zusammenhang gehören; die anderen existieren nur potentia
oder treten wenigstens so zurück, daß wir ihren Einfluß gar nicht nachweisen können.
So bestimmen nicht einzelne Kräfte, sondern eine fast unendliche Menge von
Einflüssen die Richtung unserer Assoziationen.
Alle die hier angedeuteten Assoziationsfäden können im
Gedankengang der Schizophrenie einzeln oder in beliebigen Kom-
binationen wirkungslos Ibleiben. Einige weitere Beispiele mögen das
erläutern :
Liebe Mamma!
Heute befinde ich mich besser als gestern. Es ist mir eigentlich gar nicht um's
schreiben. Ich schreibe dir aber doch sehr gern. Ich kann ja zweimal d'ran machen.
Ich hätte mich gestern, am Sonntag, so sehr gefreut, wenn Du und Luise und ich
in den Park hätten gehen dürfen. Von der Stephansburg hat man eine so schöue
Aussicht. Es ist eigentlich sehr schön im Burghölzli. Luise hat auf den letzten zwei
Briefen, ich will sagen auf — den Couverts, nein Briefumschlägen, die icli erhalten
Grundsymptomo, Assoziationen.
13
habe geschrieben, BurghölzU. Ich habe aber wo ich das Datum hingesetzt, Burg-
hölzli geschrieben. Es gibt auch Patienten im Burghölzli die sagen Hölzüburg.
Andere reden von einer Fabrik. Man kann es auch für eine Kuranstalt halten.
Ich schreibe auf Papier. Die Feder die ich dazu benütze, ist von einer Fabrik
die heißt Periy u. Co. Die Fabrik ist in England. Ich nehme das an. Hinter dem
Namen Perry Co. ist die Stadt London eingekritzt; aber nicht die Stadt. Die Stadt
London liegt in England. Ich weiß das aus der Schule. Da habe ich immer gern
Geographie gehabt. Mein letzter Lehrer darin war Professor August A. Das isfc
ein Mann mit schwarzen Augen. Ich habe die schwarzen Augen auch gern. Es gibt
noch blaue und graue Augen, auch noch andere. Ich habe schon gehört sagen, die
Schlange habe grüne Augen. Alle Menschen haben Augen. Es gibt auch solche,
die blind sind. Die Blinden werden dann von einem Knaben am Arm geführt. Es
muß sehr schrecklich sein nichts zu sehen. Es gibt auch Leute, die nichts sehen
und noch dazu solche, die nichts hören. Aber ich kenne auch einige, die hören zu
viel. Man kann zu viel hören. Man kann auch zu viel sehen. Im Burghölzli hat
es yiele Kranke. Man sagt ihnen Patienten. Einer hat mir gut gefallen. Er heißt
E. Sch. Der lehrte mich: Im Burghölzli giebts viererlei, Patienten, Insassen,
Wärter. — Dann hats noch solche die gar nicht hier sind. Es sind alles merkwürdige
Leute. ..."
Ein nicht schizophrener Briefschreiber würde berichten, was an der Umgebung
auf sein Befinden Einfluß hat, was ihn irgendwie angenehm oder unangenehm
berührt, oder dann, was den Adressaten interessieren kann. Hier fehlt ein solches
Ziel: das Gemeinsame aller Ideen besteht darin, daß sie an des Patienten
Umgebung anknüpfen, nicht aber, daß sie Beziehungen zu ihm haben. Insofern ist
also der Gedankengang noch zerfahrener als der der ,,Hortikultur" und des ,,Epami-
nondas". Dafür ist er geordneter in bezug auf die Details. Während diese dort nur
ausnahmsweise und in kleinen Gruppen zusammenhängen, finden wir hier nirgends
einen Sprung. Die „Assoziationsgesetze" behalten in dieser Beziehung ihre Geltung.
Im Experiment, wo die Zielvorstellung ausgeschlossen ist, würden die meisten dieser
Assoziationen sogar als vollwertig gelten müssen : London — Geographieunterricht —
Geographielehrer — dessen schwarze Augen" — graue Augen — grüne Schlangen-
augen — Menschenaugen — Blinde — Handleiter — schreckliches Los usw. —
Sind aber auch die ausgedrückten Ideen fast alle richtig, so ist das Schreiben
doch bedeutungslos. Patient hatte das Ziel, zu * schreiben, aberg^nicht, etwas zu
schreiben.
Eine Hebephrene will unter einen Brief wie gewöhnlich ihren Namen setzen:
,,B. Graf." Sie schreibt Gra; da kommt ihr ein anderes Wort, das mit Gr anfängt,
m den Sinn;^ sie korrigiert das a in ein o, setzt ss hinzu und wiederholt dann das
Wort „Gross" noch zweimal. Von der ganzen Vorstellungsmasse, die der Unterschrift
zugrunde liegt, ist bei der Kranken auf einmal alles wirkungslos geworden mit Aus-
nahme der Buchstaben Gr. — So können sich die Patienten in die unbedeutendsten
Nebenassoziationen verheren, und es kommt nicht zur Entwicklung eines einheitüchen
Gedankenganges. Man hat das Symptom auch Vorbeidenken genannt.
Ein Patient antwortet auf die Frage: Was war Ihr Vater? „Johann Friedrich".
Daß es sich um den Vater handelt, hat er begriffen, die Frage nach dem Beruf aber
hat keinen Einfluß auf die Antwort, dafür beantwortet er die nicht gestellte Frage
nach dem Namen. Wenn man in solchen Fällen näher prüft, so stellt sich meist
heraus daß die Kranken die Frage als solche erfaßt, aber sich die dazu gehörige
Vorstellung nicht ausgebaut haben.
Ein Hebephrene verlangt von der Regierung seine Entlassung aus der Anstalt
m folgender lorm: „Sie sind eingeladen, meine Enthaftung vorzunehmen und die
u
Scliizoplirenie.
Publikation mit Tagblattiiiseraten vom Mai 1905 vorzunehmen, anderfalls sind Sie
aus Ilirem Amte entlassen auf Grund meiner traditionellen Rechte.
Bis zu den Neuwahlen wollen Sie die Geschäfte weiter führen.
Hochachtend. . ."
Der Mann, der früher im Stadtrat gesessen, hat im übrigen gar nicht die Wahn-
idee, daß er der Regierung befehlen oder sie gar absetzen könne; nur während er
■das schreibt, fehlt in seinem Denken alles, was momentan nicht zu dieser Vorstellung
stimmt.
Ein Hebephrene schreibt: ,-,Bewundernswert ist das Gebirge, das sich in den
Schwellungen des Sauerstoffes zeichnet." Es handelte sich um die Beschreibung
eines Spazierganges, zu der der chemische Begriff nicht paßt. Offenbar hat ihm
«twas von der „gesunden Luft" vorgeschwebt, denn gleich im folgenden Satz spricht
Patient scheinbar ganz abrupt von seiner Gesundheit. — Ähnliches Beispiel : Haben
Sie Kummer? ,,Nein." Ist es Ihnen schwer? ,,Ja, Eisen ist schwer." Schwer wird
auf einmal im physikalischen Sinne gefaßt.
Es wird der Tisch neben einem Patienten weggenommen. Er sagt: ,, Lebet
"wohl, ich bin Christus," lehnt zurück wie ein Sterbender und neigt das Haupt.
Patient hält sich sonst nicht für Jesus. Die Teilvorstellung, daß etwas von uns weg-
kommt, haben wir beim Abschied eines Menschen wie beim Wegnehmen eines Tisches.
Für den Normalen sind die Unterschiede der beiden Vorgänge gewaltig; auf die
Assoziationen des Patienten hat aber nur das Tertium comparationis des Weg-
kommens Einfluß, eine Vorstellung, die für den vorliegenden Fall gar nicht paßt.
Das Abschiednehmen — wohl in Verbindung mit dem Bild des Tisches — erregt
bei ihm die Vorstellung Jesus; die enormen Unterschiede zwischen dem Abschied
Jesu und dem Abschied des Patienten von seinem Tisch kommen bei der Assoziation
nicht zur Geltung. Es tritt aber nicht nur die Assoziation Jesus auf, sondern die
minime Ähnlichkeit in der Situation des Patienten mit der Situation Christi genügt,
um den Patienten und Christus für eine kurze Zeit zu identifizieren. Aber auch hier
sind wieder eine Reihe von Vorstellungen ausgefallen, die den Abschied Jesu von
•den Jüngern und den am Kreuz unterscheiden. (Die weiteren konstellierenden
Momente, die speziell die Idee Jesus auftauchen ließen, konnten in diesem Fall nicht
nachgewiesen werden.)
Wo die zerrissenen Assoziationsfäden mehr nebensächlicher Natur sind,
werden die Assoziationen nicht gerade unsinnig; sie erscheinen aber fremdartig,
bizarr, verschoben, auch wenn sie in der Hauptsache richtig sind. Weim
z. B. Brutus „ein Italiener" genannt wird, so ist alles richtig, bis auf das mit
diesem Volksnamen angedeutete Zeitverhältnis, ungewöhnlich aber, daß der
genauere Begriff „Eömer" durch den allgemeinen des Italieners ersetzt wird.
Der Verfasser der Blütezeit für Hortikultur antwortete auf die Frage: „Wo
liegt Ägypten?" „zwischen Assyrien und dem Kongostaat". In dieser inhalthch
richtigen Antwort ist die Lagebestimmung durch ein afrikanisches und ein
asiatisches Land ungewohnt, noch mehr die Verbindung eines der ältesten mit
dem modernsten Staate. In bezug auf Ort wie auf Zeit sind Begriffsbestand-
teile unwirksam geworden, die sonst niemals fehlen. — Beim Experiment asso-
ziiert eine Patientin auf Herz „Faden", weil zwei Herzen wie durch enien Faden
verbunden seien; eine andere (Zürcherin) auf Nadel — „der Pime". Em Hebe-
phrene nennt Heu „ein Unterhaltungsmittel der Kühe". Der Schluß eines
Briefes lautet: „Bitte grüße mir auch meine übrigen Geschwister, Schwagerinneu
lind euere Kinder. Nicht nur der Zorn und die Strafe Gottes, sondern auch die
CTrundsyini)tome« Assoziationen.
15
Liebe Gottes und die Gnade unseres Herrn Jesu Christ sei mit uns allen, auch
mit Dir und Du kommst zu mir" („Du kommst zu mir" ist im Original plötzlich
im Dialekt). Hier lassen sich aUe Übergänge von einer Idee auf die andere
aus den Umständen und den die Patientin beherrschenden Gefühlen sehr leicht
erklären; jeder Satz drückt einen Gedanken aus, den die Patientin ganz wohl
am Schlüsse ihres Briefes sagen kann; er ist auch mit dem vorhergehenden
verständhch verbunden; und dennoch Idingt alles so bizarr, daß man gar nicht
daran denken könnte, es einer manischen Ideenflucht zuzuschreiben, geschweige
einem gesunden Denken.
In manchen Fällen reißen alle Fäden des Gedankenganges; werden dann
nicht neue Bahnen eingeschlagen, so haben wir den Stupor oder die Sperrung.
Häufig aber geht der Patient mit der größten Selbstverständlichkeit von einem
verlassenen Gedanken zu einem ganz andersartigen über, der keine assoziative
Verbindimg mit dem vorhergehenden erkennen läßt.
In dem folgenden Bruchstück einer ,, Lebensbeschreibung" sind die Sprünge
durch // bezeichnet; ein Teil derselben läßt sich durch Anknüpfung an die Umgebung
(Ablenkung) erklären, aber nicht alle.
,,Man muß eben zur rechten Zeit aufgestanden sein, dann gibt es auch den dazu
nötigen ,, Appetit". L'appetit vient en mangeant," sagt der Franzose. —
// Mit der Zeit und mit den Jahren wird der Mensch im öffentUchen Leben so be-
quem, daß er nicht einmal mehr imstande ist, zu schreiben. — Auf einen solchen
Bogen Papier bringt man sehr viele Buchstaben, wenn man richtig aufpaßt, daß
man nicht einen ,, Quadratschuh" darüber hinauskommt. // Bei solch prächtigem
Wetter sollte man können spazieren im Walde. Selbstverständlich nicht allein,
sondern mit Avec!^) // Am Ende eines Jahres wird immer ein Jahresabschluß ge-
macht. — // Die Sonne steht erst jetzt am Himmel und es ist noch nicht mehr als
10 Uhr. — Auch im Burghölzli? — ? Das weiß ich ja nicht, denn ich habe keine
Uhr bei mir wie früher ! — Apres le manger ,,0n va p. .." ! Es gibt auch Unter-
haltungen genug für solche Leute, welche nicht in diese Irrenheilanstalt gehören
und nie gehörten. Denn „Unfug" zu treiben mit „menschlichem Fleisch" ist
in der „Schweiz' nicht erlaubt! ! // — La foi das Heu, L'herb das Gras, morder =
beißen etc. etc. etcetera usw. und so weiter ! — R . . . K . . . — Aus Zürich kommt
jedenfalls sehr viel „Waare" ins Burghölzli, sonst müßten wir nicht im „Bette"
bleiben, bis es diesem und jenem „gefällig" ist zu „sagen" wer daran schuld hat,
daß man nicht mehr in's Freie kann. O $ // 1000 Zentner // Anhäneung an die
Eicheln!!! ^
A. les Eschelles, d'un homme, qui ne peut plus aller au pieg. — XII Vous
connaissez Qal En „AUemagne: Die Eicheln und das heißt auf französisch: Au
Malträitage". — // TABAK. (Ich habe dir so schön gesehen.) // Wenn auf jede
Lmie etwas geschrieben ist, so ist es recht. „Jetzt ischt albi elfi2) grad. Der Andere. —
// Hü, Hü, Hüst umme nö hä?! — // Zuchthäuslerverein: Burghölzli. —
// Ischt nanig a pres le Manger !?—!?!_ Meine Frau war eine verraöghche gewesen."
Im gewöhnlichen Sprechen und Schreiben ist dieses eigenartige Zerreißen
der Assoziationsfäden meist vermischt mit anderen Störungen, so daß es schwer
ist, reme Beispiele zu finden. In akuten Zuständen kann die Anomalie so
weit gehen, daß man nur ausnahmsweise einen Gedanlcoii durch mehrere Glieder
^) D. h. mit einom Mädchen (übliche Redensart).
^) = „halb elf" in Aussprache der Italiener.
16
ScliizoplireniCi
ZU verfolgen vermag, man spricht dann von „Dissoziativem Denken"
(Ziehen 842) und „Inkohärenz" und muß das äußere Krankheitsbild
als „Verwirrtheit" bezeichnen. Manchmal aUerdings ist nur die Ausdrucksweiae
eine unldare, so daß man immer noch logische Übergänge wenigstens vermuten
darf; man kann dann nie mit Sicherheit sagen, ob bei einer abnormen Ver-
bindung gänzhcher Abbruch des Gedankenganges stattgefunden habe; so im
folgenden (nachstenographiert):
„Schweizerstolz will verdient sein. Salü K..., ich bin die Nonne, wenns
genügt, bist du noch sein. Das ist ein braver Eeitersmann, nehmt ihn nur zum Manne
an. Karohne du weißt ja, bist du mein Herrgott, so warst du nur ein Traum. Bist du s
Taubenhaus, ist der Frau K. immer noch Angst. // Ich bin sonst nicht so exakt im
Essen. Trag der Brühe sorg. // Wo hast den Pinsel. Hermann wo bist du? Her-
mann, Altorf, Anna, Walder, oder Z. H. Lokomotivheizer geben, in deinen Armen
schlaf ich süß. // Hier ist's Burghölzh. // Ida bist du Mexikaner worden, du scheinst
mir sehr belesen zu sein. Jetzt ist es eine Seite, ein Eitter vom Burghölzh, dann
habens ein Seefest oder bringen sonst einen Fackelzug. Das verlorene Kind hat
einen Ziegelkopf. Wo bleiben die Herren des heihgen Festes. Das ist die Quelle
des Lebens."
Alle die angeführten Störungen können vom Maximum, das
einer vollständigen Verwirrtheit entspricht, bis auf nahezu Null
schwanken. Nicht jede Gedankenverbindung bei einem Schizophrenen hat
diesen Charakter; aber während in schweren Fällen die falschen Assoziationen
geradezu dominieren, kann bei „geheilter" oder latenter Dementia praecox nur
eine geduldige und anhaltende Beobachtung einzelne solcher Denkfehler aufdecken.
Am deutlichsten wird das Neuauftauchen von Ideen beim Fragen und
Antworten und dann beim Assoziationsexperiment, wo der Patient auf ein
genanntes Wort sofort zu sagen hat, was ihm einfällt: Ein Kranker starrt eine
Kerze an und gibt auf die Frage, was er denn sehe, den Bescheid: „Dort ist
eine Kerze; ewig Licht: // Barbara v. R. in S. // Etwas rechts hinten. Barben
eben ja, die gibt es im Rhein." — Auf die Aufforderung zur Arbeit zu gehen,
kann man die Antwort bekommen: ,,Was lassen Sie's fallen? // Die Sonne steht
am Himmel. // Was lassen Sie's fallen?" (Es hat niemand was fallen lassen.) —
Abgesehen von den mit // markierten Gedankensprüngen knüpft schon der erste
Satz gar nicht an die Aufforderung an. Es ist dies etwas ganz Gewöhnhches ; das
auf eine Frage Erwiderte ist oft nur formell eine Antwort, hat aber inhaltlich
mit dem Gefragten gar nichts zu tun.
Eme Patientin, die bei den Hausgeschäften helfen sollte, wird gefragt, warum
sie nicht arbeite; die Antwort: „Ich kann ja nicht französisch" hat weder mit der
Frage noch mit der Situation überhaupt einen logischen Zusammenhang.
Einer arbeitsfähigen, sich ganz gut benehmenden Patientin, die auf das Ex-
periment eingeht, wird zur Prüfung des stereognostischen Sinnes ein Schlüssel in
die Hand gegeben; auf die Frage, was das sei, bekommt man die Antwort: „ein
Gemeinderat".
Im Expermient wird auf Tinte assoziiert: „Tintenfleck; // das wollen wir
doch erben".
Manchmal wird die Lücke dui'ch grammatische Formen überbrückt, so
daß ein Zusammenhang vorgetäuscht wird; verschiedene Ideen, die gar nicht
Gl'uudsymptome. Assoziationen.
17
•^^J^ l^^^^^' BurghöUU, »onst miißten wir nicht i.
Bette bSel " Die neue Idee des Imbettebleibens mid der Form nach als
Beweis für das Vorhergehende angeführt.
Das Bisherige läßt sich zusammenfassen:
4us den zahllosen aktuellen und latenten Vorstellungen,
deren resultierende Wirkungen beim normalen Tdeengang jede
einzelne Assoziation bestimmen, können bei der Schizophrenie
in scheinbar regelloser Weise einzelne oder ganze Kombinationen
wirkungslos bleiben. Dafür können Vorstellungen zur Wirkung
kommen, die keinen oder einen ganz ungenügenden Zusammen-
hancr mit der Hauptidee haben und somit vom Gedankengang
ausgeschlossen sein sollten. Dadurch wird das Denken zerfahren,
bizarr, unrichtig, abrupt. Manchmal versagen alle Faden, der
Gedankengang wird ganz unterbrochen; nach dieser „Sperrung"
können Ideen auftauchen, die keinen erkennbaren Zusammen-
hang mit den früheren haben.
Höchstens in gewissen Stuporfällen aber mag das Denken ganz aufhören.
Gewöhnlich steigen, auch wenn die Fäden abgebrochen sind,
sofort oder nach kurzer Zeit neue Ideen auf, deren Zusammen-
hang mit den früheren oft nicht zu finden ist.
Das Auftauchen einer Idee ohne jeden Zusammenhang mit dem bisherigen
Gedankengang oder mit einer von außen kommenden Empfindung ist aber
trotz Swoboda etwas der normalen Psychologie so Fremdes, daß man ver-
pfhchtet ist, auch bei den scheinbar entferntesten Einfällen Kranker einen
Assoziationsweg von vorhergehenden Gedanken oder von einer Wahrnehmung
aus zu suchen. Hierbei kann man zwar nicht in allen FäUen die Verbindung
nachweisen, aber doch in so vielen, daß es möglich wird, einige Hauptrichtungeii
zu nennen, in denen die Entgleisung stattfindet.
Auch da, wo nur ein Teil der Assoziationsfäden unterbrochen
ist, kommen statt der logischen Direktiven andere Einflüsse zur
Geltung, die sich unter normalen Umständen nicht bemerkbar
machen. So weit wir bis jetzt wissen, sind es meist die nämlichen Direktiven,
die auch nach dem völligen Abreißen des Gedankens die neue Anknüpfung
bedingen: Verbindungen zufällig angeregter Gedanken, Verdichtungen, Asso-
ziationen nach Wortklang, mittelbare Assoziationen und zu langes Haften-
bleiben von Ideen (Stereotypierung). Alle diese Gedankenverbindungen sind
auch der normalen Psyche nicht fremd; sie kommen aber daselbst nur aus-
nahmsweise und nebensächlich vor, während sie bei der Schizophrenie bis zur
Karikatur übertrieben werden und oft den Gedankengang geradezu beherrschen.
Am häufigsten beobachtet man, daß zwei Ideen ohne inneren
Zusammenhang, die den Patienten gleichzeitig beschäftigen, ein-
fach verbunden werden. Wie die logische Form der Verbindung sei, hängt
Handbuch der Psychiatrie: Ulculer. 2
18
Scbizoplirenie,
von den begleitenden Umständen ab: Fragt man etwas, so gibt der Patient
eine Idee, die er gerade hat, als Antwort; suclit er einen Grund, so werden die
Ideen kausal verbunden. Hat er ein krankhaft übertriebenes Selbstbewußtsein,
oder fühlt er sich umgekehrt benachteiligt, so bezieht er die neue Idee im Sinne
dieser affektbetonten Komplexe direkt auf sein Ich.
So nennt ein Kranker einen abgebildeten Kamm „Waschzeug", weil ein Wasch-
becken daneben gezeichnet ist; einen Käfer einen „Käfervogel", weü ihm vorher
ein Vogel gezeigt worden ist.
Warum haben Sie solange nicht gesprochen? „Aus Ärger." — Worüber?
„Man will aufs Klosett und sucht Papier und hat keines." (Abraham.) Hier dient
der erste beste Gedanke als Begründung. — Die Frau eines schizophrenen Lehrers hat
einen Schlüssel verloren; am nämlichen Tage hat ein Dr. N, die Schule besucht; also
hat Dr. N. Beziehungen zu des Lehrers Frau.
Es ist etwas ganz Gewöhnliches, daß uns die Patienten Antworten geben,
die nur irgend einen zufälligen Gedanken aufgreifen. So ist es denn auch selbst-
verständlich, daß sie sich alle Augenblicke widersprechen, wenn man ihnen
die Frage mehrfach steUt.
Dawsons Hebephrene, der sich ins Wasser gestürzt hatte, motivierte diese
Tat zu verschiedenen Zeiten mit folgenden Gründen: er glaube nicht an eine Zukunft
imd erwarte nicht, besser zu werden; er gehöre zur imteren Menschenklasse und
müsse Platz für die obere machen; er sei vergiftet worden; er habe es aus reUgiöser
Depression getan.
Manchmal werden die zwei Gedanken durch äußere Umstände oder durch
den Gedankengang direkt gegeben:
Wie geht es Ihnen? „Schlecht" (mit lachendem Gesicht). Sie sehen ja gut
aus; gut geht es Ihnen (dabei klopfe ich der Patientin auf den Rücken). „Nein,
ich habe Schmerzen im Rücken" (auf die geklopfte Stelle zeigend). — Warum lachen
Sie? „Weil Sie die Kommode ausräumen." — Sie haben ja vorher schon gelacht. —
,,Weil die Sachen noch d'rin waren." —
Am häufigsten geschieht die Anknüpfung an diejenigen Dinge, die den
Patienten gerade gemüthch beschäftigen.
Es ist etwas AUtägUches, daß die Kranken schmieren oder Kleider zerreißen,
„weil man sie nicht nach Hause gehen läßt". — Ein Kranker assoziiert auf Schiff:
"Der Herrgott ist das Schiff der Wüste"; vorn setzt er an das gegebene Wort den
Herrgott an, das im Vordergrund seines pathologischen rehgiösen Interesses steht
vmd bei ihm auch sonst oft auftaucht; hinten kam die Wortergänzung in ganz anderem
Gedanlcengang. — Auf „Holz" wurde von einem Mädchen assoziiert: „daß mem
Cousm Max wieder lebendig wird"; die Kranke benutzt den Teilbegriff „Holzsarg",
der in ihrer unglückhchen Liebe eine Rolle spielt, um das Reizwort mit dem Komplex
zu verbinden — Der nach oben strebende Boßhard von Oerhkon ist Bonaparte
von Orleans, wie ihm sein Name sagt. Wie diese Beispiele zeigen, spielt diese Art
Assoziation eines zufälligen Eindruckes mit einem bestehenden Komplex^) eme
große Rolle bei der Entstehung der Wahnideen.
1) Komplex: Abgeküi-zter Ausdruck für Komplex von Vorstellungen der so sterk
affektbesetzt ist, daß er die psychischen Vorgänge (andauernd) ^"^^^.^^['«^^^"f ^.'^
normale Einwirkung des Affektes auf die Assoziationen bringt es mit sich, daß dei Komplex
schon beim Gesunden eine gewisse Neigung hat sich abzugrenzen eme Ar J
zu erlangen; er wird ein resistenteres Gebilde innerhalb der wechselnden Vor tstellungsmasse.
Grundsymptome. Assoziationen.
19
Häufit^ sind ferner Assoziationen nach dem Wort klang; Kopf — Tropf;
Frosch - i°ost — rostig; sauber — Tauber — (wilder — böser — starker —
Kerl); geschlagen — betrogen — betroffen — beklagen. Solche Verbindungen
gleichen zwar den Klangassoziationen bei Ideenflucht; doch wäre schon Frosch —
Rost für einen Manischen auffaUend, ein Produkt wie „betrogen — betroffen"
oder „Diamant — Dynamo" recht selten; der Gleichldang ist denn doch zu
gering. Noch ungewöhnhcher kommen uns vor: Pauline — Baum — Raum;
See — Säuhund; Tinte — Gige (= Geige), Nadel — Nase. Bei Tinte — Gige
wird der Gleichldang von Gesimden kaum empfunden, das i in Tinte ist kurz
und hat einen anderen Klang als das lange i in Gige. Wird aber assoziiert „schon
— ein Paar Schuhe" und gleich darauf: „Krieg — das ist die Schönheit", so
wird niemand, der nm- die manischen und die normalen Assoziationen kennt,
in der bloßen Assonanz die Verbindung zwischen Schuh und Schönheit suchen.
Und doch haben uns viele Hunderte von solchen Zusammenstellungen mit
Sicherheit belehi-t, daß die Gleichheit, ja die ÄhnHchkeit eines einzigen Lautes
senüst, um die Richtung der Assoziationen mitzubestimmen.
Auch die Klangassoziationen haben häufig den schizophrenen Charakter
des Bizarren.
So sagte uns eine Patientin, Kalender sei Felsen verkauf, weil die Felsen kahl
seien. Man spricht in Gegenwart einer Katatonischen vom Fischmarkt. Sie jammert:
„Ja, ich bin auch so ein Haifisch." Sie benutzt eine ganz sonderbare und für jeden
andern Avachen Menschen als einen Schizophrenen unmögHche Klangassoziation
, .Fischmarkt — Haifisch" um auszudrücken, daß sie etwas ganz Schlechtes sei, dabei
die ganze Unmöglichkeit dieser Identifikation ignorierend.
Anderes Beispiel von Klangassoziation beim freien Gedankengang: Der Arzt
hatte einer Hebephrenen, die ganz arbeitsfähig ist imd sich auch außerhalb der Anstalt
gut bewegen kann, Vorwürfe gemacht, weil sie schlechte Ordnung in ihrem Zimmer
hielt, imd bekam die Antwort: ,,Ich will kern italienisches Geld." Auf die Frage,
was das heißen solle, sagte sie: ,,Sou ist doch itahenisches Geld oder französisches;
ich bin nicht Surberli (eine Angestellte, die bei dem Begriff ,Ordnung halten'
kaiun in Betracht kommen kann) und die Frau Suter ist überhaupt gestorben."
Die Patientin hatte bei dem Vorwurf bewußt oder unbewußt an das für solche Fälle
unter weniger Gebildeten übliche, aber vom Arzt nicht gebrauchte Wort „Sau-
ordnung" (ausgesprochen Sou. . . oder Su. . .) gedacht; damit sind die Worte —
und Begriffe — Sou, Surberli und Suter teilweise determiniert, während die negative
Form des Satzes ausdrückt, daß Patientin nicht als unordenthch gelten wolle
(Eiklin). — Eme Patientin variierte die seit 30 Jahren bei ihr bestehende stereotype
Redensart: „es ist mir nicht wohl", indem sie für „wohl" verschiedene Dialektaus-
drücke und schheßhch das englische „well" einsetzte. Aus dem letzten Wort wurde
eines Tages „es ist mir nicht Velo" (= Fahrrad).
Natürlich kann eine Klangähnlichkeit niemals allein eine Assoziation
bestimmen. Wenn auf „schon" „Schuh" und dann „Schönheit" assoziiert wird,
so hegt in der Assonanz nur eine von vielen Determinanten. Es gibt noch Hun-
derte von Worten, die mit Sch anfangen; warum sind gerade Schuh und Schön-
heit aufgetaucht?
„Tmte — Geige" kennen wir einen der übrigen mitbestimmenden
: Der Patient hat sexuelle Gedanken, die sich in manchen Asso-
sehr unverblümt ausdrücken. (Geige wird in unserem Dialekt fast
2*
20
Schizophrenie.
nur im obszönen Sinn, kaum je für das Musikinstrument gebraucht.) Der näm-
iche Eintluß ist noch bei vielen Assoziationen des gleichen Patienten und ebenso
bei vielen Produkten anderer Kranker nachzuweisen; denn klangliche und
sexuelle Du'ektiven sind gerade bei Schizophrenen so häufig, daß sie auch oft
kombimert zu finden sein müssen. So antwortet eine Kranke auf: „Bitte, sagen
" '• »ein Bidet habe ich nicht nötig" (d und t werden in unserem
Dialekt scharf unterschieden). — Sehr häufig ist das Verhören von Worten im
Sinne eines Komplexes, z. B. des Verfolgungswahnes.
Zwei Einflüsse bestimmen aber eine Assoziation noch lange nicht ein-
deutig. Es gibt gewiß noch recht viele Wörter, die sowohl Gleichklänge in dem
hier in Frage kommenden aller weitesten Sinne, wie auch eine sexuelle Be-
deutung haben. Die Auswahl muß dann noch durch andere Verhältnisse mit-
bestimmt werden, die uns aber meist entgehen.
Ziemhch gleichwertig den Klangassoziationen sind die einfachen Fort-
setzungen von gewohnten Redensarten, die bei Schizophrenen ganz
deplaciert auftreten können. So fing eine Patientin, die im Begriffe war von
einem Spaziergang mit ihrer Famihe zu berichten, an, die Famihengheder
aufzuzählen: „Vater, Sohn", fuhr dann aber fort „und heihger Geist", dem
sie dann noch die „heihge Jungfrau" anfügte, indem sie durch das Zitat auch
begrifflich abgelenkt worden war.
Nicht prinzipiell verschieden von den zufälHgen Assoziationsverbindungen
sind die Verdichtungen, d. h, Zusammenziehungen von mehreren Ideen in
eine einzige.
Dieser Vorgang wirkte mit bei der Bildung des oben erwähnten Gedankens
,,der Herrgott ist das Schiff der Wüste", indem zwei ganz verschiedene imd ver-
schiedenen Ideenkomplexen angehörige Dinge in einen Gedanken zusammengezogen
wurden. Ein Katatoniker assoziierte auf Segel ,, Dampf seger zusammengesetzt
aus den beiden sich aufdrängenden Assoziationen „Dampfschiff" und „Segelschiff".
An der Bildung von Wahnideen und Symbolen ist die Verdichtung in hervorragen-
dem Maße beteiligt, auch ist sie die Ursache einer Menge von Wortbildungen:
„trauram" für „traurig" und „grausam"; ,,schwankelhaft" zusammengesetzt aus
Bruchstücken der drei Worte ,, wankelmütig", ,, schwankend", , .nicht standhaft".
In den experimentellen Untersuchungen sind die mittelbaren Asso-
ziationen auffallend häufig; ich vermute, es ist nur ein Beobachtungsmangel,
daß wir sie im gewöhnhchen Gedankengang der Kranken noch recht wenig
nachgewiesen haben.
Die früher erwähnte Assoziation „Holz (Holzsarg) — toter Cousin" kann auch
als mittelbare aufgefaßt werden. Sicher sind „See — Geist" über „Seele"; „Sten-
gel — Wädenswü" über „Engel", ein Gasthof in Wädenswü, der für das Gefühls-
leben der Patientin wichtig geworden ist; „Herz — Tannenbaum" über „Harz";
„Kochen — Schwindsucht" über „Koch — TuberkuUn". Man zeigt einer Kata-
tonika einen Schlüssel mit der Frage: „Was ist das?" Sie antwortet prompt:
„Das ist die weiße Schüssel", diese Assoziation kann wohl nur über „Schlüssel"
gegangen sein.
Auch bei Leseversuchen an der Trommel hat Reis (S. 617) mittelbare Asso-
ziationen gefunden in dem Sinne, daß statt Krieg „Zank", statt Vieh „Pferd" ge-
lesen wird. Der prhnäre Sinneseindruck kommt hier gar nicht zum Bewußtsein,
bedingt aber doch eine neue Assoziation. — Auch Groß macht darauf aufmerksam,
Grundsymptome. Assoziationen.
21
daß die Patienten mauclimal auf eine eindeutige Frage statt der Antwort eine Asso-
ziation zu dieser Antwort geben. [In Stransky (748), S. 1077.]
Nicht selten wird die Neigung zu Stereotypierung eine weitere
Ursache zu Entgleisungen. Die Kranken bleiben an den gleichen Ideenkreisen,
den gleichen Worten, den gleichen Satzformen hängen oder kommen ohne
logischen Grund immer wieder darauf zurück. Busch fand bei Auffassungs-
versuchen in einzelnen Fällen zahlreiche falsche Angaben, die vorhergehende
Reize wiederholten.
Beim Assoziatiousexperiment knüpfen die Patienten oft an das frühere
Reiz- oder Reaktionswort an: ,, Stern — das ist der beste Segenswunsch;
Streicheln — das ist die Vollkommenheit; gi-oßartig — den Willen; Kind —
der Gottheit; dunkeh'ot — Himmel und Erde." Durch das Wort Stern ist eine
reh'giöse Idee wachgerufen worden, die nun ganz imbekümmert um die ver-
schiedenen Reizworte in den unmittelbar folgenden Reaktionen weiter gesponnen
wird. In den ersten beiden Antworten zeigt sich zugleich noch die Stereotypie
der Form, die in den meisten Assoziationen dieses Kranlcen sich nachweisen
läßt und zu Gebilden führt, wie „Katze — die Katze ist eine Maus": an das
Reizwort wird „Maus" assoziiert, aber in durch vorhergehende Assoziationen
gegebener Form des Prädikativs.
Die Stereotypien können sich für lange fixieren. In einzelnen wenigen Fällen
sahen wir, daß z. B. nach vier Wochen auf 40^0 der Reizworte wieder gleich
reagiert wurde, wie das erste Mal; eine Patientin reagierte auf „so" mit dem
unverständlichen „das ist ein Kanal"; es stellte sich heraus, daß sie an einem
vorhergehenden Tage auf „See" mit dem gleichen Satz reagiert hatte. Die
nämliche Patientin assoziierte: „Rechnen — das ist essen" und später „Recht
— das ist viel essen" — auch hier wieder die gleiche Anknüpfung an ein klanghch
ähnhches Wort.
In den pseudo-ideenflüchtigen Äußerungen akut verwirrter Schizophrenen
ist das beständige Zurückkommen auf früher Gesagtes etwas ganz Gewöhnliches.
Die Neigung zum Stereotypwerden in Verbindung mit dem Mangel
eines Zieles im Denken führt auf der einen Seite zum „Klebedenken", zu einer
Art Perseveration, auf der andern zu einer Verarmung des Denkens
überhaupt. — Die Kranken reden dann immer nur vom gleichen Thema (Mono-
ideismus) und sind nicht fähig, auf etwas anderes einzugehen. (Vgl. die ex-
penmentellen Assoziationen am Ende des Abschnittes.)
Im Zusammenhange mit der ZieUosigkeit und der Stereotypierung der
Ideen mag es auch stehen, daß die Kranken oft dazu kommen, nichts mehr
wn-khch zu Ende zu denken; ein sinnloses Ausassoziieren ersetzt das Denken
Em Hebephrene kam von den Begriffen „Liebe" und „haben" nicht mehr los
und assoznerte spontan während langer Zeit Reihen wie die folgende: „Liebe
Diebe Gabe, Dame, haben, Liebe, Diebe, Gaben, Dame, haben, Liebe, Diebe'
zurückgenommen, zurückgenommen, zurückgenommen, zurückgenommen, haben
Auf diese Weise kommen die Patienten oft in Aufzählungen hinein die
meist wieder deutHch den Charakter der schizophrenen Assoziationsstörung haben
VVil, sondern auch über Amerika, Südafrika, Mexiko, Mc. Kinley, Australien."
22
Scbizoplireuie.
tti f r . t\'"'' bestimmte Idee durch Ausassoziieren von allen möglichen
Seiten beleuchtet: „Ich wünsche Euch daher ein gutes glückliches feeudenreiches
gesundes, gesegnetes und obstreiches Jahr und noch viele^olgende gute ^^^^
sowie gesunde und gute Erdäpfeljahr sowie Sauerkohl und Spitzkohl Snd gute Kürbis
und Kernenjahr. Em gutes Eierjahr und auch ein gutes Käsejahr" usw. usw -
Ein Patient, dessen Tochter katholisch geworden, schreibt ihr, der Rosenkranz sei
„eine (xebetsvervielfachung, und diese ist wiederum ein Vervielfachungs-
gebet, und ein solches ist nichts anderes als eine Gebets raühle, und eine solche
ist eine Muhlengebetsmaschine, und eine solche ist wiederum eine Gebets-
maschinenmüllerei" usw. zwei Folioseiten durch.
Im Assoziationsexperiment kommt es nicht selten vor, daß die Kranken
anfangen, alles das zu nennen, was sie gerade sehen, so daß sie z. B. auf die
verschiedensten Reizworte alle Möbel eines Zimmers der Reihe nach nennen,
und zwar auch dann, wenn sie von der Vorstellung loskommen wollen und das
Experiment ganz begriffen haben.
Dieses Symptom hat eine äußerliche und gewiß manchmal auch eine innere
Ähnlichkeit mit dem, was Sommer als Nennen und Abtasten^) bezeichnet.
Bei manchen Patienten, namentlich bei etwas benommenen, besteht die einzige
erkennbare Assoziation an von außen gegebene Eindrücke im Nennen des
Eindruckes: „Spiegel", „Tisch"; oder der Eindruck wird durch den Satz be-
zeichnet: „Das ist ein Barometer. Das ist die Gasleitung. Das sind MänteP)."
Das „Nennen" kommt nicht nur bei optischen Eindrücken vor; ich fasse z. B.
■eine Patientin bei der Hand, sie sagt: „la mano" (sie ist Deutsche); oder auf-
gefordert, irgend etwas zu tun, bezeichnet sie es auch durch ein Stichwort: ,,in
'den Garten"; auskleiden". In ganz ähnlicher Weise benennen oft die Hallu-
.zinationen der Kranken das, was sie tun: ,, jetzt setzt er sich"; ,, jetzt Avill er
schreiben"; ,, jetzt schreibt er". Der Übergang von den Briefen, die einfach
aufzählen, was um die Kranken ist und um sie geschieht, bis hinab zu diesem
Benennen ist ein ganz flüssiger; und auch der obige Patient, der berichtet,
was auf der Stahlfeder steht, ist nicht weit von den nennenden Kranken ent-
fernt; hierher gehört es auch, wenn ein Patient, der jemanden mit einer Laterne
kommen sieht, bemerkt: „ich konstatiere, daß das eine Laterne ist". Gemein-
sam ist eben die Anknüpfung an einen Sinneseindruck bei Mangel einer Ziel-
vorstellung; die Patienten knüpfen an alle möglichen von außen oder innen
gegebenen Ideen weitere an; woran sie anknüpfen und in welcher Richtung,
das ist oft, wie gerade bei unserem Briefschreiber, wechselnd, wird also in bezug
auf die Assoziationstätigkeit vom Zufall bestimmt.
Ganz ähnlich ist auch das ebenfalls von v. Leupoldt beschriebene „Ab-
tasten^)", das darin besteht, daß die Kranken den Konturen der erreichbaren
Gegenstände nachfahren. Statt der Gegenstandbezeichnung wird in solchen
Fällen die entsprechende Gleitbewegung assoziiert.
1) Manche Autoren zählen diese Erscheinungen zu den motorischen Anomalien;
Kleist z. B. unter dem Namen der „Kurzschlußakte".
2) Warum v. Leupoldt (413) dabei von einem Zwange spricht, obschon er selbst
sagt, es sei kein Zwang „in engerem Sinne", verstehe ich nicht. Ebensowenig wird es für
alle Fälle stimmen, wenn er einen Mangel in der Fähigkeit, Komplexe aufzufassen, als
Grundlage der Erscheinung annimmt. Sein eigener Patient faßte das Bild der Einweiliung
eines Denkmals „im ganzen" als einen Festzug auf.
*) Hypermetamorphotische Bewegungen Wernikes.
23
Grundsymptorae. Assoziationen.
Wenn der irgendwie gegebene Begriff ein motorischer ist so kann die
ein.igrrennbare'A3S0.iatiL'die sein, daß die e»^^^^^^
wird der Patient macht nach, was er sieht und hört, Echopraxie una
Ech;ialieMvgl. Befehlsautomatie). Prin^ipieU kann ich die Erscheinungen
des B — und der Echopraxie nicht ganz voneinander trennen. AUe Vor-
igen ha\en eine motorische Komponente; bei Handlungen, die man vor
eten Au^en ausgeführt sieht, bei Worten, die man ausgesprochen hört ist
1 ese Komponente^c^ beim Gesunden eine oft sehr deuthche. Wenn k.n
Grund ist/andere Assoziationen herbeizuziehen, so ist es sehr begreiflich, daß
diese Komponente nicht unterdrückt wird. Wir zählen deshalb hierher auch Voi-
kommnisse\vie das folgende: Ein Patient hat eine TürfüUung herausgeschlagen;
ein anderer kriecht nun beständig dui-ch das Loch hinaus und herem, ohne
selbst zu wissen, warum.
Bekommen so bei der „Fesselung durch den optischen Eindruck unter
Umständen die Sinneswahrnehmungen ein pathologisches Übergewicht, so kann
luncrekehrt der Patient unter anderen Umständen die Außenwelt voUstandig
icrnorieren. Zwischen diesen Extremen gibt es aUe Übergänge. Die Ablenk-
barkeiti) igt bei der Schizophrenie, soweit die Assoziationen m Betracht
kommen, nicht prinzipiell in einer bestimmten Richtung verändert; sie ist hier
die Resultante vieler primärer Vorgänge, unter denen einer der wichtigsten
ist die aktive Abschließung der Patienten von der Außenwelt. Die Kranken
scheinen bald ganz von den äußeren Eindrücken abhängig zu sein und gar keine
eigene Direktive zu besitzen, so wenn das S3miptom des Nennens das Bild
beherrscht; bald aber sind sie in keiner Weise ablenkbar; die stärksten Reize
vermögen nicht, ihren Ideengang zu beeinflussen oder die Aufmerksamkeit zu
erregen.
Das Gros der chronischen Fälle zeigt beim gewöhnlichen Verhalten iu
dieser Richtung wenig Auffallendes; die Leute sind bei ihrer Beschäftigung;
wenn etwas Besonderes geschieht, so sehen sie auf, gerade wie Gesunde und
beschäftigen sich mit dem neuen Ereignis, soweit es sie interessiert. Wenn
sie reden, so kann man sie unterbrechen. Oft aber, namenthch in allen schwe-
reren Fällen ist die Ablenkbarkeit vermindert. Sommer (724) hat das auch
experimentell nachgewiesen, indem er bei starkem Lärm von den Patienten
die gleichen Rechenresultate erhielt wie sonst. Sind die Schizophrenen im
Affekt, besonders im Zorn, dann zeigt sich regelmäßig eine Störung der Ab-
lenkbarkeit. Einwände werden gar nicht beachtet oder nur im Sinne ihres
Gedankenganges verstanden und geben oft nur neues Material zu ihren Er-
güssen. Auch durch Veränderung der Umstände lassen sich die Kranken wenig
beeinflussen, so lange sie im Eifer sind. Es ist ja etwas GewöhnHches, daß ein
achimpfender Schizophrene, den man verläßt, einfach weiter schimpft, imbe-
kümmert darum, daß niemand mehr da ist, der ihn hört, oder wenigstens niemand,
an den er seine Suade richten kann.
Ein Mangel an Ablenkbarkeit wird oft durch die Interesselosigkeit
der Kranken vorgetäuscht. Da sie sich um nichts kümmern, kann sie auch
nichts in ihrem Verhalten beeinflussen. Man kann aber bei den gleichen Kranken
1) Vigilitiit clor Aufmerksamkeit (Ziehen).
24
Schizophrenie.
nachweisen, daß sie ganz gut auffassen, was um sie geschieht, auch wenn sie
aktiv gar keine Aufmerksamkeit darauf wenden (vgl. unter Aufmerksamkeit).
In gewissen akuten Zuständen ist die Ablenkbarkeit meist erhebhch re-
duziert, oft bis auf Null.
An den meisten Erzeugnissen von Schwerkranken kann man die ver-
schiedenen Eigentümlichkeiten des schizophrenen Gedankenganges zu gleicher
Zeit finden.
„Ich bin noch nie in Hamburg, noch nie m Lübeck, nie in Bern gewesen, ich
habe den Professor Hilty noch nie gesehen; ich bin noch nie an der Universität
Basel gewesen, ich habe noch nie den Luther gesehen, noch nie den Lütter (vulgärer
Ausdruck für Diarrhöe) gehabt, aber ich habe schon alle Bundesräte gesehen, ich
gehe zum General Herzog, ich will dem Aas schon zeigen. . ."
Hier hat sich die negative Form durch sieben Gedanken hindurch erhalten.
Die Ortsaufzählung ist nicht systematisch geordnet. Von Lübeck nach Bern ist ein
IUI vermittelter Sprung i); der letztere Name erinnert den Patienten an einen Professor
an der Universität Bern; dieser vermittelt den Übergang zur „Universität Basel".
Diese spielt in der Eeformationsgeschichte eine KoUe, daher die Assoziation Luther".
Dieser folgt nun die ganz unsinnige Klangassoziation „Lütter", bei der aber die
Änderung des Verbums zeigt, daß der Patient das darunter denkt, was das Wort
gewöhnlich sagt (Diarrhöe). Die „Bmidesräte" hängen wieder an dem früheren
Begriff Bern; von ihnen aus ist es nicht ganz unlogisch, wenn auch unter den ge-
gebenen Umständen ganz absonderlich, an den längst verstorbenen General Herzog
zu denken; an diesen knüpft sich der unsinnige Einfall, daß Patient zu üim gehen
wolle. Der Begriff ,, General" ist verbunden mit der Vorstellung „Macht" oder etwas
Ähnlichem; wohl deshalb folgt mm das ganz sinnlose: ,,ich will dem Aas schon
zeigen ..." indem die Machtvorstellung auf einem der üblichen Wege an den Patienten
selbst assoziiert wird, der sich nun auf einmal stärker fühlt als der General.
In dem folgenden Brief läßt sich der Ideengang meist nicht mehr analysieren ;
es kommt uns alles als ein unzusammenhängendes „verwirrtes" Geschwätz vor.
Genaue Kenntnis der gefühlsbetonten Komplexe der Kranken würde uns allerdings
manches erklären lassen.
Burghölzh, 20igsten Nov. 1905.
Werthe Famihe Fridöri und Familie Graf odern Ohren SchmidU !
Hier im Schmiedtenhaus gehts nicht gut. Hier ist nicht Kirche, Pfarrhaus
auch nicht Armenhaus sondern hier ist das ganze Jahr Schall, KoUder, Brumberen —
Sonnen = Himmelschall; Mancher große und kleine Landwirth, Humel, Surbeck,
Armtrunk aus Thalweil, Adlisweil, von Albis von Sulz, von Seen, von Rorbach, von
Eorbas hat sein Haus verlassen, ist nicht mehr zurückgekommen, entaucht so
ein Metzgerknecht, Siegrist, Bauer Vorsängers, auch ein Meier Gutsverwalter, Messner
Jakob, ält, jüngere Schweizersoldaten, auch Ernst, vom Ernst, der sich 2 Finger
abgehauen hat im Jahr 1900igsten Monat August, sowie sein Vater Konrad mid Frau
sind verschieden. Denn die Seidenhaspehnänner und Frauen haben die Verauchung
täghch, Besuche umzubringen, weils so lange warten, bis Patienten herausballgen,
gute Milch habens auch da nicht, hohen, Wärterinnen sind auch nicht anders Jvarrinnen
Kappseierinnen, die einem Herz durchbohren, ist genug an Strikern von Unterrocken,
1) Vielleicht über das klangälinliche Bremen 5
Grundsymptome. Assoziationen.
25
Uüterleibclien, Strümpfen, des Tages, müssen noch des Nachts Unruhe schaffen
den Himmeln und Erdengästen
Auch einen Gruß an Alle, die noch leben.
Anna.
Die Meinigen sind nicht mehr.
Wen doch Direktion Foreli sind umgekommen, wenn nur Am Bühl König
inis auf einem Wagen heimführte, da die Bahn ja nur schadet, wenn die Biene von
Wvl Hüntwangen bis Neuhausen umgehen würde, die Bahnwagen in eine Kiesgrube
werfen und zudeken mit Erde. Weiberherzlein richtet nicht viel aus. Männerherz
ist doch stärker."
Die höheren Grade der schizophrenen Assoziationsatörung führen also zu
vollständiger Verwirrtheit.
Verwirrtheit darf man nicht als ein Symptom sui generis ansehen; sie ist
das Resultat der verschiedensten psychischen Elementarstörungen, die einen so
hohen Grad erreicht haben, daß für den Patienten oder den Zuschauer oder für beide
der Zusammenhang verloren geht. Die manische Ideenflucht, die wir strikte von
der schizophrenen Störung des Ideenganges trennen müssen, führt ebenfalls, wenn
sie hochgradig ist, zur Verwirrtheit; sogar die melancholische Hemmung kann dazu
führen, wenn die Langsamkeit des Ideenablaufes und der Mangel an Anknüpfungs-
fähigkeit die Orientierung und das Ausdenken einer komplizierten Vorstellung ver-
unmöglicht. Auch die Halluzinationen können zu einem Bilde führen, das wir als-
Verwirrtheit bezeichnen, wenn sie sich mit den wirklichen Wahrnehmungen mischen
xmd so Konfusion in das Weltbild bringen i).
So ist bei der Schizophrenie die Verwirrtheit bald eine Folge des Auseinander-
fallens der Ideen, bald die der Sperrungen mit neu auftauchenden Ideen, bald die
der Unterdrückung einzelner Assoziationsdeterminanten mit Einschlagen von Neben-
assoziationen, dann wieder Folge des ,, Gedankendrängens" (siehe unten) oder wirk-
hcher Ideenflucht oder der Halluzinationen oder auch mehrerer dieser Faktoren
zusammen.
Der Verlauf der Assoziationen.
Über die zeitlichen Verhältnisse des schizophrenen Assoziationsverlaufes
wissen wir noch so viel wie nichts. Es ist möglich, daß sie nichts Charak-
teristisches haben. Natürlich haben wir bei interkurrenten manischen Zuständen
„beschleunigten" Ablauf im Sinne der Ideenflncht, bei Depression Verlang-
samung; wir dürfen ferner annehmen, daß bei gewissen Stuporzuständen, die
als Ausdruck von Exazerbationen des schizophrenen Gehirnprozesses selbst
angesehen werden dürfen, die Assoziationen verlangsamt seien; bei allen diesen
Dingen handelt es sich aber nicht um dauernde Zustände, sondern um Episoden
oder gar Komplikationen.
Bloß das Gedankendrängen dauert oft jahrelang, wenn es auch bei
ganz abgelaufenen Fällen kaum zu beobachten ist. Manche Patienten beklagen
sich, daß sie zu viel denken müssen, da ihre Ideen sich in ihrem Kopf jagen
Sie reden selber von „Gedankenfluß", weil sie nichts festhalten können^
BPU.,t "f^ '^^'^ Zuständen, bei denen die Halluzinationen und Illusionen
selbst ein Durchemander produzieren, das dann natürlich nichts anderes ist als der Ausdruck
üer verwirrten Assoziationen, die den Halluzinationen zugrunde liegen
26
Schizophrenie.
von „Gedankendrängen'-', „Gedankensammel n", weil ihnen zu viel auf
einmal einfällt. Manchmal allerdings ist die Auskunft über das viele Denken
so daß der Beobachter eher den Eindruck bekommt, trotz der gegenteiligen
subjektiven Empfindung denke der Kranke eher zu wenig. Immerhin ist es
sicher, daß sich bei manchen Kranken die Ideen in pathologischer Weise drängen.
Die Patienten haben dann die Empfindung eines Zwanges; sie meinen oft, daß
man sie so denken mache; sie beklagen sich über die daraus entstehende Er-
müdung; fehlt das Gefühl des Zwanges, so glauben sie etwa, damit eine große
Arbeit zu leisten. Das Gedankendrängen scheint äußerHch im Gegensatz zu
stehen zu den gleich zu beschreibenden Sperrungen, dem GedankenstiUstand.
Häufig beobachten wir aber beide Erscheinungen nebeneinander; einer unserer
gebildeten Patienten zeichnete eine Linie, diesseits derselben sei ein „zwangs-
mäßiges Drängen von verschiedenen Ideen", jenseits „einfach nichts".
Der Inhalt dieses Gedankendrängens ist der nämliche, wie der des übrigen
schizophrenen Denkens. Ein Theologe lachte eine ganze Nacht durch, weil ihm
immer ,,ethymologische Witze" in den Sinn kamen: „Ich bin ein Witz — ein
Nichts — ein Nietzsche." Am besten beschrieb das Phänomen die intelHgente
Patientin Forels (299). Man beachte auch, wie ihr das Zurückkommen auf
frühere Ideen selbst auffiel.
„In meinem Kopf Hef wie ein Uhrwerk eine zwingende, quälend ununterbrochene
Kette von Ideen ihren unaufhaltsamen Gang. Sie waren natürlich nicht scharf
ausgeprägt, deuthch ausgebildet, sondern in den wmiderHchsten Assoziationen
knüpfte sich Einfall an Einfall, doch immerhin in einem gewissen Zusammenhang
von Ghed zu Glied, und es war so weit System darin, daß ich z. B. immer je Licht-
und Schattenseite der Dinge, Menschen, Taten, Aussprüche, die mir einfielen, unter-
scheiden mußte. Was haben sich nicht für Vorstellungen in meinem Kopf getummelt,
welche komische Ideenassoziationen sich ergeben! Auf gewisse Begriffe, gewisse
Vorstellungen kam ich dann immer wieder zurück, die mir aber kaum mehr alle
gegenwärtig sind, z. B. Droit de France! Tamins! Barbera! Rohan! Sie bildeten
gleichsam Etappen in jener Gedankenjagd, und ich sprach dann sozusagen in einem
Losungswort den Begriff, bei dem die rastlosen Gedanken gerade angekommen waren,
rasch aus. Besonders auch bei gewissen Abschnitten meines täglichen Lebens, wie
beim Hereinkommen in den Saal, wenn die Zellentür geöffnet wurde, wenn's zum
Essen ging, wenn jemand auf mich zukam usw., gleichsam, um den Faden nicht zu
verheren oder doch einen gewissen Halt zu erfassen in den tollen, mir über den Kopf
gewachsenen Gedankenfolgen."
Das auffälligste im Formellen des schizophrenen Gedankenablaufes sind
die Sperrungen. Die Assoziationstätigkeit steht manchmal plötzHch ganz
still; wenn sie wieder einsetzt, tauchen meist Ideen auf, die mit den vorher-
gehenden in keinem oder nur ungenügendem Zusammenhang stehen.
Man spricht mit einem Patienten; im zeithchen Ideenablauf bemerkt man
zunächst nichts Abnormes ; Rede und Gegenrede folgen sich wie bei jedem normalen
Gespräch. Auf einmal mitten im Satz oder beim Übergang auf eine neue Idee
stockt der Patient und kommt nicht mehr weiter. Oft kann er das Hindernis
nach einem wiederholten Anlauf überwinden; ein anderes Mal gehngt es ihm
nur in einer neuen Richtung weiter zu denken; manchmal auch wird die Sper-
rung für längere Zeit unüberwindüch, und in diesem Falle kann sie sich auf
Grundsyraptorae. Assoziationen.
27
•die ganze Psyche ausdelinen, der Patient bleibt stumm und bewegungslos und
auch mehr oder weniger gedankenlos.
Der von Kraepelin geschaffene Begriff der Sperrung ist von funda-
mentaler Bedeutung für die Symptomatologie und die Erkennung der Schizo-
phrenie; wir begegnen ihm auch bei der Motilität, dem Handeln, beim Erinnern
und sogar bei den Wahrnehmungen wieder. Die Sperrung ist prinzipiell ver-
schieden von der Hemmung, einem gewöhnlichen Begleitsymptom der stär-
keren gemütHchen Depressionen aller Art: gehemmtes Denken und Handeln
geht langsam und schwer unter abnorm großem Aufwand von psychischer
Energie von statten. Das Psychokym bewegt sich wie eine viskose Flüssigkeit
in einem Eöhrensystem; dieses ist aber überall passierbar. Bei der Sperrung
wird eine sich leicht bewegende Flüssigkeit plötzlich gehemmt, indem da oder
dort ein Hahn geschlossen wird. Oder vergleichen wir den psychischen Me-
chanismus mit einem Uhrwerk, so entspricht die Hemmung einer starken Rei-
bung, die Sperrung dem plötzlichen Abstellen des Werkes. Auf motorischem
Gebiete läßt sich der Unterschied sehr oft leicht zeigen, indem man den Pa-
tienten, der sich bis jetzt wenig oder gar nicht bewegte und langsam und kraftlos
oder gar nicht sprach, auffordert, seine Hände so rasch als möglich umeinander
zu drehen oder schnell auf 10 zu zählen; der Gehemmte wird trotz aller Anstren-
gung langsam drehen und zählen, der Gesperrte kann plötzlich und so gut wie
ein Gesunder reden und die Hände bewegen, wenn die Sperrung einmal über-
wunden ist.
Die Sperrungen im Gedankengang werden von den Patienten selbst wahr-
genommen und unter den verschiedensten Namen beschrieben. Meist, aber nicht
immer, empfinden sie sie unangenehm. Eine intelligente Katatonika mußte
stundenlang dasitzen, „um den Gedanken wieder zu finden". Eine andere
wußte nichts darüber zu sagen als: „Ich kann zuweilen reden, zuweilen nicht."
Ein Kranker „wird abgestorben" (Abraham), ein anderer hat „Denkhinder-
nisse", ein dritter wird „steif im Kopf, wie' wenn man den Kopf zusammen-
^ziehen würde". Ein vierter meint, „man werfe plötzKch den Gummisack über
ihn"; und eine Bäuerin drückt sich so aus: „Es wird mir entgegengeladen wie
em ganzes Fuder (macht eine Geste, wie wenn etwas gegen ihre Brust käme);
■es ist, wie wenn man einem den Mund zuhalten würde, wie wenn man sagte:
halts Maul." In dieser letzteren DarsteUung liegt zugleich die Sperrung der
motonschen Sprachfunktion, die ein Patient Rusts mit den Worten be-
:schreibt, es werde ihm die Sprache festgehalten. Es ist überhaupt etwas sehr
Häutiges, daß die Sperrungen von den Kranken einem fremden Einfluß zuge-
schrieben werden. So läßt man einen unserer Patienten Lieder singen; plötzHch
kann er mcht mehr weiter; dann sagen ihm die Stimmen; „siehst du, du hast
es schon wieder vergessen"; die Redenden sind aber diejenigen, die nach seiner
Meinung ihn vergessen machen.
Den besten Ausdruck hat Jung von einer Patientin gehört: er bezeichnet
d^s Phänomen von der subjektiven Seite als „Gedankenentzug". Das
Wort ist so treffend, daß es von vielen Schizophrenen sofort verstanden wird
Wenn em Patient die Frage: Haben Sie Gedankenentzug?" gleich mit ja be-
antwortet und dann eventuell beschreiben kann, was Ir dLnter verlh t,
so daif man wohl mit ziemhcher Sicherheit die Diagnose der Schizophrenie
28
Schizoplirenie.
machen. Wir haben wenigstens noch keine Ausnahme gefunden. Auch Kranke,
die sich für den Begriff der Sperrung einen andern. Ausdi-uck geschaffen haben'
wissen, was man mit Gedankenentzug meint; ein Patient antwortete Jung
auf die Frage, ob er Gedankenentzug habe, prompt: „So, das nennen Sie Ge-
dankenentzug, ich habe es bis jetzt , Gedanken Verstopfung' genannt." Ähnlich
sprach ein Patient Kraepelins von „Abziehen der Gedanken".
Die Sperrung hat anscheinend etwas ungemein Launisches, sowohl ob-
jektiv für den Beobachter als subjektiv für den Kranken. Bald kann der
Patient geläufig sprechen, sich ganz frei bewegen, bald stockt wieder der Ge-
danke oder die Motihtät. Bei genauerem Zusehen findet man aber meist den
Grund der Sperrung in der Bedeutung des gesperrten Gedankenganges für den
Patienten; und umgekehrt kann man bei Kranken, die man noch
nicht genau kennt, aus dem Eintreten einer Sperrung auf das
Anschlagen eines wichtigen Komplexes schließen.
Wir fragen ein Mädchen über ihr Vorleben aus; sie gibt ganz gut chronologi-
schen Bescheid über ihre Vergangenheit. Auf einmal kommt sie nicht weiter; wir
fragen, was mm weiter geschehen sei ; nichts mehr ist zu erfahren. Erst lange nachher,
auf allerlei Umwegen dazu gebracht, platzt sie heraus, daß sie zu jener Zeit den Ge-
liebten kennen gelernt habe. — Ein Lehrer, der seine ganze Kraft für die Erlangung
einer Gehaltserhöhung eingesetzt hatte, antwortet auf die Frage, ob er eine Gehalts-
erhöhung bekommen habe: ,,Was ist eine Gehaltserhöhung?" Er konnte den Aus-
druck nicht verstehen, weil der Gehaltkomplex bei ihm abgesperrt wurde. — Viele
Kranke verlangen den Arzt in dringender Sache zu sprechen ; wenn er da ist, wissen
sie nichts zu sagen.
Ein hochintelligenter und gebildeter Patient singt ein Liebeslied, meint aber
nachher, es sei nur die Schilderung einer schönen Landschaft gewesen; er kann gar
nichts mehr daraus reproduzieren ; auch wenn man ihm Bruchstücke daraus vorsingt,
behauptet er bestimmt, das nicht gesungen zu haben.
Bei unseren Kranken sind die gefühlsbetonten Komplexe meist mit den
Wahnideen und den Halluzinationen in Verbindung; daher bekommt man
über diese bei der Schizophrenie so wenig Auskunft, während sie doch meist
das ganze Denken und Fühlen der Kranken beherrschen. Eine Patientin merkt,
„daß gewisse Leute besessen seien," daran, daß sie mit ihnen nicht sprechen
kann; die „Besessenen" sind diejenigen, die in ihre Wahnideen verwoben sind.
Die Sperrungen sind nicht in allen Fällen absolut und unüberwindbar ; durch
fortgesetztes Fragen, durch Anregungen aller Art^) und namenthch durch Ab-
lenkrmg kann man sie häufig durchbrechen oder umgehen. Oft haben die
Kranken aber dabei ein unangenehmes Gefühl; eine Patientin fuhr, nachdem
sie geantwortet, geradezu erschrocken zusam.men, wie wenn sie etwas Un-
rechtes getan hätte.
So ist auch der Wille oder wenigstens der Wunsch des Patienten nicht
immer unbeteihgt an dem Eintreten der Sperrung. Ein Hebephrene nannte
den Symptomenkomplex der Sperrungen (verbunden mit Wahmdeen und
anderen psychopathologischen Gebilden) den „Postzeichner"; diesen schaltete
er oft auch" ein, wenn man ihm eine unerwünschte Arbeit geben wollte; er war
1) Auch durch Alkohol lassen sich die Sperrungen manchmal beseitigen,
dies bei der Untersuchung benutzen.
Grundsymptome. AssoziationcD.
29
dann für alles gesperrt, und es war mchts mehr von ihm zu wollen. Daß es von
einem solchen Verhalten aus aUe Übergänge zu bewußtem Nichtwollen und zu
allen Formen von Simulation gibt, ist selbstverständlich. Ebenso ist die Grenze
der Sperrungen gegen den Negativismus weder theoretisch noch sympto-
matologisch eine scharfe. Die beiden Erscheinungen gehen in einander über,
und der passive Negativismus Heße sich sogar durch eine Kombination von
Sperrungen erklären.
Ganz wie Negativismus verhielten sich die Sperrungen bei einer Patientin,
die langsame, zögernde und leise Antworten gab; oft versagte ihr die Stimme
ganz, besonders wenn man sie eindringlich befragte. Die Sperrung ließ sich
lungehen, wenn man sich nicht direkt an sie wendete.
In einzelnen Fällen ist es einfach unmöglich zu sagen, ob es sich um
Sperrung oder um Negativismus handelt, namentlich dann, wenn der Patient
dem Hindernis durch Danebenantworten ausweicht. Eine Kranke zeigte bei
der Untersuchung weder Sperrungen noch Negativismus noch Vorbeireden,
außer wenn man sie fragte, wann sie in die Anstalt gekommen sei. Auf die
vielfach gestellte Frage bekamen wir Antworten wie : In einem Sanitätswagen —
die Schwester L. hat mich gebracht — drei Tage bin ich hier und lange Nächte
(Patientin ist am Tage vorher gekommen), und ähnhche.
Teilweise Sperrungen, wie sie sich hier zeigen, kommen auch in an-
derer Weise vor. Nicht allzu selten ist es, daß die Sprache gesperrt wird, während
der Gedankengang sich noch in einer kleinen Reihe von Gesten ausdrückt, die
den begonnenen Satz abschließen. In meinen Beobachtungen hörte dann der
Gedankengang mit der mimischen Beendigung des angefangenen Satzes eben-
falls auf.
Eine Art teilweiser Sperrung ist das, was eine Patientin Jungs „Ban-
nung" nennt. Durch irgend einen Sinneseindruck werden die Gedanken voll-
ständig gehemmt, nur der Sinneseindruck bleibt im Bewußtsein. Sommers
„optische Fesselung" bezeichnet zum Teil wohl das nämliche Symptom.
Die experimentellen Assoziationen scheinen für unsere Kenntnisse in
den chronischen Stadien leichter Fälle oft nicht gestört. Meistens allerdings findet
man Auffälhgkeiten, die zwar nicht für sich allein eine sichere Diagnose erlauben,
aber doch mit Wahrscheinlichkeit auf die Krankheit hindeuten.
1. Große Unregehnäßigkeit in den Assoziationszeiten, die sich nicht allein
durch die Herrschaft gefühlsbetonter Komplexe erklären lassen. Die Zeitunterschiede
sind viel größer als bei Komplexen Gesunder, und oft besteht ein merkAvürdiger
Wechsel, bald scheinen die Assoziationen langsam zu verlaufen; dann sieht man
wieder, daß der Kranke (im gleichen Experiment) sehr rasch denken kann. Man ist
natürhch bei aolchen Unregelmäßigkeiten zunächst geneigt, sie Schwankungen des
guten WiUens oder wenigstens der Aufmerksamkeit zuzuschreiben ; die anderen Zeichen
dieser Störungen sind aber oft nicht zu finden. In akuten Fällen werden die Reaktionen
während des einzelnen Versuches gerne immer langsamer.
2. Auffallend ist auch das schon erwähnte Anschheßen an frühere Reizworte
oder auch frühere Antworten; diese Nachwirkung eines früheren Gedankens braucht
nicht eine kontinuierhche zu sein: der Kranke kommt von einem Gedanken ab
,reitt dann aber m einer späteren Assoziation wieder darauf zurück, wie oben an
30
Schizoplirenie.
„Bern „Bundesrat" angeknüpft wurde, nachdem drei ganz andere Gedanken den
Patienten weit ab von der ersten Vorstellung geführt hatten. Häufiger immerhin ist
es, daß die perseverierenden Ideen aneinander schließen.
3. Die Nachwirkung des früheren Gedankenganges zeigt sich auch in der
Neigung zu Stereotypien der Antwort in Form und Inhalt. Einzehie, namentlich
akute Patienten antworten am Schluß des Experimentes nur noch ganz sinnlos mit
wenigen Ausdrücken, die im vorhergehenden einmal richtig angewandt waren:
,,Zum Denken, zum Schreiben, zum Essen" usw. (Ideenarmut begünstigt natür-
lich dieses Verhalten.)
4. Manchmal bleiben die Kranken auch an dem Reizwort hängen und repe-
tieren dasselbe, ohne einen weiteren Gedanken anzuschließen. Diese Art Echo-
lalie kommt viel häufiger bei akuten Zuständen (Benommenheit) vor als bei chro-
nischen.
5. Auch dann, wenn die Wiederholung des gleichen Wortes nicht häufig vor-
kommt, sieht man bei vielen Kranken eine große Armut der Ideen; sie verharren
nicht beim gleichen Wort, aber doch bei ähnlichen und sehr naheliegenden Ideen.
6. Die Schizophrenen haben mehr individuelle, bei Andern nicht vor-
kommende Reaktionen (Kent imd Rozanoff). Bietet man ihnen nach längeren
Zwischenräumen die nämlichen Reizworte, so wechseln die Reaktionsworte mehr
als bei Gesunden (Pfenninger).
7. Am auffallendsten sind aber die bizarren Assoziationen, von denen S. 14
und 16 Beispiele gegeben sind und dann die scheinbar oder wirklich ganz unzusammen-
hängenden, bei denen das Reizwort bloß das Signal zum Aussprechen irgend eines
Wortes bildet. (Nennen eines beliebigen Möbels, das im Blickfeld ist usw.)
8. Nicht selten ist ein Zusammenhang nicht zu finden, auch nicht mit Hilfe des
Patienten. In diesen Fällen handelt es sich wohl meist, w^enn nicht immer, um An-
schlüsse an einen bereit liegenden gefühlsbetonten Ideenkomplex. Wenn ich sage
,, bereit liegend", so meine ich nicht ,,im Bewußtsein bereitliegend"; denn der Kranke
selbst kann ja darüber keine Auskunft geben. So assoziierte ein äußerlich ganz
geordneter imd auch jetzt noch recht intelligenter Patient an viele Begriffe, die
irgendwie seine Gefühle trafen: „kurz", ohne zu wissen warum. Des Rätsels Lösung
lag darin, daß er selbst sehr klein war und daß auch dieser Umstand zu seinen Kom-
plexen gehörte.
9. Ausgesprochene Neigmig zu mittelbaren Assoziationen ist nicht selten.
10. Die Merkmale gefühlsbetonter Komplexe treten oft in ganz übertriebener
Weise in die Erscheinung. Die Reaktionszeiten auf komplexanregende Reizwörter
wachsen oft ins ungemessene, oder die Reaktion versagt vollständig, und alle übrigen
von Jung gefimdenen Komplexzeichen sind in manchen Fällen besonders deutlich:
die Oberflächlichkeit bei langen Zeiten; Zitate; Reaktion in fremden Sprachen;
rasches Vergessen; intellektuelle und affektive Nachwirkung auf die folgenden Asso-
ziationen. In manchen Fällen sind die Komplexe so sehr in Bereitschaft, daß nur
an solche assoziiert wird. Alle diese Zeichen sind aber sehr wechselnd, nicht nur
von einem Fall zum andern; sie können beim gleichen innerhalb kurzer Zeiten vom
Maximum zum Minimum schwanken. i , • i i
Das Bedürfnis, intelHgent zu erscheinen (IntelHgenzkomplex), macht sich auch
hier wie beiden Imbezillen etwa geltend in der Neigung zu Defimtionen, deren
Bizarrerie dann oft den spezifisch schizophrenen Stempel verrat: Auge — behungs-
punkt, Großmutter — Geschlechtsanteilung, Ofen — AVärmungsartikel. _
Trotz vielem Suchen fanden sich in den experimentellen Assoziationen keine
direkten Spuren von Negativismus. Bloß bei zwei Kranken haben wir eine Neigung
Grundsymptome. Affektivität.
31
zu Negationen und Kontrastassoziationen gesehen; gerade diese Patienten waren
aber nicht negativistisch.
* *
Ziehen (847) hat auch die rückläufigen Assoziationen geprüft und bei
Krankheitszustcänden, die wir zur Schizophrenie rechnen, eine Erschwerung gefunden
in der rückläufigen Reproduktion von Reihen. Es ist aber so schwierig, hierbei die
Störungen der Assoziation zu trennen von denjenigen der Aufmerksamkeit, des
guten Willens usw., daß ich aus der kurzen PubHkation des Autors nicht wage, auf
ein definitives Resultat zu schließen.
Die beschriebenen Assoziationsstörungen sind charakteristiscli für die
Schizophrenie. Neben ihnen kommen aber auch andere Formen von
Anomalien des Gedankenganges interkurrent vor. Bei manischen
Zuständen der Schizophrenie addiert sich Ideenflucht zur schizophrenen Asso-
ziationsstörung; bei depressiven Zuständen treffen wir Denkhemmungen und
die durch krankhafte Reaktion auf die Affektivität hervorgebrachten Asso-
ziationsstörungen; vor allem beherrschen oft hysteriforme systematische Ab-
schheßungen geradezu das Bild. Zwangsgedanken sind häufig.
Die Assoziationsstörungen sind hier insofern ungenügend beschrieben, als
auf die akuten Zustände wenig Rücksicht genommen ist. Wir haben indes bei
solchen Syndromen bis jetzt keine neuen quahtativen Eigentümhchkeiten gefunden,
wohl aber etwa Übertreibungen der schon beschriebenen. (Natürlich sehen wir ab
von den Zeichen manischer, melancholischer oder organisch gehemmter Zustände.)
Eher empfinde ich es als Mangel, daß wir die meisten Anomahen nur aus den münd-
hchen und schrifthchen Äußerungen der Kranken deduziert haben; die komplizierteren
Handlungen sind ja ohne Zweifel Ausflüsse ganz der gleichen Gedankentätigkeit,
wie sie in der Diskussion zum Vorschein kommt; wir sind auch gewohnt, die Kranken
über die Motive ihres Handelns auszufragen. Anders ist es mit den Assoziationen,
die unsere kleinen Handlimgen leiten, die wir gar nicht bewußt dirigieren, indem in
unserem Bewußtsein nur die Absicht, das und das zu tun, auftaucht. Wenn ich
etwas schreibe, so denke ich bewußt an mein Thema; aber ich weiß nicht, wie ich
das Papier aus meinem Schrank hole, was ich da alles für Einzelbewegungen mache
usw. Wir haben nun ^Anhaltspunkte anzunehmen, daß bei Schizophrenen auch diese
äußerst fest eingeübten Mechanismen alteriert werden, wie uns z. B. das Vorkommen
von apraxieartigen Erscheinungen zeigt. Ob aber sich diese Störungen auch auf
eine Unvollständigkeit der zur speziellen Tätigkeit nötigen Summe von Einzel-
assoziationen zurückführen läßt, das ist uns noch ganz unbekannt. Es ist ja auch
denkbar, daß die Ungeschickhchkeiten hervorgerufen würden durch negativistische
Gegenströmungen oder Perplexität.
ß) Die Affektivität.
Bei ausgesprochenen Formen der Schizophrenie steht die „gemütliche
Verblödung" im Vordergrunde des Bildes. So wußte man seit den Kinderjahren
der modernen Psychiatrie, daß eine „akute heilbare" Psychose „chronisch"
Schizophrenie.
werde, wenn der Affekt anfing zurückzutreten. Manche Schizophrenen der
Endstadien zeigen Jahre und Jahrzehnte lang keinen Affekt; mit nichtssagenden
Gesichtern sitzen sie in nachlässiger oder zusammengeschobener Haltung in den
Pflegeanstalten herum; sie lassen sich wie Automaten an- und auskleiden, von
dem gewöhnhchen Platz ihrer Untätigkeit zum Essen und wieder zurückführen,
ohne ein Zeichen von Befriedigung oder Unlust zu äußern. Sogar auf Miß-
handlungen durch andere Kranke reagieren sie nicht.
Auch in den weniger schweren Formen ist Gleichgültigkeit die äußere
Signatur, und zwar Gleichgültigkeit gegen alles, gegen Verwandte und Freunde,
.gegen Beruf und Lustbarkeit, gegen Pfhchten und Rechte, gegen Glück und
Unglück. ,,Es ist mir maßlos egal," sagte ein Patient L. Bins wangers. Am
ausgesprochensten zeigt sich der Defekt meist gegenüber den höchsten
Interessen, wobei es ganz irrelevant ist, ob es einer kompHzierten Denkarbeit
bedarf, sie zu erfassen oder nicht. Eine Mutter kann schon im Anfang der
Krankheit für das Wohl und Wehe ihrer Kinder indifferent sein und doch nicht
nur ganz die Worte einer normal empfindenden Mutter brauchen, sondern auch
wirklich alles verstehen, was für ein Kind gut oder schädhch ist, und bei Ge-
legenheit, z, B. wenn sie ihren Austritt aus der Anstalt motivieren möchte,
darüber ganz richtig diskutieren. Ob ihre Famihe oder sie selbst zugrunde
gehen, das ist solchen Kranken gleichgültig; der Trieb der Selbsterhaltung ist
oft auf Null reduziert : die Kranlcen kümmern sich nicht darum, ob sie verhungern
oder nicht, ob sie auf Eis liegen oder auf einem erhitzten Ofen. Bei einem
Anstaltsbrande mußten eine Anzahl Patienten aus den bedrohten Abteilungen
geführt werden; sie hätten sich nicht vom Platze bewegt, sie hätten sich ohne
Affekt ersticken oder verbrennen lassen. Krankheiten, Bedrohungen mit allen
möghchen Übeln können viele Schizophrene nicht in ihrer Ruhe stören. Was
andere angeht, ist ihnen natürlich erst recht gleichgültig: in einem Schlafsaal
schlägt ein Patient einen andern tot; die übrigen finden nicht nötig, den Wärter
zu wecken. Ein Student hat seine Mutter beinahe erwürgt; er begreift nicht,
■daß man ,, wegen dem akzentuierten Sprechen" soviel Geschichten machen
kann. Eine Kranke schreibt nach anderthalbmonathchem Anstaltsaufenthalt j
zum erstenmal nach Hause, weiß aber außer einigen nichtssagenden Phrasen
nur zu fragen, wie es der Katze gehe.
Ganze Lebensgeschichten können die Schizophrenen schreiben, ohne ein i
einziges Gefühl darin zu äußern ; sie beschreiben ihre Leiden und Taten wie ein Thema
aus der Physik. Eine Kroatin, die kein Wort außer ihrer Muttersprache versteht,
verirrt sich nach Zürich, bleibt monatelang in der Anstalt, ohne daß man sich mit
ihr verständigen könnte, da sie auch nicht auf Gesten achtet, obschon sie sehr lebhaft
ist. Endlich spricht eine Dame aus ihrer Heimat sie an; die Patientin gibt auf Fragen
einige Auskunft, zeigt aber nicht den leisesten Affekt. Ein Hebephrene berichtet
über den Tod seines Vaters: „Da ich damals zu Hause war, so ging ich auch ans
Leichenbegängnis und war aber froh, daß ich nicht selber begraben wurde; lebendig
begraben bin ich jetzt. ..."
Am meisten fällt auf, daß manche, namentUch der älteren Patienten die
nämhche Gleichglütigkeit auch ihren Wahnideen gegenüber zur Schau tragen,
die sie doch beständig beschäftigen.
Ein Paranoider beklagt sich während einer längeren klinischen Vorstellung
Grundsymptome. Affektivität.
33
best-ändig über die Verfolgungen, sitzt aber sehr gemütlich in nonchalanter Haltung da.
Gefragt, ob er denn die Halluzinationen für Wirklichkeit halte, sagt er mit Achsel-
zucken/„Vielleicht sind sie krankhaft, vielleicht Wirklichkeit"; die Frage interessiert
ihn offenbar gar nicht. Daß ältere Paranoide mit der größten Seelenruhe erzählen,
wie sie in der Nacht geschunden, gebrannt worden seien, wie man ihnen die Einge-
geweide herausgeschnitten habe, ist etwas Allbekanntes. Eine Hebephrene kommt
zum Arzt, um ihn zu bitten, er möchte sie doch nicht totschlagen; obschon sie wklich
meint, es handle sich um ihr Leben, ist sie ganz affektlos.
In leichteren Fällen kann diese Gleichgültigkeit fehlen oder
jnaskiert sein. Im Beginn der Krankheit sehen wir oft geradezu eine gewisse
Überempfindlichkeit, so daß die Patienten sich bewußt isolieren, um jedem
Anlaß zu Affekten aus dem Wege zu gehen, und das auch dann, wenn sie noch
Interesse am Leben haben. Latente Schizophrene können geradezu labil in
ihren Affekten, sanguinisch erscheinen. Es fehlt dann aber die Tiefe des Af-
fektes. Auch findet man in solchen Fällen bei genauerem Zusehen meist eine
partielle Gleichgültigkeit gegen diese oder jene Interessen, die dem Patienten
sonst nicht fremd waren; ich möchte aber nicht behaupten, daß das auch der
Fall sei bei den Patienten, die nicht zum Psychiater kommen. Es gibt ferner
ziemlich viele Schizophrene, die dauernd wenigstens in bestimmten Richtungen
lebhafte Affekte haben: die aktiven unter ihnen, die Schriftsteller, Welt- imd
Gesundheitsverbesserer, die Religionsstifter. Diese Leute sind in ihrem Denken
einseitig und rücksichtslos; es ist schwer zu sagen, ob auch ihre Affekte an sich
immer in krankhafter Weise einseitig sind.
Oft sehen wir deutliche Grundstimmungen, so daß man nicht gut
von allgemeiner Gleichgültigkeit reden kann. Die Stimmung kann euphorisch,
traurig, ängsthch sein. Den Übergang von der euphorischen Stimmung zur
gleichgültigen oder eine Mischung von beiden sehen wir in dem bei Hebephrenen
sehr häufigen Gemütszustand der „Wurstigkeit", den die Franzosen noch
bezeichnender „je-m'en-fichisme" nennen. Die Kranken sind dann, wenn auch
nicht glücklich, so doch zufrieden mit sich und der Welt; was Unerwünschtes
geschieht, das wird nicht als unangenehm empfunden. Sie werden dann auch
■sehr leicht schnodderig in ihren Antworten, wozu ihnen die ungenauen Asso-
ziationen ein sehr günstiges Material liefern. — Auch andere Stimmungen drücken
sich in ähnhcher Weise aus. Eine unserer Kranken wird seit mehr als zwanzig
Jahren in der Krankengeschichte als „herzHch verrückt" bezeichnet, indem sie
mit einer gewissen Bonhomie und unter Lächehi alle ihre unsinnigen Klagen
vorbringt.
In denjenigen akuten Anfällen, die man früher als Manien und Melan-
choHen bezeichnete, fehlt natürlich der Affekt nicht; er bekommt aber ein
spezifisches Timbre, das oft an sich schon die Erkennung der Krankheit erlaubt.
An Stelle der klaren, tief empfundenen Affekte beim manisch-depressiven Irre-
sein haben wir den Eindruck einer Gemütsbewegung, die nicht in die Tiefe
geht. Vor aUem fehlt sehr leicht die Einheitlichkeit der Affektäußerung
Die Worte, die Freude oder Schmerz ausdrücken sollen, passen nicht zu-
einander und nicht zum Ton der Stimme, zu den Bewegungen, zum übrigen
Verhalten. Der Mimik fehlt die Einheit; die hochgezogene Stirn drückt z B
«twas aus wie Verwunderung, die Augen können mit den Krähenfüßen den Ein-
Handbuoh (Ut Psychiatrie: Bleuler
3
34
Schizophrenie.
druck des Lacheins machen, und zugleich mögen die Mundwinkel traurig gesenkt
sem. Ott ist der Ausdruck ungemein übertrieben, pathetisch und theatralisch
Steifigkeit der Bewegungen gerade hier besonders
auttallt, ist selbstverständHch. Klagen wie Jauchzen bekommen etwas Ein-
töniges.
Alle diese Dinge sind leichter zu fühlen als zu beschreiben. In der Dar-
stellung läßt sich am besten herausheben der Mangel an Anpassung an den
Avechselnden Gedankeninhalt, der Defekt der Modulationsfähigkeit. Die
Stimmung des manischen Schizophrenen folgt nur sehr wenig oder gar nicht
dem wechselnden Inhalt des Gedankens. Während der Manische wie ein Nor-
maler die Gefühlsnuancen der geäußerten Gedanken mit entsprechenden quali-
tativen und quantitativen Modifikationen der Affektäußerungen begleitet,
sehen wir beim ausgesprochenen Schizophrenen von solchen Modulationen
Avenig oder geradezu gar nichts,- ob er einen AVitz vorbringe oder über seine
Einsperrung sich beklage oder aus seinem Leben erzähle^). Eine Katatonika
jammert, ihr Mann sei im Zuchthaus. Ich versichere sie, er sei in der Freiheit,
Avorauf sie antwortet: „So, das ist recht." Sie sagt das aber in absolut unver-
ändertem Jammerton, genau, wie wenn ich ihr die Einsperrung des Mannes '
bestätigt hätte.
Ein solches Verhalten unterscheidet sich nm- scheinbar von der Gleich-
gültigkeit. Der vorhandene Affekt ist ja hier gar nicht die Keaktion auf den
Gedanken, sondern ein irgendwie bedingter abnormer Grundzustand der Affekt-
lage, eine andere Einstellung des affektiven Nullpunktes^). Von diesem Null-
punkt aus reagieren die anderen Kranken je nach den Vorstellungen mit Schwan-
kungen nach unten und oben, die Schizophrenen aber nicht.
In einzelnen FäUen sehen wir immerhin deuthche Affektschwankungen,
die geradezu der Norm nahekommen können. Dann kann sich eine gewisse
Äff ektsteifigkeit doch darin verraten, daß dem Ausdruck der verschiedensten Stim-
mungen ein Etwas, das schwer beschreibbar ist, gemeinsam bleibt. Es ist, um
ein Bild aus der Koloristik zu gebrauchen, wie wenn die ganze Mimik in die
gleiche Sauce getaucht wäre; die Leute weinen mit ähnhcher oder mit gleicher
Stimme, mit der sie lachen; und wenn sie auch die Mundwinkel beim einen
Affekt nach oben, beim andern nach unten verziehen, so haben beide Ausdrucks-
weisen doch etwas deutHch Gemeinsames.
Manchmal zeigt sich ein ungenügender Tiefgang der Affekte darin, daß
die Kranken eine Stimmung nicht festhalten können. Eine Katatonische fürchtete
sich sehr vor einem halluzinierten Judas Ischarioth, der sie mit dem Schwerte
bedrohte; sie schrie, daß man den Judas vertreibe, verlangte aber dazwischen
Schokolade. Am andern Tage klagte sie über die betrefienden Halluzinationen,
bat um Verzeihung wegen der verübten Gewalttätigkeiten, drückte aber mitten
1) Hört man einen Schizophrenen in einer Sprache reden, die man nicht versteht,
so fehlen oft alle Anhaltspunkte zur Bestimmung, worüber er spricht. Auch wichtiger Thema-
wechsel (Essen — Tod der Mutter) kann dann ganz symptomlos verlaufen.
2) Die Unabhängigkeit solcher schizophrener Stimmungen vom Gedankengang zeigt
sich namentlich deutUch in den nicht seltenen Fällen, in denen der Patient umgekehrt eine
während der Depression gebildete und ihr entsprechende Wahnidee nach einem raschen
Umschlag der Stimmung festhält, aber nun mit der dem Inlialt widersprechenden fröhlichen
Betonung vorbringt.
Grundsymptome. Affektivität.
35
im Klagen die Freude an einem schönen Gürtel aus, den sie indes sehi
Ue mhnideen verwebte, daß wir sie versichern mußten, er sei nicht , eim
t:.^^e andere Katatomka ergeht sich Tag und Nacht m wMen Selbs^
anklagen mit energischen Selbstbeschädigungsversuchen; wenn e. ihr aber
ceUngt, sich einer Wärterin zu entwinden, so muß sie herzhch lachen.
^ akuten Zuständen können aber auch ohne eine dauernde ^rund^^-
immg innerhalb ganz kurzer Zeit, z. B. während einer Idinischen Vorstellung,
die verschiedensten Affektäußerungen miteinander abwechseln. Bei Aiüaß von.
irgend welchen zufälhgen Assoziationen kommt der Patient von einer Sekunde-
auf die andere in hochgradigste zornige Aufregung, schimpft, brüllt, springt m
die Höhe, um nach wenigen Minuten in ebenso übertriebener Weise erotisch
fi-öhlich zu sein, dann in Trauer zu heulen usw. In diesen FäUen wechselt die
aanze Persönlichkeit mit dem Affekt. Im Gegensatz zu dem oben erwähnten
Stehenbleiben gewisser Komponenten der vorhergehenden Affektäußerungen
Avirken hier umgekehrt die früheren Affekte nicht einmal so weit nach, wie sie
es normaler Weise tun sollten; ganz plötzHch ist ein voUständig neues Register
gezogen. Die Art des Umschlages und die Affektsteifigkeit unterscheidet die
FäUe meist leicht von Organischen.
So ist es verständlich, wenn Masseion (S. 83) als affektive Eigentümhch-
keit der Schizophrenen neben der Nonchalance, Indifferenz und Reizbarkeit
auch eine abnorme Labilität der Affekte (mobilite d'humeiu«, versatilite)
nennt. Schon die Reizbarkeit scheint in einem gewissen Gegensatz zu der
Gleichgültigkeit zu stehen, noch mehr aber diese Labilität, die eine abnorm
leichte Anschlagsfähigkeit voraussetzt.
Bei leichten Fällen, vne sie seltener in die Anstalten kommen, scheint die
LabiHtät oft im Vordergrunde zu stehen; bei genauerem Zusehen findet man
aber auch da die Affektivitätsdefekte.
Ein Hebephrene stand wegen Drohung von Verbrechen in Untersuchung.
Er war etwas euphorisch, hielt es für ein Glück, daß er in die Anstalt, unter ärztliche
Behandlung komme, lobte die (schlechten) Bilder an der Wand, wollte nicht auf
eine bessere Abteilung, weil die Patienten hier so nett seien. Nach erfolgter Versetzung
schimpfte er maßlos über die frühere Abteilung. Bei einem unbedeutenden Fieber
(und gelegentlich auch ohne bekannte Ursache) war er deprimiert, Aveinte wie ein
Kind, er müsse sterben, ebenso bei noch nichtigeren Anlässen, so wenn er erzählte,
wie ungern sein Vater die 1 Fr. 80 pro Semester Schulgeld für ihn bezahlt habe.
Wenn ihm jemand etwas sagte, was ihm nicht paßte, so wurde er aufgeregt, drohte,
zerschlug auch etwa einen Gegenstand, warf in der Wut Geld fort, mißhandelte
die Frau. Trotz dieser Labilität bei ganz leichter manischer Stimmung ist die schizo-
phrene Affektstörung deutHch: er sucht keinen Kontakt mit der Umgebung
wie andere Euphorische; in den wichtigsten Dingen (Internierung, Geschäft, das
er ganz vernachlässigt hatte, Scheidungsantrag der Frau) bUeb er ganz gleichgültig;
das Taktgefühl war dem guterzogenen Manne ganz abhanden gekommen; seine
Mimik hatte etwas steifes, fixiertes, in großem Widerspruch zu seinen bombastischen
Ausdrücken; Dinge von affektiv verschiedener Bedeutung wurden mit der gleichen
Miene vorgebracht; er konnte im Tone der größten Gleichgültigkeit sagen, wie furcht-
bar aufgeregt er sei.
Zu einem kleinen Teil ist diese gemütliche Labilität gewiß im Zusammen-
hang mit der Unfähigkeit der Kranken, manche wichtige Ereignisse als solche
3*
36
Schizophrenie,
ZU erfassen. Unwichtige Gedanken vermögen auch den Gesunden wenig zu fesseln;
es ist also begreiflich, wenn der Schizophrene, für den nichts von Wichtigkeit ist,'
manchmal von einem Affekt zum andern springt. Andernteils aber entspricht
der Affektwechsel der Sprunghaftigkeit der Gedanken. Ein Hebephrene wehrt
sich verzweifelt, brüllt laut, er habe alles ruiniert; plötzUch sagt er in gleich-
mütigem Ton: „Jetzt lache ich", und lacht trocken. Bald nachher sagt er:
„Jetzt schreie ich", und brüllt und schlägt wieder. Ein anderer bekommt
regelmäßig beim Eintritt des Arztes Wutausbrüche, geht zähneknirschend
auf ihn los, so daß er gehalten werden muß. Nach ganz kurzer Zeit springt
er jedesmal mit einem eleganten S.chwung ins Bett und offeriert dem Arzt
den ,, Versöhnungskuß". — Gelegenthch kommt es auch bei besonnenen Hebe-
phrenen vor, daß sie das in der Erregung Getane wirklich bereuen. Einer
unserer Paranoiden konnte weinen, wenn er seine Frau mißhandelt hatte.
Eine so stark ausgesprochene Keue habe ich allerdings sonst nicht wieder
gesehen.
Auch wenn die Affekte wechseln, geschieht das indes meist langsamer als
beim Gesunden. Die Affekte hinken oft geradezu den Ideen nach.
Bei einer Untersuchung wurde einer Patientin häufig das Bild eines Kindes
gezeigt; erst eine Viertelstunde später erschien der entsprechende traurige
Affekt. Auch bei Festen sieht man, wieviel länger als Gesunde die Schizo-
phrenen brauchen, um in Stimmung zu kommen. Daß Zorn und Ärger, ob-
gleich sie die Neigung haben, nur langsam zu verschwinden, oft sehr rasch
einsetzen, sieht man bei Gesunden ebenso häufig wie bei Schizophrenen. Man
darf das nicht als eine besondere Labilität der Kranken deuten. Unzweifel-
haft zeigt sich aber ein pathologisches Andauern des Affektes in der ge-
wöhnlichen Eigenschaft der Schizophrenen, in ihrem Zorn auszuharren oder
diesen noch längere Zeit zu steigern, auch wenn kein Grund mehr dazu vor-
handen ist.
Aus all dem dürfen wir wohl im Gegensatz zu Masseion den Schluß
ziehen, daß die Labilität bei der Schizophrenie eine unwesenthche Erscheinung
bildet*
Viel auffallender als der rasche Wechsel der Affekte ist das äußerlich
unbegründete Schwanken der Gemütslage, die Launenhaftigkeit im Auf-
treten der Affekte. Die gleichen Kranken, die heute ganz gleichgültig er-
scheinen, können morgen gereizt sein oder ganz verschiedenen Gefühlen zu-
gänglich. Pfersdorff (562, S. 118) bemerkt von seinen Kranken: „Die Affekt-
lage kam nur zum Vorschein, wenn die Kranken sprachen, was sie spontan
sehr selten taten," Sobald sie sich eben genötigt sahen, die Umgebung zu er-
fassen und auf sie zu reagieren, zeigten sich die Affekte, wie so oft. Am häufig-
sten aber ist es, daß die Kranken nur dann gemütlich erregt werden,
wenn sie bestimmte Ideen zu denken gezwungen werden, die sie
vor oder während des Krankheitsbeginnes bewegt haben (Kom-
plexe). So saß eine Hebephrene in blöd-erotischer Euphorie herum; ein ganz
normaler Affekt kam aber zum Vorschein, wenn ihr Verhältnis zum Manne
erörtert wurde. Der Schmerz um verlorene Liebe, die Freude an genossener
Liebe sind bei vielen Kraulten nach Jahrzehnten noch mit großer Lebendigkeit
hervorzurufen, wenn es gehngt, die gerade bei diesen Themen nie fehlenden
Grundsymptome. Aft'ektivität.
37
Sperrungen zu überwinden. Dabei erscheinen diese Affekte wie konserviert;
aUe Nuancen von sexueller Freude, von Genieren, von Schmerz und Eifersucht
können so lebhaft zum Vorschein kommen, wie es beim Gesunden nicht mehr
der Fall ist, wenn es sich um alte Erinnerungen handelt. Gar nicht selten haben
diese Äußerungen ganz den Charakter der früheren Zeit und stehen in auffallen-
dem Widerspruch mit dem reifen Lebensalter der Kranken.
Eine Hebephrene, die nach der Pubertät einen ersten übersehenen Schub
ihrer Krankheit gehabt hatte, wurde mit 71 Jahren durch eine leichte Depression
in die Anstalt gebracht. Sie sprach mit großer Gleichgültigkeit von ihren Schicksalen,
namentlich von ihrem Manne. Als es uns aber gelungen war, sie an einen GeHebteii
aus der Zeit unmittelbar vor der ersten Erkrankung zu erinnern, zeigte sie die ganze
verschämte Mimik eines jungen Mädchens, das über diese Dinge ausgefragt wird,
mit allen charakteristischen Einzelheiten, nicht nur dem Erröten, dem Augen-
niederschlagen, sondern auch dem zufrieden verlegenen Lächeln, dem Zupfen an der
Schürze, dem Zurechtstreichen der Haare und allen den anderen Äußerungen, die
man nur sehen, aber nicht beschreiben kann. Der jugendhche Affekt konnte nach
mehr als einem halben Jahrhundert ganz frisch wieder ausgegraben werden und
bildete einen rührenden Gegensatz zu der zusammengesimkenen Gestalt und dem
gefurchten Gesicht der Alten.
In diesem Falle, wie in manchem andern, ließ sich das Experiment wiederholen.
Analoge Erfahrungen, wenn auch nicht immer so frappierende, macht man
bei den meisten gelmigenen Analysen Schizophrener; und wenn man in der Klinik
zuerst die gefühlsbetonten Komplexe der Kranken hervorgeholt hat, ward es manchmal
schwer, die Zuhörer von der Gemütlosigkeit der Vorgestellten zu überzeugen, so-
normal scheinen sie zu reagieren, auch wenn sie sonst jahrelang die größte Gleich-
gültigkeit nicht nur zur Schau, sondern wirklich in sich getragen haben.
Mit einiger Geduld kann man auch ohne besondere Analyse die Affekte
in den Wahngebilden der scheinbar nur noch vegetativ lebenden Kranken nach-
weisen. Es braucht oft Monate, bis man mit solchen ganz passiven imd mu-
tistischen Kranken einen intellektuellen Rapport hergestellt hat; gelingt es-
aber, so findet man regehnäßig ein Wahnsystem, das nicht nur aus Wünschen
und Befürchtungen entstanden ist, sondern auch jetzt noch von ganz entsprechen-
den Gefühlen betont werden kann.
Auch werm Hnnatrophie einsetzt, kommen manchmal die Affekte zum
Vorschein, so daß einzelne dieser Kranken sich wenig mehr von gewöhnlichen
Senilen unterscheiden, „die weinen und lachen können, wann sie wollen". Jjx
Rheinau beobachtete ich zehn Jahre lang eine Katatonika, die, abgesehen von
der allerersten Zeit, nichts als Schimpfwörter zu mir gesagt und negativistisch
mit seitlich herausgestreckter Zunge dagesessen hatte. Als ich sie zehn Jahi-e
nach meinem Weggang in Rheinau wieder sah, stürzte sie auf mich zu, um-
armte mich gerührt, wie man einen alten Freund umarmen kann. — Eine Para-
noide, deren Gleichgültigkeit ich seit bald dreißig Jahren kannte, hatte eine
Apoplexie. Da sie mit Süßigkeiten viele Fliegen anlockte, sagte ich einmal im
Scherz zu ihr, ob die Fliegen sie nicht fressen werden. Sie ging fröhlich auf
den Scherz ein: „Es kommen immer so gi-oße, große und woUen mich fi-essen "
Zu der ersten Hälfte des Satzes lachte sie, bei der zweiten war sie als echte
Senile bereits von der Idee, gefressen zu werden, so übermannt, daß sie iämmer-
lich weinte. ''
38
Schizophrenie.
So ist es ganz unzweifelhaft, daß die Fähigkeit der Psyche,
Affekte zu produzieren, bei der Schizophrenie nicht zugrunde
gegangen ist.
Wir dürfen uns deshalb nicht verwundern, wenn wir auch in schweren
Fällen die einen oder anderen Affekte erhalten sehen. Welche aber wir an-
treffen, hängt meist vom „Zufall" ab. Doch haben einige Gefühle größere
Chance sich zu zeigen als andere.
Wie wir oben gesehen, lassen sich z. B. die erotischen Regungen (im fei-
neren Sinne) manchmal herausgraben. Aber auch, wenn man die Wachträume
der Kranken verfolgen kann, findet man oft sehr zarte Gefühle, und das bei
Patienten, die nach außen nichts als Gewalttat und Unreinlichkeit zeigen.
Statt des Interesses treffen wir häufig auch in vorgeschrittenen Fällen
sein (schon bei Vögeln und Katzen sehr ausgebildetes) Äquivalent, die Neu-
gierde. Kranke, die sich scheinbar um gar nichts kümmern, wissen es immer
so einzurichten, daß sie, wenn irgend wo eine Türe aufgeht, wie zufälhg hindurch
sehen können, daß sie ein Gespräch belauschen, ein liegen gelassenes Buch
betrachten können, und zwar letzteres auch dann, wenn sie zu torpid sind,
um die Merkwürdigkeit auch nur in die Hand zu nehmen.
Bei Pflegeanstaltspatienten sieht man auch ein gewisses Verwachsen
mit der Anstalt. Schizophrene, die viele Jahre lang in einer Anstalt gearbeitet
haben, bekommen eine Art AnhängHchkeit an sie; sie haben ein Interesse an
dem Gutsbetrieb und können auch spontan etwas dafür einsetzen. Auch Heim-
weh nach der Anstalt bekommen sie, wenn sie herausgenommen werden. Aller-
dings sieht man ebenso häufig, daß auch die gut arbeitenden Kranken einfach
wie Maschinen ihr Tagewerk tun in immer derselben Stimmung, bei Regen
oder Schnee, Hitze oder Kälte.
In der Richtung der Reizbarkeit bis zu Zorn und Wut finden wir die
Affekte am häufigsten erhalten. Viele Kranke der Anstalten reagieren überhaupt
nur in diesem Sinne. Das Personal, das für ihre gewöhnhchsten Bedürfnisse
sorgt, sogar wer ihnen das Essen bringt, risldert jedesmal geschlagen oder
insultiert zu werden. Von diesen extremen und heutzutage seltenen Fällen bis
zur gewöhnlichen Reizbarkeit gibt es alle Übergänge.
In den Anstalten ist diese Reizbarkeit namentUch unangenehm in ihrer
Verbindung mit den Wahnideen und dem Negativismus. Die Verfolgten sind
mit der Umgebung unzufrieden, weil sie sie verfolgt; diejenigen, die ihre
Wünsche erfüllt glauben, werden in ihren Träumen durch die Umgebmig gestört —
Anlaß genug zu Zorn und Wut. So bildet der Zorn denn auch die gewöhnliche
Reaktion vieler Patienten auf die Halluzinationen, imd zwar bezeichnender-
weise auch dann, wenn ihnen die Stimmen gar nicht gerade etwas Unange-
nehmes sagen. -n i. •■ ^
Nicht ganz das Gleiche ist 'die in den Anstalten so häufige Entrüstung
über die Freiheitsberaubung oder andere Unannehmlichkeiten, die die
Behandlung mit sich bringt. Sehr viele Kranke sprechen auch von Heimweh;
verhältnismäßig selten aber kann man objektive Zeichen finden, dae aiif wirk-
liches Heimweh oder auch nm: auf eine wirldiche Sehnsucht nach Hause zu
kommen, schließen lassen. Es ist gar nicht so selten, daß Schizophrene, die lange
um Entlassung queruherten, die erhaltene Erlaubnis, zu gehen, gar nicht be-
Grundsymptome. Affektivität.
39
nutzen oder doch nur planlos die Anstalt verlassen, ohne nach Hause zu
^'^'"rar nicht selten finden wir bei unseren Kranken als einzige Affektäußerung
oder neben de Sarkeit d.e Elternliebe erhalten; narnentUch Mütter smd
oft an' e um das Ergehen ihrer Kinder wirklich besorgt, wahrend sie sich somt
1 Sts "cht einlial um ihr eigenes körperUches Beenden kummern So che
^^aX zeiL denn auch wirkliche Freude, wenn sie Besuch oder gute Näch-
sten von den Kindern bekommen. Eine seit dreißig Jahren kränkelnd seit
mn'eTer Zeit in schwerem halluzinatorischem Zustande befmdhche Patientin
suchte den Arzt, den sie als Schwiegersohn ins Auge gefaßt, zu uberzeugen,
daß ihre Krankheit sich nicht auf die Tochter vererbt habe.
4uch das Mitgefühl mit anderen ist gar nicht immer erloschen. Be-
sonders in der Pflegeanstalt, wo die meisten Patienten einander genauer kennen,
können sie sich oft sehr gut in die Lage der anderen hinemfühlen. Em Heb e-
phrene der ganz verwirrt sprach, hat jahrelang einem an Muskelatrophie leiden-
den Kranken, dessen Lippen nicht mehr fähig waren, die Zigarre zu tragen,
das Kauchzeug im Munde gehalten, mit einer Geduld und einer Unermudbarkeit,
deren wohl niemals ein Gesunder fähig gewesen wäre. Es kommt auch etwa
vor, daß solche schizophrene Samariter abstinierende Kranke ohne Gewalt
nähi-en können, während es sonst niemand fertig bringt.
Sogar ein künstlerisches Hineinfühlen in andere ist nicht so selten..
Leichter^schizophrene Dichter und Musiker aller QuaUtäten zeigen diese Fähig-
keit. Eine akute Katatonika war im anscheinend schwersten Stupor fähig,
nach der Musik zu tanzen, und zwar mit selbsterfimdenen Bewegungen, die
ein feiner und ästhetisch überraschender Ausdruck der in der Musik liegenden
Empfindimg waren. Eine unserer chronischen Katatonischen ist, abgesehen von
fast beständiger Gereiztheit mit Neigung zu Gewalttat, ganz indifferent
gegen die Umgebung, indezent und unrein im höchsten Grade. Sie kann aber
nicht nur tanzen, sondern sich ganz genau allen Nuancen der Musik und der
Bewegungen des Tänzers anpassen.
Wenige Kranke zeigen Neigung zu Humor, vielleicht sind sie noch eher
fähig, etwas Humoristisches selbst zu produzieren, als es zu genießen, wenn
es von außen dargeboten wird, während gröbere Scherze oft noch Anklang
linden.
Meist allerdings fällt auf, wie früh die Gefühle, die den Verkehr der
Menschen untereinander regeln, verkümmert sind. Ob die Kranken
mit einem Höherstehenden oder mit einem Niederen, mit Mann oder Frau
sprechen, macht ihnen meist keinen Unterschied. Von Scham in irgend einer
Richtung ist oft keine Spur mehr, und zwar auch bei sonst recht gut erhaltenen
Kranken. Alle mögüchen Schandtaten, die sie als solche ganz gut erkennen,
geben sie nicht nur zu, sondern erzählen sie spontan ohne jeden Anlaß. Sie
kramen ihre sexuellen Verhältnisse oft in den krassesten Ausdrücken aus, sie
onanieren coram publico. Ein eben erkrankter, sehr gut angelegter Gymnasiast
schreibt an seine Mutter: ,, Liebe Mutter! komm doch sofort zu mir. Ich muß
wissen, wie alt du gewesen bist, als der Vater mich machte."
Zu solchen schweren Defekten kann dann wieder die lebhafte Gefühls-
betonung von Kleinhchkeiten einen sonderbaren Kontrast bilden. Ein Hebe-
40
Scliizoplirenie.
phrene der em wenig auf unserem Bureau arbeitet, geht aufs sorgfältigste
geputzt und geschniegelt herum, läßt sich aber von einem rohen AngesteUten
m der ungeziemendsten Weise necken, ohne etwas Unangenehmes dabei zu
finden; und als ihn die Mutter bittet, ans Totenbett seines Vaters zu kommen
schreibt er ihr „zum Trost" einige Phrasen, geht aber nicht. Zwei Patientinnen
essen ihre Exkremente; die eine, eine ältere Jungfrau, ziert sich aber, ihr Alter
anzugeben; die. andere, eine Malerin, freut sich an der schönen Farbe iener
Speise.
Auf Anstaltsfeste u. dgl. Anlässe reagieren die Kranken verschieden
Im ganzen haben sie etwas Steifes, bei Spielen fäUt der Mangel an Initiative
auf. Die Anregbarkeit ist zeithch in der Weise verändert, daß es oft lange
dauert, bis die Kranken in Stimmung kommen; dafür ist sie oft quantitativ
gesteigert, indem viele immer mehr vom Festtaumel ergriffen werden und nicht
mehr aufhören können. Ein Ball aber, bei dem man die Kranken etwas aushest,
läßt gewöhnlich für den Laien nicht viel oder gar nichts Auffallendes erkennen.
Die ethischen Eigenschaften der Schizophrenen sind sehr verschieden.
Im großen und ganzen sind die Kranken in dieser Eichtung abgestumpft, wie
in anderen. Da sie sehr wenig aktiv sind, werden aber merkwürdig wenige zu
eigentlichen Verbrechern. Allerdings betreten einzelne erst nach der Er-
krankung die Laufbahn eines Diebes oder Betrügers. Es ist dann nicht
zu sagen, ob bloß eine vorher gehemmte Anlage zum Vorschein gekommen
ist oder ob erst die Krankheit die verbrecherischen Triebe erzeugt hat. Im
ganzen kann man von der moraHschen Seite den Schizophrenen nicht mehr
und nicht weniger trauen als den Gesunden (schlimmer ist ihre Unberechen-
barkeit). Aber im allgemeinen wird von den Kranken wohl eher weniger gestohlen,
betrogen, gelogen, verleumdet als von Gesunden. In leichteren Fällen tritt
sogar oft andauernd eine ganz peinhche Gewissenhaftigkeit hervor. Nichts
mit der Ethik zu tun haben natürlich die Attentate infolge von Wahnideen,
die vom Standpunkte des Kranken aus nichts als berechtigte Notwehr sind.
So ist der Charakter der Schizophrenen so mannigfaltig wie der der
Gesunden. Allerdings gibt die Gleichgültigkeit allen vorgeschrittenen FäUen
äußerhch gemeinsame Züge ; auch die Neigung, sich abzuschheßen, und die geringe
Beeinflußbarkeit sind auffallende Eigenschaften, die sich oft wiederholen,
ebenso die Launenhaftigkeit und Eeizbarkeit. Einzelne behalten trotz aller
Erschwernis einen liebenswürdigen Charakter bis weit in die Krankheit hinein,
andere werden zu Scheusalen der verschiedensten Kategorien, rachsüchtig,
grausam, lügnerisch, allen Ausschweifungen hingegeben. Die Krankheit kann
aber auch manche ab ovo schlechte Personen durch den Energieverlust un-
schädlich, wahrscheinlich aber nicht besser machen.
Die niederen Triebe und die mit ihnen zusammenhängende Gefühls-
betonung körperlicher Vorgänge leiden etwas weniger als die höheren
Affekte, aber der Unterschied ist nicht so groß, daß ein solches Verhalten im
einzelnen Falle regehnäßig nachzuweisen wäre. Kraepelin schildert das häufige
Vorkommnis, daß die Kranken ohne Gruß oder andere Zeichen gemütUcher
Anregung die Besuche ihrer Angehörigen empfangen, aber eifi'igst deren Taschen
und Körbe nach Eßwaren durchstöbern, die sie sich sofort, mit vollen Backen
kauend, bis auf den letzten Best einzuverleiben pflegen. Umgekehrt sind viele
Grundsymptome. Affektivität.
41
den kritisclien Momenten untersuchen.
Die Kranken verhalten sich ihren affektiven Störungen gegenüber sehr
verschieden. Die meisten bemerken sie nicht, halten ihre Keaktion für die
normale Intelligentere aber können unter Umständen sehr scharf darüber
räsonieren Im Anfang empfinden sie dann die Gefühlsleere geradezu schmerzhch,
so daß sie leicht mit Melanchohkern verwechselt werden. Emer unserer Kata-
toniker hielt sich für „vergleichgültiget", eine Patientin Jungs konnte nicht
mehr- beten wegen „Gefühlsverhärtung". Später verlegen sie die Veränderung
sehr leicht in die Außenwelt; diese kommt ihnen auch aus affektiven Gründen
schal, leer, anders vor. Das „anders" hat oft das Timbre des UnheimHchen,
Feindhchen. — In anderer, aber sehr charakteristischer Weise, sprach sich eine
intelligelite Patientin Aschaff enburgs^) aus. Nach einem leichten AnfaU
befand sie sich subjektiv entschieden besser als vorher; denn während sie vorher,
sobald in der Famihe etwas zu helfen war, durch ihre moralischen Gefühle ge-
zwungen war, ihre Euhe oder auch ihre Gesundheit zu opfern, konnte sie nachher
ohne jede Plage von selten ihres Gewissens sich selbst leben. — Von manchen
Hebephrenen wird die Gleichgültigkeit bewußt zur Schau getragen.
GelegentHch behaupten die Kranken, starke Affekte zu haben, während
das ganze Verhalten dem Beobachter gar keinen oder einen andern Affekt an-
deutet, als der Patient in sich spüren will [vgl. z.B. Schott (666), S. 262]. Ob
solche Patienten etwas anderes mit dem Namen der Affekte bezeichnen als wir,
oder ob sich das Phänomen durch Spaltung der Psyche erklärt, muß ich dahin-
gestellt sein lassen.
Die körperlichen Erscheinungen der Affekte entsprechen nicht immer,
aber doch im großen und ganzen der psychischen Seite. Manchmal drückt bloß
eine einzelne Erscheinung, wie die Veränderung der Atmung (270 a), eine gemütliche
Schwankung aus.
Besondere Erwähnung verdient nur das psycho-galvanische Phänomen
(Veraguth, Jung), das sich auch hier als Index für den Ablauf der Affektivitäts-
welle bewährt. Allerdings sind noch weitere Studien sehr erwünscht. Wir können
zurzeit nur sagen, daß sich die Gleichgültigkeit und der Stupor in ganz geradem Verlauf
der Ruhekurven ausdrückt, daß sich aber auch labile Kurven nicht selten finden,
so namentlich bei Halluzinanten. Die Reaktionen auf psychische und physische
Reize sind im ganzen abgeschwächt, in schweren Fällen bis auf Null. Ricksher und
Jung fanden bei ihren Paranoiden verlangsamten Verlauf der Schwankungen.
^) Mündliche Mitteilung.
42
Scliizoplirenie.
mrV ^^ T ^"^r'i^rr^ ^ ^^"^^e und Kehrer (Archiv
Ja Psychologie, Band XL VII, S. 945) gefundene Fehlen der Volumsschwankungen
der Glieder, der Puls- und Atmungsveränderungen -unter Schmerz- und Kälte-
reizen (vgl. auch die Pupillenreflexe).
* ^ *
*
Besonders auffällig ist die bei Schizophrenen häufige Parathymie. Auf
traurige Botschaften können die Kranken mit Fröhlichkeit oder doch mit Lachen
reagieren; auf Erlebnisse, die anderen angenehm oder gleichgültig sind, werden
sie manchmal traurig oder noch häufiger gereizt; der bloße alltägUc'he Gruß
kann sie aus der Fassung bringen. Manchmal Imüpfen sie erotische Gefühle
an irgend etwas oder jemanden, der gar nicht dazu geeignet erscheint; eine
Patientin erzählt, das Badewasser sei vergiftet gewesen, es habe einen ganz
bitteren Geschmack gehabt, dabei lacht sie aber in erotisch verschämter Weise.
Andere Kranke lieben Nebenpatienten ohne Eücksicht auf Geschlecht, Häßlich-
keit und eventuelle Ekelhaftigkeit derselben. Sie erzählen lachend von ihren
halluzinatorischen Qualen, stellen sich mit vergnügter öliene als Unglücks-
wesen hin (Foersterling, S. 288). Eine besonders häufige Form der Para-
thymie ist das laute Herauslachen ohne Anlaß oder bei ganz unpassenden
Gelegenheiten. Die Parafunktion der Affekte kann sich auch in den quanti-
tativen Verhältnissen der Gefühle untereinander ausdrücken, so wenn eine
Patientin Masseions bei der Nachricht vom Tode des Bruders laut auflacht,
weil sie sich freut, Briefe mit schwarzem Eand zu bekommen, während sie den
Verlust des Bruders nicht mit Gefühlen betont.
Auf dem Gebiete des Geschmackes und des Geruches sind die Para-
thymien oft sehr in die Augen fallend. Viele Kranke verschhngen mit Behagen
Dinge, die den Gesunden nur unangenehme Empfindungen machen: Käfer,
Sägespäne, Drähte, Löffel, Erde, Petrol, und dann namenthc-h häufig die
eigenen flüssigen und festen Exkremente. Ein Katatoniker, den ich fragte,
warum er seinen Urin trinke, gab mir zur Antwort: ,,Herr Direktor, wenn Sie
das einmal versucht hätten, so würden Sie nie mehr etwas anderes trinken,"
und dabei machte er ein selig verzücktes Gesicht.
Nicht immer läßt sich die Parathymie von der Paramimie unterscheiden.
Eine unserer Katatonischen, die bei der Aufnahme melanchohsch erschien,
erzählte bald nachher die Aufnahmsformalitäten in ganz angenehmem Sinne; der
Händedruck des Arztes z. B. sei ihr als etwas HeiUges erschienen. Eine andere Katato-
nika geht auf eine Pflegerin, die sie ganz gerne hat, zu und sagt ihr ohne jeden Grund
mit der freundlichsten Miene und im hebevollsten Ton; „ich meine, ich wolle dir gleich
die Schnauze verhauen, so eine nennt man doch einen Sauhund". Eine ^dritte
Patientin tanzt und trällert ein lustiges Lied, macht aber dazu ein verzweifeltes
Gesicht und eine traurige Stimme.
Zu einer Art Paramimie führt auch der oben erwähnte Mangel an Ein-
heithchkeit im Ausdi'uck. Eine Patientin beklagte sich über ihre Stimmen und
Körperhalluzinationen: Mund und Stirne zeigten deuthchen Abscheu, die Augen
freudige Erotik; nach einiger Zeit nahm auch der Mund den Ausdruck der
Fröhlichkeit an, während die Stirne finster und gerunzelt bheb. Sie gab selber
Grundsymptome. Ambivalenz.
43
an, daß die Gefühle, die sie als unangenehm beschrieben, in gewisser Beziehung
auch angenehm gewesen seien. So können alle einzelnen Bestandteile der Mimik
(inklusive Stimme, Haltung, Bewegung der Hände, der Füße usw.) dissoziiert
und untereinander widersprechend reagieren.
y) Die Ambivalenz.
Die Neigung der schizophrenen Psyche, die verschiedensten Psychismen
zugleich mit negativem und positivem Vorzeichen zu versehen (Ambi-
valenz), ist zwar nicht immer sehr ausgebildet. Doch findet man sie
bei längerer Beobachtungsdauer meist auch in leichten Fällen, und sie ist
eine so direkte Folge der schizophrenen Assoziationsstörung, daß ein vollständiges
Fehlen unwahrscheinlich wird. Wir führen sie deswegen unter den Grund-
symptomen an.
Die nämliche Vorstellung kann zu gleicher Zeit mit angenehmen imd un-
angenehmen Gefühlen betont sein (affektive Ambivalenz): der Gatte liebt
und haßt seine Frau. Die Halluzinationen berichten der Mutter den ,, ersehnten"
Tod des Kindes vom imgehebten Manne, sie bricht in nicht endenwollendes
Jammern aus. Sie hat die größte Angst, man wolle sie erschießen, und bittet
die Umgebung beständig, man solle sie erschießen. Sie meint, es stehe draußen
ein schwarzer Mann; nun fleht sie im buntesten Durcheinander, unter Aufwand
von Tränen, Anklammern und Gewalt ebenso oft, man solle sie hier behalten,
vne, man solle sie zu dem Manne hinausgehen lassen; sie verbigeriert : ,,Du
Teufel, du Engel, du Teufel, du Engel" (gemeint ist der Gehebte).
Bei der Ambivalenz des Willens („Ambitendenz") will der Patient
zugleich essen und nicht essen; er setzt Dutzende von Malen an, den Löffel zum
Munde zu führen, bringt es aber nicht fertig oder macht ganz andere unnütze
Bewegungen. Er drängt aus der Anstalt, widersetzt sich aber unter lebhaftem
Schimpfen, wenn man ihn entlassen will. Er verlangt Ai-beit, ärgert sich aber,
wgnn man ihm welche anweist, und kann sich nicht entschließen, sie zu tun.
Er macht sich in einem ersten Anfall schwere Gewissensbisse, daß er einmal in
der Jugend einem andern Knaben am Penis gesaugt habe, sucht aber einige
Jahre später mit beständiger roher Gewalt den anderen Patienten am Penis
zu saugen. Die Stimmen raten ihm, er solle sich ertränken, und verspotten
ihn zu seiner Verwunderung im gleichen Satze deshalb, weil er sich erträn-
ken wiU.
Intellektuelle Ambivalenz ist es, wenn der Patient in einem Atemzug
sagt: „Ich bin der Dr. A.; ich bin nicht der Dr. A." oder: „Ich bin ein
Mensch wie ihr, wenn ich auch kein Mensch bin" (Foersterling). Solohe Reden
hört man recht häufig, und zwar ohne daß im zweiten Satz den gleichen W^orten
eme andere Bedeutung gegeben wäre als im ersten (bei Foersterlings Patienten
wäre noch an eine solche Unldarheit zu denken).
Ein philosophisch gebildeter Katatoniker machte selbst die Beobachtuncr •
„Wenn man emen Gedanken ausspricht, sieht man immer einen Gegengedanken
Das verstärkt sich nun und geht so schnell, daß man wieder nicht weiß, welcher
der erste war und in naiverer Weise meinte ein anderer, den ich darauf auf-
merksam machte, daß er seiner Frau auf einen sehr freundlichen Brief einen
44
Schizoplirenie.
Abschiedsbrief schreibe: „Ich hätte ebensogut einen andern Brief schreiben
können; guten Tag sagen oder Abschied nehmen, das ist das Gleiche."
So kann man auch behebig oft konstatieren, daß die Patienten den Wider-
spruch gar nicht merken, wenn man ihre negative Antwort positiv nimmt. Ich
frage einen Kranken: ,, Haben Sie Stimmen?" Er verneint es bestimmt. Ich
fahre fort: ,,Was sagen sie denn?" — ,,Na, allerlei," Oder es kommt nun sogar
ein bestimmtes Beispiel als Antwort. — Noch öfter ergibt sich aus Reden und
Benehmen der Kranken, daß sie einen Gedanken zugleich positiv und negativ
denken, wenn das auch nicht immer so in die Augen springt wie in der Satz-
folge: ,,Sie hatte kein Taschentuch; mit dem Taschentuch hat sie's erwürgt."
Es gehört hierher, wenn eine Idee durch ihr Gegenteil ausgedrückt wird: Ein
Patient beklagt sich, daß ihm der Hauptschlüssel weggenommen werde, während
er verlangen will, daß man ihm den Hauptschlüssel gebe. In der ,, Grundsprache"
Schrebers heißt ,,Lohn": „Strafe", „Gift": ,, Speise" usw.
Die drei Formen der Ambivalenz lassen sich, wie schon aus einzelnen
der Beispiele hervorgeht, nicht scharf auseinander halten. Affektivität und
Willen sind ohnehin nur Seiten einer einheithchen Funktion; aber auch die
intellektuellen Gegensätze sind oft von den affektiven nicht zu trennen. Die
Mischung von Größenwahn mit Verfolgungswahn und Kleinheitswahn ergibt
sich aus Wunsch und Befürchtung oder daraus, daß der eigene Wert bald bejaht,
bald verneint wird. Der Patient ist besonders mächtig, und er ist zugleich
machtlos; der Gehebte oder die Beschützer werden ganz alltäghch auch die
Verfolger, ohne die erste Rolle aufzugeben. Seltener ist es, daß Feinde zu
Gönnern werden (eine kathohsche Paranoide war ältkathohsch geworden, wähnte
sich dann vom Papst verfolgt, der ihr aber schUeßhch viele Millionen schenken
woUte). Ähnlich ist es, wenn sich viele Kranke zwar über Verfolgung beklagen,
aber meinen, daß diese zu ihrer Belehrung, Besserung oder als Vorstufe zur
Erhöhung dienen müsse.
Wieder etwas anders zeigt sich die gemischte Ambivalenz auch in den>
folgenden Beispielen: eine Patientin rühmt und schilt ihren Mann, ihre Ver-
mögensverhältnisse; auch noch vieles andere sagt sie durcheinander positiv und
negativ es ist ganz unmöghch zu verstehen, in welchem Sinne sie es denkt. —
Ein Hebephrene setzt mit großem Affekt in schimpfendem Tone auseinander
daß ihm die Zeit in der Anstalt nie zu lang, sondern zu kurz sei, wobei er sich
nicht etwa versprochen hatte; er hatte aber einige Zeit vorher auf „lang
assoziiert „Zeit". - Die Kranken, die glauben, der Arzt wolle sie vergiften, und
ihn dennoch festhalten, oder die sich bitter über Ärzte und Wärter beldagen,
um, wie als Fortsetzung des Vorhergesagten, im nächsten Augenbhck ihr dank-
bares Herz überschwenghch über sie auszuschütten, sind bekannt.
Die Ambivalenz hat auch aUe Übergänge zum Negativismus namentlich
im Form der Ambitendenz. Ferner werden wir sehen, daß sie bei der Ausge-
staltung der Wahnideen von Bedeutung ist.
b) Die intakten Funktionen.
Zum Unterschied von den organischen Psychosen finden wir bei der
Schizophrenie mit unseren gegenwärtigen Untersuchungsmitteln Empfindung,
Grundsymptome. Empfindung und Wahrnehmung.
45
Gedächtnis, ,.Bemißtsein'- und Motilität nicht direkt gestört. Em ganz inten-
siver Krankheitsprozeß kann vieUeicht auch diese Funktionen alterieren; wir
können aber daraus entstehende Störungen in keinem FaUe von den sekundären
miterscheiden. Die Anomahen, die wir auf diesen Gebieten kennen sind alle
sekundäre und somit zufällige Erscheinungen, obschon sie wie z. B die Hallu-
zinationen oft das ganze Krankheitsbild beherrschen. Sie sind unter den „akzes-
sorischen" Symptomen anzuführen.
Man findet in der Literatur Berichte über Alterationen dieser Funktionen.
Sie beruhen aber auf Täuschungen durch den Negativismus, die Gleichgültigkeit
und Denkfaiüheit, namentiich aber durch das In-den-Tag-hinemantworten der
Kranken. Diese und ähnliche Fehlerquellen hat Masseion übersehen, wenn er
(457, S. 115) sagt, es sei selten, daß die Kranken das Jahr, den Monat, den Tag kennen;
ja die Jahreszeiten sollen sie nach ihm oft "nicht wissen. Man muß sich immer
auf indirektem Wege gründlich über die Kenntnisse der Kranken
informieren; aus bloßen negativen Antworten darf man nie auf ein
Nichtwissen schließen. Die einfache Frage nach der Jahrzahl wird z. B.
sehr häufig falsch beantwortet, während die gleichen Kranken, etwa wenn sie einen
Brief schreiben, sich vollständig im Datum orientiert zeigen. Eine aus der Straf-
anstalt hergekommene Patientin „weiß" die Jahreszahl 1899 nicht, sie gibt aber
gleich nachher an, sie sei „1897 ins Gefängnis gekommen, also zwei Jahre dort ge-
wesen".
Häufig werden Störmigen dadurch vorgetäuscht, daß Untersucher und Unter-
suchter nicht die gleiche Sprache sprechen. Der Patient nimmt symbohsch, was der
Arzt im eigentUchen Sinne versteht. So behauptet ein Kranker, er könne nicht
sehen, er sei bhnd, während er ganz gut sieht, aber die Dinge nicht „als Wirklichkeit"
wahrnimmt. Eine Patientin, die im übrigen viele Beweise richtiger zeithcher Orientie-
rung gegeben hatte und sich seit vielen Wochen in der Anstalt aufhielt, behauptete
auf die Frage, wie lange sie hier sei, mit großer Bestimmtheit, sie sei drei Tage da.
Diese Zeitbestimmung von drei Tagen war ihr aber identisch mit der „mein ganzes
Leben". Sie gab dann selber die Erklärung, daß der erste Tag der gewesen sei, da
,sie in ihrer frühesten Jugend sich sittlich vergangen habe, der zweite, da sie das gleiche
als erwachsene Tochter getan, der dritte sei jetzt noch nicht fertig; letzteres in un-
zweideutigem HinbUck darauf, daß sie die Liebe auf den Abteilungsarzt übertragen
hatte. Ebenso häufig kommt das Umgekehrte vor; irgend eine uneigentHche Redens-
art wird vom Patienten wörtlich genommen.
Besonders wichtig ist es zu wissen, daß die Kranken in vielen Beziehungen
eine doppelte Buchführung haben. Sie kennen ebensogut die richtigen Ver-
hältnisse wie die verfälschten und antworten je nach den Umständen im Sinne der
einen oder der andern Art der Orientierung — oder beider zugleich, letzteres namentUch
häufig bei Personenverkennungen : Der Arzt „ist jetzt da als Dr. N." (sc. zu anderen
Zeiten ist er der frühere Gehebte).
a) Die Empfindung und Wahrnelimung.
Die Empfindung äußerer Kelze an sich geht normal von statten. Die
Kranken beklagen sich zwar etwa darüber, daß alles anders erscheine als sonst,
und wir konstatieren nicht selten den Mangel des „Bekanntheitsgef ühles" ; da
handelt es sich aber um den Ausfall von gewohnten Assoziationen (vgl. Kapitel
„Sinnestäuschungen") und namentlich um Veränderung der Gefühlsbetonung
(siehe oben), nicht um Empfindungsstörung; auch dem Normalen kommen
46
Schizophrenie.
unter Linstanden gewisse Wahrnehmungen auf einmal anders vor als sonst
und die „graue Färbung der Welt" kennen wir von der Melancholie her. Noch
häufiger mmmt man an, daß die Empfindungen, die uns von den Organen
des Korpei;s zugehen, bei der Krankheit alteriert seien, und man hat darauf
eme Anzahl von komphzierteren Symptomen zurückführen wollen. Es ist aber
unmoghch, die Sensationen der Patienten von Halluzinationen und Illusionen
zu unterscheiden, zu denen sicher viele, wenn nicht alle, dieser Parästhesien
geboren. Jedenfalls kann man häufig nachweisen, daß solche Empfindungen
die Folge von affektbetonten Vorstellungen sind, während eine primäre
Empfmdungsstorung noch nicht sicher nachgewiesen ist.
Rosenfeld (626/7) behauptet, daß bei der Katatonie der stereognostische
hmn häufig gestört sei. Ich habe das trotz eifrigem Suchen nicht gesehen und
kann den Verdacht nicht los werden, der Autor habe sich durch den Negativismus
die Sperrungen oder den schlechten Willen der Patienten täuschen lassen.
Wiersma hat bei drei Fällen von „Paranoia" Verlängerung der Reiz-
nachwirkung beobachtet, doth nicht so konstant, daß man schon Schlüsse aus
dieser Notiz ziehen könnte.
Nicht selten ist, auch bei ganz besonnenen Patienten, vollständige Anal-
gesie vorhanden, die sowohl die tiefen Teile wie die Haut betrifft. Die Kranken
können sich deshalb absichtlich oder unabsichthch schwere Verletzungen zu-
fügen, ein Auge ausdrücken, sich auf den heißen Ofen setzen und die Glutäen
verbrennen usw. Nach Alter (11, S. 252) kann die Schmerzempfindung durch
die Aufmerksamkeit ausgelöscht werden.
Auch bei der Wahrnehmung, die wir bei imseren Beobachtungen nicht
immer scharf von der Empfindung zu trennen vermögen, kennen wir bis jetzt
keine primären Störungen; denn die Halluzinationen und Illusionen dürfen
wir natürhch nicht dazu rechnen. Ebenso wenig ist es eine Wahrnehmungs-
störung, wenn die Bannung die Kranken nicht von einem Sinneseindruck
loskommen läßt, oder wenn Sperrungen die Empfindungen und Wahr-
nehmungen vom Bewußtsein abschheßen. Letzteres ist nicht so selten. ' Ein
hebephrener Student beklagte sich, daß er manchmal plötzlich vom Vortrag
nichts mehr höre; es sei, wie wenn er taub würde; ein anderer sah auf einmal
nichts mehr, was er sich durch irgend einen geheimnisvollen Einfluß erklärte;
eine Katatonika hat ,,wie einen Schlag"; es ist dann plötzlich, wie wenn ihr
die Ohren zugingen, sie hört nur noch den Schall, versteht aber nichts.
Busch und Kraepelin haben gefunden, daß die Schizophrenen bei Wahr-
nehmungsversuchen am Schußplattenapparat wie an der Drehtrommel mehr Fehler
und namenthch mehr Auslassungen aufweisen als die Gesunden. Die Zahl der richtigen
Lesungen ist etwas vermindert, bewegt sich aber bei manchen Kranken innerhalb
der Breite der Gesunden. Natürlich haben die akuten und besonders die stuporösen
Kranken die schlechtesten Resultate. Die Versuche weisen aber mit Deutlichkeit
darauf hin, daß man es im wesentUchen nicht mit einer Wahrnehmungsstörung,
sondern mit Störungen der Aufmerksamkeit und des höheren Interesses zu tun hat.
Auch die Neigung zu Stereotypien spielt in manchen Fällen eine Rolle. Ebenso
die Schwierigkeit, Vorstellungen von Wahrnehmungen zu unterscheiden. Die Kranken
haben bei falschen Lesungen von ungenau Erfaßtem mehr Sicherheitsgefühl als die
Gesunden. Charakteristisch ist, daß die Autoren bei emer Patientin, die sie als Hy-
sterika auffassen, die nämlichen Störungen fanden wie bei den Schizophrenen.
Gi-undsymptome. Orientierung.
47
An anderem Orte führt Kraepelin (388, Bd. II, S. 177) an, daß sehr kurz
einwirkende Reize regelmäßig sehr unvollkommen wahrgenommen werden Mit
exakten Apparaten konnten wir die Versuche nicht nachprüfen. Die Beobachtung
der Reaktion auf äußere Reize, beim Spielen, bei Prügeleien, die Untersuchung mit
mö<-lichst kurz. dauerndem Vorzeigen von Bildern, haben uns aber bei gutem Willen
und guter Aufmerksamkeit der Patienten (und bei Fehlen von „Benommenheit )
noch keine Anomalien der Auffassung ergeben, wenn wir Negativismus, Interesse-
losigkeit, affektive Abspaltung, Benommenheit u. dgl. ausschließen konnten. Sogar
in Ausgesprochen deliriösen Zuständen können Kranke aus dem Ton von Schritten,
entferntem Räuspern u. dgl. mindestens so gut auf das Nahen bestimmter Personen
schließen wie Gesunde. Wir möchten deshalb die Frage noch offen lassen, ob es sich
bei den Kraepelinschen Ergebnissen nicht um Störungen der Aufmerksamkeit,
der Ideenassoziationen oder anderer zentraler Vorgänge handelt. Kraepelin selber
fügt jener Mitteilung hinzu, „daß die Kranken neben spärlichen richtigen immer eine
ganz ungewöhnlich große Anzahl von völlig falschen Angaben machen, ein Zeichen
dafür, daß die Neigung zu willkürlichem Vorbringen beliebiger sich darbietender
Vorstellungen gesteigert war".
fS) Die Orientierung.
Auch die Verarbeitung der Wahrnehmungen zur räumlichen und
zeitlichen Orientierung ist eine ganz gute; sogar delirierende Schizophrene
sind zum großen Teil im Raum, ja auch in der Zeit orientiert. Immerhin sind
hier starke sekundäre Störungen nicht selten. Massenhafte Halluzinationen
können der Psyche statt der wirkhchen Wahrnehmungen eine solche Menge
falscher Bilder der Umgebung beibringen, daß die richtige Auffassung unnaöghch
wird. Wer um sich einen Königssaal, nicht aber die Krankenabteilung sieht,
ist natürhch während cheser Zeit nicht imstande, sich richtig zu orientieren.
Wer aus Komplexgründen in der Zeitrechnung acht Tage voraus zu sein wähnt,
wird in den meisten Zusammenhängen ein verfrühtes Datum nennen. Wer die
Wahnidee hat, mit Christus auf der Welt gewesen zu sein, kann seine Geburt
und sein Alter um- richtig angeben, wenn er diese Idee gerade nicht berück-
sichtigt. Er wird also bald richtig, bald falsch antworten, je nach der Kon-
stellation. Überhaupt tritt die doppelte Buchführung nirgends so hervor
wie bei der Orientierung. Ein Patient kann jahrelang fast nichts als Wortsalat
sagen und dementsprechend handeln und daneben alles, was um ihn geht,
auf Tag und Stunde registrieren.
Die Orientierung in der allgemeinen Situation, die Erkenntnis
des eigenen Verhältnisses zu den Nebenmenschen und deren Strebungen und
Einrichtungen beruht auf recht verwickelten Verstandesschlüssen, die bei unseren
Kranken häufig unmöghch sind, teils infolge der Assoziationsstörung, teils infolge
von Wahnideen. Wer zu seinen logischen Operationen nicht mehr alle die Assozia-
tionen herbeiziehen kann, die sich auf seine Stellung zu den Vorgesetzten be-
ziehen, der kann sich auch kein klares Bild über seine Position verschaffen, und
wer sich durch Intrigen verborgener Feinde in der Anstalt interniert glaubt,
kann nicht ermessen, daß es für ihn am besten sei, daselbst zu bleiben. So ist
denn bei Schizophrenie diese Orientierung in der eigenen Lage
sehr häufig gestört, bei den Anstaltskranken sogar fast immer.
Die Orientierung in Raum und Zeit aber ist nie primär gestört.
I
48 o
Schizophrenie.
Y) Das Gedächtnis.
Auch das Gedächtnis als solches leidet bei der Krankheit nicht. Die
Patienten reproduzieren so gut wie Gesunde ihre Erlebnisse aus der Zeit vor/
und nach der Erkrankung — in vielen Fällen die letzteren sogar besser als Ge-
sunde, indem sie registrieren wie die photographische Kammer, die das Un-
wesenthche ebensogut fixiert wie das Wichtige. So können sie oft mehr Einzel-
heiten angeben, als ein Normaler erzählen würde, was z. B. bei Tatbestand-
untersuchungen in der Anstalt von Vorteil sein kann. Auch Daten und ähnhche
Äußerhchkeiten halten die Kranken oft mit bewunderungswürdiger Zähigkeit
fest, und besonders manche Paranoide sind imstande, von allen Ereignissen,
über die sie in ihren langen Eingaben berichten, auch das Datum anzugeben.
„Ich kenne Fälle von Paranoia, bei denen eine eigenartige Alteration des
Gedächtnisses auffällt, die fast wie eine Art Hyperfunktion (Hypermnesie) aus-
sieht. Die betreffenden Paranoiker erinnern sich jedes noch so geringen Details
einer längst vergangenen Begebenheit . . . i)".
Die allmähliche Usur der Erinnerungen fehlt natürlich bei unseren Kjanken
nicht. Manche Schulkenntnisse gehen mit der Zeit verloren. Wemi man aber
vergleicht, was der Normale alles wieder vergißt, z. B. von seiner Gymnasial-
gelehrsamkeit, so muß man oft staunen, wieviel vom Erinnerungsschatz bei
unseren Kranken noch hängen geblieben ist. Sogar körperliche Fertigkeiten,
bei denen nach der gewöhnlichen Anschauung auch die Übung der Gelenke und
Muskeln eine Eolle spielen sollte, können nach vieljähriger Pause plötzUch
wieder benutzt werden, wie wenn sie immer geübt worden wären. Eine Kata-
tonische, die während dreißig Jahren sozusagen keine normale Bewegung gemacht
und seit Jahren kein Klavier mehr berührt hat, kann plötzhch irgend ein
technisch schwieriges Stück richtig und mit Ausdruck spielen.
Trotzdem hören wir in den Anamnesen alltäghch, daß die „Vergeßlichkeit"
eines der ersten oder eines der wichtigsten Symptome der Krankheit gewesen
sei, und die Patienten selber Idagen häufig über ihr Gedächtnis. Auch Beob-
achter wie Masseion (457, S. 105) finden das „Gedächtnis" bei der Dementia
praecox geschwächt. Dieser Autor will sogar gefunden haben, es sei schlecht
für kompHziertere Dinge, gut für einfache (S. 117)^).
Auch Ziehen findet bei allen seinen „Defektzuständen" Gedächtnis-
schwäche, wenn auch bei der „sekundären Demenz" zunächst nicht so deutlich
wie bei der Paralyse 3).
1) Berze (58, S. 443). Der Autor zählt unser Paranoid zur Paranoia.
2) Masseion meint auch (S. 110), es können keine Details wiedergegeben werden;
auch das ist unrichtig. Wenn er ferner erwähnt, daß eine HebammenschiUerin alle ihre
während des Studiums erworbenen Kenntnisse verloren habe, sich aber an die Kindlieit
erinnere, so ist das ein Zufall, der in den Komplexen der Patienten hegen muß — oder auch
in der Art des Fragens. Fichtig beobachtet ist dagegen, wenn Masseion eme „Stereotypie
des Gedächtnisses" findet: es kommt whklich häufig vor, daß auch die Gedachtms-
leistungen, wie andere Funktionen sich stereotypieren, so daß bei nur entferntem Anschlagen
eines bestimmten Themas ünmer wieder das gleiche Gedächtnismaterial, oft sogar mit den-
selben Worten, reproduziert wird. . , , . , ^ 1 1 • „ v..
3) Auch bei der Idiotie respektive Imbezillität ist mur trotz mcht ganz kleiner Er-
fahrung die Gedächtnisschwäche nicht begegnet, obschon sie da auch noch andere Autoren
£,ls Ziehen beschreiben. Unsere Begriffe von „Gedächtnis" müssen voneinander abweichen.
Grundsymptome. Gedächtnis.
40
Der scheinbare Widerspruch ist sehr leicht zu heben. Gut ist eben
bei der Schizophrenie die Registrierung des Erf ahrungsmaterials
und die Aufbewahrung der Gedächtnisbilder. Gestört kann aber
sein die Reproduktion des Erlebten in einem bestimmten Moment, was
selbstverständlich erscheint, wenn man bedenkt, daß dieselbe auf dem Wege
der Assoziationen geschehen muß, daß sie von der Affektivität beeinflußt wird,
und daß gerade diese beiden Funktionen bei der Schizophrenie besonders stark
leiden.
Die Sperrungen sind beim Reproduzieren von Erinnerungen während der
ärzthchen Untersuchung recht häufig und hindern zeitweise die Wiederbelebung
der Gedächtnisbilder, vor allem die der gefühlsbetonten Komplexe. Die Ent-
gleisimgen der Assoziationen bringen falsche Antworten in Menge hervor: die
Interesselosigkeit oder gar negativistische Tendenzen verhindern eine richtige
Überlegung und begünstigen das In-den-Tag-hineiuantworten und das Vor-
beireden.
So ist es selbstverständhch, daß wir beim Ausfragen der Schizophrenen
sehr häufig gar keine oder falsche Antworten bekommen; ob nun die Ant-
wort eine Leistung des Gedächtnisses oder eine Überlegung ver-
lange, das Resultat ist in der Regel ungefähr gleich; die Kranken
antworten auch ebenso unrichtig, wenn sie etwas Aktuelles er-
läutern sollten. Daraus ersehen wir, daß wir die Störung nicht ins Gedächtnis
verlegen dürfen. Natürüch laufen kompHziertere und weniger geübte Funktionen
mehr Gefahr an einer dieser Klippen zu scheitern als einfache und alltägUche,
so daß Masseion in gewisser Beziehung recht bekommt. Wenn man aber das
numerische Verhältnis beachtet zwischen dem Versagen der einfachen
Operationen und der komplizierteren, so muß man zu der Überzeugung kommen,
daß die einfachen psychischen Tätigkeiten durch den pathologischen
Prozeß ebensowohl getroffen sind wie die komplizierteren; der Einfluß der
Krankheit wird nur bei den letzteren häufiger manifest, gerade wie der Einfluß
der normalen Usuf des Gedächtnisses die Erinnerung an den Ort, wo man in
die Schule gegangen, weniger schädigt, als etwa die an die Erlebnisse Alexanders
des Großen.
Das Gedächtnis als solches ist also für unsere jetzigen Be-
obachtungsmittel bei der einfachen Schizophrenie nicht gestört;
alteriert ist manchmal die assoziative Wiederbelebungsfähigkeit
der Erinnerungsbilder; dies aber sekundär durch die allgemeinen
Störungen aller assoziativen und affektiven Prozesse und nur
für bestimmte psychische Konstellationen.
Mir scheint es selbstverständhch, daß ein Idiot eine Rede, ein Ereignis, das er nicht ver-
standen hat, so wenig im Gedächtnis behalten kann, wie icli eine chinesisclie Oper; dennoch
gibt es viele Imbezille, die von unverstandenen Details mehr im Gedächtnis behalten als
die mei.sten Normalen (Einmaleins, ganze Predigten) und die verstandene Erlebnisse nach
Jahrzehnten noch mit großer Plastik reproduzieren, auch wenn sie der Sprache kaum mächtig
smd. Ich nenne eine Prüfung nur dann eine Gedächtnisprüf un-r, wenn sie
■sich möglichst unabhängig macht von anderen Störungen, so bei der Idiotie
von dem Mangel an Verständnis, bei der Schizophrenie von den Sperrungen
der Interesselosigkeit, der Denkfaulheit. *
Handbuch der Psyoliialrie : llleulei-
4
50
Schizophrenie.
So kann es kommen, daß die Patienten vergeßlich erscheinen, daß sie sich
oft auf die einfachsten Dinge nicht besinnen können, daß ihnen entfällt, was
sie eben tnn wollten, oder gar, daß sie wie Senile, ohne es zu merken, in der/
gleichen Gesellschaft mehrmals hintereinander das nämliche fragen. Vor allem
aber ist wichtig, sich zu merken, daß die Kranken je nach den Umständen die
gleiche Sache bald wissen, bald ,, vergessen" haben.
Natürhch kann die Gedächtnisfunktion auch noch durch andere psychische
Momente geschädigt werden. Es kann begegnen, daß ein Patient über die Zeit
vor seiner Erkrankung ganz gute und klare Auskunft gibt, sich dann aber bei
den Schilderungen aus der kranken Zeit in Unklarheiten und Weitläufigkeiten
ergeht, so daß es unmöglich wird, zu verstehen, was er sagen will. Das kann
seinen Grund darin haben, daß sich die psychischen Erlebnisse der Krankheit
gar nicht in den Worten der gewöhnhchen Sprache schildern lassen. Mitwirken
wird auch der Umstand, daß die Erlebnisse der Krankheit für den Patienten
wie für die Zuhörer des logischen Zusammenhanges entbehren, so daß beide
auch bei ganz richtiger Keproduktion einen konfusen Gedankengang vor sich
zu haben wähnen. Die nicht seltenen Amnesien und Paramnesien gehören zu
den akzessorischen Symptomen.
Busch hat die bemerkenswerte Tatsache gefunden, daß bei Leseversuchen
an der Schußplatte eine Pause von 10 Sekunden zwischen Wahrnehmung und Ee~
Produktion, die bei Gesunden die Resultate verbessert, bei Schizophrenen eine Ver-
schlechterung bewirkt, die auch bei einer Pause von 30 Sekunden noch vorhanden ist.
Wahrscheinlich hat dieses Verhalten mehr Beziehung zu der mangelhaften Verarbei-
tung der Eindrücke bei Schizophrenen als zu dem, was wir Gedächtnis nennen.
5) Das Bewußtsein.
Dem Ausdruck „Störungen des Bewußtseins", der sich bis zu einem
gewissen Grade mit dem alten Namen der „Trübung des Sensoriums" deckt,
entspricht kein klarer Begriff. Orientierung und Gedächtnis bilden einen wesent-
lichen Bestandteil des Bewußtseins in diesem Sinne^). Das „Zeit- und Orts-
1) „Bewußtsein" hat zunächst die Bedeutung der (nicht beschreibbaren) Eigenschaft
der psychischen Vorgänge, die das empfindende Wesen vom Automaten unterscheidet.
Dieses Bewußtsein ist vorhanden oderj es fehlt; letzteres nicht bei psychotischen Zu-
ständen, sondern im Koma, in tiefer Ohnmacht. Es gibt keine Störung im Sinne einer Para-
funktion des Bewußtseins. Man kann sich dasselbe höchstens insofern quantitav verändert
denken, als zu gleicher Zeit viele oder wenige Vorgänge bewußt sein können, und als die Vor-
gänge, um bewußt zu werden, eine mehr oder weniger hohe Intensität haben müssen. Diese
Auffassungen lassen sich aber nicht durchführen: Das „Bewußtsein" eines Idioten hat gewiE
sehr oft viel weniger Inhalt als das eines im Dämmerzustand befindlichen intelligenten
Epileptikers oder Träumers, und doch nennen wk das erstere normal, das zweite getrübt.
Und was die notwendige Stärke der Reize betrifft, so kann in einem „Dämmerzustand-
ein minimaler Reiz ganz gut bewußt werden, der im Normalzustand des gleichen Menschea
gar nicht beachtet würde. (Hysterischer Dämmerzustand!) Auch sind die inneren Reize
in den Dämmerzuständen meist sehr bewußt, ohne daß wir Gmnd hätten, eine besondere
Stärke derselben anzunehmen. Wir wissen ja über die dynamischen Verhä tmsse der psychi-
schen Vorgänge überhaupt nichts. — Eine ganz andere Bedeutung bekommt das ^^olt
Bewußtsein", wenn man schon bei lückenhafter Orientierung und ungenügendem Rappoit
mit der Außenwelt von einem „gestörten Bewußtsein" spricht; es gibt sogar Leute die voa
einer Bewußtseinsstörung reden, wenn Wahnideen auftreten. Manchmal galt auch die nach-
et
Grundsymptome. Bewußtsein. Motilität.
bemißtsein" ist ja nichts anderes als die Orientierung in Zeit und Raum
iZerhrkommt bei den Bewtxßtseinsanomalien („Triibungen des Sensormms )
Lernoch hinzu eine primäre Störung nicht nur in der Zusammensetzung der
l^^nneseindrücke z^^ einem Zeit- und Ortsbilde, sondern auch eme Alteration
drEmpfindmag und Wahrnehmung: die Sinnesreize werden zu emem großen
Tel (Zmals alle!) gar nicht erfaßt oder dann illusionistisch umgedeutet; dafür
schafft s"h die Psyche von innen heraus eine eigene Welt, die nach außen verlegt
wird Wir reden dann von Dämmerzustanden.
In dem Sinne nun, daß die Patienten den sinnlichen Zu-
sammenhang mit der Umgebung verlören, ist in den Dauerzu-
ständen der Schizophrenie das Bewußtsein nicht alteriert; die
Schizophrenen verhalten sich in dieser Beziehung wie Gesunde.
Dagegen gibt es recht häufig akute Syndrome, die einem hysterischen Dämmer-
zustand ganz analog sind, und Verwirrtheitszustände verschiedenster Genese.
Ferner kann das Dauersymptom des Autismus (folgendes Kapitel) in gemssem
Sinne eine Störung des Bewußtseins genannt werden.
e) Die Motilität.
Die Motihtät erweist sich unseren jetzigen Untersuchungsmethoden gegen-
über nur in akzessorischer Weise alteriert (Katalepsie usw.). Die Patienten sind
unter Umständen sehr gewandt, die psychomotorische Seite der Sprache zeigt
nichts Abnormes, ebensowenig die der Schrift^) ; sogar so fein abgestufte Be-
wegungen wie die des Viohnspielens scheinen nicht gestört; immerhin wird
ein vollendetes Spiel selten sein, aber aus Gründen der musikalischen und
affektiven Auffassung.
B. Die zusammengesetzten Funktionen.
Die kompHzierten Funktionen, die aus dem Zusammenwirken der bis
jetzt genannten resultieren: Aufmerksamkeit, Intelligenz, Wille und Handeln,
sind natürhch gestört, insofern die sie bedingenden Elementarfunktionen, von
denen hier nur die Assoziationen und die Affektivität in Betracht kommen,
alteriert sind. Eine ganz besondere und für die Schizophrenie charakteristische
Alteration aber erleidet das Wechselverhältnis des Binnenlebens mit der Außen-
welt. Das Binnenleben bekommt ein krankhaftes Übergewicht (Autismus).
trägliche Erinnerung als Index für das Vorhandensein von Be^v^^ßtsein zu einer bestimmten
Zeit. — Daß mit einem solchen Begriff nichts anzufangen ist, sollte klar sein. — Ebenso
ungeschickt ist der Begriff des Selbstbewußtseins, mit dem auch viel Unklarheit ge-
züchtet wird. Wer ein Bewußtsein hat, verwechselt sich sicher nicht mit der Außenwelt,
er muß auch Selbstbewußtsein im Sinne der Psychologen haben. Auch das Selbstbewußtsein
kann also nicht wohl alteriert sein. Versteht man aber darunter die Auffassung der eigenen
Persönlichkeit, so wollen wir lieber diesen letzteren und klareren Namen für die Erscheinung
brauchen.
^) Vgl. die akzessorischen Anomalien der Schrift weiter unten, ferner 271 und 272.
4*
52
ScliizoiDbrenie.
a) Das Verhältnis zur Wirklichkeit. Der Autismus.
Die scliwersten Schizophrenen, die gar keinen Verkehr mehr pflegen, leben
in einer A\elt für sich; sie liaben sich mit ihren Wünschen, die sie als erfüllt
betrachten, oder mit den Leiden ihrer Verfolgung in sich selbst verpuppt und
beschranken den Kontakt mit der Außenwelt so weit als möghch.
Diese Loslösung von der Wirklichkeit zusammen mit dem relativen und
absoluten Uberwiegen des Binnenlebens nennen wir Autismus i).
In weniger ausgesprochenen Fällen hat die Wirklichkeit nur affektiv und
logisch an Bedeutung mehr oder weniger eingebüßt. Die Kranken bewegen sich
noch m der Außenwelt, aber weder Augenschein noch Logik haben Einfluß auf
Wunsche und Wahn der Kranken. Alles was den Komplexen widerspricht,
existiert einfach nicht für das Denken oder Fühlen.
Eine viele Jahre lang als neurasthenisch verkannte intelligente Dame hat
„eine Mauer um sich gebaut, so eng, daß es ihr oft war, wie wenn sie in einem
Kamin wäre".
Eine sonst ganz salonfähige Patientin singt in einem Konzert, kann aber
nicht mehr aufhören. Das Pubhkum fängt an zu pfeifen und Lärm aller Art
zu machen; sie kümmert sich nicht darum, singt weiter und fühlt sich, als sie
fertig ist, sehr befriedigt. Ein gebildetes Fräulein, dem mau von der Krankheit
kaum mehr etwas anmerkt, setzt plötzlich vor Zeugen ihre Fäzes mitten in
den Salon und begreift die Entrüstung der Umgebung gar nicht. Ein Patient
gibt mir seit zehn Jahren von Zeit zu Zeit Zettel, auf denen immer die gleichen
vier Worte stehen, die bedeuten, daß er unrechtmäßig interniert ist; es macht
ihm nichts aus, mir gleich ein halbes Dutzend der Zettel zugleich zu geben;
das Unsinnige begreift er nicht, wenn man ihn zur Kede stellt. Dabei hat dieser
Kranke ein gutes Urteil über die anderen und arbeitet selbständig auf der Ab-
teilung. Auch sonst geben uns die Schizophrenen oft eine Menge Briefe, ohne
eine Antwort zu erwarten, oder sie stellen uns mündlich gleich ein Dutzend
^) Autismus ist ungefähr das gleiche, was Freud Autoerotismus nennt. Da absr
für diesen Autor Libido und Erotismus viel weitere Begriffe sind als für andere Schulen, so
kann das Wort hier nicht wohl b3nutzt werden, ohne zu vielen Mißverständnissen Anlaß
zu geben.
Der Name Autismus sagt im wesentlichen von der positiven Seite das nämliche, was
P. Janet (321) negativ als ,,perte du sens de la r ealit e" bezeichnet. Wir können aber
den letzteren Ausdruck nicht ohne weiteres akzeptieren, weil er das Symptom viel zu all-
gemein faßt. Der Sens de la realite fehlt dem Schizophrenen nicht ganz, er versagt nur für
diejenigen Dinge, die sich gerade in Widerspruch gestellt haben zu seinen Komplexen. Unsere
doch relativ schweren Anstaltspatienten können zum größten Teil solche Anstaltsbegebnisse,
die für ihre Komplexe irrelevant sind, sehr richtig auffassen und behalten. Man kann von
ihnen detaillierte Anamnesen erhalten, die sich bestätigen usf., kurz sie zeigen alle Tage,
daß ihnen der Sinn für Auffassung der Wirklichkeit nicht abhanden gekommen ist, sondern
daß diese Fähigkeit nur in gewissen Zusammenliängen gcliemmt und verfälscht M'ird. Der
gleiche Kranke, der sich jahrelang nicht um seine Familie gekümmert hat, kann auf einmal
eine Menge richtiger Gründe aufzählen, wie notwendig er zu Hause sei, wenn ihm darum
zu tun ist, seinen Verfolgern in der Anstalt zu entkommen. Das hindert ilin aber nicht,
die übrigen Konsequenzen aus seinen Überlegungen ungezogen zu lassen. Wenn er wirklich
entlassen wird, oder wenn man ihm leicht erfüllbare Bedingungen der Entlassung stellt,
so fällt es ihm in den wenigsten Fällen ein, etwas zur Realisierung der „Wünsche" für seine
Familie zu tun.
Grundsymptome. Aiitismus.
53
Fragen nacheinander, ohne uns nur Zeit zu einer Antwort zu geben. Sie pro-
phezeien auf einen bestimmten Tag irgend ein Ereignis. Es stört sie so wenig,
wenn das Vorausgesagte nicht eintritt, daß sie in vielen Fällen nicht einmal
eine Ausrede suchen.
Auch wo die Wirklichkeit scheinbar mit den krankhaften Gebilden der
Patienten identisch ist, wird sie oft ignoriert.
Das Wünschen so vieler Patienten dreht sich um die Entlassung; gegen
die wirkliche Herausnahme bleiben sie gleichgültig. Einer unserer Kranken mit
ausgesprochenem Kinderkomplex machte einen Mordversuch auf seine Frau, Aveil
er in zehn Jahren nur vier Kinder von ihr bekam; gegen die wirkhchen Kinder ist
er ganz gleichgültig. Andere lieben eine bestimmte Person; ist sie leibhaftig vor
ihnen, so macht das keinen Eindruck auf sie; stirbt sie, so bleiben sie gleichgültig.
Der Kranke verlangt beständig nach dem Abteilungsschlüssel; wenn er ihn bekommt,
weiß er nichts damit anzufangen und gibt ihn wieder zurück. Er versucht tausendmal
in einem Tage die Tür zu öffnen; sperrt man sie nicht zu, so wird er verlegen und
weiß nichts zu machen. Er verfolgt den Arzt auf der Visite beständig mit: ,, Erlauben
Sie, Herr Dr.". Fragt man ihn, was er wünsche, so ist er ganz verwundert und weiß
nichts zu sagen^). Eme Mutter verlangt wochenlang mit Aufbietung aller Künste,
ihr Kind zu sehen; hat sie die Erlaubnis, so will sie heber ein Glas Wein. Eine Frau
verlangt jahrelang die Scheidung vom Mann; ist sie endHch geschieden, so glaubt
sie gar nicht daran, wird wütend, wenn man sie nicht mit dem Familiennamen des
Mannes anredet. Viele Kranke verzehren sich in Angst vor dem Tod, nehmen aber
selbst nicht die mindeste Rücksicht auf Erhaltung ihres Lebens und bleiben von
wirklichen Bedrohungen ganz unberührt.
Der Autismus ist gar nicht immer auf den ersten Blick zu bemerken. Das
Benehmen vieler zeigt zunächst nichts Auffallendes ; erst bei längerer Beobachtung
sieht man, wie sehr sie immer eigene Wege suchen, und wie wenig sie die Um-
gebung an sich herankommen lassen. Auch schwerer kranke Chronische haben oft
in den gleichgültigen Alltäglichkeiten eine ganz gute Verbindung mit der Um-
gebung; sie plaudern, nehmen an Spielen teil, suchen oft noch Reize auf —
aber sie wählen aus; ihre Komplexe haben sie für sich; sie sagen nie ein Wort
davon und wollen nicht, daß sie von außen berührt werden.
So wird die Gleichgültigkeit der Kranken gegenüber dem, was ihr nächstes
und größtes Interesse sein sollte, verständlich. Andere Dinge sind füi- sie die
wichtigeren. Sie reagieren nicht mehr auf Einwirkungen von außen, und sie
erscheinen „stuporös," auch wenn keine andere Störung das WoUen und Handeln
hemmt. Die Außenwelt muß ihnen oft geradezu feindhch vorkommen, indem
sie sie m ihren Phantasien stört. Es gibt aber auch Fälle, wo der Abschluß nach
außen emen gegenteihgen Grund hat: Namentlich im Anfang scheuen manche
Krarike ganz bewußt den Kontakt mit der Wirklichkeit, weil ihre Affekte zu
stark sind, und sie alles vermeiden müssen, was ihnen Emotion machen kann.
nie Gleichgültigkeit gegen die Außenwelt ist dann eine sekundäre, entspringend
aus ubergroßer Empfindlichkeit. ^
türli.h^'' "^"If'rr ^^^"^"^^^^ ^^^«li äußerlich ausgedrückt (na-
tuüich^ohnhch unbeabsichtigt). Nicht nur, daß sie sich um nicht, in der
54
Scliizophrenie.
Umgebung kümmern, sie sitzen beständig da mit abgewandtem Gesicht, nur
die leere Mauer betrachtend; oder sie schließen die Sinnespforten, ziehen die
Schürze oder die Bettdecke über den Kopf, ja die zusammengekauerte Stellung,
die in früheren Zeiten, da man die Kranken mehr sich selbst überließ,
recht häufig war, scheint darauf hinzudeuten, daß sie auch die ganze Sinnes-
fläche der Haut möglichst nach außen abzuschließen bestrebt sind.
Mißverständnisse, die aus autistischem Ideengang entspringen, können die
Patienten gar nicht oder nur schwer korrigieren.
Eine Hebephrene liegt (in schlechter Stimmung) aut einer Bank. Da sie mich
sieht, will sie sich aufsetzen. Ich bitte sie, sich nicht zu derangieren. Sic antwortet
in gereiztem Ton, wenn sie nur sitzen könnte, würde sie nicht liegen; d. h. sie hat
sich eingebildet, daß ich ihr einen Vorwurf mache, weil sie auf der Bank liege. Ich
wiederhole mehrmals mit verschiedenen Worten die Aufforderung, ruhig liegen zu
bleiben ; sie wird nur immer gereizter. Alles was ich sage, wird im Sinne ihres autisti-
schen Gedankenganges falsch gedeutet.
Die autistische Welt ist für die Kranken ebensogut Wirklich-
keit wie die reale, wenn auch manchmal eine andere Art Wirklich-
keit. Oft können sie beide Arten von Wirklichkeit nicht ausein-
anderhalten, sogar wenn sie sie im Prinzip unterscheiden. Ein
Patient hat vom Dr. N. sprechen hören; gleich nachher fragt er, ob das eine
Halluzination gewesen sei, oder ob wir von Dr. N. gesprochen haben. Busch
hat die schlechte Unterscheidung von Vorstellung und Wahrnehmung auch
durch seine Leseversuche nachgewiesen.
Der Wirklichkeitswert der autistischen Welt kann auch ein größerer sein
als der der Eealität; die Kranken halten dann ihre Phantasiegebilde für das
Reale, die Wirklichkeit für etwas Vorgetäuschtes; sie glauben dem Zeugnis
ihrer eigenen Sinne nicht mehr. Sehr eher bezeichnet seine Wärter als „flüchtig
hingemachte Männer". Der Kranke kann zwar wissen, daß andere Leute die
Umgebung so und so beurteilen; er weiß auch, daß er sie selber in dieser Form
sieht, aber das ist ihm nicht wirkHch: „Man sagt, daß Sie der Herr Doktor
seien, aber ich weiß es nicht." Auf einer höheren Stufe sagt der Kranke: „Aber
ich glaube es nicht", oder gar: „Aber Sie sind eigenthch der Minister N." In
den höchsten Graden wird die Wirklichkeit umiUusioniert und zu einem er-
heblichen Teil durch Halluzinationen ersetzt (Dämmerzustände).
In den gewöhnlichen halluzinatorischen Zuständen ist zwar die höhere
Einschätzung der Einbildungen die Regel; doch handeln und orientieren sich
die Kranken daneben noch im Sinne der WirkHchkeit. Viele handeln aUerdings
gar nicht, auch nicht mehr im Sinne ihrer autistischen Gedanken. Das mag in
einem Stuporzustand vorkommen, oder es kann der Autismus selbst einen
so hohen Grad erreichen, daß sogar das Handeln die Beziehungen zu der von
der Psyche abgesperrten Wirklichkeit verloren hat, und die Kranken so wenig
auf die reale Welt einzuwirken versuchen wie ein Träumender. Natm- ich laufen
die beiden Störungen: die MotiUtätssperrung des Stupors und die Außeracht-
lassung der Wirldichkeit, häufig nebeneinander.
Besonnene Kranke erscheinen oft viel weniger autistisch als sie sind, weil
sie die autistischen Gedanken unterdrücken können oder sich mit ihnen nur
Gruadsymptome. Autismus.
55
theoretisch beschäftigen!) gewisse Hysterische, ihnen aber für gewöhnlich
keinen oder nur einen ganz geringen Einfluß auf ihr Handeln gestatten. Diese
Kranken behalten wir aber nicht mehr unter unseren Augen; wir entlassen sie
als gebessert oder geheilt.
Ein vollständiger und andauernder Abschluß gegen die
Außenwelt kommt, wenn überhaupt, nur etwa in den höchsten Graden von
Stupor vor. In den leichteren Fällen existieren die reale und die autistische
AVeit nicht niu- nebeneinander, sondern sie verquicken sich oft in der unlogi-
schesten Weise miteinander. Der Arzt ist nicht nur in einem Moment der An-
staltsarzt und im andern der Schuster S., sondern er ist beides im gleichen
Gedankeninhalt des Kranken. Eine Patientin, die noch ziemlich gesellschafts-
und weitgehend arbeitsfähig ist, macht sich eine Puppe aus Lumpen, die sie
als das Kind ihres eingebildeten Liebhabers betrachtet. Als dieser nach Berlin
verreist, wiU sie es ihm nachsenden, geht aber vorsichtigerweise zuerst zur
Pohzei, mn zu fragen, ob es nicht als Betrug betrachtet werden könne, wenn
sie dieses Kind als Gepäck und nicht mit Personenfahrkarte reisen lasse.
Den Inhalt des autistischen Denkens bilden Wünsche und Be-
fürchtimgen; Wünsche allein in den nicht gerade häufigen Fällen, wo der Wider-
spruch mit der Wirkliclikeit nicht gefühlt wird; Befürchtungen, wenn die sich
den Wünschen entgegenstellenden Hindernisse empfunden werden. Auch da,
wo keine eigentlichen Wahnideen entstehen, ist der Autismus nachweisbar in
der Unfähigkeit der Kranken, mit der Wirklichkeit zu rechnen, in ihrer un-
passenden Reaktion auf die Einwirkungen von außen (Reizbarkeit) und in ihrem
Mangel an Widerstand gegen irgend welche Einfälle und Triebe.
Wie das autistische Fühlen der Wirklichkeit abgewandt ist, so hat das
autistische Denken seine besonderen Gesetze: der Autismus benutzt allerdings
die gewöhnhchen logischen Zusammenhänge, so weit es ihm paßt; ist aber durch-
aus nicht daran gebunden. Er wird von affektiven Bedürfnissen dirigiert. Da-
neben denkt er in Symbolen, in Analogien, in unvollständigen Begriffen, in
zufälligen Verbindimgen. Wendet sich der gleiche Patient der Wirklichkeit zu,
so kann er unter Umständen wieder scharf und logisch denken. Wir haben
also ein realistisches und ein autistisches Denken zu unterschei-
den, und zwar beim gleichen Patienten nebeneinander. Im reali-
stischen Denken orientiert sich der Kranke ganz gut in Zeit und Raum der
Wirklichkeit; er richtet danach seine Handlungen, so weit sie uns normal er-
scheinen. Dem autistischen Denken entspringen die Wahnideen, die groben
Verstöße gegen Logik und Anstand u. dgl. krankhafte Symptome. Die beiden
Formen sind oft recht gut getrennt, so daß der Patient bald ganz autistisch,
bald ganz normal denken kann; in anderen Fällen mischen sie sich bis zu voll-
ständiger Durchdringung, wie wir oben gesehen.
Das Besondere, von der früheren Erfahrung Abweichende des
autistischen Denkens braucht den Kranken nicht bewußt zu
werden. Intelligentere Patienten können aber den Unterschied gegen früher
V, - r ^^^^f 4^"dere8 als eine autistische Betätigung ist die bei jungen Hebephrenen
kann ^'r^ T '-.^^f-^-^-g-". d. h. denen, die nJa^nicht ents'cheld n
kann, wo die Raalitat nicht mitspricht. - Freud n3nnt Zweifel und Unsicherheit eine Vor-
atufe seines Autoerotismus. (Jahrbuch für Psychanal., Bd. I, S. 410.) «'?^l2L
5ß
Schizophrenie.
jahrelang empfinden, meist schmerzlich, seltener als Amiehmlichkeit. Sie be-
klagen sich, daß die Wirklichkeit anders aussehe als früher; die Dinge imd Per-
sonen sind eigentlich gar nicht mehr das, als was sie bezeichnet werden ; sie sind
anders, fi-enid haben keine Beziehungen mehr zum Patienten. Eine entlassene
Patientin „hef wie m einem offenen Grab herum, so fremd kam ihr die Welt
vor". Eine andere „hat angefangen, sich in ein ganz anderes Leben hinein-
zudenken; wenn sie dann vergUch, so war alles ganz anders; auch der GeUebte
ist gar nicht so, wie sie sich ihn vorstellt". — Eine noch sehr inteUigente
Patientin hielt es für eine vorteilhafte Veränderung, daß sie sich nach Belieben
m einen Zustand versetzen konnte, in dem sie die höchste (sexuelle und reli-
giöse) Seligkeit empfinde, und wollte uns Anleitung geben, es ihr gleich zu tun.
Der Autismus darf nicht verwechselt werden mit dem „Unbewußten". Autisti-
sches wie realistisches Denken können sowohl bewußt als auch unbewußt sein.
(3) Die Aufmerksamkeit.
Als Teilerscheinung der Affektivität (74) leidet mit dieser* auch die Auf-
merksamkeit. Soweit Interesse vorhanden ist — also in den leichteren Fällen
für die Mehrzahl der Erlebnisse und in den schweren für gefühlsbetonte Tätig-
keiten (wie die Ausarbeitung von Fluchtplänen) — erscheint zwar die Aufmerk-
samkeit unseren jetzigen Beobachtungsmethoden normal. Wo aber der Affekt
fehlt, mangelt auch der Trieb, den äußeren und inneren Vorgängen zu folgen
und die Richtung der Sinne und der Gedanken zu dirigieren, d. h. die aktive
Aufmerksamkeit.
Ganz anders wird die passive Aufmerksamkeit alteriert: Es 'ist
zwar selbstverständHch, daß die interesselösen oder autistisch abgekapselten
Patienten die Außenwelt sehr wenig beachten. Daneben aber wird merkwürdig
viel von den Ereignissen registriert, um die sich die Patienten nicht kümmern.
Die Auslese, die die normale Aufmerksamkeit unter den Sinneseindrücken
trifft, kann bis auf Null herabgesetzt sein, so daß fast alles registriert wird, was
den Sinnen zugeht. Die bahnende wie die hemmende Eigenschaft der Auf-
merksamkeit ist also in gleicher Weise gestört.
Vorgänge auf der Abteilung, die die Kranken nicht berührten, Nachrichten aus
Zeitungen, von denen sie nur beiläufig gehört haben, können nach Jahren noch mit
allen Details reproduziert werden von Patienten, die ganz mit sich selbst beschäftigt
schienen, die scheinbar immer in eine Ecke sahen, so daß man gar nicht begreifen
kann, wie sie diese Dinge überhaupt erfahren konnten. Eine unserer Katatonischen,
die sich einige Monate lang immerf nur damit beschäftigt hatte, gegen die Wände
Faxen zu machen, zeigte sich nach der Besserung darüber orientiert, was in der
Zwischenzeit im Burenkrieg gegangen war; sie muß einzelne Bemerkungen der ganz
blödsinnigen Umgebimg aufgeschnappt und in geordneter Weise aufbewahrt haben.
Eine andere, die während vieler Jahre kein vernünftiges Wort gesagt, keine ver-
nünftige Handlung getan (nicht einmal selbst gegessen hatte), wußte den Namen
des neuen Papstes eme Anzahl Jahre nach seinem Regierungsantritt, obgleich sie
immer in protestantischer Umgebimg lebte, in der man sich nicht um Rom kümmerte.
Die Tenazität und die Vigilität der Aufmerksamkeit können unab-
hängig voneinander sowohl im positiven wie im negativen Sinne alteriert sein.
Grundsymptome. Aufmerksamkeit. Wille.
aber die Störungen haben niclits für die Schizophrenie Charakteristisches^).
Immerhin gibt es spezifische innere Störungen, die eine Hypovigiütät verursachen,
so wenn „die Gedanken abgezogen werden". Verliert sich der Gedankengang
in Nebenbahnen, so kann von einer Tenazität nicht die Rede sein.
Der Erfolg der Aufmerksamkeitsspannung ist ein sehr verschie-
dener. Er kann normal sein. Anderseits können sich Patienten, auch wenn sie
sich anstrengen, oft nicht recht konzentrieren, die Intensität der Aufmerk-
samkeit ist gestört. Meist leidet dann auch die Extensität: die Kranken
sind nicht imstande, alle zu einer Überlegung notwendigen Assoziationen herbei-
zuziehen. Diese Störungen mögen mitbegründet sein in noch unbekannten
primären Hemmnissen in den psychischen Prozessen; am meisten aber beein-
flussen außer den Affekten natürlich die Assoziationsstörungen den Erfolg der
Aufmerlvsamkeit. Ist der Ideengang ganz auseinandergef allen, so wird ohne
abnorm starke Anstrengung ein richtiger Gedanke überhaupt unmöglich.
Die allgemeine Neigung einzelner Fälle zu Ermüdung läßt auch
die Aufmerksamkeit rasch erlahmen; die meisten der chronischen Patienten zeigen
aber eine normale oder sogar eine übernormale Fähigkeit, die Aufmerksamkeit
angespannt zu erhalten, wenn es überhaupt zum aktiven Aufmerken kommt.
Präokkupation durch die Komplexe, Sperrungen und Bannungen verhindern
die Kranken oft andauernd oder vorübergehend, einem bestimmten Gedankengang
zu folgen, oder in der gewollten Eichtung zu denken. So können manche einer Ge-
schichte, die sie lesen, einer dramatischen Vorstellung nur bruchstückweise folger,,
während andere das Gehörte und Gesehene in vorzüghcher Weise erzählen, und zwar
merkwürdigerweise auch dann, wenn sie sich während des Zuhörens beständig mit
Stimmen unterhalten haben. Auch die Aufmerksamkeit kann gespalten
sein. — Sehr oft ist die Aufmerksamkeit wie die anderen Funktionen abgesperrt:
mitten im Gespräch, in einer Arbeit, acheinen die Patienten einen anderen Gedanken-
gang zu haben oder gar nicht zu denken. Merkwürdigerweise können sie in beiden
Fällen mit voller Kenntnis des während der Unaufmerksamkeit Geschehenen weiter
denken und z. B. eine scheinbar nicht aufgefaßte Frage nachträghch beantworten.
Bei manchen Katatonikern besteht ein Zwang, die Aufmerksamkeit auf
bestimmte äußere oder namenthch innere Vorgänge zu richten. Besonders die Hallu-
zinationen erzwingen sich oft dauernde Beachtung gegen den Willen des Patienten.
Der Zustand der Aufmerksamkeit in der Benommenheit, in traumhaften und
halluzinatorischen Zuständen ist, weil einerseits zu schwer zu beschreiben und ander-
seits selbstverständHch, hier nicht berücksichtigt.
y) Der Wille.
Der Wille, die Resultante aller der v&schiedenen affektiven und asso-
ziativen Vorgänge, ist natürlich in der mannigfaltigsten Weise gestört, vor
allem durch das Darniederliegen der Gefühle. Schon leichtere Fälle kommen
wegen ihrer Abulie nicht selten in Konflikt mit der Umgebung; die Kranken
erschemen faul und nachlässig, weil sie keinen Trieb mehr haben, irgend etwas
zu tun, weder aus eigener Initiative noch auf Geheiß. Sie liegen jahrelano- im
Bett, oder wenn sie, in leichteren Fällen, noch Wünsche und Begehren haben,
Seite 23).'^''''" ''"'^^ "Ablenkbarkeit" (siehe>
58
Schizophrenie.
tun sie nichts zur Realisierung dieser Wünsche. Wir sehen aber auch die andere
Form der Willensschwäche, die darin besteht, daß die Kranken Antrieben,
von innen oder außen, nicht widerstehen können; was sie gelüstet, was ihnen
einfällt, das tun viele von ihnen gleich, teils ohne die Folgen zu überlegen, teils
bei voller Einsicht in die Konsequenzen, aus Mangel an Widerstandsfähigkeit
oder aus Gleichgültigkeit gegen die Folgen. Im Affekt sind sie deshalb zu allem
fähig und können auch schwere Verbrechen begehen.
Unter Umständen indes kann man geradezu von Hyperbulie sprechen.
Es gibt Kranke, die mit großer Energie durchführen, was sie sich in den Kopf
gesetzt haben, sei es nun etwas Vernünftiges oder etwas Unsinniges. Sie können
dann rücksichtslos gegen sich selbst sein, sich bis zum äußersten anstrengen,
Schmerzen und Unbilden aller Art erdulden und sich durch nichts von ihrem
Vorhaben abbringen lassen. In solchen Fällen können sie auch Ausdauer zeigen,
die unter Umständen jahrelang anhält.
Anderseits sieht man häufig, die auch sonst so gewöhnhche Verbindung
von Willensschwäche^) mit Eigensinn, indem je nach den Umständen
das eine oder das andere zur Geltung kommt. Überhaupt erscheinen die meisten
Patienten launenhaft, wankelmütig. Sie versprechen alles möghche, ohne es zu
halten. Bei den Anstaltsinsassen kommt es recht häufig vor, daß sie z. B. Arbeit
verlangen, aber sofort versagen, weiln man ihnen Arbeitsgelegenheit gibt. Auch
ihre Drohungen bleiben eben so oft unausgeführt.
Die Sperrungen sind auf dem Gebiete des Willens ganz besonders in
die Augen fallend: es ist nicht selten, daß die Kranken wirklich etwas tun
wollen, aber nicht können, indem ihnen der psychomotorische Apparat versagt.
Wenn solche Willenssperrungen anhalten, haben wir eine Form des kata-
tonen Stupors.
Unter anderen Umständen wieder können Zwangshandlungen und
automatische Handlungen und die Formen der Befehlsautomatie
auftreten. Diese Dinge gehören aber in ein anderes Kapitel (siehe unten, „Kata-
tone Symptome").
5) Die Person.
Die autopsychische Orientierung ist gewöhnlich normal. Die Kranken
wissen, wer sie sind, so weit nicht Wahnideen die Person fälschen. Ganz intakt
ist dennoch das Ich nirgends ; es zeigt regelmäßig gewisse Alterationen, namentlich
Neigung zu Spaltungen. Diese Störungen sind aber m den emfachen FaUen
nicht so ausgesprochen, daß sie sich gut beschreiben ließen. Sie sollen deswegen
unter den akzessorischen SjTuptomenkomplexen näher gekennzeichnet werden.
e) Die schizophrene Demenz.
Die schizophrene Inteüigenzstörung ist eigenthch durch den Zustand der
Assoziationen und der Affektivität am klarsten gekennzeichnet Die Beschrei-
bung der Resultanten dieser Funktionen wird der unendhchen Manmgfaltigkeit
^enschwäche hier sowohl im Sinne mangelnder Stärke der Triebkraft (Apathb)
wie in dem der mangelnden Nachhaltigkeit und Emheithchkeit des Wollens (Lumen
haftigkeit, Leichtsinn) und in dem der Hemmungsdefekte.
Gruadsymptome. Person. Schizophrene Demenz. 59
derselben niemals gerecht werden. Wir können also nur in Stichproben die
wichtigsten Richtungen der Störungen anfuhren.
Wir sprechen hier nur von der eigentlichen schizophrenen Demenz, mcht
der besonderen Färbung, die sie oft durch akzessorische Symptome bekommt.
von
Bei keiner Krankheit ist die Störung der Intelligenz mit den Worten Bhodsmn
und Demenz so unzulänglich bezeichnet wie bei der Schizophrenie. Von .^eüniUvem
Verlust der Erinnerungsbilder" oder anderen Gedächtnisstörungen, die zum Begri«
der Demenz gehören sollen, ist eben hier nichts zu sehen. So kommt es daß Psy-
chiater von schweren Schizophrenen behaupten können sie seien nicht dement,
oder daß man, wie einige französische Autoren, das Bedürfnis fühlte, diese Form
der Verstandesstörung als „Pseudodemenz" von den anderen abzutrennen. Jl.me
Demenz im Sinne der organischen Psychosen ist etwas prinzipiell anderes; ebenso
verschieden sind die mannigfaltigen Formen angeborenen Blödsinns, wenn auch die
defekte Leistun^r des Intellektes schließlich bei den verschiedensten Arten der Störung
zu einem äußerlich gleichen Resultat, zu ungeeigneter Reaktion auf die Verhältnisse
der Außenwelt führen kann. Mit anderen Worten, der Begriff der Demenz ist nahezu
so weit wie der der Geisteskrankheit überhaupt^) und enthält ebensoviel differente
Unterabteilungen wie dieser.
Zunächst ist festzuhalten, daß auch bei einer hochgradigen
Schizophrenie potentia alle bis jetzt der Prüfung zugänglichen
Orundfunktionen erhalten sind. Während bei der Idiotie kompliziertere
Zusammenhänge in Begriffen und Assoziationen gar nie gebildet werden, während
bei den Organischen vieles, wenn auch nicht dem Gehirn, so doch der Benutzung
durch die Psyche verloren gegangen ist, so kann auch der blödsinnigste Schizo-
phrene unter geeigneten Umständen auf einmal irgend eine recht hohe Leistung
produzieren („raffinierter" Fluchtversuch). Der schwere schizophrene
Blödsinn ist (außer durch den stärkeren Mangel an Interesse und
Betätigung) dadurch charakterisiert, daß unter allen Gedanken
und Handlungen numerisch viele Fehlleistungen sind; ob eine
gestellte Aufgabe schwierig oder nicht schwierig sei, ist dabei
von untergeordneter Bedeutung. Die Demenz der leichtesten
Formen ist umgekehrt dadurch zu kennzeichnen, daß diese Leute
für gewöhnlich ganz vernünftig, potentia aber jeder Dummheit
fähig sind. Der leichte Paralytiker oder Imbezille macht seine Ungeschick-
lichkeiten da, wo eine für ihn zu komplizierte Überlegung vonnöten wäre; in
einfacheren Dingen handelt er normal. Bloß bei diesen Kranken kann man
die Grade der Demenz nach der Höhe der möglichen Leistungen abstufen,
und auch da nur bei ganz vorsichtiger Prüfung unter Berücksichtigung der
Konstellation, der Stimmung, der Ermüdung, individueller Eigentümlichkeiten
usw. Wer von diesen Patienten nicht fähig ist, eine Multiplikation zu machen,
wird einer Division noch weniger gewachsen sein; wer den Witz einer Fabel
nicht erfaßt, wird einen Roman nicht verstehen, und wer umgekehrt den ganzen
Zusammenhang eines Romans begreift, dem kann eine einfachere Geschichte
^) Wie unklar der Demenzbegriff ist, zeigt am besten die Diskussion über das
Vorhandensein von Blödsinn bei Paranoia. Die einen halten die Paranoiker für dement,
weil sie so unlogisches Zeug glauben und nach demselben handeln; die andern halten
sie nicht für dement, weil sie in ihrem Berufe als Architekten, Richter, Gelehrte noch
ganz richtig handeln.
60
Schizophrenie.
keine Schwierigkeiten machen. Ganz anders bei der Schizophrenie : Ein Kranker,
der zu einer bestimmten Zeit nicht 17 und 14 zusammenzählen kann, auch
wenn er sich ernsthch anstrengt, löst auf einmal eine schwierige Rechenaufgabe
oder hält eine wohlgesetzte und erfolgreiche Rede. Es kann ein Schizophrener
die Handlungen, den Krankheitszustand und die Zweckmäßigkeit der ergriffenen .
Maßregeln bei seinen Nebenpatienten mit klarer Kritik bem-teilen und zu gleicher
Zeit nicht begreifen, daß er selber außer der Anstalt unmögUch ist, wenn er
jede Nacht Skandal macht und die Leute prügelt. Ein Kranker kann jahrelang
in blöder Euphorie auf seiner Bank gesessen und nichts als die banalsten Phrasen
geäußert haben, um dann auf einmal an allen Arbeiten teilzunehmen und zu Hause
in allen Beziehungen als geheilt zu erscheinen. Das äußere Bild des schizophrenen
Blödsinnes wird deswegen viel mehr durch den Zustand der Affektivität,
namentlich des Interesses und der Spontaneität, gekennzeichnet als durch die
Intelligenzstörung im engeren Sinne. Diese ist im wesentlichen ein numerischer
Begriff und läßt sich nicht nach der Höhe der möghchen Leistungen, sondern
nach dem Verhältnis der richtigen zu den falschen Leistungen abstufen.
So ist es in allen Beziehungen vmrichtig. wenn man versucht, den Blödsinn
eines Schizophrenen mit der Intelligenz eines Kindes von bestimmtem Alter zu
vergleichen (Rizor, S. 1027), und es zeugt von einer vollständigen Verkennung der
schizophrenen Eigentümlichkeiten, wenn man glaubt, durch eine , .Intelligenz-
prüfung" — dauere sie ein paar Minuten oder ein paar Tage — den schizophrenen
Blödsinn nachweisen oder ausschließen zu können. Der Bestand an Wissen bleibt
ja im großen luid ganzen erhalten, er steht aber nicht immer zur Verfügung oder
wird in unrichtiger Weise verwertet. Was jedoch in der einen Konstellation der
Psyche unzugänghch ist, das kann in der andern frei benutzt werden. Deshalb ver-
sagen auch die Ebbi ngh aussehen Ergänzungsversuche wie die Heilbronner-
schen (293 a) Bildertests bei dieser Krankheit sehr oft^) und unter allen Umständen
sind sie dann unbrauchbar, wenn man die InteUigenz graduell bestimmen will. Das
Leben, die Mängel in der Anpassung an die Umgebung, zeigen bei den leichteren
Fällen allein, wie weit vorgeschritten der Blödsinn ist. In der Anstalt läßt sich eine
kurzdauernde Prüfung am ehesten in der Form machen, daß man den Kranken über
seine eigene Lage, den Grund der Internierung, sein Verhältnis zu den Gewalt-
habern, seme Zukunftspläne ausfrägt. Doch kann auch da ein volles Verständnis
vorhanden sein bei schweren Defekten auf anderen Gebieten.
Wemi man also bei unseren Kranken von intellektuellem Blödsinn sprechen
will, muß man sich etwa so ausdrücken: Der Schizophrene ist nicht blöd-
sinnig schlechthin, sondern er ist blödsi n nig in bezugauf gewisse
Zeiten, gewisse Konstellationen, gewisse Komplexe. Bei dem leichter
Kranken sind die mangelhaften Funktionen aie Ausnahmen; bei den schwersten
FäUen, die teilnahmlos in unseren Pflegeanstalten herumsitzen, sind sie die
Regel; dazwischen gibt es alle Übergangsformen. Der Unterschied zwischen
leichtem und schwerem Blödsinn ist ein extensiver, nicht ein intensiver Der
leichte Schizophrene kann _eben so große Dummheiten machen wie der Schwer-
kranke, aber er macht sie seltener.
1) Manche Patienten allerdings brauchen auch für richtige Lösungen abnorm lange
Zeiten, und viele der schwerer Kranken sind einer solchen Aufgabe gar i^^ht gewachsen,
sie füllen die Lücken mit unpassenden oder ganz falschen Wörtern aus und lassen daoei
die Rücksicht nicht nur auf den Sinn, sondern auch auf die Grammatik aulier acut.
Grundsymptome. ScLizoplireiie Demenz,
61
Immerhin ist der intellektuelle Defekt nicht ein ganz regelloser, die besonders
schlechten Leistungen sind z. B. an die gefühlsbetonten Komplexe gebunden. Ferner
ist es selbstverständlich, daß bei jedem Grad der Erkrankung die Chancen für Al-
teration einer Verstandesfunktion um so größer sind, je komplizierter diese ist. Wenn
durchschnittlich von 100 Assoziationen eine pathologisch ist, so wird die Funktion,
die aus einigen wenigen Assoziationen besteht, nur selten gestört sein, die aus mehreren
hundert Einzelfunktionen zusammengesetzte fast immer. Dazu kommt, daß den
Schizophrenen offenbar die Fähigkeit der Zusammenfassung vieler^ Begriffe unter
einem einheitlichen logischen Gesichtspunkt erschwert ist, was wieder die kom-
plizierten Funktionen mehr schädigen wird als die einfachen. So werden also doch
im großen und ganzen die höheren geistigen Funktionen stärker gestört sein.
Die Anomalie, die man sciiizoplirenen Blödsinn nennt, setzt sieb zusammen
aus den "Wirkungen der Assoziationsstörung, der Gleichgültigkeit und Reiz-
barkeit auf affektivem Gebiete und der autistischen Abschließung von den
Einflüssen der Außenwelt.
Unter dem Zerfall der Assoziationen leiden schon die Begriffe. Allerdings
erscheint die Hauptmasse derselben in den Dauerzuständen nicbt viel weniger
scharf als bei Gesunden; man siebt z. B. sehr wenig von der Verwaschenheit,
wie sie bei den Begriffen blöder Epileptiker so auffallend ist, wenn auch da
und dort die Neigung besteht, Allgemeinbegriffe zu brauchen, wo speziellere
angezeigt wären. So nennen unsere Klranken eben eiserne Instrumente ,, Eisen"
oder eine Schaufel ,,ein Hausgerät". Wenn auch solche Bezeichnungen außer
bei speziellem Fragen selten sind, so handelt es sich doch meist um Anomalien
der Begriffe und nicht bloß des Ausdruckes. Eine eigentliche schizophrene Ver-
armung an Begriffen in dem Sinne, daß einzelne derselben verloren gingen,
kenne ich nicht. Dagegen werden die Begriffe nicht immer in allen
ihren Bestandteilen gedacht. Es handelt sich dabei immer um Störungen,
die von einem Moment auf den andern wechseln können. Einigermaßen kon-
sequente und andauernde Defekte zeigen sich nur an Begriffen, die in AVahn-
ideen verwoben sind oder sonst von gefühlsbetonten Komplexen konstelliert
werden.
Wernickes Methode, die Kranken nach den Unterschieden verwandter
Begriffe zu fragen, ist deshalb zur Untersuchung der Störung ganz ungenügend,
wenn auch natürlich unter Umständen die Vergleichung und Unterscheidung un-
vollständig gedachter Begriffe leiden muß. Es ist äußerst wahrscheinhch, daß die
Hebephrene S. 41 seiner Krankenvorstellungen den Unterschied von Stadt und Dorf
sehr gut kannte, trotz ihrer sonderbaren Antworten, die übrigens gar nicht auf ein
Nichtwissen, sondern höchstens auf eine Parafunktion der aktuellen' Assoziationen
deuten. Ebensowenig kann ich glauben, daß der Kranke Wer nie kes, der den Wärter
für seine Schwester Laura bält^), die Erinnerungsbilder der männlichen und weiblichen
Kleidung vergessen habe. Besonnene Schizophrene gehen mit solchen Begriffen und
Erinnerungsbildern in der Regel ganz gut um; Ausnahmen machen sie nur bei be-
stammten psychischen Konstellationen, z. B. wenn die Komplexe mitspielen bei
Unaufmerksamkeit, und dann aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zuständen
stärkerer organischer Affektion. So assoziiert ein Hebephrener auf Faß ~ Rad und
>;o,gt, daß ihm überhaupt die Begriffe Rad und Reif - zurzeit - ungefähr identisch
«UKl. Der gleiche Kranke kann aber nachher diese Begriffe sehr gut unterscheiden,
^) Zitiert nach Sandberg, S. 627.
62
Schizophrenie.
ohne daß die Krankheit eine Veränderung zeigte. Bei Verkennungen von Dingen
wird oft nur ein Teil von deren Eigenschaften beachtet (die anderen sind nicht ganz
„vergessen ) und dann frei zu einem andern Gegenstand ergänzt: ein an der Wand
hangendes Bild mit tiefem Rahmen ist z. B. ein Spucknapf; die Notleiter vor der
Abteilung ist „unsere Scheunenleiter"; der Direktor ist Pfarrer F (weil er hier
dirigiert, v\ue Pfarrer F. im Krankenhaus) ; die Baumwollspinnerei, in der ein Patient
gearbeitet hat, wird als Kleiderfabrik bezeichnet.
Durch die Verdichtung werden mehrere Begriffe in einen einzigen
zusammengezogen. Namentlich mehrere Personen werden oft als eine aufgefaßt.
Ein Patient ist sogar selbst Vater und Mutter seiner Kinder. Ein anderer unter-
scheidet während eines akuten Schubes, in dem er aUerdings oft ganz leicht
dämmerig erscheint, nicht zwischen seinen Kindern, wie sie jetzt sind und
wie sie als Säuglinge waren; wenn von sexuellen Dingen und von Kindererziehung
die Rede ist, fließen ihm seine Frau und sein eigenes Ich in einen unteilbaren
Begriff zusammen; in ganz gleicher Weise vermengt er hiesige und häusliche
Verhältnisse: bei Fragen und anderen Anregungen kommt es aufs gleiche heraus,
von welchem Teile dieses Begriffspaares er selbst oder der Untersucher redet,
er sagt von beiden die gleichen Dinge aus, und es ist nicht möglich, eine Trennung
zu erzwingen. Eine Patientin identifiziert die Jugendgeschichte Moses und den
bethlehemitis chen Kindermord.
Oft sind es die gefühlsbetonten Komplexe, welche die Umänderung der
Begriffe determinieren.
Da spricht eine Patientin, die von der Zukunft etwas Außerordentliches er-
wartet, ganz selbstverständlich von ihren „zukünftigen Eltern". Ein Paranoider
mit militärischem Ehrgeiz hat sich ,,als General in französischer und schweizerischer
Uniform" abgebildet gesehen; die Vermischung der beiden Armeen stört ihn nicht,
imd auf den Einwand, daß die Schweiz gar keinen General habe, meint er, ein Oberst
sei auch ein General. In solchen Fällen läßt es sich leicht nachweisen, daß nicht nur
die Ausdrucksweise, sondern wirkUch die Begriffe alteriert sind. Ein Hebephrene
unterzeichnet einen Brief an die Mutter „dein hoffnungsvoller Neffe"; wie er dazu
gekommen, ist nicht herauszubringen; Patient verteidigt den Unsinn damit, seine
Mutter habe ja eine Schwester, und dieser sei er Neffe ; sicher aber ist da die Vorstellung
verwandtschaftHcher Verhältnisse wenigstens für einige Momente unklar geworden.
Eine Katatonika hat eine Uhr zum Geschenk bekommen, an der sie Freude hat;
sie hat aber auch Freude an ihrem übrigen Eigentum sowie an ihrem Schatz; alles
das ist ihr ein einziger Begriff geworden, den sie meist mit dem Ausdruck „Geschenk"
bezeichnet. — Hinter den uneigentlichen Ausdrücken der Halluzinanten stecken
häufig stark erweiterte Begriffe; ein Hebephrene „hat zweimal Schmerzen gehabt,
das ist Giftmord".
Die Identifikation zweier Begriffe auf Grund eines gemeinsamen Bestand-
teiles führt in vielen Fällen zum Symbol, das in den Wahnideen eine hervor-
ragende Rolle spielt. Ein Patient unterzeichnet sich als „Anfang und Ende der
Welt"; darin ist seine Wahnidee ausgedrückt. Das Symbol wird unseren Kranken
gern zur Wirklichkeit; wenn sie ihre heimliche Liebe brennt, so können sie sich
von wirklichen Menschen mit wirklichem Feuer gebrannt glauben. Ähnlich sind
Vorstellungen wie die folgende: Ein Katatoniker macht mit den Brauen eine Be-
wegung wie Frl. N. und behauptet nun, mit ihr geschlechtlich verkehrt zu haben;
die Geste des Frl. N. an seinem Körper ist ihm gleichwertig mit dem Frl. N. selbst.
Grundsymptome. Schizophrene Demenz.
Die Begriffsalterationen der Schizophrenie haben das^ eigentümliche, daß
einfache Begriffe nahezu ebensogut gestört sein können wie komphzierte und
Wig zu erfassende. Ausschlaggebend ist in erster- L.me die Zugehörigkeit zu
etm gffühlsbetonten Komplex, die eine Begriffsbi dung bald erleichtert ba^d
verhindert. Außerdem schwankt die Störung mit den Wellen der Kranlcheit,
Z bald den größten Teil des Denkens erfassen, bald wieder eich auf wemge
Einzelfunktionen zurückziehen. v i. i • n„^««
Mit den unausgedachten Begriffen lassen sich naturhch kerne klaren
Denkoperationen ausführen.
Ein träger Kranker hat endlich einmal eine halbe Stunde ein wenig gearbeitet.
Nun glaubt er sich zum Bezüge aller möglichen und unmögbchen Belohnungen
berechtigt und setzt die Arbeit wieder aus, weil er nichts erhält. Er denkt noch
richtig daß er für die Arbeit Belohnung bekommen müsse, aber er unterscheidet
nicht zwischen halbstündiger und lang andauernder Arbeit, ebensowenig wie zwischen
kleinen und großen Belohnungen; die kurze Arbeit ist ihm Arbeit überhaupt; unter
Belohmmg versteht er alles, was er gerade wünscht. Die Vorstellungen von Leistung
und Lohn smd unklare, deshalb ist eme richtige quantitative Korrelation zwischen
beiden Begriffen unmöghch.
Die unscharfe Begrenzung von Begriffen begünstigt ganz unsinnige Ver-
allgemeinerungen mancher Vorstellungen.
Bei einem Paranoiden hört das halluzinierte Geräusch einer Maschine auf;
nun hört für ihn die Anstalt auf. Ein anderer Paranoider hatte feierbch mit einem
Gegner Frieden geschlossen; nun wollte er auch sonst als Friedensstifter auftreten.
Ein Hebephrene gab seinem Vater eine grobe Antwort und glaubte nachher, er
müsse sich für den Fehler reinigen; die Reinigung dehnte er schließhch auf alles
möghche aus, er wusch nicht nur sich und die Möbel, sondern legte auch die Kleidungs-
stücke aufs Dach, damit sie vom Eegen geremigt werden^). Die eigentbchen Wahn-
ideen dehnen sich oft in der Form solcher Verallgemeinerungen aus.
Die Affektstörung wirkt in mannigfaltiger Weise auf die Intelligenz. Wo
das Interesse fehlt, wird wenig gedacht oder nicht zu Ende gedacht. Hat der
Kranke aber einmal eine ernste Strebung, so kann er ausnahmsweise zur Er-
reichung eines ersehnten Zweckes ganz scharfsinnige und komplizierte Deduk-
tionen machen. Umgekehrt denken viele leichtere Paranoide nur dann unrichtig,
wenn ihre Komplexe direkt in Betracht kommen. Sehr eher konnte seine Bevor-
mundungsgutachten in scharfsinniger Weise kritisieren, während er die blöd-
sinnigsten Wahnideen verteidigte.
Die intellektuelle Leistung wechselt überhaupt mit den
gefühlsbetonten Komplexen, die die Überlegung bald unter-
drücken, bald in ihren Dienst nehmen und begünstigen. (Mit diesen
funktionellen Schwankungen sind nicht zu verwechseln die Schwankungen der
Krankheit; oft erscheint ein Patient zu einer bestimmten Zeit deshalb blöd-
sinniger, weil sein Krankheitsprozeß intensiver ist.)
Die Affektivitätsstörung ist die wichtigste Ursache des „Verlustes der
psychischen Wertzeichen" (Schuele). Auch Idioten und Organischen
^) Hier ist die Erweiterung des Begriffes zugleich eine Übertragung; das Gefühl der
moralischen Unreinheit führt wie bei bloß Nervösen häufig zu übertriebener physischer
Reinlichkeit.
64
Schizophrenie.
mange t oft das Gefühl für die Unterscheidung von Wesenthchem und Un-
wesenthchem; den Idioten, weil sie komplizierte Ideen nicht in ihrer Gesamtheit
erfassen können, den Organischen aus dem gleichen Grunde und dazu noch
weil der Ideengang emgeschränkt wird auf das, was dem herrschenden Affekt
entspricht. Bei der Schizophrenie ist der Vorgang viel komplizierter. Die Ideen
werden in ganz unregelmäßigen Bruchstücken gedacht, die manchmal das Fern-
liegende enthalten, das Nächste vermissen lassen; die Affekte hemmen und
bahnen die Assoziationen in noch viel ausgedehnterem Maße als bei den Or-
ganischen, und darüber hinaus sind sie selbst qualitativ und quantitativ ver-
ändert. Ist es dem Kranken gleich, ob seine Famihe und er selbst zugrunde
gehe, ob er immer eingesperrt bleibt, ob er im Schmutz liegt oder nicht, so
können diese für andere so wichtigen Ideen keinen Einfluß auf die Überlegung
haben. Hat ein solcher Kranker die Wahl, irgend eine Marotte aufzugeben oder
seine Stelle zu verHeren, so entscheidet er sich ohne Besinnung für das letztere,
weil nur die Marotte mit Affekt betont ist. Das ist eine der wichtigsten Seiten
des schizophrenen Blödsinns.
Mit der Affektivität ist auch die Suggestibilität verändert. Sie ist
im ganzen herabgesetzt; das erschwert die psychische Beeinflussung von außen,
und erleichtert dem Patienten selbst die Benutzung eines eigenen Urteils, wo
ein solches noch möghch ist. IntelHgentere Schizophrene haben in dieser Be-
ziehung geradezu einen Vorteil in der Durchführung neuer Ideen. Nicht nur
daß sie wegen der Lockerheit der Assoziationen vom Gewöhnlichen Abweichendes
eher auffassen und konzipieren können als Normale ; sie sind auch unabhängiger
vom Urteil der anderen und haben deswegen die Kraft, Dinge durchzuführen,
die Gesunden undenkbar erscheinen. Ich wurde einmal wegen eines Schizo-
phrenen konsultiert, der jetzt daran ist, mit Hilfe der Staatsbehörden in ver-
schiedenen Ländern Pläne von sehr weitgehender ökonomischer Tragweite zu
realisieren, Pläne, die der Normalmensch auch etwa gedacht haben mag, aber
für undurchführbar hielt. Jede neue Bewegung, sie sei gut oder schlecht, zieht
regelmäßig Schizophrene in ihren Bann.
Allerdings verbindet sich in anderen Fällen die Oberflächlichkeit der
Affekte mit der assoziativen Denkstörung zu einer übertriebenen Gläubigkeit.
Ein äußerhch ganz besonnener, in den Zwischenzeiten als Setzer arbeitender
Hebephrene ließ sich viermal unter dem immer gleichen Vorwand, man gehe
wegen eines körperlichen Leidens zum Arzte, in die Anstalt bringen. In kom-
plizierten Geschäften werden die Kranken gerne die Beute derjenigen, die sie
zu nehmen wissen. Hypochondrisch Angelegten kann man durch eine Frage
leicht eine Krankheit ansuggerieren. Natürhch bestimmt die Richtung der
Komplexe die Richtung partieller Suggerierbarkeit; eine intellektuell noch sehr
gut erhaltene Kranke mit hypochondrischen Ideen war von uns in zwei Monaten
durch allerlei suggestive Bemühungen bedeutend gebessert worden. Ein Verkehr
von nur wenigen Tagen mit einer Melanchohschen brachte sie in den früheren
Zustand zvu'ück. Paranoide lassen, sich durch jeden Dummkopf aufschwatzen,
daß der oder jener ihr Feind oder ihr Helfer sei, während sie logischen Beein-
flussungen gänzlich unzugänglich sind.
Auch gleichgültige Beeinflassungen nehmen Schizophrene oft auffallend
leicht an. Einer Paranoiden antwortete ich einmal statt nein „noi" mit schwä-
I
Grundsymptome. Schizophrene Demenz.
65
bischem Ton (der in gar keinem Zusammenhang mit unserem Gespräch stand).
Sofort fing sie an, das schwäbische Idiom zu imitieren, obschon sie zu diesem
in keiner Weise nähere Beziehungen hatte als jeder beUebige Zürcher. Sie blieb
dann dabei bis zum Ende des Gespräches, obschon ich ihr keinen Anlaß mehr
dazu gab.
Man kann auch frische wie" längst erkrankte Schizophrene hypnotisieren;
doch geht die Macht der hypnotischen Suggestion der Krankheit gegenüber
nicht sehr weit.
Der Masse nsuggestibi Ii tat können sich viele Schizophrene besser ent-
ziehen wie Gesunde. Doch steigert sich auch hier der Einfluß irgend einer Suggestion,
wenn sie einer Anzahl Personen zugleich gegeben wird. Schizophrene sind denn
auch merkwürdigerweise das feinste Reagens auf den Spiritus loci. Es kann nicht
Zufall sein, daß von Anstalt zu Anstalt, von Arzt zu Arzt, von Wärter zu Wärter
die äußere Form der Krankheit so stark wechselt. Katalepsie, Negativismus, Hyper-
kinese, Gewalttätigkeit, Selbstmordtrieb, Notwendigkeit der Sondenfütterung und
andern Zwanges, alles das ist nach Ort und Zeit quantitativ sehr verschieden, auch
wenn man an leitender Stelle das Möghchste tut, die Behandlmig gleichförmig zu
machen. Die Suggestion geht aber nicht allein von dem Anstaltspersonal und den
Einrichtungen aus, sondern ebensogut von den Patienten. Ein einzelner Kranker
kann eine ganze Abteilung vergiften. Wenn jemand auf einer Abteilung geschickt
den Ton angibt, so hat er gewöhnlich imter den aktiveren Schizophrenen rasch eine
Anzahl Nachbeter; auf der einen Abteilung ist z. B. eine Speise verpönt, auf der
andern eine andere, bis der Modemacher versetzt wird.
Die Macht der Suggestion kommt auch beim induzierten Irresein zur
Geltung, wobei es sich ja oft so verhält, daß ein aktiver Schizophrener sein Wahn-
system einem latent schizophrenen Famihenglied aufoktroiert.
Eine ganz besondere Erhöhung der Suggestibihtät zeigt sich in der Form der
Befehlsautoraatie, die bei den katatonen Symptomen besprochen werden soll.
Der Stand der schizophrenen Intelhgenz ist natürlich auch in wechsel-
seitigem Zusammenhang mit dem Autismus. Dieser kann nicht ohne die
InteUigenzschwäche entstehen, bewirkt dann aber seinerseits die blödsinnigsten
Fehler der Logik durch den Ausschluß der Wirklichkeit vom Denkmaterial.
So bei der „erotomanischen" Jungfrau, die einen hochstehenden Herrn zu
heiraten gedenkt, obschon der in Wirklichkeit gar nichts von ihr wissen will.
Em Hebephrene ernennt seinen Oheim zum General, damit er ihm besser helfen
könne, als wenn er nur Oberst ist; die Assoziation, daß diese Ernennung gar
keine Wirkung haben kann, wird nicht gemacht. — Auf die Frage: „Waren
Sie auch schon in einer Anstalt?" antwortet ein anderer Patient: „Nein, aber
unschuldig".
Mit dem Autismus hängt auch zusammen der verminderte Einfluß
der Erfahrung. Gebrannte Schizophrene fürchten das Feuer gar nicht immer.
Wenn es ihnen noch so schlecht bekommt, überlassen sie doch immer wieder
die Führung ihren verdrehten Ansichten oder ihrer Nachlässigkeit. Allerdings
gilt das nicht von allen Erfahrungen. Disziplinarstrafen und Belohnungen haben
auch auf ganz schwere Kranke oft noch einigen erzieherischen Einfluß
Am meisten Unordnung in das logische Denken bringt natürHch die Asso-
ziationsstorung. Logisches Denken ist Reproduktion von Assoziationen
gleich oder analog, wie sie die äußere Erfahmng eingeübt hat. Durch die
Handbuch dor Psychiatrie: IJ leuler.
5
66
Schizophrenie,
Lockerung der gewohnten Verbindungen zwischen den Begriffen wird das Denken
von der Erfahrung losgelöst und kommt in falsche Bahnen; Sperrungen setzen
gerade an den wichtigen Stellen ein, so daß der Kranke gewisse Dinge gar nicht
fertig denken kann; und was das Schlimmste ist, statt der abgesperrten Asso-
ziationen tauchen andere auf, die nicht zu diesem Ideengang oder nicht an diese
Stelle desselben gehören. So kann die Geschichte von dem Esel, der zuerst
mit Salz, dann mit Schwämmen durch den Bach gegangen ist, erzählt werden:
„Man hat dem Esel soviel aufgeladen, bis es ihn erdrückt hat , dann ist
es bei der kathohschen Konfession der Brauch , man hat gesagt, das
wäre die letzte Ölung, die man Sterbenden reiche."
Sind die unpassenden Ideenverbindungen sehr zahlreich, so kann es gar
nicht zu einem Resultat des Gedankenganges kommen, weil die Denkrichtung
'beständig wechselt.
Viele logische Operationen mißhngen deshalb, weil ein behebiger Gedanke
:sofort mit dem herrschenden Komplex verbunden wird (Beziehungswahn),
•oder weil umgekehrt die Patienten keine Verbindung mit den Komplexen finden
können. So werden die meisten direkten Fragen nach den die Symptomatologie
bestimmenden affektiven Ereignissen zunächst oder andauernd negativ beant-
wortet, oder die Patienten weichen aus. Die Kranken sind in die Irren-
anstalt gekommen, „weil sie sich den Fuß verstaucht haben," oder sie sind
(auf die Frage warum?) „in einer Droschke gekommen". Es handelt sich hier
wirklich um ein Danebendenken, nicht nur um ein Danebenreden.
(Was sagen die Stimmen?) Ich habe auch zwei Kinder. (Wiederholung der
Frage.) Man sagt hier vielerlei. (Wiederholung.) Nicht viel. (Wiederholung.) Ich
rede überhaupt nicht viel. (Wiederholung.) Ja, nicht viel. (Wiederholung.) Ja, ich
kann es nicht sagen. (Warum nicht?) Ich weiß es nicht. (Was sagen die Stimmen?)
Ja, man redet etwa miteinander; zu viel rede ich nicht.
Diese Art des Denkens kann auf gleichgültige Themen übergreifen, ja
sich ganz verallgemeinern. Die Frage, welches Datum wir haben, kaim dann
beantwortet werden mit: „das gleiche" (welches gleiche?) „eben das Datum,
das wir heute haben". Derartige Antworten können von nicht benommenen
Patienten gegeben werden, auch wenn sie sich anstrengen, richtig zu denken;
sie kommen über solche allgemeine Redensarten nicht hinaus.
Den Eindruck hochgradigen Blödsinns macht namenthch das so häufige
In -den -Tag -hinein antworten: (Wann geboren?) „1876". (Ist das
richtig? Wann?) „1871". (Welches richtig?) „1872". (In Wirkhchkeit ist gar
keine dieser Zahlen richtig.) Namenthch bei Fragen, die bloß mit Ja oder Nem
zu beantworten sind, muß man sich sehr hüten, die Antwort für- bare Münze
zu halten. Oft geht es folgendermaßen zu: (Wollen Sie aufstehen?) „Ja". (WoUen
Sie im Bett bleiben?) „Ja".
j Die ungenügende Hinzuziehung der notwendigen Assoziationen bedingt
auch ein vorschnelles Fertigwerden mit den Überlegungen. Oft fangen
die Kranken schon mit der Antwort an, bevor man die Frage zu Ende gesprochen.
Daher auch so viele unfertige „blödsinnige" Urteile.
Das unvermittelte Auftauchen neuer Ideen führt zu pathologischen
Einfällen. Da verlangt ein Katatoniker auf einmal allen Ernstes, den Niagara
Grundsymptome. Schizophrene Demenz.
67
zu sahen; ein anderer hat beim Eintritt nichts Wichtigeres zu fragen, als ob
die Sahara no^h in Afrika sei.
Ganz besonders unsinnig werden die Resultate, wenn eine Spaltung zwischen
den logischen Direktiven des Gedankenganges und dem inhaltlichen Assoziieren
eintritt, und jede dieser Funktionen ihren besonderen Weg geht.
Ich frage einen Patienten, was ein bekannter Herr für ihn tun könne. Antwort:
Nichts außer wenn ich ein Gedicht von ihm bekommen könnte." Formell hat er
mir die Antwort auf meine Frage gegeben; das Gedicht wird in richtiger logischer
Form als der gewünschte Gegenstand bezeichnet; in Wahrheit aber hat Patient
diesen Begriff nur bekommen von einem Gespräch über Gedichte, das ich unmittel-
bar voj'her mit einem andern Kranken geführt habe, und er wünscht gar kein Ge-
dicht. — Ich bestreite einer Kranken, daß sie ein Haus besitze; „doch," gibt sie
mir zur Antwort, „das weist die Musik aus"; in der Ferne intonierte gerade eine
Musik, und die so erhaltene Idee wurde gleich als Beweis gegen meine Einrede ver-
wertet.
Der Gedankeninhalt ist häufig determiniert durch einen abrupten Einfall
(Warum schütteln Sie die Hände? ,,Weil ich keinen Studenten essen kann"),
durch einen Wunsch oder eine Befürchtung, die den Kranken beschäftigt (der
Patient schmiert, „um in eine bessere Abteilung zu kommen"), oder er wird
ihm von außen gegeben (Beispiele oben), oder er gehört zu dem in der Frage
gegebenen Gedankenkreis. So ist es gar keine inhaltliche Motivierung, wenn
der Patient Stranskys erklärt, er gerate in Wut, weil der Arzt ein graues
Kleid trage; nach meiner Erfahrung gerät der Patient aus irgend einem andern
mit seinen Komplexen in Verbindung stehenden Grunde in Wut und gibt dann
aufs Geratewohl das graue Kleid des Arztes, das er vor sich sieht, als Grund an.
Solche nachträgliche Pseudomoti vier ungen, an die die Patienten selber
glauben, sind bei der Schizophrenie etwas ganz Gewöhnliches. Einer unserer
Kranken wußte wohl, daß er die Motivierungen immer erst nachträglich mache,
„nachdem er sich über die begangenen Dummheiten verwundert habe". Eine
Patientin war wegen eines Suizidversuches ins Bett gebracht worden und be-
hauptete, sie hätte den Versuch gemacht, weil sie im Bette liegen müsse. Die
nämliche „Treppenbegründung" ist es auch, wenn ein liederlicher Hebephrene
seine Schulden nur deshalb gemacht haben will, um der Frau zu zeigen, daß
er ohne sie Geld bekomme, oder wenn ein gefährlich Drohender seinen Revolver
nur gekauft hat, um zu beweisen, daß er seiner Frau nichts antue, obschon
er einen Revolver habe. In solchen Fällen macht die hintendrein erfundene
Begründung bei oberflächlichem Zusehen den Eindruck eines wirklichen Grundes,
so daß sich oft auch intelligente Leute täuschen lassen, dem Patienten eine
gesunde Überlegung zuzuschreiben.
Auffallend ist die U ne mpf i ndlich keit der Kranken gegen die
gröbsten Widersprüche. Ein Hebephrene kann sich im Hauptsatz darüber
beklagen, daß er nie schlafe, während er im Nebensatz ausführt, wie herrlich
er geschlafen habe. Die Kranken beklagen sich bei ihren Verwandten mit den
schärfsten Ausdrücken, daß man ihnen irgend etwas nicht erlaube; sobald sie
die Erlaubnis haben, wollen sie sie nicht benutzen. Ein Kranker verlangt im
gleichen Brief von der Frau erstens ein Rasiermesser, um sich das Leben zu
nehmen, zweitens die Abholung und drittens ein Paar Schuhe.
5*
68
Schizophrenie.
Es hilft nur ausnahmsweise etwas, die Patienten auf die Widersprüche
aufmerksam zu machen. Das Bedürfnis, sich die Dinge logisch zu gestalten
sie auszudenken, unter einen bestimmten Gesichtspunkt zu bringen ist über-
haupt sehr stark herabgesetzt. Während am andern Extrem die Alkoholiker in
ihre Erzählungen immer noch Ergänzungen zur Abrundung und zur kausalen
Begründung von Handlungen aus freier Erfindung einfügen, denken die Schizo-
phrenen umgekehrt logische Bruchstücke. Die Kausahtät scheint oft für sie
gar nicht zu existieren. Viele kümmern sich nicht darum, woher ihre Stimmen
kommen; sie können lange in der Anstalt eingesperrt sein, ohne nach einem
Grunde zu fi-agen. Es scheint das nicht nur ein affektiver, sondern auch ein
logischer Defekt zu sein.
So fehlt den Kranken in gewissen Beziehungen die Diskussionsfähig-
keit. Sie denken etwas, und dann ist es so; zur Unterstützung geben sie höchstens
Scheinbeweise, und die klarsten Gegenbeweise bleiben wirkungslos.
Bei komphzierteren Aufgaben erscheinen die Kranken oft so zerfahren,
ihre Psyche so zerspalten, daß man die Genese der Denkfehler nicht mehr so
leicht finden kann. Doch lassen sich bei einiger Geduld auch in solchen Fällen
Stichproben gewinnen.
Die Denkstörung zeigt sich in ihren verschiedensten Formen beim Er-
kennen von Bildern. Manche Kranke allerdings kennen einfache und kom-
plizierte Bilder so gut wie Gesunde; die von Jung beschriebene Paranoide
B. St. war allen darauf hin geprüften Wartpersonen im Verständnis bildlich
dargestellter Situationen überlegen. Dagegen werden von vielen Kranken
kompliziertere Bilder gar nicht oder nur teilweise erfaßt oder falsch ausgelegt;
letzteres namentHch, indem sie an Komplexe assoziiert werden. Aber auch
Bilder einfacher Gegenstände werden verkannt.
Eine leicht erregte Hebephrene nennt einen Studenten eine Tabakspfeife":
sie beachtet nur einen Teil. Einen Hammer nennt sie „die Natur (= Sperma), den
Hammer": der Hammerstiel ist ihr zwar der Hammerstiel, aber zugleich ent-
sprechend ihren erotischen Komplexen auch der Penis; eine Uhr ist ihr ,,eine Elek-
trisieruhr", weil sie die Vorstellung der sexuellen Halluzinationen damit verbindet.
Einen Tannenzapfen in natürlicher Größe und Farbe nennt sie eine Ähre; sie beachtet
nur die Form und auch die ungenügend. Eine andere nennt die Ohren des Zebra eine
,, Schleife am Kopf", entsprechend ihren auf Schmuck und Größe gerichteten Ten-
denzen. Eine Teilvorstellung erscheint in den Antworten: ,, aufgehäugt" (statt
hängende Wäsche), „ein Haufen" (statt Kartoffeln). Manchmal ist die Absperrung
gerade wie die Anknüpfung eine systematische: (Braut) ,,weiß nicht was"; (was
machen die? [Musikanten]) „Lärm". (Braut besonders gezeigt) „eine Frau, trägt
einen Hut" (als Hut wird der Strauß bezeichnet). Dinge, wie Spargel, Schlange
werden gern falsch bezeichnet, gewöhnhch in Verbindung mit anderen Zeichen
erregter Sexualität.
Manchmal wird an gezeigte Bilder auch von sonst attenten Kranken
offenbar gar nichts assoziiert (ähnlich wie es uns mit den tausend Dingen geht,
die wir auf der Straße sehen, ohne sie zu beachten).
Charakteristisch ist manchmal auch das Erzählen von Erlebtem oder Ge-
ksenem. Oft zeigt sich ein Unterschied zwischen Erfahrungen vor und nach der
Erkrankung. Bei den letzteren können natürhch die verschiedenen Störungen
der Auffassung das Kesultat trüben; manchmal aber kommt auch bei guter
Gruudsymptome. Schizophrene Demenz.
69
Auffassimg und bei gutem Willen in Betracht, daß die Kranken etwas Neues
nicht mehr verarbeiten; sie erzählen dann die früher gelernten Geschichten,
wenn auch stückweise, in richtigen Zusammenhängen, die neu gelesenen un-
genügend. Manchmal setzen sie auch in die alten Ereignisse neue Begriffe
hinein, so wenn ein gebildeter Hebephrene Teil „einen Schiffskapitän" nennt;
oder es ist ihnen zu viel, die Erinnerungen wachzurufen, dann hört man auf
die Frage: Was wissen Sie vom Teil? Erwiderungen, wie: „Es ist schon ziemlich
viel darüber diskutiert worden."
Gelesene Geschichten^) l^önnen von vielen Kranken, die die größten Dumm-
heiten machen oder die unsinnigsten Wahnideen mit sich herumtragen, nicht
nur tadellos wieder erzählt, sondern auch resümiert und auf andere Verhältnisse
angewandt werden. Meistens aber versagen bei den Anstaltspatienten solche
x\ufgaben ganz, oder die Moral wird im Sinne der Komplexe abgeleitet oder
aus einer zufälHgen Assoziation gebildet. So zieht ein Patient aus der Test-
fabel die Moral, daß man sich nicht soll erschrecken lassen, wenn man eine schwere
Arbeit bekomme.
Das Erfassen einer Geschichte kann auch bei sonst ziemlich ungehindert
denkenden Kranken durch Sperrungen erschwert sein. Ein sonst sehr attenter,
von Natur intelligenter Patient konnte eine kleine Fabel einfach nicht in den
Kopf bringen, obschon er seine Aufmerksamkeit so anstrengte, daß er dunkelrot
im Gesichte wurde, schwitzte und schwer atmete; ,,die Stimmen verhinderten
ihn daran". Manchmal hilft mehrfaches Lesen; aber nicht immer wird dadurch
das Resultat besser.
Einzelne Kranke erzählen statt des Gelesenen ganze andere Geschichten
von einem Esel oder von Salz usw. Andere bringen Bruchstücke der gegebenen
Idee in neuen naheliegenden Zusammenhang; so haben wir mehrfach gehört, daß
„ein Esel sich habe ersäufen wollen". Dann wieder werden Bruchstücke ohne Zu-
sammenhang reproduziert, oft auch mit schizophrenen Zutaten: „Ein Esel wurde
schwer mit Salz beladen und ging mit der Last davon — durch die Wüste." Ge-
legentlich bemerken die Kranken die Zusammenhanglosigkeit oder die Unklarheit
ihrer Erzählung. (Nach zweimaligem Lesen) : „Ein Esel hat Salz mit sich geführt und
hat in den Fluß gemußt; da ist ein Schwamm gekommen — ich weiß nicht, ist es
ein Schwamm — oder ein Schwan — oder eine Gans. . (Hier hat die Patientin
gemerkt, daß ein Schwamm nicht gut kommen kann, und dann den Schwamm in
emen Schwan umgewandelt.) In schwereren Fällen werden die Begriffe der Geschichte
durchemander gemengt und grammatisch miteinander verbunden : „Ein Esel watete
durch emen Fluß, in dem Schwämme waren, imd da war ihm die Last zu schwer."
')^u3verschiedenen:GrüncleQ hat sich uns alsText für einfache Leistungen die foleende
Fabel gut bewährt: " *
Der mit Salz beladene Esel.
Ein Esel, der mit Salz beladen war, mußte durch einen Fluß waten. Er fiel hin und
blieb emige Augenblicke bshaglich in der kühlen Flut liegen. Beim Aufstehen fühlte er
sich um emen großen Teil sMner Last erleichtert, weil das Salz im Wasser geschmolzen war
Langohr merkte sich diesen Vorteil und Avandte ihn gleich am folgenden Tage an, als er
mit Schwammen belastet wieder durch eben diesen Fluß ging.
n=iml,VW??w"^^ absichtlich nieder, sah sich aber arg getäuscht. Die Schwämme hatten
g^ß daß^rTrr ""'"'^ '"'^'^'"'^^ ^^'^ «°
Ein Mittel taugt nicht für alle Fälle.
70
Scliizoplirenie.
Wird umgekehrt der kausale Zusammenhang besonders betont oder gar noch durch
unnötige Zutaten ergänzt, so handelt es sich in der Eegel um eine Komplikation
mit Alkoholismus: „Ein Esel hatte eine Last von Schwämmen; er hatte Durst,
stieg in einen Fluß, um Wasser zu trinken..."
Eigentliche Umbildungen der Erzählung erweisen sich meist als Komplex-
beeinflussungen. Eine Kranke, die sich Gewissensbisse wegen ungenügender Abwehr
bei einem Attentat machte, sollte erzählen, die Axt sei in einen Fluß gefallen; statt
„Fluß" sagte sie aber „Grube"; darauf aufmerksam gemacht, daß es ein Fluß ge-
wesen sei, sagt sie „ja eine Grube mit Wasser". Abgesehen von solchen Fällen sehen
wir bei der Schizophrenie merkwürdig wenig Eigenbeziehungen beim Lesen der
Fabeln, während organisch Depressive die Geschichte des Ertrinkenden oder über-
lasteten in der Regel auf sich beziehen, und auch die meisten Alkoholiker in dem
Wasser eine Anspielung auf ihre Schwäche finden.
Die Mehrzahl der Veränderungen erscheinen bei unserer Krankheit meist als
„zufällige", können aber nichtsdestoweniger sehr fest gehalten werden: Eine Hebe-
phrene behauptete, sie habe soeben von einem „tiefen" Fluß gelesen, und als man
ihr das Buch vorhielt, meinte sie, der Druck sei inzwischen verändert worden. Von
dem Walten einer eigentlichen Phantasie sieht man verhältnismäßig wenig; ist sie
aber einmal vorhanden, so kann sie bei dem Mangel an Sinn für die Wirklichkeit
ganz frei schalten. Ein hebephrener Maler beschrieb die Maltechnik ganz richtig;
eigene Erlebnisse, die Bibel, Teil, wurden aber in den Details falsch reproduziert,
,,wie es etwa gewesen sein könnte".
Die allgemeine Denkerschwerung zeigt sich unter Umständen im Stillestehen
des Erzählens und den kleinen Schritten, die der Gedankengang macht: ,,Es war
ein Esel (was gemacht?) durch einen Fluß gegangen" (imd da?) ,,er ist umge-
fallen" (und da?) liegen geblieben" (und da?) ,, aufgestanden. .. " Ein anderer
Patient antwortet auf die beständige Frage „und dann?" nur mit einzelnen Worten:
,, Langohr — schwimmen — schwere Belastung — Kopf hochheben — waten —
halten ein Ohr zu — Abschütteln — Straße nach — muß geprügelt werden — ..."
Von jeher gilt als ein Maß für die Intelligenz die Krankheitseinsicht,
und diese ist bei der Schizoptreme sehr charakteristisch. Wie bei anderen Geistes-
kranken fehlt sie auf der Höhe der Krankheit meist ganz oder teilweise. Im
Anfange aber halten sich viele nicht nur für nervös, sondern sie erkennen die
GedankenanomaHe, die AbuHe und viele andere Symptome ganz gut; wenn
sie sich nicht für geisteskrank halten, fürchten sie manchmal „geisteskrank zu
werden", während man sie in einem späteren Stadium „geisteskrank gemacht"
hat. Auch in alten Fällen ist teilweise Krankheitseinsicht nicht selten, wenn
auch die Kranken nur ausnahmsweise praktische Konsequenzen daraus ziehen.
Am auffallendsten sind die Paranoiden, die in die Sprechstunde kommen mit
der Klage, sie leiden an Verfolgungswahn oder an Halluzinationen, und die
Anomahe so objektiv als Krankheit beschreiben, wie es nur möghch ist. Ein
normal denkender Teil ihres Ich beui-teilt den abnormen bis in alle Details hmaus
richtig, aber ohne ihn beeinflussen zu können. Natürhch gibt es auch bei diesen
Kranken Zeiten, wo die WahnvorsteUungen sie ganz beherrschen, und schon
während der Untersuchung kann man regelmäßig Zusammenhänge finden, m
denen die Einsicht fehlt oder doch ungenügend ist.
Vielen Kranken fäUt es zwar auf, daß sie die Dinge anders ansehen als
früher, sie glauben aber früher sich getäuscht und jetzt die Wn-khchkeit er-
kannt zu haben. Sie besitzen eben nun „einen verstärkten Verstand . Die
Grundsymptome. Scliizophrene Demenz.
71
eigenen Handlungen und ihre Motivierungen werden auf der Hohe der Krankheit
falsch beurteilt. So meinte eine so intelligente Kranke, wie Forels Frl L. S.
alles geduldig ertragen zu haben, währenddem sie eine Zeitlang eme recht un-
angenehme Patientin gewesen war.
Bei Wiederholung der Anfälle können die Kranken die gleichen Hand-
lungen, die sie mit Bezug auf die Vergangenheit als unrichtig bezeichneten,
letzt wieder begehen und als ganz begründet verteidigen.
In guten Kemissionen werden die Wahnideen als solche erkannt, wenn
auch da wohl ausnahmslos in bestimmten Verbindungen noch etwas von den-
selben nachzuweisen ist. Auch das Verhalten während der Krankheit können
die „Geheilten" als ki-ankhaft und unsinnig bezeichnen: aber auch da fehlt
meist die volle Einsicht. Ich habe eine Katatonika gesehen, die in einer Anstalt
gegen sich und andere sehr gewalttätig war, schmierte, die Nahrung verweigerte,
dann während der größten Erregung vom Vater herausgenommen, diesem vom
ersten Tage an die Haushaltung führte und seine Memoiren redigierte. Sie
erinnerte sich an alle Details des Anstaltsaufenthaltes, konnte auch das eine
oder andere Symptom als krankhaft bezeichnen, hielt sich aber dennoch für
ungerecht eingesperrt, und meine vorsichtigen Einwände, daß ihre Gewalt-
taten und die Nahrungsverweigerung doch kein Zeichen von Gesundheit ge-
wesen seien, glaubte sie damit zu entkräften, sie habe eben „in den Gang der
Anstalt, wo man sie so ungerecht behandelte, störend eingreifen woUen".
Neues lernen köimen die schwereren Kranken nicht mehr gut. Ein-
fache landwirtschaftliche Verrichtungen eignen sie sich zwar häufig noch an;
auch zu dieser und jener industriellen Tätigkeit können sie herbeigezogen werden,
müssen aber immer unter Aufsicht sein. In der Pflegeanstalt Rheinau habe ich
mir seinerzeit Mühe gegeben, das Korbflechten einzuführen; es war aber un-
möghch, auch nur einen von dieser Auslese schwerer Kranker zu einem selb-
ständigen Arbeiten zu bringen.
Das schHeßt nicht aus, daß in einem andern FaUe ein Patient, der einige
Jahre lang ganz schwer katatonisch gewesen war und nun an ausgesprochener
Paranoia hallucinatoria leidet, auf einmal anfängt, englisch zu lernen, und es
in der Anstalt autodidaktisch soweit bringt, daß er seine Übersetzungen ver-
kaufen kann.
Die Übungsfähigkeit, gemessen an der Gewandtheit im Addieren, soll
nach Specht (733) normal sein. Nach Reis erweist sich bei verschiedenen
psychologischen Prüfungsarten der Übungsfortschritt als etwas vermindert; in
einem Falle fehlte er ganz. Weitere Untersuchungen an fortgeschrittenen Kranken
wären allerdings noch erwünscht; denn Aufmerksamkeit, guter Wille usw.
beeinflussen natürlich das Resultat sehr stark.
Die Fähigkeit, zu rechnen, wird in schwereren Fällen leicht alteriert,
doch kann sie sich jeden Augenblick wieder herstellen, wenn die Patienten
komponiert genug sind, um eine Rechnungsaufgabe zu überschauen. Versehen
aller Art, wie sie bei Perplexität und bei mangelnder Aufmerksamkeit vor-
kommen, sind natürlich bei den Anstaltspatienten sehr häufig; dazu kommt
noch, daß sie oft nicht den Willen haben, richtig zu antworten; auch ganz
gescheite Schizophrene genieren sich keineswegs, bei einer klinischen VorsteUung
zu sagen 3 x 34 sei 100. Leichtere Fälle im chronischen Stadium eignen sich
72
Schizophrenie.
aber manchmal sehr gut zu rechnerischen Bureauarbeiten. Sie sehen nicht
nebenaiis, denken nichts anderes und können jahrein jahraus wie eine Maschine
mit der größten Gewissenhaftigkeit oder sagen wir „Genauigkeit" arbeiten.
Bei Spiele n aller Art verhalten sich die Kranken wie bei anderen geistigen
Leistungen, d. h. äußerst verschieden. Viele haben gar keine Spur eines Be-
dürfnisses sich zu unterhalten. Diejenigen, die den Trieb haben, zu spielen,
wenden dieser Beschäftigung oft volle Aufmerksamkeit wie ein Gesunder zu;
und zwar können nicht nur chronische Fälle die gewohnten Spiele, besonders
Kartenspiele mit Raffinement und voller Erwägung aller komphzierten Ver-
hältnisse spielen, sondern auch ein recht verwirrt erscheinender Katatoniker
im akuten Stadium kann durch ein virtuoses Schachspiel überraschen. Von
Gesellschaftsspielen sind natürlich diejenigen, die Esprit verlangen, mit den
meisten Patienten nicht durchzuführen.
Die Phantasie der Schizophrenen leidet in der Regel stark. Die meisten
haben keinen Trieb, Neues zu denken und ebensowenig das Vermögen, es zu tun.
Neue Gedanken bestehen oft in sonderbaren Zusammensetzungen des vor-
handenen Vorstellungsschatzes, die aber ohne intellektuelles Ziel zustande
.kommen und deshalb nur Bizarrerien, aber keine eigentlichen Schöpfungen
.von Ideen hervorbringen. Ein Paralytiker der manischen Form kann in einem
Tage mehr Neues produzieren als eine ganze Abteilung voll Schizophrener
. während Jahren.
Die ästhetischen Fähigkeiten werden durch die Krankheit meist
vernichtet oder doch stark geschädigt. Es fehlt eben die Konsequenz des Denkens,
das Urteil, die gemüthche Unterlage und vor aUem die Initiative und die Fähig-
keit, zu produzieren. Es fehlt auch meist die Genußfähigkeit für Kunstwerke.
Dann und wann fällt es auf, daß ein anscheinend ganz verblödeter Patient,
der viele Jahre lang kein rechtes Gefühl und kein vernünftiges Wort geäußert
hat, in einer musikalischen Phantasie einen künstlerischen Ausdruck für
die verschiedensten Stimmungen findet. Aber Stimmung und Ausdrucksmittel
wechseln bei den meisten musizierenden Kranken ganz abrupt; der schizophrene
Gedankengang mit seinen unvermittelten Ubergängen, seinen Bizarrerien,
Sperrungen und Perseverationen zeigt sich ebensogut in den musikalischen
Äußerungen wie in den sprachlichen; man kann manchmal aus einer kurzen
Kla%aerproduktion die Diagnose mit Sicherheit machen.
Bildende Kü nstler werden meist durch die Krankheit schwer geschädigt;
hier tritt das Bizarre in Idee, Technik und Durchführung meist sofort in die
Augen. Daß die Produktivität leidet, ist selbstverständhch ; doch gibt es Maler,
die lange Zeit immer eine bestimmte Idee unendhche Male wiederholen i). Oft
dient dFe Kunst als Ausdrucksmittel der Wahnideen und ist dann auf den ersten
Bhck als krankhaft zu erkennen.
Dichterisches Talent leidet natürlich schwer unter dem schizophrenen
Ideengang, der Zerfahrenheit, der GefühUosigkeit, der Geschmacklosigkeit und
dem Mangel an Produktivität und Initiative. Wenn auch ziemHch viel schizophrene
Dichtungen gedruckt werden, so kommt selten etwas dabei heraus. Am besten ist
es noch, wenn die Sachen nur unbedeutend sind; meist sind sie ganz ungenießbar.
1) In leichteren FcäUen kann die Eigentümlichkeit der Sujets, der Auffassung und der
Technik den schizophrenen Maler berülimt machen.
Grundsymptome. Schizophrene Demenz.
73
Gute Beispiele geben die späteren Gedichte von Hölderlin, unter denen
TatJs l bekrtest'en ist und den -l-phrenen Gedanke nga„^
We^e illustriert. Ein bezeichnendes Beispiel für die LeeAeit und Unklaiheit der
Heen bei "nnehaltung einer gewissen formellen Technik gibt Christian (126) S. 27.
Sous le chaud soleil qui rayonne
Cach6e a l'ombre du Sumac.
La dormeusc mele au tabac
Sa criniere epaisse de lionne.
Das Banale in Gedanken und Form zeigen die von Stawitz publizierten
Verse ;
Der Chorgesang.
Stärker als die Sprache der Natur
von bekannten Sängern schallte nur,
eines Tags ein Lied mir zu.
Manch Träne, die mein Herz verbarg,
trat hervor, im Überwinden karg,
schaffte so der Seele Ruh!
Mehr noch schätzte ich das Singen
als vorher; es gab ja Sch-wingen.
Meinem Rückblick in die Zeit. .
Meinem Ohr' ward es zur Weid.
Mehr als alle andern Künste
macht Gesang das Herz, das dümmste,
stärker dir im Nu.
Er ist seiner Schwestern Führer
reuiger Gemüter Kürer #
schafft dem Herzen Ruh'.
Jeder Bund, der gerne übet
den Gesang, wird nicht getrübet
durch die Wolken aller Zeiten,
läßt sich von Entzücktheit leiten.
Das Bizarre drückt sich in folgenden Versen aus, deren Autor ich nicht mehr
anführen kann:
Wie hat die Liebe mich entzückt,
als ich noch schwer und kugelmnd!
Hier sitz ich. jetzt und bin verrückt,
und wiege kaum noch hundert Pfund.
In schwereren Fällen kommt es zu ganz unverständlichem Wortsalat oder
gar zu einer mehr oder weniger versifizierten Aneinanderreihung von unbekannten
Worten.
Wo solche Fehler nicht gemacht werden, leiden doch die Geistesprodukte
der Schizophrenen meist unter dem Mangel der Verarbeitung, an Gedanken-
leere und Plattheit des Inhaltes. Oder es macht der Mangel an Verarbeitung
auch an sich gute Ideen ungenießbar.
Alles das gilt von den höheren Graden der Krankheit, wie sie zur ärztlichen
Behandlung kommen. Wir wissen aber, daß einige sehr bekannte Künstler und
Dichter (z, B. Schumann, Scheffel, Lenz, van Gogh) Schizophrene waren.
Es ist nicht auszuschließen, daß die ganz leichte Schizophrenie für
künstlerische Produktivität geradezu günstig sei. Die Unterordnung aller Ge-
74
Schizophrenie.
dankenverbmdungen unter einen Komplex, die Neigung zu neuen, ungewohnten
Gedankengängen, die Unbekümmertheit um die Tradition, der Mangel an
hene müssen günstig wirken, wenn diese Eigenschaften nicht überkompensiert
werden durch die eigenthchen Assoziationsstörungen. Sind doch alle echten
Kunstlernaturen Leute mit stark abgespaltenen gefühlsbetonten Komplexen
weshalb bei ihnen hysteriforme Symptome so häufig sind. „Komplexmenschen"
sind aber auch die Schizophrenen. Die Frage sollte weiter studiert werden.
In akuten Zuständen kann sich sogar eine Ai-t pathologischer Produk-
tivität ausbilden. Die Patientin Foreis konnte sonst keine Verse machen; im
Vorstadium der Krankheit „verfolgten" sie die werdenden Verse geradezu'.
Q Das Handeln und Benehmen.
Das ausgesprochen schizophrene Handeln ist gestempelt durch Interesse-
losigkeit, Mangel an Initiative und an einem bestimmten Ziel, durch ungenügende
Anpassung an die Umgebung, d. h. Außerachtlassen vieler Faktoren der Wirk-
lichkeit, durch Zerfahrenheit, plötzliche Einfälle und Sonderbarkeiten.
Die leichteren latenten Fälle leben im wesentlichen wie andere Leute und
gelten als gesund. Sie fallen höchstens durch EmpfindHchkeit und hie und da
durch eine Bizarrerie auf, arbeiten innerhalb und außerhalb der Anstalten,
der eine sehr fleißig, der andere in launisch um-egelmäßiger Weise. Sie sind in
allen einfacheren Berufen tätig, gelegentlich auch einmal in einem künstlerischen
oder akademischen. Oft geht es gut, manchmal sogar sehr gut; letzteres aber
nur bei bestimmt vorgezeichneter Arbeit, z. B. als Bauernknecht, als Dienst-
mädchen, öfter allerdings weichen sie vom Üblichen ab. Sie wechseln häufig
den Beruf oder die Stellung. Da läuft einer einfach aus der Arbeit, ohne nur
den Lohn zu beziehen; ein junger Bildhauer, dem es im Beruf ganz gut geht^
zieht ein J ahr lang mit einem Phonographen herum. — Die meisten beschränken,
den Kontakt mit der Außenwelt mehr oder weniger deutlich, teils allgemein,,
teils in einer Auswahl von Beziehungen.
Am auffallendsten ist in diesen leichten Fällen gewöhnlich die Keizbarkeit
und Empfindlichkeit. Wegen irgend welchen Kleinigkeiten, die ihnen im ge-
gebenen Moment nicht gefallen, können sie schmollen, schimpfen, davonlaufen;
kommt der Bräutigam nicht, so ist es nicht recht, kommt er, so hat die Braut
erst recht zu tadeln. Im großen wie im kleinen entwickeln sie einen unangenehmen
Eigensinn. Daneben sind sie launisch, laufen unter Umständen mitten in der
Nacht weg.
Die Neigung, sich von den übrigen Menschen abzuschließen, kann sich
verbinden mit Exzessen in liederhcher Gesellschaft. Die Gleichgültigkeit in
wichtigen Dingen und die Faulheit bringt die Leute auf die Straße oder sonst
in ein ungünstiges Milieu, sie werden Vaganten^), Diebe, seltener Betrüger und
andere Verbrecher. Auch zwei schizophrene Pyromanen habe ich gesehen. Doch
bedingt die Apathie und Willenlosigkeit im allgemeinen eine relative Unge-
fährlichkeit. Wenn auch jedes Zuchthaus Schizophrene beherbergt, so ist ihre
Zahl doch in keinem Verhältnis zu der Häufigkeit der in der Freiheit Lebenden,
^) Vgl. Willmanns.
Grundsymptome. Handeln und Benehmen.
75
von denen ja viele der sozialen Gefühle mehr oder weniger entbehrten oder m-
oi; von Wahmdeen, aus Ingrimm wegen der erlittenen f -^«"^^^^^^^^
geradezu antisozial denken und fühlen. Immerhni smd m absoluter Zahl die
schizophrenen Mörder nicht ganz so selten. . , , ,
Das Streben ist meist kraftlos, wenn es mcht ganz aufgehört hat. In ein-
zelnen FäUen allerdings ist es übertrieben stark, wenn auch einseitig (Welt-
"rbesser r Pseudodichter). Bei Arbeiten, deren die Kranken mcht ganz
gew^^^^^^^ sind, versagt zunächst nicht sowohl die Intelligenz als die Enerke.
Viele schwerer Kranke veimeiden jede Arbeit mit einer blödsinrngen Ausrede oder
auch ohne eine solche. GelegentHch arbeiten sie wie eine Maschine; gibt man
dem Patienten eine Säge in die Hand, so zieht er sie hm urid her, bis das
Holz durch ist, um dann regungslos stehen zu bleiben, bis der Warter die
Arbeit neu eingerichtet hat. Andere machen sich sehr nützHch, wenn man
ihnen eine Arbeit geben kann, die nicht viel zu denken gibt und keine eigene
Initiative verlangt: sie tragen Kohlen, jäten, stricken, halten bestimmte Räume
in Ordnung; auch zum Posten sind sie oft noch zu verwenden. Es gibt dann
und wann Schizophrene, die keine Ermüdung spüren und teils ohne viel zu
denken, teils mit etwelcher Überlegung den ganzen Tag schaffen, so daß man
sie vor ihrer Arbeitsgier schützen muß.
Interessant und weiterer Verfolgung wert ist die Beobachtung Kraepelins
(390, Bd. II, S. 315), der in einem Fall den Mangel des Schlußantriebes kon-
statierte. Wo weder Eimüdung noch Interesse ist, war das zu erwarten.
Der Intelligenzdefekt im engeren Sinne macht die Leute in den höheren
Graden der Erkrankung zu komplizierten Arbeiten ganz oder teilweise unfähig.
So konnte ein Patient Kraepelins noch ganz gut abzeichnen, aber keine
Kurven mehr konstruieren, ein anderer genau kopieren, nicht aber die Einschaltungs-
zeichen richtig verwerten. Überhaupt zeigen die Patienten auch bei der Arbeit
wenig Variationsfähigkeit; bei sehr vielen muß die Arbeit so gemacht werden, wie
es ihnen nun einmal im Kopf steckt, auch dann, wenn es ganz unpassend ist. Der
Mangel an Überlegimgsfähigkeit macht sich sehr fühlbar. Da verlangt ein pensionierter
Lehrer WiederansteUung, beschimpft aber im gleichen Schreiben die Behörden.
Ein Arzt, der wegen gemeingefährlicher Drohungen in die Anstalt gewiesen ist, meint
allen Ernstes, er könne jede gewünschte Freiheit dadurch erzwingen, daß er mir einen
Prozeß anhänge; dann sei ich sein Prozeßgegner und habe nicht mehr als Experte
und Anstaltsdirektor die Gewalt, ihn einzuschränken. AlltägUch sind die ganz un-
überlegten Fluchtversuche anscheinend besonnener Kranker vor den Augen der
Wärter oder vom Zimmer in einen Korridor hinaus, aus dem erst noch einige ge-
schlossene Türen zu passieren wären.
Die Ziele, die die Patienten sich gesteckt haben, sind oft in grobem Wider-
spruch, nicht nur mit ihrem aktuellen Können, sondern mit ihren geistigen
Anlagen überhaupt. Weltverbesserung, Poesie, Philosophie sind von manchen
Schizophrenen geschätzte Tätigkeiten. Immerhin sagen viele im kleinen und
im großen Wahrheiten, an die der Gesunde nicht denkt.
Auch in kleineren Dingen können sie recht naseweise und altklug erscheinen,
so wenn ein ungebildeter Patient in einem langen Briefe einem Arzte gute Räte
gibt, wie er seinen (des Arztes) Verwandten behandeln müsse, oder wenn einer
blödsinnigen Patientin in wichtigem Tone Belehrungen über feines Benehmen
I
76
Schizophrenie.
in Gesellschaft gegeben werden. Nicht viel besser ist es, wenn einer Zeitungs-
artikel über den bildenden Wert des Zirkus auf das Zürcher Publikum schreibt.
Auch im äußeren zeigt sich zeitweilen übertriebene Eitelkeit bis zur- tollen Fratze.
Häufiger allerdings werden die Kranken schließhch unsauber, salopp in allen
Beziehungen.
Manchmal aber können auch Schwerkranke ihren Nebenmenschen gerade
dadurch imponieren, daß sie alle Schwierigkeiten außer acht lassen. Eine schizo-
phrene Dame erheiratet sich, ohne daß er eigentlich einverstanden ist, einen
Mann, der sonst eipen eigenen Willen besitzt und sich in sehr ausgesetzter
Stellung einen Namen gemacht hat. In einer öffentHchen Rede können solche
Leute ein ganzes Auditorium von ihrer Gesundheit und vielen anderen fingierten
Dingen überzeugen. Der Dichter von „Freut euch des Lebens" wählte sich
eine schizophrene Braut, gerade um der „naiven Etourderie" willen, die sie in
der damaligen steifen Gesellschaft auszeichnete.
In den mittleren und schweren Fällen tritt auf intellektuellem Gebiet
die Zerfahrenheit in den Vordergrund.
Eine gebildete Dame schreibt eine Menge Briefe, adressiert sie, versieht sie
mit dem Vermerk ,, Einschreiben", schickt sie aber nicht ab. Ein Lehrer verlangt
auf einmal eine Stelle mit 2000 Fr. Gehalt und läuft aus der bisherigen Anstellung
fort. Ein ungebildeter Mensch will Theorie der Musik studieren. Ein Kommis reist
jede Nacht zwischen Eomanshorn und Genf hin und her, weil er gehört hat, daß
sich schon Leute auf Nachtzügen gut verlobt hätten. Ein Mann zieht sich im Winter
im Freien aus, geht nackt durch das Dorf, um in dem eine halbe Stunde entfernten
Flusse zu baden. Ein junges Mädchen näht Strümpfe auf einen Teppich.
Die pathologischen Einfälle machen manchen Patienten den Broterwerb
unmöglich. Sonst fleißige Leute kommen ohne ersichthchen Grund eines Tages
nicht zur Arbeit, sehen es aber als ganz selbstverständhch an, daß sie nachher
einfach wieder ihren Arbeitsplatz einnehmen, ohne sich nur zu entschuldigen.
Ein Hebephrene, der viele Jahre lang mit nie aussetzendem Fleiß den Dung
über die weiten Gartenkulturen der Anstalt verteilt hatte, wird eines Tages
dabei betroffen, wie er die Zwergbäumchen unter Abschneiden der Wurzeln
hebt, „höher einsetzt", wie er meint. In der unklaren Idee etwas Gutes zu
stiften, hatte er einige hundert Bäume rmniert. Es gibt keine Dummheit, die
nicht als pathologischer Einfall von unseren Kranken ausgeführt werden kann,
ohne daß sie sich darüber Rechenschaft geben; der eine allerdmgs schlägt nur
ein paar Mal auf den Tisch oder kräht wie ein Hahn, ein anderer aber zündet
ein Haus an oder wirft seine Mutter in den Brunnen.
Oft entfernen sich die Patienten in ihrem allgemeinen Benehmen mehr
und mehr von dem gewöhnlichen und werden immer schrullenhafter. Das kann
so weit gehen, daß drei unserer Kranken, aus guten Famihen, während sie noch
als gesund galten, lange Zeit ihre Fäzes, in Papier eingewickelt, in Schränken
versteckten. Eine in der Anstalt tüchtig arbeitende Kranke geht jeden Sonntag
nach Hause und sitzt von 1 Uhr 45 Minuten bis 5 Uhr 30 Minuten auf einem
Stuhl, immer in die gleiche Ecke starrend und ohne ein Wort zu sagen. Weiter
Fortgeschrittene sammeln allerlei Gegenstände, brauchbare und unbrauchbare,
mit denen sie ihre Wohnung füllen, so daß sie sich kaum mehr dann bewegen
können; schließlich wird der Sammeltrieb so blöde, daß die Taschen mit
(Ti-undsymptome. Handeln und Benehmen.
77
Steinchen, Hölzchen, Lumpen und anderem Unrat vollgestopft werden. Auch
die Neigung zu Faxen kann so überhand nehmen, daß man äußerlich das Bild
eines eintönigen chronischen Klownismus vor sich hat.
Kranke mit ganz unverständlichem Benehmen können zwischendurch
wieder mehr oder weniger normal erscheinen. Sie füllen auf einmal wieder
einen Posten aus; oder sie machen namentlich oft einen mehrwöchentlichen
IVIilitärdienst tadellos durch^). Umgekehrt kann eine plötzliche AufTegung mit
oder ohne Anlaß ein ruhiges Krankheitsbild auf einmal wieder bewegt machen.
Ein gebesserter Patient wollte eine Katze töten, wurde aber vom Vater getadelt.
Da rief er sehr aufgeregt: „Jetzt ist alles aus", sprang in den Fluß, schwamm
wieder ans Land und fing an zu arbeiten, wie vorher.
Der Verkehr mit anderen Leuten ist nicht nur durch die Reizbarkeit und
die Sonderbarkeiten gestört. In ihrem Autismus können sie sich in einem über-
füllten Axbeitssaal benehmen, wie wenn sie allein wären; alles was die anderen
angeht, existiert nicht für sie. Auf den Abteilungen verändern viele beim Kommen
und Gehen des Arztes in keiner Weise die Haltung, außer wenn sie sich durch
Mimik oder Stellung noch deutlicher abwenden können. Sie kehren der Welt
andauernd den Rücken, suchen sich vor allen Einwirkungen von außen zu
schützen. Das kann bis zu einer Art Stereotropie gehen, indem die Kranken
sich nur in einer Ecke wohl fühlen, wo sie sich so dicht als möglich an die Wände
anschmiegen. Wo sie sich selbst überlassen sind, findet man sie auch in der
Kante zwischen Wand und Boden herumliegen, das Gesicht gegen die Wand
gekehrt und oft erst noch mit einem Tuche oder den Händen bedeckt. Bei
leichterer Erkrankung kann es auch vorkommen, daß ein Hebephrene ohne
Anzeige aus Amerika zurückkommt, in der Scheune seiner Eltern sein Nacht-
quartier aufschlägt und dort erst nach einiger Zeit entdeckt wird, da er jeweilen
sehr früh an seinen entfernten Arbeitsort gehen muß. — Unterhaltungsbedürfnis
überhaupt fehlt vielen, auch arbeitsfähigen Schizophrenen vollständig. Das
Leben der Kranken wickelt sich dann sehr einförmig ab zwischen Arbeiten,
Essen, Trinken und Schlafen.
Müssen die Schizophrenen mit anderen Menschen verkehren, so geschieht
es oft in recht sonderbarer Weise. Bald sind sie aufdringlich, können nicht fertig
werden, immer das Gleiche zu sagen, sind vollkommen taub gegen alle Einwen-
dungen; bald verhalten sie sich abweisend, kurz, grob. Ein hebephrener Apotheker
machte den Kunden Vorwürfe, wenn sie Rezepte brachten, die viel zu tun gaben.
* ... *
So die Fälle, die noch fähig sind, zu handeln und mit Menschen zu ver-
kehren. Nimmt der Autismus überhand, so bildet er schheßhch einen voUen Ab-
schluß um die kranke Psyche. Wie im Traum leben die schwersten Schizo-
phrenen m den ihnen angewiesenen Räumen, bald maschinenmäßig herum-
gehend oder sonst sich bewegend ohne ein äußeres Ziel, bald stumm und re-
gungslos, den Kontakt mit der Außenwelt auf ein unfühlbares Minimum herab-
setzend. Treten in irgend einem Stadium akzessorische Svmptome in den Vorder-
grund, so smd es diese, die das Handeln und das äußere Benehmen bestimmen.
Viel häufiger allerdings benehmen sich latente Schizophrene im Heere selxr unpassend .
78
Schizophrenie.
2. Kapitel.
Die akzessorischen Symptome.
Nicht häufig sind die Grundsympfcome so stark ausgebildet, daß sie den
Patienten in die Irrenanstalt führen. Erst die akzessorischen Erscheinungen
verunmöglichen ihm den Aufenthalt in der Familie, oder sie sind es, die die
Psychose manifest machen und Veranlassung geben, psychiatrische Hilfe in
Anspruch zu nehmen. Sie können während des ganzen Verlaufs verbanden sein
oder auch nur in ganz behebigen Abschnitten desselben. Sie drücken meist dem
äußeren Krankheitsbhd ihren Stempel auf, so daß man vor Kraepelin aus-
schheßhch nach diesen Symptomen und ihrer Gruppierung besondere Krank-
heiten abgrenzen zu können glaubte.
Am bekanntesten sind die Halluzinationen und Wahnideen. Neben ihnen
haben verhältnismäßig wenig Berücksichtigung gefunden die Störungen in der
Gedächtnisfunktion und die Veränderungen der Persönlichkeit. Sprache und
Schrift und eine Anzahl körperlicher Funktionen sind manchmal in ganz un-
regelmäßiger, aber typischer "Weise verändert. Eine besondere Gruppe von Er-
scheinungen wird seit Kahlbaum unter dem Namen der katatonen Symptome
zusammengefaßt. Alle diese Störungen können vorübergehend sein oder lange
andauern. Es gibt aber außerdem bestimmte akute Symptomenkomplexe, die
sich aus den genannten und noch anderen Erscheinungen zusammensetzen
und den Eindruck von selbständigen akuten Psychosen gemacht haben. Für uns
sind sie Episoden oder Exazerbationen in einem längeren Krankheitsverlauf,
a) Die Sinnestäuschungen.
Bei den Schizophrenen der Anstalten stehen meist die Sinnestäuschungen,
Illusionen und namenthch Halluzinationen ^) im Vordergrund. Die Klagen der
Patienten, die Auffälligkeiten ihres äußeren Verhaltens, Aufregung und Be-
ruhigung, Glückseligkeit, Verzweiflung und Wut sind in der Regel mit Sinnes-
täuschungen im Zusammenhang oder gelten geradezu als Folgen von Sinnes-
täuschungen.
Charakteristisch für die Halluzinationen der Schizophrenie
ist die Bevorzugung des Gehörs und der Körperempfindungen.
Zeitweise oder dauernd hört nahezu jeder Schizophrene der Anstalten Stimmen.
Fast ebenso häufig sind Trugwahrnehmungen, die den verschiedenen
Körperorganen entsprechen; Tasthalluzinationen sind verhältnis-
mäßig selten, wenn auch die Empfindungen am Körper herum sich bewegender
Tiere, namenthch Schlangen, hie und da geklagt werden, und wenn auch manche
Körperhalluzinationen, wie die des Geschändet-, Geschlagen-, Gebrannt-,
Elektrisiertwerdens, eine Tastkomponente haben mögen. Nach der Zahl der
Patienten, die uns davon reden, werden in dritter Linie Geschmacks- und
Geruchshalluzinationen zu nennen sein. Die Halluzinationen und
Illusionen des Gesichts sind bei besonnenen Patienten nicht gerade häufig,
1) Die „Parästhesien" siehe unter den „körperlichen Symptomen".
Akzessorische Symptome. Sinnestäuschungen.
79
treten aber in akuten halluzinatorischen Aufregungen und in Dämmerzuständen
in den Vordergrund. Bei den anderen Sinnen scheinen die Illusionen vor den
Halluzinationen zurückzutreten: beim Geschmack allerdings ist die Entschei-
dung, ob Illusion oder Halluzination, sehr schwer, da diese Sinnestäuschungen
meist wähi-end des Essens auftreten. Ebenso ist es bei dem jetzigen Stande
unseres Wissens irrelevant, ob die auch vorkommenden Täuschungen der
kin ästhetischen Sinne Illusionen oder Halluzinationen genannt werden.
Inhalt der schizophrenen Halluzinationen kann so ziemlich alles sein,
was der normale Mensch wahrnimmt, und dazu kommen noch alle die Empfin-
dungen, die die krankhafte Psyche neu zu schaffen vermag.
Die Patienten hören Wehen, Sausen, Summen, Rasseln, Schießen, Donnern,
Musizieren, Weinen und Lachen, Flüstern, Sprechen, Rufen; sie sehen einzelne
Dinge, Landschaften, Tiere, Menschen und allerlei unmögliche Gestalten; sie
riechen und schmecken Angenehmes und Unangenehmes, was nur auf diese
Sinne wirken kann; sie tasten Dinge und Tiere und Menschen und werden von
Regentropfen, Feuer, Kugeln getroffen; sie spüren alle Qualen und wohl auch
alles Angenehme, was uns Körperempfindungen übermitteln können.
In WirkHchkeit hält sich aber die Hauptmasse der zur Beobachtung
kommenden Halluzinationen an eine viel geringere Auswahl. Es kommt äußerst
selten vor, daß ein Schizophrene eine ganze Predigt, ein Drama halluziniert,
daß er im Kaffee halluziniertes Brot findet, daß er eine alltägliche Landschaft
sieht (Musik wird selten gehört ^) usw. Ganz gewöhnhche oder sehr komplizierte
Vorkommnisse werden von unseren Kranken nicht leicht halluzinatorisch re-
produziert — kompHzierte nicht, weil die wenigsten Leute hoher Leistmigen
fähig sind, und dazu der Assoziationszustand der Patienten das Können herab-
setzt; die einfachen Tagesereignisse nicht, offenbar weil sie zu bedeutungslos
für des Halluzinanten Psyche sind, die zunächst nur affektbetonte Gedanken in
Halluzinationen hypostasiert.
Das Alltäghche ist, daß die Stimmen in abgebrochenen Worten oder kurzen
Sätzen drohen, beschimpfen, kritisieren und trösten, daß Verfolger oder himmh-
sche Gestalten, bestimmte Arten von Tieren, Feuer und Wasser und dann irgend-
ein erhofftes oder gefürchtetes Miheu: das Paradies, die HöUe, ein Schloß, eine
Räuberhöhle gesehen werden; daß im Essen Ambrosia oder irgendein viel-
genanntes Gift oder Unrat geschmeckt wird; daß giftige Dünste oder ein wunder-
samer besehgender Duft die Kranken umgibt; daß sie die Liebeslust oder die
empfinden"^^ ^^^^"^ physikaHschen Einwirkungen geschändeten Körpers
Mit solchen Mitteln werden immer die gleichen Wünsche und Hoffnungen
und Befürchtungen ausgedrückt. Der Ehrgeizige vernimmt Andeutungen, die
Ihm Macht und Geld in Aussicht steUen, aber auch die Manöver der W^idersacher
enthüllen; der Eingesperrte hört Stimmen, die ihm baldige Freiheit versprechen
und andere, die die Freiheitsberaubung als ewige bezeichnen usw
80
Schizophrenie.
Die elementaren Halluzinationen des Gehörs sind verhältnis-
mäßig selten^ Auch sie haben meist eine Beziehung zum Patienten : das Rauschen
deutet auf Gefahr das Schießen geschieht zu seiner Rettung oder zu seinem
Verderben. Doch gibt es auch einzelne FäUe, wo solche Akoasmen keine andere
Bedeutung zu haben scheinen als etwa Ohrensausen für die Gesunden Es ist
aber Iraghch, ob diese Erscheinungen den Namen „HaUuzinationen" verdienen
Die gewöhnlichsten Gehörshalluzinationen sind diejenigen der
Sprache. In den Stimmen unserer Kranken hegt ihr Streben und Fürchten
ihr ganzes verändertes Verhältnis zur Außenwelt. Dem Megalomanen ver-
mitteln sie die Erfüllung seiner Wünsche, dem Rehgiösen den Verkehr mit
Gott und semen Engeln, dem Deprimierten sagen sie alles erdenkhche Unglück
an, den Verfolgten bedrohen und beschimpfen sie Tag und Nacht. Wort und
Begriff der „Stimmen" wird dem Patienten wie dem Wärter zum Repräsentanten
der Icrankhaften oder feindhchen Mächte überhaupt: die Stimmen reden nicht
nur, sondern sie elektrisieren die Kranken, schlagen sie, machen sie steif, nehmen
ihnen die Gedanken. Sie werden oft hypostasiert, teils als Personen, teils in
sehr sonderbarer Weise: über jedem Ohr des Kranken z. B. sitzt eine Stimme;
die eine ist etwas größer als die andere, aber beide ungefähr wie eine Walnuß,'
sie haben nur ein großes Maul und sonst nichts.
InhaltKch sind bei unseren Kranken die Bedrohungen und Beschimpfungen
am gewöhnhchsten.
Tag und Nacht kommen sie von der Umgebung, aus den Wänden, von unten,
von oben, aus dem Souterrain und vom Dach, aus Himmel mid Hölle, aus Nähe
und Ferne. Die Patienten hören aber auch, wie die Angehörigen oder ihre Befreier
kommen, wie diese von den Ärzten abgewiesen oder gefangen gesetzt, gemartert
werden. Wenn der Patient ißt, sagt man bei jedem Bissen: „es ist ein Diebstahl
darin"; wenn ihm etwas herunterfällt, tönt es: „wenn dir nur der Fuß abgeschlagen
worden wäre".
Sehr oft sind die Stimmen kontradiktorisch ; zunächst gegen den Patienten
(wenn er an Gott denkt, leugnen sie dessen Existenz); dann aber auch unter
sich (eine Kranke hat einen Abszeß, da sagen sie ,, Blut Vergiftung", dann wieder
„gute Heilung"; bei der Menstruation einer älteren Jungfer heißt es: „Periode,
aber Abänderung sollte es sein" und dann wieder „Frühlings Veränderung").
Die Rolle des Pro und Kontra wird oft von verschiedenen Stimmen, von ver-
schiedenen PersönHchkeiten übernommmen : die Stimme der Tochter des Hauses
sagt einem Patienten: ,,er wird verbrannt"; die der Mutter: ,,er wird nicht
verbrannt"; neben den Verfolgern hören die Kranken oft einzelne Beschützer.
Dann wieder amüsiert sich die nämHche Stimme damit, den Patienten zur Ver-
zweiflung zu bringen, indem sie seine Absichten billigt, ihn auffordert, einen
bestimmten Kauf zu machen, um dann, wenn es geschehen ist, ihn dafür zu
tadeln. Die Stimme befiehlt ihm, ins Wasser zu gehen, und höhnt ihn zugleich,
daß er es tut. Die Wärter, die Ärzte, ein PoHzist, „die Stimmen" überhaupt,
kritisieren mit VorUebe die Gedanken und Handlungen der Patienten. Bei der
Toilette tönt es: „jetzt kämmt sie sich", „jetzt zieht sie sich an", teils in einem
höhnenden oder tadelnden Ton, teils mit einem kritisierenden Zusatz. Die Stimme
kann auch verbieten, was der Patient gerade zu tun im Begriff ist. Manchmal
stellen die Halluzinationen die gesunde Kritik gegen wahnhafte Gedanken und
Akzessorische Symptome. Sinnestäuschung.
81
Triebe der Patienten dar. Für solche Stimmen erfinden die Kranken besondere
Zeichnungen; „Gewissensstimmen" werden sie an den verschiedensten Orten
genannt- mit „Rügeteufel" wird die negative Seite bezeichnet
' D ; Gew ssen'sstimmen können auch eine Absicht kritisieren bevor sie
dem Patienten zum Bewußtsein gekommen ist. Ein intelhgenter Paranoider
tirderThurgau hegte feindüche Gefühle gegen seinen Wärter; als d.eser ins
Z^me'titrsfgte ihm die Stimme in tadelndem Ton: „So em Thurgauer schlagt
einen anständigen Privatwärter einfach hm. , ^ v, j„r
Auch Wahrnehmungen werden in Stimmen umgesetzt, ohne daü sie be-
wußt wurden; dann werden die Stimmen für den Kranken zu prophezeienden;
ein Patient hört: „jetzt kommt einer mit dem Wasserkübel , dann geht die
Tür auf und das Vorausgesagte erfüllt sich. Andere Prophezeiungen smd mchts
als Wünsche und Befürchtungen des Kranken: Gottes Stimme sagt ihm, daü
morgen die Anstalt samt den Ärzten durch irgend eine Katastrophe weggefegt
und er erhöht wird. -r« • , j
Manchmal konstatieren die Stimmen einfach, was die Patienten tun oder
denken und zeigen damit eine deutliche Analogie mit dem Symptom des Be-
nennens; beim gewöhnhchen Benennen wird die Idee einer Handlung oder eines
gesehenen Gegenstandes in motorische Worte umgesetzt, hier in akustische.
Es kommt auch vor, daß der Patient, der ein Bild ansieht, hört: „das ist eine
Hochzeit"; die Stimmen „benennen" das Gesehene im eigentUchsten Sinne.
Häufig ist bei der Dementia praecox das Gedankenlautwerden (miß-
verständhch auch „Doppeldenken" genannt). Leise flüsternd oder in uner-
trägHch tönender Stärke hören die Kranken ihre Gedanken; „das Telephonnetz
nimmt alles ab, was ich denke". Auch Illusionen verkörpern dann die momen-
tanen Gedanken: „Was ich denke, Glocken rufens, Wagen knarrens, Hunde
beUens, Vögel singens, das war noch niemals geschehen auf der Welt." Auch
wenn die Kranken reden, so kann der Gedanke noch einmal halluzinatorisch
laut werden: „Wenn ich manchmal so etwas vor mich hin sage, so ist es mir,
wie wenn ich es in der Ferne hören würde" (666, S. 260). ,,Wenn ich aufhöre
zu reden, so sagen die Stimmen wieder, was ich gesagt habe." Besonders häufig,
aber nicht ausschUeßlich, kommt die Erscheinung beim Lesen und beim
Schreiben vor.
Eegelmäßig mischen sich dem Gedankenlautwerden andere Halluzinationen
bei: Einem Hebephrenen sprach man alles genau nach, wie er es sagte; ein Weib
hat alles, was er sagte, mit Bemerkungen begleitet; ein Mann las alles vor, was
er aufschrieb, ein anderer Mann verhandelte über ihn mit einem Weibsbild.
Die Stimmen geben auch Auskunft über sich selbst; sie sagen, wer sie
sind, wie sie aussehen, wo sie sind usw.. aber all das gar nicht so häufig; die
Kranken wissen es eben schon oder interessieren sich nicht dafür. Einer unserer
Patienten hörte zuerst die Stimme, und dann wurde gesagt, von wem sie kam.
Die Verwirrtheit der Kranken findet oft ihren Ausdruck in den Stimmen.
Manchmal reden viele zugleich, so daß der Patient nicht folgen kann; oft reden
sie ein Durcheinander, das der Kranke nicht aufzufassen vermag. Konfuses
oder sonst dem Patienten ganz Unverständliches wird häufig wahrgenommen.
In der Kegel aber hören die Kranken kurze Sätze oder einzelne Worte,
die für sich nicht einmal einen Sinn haben müssen; dieser wird erst von den
Handbuch der Psychiatrie: Bleuler. f!
82
Schizophrenie.
Patienten hineingelegt. Es ist außer der Komplikation mit Alkoliolismus
nicht so häufig, daß die Kranken zusammenhängende Eeden hören. Häufiger
schon sind Gedankendialoge, sei es mit Gott oder einem Beschützer oder mit
einem Verfolger. Oft nehmen die Stimmen spezielle Eigentümhchkeiten an;
sie reden ungeheuer langsam, skandieren, rhythmisieren, reimen, reden fremde
Sprachen usw.
Außer in die nähere und fernere Umgebung werden die Stimmen häufig
in den Körper lokalisiert, meist aus leicht einzusehenden Gründen: die Mutter
spricht im Herzen und in den Ohren des Kranken; vertraute Stimmen werden
überhaupt gerne in die Brust oder ins Herz lokalisiert. Manchmal aber tönt
es aus dem ganzen Körper „du Luder", „du Hure". Ein Polyp kann Anlaß
werden, die Stimmen in die Nase zu verlegen; Daimkatarrh bringt sie mit dem
Abdomen in Verbindung; schnarchendes Atmen, Kuktus knüpfen sie an die
entsprechenden Organe. Bei sexuellen Komplexen rufen der Penis, der Urin
in der Blase, die Nase obszöne Worte. Die wirkhche oder eingebildete Gravida
hört ihr Kind oder ihre Kinder im Mutterleib sprechen. Einer unserer Kranken
hat in der linken Hand (mit der er onaniert) ein Mädchen, das zu ihm spricht,
wenn er die Hand ans Ohr legt.
Nicht immer aber läßt sich der Grund der Lokahsation finden. So wenn
ein Patient nur sein Bein sprechen hört, oder wenn die Stimmen an verschiedenen
Orten unter der Haut sind und beständig rufen: ,, nicht herauslassen", „nicht
aufschneiden". Sonderbare Empfindungen müssen es sein, die die Patienten
zu Aussprüchen veranlassen, wie: ,,namenthch das letzte "Wort wurde mir einige
Minuten lang förmHch um den Kopf gewunden" (Kraepelin), oder: ,,die
Herzstimmen sind kranzförmig an meinem Leibe angewachsen"; ,,ich empfange
auch viele Stimmen, und zwar so, daß es oft förmHch auf mich regnet". Eine
unserer Kranken beschreibt eine bestimmte Kategorie ihrer Stimmen ,,wie wenn
sie nu't einem Ton anprallten, so daß es einen Schlag auf die Nerven gibt". Eine
andere — tadelnde — Stimme ist „eigentümhch schief, nicht wie angebrüllt"
und macht ihr „die schwarze Lineatur im Gesicht, das. sind schwarze Linien,
wie Dekorationen".
Gelegentlich sitzen die Stimmen nicht im Körper, sondern in den Kleidern;
eine unserer H'ebephrenen schüttelte beständig eine Unzahl von „sprechenden
Seelchen" aus den Röcken; einer andern kreuzen sich die Stimmen über den
Schultern. Auch die Dinge sprechen: die Limonade redet, aus der Milch tönt
des Patienten Name; die Möbel sprechen zu ihm. Wie gering" der Unterschied
zwischen Halluzinationen und Illusionen ist, zeigt sich u. a. darin, daß die Kranken
in der Stille aus einer behebigen Stelle Stimmen hören, die aber sofort, wenn
ein Geräusch auftaucht, in dieses lokaHsiert werden. Mag na n berichtet, daß,
wenn gute und böse Stimmen verschieden lokaHsiert werden, die guten von
oben kommen, die bösen von unten. Dieses Verhältnis ist nicht so selten und
entspricht ja unseren reHgiösen Vorstellungen; aber man kann es kaum als
Regel aufstehen, weil es zu viele Ausnahmen gibt. Die gleiche Bedeutung hat
es, wenn ein Kranker auf der ruhigen Abteilung die Stimmen von oben hört,
auf der unruhigen von unten; er fürchtet die Stimmen von unten ganz besonders.
Es kann auch vorkommen, daß die beiden Parteien, die sich mit dem
Patienten abgeben, sich in seine beiden Seiten teilen. NamentHch die Gehörs-
Akzessorische Symptome. Sinnestäuschungen.
83
halluzinationen sind nicht allzu selten „auf dem einen Ohr" angenehm, auf dem
andern unangenehm; ich konnte aber nicht immer eine bestimmte Vorüebe
der guten Stimmen für die rechte Seite beobachten, wie andere Autoren ge-
funden haben wollen; immerhin redete symboHscherweise einer unserer Kranken
der HeiHge Geist ins rechte Ohr, die Schlange ins Unke.
Manchmal sind auch die Stimmen nur- einseitig; oft, aber nicht immer,
findet man den Grund in einer Erki'ankung des betreffenden Ohres, so daß es
sich wohl um illusionäre Deutung von Ohrengeräuschen handelt.
Die Halluzinationen der Körperempfindungen bieten eine
Mannigfaltigkeit, der eine Beschreibung unmögüch gerecht werden kann.
Alle Organe können Sitz von argen Schmerzen sein ; der Kopf wird so emp-
findlich, daß die leiseste Berührung der Haare entsetzlich weh tut^); das ganze
Gerippe schmerzt. Die Patienten werden geprügelt, gebrannt, man sticht ihnen
glühende Nadeln, Dolche, Spieße in den Leib; die Arme werden ihnen aus- und ein-
gerenkt; der Kopf wird ihnen nach hinten übergezogen; die Beine kleiner gemacht,
die Augen herausgezogen, so daß sie sie im Spiegel auch als ganz aus dem Kopfe
herausragend sehen; man preßt ihnen das Haupt zusammen; ihr Körper ist wie
eine Ziehharmonika geworden, er geht auseinander und wieder zusammen; sie haben
Eis im Kopf, smd ganz in einen Eiskeller gesteckt worden ; im Körper ist siedendes
öl; auf der Haut sind lauter Steine; in den Augen, im Gehirn flimmerts; eine Kugel
läuft spiralförmig an den Schädeldecken von der Basis zum Scheitel; man zupft
die Patienten wie das Roßhaar einer Matratze. Im Magen ist ein Gefühl, wie wenn
die Speisen nicht drin gebheben wären, er wird aufgeblasen; die Lunge wird so auf-
gebläht, wie wenn ein dicker Herr von den Genitahen durch den Bauch in die Brust
heraufgezogen würde; am Bauchnabel ist falsches Herzklopfen; der Herzschlag
wird bald gehemmt, bald beschleunigt, das Atmen wird verhindert, der Harn abge-
zogen oder zurückgehalten. Alle Organe werden herausgenommen, zerschnitten,
gezerrt, umgedreht; der eine Hoden ist geschwollen; die Nerven, die Muskeln, alle
möghchen Organe werden gespannt.
Auch den Normalen unverständliche Körperempfindimgen kommen in Menge vor.
Wenn es jemand gut mit einem unserer Paranoiden meint, so „berührt es ihn sanft",
wenn jemand es schlecht meint, „schlägt es ihn". Er fühle es nicht an der Haut, sondern
mehr im Kopf; es teilte sich dann dem Körper mit, die Haltung verändere sich.
Täuschungen der kinästhetischen Sinne und des Vestibular-
organs treten im ganzen zurück; doch glauben die Patienten etwa bestimmte
Handlungen auszuführen, während sie in WirkHchkeit im. Bett liegen oder un-
beweghch an einer Wand stehen. Da müssen natürUch diese Organe mit-
halluzinieren. In traumhaften Zuständen kommt es etwa vor, daß die Kranken
wie Epileptische unkoordinierte Bewegungen machen, während sie zu kämpfen
oder eine Liebesszene durchzumachen glauben. Unter Umständen nimmt man
alle möghchen Dislokationen mit ihnen vor, wirft sie durch die Luft, stellt sie
auf den Kopf. Es kommt auch etwa vor, daß die Kranken glauben, einzelne
Gheder werden bewegt, wähi-end objektiv nichts wahrzimehmen ist. Einer
unserer Paranoiden spürt Kopf- und Schulterbewegungen, die er aber für die
emer halluzinierten Person hält. ÄhnHch sagt ein Kranker (526): „Wenn die
Stimmen ihre Zunge bewegen, spüre ich es in meinem Mund." Selten spür-en
die Kranken Worte als motorische Schriftbilder in den Händen (38, S. 153).
1) Wohl analog der Exazerbation von Stimmen während eines Geräusches.
6*
84
Schizophrenie.
Die kinästhetischen Sinnestäuschungen der Sprachorgane sind
wohl die häufigsten. Die Kranken glauben zu sprechen, ohne daß man objektiv
etwas davon bemerken kann^). NatürUch darf man nicht Gehörshalluzinationen
ohne weiteres auf Halluzinationen des sprachhchen Muskelsinnes zurückführen ;
aber die kinästhetischen Halluzinationen verdienten doch ein erneutes Studium^).
Unter den schizophrenen Körperhalluzinationen sind die sexuellen
wohl die häufigsten und wichtigsten.
Alle Wonnen normaler und abnormer Greschlechtsbefriedigung werden von den
Kranken durchgelebt, aber noch viel häufiger alle Scheußlichkeiten, die sich die
üppigste Phantasie ausdenken kann. Den Männern wird der Same abgezogen, man
macht ihnen schmerzhafte Erektionen; dann wieder werden sie impotent gemacht ; man
brennt, schneidet, reißt die inneren und äußeren Genitalien; Frauen werden in der
raffiniertesten Weise geschändet, verletzt, zum Koitus mit Tieren gezwungen usw.
usw. Oft ist die Sexualempfindmig nicht nur für den Beobachter, sondern auch für
den Kranken selbst verhüllt. Stechen, Wühlen und dergleichen Sensationen werden
von Patientinnen sehr häufig zunächst in die Brust verlegt, während es sich bei
geeignetem Fragen oder noch besser bei freiem Aussprechenlassen der Kranken
herausstellt, daß die Erscheinmigen ihren Sitz eigentlich in den Genitalien haben.
Gar nicht selten handelt es sich aber nicht bloß um einen sprachlichen Euphemismus,
sondern um eine wirkliche Verlegung genitaler Empfindungen an andere Orte des
Körpers, namentlich ins Herz, dann bei Männern in die Nase, bei Frauen in den
Mimd. Sogar die ursprünglich genitalen Stimmen machen solche Wanderungen.
Ein Hebephrene mit starkem Onaniekomplex, der eine Zeitlang sein Glied rufen
hörte: ,, Vogelsang, Vogelsang", vernahm später die gleiche Stimme im unverfäng-
lichen rechten Ohr. Sehr häufig wird die sexuelle Halluzination auch inhaltlich
verkleidet: Elektrisiert- und Gebranntwerden hat meist sexuelle Bedeutung. Eine
unserer Patientinnen beklagte sich über Schaukelpferde im Bett, deren Stöße sie
fühle; ein genaueres Examen zeigte, daß es sich um Koitusgefühle handelte, die
allerdings auch für die Patientin sich in Schaukelpferde verwandelt hatten. Denn
trotz der symbolischen Bedeutung vieler solcher Halluzinationen sind die meisten
derselben wirkliche Empfindungen, die uns nicht bloß vorgetäuscht werden durch
metaphorische Ausdrucksweise der Kranken. Immerhin kommt gerade bei den
Körperhalluzinationen die uneigentüche Bedeutung mancher Worte häufiger zur
Geltung als bei den Berichten über Täuschungen anderer Sinne. Das Brennen hat in
einzelnen Fällen keine sinnliche Deutlichkeit; und wenn eine Kranke sagt, sie werde
gewürgt, bis sie gewisse Worte herausrufe, so stellt sich bei näherem Zusehen heraus,
daß das Würgen im uneigentlichen Sinne den Zwang ausdrückt, etwas zu sagen.
Die Körperhalluzinationen kommen besonders gern als Keflexhalluzina-
tionen vor; auch sonst treten sie oft anfallsweise auf. Sie machen dann oft
den Eindruck abortiver katatoner Anfälle: „es fängt an den Füßen an wie ein
Krampf, geht dann den Leib hinauf bis in die Arme und juckt, geht in den Bauch
und rumpelt, dann kommt's ans Herz, reißt, zerrt, geht an den Hals, daß er
fast erstickt, dann hört's auf; oft geht^s in den Kopf und dann bin ich ganz
verloren"^). Solche AnfäUe haben manchmal deutlich sexuellen Charakter;
1) Dumont de Monteux (in Ballet 38, S. 148) nennt es „chique nerveusc , wenn
die Patienten das muskulär halluzinierte Wort wie einen Fremdkörper mi Munde «mpfmden.
2) Die Arbeit Cramers (135) hat die Bedeutung und das Vorkommen der Hallu-
zinationen des Muskelsinnes überschätzt.
») Übergang zu katatonischen Anfällen.
Akzessorische Symptome. Sinnestäuschungen.
85
ei
vers
mal
nzelne Patienten geben spontan an, daß sie sexuelle Gefühle bald angenehmen,
bald unangenehmen Charakters dabei haben; bei anderen kann man es aus
•steckten Andeutungen oder anderen Indizien schheßen.
Die Gesichtshalluzinationen sind bei klarem Bewußtsein verhältnis-
mäßig selten und nehmen da unter Umständen den Charakter von eigentlichen
Pseudohalluzinationen an, indem sie als Täuschungen erkannt werden. Häufiger
allerdings erscheinen sie dem Kranken als wirkliche „Bilder", nicht aber als
wirkUche Gegenstände.
Die folgenden Beispiele stammen alle aus chronischen Zuständen mit Be-
sonnenheit. Erscheinungen von Licht, Nebel, Dunkelheit u. dgl. gehören zu den
häufigeren Vorkommnissen; eine Patientin sieht vor den Augen Nebel und Wolken,
„die das Gesicht und die Gedanken verfinstern". Auch geometrische Figuren werden
aesehen. Ein Kranker sieht beständig ein paar weiße Augen vor sich; ein anderer
Köpfe um sich herumstehen; es schweben Leute in der Luft, von denen die einen
sich freuen, die anderen weinen; „Engel so groß wie Wespen" umfliegen den Kranken;
vor einer Hebephrenen tauchen Hände auf, deren Träger nicht gesehen werden.
Geister in verschiedenen Farben schweben um die Kranke, schlüpfen durch die
Glieder in sie hinein; eine andere sieht Elefanten und andere Tiere, auch Menschen,
Räuber in ihrer Brust ein- und ausgehen. Eine sieht zweistöckige Wagen in ver-
schiedenen Farben mit je zwei Pferden unter der Haut der Magengrube von links
nach rechts und dann unter dem rechten Arm hinaus und auf der Straße weiter
fahren.
Tiervisionen sind nicht sehr häufig, wenn nicht der Alkohol die Symptome
mit determiniert. Immerhin kommen die Sexualtiere: Schlangen, Elefanten,
Pferde, Hunde nicht allzuselten vor, wenn sie auch öfters gefühlt als gesehen werden.
Eine Kranke hat gesehen, wie ihre eigenen Knochen ein Hund sind.
Ganze Szenen werden außerhalb der akuten Dämmerzustände nicht so
häufig gesehen, sind aber bei den letzteren — belebt durch Halluzinationen anderer
Sinne — etwas Gewöhnliches. Ein deprimierter Hebephrene sah am hellen Tage
eine Schafherde ohne Hirten in einer mibekannten Gegend. Drei Tote in bestimmten
Stellungen liegen da, und zugleich ist des Patienten Mutter anwesend, run ihn zu
beschützen. Bettdecken liegen auf des Nachbars Dach; das Nachbarhaus brennt;
um das Wachtlicht wickelt sich eine Schlange; ein Herr wird beständig guillotiniert;
Herren und Frauen sitzen um das Licht gruppiert. Die Cousins einer sehr jtmgen
Katatonika prügeln sich zum großen Vergnügen der Kranken, stehen auf dem
Kopf; über dem Kopf der Ärztin stehen eine Menge Menschen, in der vorderen
Reihe die guten, hinten die bösen, darunter ihre Eltern (die die Patientin mit Recht
fürchtet). Der Himmel steht offen; die Engel und die Heiligen und der Herrgott
selbst verkehren mit dem Kranken. — Am häufigsten erscheinen furchtbare Gestalten
aus der Hölle, Räuber, die den Patienten bedrohen. — Worte in einer beliebigen
Schrift sind nicht selten, auch etwa ganze Sätze kommen vor. Manchmal blitz-
artig, als Verkörperung irgendeines Einfalles. So sah ein Paranoider, dem der Wärter
Medizin eingab, plötzlich in der Höhe das Wort „Gift".
Auch bewußte Gedanken oder die Predigt, die man eben hört, können in ver-
schiedenen Zeichen geschrieben vor sich gesehen werden („Gedankensichtbar-
werden", Halbey).
Das Verhältnis der GesichtshaUuzinationen zur wirklichen Umgebung ist
ein sehr verschiedenes. Oft werden sie einfach in die Umgebung hineingesetzt:
über dem Kopf der Ärztin stehen Leute; andere gehen durchs Zimmer wie wirk-
liche Menschen. Manchmal fällt den Patienten das von der gewöhnlichen Er-
8J
Scliizopbrenie.
fahrung Abweichende auf; Visionen, z. B. von Menschen, können durchsichtig
erscheinen, indem die Wirldichkeit hinter ihnen sichtbar bleibt. Auch durch
eine besonders scharfe Definition, ebensowohl wie durch Unklarheit der Um-
risse können sie sich auszeichnen: ein Kranker sieht nachts einen Mann und
eine Frau am fernen Wald so scharf „wie ausgeschnitten", Figuren werden auf
den Patienten zugestrahlt"; sie verschwinden, wenn er die Augen öffnet;
manchmal wieder werden Visionen nur mit offenen Augen gesehen. Im Gegen-
satz zu den Stimmen werden die Visionen nur ausnahmsweise als Repräsentanten
des ganzen Spukes aufgefaßt: Bilder gehen dann nicht nur herum, sondern sie
lärmen, handeln.
Die Geschmacks- und Geruchshalluzinationen der Schizophrenie
haben nichts Besonderes.
Die Kranken schmecken Sperma, Blut, Kot, alle möglichen Gifte im Essen;
Seife ist in den Nudeln, Unschhtt im Kaffee; es kommt ihnen etwas Staubartiges
von bitterem Geschmack angeflogen; Gerüche und Gifte werden ihnen durch den
Mund beigebracht, so daß sie sich nicht mehr anders helfen können, als indem sie
sich den Mund mit Wolle oder Lappen vollstopfen, bis sie blau werden. ,,Das Fleisch
stinkt, wie wenn man ein goldenes Ei darauf zerdrückt hätte"; im Zimmer, riecht es
nach Leichen, nach Chloroform; nach Pech, nach „Schlangendimst"; das Bett riecht,
es ist mit Zwiebelfladen mid Tabak verunreinigt worden. Ein Patient riecht seine
Onanie. Bei ekstatischen Zuständen kommen auch allerhand angenehme Gerüche
vor; eine Kranke spürt einen himmlischen Geruch im Mund und in der Nase, wenn
sie bei einem bestimmten Pfarrer in der Kirche ist.
Die Tasthalluzinationen sind selten und erscheinen, auch wenn sie
vorkommen, meist recht ärmlich, namentlich wenn man sie mit denen beim
Dehrium tremens vergleicht.
Gelegentlich spüren Kranke Tiere an ihrem Leib herumkrabbeln, namentlich
Schlangen, aber auch andere kleinere Tiere werden so halluziniert. Eine Patientin
ist „im Ameisenbett oder Schlangenbett". Auch werden halluzinierte Gegenstände
erfaßt, weggeschoben usw.
*
Die Illusionen der niederen Sinne, die sich ja nicht recht von den
Halluzinationen trennen, können hier übergangen werden. Viel wichtiger sind
dagegen die Gehörsillusionen; alles was halluzinatorisch wahrgenommen
werden kann, mag auch als Illusion auftreten. Alle Geräusche, alles was über-
haupt den Akustikus reizt, kann Anlaß zu Illusionen geben; besonders ist
noch darauf aufmerksam zu machen, daß auch die gesprochenen Worte sehr
häufig illusionistisch umgehört werden; ganz beiläufige Bemerkungen, Gruß,
Gespräch mit einem andern Kranken, alles kann der Patient im Sinne seines
Wahnes verstehen. GelegentUch wird nur die LokaUsation einer Wahrnehmung
verändert; so hörte eine Kranke die wirklichen Reden einer Nebenpatientni m
ihrer eigenen Brust.
Am meisten Bedeutung bekommen die Illusionen des Gesichtes. Mit
der Umgebung kann man sich nur abfinden, wenn dieselbe optisch einiger-
maßen aufgefaßt wird. Der vollkommene Dehrant, der die ganze Umgebung
weghalluziniert und sich dafür eine eingebildete schafft, ist bei der Schizophreme
Akzessorische Symptome. Sinnestäuschungen.
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verhältnismäßig selten; auf die Dauer können bei einem handelnden Patienten
Halluzinationen des G-esichts nicht bestehen, sondern nur Illusionen und von
diesen nur diejenigen, die sich einigermaßen mit der Wirklichkeit abfinden.
Der Illusionierende kann statt der Zimmerwand die Wand eines Palastes oder
eines Gefängnisses sehen und diese Illusion ohne Schaden und Korrektur durch-
führen; wenn er aber an Stelle des Fensters eine Tür sieht, riskiert er zu ver-
unglücken.
Ein Kranker sieht alles rot, ein anderer alles weiß; der Wärter erscheint als
Neger, die Straßenlaterne ist das Auge eines Gespenstes; das Kaffeegeschirr fängt
an zu hopsen; eine Patientin sieht auf jedem Menschen zwei Köpfe, eine andere
sieht kleine Gegenstände, wie Finger und Schlüssel, doppelt, und in der Bibel findet
sie auf jeder Seite den Namen des Arztes, auf den sie ihre Liebe übertragen; ein
Kranker prügelt einen anderen, weil dieser ans Fenster geht und ihn so hindert,
die bedeutungsvollen Worte zu lesen, die die Formen des Gitters bilden. Die Ärzte
erscheinen als Teufel; alle lungebenden Personen sind weiß und tanzen; jede Nacht
werden wieder andere Gestalten hingestellt; es kommen zwei Männer mit langen
Hemden, die Patientin winkt einem, da ist es die Patientin H. Die Mitpatienten
bekommen während des Anblickens andere Gesichter.
Menschen und Dinge kömien auch die Größe ändern, meist in dem Sinne,
daß sie größer erscheinen als normal, oder daß sie in beängstigender Weise vor den
Augen des Patienten immer größer werden. Daß die Gegenstände kleiner werden,
kommt auch vor, doch viel seltener. — Eine Katatonika sah die Leute umgekehrt',
auf dem Kopfe.
Häufig ist die bloße Empfindung des „Fremdseins". Den Kranken
kommt alles anders vor als sonst; die Welt, die Bäiune treten zurück, die Ärmel
am Rock smd länger, die Haare des Pelzes haben eine andere Farbe. Ein Arbeiter
in einer Fabrik sieht eine Heuschrecke und wird höchst beunruhigt über das un-
bekannte, unheimHche Tier. Einer Hebephrenen kommt es vor, wie wenn die Bauern
auf dem Feld nicht arbeiteten, sondern nur Bewegungen machten i).
Kombinierte Halluzinationen und Illusionen der verschiedenen
Sinne treten bei den Dämmerzuständen und den akuten halluzinatorischen
Aufregungen ganz regelmäßig auf: die Kranken glauben sich in einer bestimmten
Umgebung, sie sind in einer Räuberhöhle, die Wärter sind Räuber und Mörder,
die sie quälen wollen, die Betten sind Foltergegenstände; alles was sie wahr^
nehmen, entspricht diesen Vorstellungen. Oder sie sind im Himmel, sehen,
hören, fühlen, riechen und schmecken die Freuden des Paradieses. Aber auch
bei besonneneren Halluzinanten sind Kombinationen der Sinnestäuschungen
etwas mcht Seltenes; namenthch verbinden sich Täuschungen der beiden bevor-
zugten Smne, des Gehörs und der Körperempfindungen miteinander: die Kranken
hören Drohungen oder Verabredungen, wie man sie plagen will, und spüren
dann auch die Folgen der Einwirkungen usw. Manchmal sind auch bei ganz
komponiert sich verhaltenden Kranken alle Sinne gleichzeitig beteüigt.
Fr der immer ganz arbeitsfähig ist, gab folgende Schilderun-
Er fühlt den Hinterkopf beweglich, als könne er ihn nach vorn aufklappen; fühlt
den Kopf nach rechts oder hnks verschoben; sieht überall Köpfe, große kleine
mÄ ' "'T"\ d"-^«-^^*ig«^ undurchLilg Rie 1;
meist_Un^ selten Angenehmes: Petrol, Ammoniak, Geruch aus Mund
^) Üb3r cli3 Auffi33un3 dieser Erscheinung siehe S. 45 f.
RR
°° Schizophrenie. .
und Ohren; schmeckt einen Geschmack „wie Verdruß und Ärgtr" (= bitter);
hört beim Lesen Bemerkungen zur Orthographie. Hört, man müsse ihm einen
Streich geben und fühlt den Streich. Hört Worte im Geräusch der Säge, fühlt
ein Anhängsel am Kopf, einen Wasserkropf ; die eine Brustseite steht vor; beweglichen
Körper im Hals; Kreuzschmerzen; sieht und fühlt beim Baden einen vortretenden
Knochen am Bein „in Wasserfarben", fremde Körper im Hoden; Penis verschleimt,
vergrößert. Stimmen kommen vom Kehlkopf und gehen nach dem Hinterkopf'.
Die Stimmen drücken ihm den Schädel krumm, den Mund, das Auge schief, er
spürt eine Stimme im linken Nasenloch, wird mit Stimmen behandelt; „das wirkt
anregend, sollte nun aber vorbei sein".
Auslösung der Halluzinationen. Wie bei anderen Krankheiten,
treten auch bei der Schizophrenie die Halluzinationen am ehesten dann auf,
wenn die Kranken sich selbst überlassen sind. Ablenkung vermindert sie, die
Einsamkeit und Stille der Zelle begünstigt sie. Das Dunkel vermehrt die Visionen,
wenn auch der Unterschied zwischen Tag und Nacht nicht so groß ist wie bei
Alkoholikern, Senilen und Fiebernden. Doch hat die Regel viele Ausnahmen.
Einzelne Kranke werden gerade bei der Arbeit am meisten von Stimmen geplagt.
Irgendwelche Reizzustände in beUebigen Körperorganen, Entzündungen, voller
Magen, Spannung in den Gedärmen, Sekrete in den Bronchien können Körper-
halluzinationen auslösen; auch objektiver Schall kann Stimmen hervorrufen,
die man in der Mehrzahl der Fälle nicht als Illusionen auffassen kann. So ver-
stopfen sich die Kranken die Ohren nicht nur, um die Stimmen gut zu hören,
sondern auch umgekehrt, um sie nicht zu hören. Elektrische Reizung des
Akustikus kann Stimmen hervorrufen^), Elektrisation des Kopfes kann sie aber
auch aufhören machen").
Auch zufällige Momente beeinflussen die Sinnestäuschungen. Oft haben
die Kranken Ruhe, solange gewisse 'ihnen notwendig erscheinende Umstände
nicht eingetreten sind; ein Paranoider verwundert sich darüber, daß man die
anderen Kranken auch über ihn reden mache, wenn sie den Mund geschlossen
halten; sind keine Patienten in der Nähe, so hört er auch nichts. Eine Patientin
hört die Stimmen, die im Herzen lokahsiert sind, dann am besten, wenn sie die
Hand aufs Herz legt. Viele bringen die Stimmen zum Aufhören durch allerlei
Zauber und Faxen oder durch Aussprüche, wie „aha, das ist so"; manchmal
hilft auch lautes Schreien oder Reden. Sehr häufig treten die Halluzinationen
auf, wenn eine Person erscheint, die in die Wahnideen verwoben ist: manche
Kranke hören sofort Stimmen oder fühlen sich elektrisiert, erstickt, wenn z. B.
der Arzt die Abteilung betritt; sie spüren die im Schloß gedrehten Schlüssel in
der Brust; fühlen sich „eingestrickt", „eingelöffelt", wenn neben ihnen jemand
strickt oder ißt; das Erscheinen einer bestimmten Wärterin nimmt ihnen den
Atem. So wird oft quasi die Idee zur Halluzination durch ein anderes Sinnes-
organ gegeben („Reflexhalluzinationen"); eine Patientin hat Geruchs-
halluzinationen bei gewissen Gesichtseindrücken; eine Patientin Pf isters horte
während des Füttems, daß mit der Sonde soeben die Vagina einer unreiiiHchen
Patientin ausgespült worden sei. Wenn er jemanden erblassen sah, spurte ein
Katatoniker Leichengeruch. Als eine Patientin Fleisch schnitt, glaubte die
1) Vgl. z. B. Chvosteck.
2) Vgl. Fischer 221.
Akzessorische Symptome. Sinnestäuschungen.
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Nachbarin sich aufgeschnitten und spürte Schmerzen, bekam eine Ohnmacht.
Auch das halhizinatorische Benennen kann als Keflexhalluzination aufgefaßt
werden; wenn ein Patient z. B. ein Schiff sah, so hörte er: „das Schiff, das Schiff".
In gewissem Sinne sind viele schizophrene Halluzinationen vom Willen
abhängig. Nur in selteneren Fällen allerdings können die Kranken ganz will-
kürlich sehen oder hören, was ihnen beliebt. Sehr oft dagegen geben die Stimmen
Auskunft über bestimmte Komplexgedanken der Patienten; diese führen ein
Zwiegespräch mit ihnen oder sie wenden sich an sie, wenn sie eine Frage des
Arztes nicht beantworten können. Wird die Aufmerksamkeit auf die Stimmen
gewendet (oder wenigstens von anderen Dingen abgekehrt), so werden sie jueißt
besser wahrgenommen. Doch überraschen sie den Patienten auch oft mitten
in anderen Gedanken, und es kann vorkommen, daß die Aufmerksamkeit die
Täuschungen auslöscht. Meistens allerdings erzwingen sich die Halluzinationen
die Aufmerksamkeit oder, anders ausgedrückt, der krankhafte Vorgang besteht
nicht nur in der Ps endo Wahrnehmung, sondern zugleich in der Richtung der
Aufmerksamkeit auf dieselbe. So ist es meist schon ein Zeichen von Beruhigung^
wenn es einem Kranken gelingt, die Halluzinationen ,,abzuherrschen", d. h.
ihnen die Beachtung zu entziehen. Sie ganz zu unterdrücken, geHngt nur aus-
nahmsweise. Ein Paranoider kann den vom Fuß zum Kopf aufsteigenden
„mumienartigen Gefühlen" (Eintrocknen und Einschrumpfen) wenigstens Halt
gebieten, so daß sie z. B. in der Brust stehen bleiben.
Natürhch sind auch alle inneren oder äußeren Einflüsse, die die Krankheit
überhaupt verschhmmern, Agents provocateurs der Halluzinationen: un-
angenehme Affekte, namentUch Aufregungen, Alkohol, Schübe des Krankheits-
prozesses usw.
In zwei Fällen sah ich Gehörshalluzinationen nur dann auftreten wenn die
Patienten lagen. Auch Brierre de Boismont erwähnt einen Fall, wo die Stimmen
durch Neigung des Kopfes hervorgerufen wurden. (Blutdruckänderung im Kopf?)
Nicht selten provoziert mäßiger oder unmäßiger Alkoholgenuß Halluzinationen
aller Arten.
Die vier Haupteigenschaften der Halluzinationen: Intensität, Deutlich-
keit, Projektion nach außen, Realitätswert, sind bei der Schizophrenie
gänzüch unabhängig voneinander, so daß jeder derselben innerhalb maximaler
Grenzen wechseln kann, ohne die anderen zu beeinflussen.
Intensität. Vom leisesten Flüstern und Säuseln bis zur erschreckenden
Donnerstmime, vom leichten abnormen Gefühl im Körper bis zu unerträghcher
i-mpfmdung des Zerrissen-, Gebrannt-, Elektrisiertwerdens, vom zarten Dunst
bjs zum blendenden Licht kann alles halluzinatorisch wahrgenommen werden Mit
der zwangsmäßigen Aufmerksamkeit hat die Intensität keinen notwendigen
Zusammenhang, wenn auch wohl ceteris paribus starke Trugwahrnehmungen
eher beachtet werden müssen ; leises, kaum oder gar nicht verständhches Flüstern
beschäftigt oft die Patienten mehr als zu anderen Zeiten das lauteste Rufen
immerhin haben Intensität, Zwangsbeachtung und Deutlichkeit der Projektion
nach außen die gemeinsame Eigenschaft, oft mit den Schwankungen der Krank-
neit zu- und abzunehmen.
und .?h'V^'^>^^''*- Wahrgenommene aufdringlich klar
und scharf. Dann wieder hören die Kranken nur ein Geräusch, nur ein ver-
90
Schizophrenie,
wirrtes Gemurmel, oder sie sehen etwas Nebelhaftes, unklare Gestalten, die
sie mehr oder weniger unbewußt als eine bestimmte Erscheinung erst deuten
müssen. Eine Patientin verstand die Stimmen nicht, merkte aber aus dem Lärm,
daß sie getötet werden sollte; zwei Patientinnen Pfersdorffs (560, S. 742)
hörten französisch schimpfen, obschon sie nicht französisch verstanden; „die
Worte werden meist nicht deutlich verstanden, aber der Sinn" (ebenda, S. 743).
So erzählen die Patienten sehr häufig nicht wörthch, was sie gehört, sondern
allgemeine Phrasen: ,,die Nachbarn haben Haß und Neid gegen sie gehabt",
,,es war ein öffentliches Gespött und Witzeln". Die Patientin hat ,, scheuß-
lichen Natterngeruch" gespürt. Auf den Einwand, daß sie ja nicht wisse, wie
Nattern riechen, meint sie: „man kann auch sagen Morphium". Durch solche
Unbestimmtheiten wird der subjektive Wirkungswert in keiner Weise beein-
trächtigt; die Patienten glauben eben an ihre Auslegungen, die sie für Wahr-
nehmungen halten.
Am auffallendsten sind die Verhältnisse der Projektion nach außen.
Viele Halluzinationen werden genau wie die wirkUchen Wahrnehmungen nach
a,ußen projiziert und können von diesen subjektiv nicht unterschieden werden.
Eine scheinbar besondere Stellung nehmen allerdings die Hallzuinationen der
Organempfindungen ein; für sie ist der Körper das, was man sonst die Außen-
welt nennt. Man kann sie meist ganz gut von bloßen Parästhesien bei anderen
Krankheiten unterscheiden, weil sie in allen Beziehungen den Halluzinationen
der anderen Sinne parallel gehen. Sie werden nicht als Empfindungen auf-
gefaßt, die uns auf irgendeine Abnormität im Körper aufmerksam machen; der
Halluzinant hat nicht einen brennenden oder stechenden Schmerz, sondern er
wird gebrannt, gestochen. So wird wenigstens die Ursache ganz nach außen
projiziert. Bei kombinierten Sinnestäuschungen bilden diese Körperemp-
findungen ein gleichwertiges Element unter den anderen halluzinatorischen
Komponenten.
Anderseits unterscheiden viele Kranke primär, was sie wirküch sehen und
hören von dem, was ihnen „vorgemacht wird", den ,,absichtUchen Halluzinations-
eintreibungen"', Demnach sind sie oft geneigt, auch den Inhalt dieser Hallu-
zinationen für Wirklichkeit zu halten, und es ist etwas GewöhnUches, daß auch
die Patienten, die solche Unterscheidungen machen, doch eine Menge anderer
Halluzinätionen als gewöhnhche Sinneswahrnehmungen betrachten.
Es kommen ferner alle Übergänge vor, von den normalen Vorstellungen
zu den Sinnestäuschungen mit vollkommener sinnhcher Deuthchkeit.
Obschon die Gehörshalluzinationen am meisten Beachtung finden, wissen
auch intelligente Kranke oft nicht zu sagen, ob sie die Stimmen höreu, oder ob sie
sie nur denken müssen; es sind „so lebhafte Gedanken", die aber doch von den
Patienten selbst Stimmen genannt werden; dann wieder sind es „laute Gedanken",
tonlose Stimmen", zwei Ausdrücke, die vielleicht dasselbe, jedenfalls etwas sehr
Ähnliches bedeuten. Einer unserer Schizophrenen gibt an, die Worte nicht zu hören,
es sei ihm nur, wie wenn seine eigene Stimme dieselben ausspreche (Übergang zu
den Halluzinationen des Muskelsinnes der Sprechorgane), dennoch scheinen ihm die
Worte „lauter", wenn er sich körperlich anstrengt. Ein anderer Patient hat kerne
«igentUchen Stimmen mehr, sondern „nur noch sonderbare Ware auf den Lippen^^.
Ein anderer Kranker hat die Stimme bald „im Gedächtnis", bald „hinter den Ohi-en
Die Unabhängigkeit von der eigentlichen Sinnesempfinduug druckt ein Fatieut
II
Akzessorisclie Symptome. Sinnestäuschungen.
91
Koeppes sehr drastisch aus: „Ich könnte stocktaub sein, und doch die Stimmen
Mreu." xManchmal ist es den Kranken, „wie wenn sie hörten", was nicht hindert,
daß sie auf eine solche Aufforderung hin im Tag hundertmal das Fenster offnen,
oder daß einer extra an den Rhein reist, um sich ins Wasser zu stürzen. Letzterer
Patient beschreibt die Empfindungen: „Es war mir, wie wenn jemand mit Fingern
auf mich zeigte und sagte: geh und ertränke dich; es ist, wie wenn wir sprechen;
ich höre es nicht in den Ohren, ich habe die Empfindung in der Brust, doch ist es
mir, wie wenn ich einen Klang hörte." Ganz merkwürdig ist der Ausdruck, dem
man etwa begegnet: die Stimmen werden mir „wie zu den Ohren herausgehaucht",
oder „wie wenn man aus meinen Ohren hinaus mit mir redet". Es scheint, daß diese
Patienten ein gewisses Gefühl dafür haben, daß die Stimmen von innen heraus
kommen. Ein Kranker erklärte, früher sei mit ihm „äußerlich" geredet worden,
man sprach ihm in die Ohren; dazu müsse man „einem die Richtung nehmen zum
Ohr". Dieser Patient „hörte auch in den Beinen ein Zucken", z. B. gerade bei der
Prüfling „heißt es: schweig, oder etwas Ähnliches". Es wird also hier durch
das Zucken im Bein der Gedanke ausgelöst (oder ausgedrückt?), daß er besser täte
zu schweigen. Patient glaubt diesen Gedanken im Bein zu hören; die akustische
Komponente ist aber so vag, daß Patient nicht einmal sagen kann, in was für Worte
der Gedanke gekleidet wird. Am nächsten den wirklichen Wahrnehmungen stehen
wohl Phoneme, „die keine eigentlichen Stimmen, sondern nur Nachbildungen von
Stimmen verstorbener Verwandten sind".
Diese Beispiele erschöpfen die vorkommenden Nuancen der Projektion
von Gehörshalluzinationen noch lange niclit. Die Patienten unterscheiden im
großen und ganzen zwei Hauptklassen: die Stimmen, die von außen kommen
ganz wie natürUche — und dann die in den eigenen Körper projizierten, die
fast gar keine sinnhche Komponente haben und am häufigsten als innere
Stimmen bezeichnet werden (Baillargers psychische Halluzinationen).
Diese letzteren sind also viel weniger Halluzinationen der Wahrnehmung
als Halluzinationen der Vorstellung. Der krankhafte Prozeß dieser
Grenzfälle hat mehr Beziehungen zur Vorstellung als zur Wahrnehmung.
Von den Gesichtstäuschungen kennt man nur wenige Abstufungen
•der Projektion. Im ganzen erkennen die Kranken hier leichter das abnorme als
bei den Phonemen. Sie sehen Eegimenter „vor den Augen"; lebende Bekannte
werden ihnen in der Luft „im Schein" vorgemacht; die Visionen sind ,,wie ein
Schatten", wie eine „Täuschung"; man „führt dem Patienten in der Nacht
allerlei vor", z. B. einen Neger; eine Katatonika hat „alles voll grüne Schlangen
gesehen'' ; sie hat sie aber nicht gesehen, es war ihr nur, „wie wenn sie da wären".
Auch Visionen können etwa dem Sinnesorgan entspringen, so die Aussteuer
nebst Kindersegen in dem folgenden Bericht einer jungen Dame:
Denke dir Papa, ich bin ein Wunderkind geworden.' Aus meinen lieben blauen
Augelein kommen viel Sachen heraus, z. B. Leintücher, fix und fertig gebügelt,
Kopfkissen mit samt Plumeau, weiß oder farbig, Bettstatt, Kommode usw. Körbet
Faden, ganze fertige Strümpfe von allen Farben, Kleider, einfach bis zu den ele-
gantesten, und zum Schluß Menschen fhegen heraus, zum Glück nicht nackt, sondern
fix und fertig gekleidet ....
Bei den Geruchs-, Geschmacks- und Tasthalluzinationen werden
die Unterschiede in der Projektion noch undeutUcher, doch kommen auch da
«lle Ubergänge von der Vorstellung zur Wahrnehmung vor.
92
Schizophrenie.
Eine ganz sonderbare Lokalisation zeigen die extrakampinen Hallu-
zinationen, die bei der Schizophrenie bis jetzt nur auf visuellem Gebiet sicher
beobachtet sind (Visionen außerhalb des Gesichtsfeldes).
Ein intelligenter Hebephrene sieht, während wir mit ihm sprechen, plötzlich
den Teufel hinter sich, und zwar so genau, daß er ihn zeichnen kann. Auf unseren
Einwand erklärt er, daß er eben nun die Gabe habe, durch den Kopf hindurch nach
hinten zu sehen. Da er uns von ,, Vorstellungen" sprechen hört, protestiert er lebhaft,
es sei keine Vorstellung, sondern wirkliches Sehen^). Er sieht auf diesem Wege auch
ganze Landschaften und Ähnliches. So können manche Patienten erschreckenden
Visionen nicht entfliehen, obschon diese den Ort nicht ändern; die Kranken versuchen,
den Erscheinungen den Eücken zuzuwenden, sie verkriechen sich zugleich unter
die Matratze, sehen aber doch das Schreckbild vor den Fenstern. Manchen fällt
dieses ungewohnte Sehen gar nicht als etwas Besonderes auf. — Als extrakampine
Halluzination ist es wohl auch aufzufassen, wenn ein Patient unter dem ihm nicht
durchsichtig erscheinenden Fußboden Köpfe sieht, die ihm Grimassen schneiden.
Und ein Ubergang von der einfachen Vorstellung zur extrakampinen Halluzination
des Geruches wird es sein, wenn ein Kranker hinten am Kopf ,, fühlt", (nicht riecht),
daß er eine besondere Ausdünstung hat.
Eine Teilerscheinung des Transitivismus ist die Lokalisation der
Halluzinationen in eine andere Persönlichkeit. Viele Schizophrene glauben
nicht nur, ihre Umgebung müsse die Stimmen so gut wie sie selbst hören; sie
meinen auch, entfernte Leute nehmen sie wahr. Von hier aus ist es nur noch
ein kleiner Schritt bis zu den transitiven Halluzinationen, von denen
der Patient annimmt, daß eine dritte Person sie höre, während er selbst nur auf
irgendeinem geheimnisvollen "Weg Kunde davon bekommt^). Manchmal „macht
er sie" dem Dritten, indem er willkürHch an etwas denkt, was dieser hören muß.
Auf optischem Gebiet ist es das Gleiche, wenn der Wärter „sehen" muß, was
sich der Patient vorstellt. Die Erscheinungen gehen kontinuierhch über in die
verbreitete Vorstellung der Schizophrenen, daß man ihre Gedanken kenne.
Der Kealitätswert der Halluzinationen ist meist ein ebenso großer
wie der der wirMichen Wahrnehmungen oder ein noch größerer; denn wo Wirk-
lichkeit und Halluzination in Konfhkt kommen, wird meist die letztere als die
Wirkhchkeit angesehen. Bezweifelt man die ReaUtät der Halluzination eines
Patienten, so hört man ganz gewöhnhch Entgegnungen, wie: „Wenn das keine
wirkliche Stimme ist, so kann ich auch ebensogut sagen, Sie reden jetzt mcht
wirkHch mit mir." Wenn die Kranken ihre Stimmen von dem unterscheiden,
was die Gesunden die Wirklichkeit nennen, so geschieht es meist durch Merk-
male, die mit der normalen Projektion nichts zu tmi haben: em gewisser Inhalt
ein ungewohnter Ausgangsort, die Unsichtbarkeit des Urhebers der Stimmen und
1) Es handelt sich in meinen Fällen nicht, wie Kr ae pe Ii n (Psychiatrie, 8. Auflage I.
225) sagt, um lebhafte Gesichtsvoretellungen, „die durchaus nicht das «ep^^ von -m.
liehen Wahrnehmungen tragen", sondern um Erscheinungen, die von jn^n^^^^n und
diskussionsfähigen Patienten den Wahrnehmungen vollständig gleichgestellt werden
diskussion^ah^gen^^_^^^^^^^ daß die Kranken glauben, ihre Gedanken werden von anderen
gehört, nennt S^glas (in Ballet, 218) „echo de la pensee .
Akzessorische Symptome. Sinnestäuschungen.
93
ähnliche Dinge sagen ihm, daß es sich um etwas Besonderes handle. Auch Geruchs-
und Geschmackshalluzinationen werden in der Kegel nicht als solche erkannt,
während die Gesichtstäuschungen, die mit dem wirklichen Gesichtsbild be-
ständig kolüdieren, leicht als etwas Außergewöhnliches erscheinen. Das ist aber
nicht gleichbedeutend mit der Erkenntnis als Sinnestäuschungen. Ein Photo-
graph macht der Patientin „Bilder, die nicht richtig da waren", Engel, Gott
usw. vor; sie hält nichtsdestoweniger daran fest, daß sie durch ein Glas wirklich
in den Himmel hineingesehen habe. Ein solches Verhältnis ist das gewöhnliche.
Die Stimmen sind Eeden von anderen Menschen, obgleich sie in den eigenen
Ohren entstehen; ein Kranker erklärte die Entstehung der Phoneme analog
dem Kauschen, das man hört, wenn man eine Muschel ans Ohr legt, hielt das
Gehörte aber doch für eine Kealität. In Aufregungs- und Dämmerzuständen
wird der grellste Widerspruch auch der optischen Halluzinationen mit der Wirk-
hchkeit nur selten empfunden. Die letztere wird illusorisch umgedeutet, oder die
Ejranken leben auch optisch in zwei Welten zugleich, ohne dieselben mitein-
ander in Verbindung zu bringen.
Auf optischem Gebiet kommen die „eigentlichen Pseudohallu-
zinationen" Kandinskys am häufigsten vor, Visionen, die scharf sind und
ganz nach außen projiziert, aber als Halluzinationen erkannt werden. Sie unter-
scheiden sich wohl mehr durch die begleitende Kritik als durch eine besondere
Eigenschaft der Sinneserfahrung von den gewöhrJichen Halluzinationen^). Sie
scheinen bei der Schizophrenie vor den anderen Halluzinationen zurückzutreten.
Hier mögen auch die negativen Halluzinationen (Löwenfelds
systematische Anästhesie) erwähnt werden. Sie scheinen selten zu sein,
wenn man nicht das bei den Sperrungen angeführte Faktum hierherrechnen
will, daß die Kranken auf einmal bestimmte Vorgänge oder auch alles, was
um sie vorgeht, nicht mehr sehen und hören.
Bin Patient Jörgers (S. 52) glaubte sich beim Austeilen der Speisen beständig
vom Wärter benachteiligt; er betete dann imd sah hierauf sein Stück Fleisch immer
größer und die Stücke der anderen immer kleiner werden, bis zuletzt gar nichts
mehr auf deren Tellern zu sehen war. Schreber erzählt, daß er mehr als einmal
seinen Wärter am hellen Morgen habe „alle werden", d. h. allmählich verschwinden
sehen, so daß das Bett desselben leer war. Der Beschreibung nach war das eine
negative Halluzination, möglicherweise aber auch das Verschwinden des positiv
halluzinierten Wärters.
Die subjektive Auffassung der Halluzinationen ist eine sehr ver-
schiedene. Das Gewöhnliche ist natürUch, daß die Kranken die Stimmen auf
sprechende Menschen oder Apparate, die Visionen auf wirkUche Menschen oder
vorgemachte „Bilder", die Geruchs- und Geschmackstäuschungen auf Beimengun-
gen zur Luft oder zur Nahrung und die Körperhalluzinationen auf physikaUsche
oder chemische Beeinflussungen zurückführen. In einzelnen FäUen merken sie
das Pathologische; namentlich der Zusammenhang mit oder der Ursprung aus
den eigenen Gedanken wird vielen Kranken mehr oder weniger bewußt.
.Mi.R^ ^-^ Hagenschen Pseudohalluzinationen sind ein nicht ganz klarer Begriff und
schließen die „psychischen Halluzinationen" in sich. ^
94
Schizophrenie.
" n T , ^timmen, nur Gedanken, die andere nicht haben", oder
,,statt der Gedanken haben sie Stimmen", „alle Gedanken werden ihnen plötzhch
zu Stmimen Die Undeuthchkeit der akustischen Komponente kann ausgedrückt
werden durch den Satz :„pie Stimmen sind nicht wie geredet, sondern wie gedacht."
Üin anderer,_ der Christi Stimme gehört hatte, äußert sich folgendermaßen Wenn
einer erfüllt ist von Gottes Geist, so weiß er doch, was er zu tun hat. Es ist "nicht
gerade eine laute Stimme, es wird einer eben — (Sperrung) — dui'ch Geist-
man merkt es doch nicht, man könnte es auch nicht sagen- aber den
Geist, den fühle ich da im Herzen drin, und dann geht es hinauf ins
T.-!?'^ Gedanken, .und im Herzen nennt man es
-Plane, JSilder, Vorstellungen, die man zur Ausführung bringen kann."
Über die Art, wie die Halluzinationen entstehen, machen sich
die Kranken die verschiedensten Vorstellungen. Wo sie, wie gewöhnUch, Menschen
und Apparaten der Außenwelt zugeschrieben werden, ist die Sache sehr einfach.
Es sind eben Leute da, im gleichen Raum, hinter den Türen, in geheimen Gängen
der Mauern, auf dem Dachboden, in einem unzugänghchen Souterrain; oder
an den gleichen Orten sind die raffiniertesten Apparate moderner Technik, er-
funden und hingestellt, um auf Distanz zu reden, Bilder zu machen, zu benennen,
zu elektrisieren; durchs Lufttelephon, diese neueste Erfindung", hat eine
Patientin gehört, wie Leute in den Keller gingen und sie bestahlen.
Oft wird aber auf solche Auslegungen verzichtet. Die Patienten hören
Stimmen von Abwesenden, ohne sich über das Besondere der Erscheinung
Gedanken zu machen; „die Stimme kann doch da sein".
Ein anderer Patient verwundert sich nur darüber, daß er mit seinen (ab-
wesenden) Angehörigen laut reden muß, während er sie hört, auch wenn sie ganz
leise sprechen. Andere sind „hinterhörig", da sie von allen Seiten sprechen hören.
Wenn eine Patientin von großen Männern gelesen hat, sieht sie sie nachher durch
besondere Gunst der Gottheit. „Jeder hat ein Talent und eine Gabe, ich habe
das Talent, daß ich etwas hören kann", dieser Patient „hört" auch Bilder, d. h.
er bezeichnet die Visionen mit dem geläufigeren akustischen Ausdruck. Einer
Patientin ist die Nachricht vom Tod des Mannes ,, angeblasen" worden; die Stimmen
werden einer Bekannten aus dem Kopfe genommen mid dem Patienten in die Anstalt
nachgeschickt; ein Kranker hat Stimmen anderer, die durch ihn sprechen, in Hals
und Brust. Eine sonderbare Auffassung zeigte eine Patientin Ziehens (840, S. 34),
deren vor der Krankheit bestehendes Ohrensausen ,, durch die Stimmen verun-
reinigt" wm'de. Einem unserer Hebephrenen liest man die Gedanken ab, bevor er
sie ausspricht; er hat eine gewisse Anziehungskraft, zieht andere an, mid andere
ziehen ihn an; wenn er eine Frage denkt, zieht er gleich eine Antwort an, oder er
zieht Stimmen an. Das Brot sagt ihm, von wem es gebacken worden; das kommt
vom Nervenfluidum, das alle Leute an den Händen haben; sie übertragen es auf
die Gegenstände, und so kommt die Antwort zu ihm. Andere hören durch „Nerven-
spannung" oder sie „hören durch die Perspektive". Solche Eedensarten, die mehr
originelle Bezeichnungen als Erklärmigen sind, hört man in Menge; „das Rede-
werk geht immer"; der Kranke „wird gestimmt"; er hat den „Krieg"; die letzten
beiden Ausdrücke bezeichnen Halluzinationen aller Sinne.
Trotzdem sehr viele Schizophrene sich beständig über die halluzinatori-
schen Belästigungen beklagen, ist es gar nicht immer leicht, genaue Auskunft
über den Inhalt der Sinnestäuschungen zu erhalten. Zunächst stößt man
alltäghch auf die Antwort : „Sie wissen es ja besser als ich". Es erscheint plausibel,
Akzessorische Symptome. Simiestäuscbungi
95
daß es den Kranken „zu dumm" vorkommt, über Dmge Aus^cunft zu geben,
t der F age..de nach brer Meinung besser kennt als sie, ja selbst gemacht bat^
t nd abfr noch andere Hindernisse. Manchmal hat es den Anschein, als ob
dfe &anke ich genierten, zu reden; und sie geben oft direkt an, daß sie sich
ürchten die Erlebnisse auszukramen, weil man diese doch für krankhaft und
sL seS damit für „verrückt" halte. Ein Kranker gibt zunächst prompt, wenn
auch nicht i^^^^^ ganz klar, Antwort. Auf die Frage: Was haben <be Stimmen
gesagtTnimmt er plötzHch eine ganz veränderte Miene an, läßt den Kopf sinken
fmd rückt den Stiihl liin mid her, wie wenn er sich unter einem starken Druck
drehen und winden müßte: „Ich sage nichts von Stimmen, von dem redet man
aar nicht " Manchmal hat die Scheu zu erzählen ein deuthch sexueUes Gepräge;
namenthch Frauen machen sehr oft verschämte Gesichter, wenn man sie nach
HaUuzinationen frägt, die für den unerfahrenen Beobachter wie für die Patien-
tinnen nichts Sexuelles an sich haben. Sicher aber können viele Kranken
niu- ungenügende oder gar keine Auskunft darüber geben; m frischen Fallen
noch mehr als in älteren beobachtet man alltäghch plötzUche allgemeine oder
partieUe Sperrungen, wenn man die Kranken nach dem Inhalt der Sinnes-
täuschungen frägt. ^ -in
Ältere Patienten wissen oft ganz gut, daß die HaUuzinationen ihrem Ge^
dächtnis entschlüpfen. „Wenn mich die Stimmen verlassen, so weiß ich nichts
mehr davon; ich kann es nur sagen, wenn ich es gerade höre", ,,die Stimmen
sind so vorübergehend." Ein Kranker schimpft hocherregt über seine Stimmen;
die sagen Dinge, die er nicht einmal zu denken wage. Auf die Frage, was sie
denn sagen, weiß er gar nichts zu antworten. Manchmal bekommt man erst
durch Suggestivfragen Berichte heraus, die dann durch Detailangaben verifi-
ziert werden können. Häufig verläuft etwa die Einleitung der Untersuchung
auf Halluzinationen in folgender Weise: Was sagen die Stimmen? „Nichts." —
Machen sie Ihnen Vorwürfe? ,,Ja" usw.
Auftreten und Wandlungen der Halluzinationen. Die HaUu-
zinationen schleichen sich in einzelnen Fällen ganz unmerkUch in das Bewußt-
sein des Patienten ein. Einzelne Gedanken werden immer lebhafter, bis sie
sinnhche Deuthchkeit bekommen ; oder leises unbestimmtes Flüstern, das zuerst
kaum beachtet wird, eröffnet die Szene. Ein Patient fühlte die Gedanken sich
zerteilen; „es fing an laut zu reden, wie wenn es im Gehirn wäre". In seltenen
Fällen treten die Halluzinationen zuerst als gewöhnhche Traumempfindungen
auf, kommen dann im Halbschlaf, dann im vollen Wachen. Oft aber faUen dem
Kranken gleich zu Anfang einzelne Zurufe auf und üben einen gewaltigen Ein-
'fluß auf sein psychisches Gleichgewicht aus. Wie sie gekommen sind, können
sie wieder verschwinden, um früher oder später wieder zu erscheinen. In akuten
Aufregungen aUer Art sind die HaUuzinationen häufig, sie überdauern aber
wie die Wahnideen gern den Anfall. Oft kommen und gehen sie mit den Stim-
mungsschwankungen oder den WeUen der Krankheit. Sie kommen und ver-
schwinden je nach Beschäftigung, Aufenthaltsort, umgebenden Personen. Viele
Patienten aber haben Jahrzehnte lang keinen (wachen) AugenbUck ohne Hallu-
zinationen. Der spezieUe Inhalt kann zufälüg determiniert werden : ein Paranoider
hatte im Beginn der Erkrankung einen Streit; die dabei gefaUenen Schimpf-
worte hört er seit vielen Jahren immer wieder. Überhaupt werden die dchizo-
96
Schizophrenie.
phrenen Halluzinationen sehr gern stereotypiert. Kompliziertere werden auch
vereinfacht^), schließlich ist es nur noch ein Wort oder ein unartikulierter Ton,
der dem Patienten seine Wahnideen bestätigt.
Das Verhalten gegenüber den Halluzinationen zeigt die buntesten
Versckiedenheiten. Viele Kranke, namentHch in akuten Stadien, reagieren auf
dieselben, wie wenn sie Wirklichkeit wären; erscheinen deshalb äußerUch als
ganz , .verrückt". Im andern Extrem kümmern sich die Patienten, sei es aus
kluger Selbstbeherrschung, sei es aus bloßer Gleichgültigkeit, gar nicht um die
Sinnestäuschungen. Oft wehren sich Kranke nicht bloß gegen den Inhalt der
Halluzinationen, sondern gegen den Eingriff in ihre Persönlichkeit überhaupt ;
sie erfinden Scbutzmaßregeln gegen dieselben, von anscheinend ganz vernünftigen
(Obrenzuschließen), durch die verschiedenen dem Normalen nur teilweise ver-
ständlichen Einrichtungen bis zu den unsinnigsten Faxen und kabalistischen
Beschwörungen. Andere wieder suchen die Halluzinationen auf, teils aus
feindüchem Interesse, teils, weil sie ihnen direkt angenehm sind. — („Herr Dr.,
ich habe so schöne Träume.") — Die teilweise Spaltung der Psyche erlaubt
den Patienten während des HaUuzinierens oft einen normalen, zentripetalen
wie zentrifugalen Kontakt mit der Außenwelt (sogar bei exakten psychologi-
schen Wahrnehmungsversuchen, Bostroem).
^) Die Wahnideen.
Auch in den Wahnideen kann alles, was man wünscht und befürchtet,
seinen Ausdruck finden und — wenigstens für unser jetziges Wissen — noch
manches andere, vielleicht alles, was erlebt und gedacht werden kann. Dennoch
wiederholen sich auch hier von Patient zu Patient immer wieder gewisse Typen
Tind sogar spezielle kleine Züge in bemerkenswerter Weise.
Von den bekannten Inhaltsklassen der Wahnideen treffen wir die der
Yerfolgung am häufigsten.
„Es ist kein Gebiet menschlichen Verderbens, auf dem man nicht gegen mich
gesündigt hat", sagte einer unserer Paranoiden.
Die Kranken werden von ihren Stellen verdrängt, durch Verleumdung und
namentlich durch alle möglichen Schikanen. Man gibt ihnen besonders schwierige
Arbeit verderbt ihnen das Material, macht allerlei ehrenrührige oder sonst verletzende
Anspielungen auf sie. Bevor der Patient in ein Dorf kommt, wird seme Aiikunft
gemeldet, dann wird er von allen Leuten beschimpft: man will ihn nach Sibirien
transportieren, verkaufen. Zwei Huren wohnen ihm gegenüber, die jedesmal, wenn
er essen will, so ekelhafte Sachen rufen, daß er nichts in den Mund ^«l^^J^/; Jj^T
Man bestiehlt ihn, Wärter und Kranke tragen seme Kleider. Er wird als Abtrittrohr
B^esonnenere Schizophrene denken sich als Opfer einer bestimmten . Mörder-
bande", mit der sie alles Unangenehme in Beziehung bringen. Freimaurer Jesuiten,
die schwarzen Juden", die Angestellten des Geschäftes, in dem der Kranke ar-
bttfG:rnkenleser,',S
aUe Mi he, ihn zu vernichten oder wenigstens bestandig zu quälen und zu angstigeiu
übera wo er sich befindet, stehen sie in feindlichem Rapport mit ihm, sei es daß
r in gewöhnlicher Gestalt in den Mauern, in Nebenräumen, im Souterram, m der
1) Schreber, S. 56.
Akzessorische Symptome. Wahnideen.
97
Luft seine Oitsveränderungen mitmachen, sei es, daß sie aus der Feme mit „Berg-
spieaelu", auf elektrischem Wege, seia Tun und Denken beobachten imd ihn mit
alleilei Apparaten und Zauber beeinflussen, ihm Stimmen machen, ihm alle moghchen
unaushaltbaren Empfindungen verursachen, ihn steif machen, ihm die Gedanken
entziehen oder ihm Gedanken machen. Die Patientin kann nicht mehr auf den
Abort gehen, weil sie nicht nur durch die Mauern, sondern auch durch das Abtritt-
rohr be'obachtet wird. Ihrer letzten Geburt hat die ganze Nachbarschaft zugesehen.
Klare Vorstellungen, wie die Feinde das alles bewerkstelligen, macht
sich selten ein Schizophrener, er hat auch kein Verlangen danach, „es i s t eben so,''
damit gibt er sich zufi-ieden. Oft genügen Worte dem Kausalitätsbedürfnis :
man redet zu ihm mit „Geheimdeuterei", mit dem „Verbrecherbann". Oder
er denkt sich eine Ai-t Zauberei : wenn man seinen Namen ausspricht, entzieht
man ihm Kraft.
öfter als über die Technik der Quälerei sucht sich der Patient Rechenschaft
zu geben, warum man sich so viel Mühe um ihn gibt. Es sind Leute, die auf
ihn eifersüchtig sind, die seine Konkurrenz auf geschäftlichem oder namentlich
erotischem Gebiet fürchten, oder solche, die aus Bosheit, aus Freude an Quälerei,
aus Wißbegierde oder zu irgend welchen eigennützigen Zwecken Experimente an
ihm machen.
Besonders ausgesuchte Qualen bereiten den Kranken die körperlichen
Beeinf ] ussungen:
Der Arzt fährt ihnen mit Messerstimmen in die Augen, man zerschneidet,
prügelt, brennt, elektrisiert sie, zersägt ihnen das Gehirn, macht ihnen die Muskeln
steif, hat ihnen eine beständig arbeitende Maschine in den Kopf gesetzt. Man hat
ihnen etwas in den Tränenkanal getan, die Augen von alten Frauen angehängt;
man schläfert sie ein, deutet der weiblichen Kranken an, sie gäbe schöne Kalb-
fleischschnitzel, die dann von Wölfen gefressen werden; man schneidet ihnen die
Geschlechtsteile ab und stellt diese in einer benachbarten Stadt aus. Man hat ümen
die Eingeweide lungedreht; Elefanten und allerlei Bestien bewohnen ihren Leib.
Eine Kranke hat Menschen in ihren Fingern, die sie töten wollen und ihr das Blut
aussaugen. Man entzieht ihnen die Kraft, die Schönheit, um andere damit zu begaben.
Häufig ist auch der Vergiftungswahn:
Man bringt den Kranken durch die Speisen, durch Dünste, dui'ch das Wasch-
wasser, durch die Kleider Gift bei; aus der Ferne spritzt man es ihnen in den Mund
oder in andere Körperhöhlen. Man hat ihnen „Erstklaß Salzsäure, Haarbrot und Urin
zu essen gegeben". Neben Gift sind meist auch alle möghchen ekelhaften Sachen im
Essen. Die Suppe ist mit Fußbadwasser gemacht, man pumpt ihnen Jauche in den Magen.
Der Begriff der Vergiftung wird oft verallgemeinert. Der Kranke ist im „Bann";
„wenn man in lauten Gedanken reden kann, so ist das eben der Bann, das was man
emem anhängt, etwas ganz Unerklärhches. Man hat gemeint, es sei ein Gift, aus
Menschen- und Tierleichen zusammengemacht, das ist natürhch ein Geheimnis des
Vatikans. Aber das ist sicher, daß man damit schauderhaft gequält wird. Sie reden
die Gedankensprache, bewegen den Mund nicht; mit dem Bann horcht man sie
aus; es ist der gewalttätige Verhörbann, der Verbrecherbann."
Der Verfolgungswahn wird leicht auf andere Leute, namenthch die An-
gehörigen, ausgedehnt. Die Verwandten werden in der Anstalt eingesperrt auf
alle Arten gefoltert, gemordet. Wenn der Kranke „mehr als ein Jahr und STWo-
chen" hier bleibt, wird seinem Vater ein Bein abgedreht.
■Handbuch der Psychiatrie: Uleuler.
98
Schizophrenie.
M - rtr^'^'f Größenvvahn kümmert sich weder um Tatsachen noch um
Moghchkeit oder Denkbarkeit der Erfüllung menschUcher Wünsche.
Manchmal allerdings tönt alles recht plausibel: der Kranke hat" Talent für
Mathematik er wird die Lücken seiner Bildung ergänzen und ein großer Mathe-
matiker werfen; sein Vater macht sehr gute Geschäfte, er wird bald reich sein- eine
angesehene Dame hat sich in ihn verliebt; es kommt jeden Tag ein Päckchen Zigarren
für ihn an. - Meist aber geht der Durst nach Größe irgendwelcher Art ins Unge-
messene: der Kranke bekommt „„soviel Geld als es Flocken geschneit hat er wird
König von England, man baut ihm einen Palast von Gold und Edelsteinen Sein
Herr ist der Herrgott. Er hat alle die armen Viecher hier (er meint die Patienten)
gesund gemacht. Er muß „drei Glücke" haben: erstens mit dem Herrn Oskar aus-
reiten, zweitens sein Diener sein, drittens alles steht ihm und dem Herrn Oskar
zur Verfügung."" Alle diese Ideen kommen vom gleichen Patienten und zeigen wie
jeder Wunsch für sich als erfüllt gedacht wird, auch wenn er impHcite schon in einem
andern enthalten ist. Einen Schein von Begründung hat es, wenn einem andern
Kranken „als Herrgott alles Gold und Silber zur Verfügung steht". Mit dem Aus-
denken der Ideen raachen sich die Patienten keine Sorge. Sie können abwechselnd
oder gleichzeitig nicht nur König von Britannien, sondern auch Britannien selbst sein.
Kaiser von Österreich und Papst und bayerischer Kronprinz und zugleich der Gemahl
einer (wirklich als Tier gedachten) Sau ist ein anderer Kranker. — Manchmal ver-
steckt sich der Größenwahn mehr oder weniger: eine Kranke hält ihre Pflegetochter
für Schneewittchen, d. h. sie selbst ist Königin. — Die Intelligenz der Patienten
ist eine großartige. Der Kranke „saß in der Schule nie so weit oben, wie ihm ge-
bührte". Er ist der Erfinder so ziemlich aller Maschinen und Apparate, die seit
50 Jahren konstruiert worden sind (daß er erst etwas über 20 Jahre alt ist, stört
ihn auch bei Vorhalt nicht). Er will „das Perpetuum mobile erfinden, Soldat werden
und die ganze Welt erobern". Er besitzt ein Mittel gegen Rückenmarkskrankheiten,
kann fliegen und ißt nicht, weil er Himmelsspeise bekommt.
Auf religiösem Gebiete ist der Kranke ein Prophet oder auch der Herrgott
und hat als solcher auf seinen Fahrten vom Himmel alle Wagen auf die Erde ge-
bracht, mit denen nun die Menschen fahren. Die Patientin ist ,, Christus und der
Herr der Welt"; sie ist das ,, höchste Gut" und spricht zugleich ,,im Namen des
höchsten Gutes". Sie ist Haushälterin des Heilands, die Braut Christi, „der fünf-
hundertste Messias", ,,das Gottesbuch und muß belöhnt werden". Der Kranke ist
wenigstens insofern Gott gleich, als alles, was er denkt, gleich geschieht. Bei
Frauen hat die religiöse Größenidee regelmäßig erotischen Charakter; selten ist sie
eine einfache Sublimierung sexueller Liebe in religiöse Gedanken; viel häufiger
findet eine Kondensierung der vageren religiösen Ideen in bestimmte Formen statt:
der Herrgott oder Heiland, mit dem die Patientin verbunden oder identisch ist,
trägt deutliche Züge eines bestimmten Mannes, der in ihrem Leben eine Rolle
gespielt hat^). Bei Männern trägt die religiöse Idee meist die Zeichen des Wunsch-
komplexes der geistigen Kraft, doch wird die Himmelskönigin oder eine Engelschar
auch etwa als Geliebte respektive als Harem gedacht.
Gelegentlich spielt die Vorsehung nur die Rolle des Helfers in der Not: die
verstorbene Mutter der Patientin wird ihr diese Nacht durch eine himmlische Fügung
aus der Anstalt helfen. Oder die religiösen Ideen haben mehr kosmischen Charakter,
sogar bei Frauen: eine ungebildete Nähterin „ist mit einem Komet der Prophe-
zeiung in Verbindung. In der Luft sind Triebkräfte, gesunde und ungesunde; der
1) Das kennt auch die Dichtung schon längst. So wird in Gottfried Kellers Ursula
der heilige Gabriel zum Geliebten und zugleich zum Sohn der Ursula; der angebetete Lehrer
in Hanneies Himmelfahrt (G. Hauptmann) wird zuni Heiland.
Akzessorische Symptome. Wahnideen.
99
idealiscli gesinnte Mensch wird mehr von den gesunden Kräften beeinflußt, er wird
nach dem Tod eine geistige und schwebende Kraft, der unreine eine physische
Kraft".
Verschiedene Komplexe zusammen werden befriedigt, wenn dem Patienten
„vier Sachen geschenkt sind: Gott, Geist, Teufel und Beschwörung, das ist mehr
als irgend ein Mensch erhalten hat". Oder „alle Mörder der Welt warten auf mich;
sie können nicht sterben, ohne mich (Patient hat vergebliche Selbstmordversuche
gemacht); ich habe mehr Verstand als irgend ein Mensch; alle Könige bringen mir
Gaben nnd können mir nichts tun (Patient ist in Untersuchungshaft) ; ich bin nicht
geboren, sondern von jeher da gewesen". Ein Kranker heißt: ,,Solog Karl Napoleon I.,
weil er von der Sozial-Ologie begleitet ist. Als solcher ist er auch unfehlbar und
seine Wünsche werden prompt vollzogen. Entlassen wir ihn nicht, so wird alles,
was man Unglück nennen kann, sich gleich einem funktionierenden feuerspeienden
Venusberg über die Anstalt ergießen." Die geträumte Größe ist häufig objektiv
gar nicht so erhaben, wie sie den Kranken erscheint, oder sie äußert sich so sonderbar,
daß sie nur den Eindruck des Lächerlichen macht. Ein Hebephrene ist „Dens",
kann zwei Tage lang von Wasser und Brot und am dritten von gar nichts leben.
Einem Propheten ist ein glänzender Stern erschienen, der ihn dreimal vom Bett
zum Abtritt und zurück begleitete ; daneben hat er die Kraft, anderen die Sünden
zu vergeben. Ein Professor der Mathematik muß Brücken bauen mit der Kraft Gott,
2 Gott, 3 Gott usw. Ein Schizophrene rettet eine Dame von Krankheit, indem er
onaniert und dabei an sie denkt usw.
Gewöhnlicli ist der Größenwahn gemischt mit Verfolgungsideen. Oft
drückt sich das schon darin aus, daß zwei Parteien sich um den Patienten kümmern,
von denen die eine für, die andere gegen ihn ist.
Häufiger steht der große Mann für sich allein, während eine interessierte
Bande ihn durch alle möghchen Mittel hindert, zu dem ihm gebührenden Ruhm
zu kommen.
Seine Erfindungen werden dem Kranken im Schlaf aus dem Kopf gestohlen;
ein Sanitätssoldat hat ihm, als er ihn anfaßte, eine Erfindung aus dem Leibe ge-
nommen; man schickt oder ärgert ihn fort, um ihn an der Ausführung seiner Ideen
zu hindern. Der Kranke ist so wichtig, daß man den Urquell des Lebens auslöscht,
wenn man ihn in der Anstalt behält; man vernichtet die Glanzorganismen, die er
in den Augen hat.
Die erotischen Aspirationen äußern sich in unzähligen Wahnideen,
gehebt — oder geschändet zu werden. Der erotische Wahn besteht meist aus
emer Mischung von Größen- und Verfolgungsideen. Wenn schizophrene Frauen
Wahnideen bilden, so fehlt kaum je das sexuelle Moment, gewöhnUch ist es im
Vordergrund, manchmal allerdings verändert, versteckt imter scheinbar rehgiösem
oder hypochondrischem Wahninhalt. Meist handelt es sich bei Frauen zugleich
um Hmemheiraten in einen höheren Stand, nicht niu- um die Liebe an sich
Bei Mannern stehen häufig andere Strebungen im Vordergrund; doch stößt man
auch da in der Regel auf erotische Elemente, wenn man die Wahngebilde des
Kranken analysieren kann.
föchte ihren Herrn heiraten; dieser sei in sie verhebt, wird
aber von S (dem Wohnort seiner wirklichen Braut) aus so „gedrückt" daß er ch
Ihr mcht nahern kann Der Kranke meint, jede Dame, die ihm eben gefällb se n
Ihn verhebt; er besucht bestimmte Vergnügungsorte in der unbegründeteTMeinun.
7*
100
Schizophrenie.
die Angebetete dort zu finden. Frauen gebären jede Nacht 150 Kinder. Eine sterile
Frau ist vom Arzt und Schutzmann im Unterleib untersucht worden; beide haben
ihre „Talente" bewundert. Ein verliebtes Fräulein hat .ganze Nächte lang die Welt
halten müssen, und das war furchtbar anstrengend: so lange es keusche Frauen
gibt, kann die Welt nicht untergehen.
Der liebende Schizophrene glaubt ein Mädchen in sich verliebt, mit dem er
seit der Schulzeit nie mehr zusammengekommen, oder das er überhaupt nur einmal
von weitem gesehen hat; er besteigt den Wagen einer Prinzessin, um sie zu küssen,
erwartet bei aller Besonnenheit die Königin von Holland in seinem Anstaltsbett,
das er für diesen Anlaß mit Blumen schmückt.
Sehr häufig wird der Geliebte selbst zum Verfolger. Namentlich Frauen
werden von dem oder denen geschändet, in die sie mehr oder weniger verhebt
sind; die Patientinnen, die die Anstaltsärzte aller Arten unsitthcher Attentate
auf sie beschuldigen, zeigten oder zeigen regelmäßig auch positiven Erotismus
gegen die gleichen Ärzte. In einem Falle habe ich auch gesehen, daß umgekehrt
der zunächst als Feind betrachtete Anstaltsarzt zum Gehebten wurde.
Eine andere Form negativen Ausdruckes des erotischen Wahnes ist der
Eifersuchtswahn, der immerhin bei nicht alkohohsch komphzierter Schizo-
phrenie nicht zu häufig ist und auch noch andere Wurzeln haben kann.
In schweren chronischen Fällen und in vorübergehenden Dämmerzu-
ständen sind die sexuellen Wünsche der Kranken mehr oder weniger restlos
erfüllt. Sie sind mit ihrem Gehebten vereinigt, haben so und so viele Kinder
von ihm usw.
Von den Formen des Kleinheitswahnes gehört der Verarm ungs-
und Versündigungswahn meist einer interkurrenten melanchohschen
Depression an, insofern er während derselben gebildet, manchmal aber später noch
festgehalten wird. Er hat dann den gleichen Inhalt wie bei anderen Melanchohen;
nur gibt ihm die Schizophrenie oft die ihr eigene Färbung des Widerspruchs-
vollen, Unausgebauten und Unsinnigen.
Die Kranken haben gestohlen, gemordet, durch Nachlässigkeit den Tod eines
Angehörigen verschuldet, sich gegen den Heiligen Geist versündigt. Gott ist von
dem Kranken gewüchen zum Bauch hinaus; ein republikanischer Schweizer hat „das
fürchterliche Verbrechen der Majestätsbeleidigung" begangen.
Gelegenthch kommt es zu falschen Selbstanklagen, deren Grundlagen
ebensowohl Gedächtnistäuschungen wie Wahnideen genannt werden können.
Ein Hebephrene sah ein epileptisches Mädchen hinstürzen ; er zeigte sich au,
er habe es notzüchtigen wollen, und im Kampfe sei es umgefallen. Ein anderer er-
krankte zu der Zeit, da es in seinem Dorfe mehrmals brannte, fürchtete noch mehr
Brände, bekam dann die Idee, er müsse selbst anzünden, und schließHch zeigte er
sich an, ein Haus (das ganz unversehrt war) angezündet zu haben.
Viel wichtiger sind die hypochondrischen Ideen. Sie beherrschen
in vielen, namenthch leichteren Fällen das Krankheitsbild voUständig.
Eine Kranke ist viele Jahre lang bettlägerig, hat schauderhafte Beschwerdeii,
die meist von außen verursacht werden. Sie bekommt Eezidive, weil sie statt
15 Minuten 20 Minuten außer Bett blieb, weil man beim Abladen von Kartotlein
so schauderhaft polterte. Ein bißchen Jodkalisalbe ruft ein Heer von lange an-
dauernden Beschwerden hervor; sie hat „Blutkrampf". - Andere fühlen sich schwach.
Akzessorische Symptome. Wahnideen.
101
der Geist entweicht, sie werden am Abend nicht mehr da sein ; sie haben ein Gewächs
im Kopf; ein flüssiges Knochensystem; das Herz ist von Stein (aus der symbolischen
Bedeutung zur wörtlichen geworden) ; sie können nicht ertrinken, denn es lebt nichts
als der Kopf; seine Frau darf nichts von Eiern kochen, sonst wachsen dem
Patienten Federn. Es wachsen ihm auf dem Rücken Haare; er hat keine Nase mehr,
ist ein Gummiball. Die Genitalien fehlen ihm, sind verbrannt, das Rückenmark
läuft ihm als Sperma aus.
Natürlich wird auch die eigene Person im Sinne der wahnbildenden
Komplexe verändert.
Ein Hebephrene H. ist ,,Sohn des Finanzmannes G., d. h. Napoleons" ; warum
er vorläufig H. heißt, ist ihm rätselhaft. Der Katatoniker K. heißt nicht mehr K.,
sondern v. M., weil er die Tochter des v. M. heiraten will. Oft glauben sich die
Kranken tot; einer ist dreimal gestorben, was ihn nicht abhält, seinen bevorstehenden
Tod zu prophezeien und zugleich Selbstmordversuche zu machen. Der gestorbene
und der lebende, der ursprünghche und der wahnhafte Mensch können nebenein-
ander existieren; der „Patient ist gestorben und doch lebend"; „er ist in zwei
Welten"; ,,er ist in einer Badewanne eingefroren und doch hier". Ein Fräulein
(die im Wahn einen Pfarrer geheiratet hat) „ist verstellbar, bald Jungfrau, bald
Frau"; sie findet das merkwürdig.
Eine besondere Art Verdoppelung ist der so häufige Besessenheitswah n.
Bei uns kommt er allerdings selten mehr im alten religiösen Sinne vor. Statt des
Teufels kann auch Gott der befehlende Geist sein, oder ,,Gott hat dem Kranken
einen Geist an den Kopf geworfen; er (der Kranke) hat einen besessenen Geist"'.
Daim- und wannmal wird das Geschlecht wahnhaft verändert. Der
männhche Kranke fühlt sich dauernd oder zeitweise als Frau oder umgekehrt.
Verwandlung in Tiere kommt auch heute noch vor, wird aber nicht
häufig in Zuständen voller Besonnenheit festgehalten.
Ein Katatoniker fühlte sich als Frosch mit kalter Haut; von zwei deprimierten
Katatonischen war die eine während längerer Zeit ein Hund, so daß sie oft bellte;
die andere erklärte sich als Haifisch. In den letzteren zwei Fällen ist die Bedeutung
des Wahnes durchsichtig (symbolische Herabsetzung der Persönhchkeit).
Auch als leblose Gegenstände denken sich die Kranken. Der Patient
ist eine Schachtel; er war als Zeichnung in einem Buch, ist nun davon weg und
in die Anstalt gekommen. Er ist eine Maschine.
Andere Personen werden verändert. Blödere Kranke finden in den
Anstalten oft eme Menge früherer Bekannter, Schulkameraden, die ihnen un-
serem Wissen nach gleichgültig sind, teils Leute, die in den übrigen Wahnideen
eme Rolle spielen.
Der Arzt ist der Geliebte so und so; ein Nebenpatient König Wilhelm- eine
Patientm wird zärtlich als Tochter umarmt. Oft, namentlich bei mehr gleichgültiger
Personenverkennung wird der Wahn durch geringere oder größere Ähnlichkeiten
ausgelost. Manchmal fehlen solche Anhaltspunkte vollständig. Oft kommt die
ganze Umgebung den Kranken als verwandelt, „verstellt" vor. Auch in ihren
;w P Lebensstellung werden andere Personen verändert : die Schwester
dei Patientin ist Braut; der Arzt ist von seiner Frau geschieden und die Wärterin
llCtlTrt. """" lebt alTtieTln
102
Schizophrenie.
Ganz abgesehen von dem Umstand, daß die Kranken bei Personenverwechs-
lungen je nach dem Zusammenhang die richtige oder die Wahnperson vor sich zu
haben glauben, ist es oft gar nicht im Sinne des Gesunden zu verstehen wenn
der Kranke sagt, der Arzt ist der Graf N. Eine Patientin vdW mich prügeln
weil ich der Bekannte R. sei. Da ich protestiere, sagt sie: „Kommen Sie doch
nicht als R., sondern wenigstens als der 0. oder der P.". („Nein, ich komme
am hebsten als derM."). „Der können sie nicht sein, der ist ein Engel, ein Gott. .
Eine Patientin ist sehr unhöflich mit einer Besucherin, sagt aber, sie fluche
zwar über sie, sie meine aber gar nicht ihre Person, sie solle es ihr ja nicht an-
rechnen.
Viele andere Wahnideen lassen sich nicht recht in den üblichen Kategorien
unterbringen.^ Immerhin mag es mit Verfolgungswahn zusammenhängen, wenn ein
Kranker „bei einem Verein ist, wo die Menschen lebendig zerschnitten werden".
Wenn ein anderer Paranoider Holz sägt, so sägt er die Ehen und die Ehebetten
entzwei. Eine andere Kranke prophezeit ohne weiteren Zusaramenhan K Feuer
und Wasseranschwellungen". Als Verfolgungen betrachten es die Kranken auch,
wenn es jedesmal zu regnen beginnt, da sie vom Wetter sprechen, wenn bei be-
stimmten ihrer Handlungen jedesmal ein Hund heult, wenn alle anderen auch schreiben,
wenn sie anfangen zu schreiben. Das letztere Vorkommnis wm*de „unterirdischen
Beziehungen" zugeschrieben.
Größenideen schauen aus den folgenden Notizen: „Aus alten Möbeln kann
man wieder Bäume machen durch Behandlung der Asche mit dem elektrischen
Strom." Patient „schläft konzentrierter", in einer Nacht 30 Jahre, ist an zwei
Orten zugleich, an seinem früheren Kurort und in seiner Wohnmig. In der Anstalt
ist ein Wärter die verwandelte Wärterin des früheren Aufenthaltes. Der Patient
wird „ein Loch in den Boden graben, dann auf dem Spaten das Loch hinuntersausen
und auf der andern Seite der Erde herausfahren". Eine dämmerige Katatonika
will nicht schlucken, weil sie jedesmal die ganze Welt hinunterschluckt. Ein Para-
noider notiert aus den Zeitungen alle fremdsprachigen Zitate, um sie, ,,nach der
Geisteskraft" zu „zerlegen" und zu deuten. Eine religiös angelegte Hebephrene
„zieht beim Nähen den Heiligen Geist mit der Nadel heraus; sie trinkt mit dem
Wasser den Teufel der anderen Kranken mit ein; beim Bohnenhacken zerschlägt
sie das Vaterunser". Ein Paranoider hält Kartoffelessen für böse; die Amseln sind
böse Tiere (im religiösen Sinne) ; er meint, er spreche viele fremde Sprachen perfekt,
kann aber nur von zweien einige Brocken.
Die Schaffung einer zweiten Welt drückt sich in dem Wahne eines Russen
aus, für den man extra ein ganz gleiches ,, russisches Burghölzü" errichtet hat.
Etwas Ähnliches ist es, wenn das Burghölzü versenkbar ist und sich bald über, bald
unter der Erde befindet.
Ein Patient, der soeben onaniert hat, will dem Arzt die Hand nicht geben,
weil das auf der Frauenseite Nachkommenschaft erzeugen könnte ; ein anderer muß
seine Familie am Denken hindern; einem dritten hat ein Arzt die Eingeweide durch
den Mimd herausgenommen und daraus einen andern Menschen gemacht; ein
vierter findet es traurig, daß im Pissoir so viel Wasser fortlaufe.
Charakter der Wahnideen.
Die Wahnideen des Schizophrenen brauchen keine logische Einheit zu
repräsentieren; nicht zusammengehörige oder gar einander widersprechende
Ideen können gleichzeitig bestehen oder in kurzen Zeiträumen nacheinander
Akzessorische Symptome. Wahnideen.
103
auftreten. Auch zusammengehörende Wahnideen werden nicht leicht in ein
locrisch durchdachtes System geordnet; sogar da, wo sie einen gemeinsamen
C4edanken wie den der Verfolgung durch eine Geheimgesellschaft enthalten,
hängen die Details meist nicht in logischem Aufbau zusammen; sie bilden einen
ungeordneten Haufen von Wahnideen, ein „Wahnchaos", wie Schuele sich
ausdrückt. Ausnahmen gibt es bei seltenen Paranoiden, deren Intelhgenz ver-
hältnismcäßig gut erhalten ist; ferner darf nicht vergessen werden, daß jeder
Wahn seine logischen Fehler besitzt, und daß die Ansprüche der Beobachter
in dieser Eichtung sehr verschieden sind, so daß manche da schon vollendete
Systematisierung annehmen, wo andere gar nichts davon sehen. Nach unserer
Auffassung sollte man von einem logischen System nur da sprechen, wo alles
von einzelnen falschen Prämissen aus sich in logischem Auf bau weiter entwickelt^).
In diesem Sinne systematisiert sind die schizophrenen Wahnideen fast nie. Sie
leiden vielmehr meist an Widersprüchen vmd UnmögHchkeiten. Ein Hebephrene
hielt sich längere Zeit für tot und begraben ; ein Neger hatte ihm den Kopf ab-
gehauen; er hatte sich selbst da stehen gesehen, den Kopf zwischen den Füßen. —
Die Wärterin einer Kranken ist gleichzeitig ihr (der Patientin) Bruder, ihre
Schwester und noch eine dritte Person.
Auch der Widerspruch mit der Wirkhchkeit wird meist gar nicht gefühlt.
Ein arbeitsfähiger Hebephrene ist sehr unzufrieden mit uns, weil wir ihm
die vielen Sendungen, die für ihn ankommen, nicht abgeben ; sie kommen zwar imter
anderen Namen, sind aber doch für ihn bestimmt. Ein Hebephrene hält sich für
S., den Inhaber einer großen Fabrik, nur fehlt ihm noch der Nävus (den der wirk-
liche Besitzer im Gesicht hat), er wird denselben ,,im Bild" machen, dann ist er S.
Nicht nur in verschiedenen Bewußtsei nszuständen nacheinander, sondern
bei voller Besonnenheit nebeneinander existieren Wahn und Wirklichkeit auch
da, wo sie sich ausschheßen sollten.
Ein Herr schaut die Patientin an, ,,da weiß ich, daß es der Lehrer ist, obwohl
er es eigenthch nicht ist". Das Bett einer Katatonischen ist ein Eisbär, „ich bin
darauf gelegen, dann war es wie ein Bett, aber es war doch ein Eisbär". Eine Hebe-
phrene schreibt: „Die Gebilde sind keine anderen als die obgenannten Persönhch-
keiten (Ärzte usw.), und die müssen aufhören, wie sie entstanden sind"; hier können
die ,, Gebilde" aufhören, nicht aber die mit ihnen identifizierten Persönlichkeiten.
„Ein oder zwei" imaginäre Gummipuppen (die aus einem Inkubus entstanden sind)
werden mit dem Geliebten identifiziert, der die Patientin vollständig beherrscht.
Viele der Ideen sind ganz unbestimmt, nebelhaft:
Dem Schizophrenen kann es gleichgültig sein, ob er Papst ist oder Kaiser;
eine Forderung von 100.000 Franken oder eine von 10 Franken können ihm identisch
sem. Der Vergiftete hat bemerkt, daß man ein braunes Pulver in die Suppe tat-
bei der Diskussion meint er aber, es könne auch eine Flüssigkeit gewesen sein. „Der
Koch hat es ins Essen getan", („wir haben keinen Koch"), „die Köchin" (' die
weiß nichts von Ihnen"), „man tut es auf der Abteilung hinein, für jeden sein Re-
stimmtes Hinter dem bestimmten Ausdruck „des braunen Pulvers" steckt eine
sehr vage Idee. - Ein Paranoider: „Ich habe etwas in mir wie einen Doppelkopf;
Unrichtige Voraussetzungen allerdings werden auch hier meist immer wieder ge-
wtklun"^ l«rw P"*^:«'°«'«f « Eigenbeziehungen während Jahrzehnten der Weiterent-
wicklung eines Wahnsystems Vorschub leisten.
104
Schizophrenie.
es ist imvendig wie wenn ich Christiis wäre „oder" die Jünger am ölberg; 26 Jünger
WülfemL"" "/"n K --Kachel in meinem Kopf 'von S
Wühelm aus - Lm Hebephrene geht zur Bahn, um „jemanden" abzuholen Ein
anderer bestellt „12 dicke juristische Bücher". aozunolen. J^.ni
Oft werden in ganz unklarer Anordnung verschiedene Ideen vereinigt:
„Frankreich hat doch recht: In Frankreich hat man mir plötzlich gesagt es
gebe kerne Dreieniigkeit, 4 Mann haben Gott gemacht. Das habe ich jetzt als richtig
erkannt, drum will ich am 24. April entlassen werden."
Die Ideen können ganz unausgedacht bleiben.
_ Ein Hebephrene, der noch jahrelang fähig war, einer Apotheke vorzustehen
meinte, einen Kinematographcn erfunden zu haben. Er wußte aber von dieser Er-
tmdung nur, „daß die betreffenden Bewegungsmomente im rechten Winkel ar-
rangiert sind". — Man hat einer Kranken weiße Läuse ins Bett geworfen, man hat
ihr eine große schwarze Laus ins Bett geworfen. Sie kann das letztere Tier nicht
beschreiben, subsumiert es aber unter die weißen Läuse.
Oft erscheint die Wahnidee unsinnig, ohne es zu sein, indem die Kranken
sie mit unpassenden, symbolischen oder sonst verschrobenen Ausdrücken bezeichnen.
Wenn eine Patientin sagt, sie sei „die Kraniche des Ibykus", so meint sie das nicht
immer wörtlich im Sinne der Gesmiden, sondern der Hauptbestandteil der Idee ist
der, daß sie „frei von Schuld und Fehle" ist, und daß sie „frei", d. h. nicht ein-
geschlossen sein sollte.
Persönlichkeit und Wahnidee.
Die Spaltung der Persönlichkeit kommt nirgends so auffällig zum Aus-
druck, wie in der Stellung der Wahnideen zu der übrigen Psyche. Teile des
Gesamtkomplexes, den wir das Ich nennen, stehen regelmäßig der Wahnidee
fremd gegenüber. Auf der einen Seite wird dadurch möglich gemacht, daß der
nicht infizierte Teil des Ich nicht an die Wahnidee glaubt oder gar sie kritisiert;
auf der andern kommt gerade die Unkorrigierbarkeit und die Unsinnigkeit des
Wahnes davon her, daß viele ihm widersprechende Assoziationen einfach nicht
in logische Verbindung mit ihm gebracht werden.
So können die Patienten unter Umständen über Ideen, an die sie in anderem
Zusammenhang fest glauben, lachen und witzeln. Meist handelt es sich da um
Gröi3enideen ; doch habe ich auch schon heiles Lachen über den eigenen Ver-
folgungswahn gesehen, ohne daß er korrigiert wäre. Auch wird manchmal die
Idee, kaum geäußert, wieder abgeschwächt (,,es war nicht so schhmm").
Ein Hebephrene spottet darüber, daß er als Gott zwischen zwei Ärzten gehe
und sich nicht aus der Anstalt zu helfen wisse; in einer andern Anstalt habe er nach
dem Tee das Wetter gemacht, hier nach dem Kaffee scheine es nicht zu geschehen.
Ein , ..König der ganzen Welt" frägt selbst, ob das nicht „märchenhaft kliuKp".
So kann es auch zu Zwischenstufen zwischen Wahn und bewußtem
Phantasieren kommen. Das ist namentlich häufig in akuten Zuständen. Die beste
Schilderung davon gibt Foreis Patientin L. S.: „Angrenzend an die eigentliche
Wahnidee und doch bestimmt davon zu unterscheiden mochte im ganzen Verlauf
jener Zustand sein, wo ich, halb von einer Inspiration getrieben, halb wissend
und wollend, mir eine Kolle schuf, die ich spielend und deklamierend durch-
Akzessorische Symptome. Wahnideen.
105
führte, in die ich mich einlebte, und der gemäß ich handelte, ohne mich geradezu
für identisch mit den dargesteUten Personen zu halten. Es gab da freiUch viele
Abstufungen von der Grenze der Wahnidee, vielleicht der Wahnidee selbst
bis zur einfach gehobenen oder erregten Stimmung, bei — wie mir wenigstens
schien — völliger Klarheit über mich und meine Umgebung."
Die Ansätze zur Kritik sind aber meist ganz wertlos. Oft kommen die
Kranken auch dann nicht aus dem Bann heraus, wenn sie das Bedürfnis haben,
sich darüber zu stellen.
Ein Katatoniker zeigt dem Gericht an, daß seine Krankheit als Paranoia
und die Erscheinungen als Halluzinationen taxiert werden: „Sei dem wie es wolle,
es hegt gewiß genügend Grund vor, gegen dieses Pack strafrechthch vorzugehen."
Einer Hebephrenen, die einen Riß in einem Gemälde auf sich gedeutet hat,
wird bemerkt, der brauche doch nichts zu bedeuten: ,,Natürhch braucht's
nichts zu bedeuten, aber dann möchte ich wissen, warum man es mir denn
gemacht hat".
Nicht selten werden die Wahnideen von der Persönlichkeit in dem Sinne
abgespalten, daß sie dem Patienten nicht als Resultat eigener Denktätigkeit,
sondern als Produkt einer fremden Psyche erscheinen; sie werden ihm ein-
gegeben", ,, gemacht", aber er glaubt sie doch.
Am auffälhgsten aber macht sich die assoziative Isoherung der Wahnideen
geltend in ihrem Verhältnis zur Affektivität. Der Inhalt kann im Widerspruch
sein mit der aktuellen Stimmung des Patienten. Er kann beim gleichen Indivi-
duum zu gleicher Zeit oder in aufeinander folgenden Zeiten positiven oder
negativen Affekten entsprechen. Oft verbindet der Kranke ganz inadäquate
oder gar keine Gefühle damit. Größenideen können mit verzweifelter Miene
geäußert werden; Erzählungen über die scheußHchsten Verfolgungen werden
alltägUch mit vollendeter Gleichgültigkeit, ja unter Lächeln vorgebracht. Oder
der Affekt wechselt: Eine Krankenwärterin jammerte über ihre goldene Wirbel-
säule. Nachher sang sie fröhhch: „Ich hatt' eine goldene Wirbelsäule..."'
Da nicht die ganze Persönlichkeit an den Wahnideen teilzuhaben braucht,
und da die Affekte und damit die Triebe ihnen nicht entsprechen müssen, ist
die Reaktion auf die Wahnideen häufig ebenfalls eine inadäquate. Man
kann geradezu sagen, daß diejenigen Handlungen, die einer gesunden Logik
auf der Prämisse der Wahnideen entsprechen, die selteneren sind.
Allerdings schimpfen Verfolgte in unseren Anstalten herum, sie greifen
täthch oder mit gerichtHchen Klagen ihre vermeintUchen Peiniger an, sie suchen
sich durch beständigen Wohnortswechsel oder komphzierte Vorkehrungen und
allerlei Zauberei den feindlichen Einflüssen zu entziehen. Erotomanische machen
gelegenthch auch einmal Schritte, sich dem geUebten Gegenstand zu nähern;
eine Patientin geht zwei Jahre lang jeden Abend zum Theater, um ihren ein-
gebildeten Bräutigam, der sie gar nicht kennt, zu sprechen. Graphomanische
Schriftsteller schreiben, soviel sie können, und lassen auch oft drucken, soviel
die Umstände ihnen gestatten. Aber im Verhältnis zu der Zahl und der Dauer
der Wahnideen sind die Handlungen recht selten, die ihnen im Sinn einer ge-
sunden Logik entsprechen würden.
Die Apathie, die Interesselosigkeit erstreckt sich nicht nur im End-
stadiura", sondern recht oft schon von Anfang an auf die Wahnideen. "Einer
i
106
Schizophrenie.
unserer Hebephrenen fühlte sich lange verfolgt; erst war er der Sache nicht
ganz sicher, konnte also nicht handeln; nachher gab er auf die Sticheleien „nicht
rnehr so acht, weil er nun seiner Sache sonst schon sicher war". Könige und
Kaiser, Päpste und Erlöser beschäftigen sich zum großen Teil mit ganz banalen
Arbeiten, wenn sie überhaupt noch die Energie haben, sich zu betätigen. Und
das nicht nur in den Anstalten, sondern auch in voller Freiheit. Keiner unserer
Generäle hat jemals den Versuch gemacht, seiner Einbildung gemäß zu handeln.
Manche Verfolgte kriegen nur dann und wann einen ganz unnützen Schimpf-
anfall, oder sie machen sonst einen dummen Streich und ziehen sich chronisch
von anderen zurück, unterlassen aber jahrzehntelang jede zielbewußte Handlung,
die nach der gewöhnHchen Erfahrung geeignet wäre, ihnen Euhe zu verschaffen.
Ihre Reaktion ist eine durchaus autistische, die nicht mit der WirkHchkeit
rechnet.
Oft allerdings handeln sie in der Wahnrichtung, aber ohne jede Anpassung
an die WirkHchkeit, die sie doch sonst noch in Betracht ziehen. Der Verfolgte
haut einem behebigen Vorübergehenden, den er gar nicht in seinen Wahn ein-
bezogen hat, eine Ohrfeige; der Sünder verlangt allen Ernstes, daß man ihn
umbringe, ohne auf die selbstverständhche Einrede zu achten, daß die Ärzte
sich damit selbst ins Zuchthaus brächten. Ein frommer Paranoider wollte sich
auf den glühenden Ofen setzen und daselbst Winde von sich geben, um den
bösen Geist, der im Ofen sitze, zu vertreiben.
Die Spaltung der Psyche in verschiedene Seelen führt auch da zu den
größten Inkonsequenzen. Eine noch sehr intelligente Verfolgte nimmt beim
Austritt aus der Anstalt von ihrer Haupt Verfolgerin, die ihr ans Leben wollte,
rührenden Abschied mit echter Empfindung. Die Kranken geben uns ruhig
die Briefe zur Beförderung, in denen sie uns der scheußhchsten Verbrechen und
dabei auch der konstanten Unterschlagung der Briefe anklagen. Sie schimpfen
mit uns, die wir sie vergiften, in den schärfsten Ausdrücken, um uns im nächsten
Moment ein Übel zur Behandlung zu melden oder um eine Zigarre zu bitten.
Oft sind die infolge der Wahnideen ergriffenen Maßregeln so unlogisch
wie der Wahn. Allerlei Zauber wird erfunden, wobei weder vor dem Unsinnigsten
noch vor dem Ekelhaftesten Halt gemacht wird. Die bizarrsten Handlungen und
Worte soUen als „Konjurations" vor den feindhchen Einwirkungen schützen.
Manchmal versteht man den Zusammenhang der Reaktion mit dem Wahn
einigermaßen, wenn sie auch durch die normale Vernunft nicht gerechtfertigt
werden kann. Ein Fräulein war in einen Kaffeehändler verhebt; mit dem Wort
„Kaffee" neckte man sie deshalb (halluzinatorisch); nun trank sie keinen Kaffee
mehr.
In manchen Fällen, namenthch bei alcuten Aufregungen, finden wir gar
keinen Zusammenhang von Wahn und Handlung mehr. Ein Katatoniker fängt
plötzhch an zu schreien: „ich bin Gott, ich bin Gott", und schlägt blind wütend
um sich, will mit dem Kopf durch die Wand rennen.
Entstehung und Schicksale der Wahnideen.
Die Wiege vieler Wahnideen sind die akuten Zustände. In den melancholi-
schen und nianischen Verstimmungen entstehen auf den bekannten Wegen
Akzessorische Symptome. AVahnideen.
107
Wahnideen, die dem Affekt entsprechen, weil dieser die ihm nicht gleich-
sinnigen Assoziationen hemmt und ihres Wertes beraubt. In den eigenthch
schizophrenen Verwirrtheiten taucht ein anscheinend tolles Durcheinander von
falschen VorsteUungen auf, an die die Kranken glauben. Beide Arten von Ideen
können den Zustand ihrer Entstehung überdauern ; ohne affektiven und intel-
lektuellen Zusammenhang bestehen sie dann als „Residualwahn" (Neißer)
in den „sekundären" Zuständen fort.
Die Genese des Wahnes der Verwirrtheit läßt sich nur durch eingehende
Analyse aufdecken. In chronischen Zuständen können wir die Entstehung
etwas besser verfolgen als in akuten, und finden da zunächst einige logische
Formen, die übrigens manchmal auch in der Verwirrtheit nachzuweisen sind.
Manche Wahnideen entspringen aus schon bestehenden. Der verkannte
Prinz kann seine Eltern logischerweise nur als Pflegeeltern ansehen. Bei Schizo-
phrenen werden allerdings solche Konsequenzen gar nicht immer gezogen.
Andere Weiterbildungen sind verfehlte Erklärmigsversuche von wahn-
haften Verhältnissen, so der Wahn durchsichtig zu sein, weil alle Leute des
Patienten Gedanken wissen.
Die tausend auffallenden Erlebnisse des Patienten geben natürUch viele
Gelegenheit zu ähnhchem „Erklärungswahn"; doch spiegelt sich das man-
gelnde logische Bedürfnis der Kranken auch in der verhältnismäßigen Seltenheit
so entstandener Ideen. So ist die ,,Transf ormation" des Verfolgungswahnes
in Größenwahn gar nicht so häufig, wie man nach manchen Autoren meinen
soUte. Ganz der Beschreibung entsprechende Fälle habe ich überhaupt nie
gesehen (ebenso Kelp). Für den Gesunden erscheint es ja sehr plausibel oder
gar notwendig, daß derjenige, den zu verfolgen man sich so unendliche Mühe
gibt, solcher Anstrengungen auch wert sei; für die Schizophrenen ist dieser
Schluß nicht notwendig. Der Größenwahn kann überhaupt ebensowohl primär
sein wie der Verfolgungswahn ; meist mischen sich von Anfang an beide Formen
beim gleichen Patienten, und bloß das quantitative Verhältnis derselben zu-
einander ändert sich.
In den schwereren Krankheitszuständen haben die Wahnideen die Tendenz,
sich zu verallgemeinern.
Ein Patient wird vergiftet; dann ist auch das Wasser des Sees, au dem er
wohnt, vergiftet. Die Verlobung eines Protestanten zerschlug sich, weil die Braut
kathohsch war; nun wähnt er sich von dem Mädchen verfolgt, also auch von den
kathoKschen Wärtern; dann von allen Wärtern überhaupt. Ein Arbeiter wird von
emem entlassenen Nebenarbeiter als Spion angeknurrt; bald darauf meint er, seine
ganze Umgebung halte ihn für einen Spion, dann alle Leute, auch seine Brüder.
Eme Frau fühlt sich von einem Herrn verfolgt, dann von allen Herren, dann auch
noch von den Frauen. Auch die Liebe kann auf immer mehr Personen übertrafen
werden: ein älteres Mädchen liebt einen Vorgesetzten, in der Anstalt dann aSch
den jeweiligen Abteilungsarzt, und sie ist sich so klar über das UnpersönHche ihrer
Liebe daß sie an einen solchen Geliebten schreibt: „Nun will ich Dir treu bleiben
bis ich den andern kenne." '
Die Erweiterung geht manchmal unter Verwischung der Grenzen zwischen
i'r^"^"'..^^*'^^*"" ''"^ Personen, ja zwischen Personen und
abstrakten Begriffen vor sich.
108
Schizophrenie.
_ Der Hebephrene, der Stimmen von „Vogelsang" hörte, wußte, daß damit auf
seme üname hmgewiesen werde, er war selber der Vogelsang. Dann hört er das
Wort auch sonst und „der Vogelsang" will ihn töten, ist überhaupt der Inbegriff
semer Verfolgungen. - Eine Katatonika hat bUtzartige Gedanken, die ihr fremd
erschemen; später wird die Idee in Verbindung gebracht mit der Empfindung des
Durchschautseins: Lichtbhtze lesen in den Augen mid stehlen die Gedanken
In letzteren FäUen läßt sich die Erweiterung der Wahnidee als eine ein-
fache Analogisierung oder eine Erweiterung des Begriffes auffassen; wer einen
KathoHken fürchtet, fürchtet schließüch alle KathoHken und dann alle Menschen.
Entsprechend den schizophrenen Assoziationsweisen können aber alle möglichen
inneren und äußeren Erlebnisse sich der Wahnidee angeghedert haben, ohne
daß sie weder logischen noch affektiven Zusammenhang mit ihr haben. Eine
Patientin hört Stimmen durch „elektrische Drähte und AuerUcht'', wobei das
Auerlicht ursprünglich mit den Stimmen nichts zu tun hat, sondern eine nahe-
liegende Assoziation an die elektrischen Drähte darstellt.
Ein frommer Patient fühlt sich verfolgt und erwartet Hilfe; es fällt ihm auf,
daß eine Frau am Bahnhof hin und hergehe. Wahnidee : Die Frau ist vom Hünmel
gesandt, um ihn zu retten. — Eine Katatonika hat die Frau des Arztes vor ihrer
Erkrankung gekannt und macht sich Sorgen wegen der Entlassung und der Ver-
pflegungskosten. Wahnidee: Frau Dr. muß für sie bezahlen, und wenn sie Frau
Dr. nicht gekannt hätte, müßte sie nicht in der Anstalt bleiben.
Manchmal begründet eine Analogie eine solche Verbindung:
Der Patient wird gebunden: er ist Christus. Er schimpft über die PoHzei und
fühlt sich als der letzte der Bourbons; ein Nebenpatient schimpft auch über die
Polizei, Wahnidee: Der ist auch ein Bourbon.
Der Zusammenhang kann aber dem Gesunden ganz unverständlich sein:
Der Arzt berührt bei der Augenimtersuchmig zufällig die Nase des Patienten,
da steht dieser auf und erklärt feierlich, das sei „ein Zeiger von Gott gewesen, daß
dieser ihn als Sohn ausgewählt habe". — Eine Hebephrene findet auf einer ge-
schenkten Schokoladetafel Buchstaben, die auf sie gemünzt sind. „Sie weiß nicht,
was für Buchstaben und was sie bedeuteten. Sie hätte das schon herausge-
bracht, aber sie war so geärgert, daß sie die Buchstaben sofort verstrich." — Be-
ständig vorhanden ist eben die Wahndisposition, die Deutung der Erlebnisse; sie
kann dann jedem zufälligen Vorkommnis angehängt werden. Dieser Auffassung
tun auch Scheinzusammenhänge wie der folgende keinen Abbruch: ,,Vor meinem
Fenster steht eine Lampe, eine gleiche wie zu Hause; es ist also wieder nicht alles
in Ordnung."
Wenn solche logische Bildungen keinen rechten Zusammenhang mehr
mit dem Ich und seinen Wünschen haben, so erscheinen sie mehr als Spielerei
denn als Wahnidee und sind dann von ähnlichen Produkten der Manie kaum
zu unterscheiden: der Arzt ist „der Herr Optiker", weil er eine Brille trägt; am
Finger hat er den Ring der Nibelungen.
Solche Anklänge können aber ernst gemeint sein, und zwar auch da, wo
sie die eigene Persönlichkeit betreffen. Eine unserer Hebephrenen identifizierte
8ich selbst mit allen möglichen Dingen („ich bin jener Hollunderstrauch; ich
bin ein alter Regenschirm"), ohne daß man eine SymboHsierung oder ÄhnUclies
hätte nachweisen können. Eine Paranoide hat den ungewohnt klingenden
Akzessorische Symptome. Wahnideen.
109
Namen des Dorfes Jestetten, in dem sie sich nach dem Pfarrer erkundigte,
um Hilfe zu bekommen, als „Hinstetten" aufgefaßt und hält nun trotz hundert-
facher Gegenbeweise jahrzehntelang daran fest, das Dorf heiße so.
Die letzteren Wahnideen haben an sich -nichts mit dem Ich der Patientin
zu tun; die falsche Auffassung des Namens ist nur deshalb zur Wahnidee ge-
worden, weil sie zufällig mit einer Wahnidee verknüpft worden ist. Auf diese
Weise entstehen die exzentrischen Wahnideen, die keine direkte Ver-
knüpfung mit den Komplexen des Kranken besitzen.
Da man (z. B. Specht) das Vorkommen solcher Wahnideen geleugnet hat,
mögen noch einige Beispiele angeführt werden. Ein Hebephrene beschäftigt sich
mit Heraldik, in unserer Gegend natürlich mit alemannischer; während des japa-
nischen Krieges bildet er die Idee, die vornehmen Japaner seien Alemannen, ohne
sie irgendwie erkennbar mit seinen eigenen Komplexen in Beziehung zu bringen.
Eine Patientin hat rumpeln gehört: der Prinz von Frankreich (der sonst bei ihr
keine Rolle spielt) ist ermordet worden. Ein Hebephrene, der sich gar nicht mit
den Buren in Beziehung bringt, behauptet eines Tages, Cronje sei ermordet worden.
Ein Patient meint, irgend ein Nebenpatient sei bestohlen worden ; ein anderer, sein
Nachbar, habe eine bestimmte Summe auf der Bank (alles ohne auffindbare Eigen-
beziehung). Man kann nun sagen, solche Ideen seien keine Wahnideen, sondern
Irrtümer; dann gibt man eben beiden Begriffen ad hoc neue Grenzen.
NatürKch bilden sich eine Menge Wahnideen scheinbar wie Irrtümer,
indem sie aus ungenügenden Prämissen Schlüsse ziehen: es spuckt jemand aus,
während ein Paranoider vorübergeht; also wollte er ihm seine Verachtung be-
zeigen. Eine Patientin hat jeweilen beim Erwachen Kopfweh; folghch hatte
man sie in der Nacht geschlagen. Zu dieser Form von Schlüssen gehören auch
die zu weiten Analogieschlüsse.
Um aus solchen falschen Schlüssen Wahnideen entstehen zu lassen, ist
natürhch das Hinzukommen affektiver Momente nötig. Wir finden sie deshalb
am meisten in der Form, daß irgend eine Wahrnehmung aus ungenügenden
logischen Gründen mit einem Komplex, der im Vordergrunde des Interesses
steht, in Beziehung gesetzt wird. Der „Beziehungswahn" („la-ankhafte
Eigenbeziehung") wird bei der Schizophrenie in seiner krassesten Form be-
obachtet: vor dem Patienten geht ein Kind; er fährt auf: „Ich bin nicht der
Vater dieses lündes." Die Leute sind alle seinetwegen auf der Straße: jede
Ihrer Bewegungen hat für ihn etwas zu bedeuten; die Annoncen in den Zeitungen
beziehen sich auf ihn; das Gewitter hat man seinetwegen gemacht; die Goethe-
ausgabe in der Anstalt ist voU von Anspielungen auf ihn, man hat sie seinet-
wegen gefälscht; ein noch ganz besonnener Naturforscher freut sich daß die
kleinen Krebschen ihm winken, wenn er sie im Mikroskop betrachtet Ein
Aatatoniker wixd beim Essen von seiner Schwester gefragt, ob er noch Brot
wolle ; m größter Wut will er sie erstechen, weil sie damit auf seine SteUenlosigkeit
(Brotlosigkeit) gedeutet habe. In diesem Beispiel ist es ganz Idar, daß nicht die
Beziehung auf das Ich, die ganz selbstverständhch und unverfängUch ist, sondern
die Beziehung auf den gefühlsbetonten Komplex das Ausschlaggebende war
Neben dem Beziehungswahn scheint noch in den übhchen Beschreibungen
Es Jd dTT ^l^'^l^'^- -«htige Brutstätte der Wahmdeen.
Es wild dann als em noch unbestimmter Verfolgungswahn aufgefaßt^), der erst
110
Schizoi)hrenie.
spater bestimmtere Gestalt annimmt. Eine unserer Patientinnen schreibt:
„Überhaupt empfinde ich jede FreundUchkeit unangenehm; es steigt stets Miß-
trauen in mir auf, und hege ich gegen alles und jedes Mißtrauen". Eine andere
druckt sich noch drastischer aus: „Man kann dem eigenen Hemd nicht trauen "
Auch die Unbehagüchkeit in allen Situationen, die so häufig vorhanden ist
(„die Wände im eigenen Haus wollten mich fressen"), kann mehr oder weniger
Mißtrauen erregen. Megalomanen haben oft im Anfang nur große Hoffnungen
und große Allüren ohne bestimmte Ideen. Trotz all dem möchte ich die Ent-
wicklung des Wahnes aus unbestimmten „Gefühlen" nicht als Eegel hinstellen.
Unbestimmte Ideen und krankhafte inteUektuelle Gefühle können auch im
späteren Verlauf zu jeder Zeit auftreten (die obigen Beispiele von Mißtrauen
stammen von älteren Kranken) und sind in Eemissionen etwas ganz Ge-
wöhnhches.
Umgekehrt können plötzlich scharf formuHert aufgetretene Vorstellungen
die ersten wahrgenommenen Symptome der Krankheit sein. Auch entwickeln
sich die Wahnideen oft vom Bestimmten ins Unbestimmte und Unklare: Eine
Katatonika glaubte sich in der Pubertät verlobt mit einem Arzt; später ist sie
die Tochter zweier anderer Ärzte, meint, sie habe Medizin studieren wollen;
dann fühlt sie sich als Eigentümerin des Spitals und des Polytechnikums, hinter
welchem Gedanken immer noch nachweishch die Idee steckt, daß sie einen Arzt
heiraten möchte.
Regeln der schizophrenen Wahnentwicklung lassen sich überhaupt noch
nicht angeben. Bestimmte Richtungen ergeben sich etwa in der Wunsch-
entwicklung.
Ein von jeher geld- und ehrsüchtiger Mann will ein reiches Mädchen heiraten
und damit die FamiHe glückUch machen; dazu muß er sich von der Frau scheiden,
sein Kind muß er opfern (im eigenthchen Sinne), dann wird er Jesus, dann Gott;
dann auch Besitzer der Habsburg und der Kyburg. Ein Gelehrter dirigierte im
ersten Anfall Schlachten und machte große Erfindungen zu Ehren seiner Gehebten;
einige Jahre später im zweiten Anfall sagte ihm sein Herz, daß die Gehebte nicht
verheiratet sei (unrichtig). Ein Kommis hat große Aspirationen; eine Dame ist
freundlich mit ihm ; er will sie heiraten ; man liest viel von der Königin von Holland :
die will ihn auch heiraten; seine Frau, die sich nicht von ihm scheiden lassen will,
hält er für untreu, sie will ihn vergiften, verleumden. — In dem letzten Beispiel
sehen wir zugleich die Ausbildung der Verfolgungsidee aus dem Hindernis.
Bei Frauen ist es nichts Ungewöhnhches, daß sie erst den Wahn haben
gehebt, dann verheiratet, dann gravid zu sein; viele haben sogar Kinder von
ihrem Gehebten. Diese Entwicklung braucht in einem Dämmerzustand wenige
Wochen, bei besonnenen Kranken oft Jahre. Ist der Angeschwärmte ein Geist-
hcher, so bildet sich der Wahn meist noch in rehgiöser Richtung aus.
Die Ausdrucksform *en, in denen die Wahnideen zum Bewußtsein des
Patienten kommen, sind sehr mannigfaltige. Oft erscheinen sie als logische Schlüsse,
unterscheiden sich dann formell nicht von den Denlo-esultaten des Gesunden.
Gar nicht selten aber steigen sie auch bei ganz besonnenen Leuten „primor-
dial" fix und fertig aus dem Unbewußten auf. Sie sind einfach da, ohne jede
^) Specht betrachtet es als Affekt.
Akzessorische Symptome. Wahnideen.
III
bewußte Überlegung, und ohne daß der Kranke sagen könnte, wie sie in seine
Psyche gekommen sind. Dabei können sie das subjektive Timbre des Neuen,
sogar des Fremden besitzen, oder der Patient kann sie auch mit voller Selbst-
verständhchkeit angenommen haben, wie wenn er nie etwas anderes gedacht
hätte. Vom einen bis zum andern dieser Extreme ist die ganze Skala der Zwischen-
stufen sehr häuüg; namentlich unter den Paranoiden sind der Kranken, die
„erst jetzt verstehen", viele.
Auch dieser Mechanismus braucht nicht immer scharf präzisierte Wahn-
ideen zu Hefern ; der Wahn kann in der Form von „Ahnungen" u. dgl. auftauchen,
die ihre unbestimmte Gestalt dauernd beibehalten können.
Die meisten Wahnideen kommen in Form von Sinnestäuschungen
zum Bewußtsein. Dritte Personen sagen dem Patienten die Resultate unbe-
wußter falscher Logik, an die er nachträghch auch noch Erklärungswahnideen
knüpfen mag. Prinzipiell nicht verschieden ist es , wenn Gedächtnistäuschun-
gen das Novum hereinbringen, seien es Illusionen oder Halluzinationen der
Erinnerung.
Manchmal nimmt die ganze bewußte Persönlichkeit in einem mehr oder
weniger veränderten Bewußtseinszustand an der Arbeit der Waim-
bildung teil. Neben den gewöhnhchen dehrösen Verwirrtheiten gibt es Zustände,
in denen die Patienten besonnen erscheinen, aber ,, Träumungen" haben, wie
sich einer unserer Patienten ausdrückte, Wachträume, denen sie insofern objektiv
gegenüberstehen, als sie wissen, daß es sich um etwas Besonderes handelt, wenn
sie auch den Inhalt des Geträumten mehr oder weniger glauben. Sie beklagen sich
auch etwa über diese Zustände. Gar nicht selten aber geschieht die Entwicklung
der Wahnideen in der Form des gewöhnhchen Traumes im Schlaf. Eine viele
Jahre lang von uns beobachtete Patientin bildet ihre Wahnfabel nur im Traum
aus; sie weiß das, glaubt aber doch daran.
Die gebildete, arbeits- und gesellschaftsfähige Patientin beklagt sich z. B.
eines Morgens, ich hätte ihr, während sie schlief, ein Kind gemacht und es aus ihrem
Arm herausgeschnitten. Sie wußte, -daß sie das im Traume gesehen, hielt aber an
der Idee fest. Ich suchte ihr begreiflich zu machen, daß ich nicht verantwortlich
sei für das, was sie träume, ich sei doch nicht in Wirklichkeit bei ihr gewesen. Über
die Antwort: „Aber wariun kommen Sie denn im Traume?" kam ich aber mit meinen
Überzeugungskünsten nicht hinaus. — Ein Lehrer in finanziellen Schwierigkeiten
erwachte in einer Nacht ganz glücklich und erzählt, er habe geträumt, daß seine
Besoldung erhöht worden sei; die Wahnidee hält an und bildet die Einleitung einer
schweren Erkrankung. Eine Katatonika „hat Träume, und wenn sie wach wird,
bleiben die Dinge so, wie sie sie geträumt hat". Viele erleben die gleichen Ver-
folgungen im Traum wie im Wachen; Paranoide deuten das gern so, daß man sie
eingeschläfert habe, um an ihnen Experimente zu machen. Auch ist es nichts Sel-
tenes, daß Traum- und Wachhalluzinationen nicht mehr auseinander gehalten werden
können.
Letzteres zeigt sich auch etwa in der Traumanalyse, die hier nach den gleichen
Kegeln zu machen ist wie bei Gesunden. Eine unserer Paranoiden hatte längere
Zeit ganz unverkleidete Wunschträume. Wenn ihr etwas Unangenehmes becregnet
war (Zurückweisung ihrer erotischen Aspirationen usw.), so träumte sie in der^fol-
genden Nacht das Gegenteil und hielt dann dieses als Wahnidee fest^).
^) Vgl. später: Beziehungen der Schizophrenie zum Traume.
112
Schizophrenie.
Gclegentlicli gehen die Träume auch in Dämmerzustände über. Eine Kata-
tonische träumte zwei Nächte, Streit mit ihrem (in Wirklichkeit rohen) Manne zu
haben; sie sprach Laut, hatte starre, weit geöffnete Augen. Gleiche Anfälle kamen
dann auch, wenn sie zu Bett ging, dann auch im Laufe des Tages.
Natürlich verändern sich die Wahnideen auch unter dem Einfluß ver-
schiedener innerer und äußerer Umstände. Daß sie mit der Heftigkeit der
Krankheit (womit nicht bloß der anatomisch-physiologische Krankheitsprozeß
verstanden sein soll) schwanken, bedarf keiner besonderen Hervorhebung.
Auch da, wo keine akuten Zufälle vorkommen, bildet sich der Wahn oft in
Schüben aus.
Manchmal, aber nicht immer, wechsehi die Wahnideen parallel zu
(primären) Stimmungsschwankungen. Die im manischen Zustande ge-
schaffene Königin ist im melanchoHschen die Fürstin der Hölle, die Königin
der Nacht. Der im Angstzustand gesehene unendliche Tunnel durch die Erde
wird in euphorischer Stimmung zu einer technischen Erfindung des Patienten.
Doch sind solche Umbildungen nicht so häufig, wie man erwarten möchte. Meist
treten andere Wahnideen in den Vordergrund, wenn die Stimmungslage wechselt:
der verzweifelte Sünder vnvd nicht nur zum Propheten, sondern auch zum
glücklichen Liebhaber, Erfinder usw.
Bei einem Wechsel der Umgebung werden Wahnideen, die sich an
bestimmte Lokale und Menschen anknüpfen, oft für einige Zeit fallen gelassen,
ja die neue Umgebung kann zunächst als beschützend statt als verfolgend
gelten; manchmal werclen die Wahnideen einfach übertragen, der neue Arzt ist
der Verfolger oder Geliebte wie der frühere. In anderen Fällen, namenthch da, wo
die Verfolger ganz imaginäre Leute sind, beeinflußt der Ortswechsel die W^ahn-
ideen kaum.
Die Dauerhaftigkeit der Wahnideen.
Als ,, pathologische Einfälle" können sie einige Sekunden dauern, als
„fixe Ideen" ein ganzes Leben. In den chronisch verlaufenden Formen mit
geringer Intelligenzstörung ist lange Dauer die Regel, während die in akuten
Anfällen gebildeten Ideen oft zugleich mit der Erregung verblassen. Eine leicht
Kranke, die sich bis nach dem KHmakterium draußen halten konnte, hatte im
zwanzigsten Lebensjahre die Verheißung gehört, wenn sie noch 30 Jahre lang
Jungfrau bleibe, so bekomme sie 20.000 Fr. Nach Ablauf der 30 Jahre ging
sie auf eine Bank, um das Geld in Empfang zu nehmen.
Viele Wahnideen treten in der Weise in den Hintergrund, daß ihre Gefühls-
betonung schwindet, während sie in immer gleicher Weise wiederholt werden.
Sie verHeren dann nach und nach den Einfluß auf das Handeln des Patienten.
ÄhnHch ist es, wenn die Patienten das Interesse an den Wahmdeen veiiiei-en.
Der Vorgang ist oft der Anfang des so häufigen „Vergessens" derselben. Die
Patienten korrigieren die Ideen nicht, aber sie denken mcht mehr an sie. Be-
sondere Situationen aber können sie durch irgend eine passende Assoziation
zum Bewßtsein bringen, das eine Mal so klar und vollständig wie sie je waren,
das andere Mal undeutlich wie ein verschwommenes Erinnerungsbild des Ge-
sunden. Manchmal bildet das Unklarwerden den Weg, auf dem die Ideen aü-
mählich in Vergessenheit sinken.
Akzessorische Symptome. Gedächtnisstörungen,
113
Ob schizophrene Wahnideen überhaupt je vollständig korrigiert werden
können wie ein Irrtum des Gesunden oder wie die Wahnideen bei manisch-
depressivem Irresein, ist sehr fragUch. Ich habe noch keinen Schizophrenen
gesehen, der nach der „Heilung" eine volle Objektivität den Wahnideen gegen-
über gehabt hätte. Entweder gehen die Kranken leichtfertig, ohne rechte
Assoziationen darüber hin, oder sie betonen sie noch mit Gefühlen, oder sie
produzieren geradezu noch Gedanken, die nur verständlich sind unter der Vor-
aussetzung, daß die Wahnideen für sie doch noch eine ReaUtät besitzen, ob-
gleich sie sie im Bewußten ablehnen. So Rikli ns Karl B. (612), der behauptete,
seine eingebildete Braut habe keine Bedeutung mehr für ihn, es aber doch als
„eine gemeine Bewegung" bezeichnete, daß sie ihm als gewöhnliche Magd er-
schien. Manchmal zeigt auch der Ton, in dem der Wahn als Unsinn erklärt
wird, daß derselbe noch irgendwie lebt, z. B. wird die Korrektur gerne wie eine
auswendig gelernte Lektion vorgebracht.
Einer unserer Kranken, der viele Jahre Herrgott gewesen war, hatte die
Idee korrigiert, unterschrieb sich aber immer noch als R. B. Herrgott. Ein
Akademiker hat eine ausgezeichnete wissenschaftliche Arbeit seiner Wahn-
gehebten gewidmet.
Ein Beweis für die Fortdauer scheinbar aufgegebener Wahnideen besteht
auch darin, daß die in einem früheren Anfall gebildeten Ideen in der Regel in
späteren Exazerbationen wieder aufgenommen werden, wie wenn nichts da-
zwischen gewesen wäre. Nicht gerade selten erweisen sie sich sogar gleich bei ihrem
Wiederauftreten als weiter entwickelt, so daß es wahrscheinhch ist, daß sie
im Unterbewußtsein nicht nur gelebt haben, sondern fortgewachsen sind.
Einen Beweis, daß niemals eine schizophrene Wahnidee ganz korrigiert
werden könne, gibt es natürlich nicht; aber die obigen Erfahrungen machen es
doch wahrscheinhch, daß jene immer in irgend einem Winkel der Psyche eine
Art Existenz fortführen. Wir sehen ja auch beim Normalen, daß manche mit
dem Verstand vollständig korrigierten aber früher gefühlsbetonten Ideen (reUgiöse,
poUtische) nie ganz ihren Einfluß auf den Menschen verlieren und im Senium
und ante mortem die Psyche sogar wieder ganz beherrschen können.
Y) Die akzessorischen Gedächtnisstörungen.
Außer der erwähnten Eigentümhchkeit vieler Schizophrenen, mehr Details
zu registrieren als Normale unter gleichen Umständen, gibt es auch eine
Hyperfunktion des Gedächtnisses in dem Sinne, daß in einem (akuten
oder chronischen) Dehr alte, oft bis in ganz frühe Kindheit zurückgehende
Erinnerungen wie frisch auftauchen oder auch sich aufdrängen. Im letzteren
Fall kann man geradezu von Zwangserinnern sprechen. Die oft mit allen Einzel-
heiten erzählten Reminiszenzen können anscheinend gleichgültig sein, haben
aber oft einen deuthchen Zusammenhang mit einem Komplex und können dann
im Sinne von Erinnerungsillusionen verändert werden. Sie können ebenso
plötzüch, wie sie aufgetaucht sind, wieder verschwinden, aber auch dauernd von
der Psyche Besitz nehmen. Statt in Gedanken äußern sich solche Erinnerungen
auch etwa in Halluzinationen, indem der Kranke seine früheren Erlebnisse
wieder sieht und hört, und zwar manchmal mit großer Genamgkeit. ÄhnUches
Handbrc'i der Psychiatrie: Bleuler.
8
.Schizophrenie
Sieht man auch von Anfall zu Anfall. Viele Jahre lang kann in der ruhigen Zeit
der Inhalt des enimal überstandenen Dehrs vergessen bleiben, um erst mit
emem neuen Schub wieder aufzutauchen. Eine unserer Kranken hatte im ersten
Anfall emem Prediger eine Bibel geschenkt; im zweiten, zwanzig Jahre später
schickte sie ihm eine Rechnung von 50 Fr. dafür. '
Eine besondere Art von Gedächtniswirkung ist es, wenn ein Kranker durch
irgend ein äußeres Ereignis so stark an eine frühere Situation erinnert wird
daß er diese wenigstens psychisch wieder hervorruft. Eine unserer Krankerl
hatte sich so geändert, daß wir sie statt wie früher als paranoid nun als katatonisch
bezeichnen mußten. Bei einem Besuch ihres Arztes aus der paranoiden Zeit
änderte sie aber für die Dauer des Gespräches ihr Benehmen wieder ganz in das
frühere um.
In einzelnen Fällen drängen sich Erinnerungen aus der Kinderzeit mehr oder
weniger zusammenhängend auf. Diese veranlassen dann die Kranken etwa, sich
im Sinne dieser Eeminiszenzen zu benehmen oder danach zu handeln. Eine solche
infantilistische Patientin fing an, ihre Fäzes auf ein Papier abzusetzen und dann
ins Klosett zu tragen, wie sie in ihrer Kindheit getan.
Viel wichtiger als die Hypermnesien sind die Erinnerungslücken.
Akute Aufregungen (siehe diese) hinterlassen oft eine schlechte Erinnerung. Die
häufigsten Gedächtnislücken entstehen aber durch die Sperrungen. Wie bei
Gesunden, nur in unendhch stärkerem Maße, werden Erlebnisse, die mit den
momentanen Wünschen im Widerspruch stehen, oder an die man sich aus einem
andern Grunde nicht gern erinnert, abgesperrt, bald für immer, bald nur unter
gewissen Konstellationen. Die Verallgemeinerungstendenz der Sperrungen läßt
außerdem auch etwa Ereignisse ausfaUen, die nur lose oder gar nicht erkennbar
mit einem unangenehmen Gefühle zusammenhängen.
Im AbIdingen von Aufregungen vergessen die Kranken namenthch gerne
ihre eigenen Gewalttätigkeiten, oder diese erscheinen ihnen bloß als Folgen der
Defensivmaßregeln, so daß ihnen die letzteren, so unschuldig und so notwendig;
sie waren, als grobe Mißhandlungen vorkommen müssen. Die abspaltende Kraft
der Komplexe ist in bezug auf die Halluzinationen bereits erwähnt. Es können
aber auch die ganzen halluzinatorischen Aufregungen mit einem Teil der äußeren
Ereignisse auf diese Weise vergessen werden. Das kann den Kranken etwa
bewußt werden: „Doch ich bin gleich wieder zufrieden und rege mich nicht mehr
auf, denn nach einigen Minuten habe ich schon vergessen, was ich gesagt habe."
Solche affektiv bedingte Erinnermigsstörungen können auch etwa die Form
anterograder Amnesie annehmen.
Nach Erregungen und nach akuten Phasen der Krankheit treffen wir
häufig eine intensiv und extensiv in weitesten Grenzen wechsehide Amnesie^).
Manchmal empfinden die Kranken die Lücke und sind dann geneigt, sie einer
Hypnose oder einer andern Beeinflussung zuzuschreiben. Oft auch erscheint
ihnen die durchlebte Zeit viel kürzer; oder Dinge, die sie viele Male erlebt haben,
wie die Visite des Arztes, glauben sie nm- einmal gesehen zu haben. Wie der
Normale seine Träume, so kann der Kranke oft seine Dehiien spontan nicht
reproduzieren; die Reminiszenzen kommen aber, wenn ihm etwas Ähnüchea
^) Vgl. unten die Erinnerung an akute Anfälle.
Akzessorische Symptome. Gedächtnisstörungen.
115
begegnet, oder wenn man ihm ein Stichwort geben kann. Solche Amnesie ist
aber nichts Fixes, sie kann sich verändern. Einer unserer Katatoniker, der aus
einem Dämmerzustand erwacht war, konnte sich zeitweise an den ganzen Zu-
stand erinnern, zu anderen Zeiten an gar nichts. Inkonsequenzen der Erinnerung
sind nicht selten, so bei einer Katatonischen, die von einer Aufregung nichts
mehr wissen wollte als die Injektion, die man ihr gemacht, aber von dieser sogar
das Datum registriert hatte. Nach Zuständen doppelter Orientierung bleiben
beide Eeihen in der Erinnerung, wenn auch nicht immer beide zugleich zugänghch.
sind. Einer unserer schwersten Katatoniker verkannte seine Eltern als Dämonen
und behandelte sie dementsprechend. Nach der Besserung aber wußte er genau,
wann die Eltern gekommen waren, und was sie gesagt hatten.
Während der akuten Anfälle selbst ist das Gedächtnis nicht leicht zu
prüfen. Wo keine eigenthche ,, Verwirrtheit" besteht, kann man sich allerdings
oft überzeugen, daß es recht gut ist, obgleich Verfälschungen im Sinne der Wahn-
ideen häufig die Erinnerung trüben. Eine deuthche, nicht komplexbedingte
anterograde Amnesie während mehrerer Tage habe ich nur ein einziges Mal
konstatiert bei einer Hebephrenen, die noch in leichtem Grade Alkoholikerin war.
Sie kam in ziemhch starker Erregung her, war ganz leicht benommen und ver-
gaß zum größten Teil die Erlebnisse der jeweilen vorhergehenden Tage. Eine
längere Untersuchung von gestern aber verlegte sie auf vorgestern.
Ganz besonders häufig sind bei der Schizophrenie die Paramnesien.
Gedächtnis Illusionen bilden beim Paranoiden oft das Hauptmaterial zu
den Wahnideen, Das ganze frühere Leben kann in der Erinnerung im Sinne
des Komplexes umgestaltet werden.
Ein Besuch war so vornehm, daß er nur eine Abordmmg vom Kaiser sein kann.
Vergiftet hat man den Kranken, wie jetzt, schon in der frühesten Kindheit. Es
begegnet uns alltäglich, daß ein Kranker uns vorwirft, wir hätten ihm vor kurzem
die Entlassung versprochen, während wir das Gegenteil gesagt haben. Ein Kranker
behauptete, die tote Mutter hätte ihm viele Dinge gesagt, die in Wirklichkeit der
Pfarrer bei der Leichenrede gesagt hatte. Häufig werden auch Dinge verwechselt,
die im Sinne der Komplexe gleichwertig sind. Eine Kranke jammerte, daß ihre
Tochter unglücklich werde. Nachher war sie wochenlang untrösthch, daß sie bei
mir ihre Tochter verleumdet habe (Komplexe der sexuellen Eifersucht auf die
Tochter, die sich eben verlobt hatte). Eine andere ärgerte sich, daß sie guten Appetit
hatte; einige Monate später war sie überzeugt, daß sie während jener Zeit nicht
habe essen können. Eine Kranke von sonst ausgezeichnetem Gedächtnis dekla-
mierte das Lied Der Herr ist mein Hirte", meinte aber am folgenden Ta- sie
hatte gesagt: Auf der Alm da dbt's kei Sünd". Häufig sind transitive Erinnerungs-
illusionen und andere Fälschungen der persönhchen Beziehungen Forels L S
meinte, man hätte sie beständig von einem Bett ins andere spediert, während sie
selbst in Wirklichkeit gegen den Willen der Umgebung das Bett gewechselt hatte.
Die so häufigen falschen Klagen der Kranken, daß man sie, während .sie ganz ruhie
waren, aufgeregt und angegriffen habe, beruhen lange nicht alle auf Halluzinationen
Manche finden alles gedruckt, was sie gedacht haben; sie haben die eben
gelesene Geschichte selbst erfunden und schon längst dem Bruder erzählt aUe
Erfindungen gemacht, bestimmte Bilder vor 600 Jahren gemalt Diese Art
^aramr^ ist bei ScWzophrenie nicht selten und hat keine scharfe Grenze
und ai td^rt:^^nS:f ' ^^"^ - "^^^^
8*
116
Schizophi-enie.
unserer
gegen die identifizierenden Erinnerungstäuschungen. Einer
Hebephrenen glaubte während langer Zeit, alles was geschah, genau ein Jahr
vorher erlebt zu haben. „Genau dieser Besuch in diesen Kleidern war heute
vor einem Jahr da und hat das Gleiche gesprochen.'' Ein anderer behauptete
bei der Aufnahme, schon früher einmal da gewesen zu sein, nur wisse er nicht
genau wie lange; dann plötzhch erinnerteer sich, zweimal da gewesen zu sein,
1893 einmal 10 Minuten, und 1895 habe er hier übernachtet; das sei aber nicht
die Narrenanstalt, sondern die Marinekaserne. Er behauptete zugleich, den
Arzt schon zu kennen, was zeigt, wie wenig verschieden viele Personenver-
kennungen von identifizierenden Erinnerungstäuschungen sind.
Wohl nur eine kleine Abänderung der identifizierenden Erinnerungs-
täuschungen bildet das häufige Vorkommnis, daß die aktuellen Erlebnisse
■als zu einem bestimmten Zeitpunkt prophezeit ins Bewußtsein des Patienten
kommen. Alles, was begegnet, kann dem Patienten vorausgesagt erscheinen,
sei es von einem andern, sei es auch von ihm selbst; letzteres ist wohl das Ge-
wöhnhchere.
Eigentliche Erinnerungshalluzinationen sind sehr häufig.
Dem Kranken kommt plötzlich in den Sinn, er habe /u der und der Zeit das
und das erlebt, und diese Idee hält er gewöhnlich fest, wie eine wirkliche Erinnerung,
oder — solange nicht eine wesentliche Besserung eintritt — noch viel fester. Nur
■eine Kranke, die uns erzählt hatte, wie ihr kleiner Knabe aus dem Hause gelaufen
und wieder gebracht worden war, behauptete nachher, der Knabe sei überfahren
worden, und sagte dann auf Vorhalt, sie wisse nicht, ob sie meine, er sei tot oder
er lebe. Der von Delbrück erwähnte Kranke mit ErinnerungshaUuzinationen hat
eine ganze Odyssee geschrieben über die Erlebnisse, die alle nur in der Erinnerung
auftauchten. Man hatte ihn nackt in einem Käfig in den Wirtschaften der Stadt
herumgeführt, ihn gezwungen, auf den Kirchturmspitzen Turnkmiststücke zu machen,
ihn von den Türmen hermitergeworfen ; schließlich wurden diese Reisen über die
ganze Erde und dann in den Weltraum ausgedehnt. Auch der Beziehungswahn
kann sich in Gedächtnistäuschungen äußern: der Patient hat in Annoncen gelesen,
daß er ins Burghölzli kommt. In den meisten Fällen hängt die Erinnerungstäuschung
ganz wie die Halluzination und die Wahnidee mit einem affektbetonten Gedanken
zusammen. So ist es einem Kranken, der mit seiner Frau nicht zufrieden ist, plötzhch
eingefallen, er habe einmal zmn Wärter gesagt, er wolle seine Frau vergiften und
eine andere heiraten. Ein anderer Kranker hatte auf dem Feld ein junges Mädchen
gesehen; er klagte sich dann bei einem Pfarrer an, er habe sie vergewaltigt, was
nicht richtig war.
Unter Umständen fäUt es den Kranken selbst auf, daß sie an das ver-
meinthche Erlebnis früher nicht gedacht haben. Sie suchen dann Erklärungen
dafür: Man hat der Patientin einen Brief geschrieben, da und da hege eine
Million für sie; dann hat man sie einschlafen lassen, so daß sie nachher nichts
davon wußte, und als es ihr später wieder in den Sinn kam, war der Brief
gestohlen.
Kraepelin meint, daß solche Gedächtnistäuschungen nur bei Bewußtseins-
trübungen und bei allgemeiner Schwäche der Kritik vorkommen. Dies widerspricht
meiner Erfahrung. Der Kranke mit den phantastischen Reisen war zu gleicher
Zeit ein ganz guter Bureauarbeiter und ist nach etwa zehnjähriger Dauer senies
schweren Zustandes, der ganz durch Gedächtnistäuschungen beherrscht war, wieder
Akzessorische Symptome. Person.
117
fähig geworden, als Kounnis komplizierte Arbeit zu verrichten, m.d zwar schon
seit etwa acht Jahren.
Auch negative Erinnerungshalluzinationen sind "jclit ««l^^^^^
Sie unterscheiden sich von den einfachen Absperrungen dadurch, daß den
xLCdas Nichtgeschehen eines Ereignisses f t^^ch zunr Be^^^^^^^^
Der Patient fängt unvermittelt an zu schimpfen, weil er den Arzt heute nur
eilal gesehen habe, obschon dieser zufällig siebenmal ^^^.^^^^ ^^"^^
oder Jü man allen anderen Zigarren ausgeteilt hat nur ihm mcht wahrend
er in Wirkhchkeit eben mit dem Rauchen der erhaltenen Zigarren fertig ge-
'"'"''^ Nicht beobachtet habe ich bis jetzt im Gegensatz zu der Ansicht einzelner
Tutoren die Konfabulation, wie sie bei Organischen vorkommt, d. h. Er-
innerungshalluzinationen, die Gedächtnislücken ausfüllen, erst bei (meist von
außen gegebener) Gelegenheit auftreten und sich gewöhnhch auch der Ge-
legenheit anpassen, ja in ihrem Inhalt leiten lassen. Der von Neisser (519 a)
erwähnte Fall Heß sich zwar nicht zu Ende beobachten, doch handelt es sich
da gewiß nicht um Konfabulation, sondern um eine gewöhnliche Gedachtms-
halluzination. .
Dagegen kommt Pseudologia phantastica im Sinne von hysteri-
former Ausgestaltung von Wünschen etwa vor. Ist sie ganz ausgesprochen
und von intaktem Bewußtseins zustand begleitet, so handelt es sich wohl immer
um eine Komphkation.
S) Die Person.
Das IcTi kann die mannigfaltigsten Veränderungen erleiden. Verlust des
Aktivitätsgefühls und namenthch Unfähigkeit, die Gedanken zu dirigieren,
berauben es wesentlicher Komponenten. Der Assoziationsprozeß schlägt un-
gewohnte Bahnen ein. Alles kann anders erscheinen, die eigene Person wie die
Außenwelt, und zwar meist in ganz unklarer Weise, so daß der Patient gar nicht
mehr weiß, wie sich innen und außen zurechtfinden. Auch Parästhesien der
Körperempfindungen können die autopsychische Orientierung erschweren. So
kommt es, daß eine sehr intelhgente Kranke Stunden angestrengter innerer
Arbeit braucht „um für kurze Momente ihr eigenes Ich zu finden" ; die Patienten
,, kommen sich selbst nicht nach", haben das individuelle Selbst verloren".
Ein Kranker mußte seinen eigenen Körper neben sich suchen. Da behebige Teile
des Ich abgespalten und ihm anderseits ganz fremde Vorstellungen angeghedert
werden können, werden die Patienten ,,depersonahsiert", die Person ,,verüert
ihre Grenzen in Raum und Zeit". Die Kranken können sich identisch fühlen
mit irgend einer andern Person, ja mit Sachen ; mit einem Stuhl, mit der Schweiz^) ;
umgekehrt verheren sie den Zusammenhang mit sich selbst; einzelne ge-
fühlsbetonte Ideen respektive Triebe bekommen eine gewisse
Selbständigkeit, so daß die Person in Stücke zerfällt. Diese Teile
können nebeneinander bestehen und abwechselnd die Haupt-
person, den bewußten Teil des Kranken einnehmen. Es kann aber
^) Solche Identifikationen sind beim gleichen Kranken bald im wörtlichen Sinne,
bald symbolisch oder sonstwie uneigentlich gedacht.
118
.Schizophrenie.
auch der Kranke von einem gewissen Zeitpunkt an definitiv ein
anderer sein.
So kann nicht nur der Patient sich dauernd als Kaiser fühlen, sondern er
kann auch seine ganze Vergangenheit eingebüßt haben. Er weiß zwar gewöhnhch
noch, was er früher erlebt hat, aber er schreibt es einer andern Person zu. Er
selbst hat es nicht erlebt. Seine Vergangenheit ist eine ganz andere, gewöhnhch
allerdings nicht klar rekonstruierte.
Ein Schweizer J. H. war im Pariserhaus E. beschäftigt, kam anno 77 in
die Anstalt Charenton, wußte nicht mehr, Aver er sei, unterschrieb einmal als Midhat
Pascha. Er meinte, er sei 1 870 in Charenton geboren, habe sieben Jahre lang nichts
gegessen. Man habe ihn dort u. a. „von der Brust bis zu den Füßen und hinten am
Rücken bis zu den Fußknöcheln abgezwickt, denn er war dreifach". Ein J. H.
sei bei E. tätig gewesen, von diesem im Armenbause Mont Parnasse versorgt worden;
man habe ihn auf ein Bett geworfen, daß er eine Kopfwimde bekam. Der Herr E.
habe an J. H.s Bruder berichtet, der dann aus Versehen statt des wirklichen J. H.
den Patienten abholte; so sei er unter dessen Namen in Rheinau. Dies die Auf-
fassung des Patienten, die verschiedene seiner Erlebnisse an zwei Personen verteilt
und zur Ergänzung der einen Person (seiner jetzigen) noch einiges hinzudichtet
(so die Geburt in Charenton, den Namen Midhat Pascha). — Eine aus der Unter-
suchungshaft gekommene Frau Sch. ist nicht Frau Sch., die wirkliche Frau Seh.
sei in ihrer Heimat und arbeite in den Reben.
Natürhch müssen solche Kranke von sich in einer der beiden Versionen
oder auch von allen beiden Personen in der dritten Person reden. Hier ist diese
Kedeform nicht bloß eine ungewohnte oder ungeschickte Ausdrucksweise wie
in der Idiotie oder bei Kindern, sondern sie ist der Ausdruck einer wirkhchen
Veränderung der Persönhchkeit. Aber auch ohne daß man Zweiteilung der
Person nachweisen könnte, spricht mancher Patient von sich nur in dritter
Person, gewöhnhch bezeichnet er sich mit einem seiner Namen. Ich weiß noch
nicht, wie diese Fälle aufzufassen sind^). Eine miserer chronisch Katatonischen
sprach von sich anhaltend in der zweiten Person.
Meist sind die vollständigen Veränderungen der Persönhchkeit mit schweren
Graden sogenannter Demenz vergesellschaftet.
In leichteren Fällen sind die Kranken abwechselnd bald eine eingebildete
Person, bald wiedev die richtige; die eingebildete kann immer die nämhche sein
oder ihrerseits wieder verschiedene Gestalten annehmen. Einzelne Kranke
sind so konsequent und vollständig bald die eine, bald die andere Person, daß
sie in der einen KoUe nicht an die andere denken; diejenige Person, die sie gerade
repräsentieren, ist dann jedesmal die ihnen selbstverständhch zukommende.
Andere Kranke werden sich des Wechsels bewußt. Eine Patientm ist „ver-
steUbar, bald Jungfi-au, bald Frau". Eine andere ist „der Baumann, em Mann,
und dann doch wieder ich". Meist aber werden die verschiedenen EmsteUungen
in unregelmäßiger Weise verquickt, gelegenthch sogar im gleichen Satz.
Auch durch die Wahnideen der Geschlechtstransformation wd
die Persönhchkeit verändert.
Der Mangel an Eealitätsgefühl kann sich auch auf die Person er-
1) Ich rechne natürlich die Fälle nicht dazu, wo es sich bloß um eine Redefigur
h indelt.
Akzessorische Symptome. Person.
119
strecken. Eine Patientin „ist niclit sie selbst, sie ist nur gespiegelt". Eine
andere findet es merkwürdig, daß sie oft niclit da sei und doch da sei.
Niclit selten fällt ein Stück der Persönliclikeit ab und wird mit einer andern
verbunden (Transitivismus^). Was die Patienten halluzinieren oder tun,
•das halten sie für Erlebnisse anderer Leute.
Eine Kranke hat Löcher in den Händen und glaubt sich oft halbblind; nun
behauptet sie, die Wärterin habe Löcher in den Händen und sei halbblind. Viele
Kranke glauben ihre Angehörigen geisteskrank, oder noch häufiger wenigstens in
der Anstalt eingesperrt; dieselben werden auch elektrisiert wie die Kranken. Ein
Patient schlägt sich selbst oft zwanzigmal, in der Meinung, seine Feinde zu schlagen;
ein anderer schreit, meint aber, sein Nachbar schreie. Die Patientin verwirrt sich,
schimpft aber mit dem Arzt, er könne nicht einmal recht reden. Sie bekommt keine
ihr passende Brille, fährt den Arzt an: ,,Was haben Sie für eine saudumme Brille
auf". Häufig beschuldigen die Kranken die Wärterinnen oder ihre Umgebung dessen,
was sie selbst getan. Eine Kranke malträtiert den Kopf einer Wärterin und schreit
protestierend: ,,0h mein Köpflein!" Eine andere sieht eine Wärterin und ruft:
„Das ist das Gretchen mit der Stallaterne; ich bin das Gretchen mit der Stall-
laterne."— Ein wenig anders ist es, wenn die Kranken glauben, andere Leute nehmen
ihren Namen an und gerieren sich überhaupt als sie selbst. Eine transitivistische
Komponente hat auch die auf beliebige Fragen recht häufige Antwort: „Ich frage
Sie nicht." Ein halber Transitivismus ist es, wenn ein Patient sich nicht darüber
klar wird, ob die Leute und seine Halluzinationen auf ihn wirken oder er auf sie;
es ist ihm übrigens gleichgültig, wie es sei; die Richtung des Handelns von ihm
und zu ihm und damit die Personen fließen ineinander über.
Ein Hebephrene meint, wenn er irgend etwas tut, z. B. im Gesicht kratzt, das
mache gar nicht er, sondern eine andere Person, und zwar immer eine, die er gerade
vor sich sieht. Er fühlt sich dami aber während dieser Zeit als diese Person," wenn
auch nicht ganz sicher.
Im letzten Beispiel wird nicht nur „transitiv" eine Handlimg des Kranken
auf eine andere Person übertragen, sondern die andere Person wird reflexiv
dem Patienten angegliedert. Solche Fälle von Appersonierung sind auch
ohne transitivistische Erscheinungen nicht so selten. Was ein anderer tut
oder erfährt, glaubt der Kranke zu tun oder zu erfahren.
_ Ein Frau pflegte ihren Mann an Darmkrebs, nun glaubt sie die ghnche Krank-
heit zu haben. Der Nachbar eines Patienten stirbt; dieser hält sich auch für ge-
storben und deckt sich das Gesicht mit dem Leintuch. Namentlich häufig hat
der Kranke Dmge, die andere getan haben oder die geschehen sind, getan (sentiment
du dejafait vgl akzessorische Gedächtnisstörungen). In einem Gewitter straft der
Kranke selbst (mcht Gott) seine Verfolger. Dinge, die gesehen werden, können
ebensogut appersomert werden: die Oberwärterin hält einen schwarz gerandeten
Brief m der Hand, nun verfärben sich die Hände der Patientin ganz schwarz.
Die letztere AngUederung war dadurch begünstigt, daß die Patientin durch
Gedanken an Sunde und Tod beherrscht wurde. Überhaupt geschieht die Spaltung
der Person m wesenthchen nach affektiven Komplexen. Die halluzinierten Per
120
•Schizophrenie.
der Kranken (Kaiser, Mutter Gottes) repräsentieren nichts anderes. Oft aber sind
die Verhältnisse komplizierter. Eine Patientin schwärmt für eine Musildehrerin
und für einen Pfarrer zugleich. Sic identifiziert sich gelegentlich mit beiden^); von
dem Pfarrer wird sie in den Halluzinationen sexuell befriedigt. Gelegentlich 'sieht
sie aber beide Personen in sexueller Umarmung unter enormer eigener Erregung:
sie hat ihre beiden Wünsche, die Klavierlehrerin zu sein und den Pfarrer zu
heiraten, in transitivistischer Halluzination nach außen geworfen. Marie erzählt
(S. 45) von einem Fall, wo nach dem Wechsel der Persönlichkeit die abgelegte Person
zur halluzinatorischen Verfolgerin geworden ist.
Die Personenveränderungen in den Dämmerzuständen be-
dürfen keiner Beschreibung. Weniger beachtet werden sie in den so häufigen
Zornanfällen. Der Patient, mit dem man eben noch gemüthch gesprochen,
wird auf einmal erregt, behauptet Dinge, die er sonst nicht glaubt, fälscht seine
Logik total im Sinne seines Ärgers. Er ist ein vollständig anderer, um nach
kurzer Zeit wieder der frühere zu sein. Die affektbetonte Vorstellung kann
auch aus einem negativistisch gereizten Wesen für einige Zeit eine soziable
Person machen: mürrisch, unzufrieden mit der ganzen Welt sitzt eine Patientin
da; ich grüße sie als Braut und Frau (nicht als meine Braut und Frau), das
erinnert sie an ihre in den Wahnideen erfüllten Hoffnungen, sie erwidert meinen
Gruß mit freundhchem Händedruck und fängt an zu plaudern. Hierher gehört
auch das AufschUeßen autistisch eingesponnener Patienten durch iVntönen
irgend eines Komplexes, durch einen Besuch usw.
Auch gegenüber den nämhchen Personen können die Kranken in einen
Augenbhck so, im andern anders sein, indem die Umschaltung der Persönhchkeit
ganz von innen heraus geschieht. Der Patient kann seiner Frau die zornigsten
Vorwürfe machen, um sie im nächsten Moment als seine hebe Frau zu umarmen
und zu bitten, sie möchte ihm ,,das Leben retten".
In einzelnen Fällen wird die andere Persönhchkeit durch ganz ver-
scTiiedene Sprache marldert: der Patient spricht freundhch und normal
mit gewöhnhcher Stimme mit dem Arzt und zwischendurch ganz verwirrt in
Neologismen und mit auffälhgem Ton oder flüsternd mit seinen Stimmen. In
solchen Fällen kann der Wechsel der Persönhchkeit alle paar Sekunden statt-
finden. Einzelne Kranke können auch während eines Gespräches oder beim
Vorlesen beständig mit Halluzinationen beschäftigt sein und ihnen leise ant-
worten, und doch daneben die Wirkhchkeit so genau auffassen, wie nur eui
aufmerksamer Gesunder, z. B. eine vorgelesene Geschichte mit allen Details
erfassen. Da laufen zwei verschiedene Persönhchkeiten ganz parallel neben-
einander, jede mit einer vollen Aufmerksamkeit. Sie sind aber wohl nie voll-
ständig voneinander getrennt, da man meist Auskunft über beide Reihen be-
kommt. Auch die Person hat ihre mehrfache Buchführung. Der Patient kann
bei einer Diskussion aUes, was ihm eingewendet wird, vollständig ignorieren
oder falsch verstehen, es aber behebige Zeit nachher richtig verwerten.
1) Dergleichen ist im Traume des Gesunden häufig. Vgl. auch den Patienten v. Kraf f t-
Ebings, der nur hinkende Frauen liebte und dem Antrieb nicht widerstehen konnte, om
solches Weib nachzuahmen.
Akzessorische Symptome. Sprache und Schrift.
121
e) Sprache und Schrift.
Die sprachlichen Äußerungen als solche sind bei leichter Kranken meist
normal; mündUch wie schrifthch di-ücken sie richtige oder ki-ankhafte Ideen
in der gleichen Weise aus, wie die Gesunden. Bei den in unsere Behandlung
kommenden Fällen sind aber häufig mehr oder weniger ausgesprochene Ab-
normitäten vorhanden.
Sperrung, Ideenarmut, Inkohärenz, Benommenheit, Wahnideen, Gefühls-
anomalien finden in der Sprache ihren Ausdruck; hier liegt aber die Abnormität
nicht in der Sprache selbst, sondern in dem, was sie zu sagen hat.
Häufig ist der Sprachtrieb verändert. Manche Patienten sprechen sehr
viel, oft geradezu kontinuierlich. Meist wollen sie dabei der Umgebung gar nicht
eine Mitteilung machen, noch überhaupt sich mit ihr verständigen, ihre Gedanken
setzen sich in Reden um, ohne Beziehung zur Umgebung. Oder diese Beziehungen
sind nur ganz einseitige, so wenn uns die Kranken Fragen stellen, die zwar
einigermaßen auf den Angeredeten zugeschnitten sind, dabei aber kein Bedürfnis
nach einer Antwort dokumentieren, indem sie dem Gefragten keine Zeit zum
Antworten lassen oder gar nicht auf das hören, was er erwidert. Oft wirkt
tUe Anwesenheit einer Person nur wie ein Reiz zum Sprechen überhaupt, nicht
als Anreiz, etwas zu sagen. Viele Kranke reihen beständig Worte aneinander,,
sie reden, aber sagen nichts^).
Andere reden umgekehrt gar nicht (Mutismus). Manche schreiben
nicht, mag sich noch so viel Anlaß bieten. Man kann von einzelnen nur schrift-
hch, von anderen nur mündhch, von anderen wieder gar keine Antwort bekommen.
Vom mündhchen und schrifthchen Mutismus bis zum beständigen Schwatzen
oder Schreiben gibt es alle Übergänge.
Mutismus ist ein gewöhnhches Begleitsymptom stuporöser Zustände,
kommt aber auch in anderen Kombinationen vor. Sogar Kranke, die ganz
arbeitsfähig sind, können andauernd stumm bleiben. Bei den schweren Formen
ist das Symptom häufig, bald vorübergehend, bald andauernd bis zu jahr-
zehntelanger Stummheit. Das Verhalten auf Anreden ist ein sehr verschiedenes.
Die einen reagieren gar nicht, genau wie wenn sie nichts bemerkt hätten. Bei anderen
gibt die Mimik, namenthch der Bhck, absichthch oder unabsichtHch zu ver-
stehen, daß sie doch gehört haben. Erröten und andere Zeichen von Affekten
beweisen das Verständnis. Einzelne bewegen oft ein wenig die Lippen, ohne
einen Ton von sich zu geben. Es kommt auch, namenthch in akuten Zuständen,
etwa vor, daß mutistische Kranke durch Gesten oder schriftlich Antwort geben
]a auf diese Weise spontan Wünsche äußern. Am häufigsten aber sind mutisti-
sche Kranke zugleich negativistisch.
Es handelt sich beim Mutismus niemals um eine absolute Stummheit
wenn es auch Patienten gibt, die jahrelang keinen Laut von sich geben Die
meisten Kranken sprechen zwischendurch dann und wann; sie können nament-
ücü vernehmhch schimpfen; manchmal singen sie.
müR^. andere Tätigkeit kann auch das Sprechen automatisch oder zwansrs-
r nfehtlufn.'''^" '^^'^ ^"'^ ^"^^^ krankhafter; KoprolaHe z
122
Schizophrenie.
Das Motorische der Sprache ist gewöhnlich intakt. Artikulations-
störungen im eigenthchen Sinne gehören nicht zum Bild der Schizophrenie.
NatürHch können sich aber allgemeine Sperrungen auch in der Sprachfunktion
geltend machen. Diese besitzt indes eine gewisse Selbständigkeit. Ihre Störung
ist oft stärker oder — noch häufiger — leichter als die der übrigen MotiUtät,
die Sprache kann auch ganz allein normal bleiben oder allein gehemmt respektive
gesperrt sein.
Das Formelle der Ausdrucks weise kann alle denkbaren Abnormitäten
zeigen, aber auch vollständig korrekt sein. Bei intelhgenten Leuten finden wir
oft eine ganz bestechende Eedeweise. Es begegnet mir dann und wann in einer
khnischen Vorstellung, daß ich nicht alle Zuhörer von der Krankhaftigkeit
einer schwer schizophrenen Logik zu überzeugen vermag. So bei einem katato-
nischen Polytechniker, der sich hatte füttern lassen und die Nahrungsverweigerung
in ausgezeichneter Rede damit begründete, daß er gesehen habe, wie ein Nachbar
sich bei der Fütterung so dumm benommen habe, daß man die Krankheit
gleich erkennen mußte; er aber habe uns durch sein normales Benehmen bei
der Fütterung den Beweis der geistigen Gesundheit geben wollen.
Der Tonfall hat oft etwas Besonderes, namenthch fehlen manchmal die
Modulationen, oder sie sind übertrieben oder am falschen Ort. Die Sprache
ist oft abnorm laut, abnorm leise, zu schnell, zu langsam ; der eine redet durch
die Fistel, der andere murmelt, der dritte brummt oder grunzt beim Sprechen;
eine Katatonika spricht bei der Inspiration wie bei der Exspiration ; eine andere
intoniert gar nicht. Manchmal wechselt die Stimme mit dem Ideenkreis, die
Patienten reden mit den Halluzinationen in ganz anderem Ton als mit wirklichen
Menschen ; mit denen, die sie zu ihren Verfolgern zählen, anders als mit anderen
Leuten. Sie denken sich in verschiedene Personen hinein und benutzen dem-
entsprechend verschiedene Tonlagen. Eine unserer Kranken sprach mit der
Stimme ihres Kindes, das durch ihren Mund hinauswollte. Wenn bei den ver-
schiedenen Arten des automatischen Sprechens bestimmte Personen durch die
Kranken reden, so hat manchmal jede derselben eine besondere Stimme und
eine besondere Sprechweise überhaupt. Auch nach den Komplexen wird die
Sprache gewechselt; eine Katatonika sprach für gewöhnhch in nicht auffallendem
Zürichdeutsch; über ihre Kranldieit immer im St. Galler Dialekt; wenn von
ihrem Mann die Rede war, in schnodderigen Ausdrücken und Flüchen; bei dem
Thema „Amerika" (das mit ihren Aspirationen in Verbindung war) gebildet,
nett. Der beständige Gebrauch von Diminutiven und andere Anomahen treten
im Sprechen wie im Schreiben oft nur an Komplexstellen auf. Ein Hebephrene
schreibt und spricht an irrelevanten Stellen normal, an Komplexstellen wird
er ganz vag in seinen Ausdrücken, schwer verständhch, fängt an zu stottern,
mit den Lippen zu zittern. Eine Katatonika bildete Neologismen nur, wenn
sie gerade aus äußeren oder inneren Gründen erregt war.
Entsprechend der Affektlosigkeit auf der einen Seite und der Neigung
zu übertriebener Mimik auf der andern hat auch die Sprache bald zu wenig,
bald zu viel Ausdruck. Sie tönt oft sonderbar, dem Inhalt inadäquat, die
Kranken können fröhUche Dinge mit traurigem Ton sagen und umgekehrt. Ge-
legenthch khngt die Sprache wie abwesend, ähnhch den Reden von Gesunden
im Traum.
Akzessorische Symptome. Sprache und Schrift.
123
Manche Anomalien der Sprache gehören zu den „Manieren" (siehe da-
selbst) : Andere Abnormitäten kann man zu den Stereotypien ^ rechnen, vor
allem die Verbigeration, ebenso wenn eine Kranke zwischen je zwei Worte
ein gedehntes „hüi" einschiebt.
Nicht selten bekommt man den Eindruck, daß die Verbindung zwischen
Begriff und sprachlichem Ausdruck gelockert sei, wobei sehr- auffallend ist,
daß der Grad dieser Störung in keinem Verhältnis zu stehen braucht zu den
übrigen i\^soziationslockerungen und namentlich zu dem Stande dessen, was
wir als Intelligenz bezeichnen. Es gibt Kranke, die sich sehr korrekt auszu-
drücken vermögen, deren intellektuelle Fähigkeiten aber im höchsten Grad
darniederliegen, und umgekehrt wieder solche, die keinen verständlichen Satz
sprechen, aber noch relativ komplizierte Arbeiten, wie die Verteilung der Wäsche
auf einer Abteilung tadellos besorgen. Sprachverwirrtheit ist also auch bei der
Schizophrenie von der Begriffsverwirrtheit zu trennen, wenn auch manchmal
beides zusammen angetroffen wird. Bemerkenswert sind namentlich die nicht
so seltenen Fälle, wo Kranke sich nur schriftlich oder nur mündlich klar aus-
drücken, während sie in der andern Form verwirrtes Zeug produzieren. Einer
miserer Hebephrenen, mit dem man sich seit Jahren mündlich nur in einfachsten
Dingen verständigen konnte, schrieb noch immer korrekte Briefe. In solchen
Fällen handelt es sich Avohl nicht bloß um ein ,, Sichgehenlassen" und „Zu-
sammennehmen" bei bestimmten Anlässen, sondern um eine verschiedene
Einstellung je nach den Umständen.
Der Satz v. Kraf f t-Ebings, daß die AVorte ihren Sinn verlieren, bis nur
noch Ketten von Worthülsen übrig bleiben, hat nur für die verbigerationsartigen
Sprachäußerungen Gültigkeit. Die auffallenden Worte sind bei unseren Kranken
gar nicht leere Hülsen, sondern Hülsen, die einen andern Inhalt bergen als
sonst. Foreis Patientin beschreibt das Phänomen sehr gut:
Manche Worte gebrauchte ich . . . um einen ganz andern Begriff auszudrücken,
als denjenigen, den sie eigentlich bezeichnen .... so auch „räudig", das ich ganz
gemütlich für „wacker" brauchte .... Fand ich für die rasch sich drängenden
Ideen nicht gleich das passende Wort, so machte ich ihnen in selbstgeschaffenen
Luft . . . . z. B. „Wuttas" für „Tauben".
Nach den bis jetzt bekannten Gesichtspunkten sind die Sprachfehler der
Schizopluenie nicht von denen des Traumes zu unterscheiden. Leider läßt sich
aber die grundlegende Arbeit Kraepelins (398) noch nicht ziu- Einteilung
verwerten, da die beiden Eeihen der subjektiven Traumbeobachtung und der
objektiven Schizophrenie-Erfahrungen noch viel zu lückenhaft sind, als
daß sie sich ganz decken könnten. Ich kann im folgenden nur- einige Gesichts-
punkte mitteilen, die sich aus den Beobachtungen von schizophrenen Sprach-
störungen ergeben.
e-
der
Zum größten Teil werden Worte gebraucht, die einen Begriff bezeichnen der
üem gewollten ähnlich ist, oder irgendwie gleiche Bestandteile oder gleiche B
dingungen hat Un buffet" für „eine Stockuhr" ist leicht verständlich wegen de
<iußeren Ahn ichkeit der beiden Möbel; „une hem:e" wegen der Bezieimng der Stock
Uhr zu den Stunden (Masseion); ebenso begreifen wir, daß statt „Stärke" „Erd-
apfel gesagt werden kamx (nachdem vorher von Äpfeln gesprochen worden !
Viel wird die Redefigur der pars pro toto mißbraucht, und zwar oft so, daß
124
Schizophrenie.
ein unwesentlicher Teil des zu bezeichnenden Begriffes hervorgehoben wird, so wenn
ein Schuh genannt wird „une fagon, 9a sert a valser" (Masseion). Verständlicher
ist es, wenn ein Patient statt der Entlassung „Arbeitsveränderung" verlangt, wenn
ein anderer alle seine Verfolger und Verfolgungen „Gebilde" nennt, obschon beide
nicht nur als Visionen erscheinen. Sehr bezeichnend für die weitgehende Störung
der Schizophrenie ist „das Kindersystem des Wärters", womit Patient sagen wollte,
daß der Wärter nicht zu seiner Verfügung war, als er ihn brauchte, und daß derselbe
dafür Bettunterlagen besorgte, um anzudeuten, daß Patient so unrein sei wie ein
kleines Kind. Auch zwei Dinge, die unter einem gemeinsamen Oberbegriff sub-
sumiert werden können, Koordinationen, verwechseln ihre Bezeichnungen, nament-
lich wenn es sich um Abstrakta handelt; so wenn der Kranke ,,an Notzucht
leidet", während doch die Einsperrung in die Anstalt eine ganz andere Art von Ver-
gewaltigvmg ist.
In weitgehendem Maße wird die uneigentliche Eedefigur angewandt, vor allem
der Ausdruck ,, morden", der für alle, möglichen Formen von Quälereien und in den
verschiedensten Zusammensetzungen wiederkehrt. Es wird aber in vielen Fällen
deutlich, daß die Patienten hier oft vergessen, daß sie eine Redefigur brauchen: der
Begriff ihres „Gequältwerdens" ist ihnen ein so starker, daß sie ihn nur mit jenem
Worte bezeichnen können, und daß sie in gewissen Zusammenhängen wirklich glauben,
gemordet worden zu sein. Natürlich werden die verstärkenden Ausdrücke bei An-
klagen bevorzugt, die abschwächenden bei der Verteidigung. — Redeweisen wie
,,Ich bin die Geduld Christi gewesen" haben, so unsinnig sie hier erscheinen, ihre
normalen Analoga z. B. in: ,,Ich bin die Wahrheit und das Leben."
Oft ist die Begriffsähnlichkeit, die zu Wortverwechslungen führt, eine sehr
geringe und setzt geradezu Gedankengänge voraus, die gar nicht zu dem bezeichneten
Begriff gehören: eine Kranke ,,hat eine Filiale vom Herrgott", d. h. sie hat das
Recht, Geld zu machen. Ebenso abgelegen ist der Vergleich, wenn eine Kranke
sich beklagt, keinen „Absatz" zu haben, indem sie die Betätigung in der Liebe mit
der in einem Verkaufsgeschäft identifiziert.
Wo die Ähnlichkeit etwas größer ist, kommen, wenn auch gewagte, so doch
auch dem Normalen verständliche Bilder zum Vorschein, wie „geimpft werden mit
Besteigung" von einer Frau, und „heilige Impfungen vornehmen" bei einem Manne
für Koitieren, oder „wer hat mir den tiefen Haß eingehämmert?" und „der Herr
S. ist in den Redensarten spaziert", d. h. man hat auf S. hingedeutet. Ganz gesucht
erscheint der Ausdruck: „Dann sind wir längst Gäste des Krematoriums" (d. h. tot).
Unter Umständen betrifft die Ähnlichkeit gar nicht die Begriffe, sondern die
Worte, imd dann kann es auch zu faden Wortspielen kommen^ so wenn ein Kranker
,, unter Bürgern" ist und damit meint, im Burghölzli zu sein.
Berühmt sind die Wortneubildungen der Schizophrenie, die zum Teil
zwar verständlich, aber selten ganz nach den gewöhnlichen Sprachregeln ge-
bildet werden:
„Wahrlügereien" — Lügen, die man für wahr ausgibt, ein Pleonasmus; eine
Kranke „schreibt die Geborenheit Luise Müller; sie war damals Müllersweiso", d. h,
sie hieß mit ihrem Mädchennamen Müller. Eine andere Kranke ist „bcmillionart ,
d. h. sie hat Millionen bekommen; eine dritte wird „vom Winter m ihre Stublichkeit
eingeschlossen". Ein Paranoider ist „erhabrechtlich" eingesperrt, d. h. der, der ihn
eingesperrt hat, sagt, er habe recht. - Der Neubildung liegt etwa eine Onomatopoie
zugrunde: eine Hebephrene hat „Orkäne" im Hals, d. h. sie muß sich räuspern,
daß es ähnlich tönt wie dieses Wort.
Eine Menge von Neologismen mußten von den Kranken geschaffen werden zur
Bezeichnung neuer Begriffe, für die eben unsere Sprache nicht emgerichtet ist.
Akzessorische Symptome. Sprache und Schrift.
125
Namentlich die Verfolgungen, die Halluzinationen und was alles damit zusammen-
hängt, müssen von den Kranken, die sich ja immer damit beschäftigen, mit einem
Worte bezeichnet werden können. So heißt „Durchschnauzen" durch die Wände
hindurchreden; eine Patientin Jungs nannte ihre Neologismen „Machtwörter";
sie sprach von „Doppelpolytechnikum", was ihr der Inbegriff aller ihrer Geschick-
lichkeiten und der dazu gehörenden Belohnungen war^). Eine Patientin spuckt
„Käfig- Wetter-Brühe" auf den Boden, d. h. sie muß so viel spucken, weil sie Käfig-
wetter hat, eingesperrt ist. — Die Schwester einer Ärztin dehnt den Begriff der
Kollegialität durch verwandtschaftliche Verhältnisse aus: „sie ist mit den Ärzten
kollegial durch ihre Schwester". Die Redensart: „der Prinz von England ist im
heutigen Ich des Oheims", drückt den für Gesunde unmöglichen Gedanken aus
daß der Oheim in den Prinzen von England verwandelt worden sei (,,er ist nicht
Prinz von England geworden, sondern er hat wirklich die Person des Prinzen
bekommen").
Neue Ausdrücke werden auch geschaffen durch Verdichtung. Man muß
aber unterscheiden zwischen begrifflicher Verdichtung, die mehrere Begriffe
in einen verschmilzt und durch ein Wort ausdrückt, und sprachlicher Verdichtung,
die verschiedene Ausdrücke zusammenwirft, sei es, daß diese Worte den gleichen
Begriff bezeichnen, oder daß der Kombination der Worte auch eine Kombination
von Begriffen entspricht.
Die Zusammenziehung verschiedener Wörter, die den gleichen Begriff be-
zeichnen, kommt schon beim Versprechen des Gesunden häufig vor; so könnte das
katatonische „händeklar" (aus: „es Hegt auf der Hand" und „es ist sonnenklar")
auch einem Gesiinden entwischt sein. Dem Satz „ich hoffe, daß ich ^vieder auf einen
bürgerlichen Ernährungszweig komme", hegen die Ideen zugrunde, daß Patient in
gewöhnhchen bürgerlichen Verhältnissen draußen leben, daß er sich selber ernähren
und auf einen grünen Zweig kommen möchte. Das an sich nicht verfänghche Wort
Zähringer („ich bin Zähringer") bedeutet zäh = gesund, kräftig, und zugleich eine
Wohnung im Zähringerquartier. In dem Worte „Beschwerung", das zwei Kranke
unabhängig voneinander zur Bezeichnung der Verfolgung brauchten, hegt sowohl
das Zauberische (Beschwörung) als das Unangenehme, schwer zu Tragende^).
Eine besondere Konfusion wird in die Sprache gebracht dadurch, daß
auch bei den Begriff richtig bezeichnenden Worten die Satzform falsche Be-
ziehungen ausdrückt, oder daß bei Neubildungen und ungewöhnlichen An-
wendungen von einzelnen Wörtern der Stamm zwar richtig gewählt wird, aber
die Suffixe oder Zusammensetzungen falsche Beziehungen hineinbringen. Meine
Beobachtungen erlauben nun nicht, mit Kraepelin akataphasische und
agrammatische Störungen auseinanderzuhalten; ich möchte vorläufig mit dem
Namen des Paragrammatismus alle diese Fehler gegen die Grammatik
bezeichnen.
Auf abnorme Weise, aber nicht falsch, wird ein Gedanke ausgedrückt in es
ist bei mir kein Vorhandensein von Abwesenheit im Geist". Falsche Wortbüdung
.11 1 '^r? Neologismen bezeichnen also eine komplizierte Idee, manche soear
aUe krankhaften Erlebnisse während langer Zeit. Man hat sie deshalb auch E Ii pse n genam'
und als cm Zeichen einer schon lange dauernden Krankheit angesehen. zteLsirmm
'^"^^^ ^^^'''^ -1^^' Wörter":::;: tz:^
ein häuiigt 'pt;;;';';^"^«^^-'^ Verdichtungen, namentlich in bildlichen Redensarten,
126
Schizophrenie.
hegt dem Ausdruck zugrunde „ich war schon als Kind ein Appartement" (etwas
appartes). Ebenso „ich bin erbschaftlich auf drei Millionen" (habe drei Millionen
geerbt). Eine Patientin, die „katholisch insinuante Schmerzen" hat, will sagen,
daß die katholischen Wärterinnen ihr Schmerzen machen. Der Verfolger eines
Patienten „leidet an Verfolgungswahn", wobei das Wort in aktiver statt der ge-
wöhnlichen passiven Bedeutung gefaßt ist. Der Patient der ,,bis zur Zeit eines
findigen Erwerbes auf Staatswohltat angewiesen ist," wendet das Verbaladiektiv
falsch an; die Katatonika, „der der Bodensee gehört", drückt durch , »gehören"
falsch aus, daß sie sich im Bodensee ertränken sollte.
In ähnlicher Weise wie in dem letzten Beispiel das „gehören", wird namentlich
die Kopula mißbraucht: „ich bin England" heißt „England gehört mir"; „ich
bin die Sonne" ist gleichbedeutend mit: „ich bin Herr und Schöpfer der Sonne"
usw. In all diesen Beispielen ist aber gewiß der zugrunde liegende Gedanke nicht
so klar abgegrenzt, wie wenn der Gesunde ihn denkt.
Wie die Verknüpfung der Ideen unter sich, so kann auch die Verbindung
von Begriff und Wort eine ganz zufällige sein und dann festgehalten werden.
Ein Paranoider benutzte fast jedes Fremdwort, das er hörte, dazu, um seine
Verfolgungsideen oder einen Teil derselben zu bezeichnen: ,,er wurde auf dem
Dossierwege", verfolgt, „auf dem Kosmus weg" machte man ihm Schmerzen an
den Genitalien. In solchen FäUen meinen die Kranken wirldich, ihre Ideen richtig
und für andere Leute verständlich bezeichnet zu haben.
Meistens kommen in den laankhaften Ausdrucksweisen verschiedene
Fehler gehäuft vor.
„Ich wünsche keine Türkei" heißt: ,,ich will nicht Ihre Haremsdame, Ihre
Hure sein, Sie Polygamist"; es handelt sich um eine Verschiebung der Bedeutung
des Wortes Türkei" und zugleich um eine Verdichtimg zweier Begriffe. ,,FreundUche
Beziehungen an solche, die sich angehören" als Schluß eines Briefes ist ebenfalls
durch Paragrammatismus und Verdichtung verschiedener an solcher Stelle geläufiger
Ideen entstanden. Der Onanist, der sich „Schwanzmörder" nennt, braucht
,, Mörder" im Sinne von „Sünder" und „Verderber" und macht erst noch eine
paragrammatische Zusammensetzung. Der „abgebläuten" Kranken ist ein Brief
mit dem Blaustiftvermerk „unbestellbar" zurückgekommen: die Neubildung ist
eine ganz paragrammatische. Die an Neuralgien leidende Paranoide, die Asien,
Afrika und Algier hat, setzt ein Wort für ein klangähnliches ein mid assoziiert
erst noch im Sinne des ersteren Wortes weiter. Neue Gedanken, neue Ausdrucks-
weise und Abkürzungen benutzt der von Riklini) analysierte Kranke, der folgender-
maßen spricht und schreibt:
Centralleuropa undt Centraleuropaaera Nr. 3258 Eernst Gisler Trauungg auch
dder Schlüsel ddurch Herr Pfarrer Dr. Studer Kaiser DDes Titt. Standdenbank
pprr p 96 oder Postbrief 3 wäa Kaiserlichen undt Königlichen auch Kaiserlich
Könielichen Gewerbes Titt, Rheinau. Mo work Badd ggut Herr dr. hc. _
Bern' 27/7 DD kurz ^o/^ 3/^ Aa 1906 Datum. Sssie Zahlen geegen Voorweisen
eeines Billetes Frkn Achttausendt in Banknotenn auch Titt. Berner Kantonalbank
in Bern oder B K B. Frkn 8000 baar Bestände ä Zehn Prozente Frkn 8.800 ledden-
fals Frkn 800 maal Zehn ä Eeilf : Titte. Regierungs kanzllei Aaltdorf weegen Schaden-
ersatze ddurch Herrn aalt Missionar u Gasthhof Inhabber Dr Christaller im Bellevue
Andter madtim Paag Frkn e zwölff Halbocktav Reiswerk Reiswerk = Proces ^ erba
qa 29/3 Ao 1889 Zeitungsdatumm dden Nneuen Z Zürcher Zeitungg. Soll J^orel
1) Noch nicht publiziert.
Akzessorische Symptome. Sprache und Schrift.
127
Steinheil Guggenbuel 330 Frkn b = uiidt Frkn Haf Dho Grob st 15 auch addirfc
nach 139 Wartjahren an Herr Oberwärter u. Minister dr hc Vegetarianer Steeiger
Bro "
Was die Verdoppelung vieler Buchstaben bedeutet, wissen wir noch nicht.
Patient bleibt sich aber auch hierin seit Jahren konsequent. Er ist Kaiser von
Zentraleuropa geworden und zählt von da an die Ära. 3251 ist seine Aufnahmsnummer
in Rheinau, die letzte Stelle verändert er in eine 8, weil die Zahl sonst nicht in sein
System paßt, in dem die 8 (Zentraleuropa hat 8 Staaten) eine Rolle spielt. E. ist
sein Name; Gisler ist der Name seiner eingebildeten Geliebten, mit der er in seinen
Delirien getraut worden ist, was durch das Wort „Trauung" angedeutet ist. „Auch
die Schlüssel sind ihm getraut", d. h. er sollte sie bekommen. Pfarrer St., den er
zum Doktor ernennt, war damals Anstaltsgeistlicher. „Kaiser der tit. Standenbank"
ist ein weiterer Titel des Patienten. „Des" steht für „der", indem er den letzten
Buchstaben durch den im Alphabet folgenden ersetzt. „Standenbank" ist die vom
Patienten angenommene Bank, der er Aufträge zur Zahlung kleinerer Bedürfnisse
(wie man sie an einem Jahrmarktsstand kaufen kann) erteilt, „pprr" = per =
durch. „pqb"= Postquittungsbuch." „3 Vvvia" = dreifach (auf 3 Wegen). „Mo
work" = Montag, Werktag. „Badd ggut" = nach Genuß eines angenehmen Bades.
— (Jas Datum, an welchem Patient den dritten August schreibt. ,,Herr Dr.
h c 30" = der Tag, an welchem der Herr Dr. hon. causa (= der Wärter) den 30. Juli
schreibt. ,,Bern j.^^^ = Datum, an welchem Bern den 27. Juli schreibt. ,,DD -^^/^ =
das Durchschnittsdatum (nach einer eigentümlichen Berechnung des Pat.) „kurz
30. Juli/ 3 August" faßt die Datumbezeichnungen der verschiedenen Zählarten
kurz zusammen. B K B ist wieder Berner Kantonalbank. In Andermatt ist Pat.
abgefaßt worden, deshalb haftet die Regierungskanzlei Altorf für seine Schaden-
ersatzansprüche, ebenso der Inhaber des Hotels. 0=3 (sc. Billionen, die er als
Entschädigung verlangt). Halboktav ist das Klosettpapier, auf das er zu schreiben
pflegt, und das er nicht in den gewünschten großen Quantitäten bekommen kann.
,, Reiswerk" ist das Befreiungswerk, daß man reisen kann. „Proces Verbal qa
Ao 1889" = gleich wie es in einer Eingabe (proces verbal) des Patienten über diesen
Gegenstand (qa = qua = diesen Gegenstand betreffend) ausgeführt ist. Dieser
Proces verbal wurde eingeschickt an dem Tage, an dem die Neue Zürcher Zeitung
das vorgesetzte Datum trug. Anstaltsdirektor Forel, der mit einem früheren Be-
kannten des Patienten, Guggenbühl, verdichtet wird, schuldet ihm 330 Millionen
(b) Franken, dazu („auch addiert") 816 (haf), 480 (Dho), 730 (Gco) Mülionen.
„st" = 15 Ziffern (also 816 480 730 000 000 fr). „139 Wartjahre" die Zahl ist
nicht ganz klar. Den Oberwärter hat er zum Minister und Dr. hon. causa gemacht.
Er ist Vegetarier, wie alle guten Ärzte (Patient hat sexuelle Abneigung gegen Fleisch).
Femer verdichtet er ihn mit einem Mann namens Steiger. Br. . . ist der Name
des Oberwärters.
Das Schriftstück will also sagen:
„Wir Kaiser von Zentraleuropa, E. . ., Nr. 3251, geträurmit Frl. Gisler (wobei
zugleich das Recht auf Freiheit gewährleistet wurde), Inhaber und Herrscher über
die Bank, durch welche wir mittels Postanweisungen unsere Bedürfnisse erhalten
und des Gewerbes in Rheinau, erlassen folgenden Befehl: Sie oder die Berner Kan-
tonalbank zahlen gegen Vorweisen eines Billetts Fr. 8000 in bar mit 10°/ auf
Rechnung der (oder: „gut muß stehen die") Regierimgskanzlei Altorf, dTe mir
Schadenersatz schuldig ist aus dem Benehmen des Hotelbesitzers Christeller zum
Bellevue in Andermatt, jeden Tag 3 Billionen, und zwölf Blätter Klosettpapier und
die Freiheit, wie wir es in der Eingabe gesagt, an dem Tag, da die Neue Zürcher
Zeitung das Datum 29. September 1889 trug. Auch Forel schuldet uns 330 Millione!>
128
Schizophrenie.
Franken, und dazu 816 480 730 000 000 Franken. Zu zahlen an den Oberwärter
der Anstalt, unsern Minister."
In vielen Fällen lassen sich die Ausdrücke nicht erklären, so wenn eine Kranke
„gesiest" und eine andere „verbotanisiert." und eine dritte von „Ellbogesleuten"
geplagt wird, oder wenn statt Worten Zahlen eingesetzt werden (wenn indes 473
heißen soll: „verstehen Sie das?" so sind offenbar die Anfangslaute der Zahlen oder
der Worte das Bindeglied).
In hochgradigen Fällen resultiert ein vollständiger „Wortsalat" der
ganz unverständlich ist, auch wenn er sich in der Hauptsache aus gebräuchlichen
Worten zusammensetzt; die grammatisch und inhalthch für uns ganz unbe-
greifliche Kombination macht uns den Eindruck einer unbekannten Sprache.
Es war mir bis jetzt unmöglich, einen vollen Wortsalat nachzustenographieren.
In dem folgendem Schreiben ist die Satzform noch zum größten Teil erhalten: Auf
Apell. laut Kirchen Staat hatte das Volk die Sitten und Gebräuche teilweise auf
Glosglauben genommen desshalb wollte da Vater rein f. Neue Situation eingehn
da sie glaubten, der Vater habe eine BabeH Comediation nur mit Musikspiel. Drum
giengen sie auf die hohe Osetion auf den Kohl von Studer Erde und anderer Bos-
heiten allerlei: und gegen das was gut ist. Und auf Ihrer umgekehrten Osetion Eben
Eecht kommen u. Ugauhskil wird dran ist auch der Vater der Gerecht. (Hebe-
phrenie.)
Auch für die ganze Sprache werden oft neue Wörter gebildet, so daß wir
■eine besondere Kunstsprache", wie sie eine unserer Kranken nannte, vor
uns haben: die neuen Wörter lehnen sich etwa noch deuthch an gebräuchüche
Ausdrücke, an oder sie sind ganz neu geschaffen, manchmal mit der offensicht-
lichen Prätention, eine bestimmte Sprache nachzuahmen. Im letzteren Fall
bezeichnen die Kranken ihre Sprache unter Umständen selbst als Französisch
oder Chinesisch usw. Dann und wann wenigstens läßt sich nachweisen, daß
für bestimmte Begriffe auch immer die gleichen Worte gebraucht werden ; meist
aber scheint eine solche ,, Kunstsprache" ein Augenblickskind zu sein, das im
nächsten Moment durch ein anderes ersetzt wird. Wie ernst die Kranken diese
Sprache nehmen, läßt sich meist nicht feststellen; oft scheint das Gewelsche
ihnen mehr die Bedeutung eines Spiels oder einer Mystifikation zu haben; in
einzelnen FäUen aber glauben die Kranken sich richtig auszudrücken, sei es.
daß sie sich vorstellen, ihre gewöhnhche oder eine andere bestehende Sprache
^zu sprechen, sei es, daß sie sich der Neuschöpfung bewußt sind.
guwesim ellsi bäschi was wie emschi wüsel dümte rischi güwe schäme brisell
engwit rühsel schäme bärsei gü-we emschi rahsil bügin raschwi emso Gluwi rüUsiU
tügsee bühsee ralit. schügen wüte büser .... (Hebephrenie).
Eine trotz ihrer Katatonie noch sehr inteUigente und sich gut beobachtende
Kranke wollte sagen: „Geben Sie mir ein Beruhigungsmittel", sagte aber: „Geben
Sie mir 20000" oder „Ich gebe Ihnen 20000". Die beiden Satzformen sind ihr m
ihrem Gedächtnis identisch, obschon sie nachträglich den Unterschied in normaler
"Weise bemerkt.
Die schriftlichen Äußerungen entsprechen ganz den mündlichen,
nur machen sich einzelne EigentümHchkeiten hier noch mehr geltend. Die
Patienten schreiben oft, wenn sie nichts zu sagen haben. Man bekommt so von
gebildeten Leuten unter Umständen Erzählungen, was in der Anstalt alles getan
Akzessorische Symptome. Sprache und
129
50 Dei einer ivatauuinöi^uon,
ie möchte ihren Eltern schreiben, sie sei entlassungstahig.
K.i), den 27. Aprü mP).
Liebe Eltern
ut und mich holen meine Schwester hat für mich gewaschen wir
Die Ziel- und Gedankenlosigkeit der Kranken zeigt sich auch in den vielen
Abweichungen von der ursprüngHchen Idee, indem sowohl Inhalt wie Wort-
klänge auf Nebenbahnen führen. Ein Hebephrene nennt unter anderen Aus-
kunftsstellen, bei denen man sich über ihn erkundigen kann: „meinen Vater mN.,
auf dessen Urteil ich aUes gebe, selbst mein Leben gebe, wenn er es fordert".
Inkonsequenzen, wie die, daß der mit „liebe Eltern" begonnene Brief
unterzeichnet wird „von deiner Schwester", sind bei Schizophrenie etwas
Häufiges. Briefe an verschiedene Personen werden auf das gleiche Blatt ge-
schrieben. Oft werden die gleichen Personen im nämlichen Brief bald mit „Du",
bald mit „Ihr", bald mit „Sie" angeredet. Eine Hebephrene endet jeden Brief,
mag er an welche Personen immer gerichtet sein, mit „freundlichen Gruß und
Kuß von deiner treu hebenden E. F. in W.*)
Trotz der vorhandenen Orientierung ist ein zeitlich und örtlich falsches
Datum gar nicht selten. Eine Katatonika fügt in der Anstalt regelmäßig ihre
frühere Adresse den Briefen bei, und das sogar, wenn sie an ihre Mutter schreibt.
Die eigentlichen Stilabnormitäten sind bei den Anstaltspatienten
etwas sehr Gewöhnliches. Der Ausdruck ist namentUch gerne schwülstig, und
zwar nicht nur an Stellen, die mit Nachdruck oder Gefühl geschrieben sein
sollen; ,,die Kranken sprechen Trivialitäten in einem hochgeschraubten Aus-
druck, als ob es sich um die höchsten Interessen der Menschheit handelte".
Oft sind die Ausdrücke dabei ganz ungeschickt gewählt, so daß man einen früh
reif sein wollenden Schüler zu hören glaubt; dazu gesellt sich eine Vorliebe für
Redensarten aller Art, die dann oft stereotyp an allen mögUchen und unmöglichen
Orten angebracht werden. Neben Telegrammstil finden wir bei anderen Kranken
wieder eine Neigung zu endlosen Perioden, in die oft die verschiedensten Ge-
danken hineingewurstelt werden. Eine Eigentümlichkeit des Stils sowohl als
des Denkens ist es, wenn in Briefen selbstverständliche Dinge breit ausgeführt
^) Ihr Heimatort statt der Anstalt.
recte 1906.
') sie!
*) Sie wohnt nicht in W., sondern in der Anstalt.
Handbuch der Psvchiatrie : Hl euler.
9
130
Schizophrenie.
werden: „Der Unterzeichner nachfolgender Zeilen nimmt sich die Freiheit,
Ihnen dieselben per Post unter Kuvert zukommen zu lassen. . Mehrsprachige
Kranke mengen gern verschiedene Sprachen durcheinander oder bevorzugen
eine Sprache, die ihnen nicht geläufig ist.
Die gefühlsbetonten Komplexe werden oft indirekt ausgedrückt: eine
Kranke schreibt lange Briefe angefüllt mit Kirchenhedern, die sich alle auf ihren
mit dem Herrgott identifizierten GeUebten und ihr gegenseitiges Verhältnis be-
ziehen. In anderen Fällen drücken sich die Komplexe in dem gesucht vornehmen,
untertänigen oder kindhchen Stil oder im massenhaften Gebrauch von Diminu-
tiven aus.
Es gibt aber auch Stilanomalien, die vorläufig nicht mit den Komplexen
in Verbindung gebracht werden können und folgUch als pathologische Launen
betrachtet werden müssen, so wenn einer statt anderer Verbalformen fast nur
Partizipien mit einem Hilfszeitwort bringt. Oft charakterisieren auffallende
Bilder Stil und Denkweise der Kranken. Eine rmizhge Paranoide schreibt:
,;Mein Gesicht ist ein ausgestoßener Plafond heraldisch und architektonisch".
Und wie die Assoziationen inhaltlich die heterogensten Gegenstände zusammen-
bringen, so verknüpft auch die Ausdrucksweise in ganz bizarrer Weise Dinge,
die gar nicht oder doch anders zusanam engehören: ,,Die körperhche Untersuchung
kam mir nicht nur sehr interessant, sondern wirklich himmelschreiend vor",
oder: „Ich lag nicht nur der Jagd ob, sondern auch meinem Vater zur Last".
Solche Fehler haben, wie in diesem Beispiel, ihren Ursprung meist in der
Affektlosigkeit der Schreiber. Dinge, die affektiv verschieden sind, werden auf
eine Linie gestellt. Auch Zusammenstellungen, wie die folgende, haben ihren
Hauptgrund in der nämhchen Anomahe: „Ich bin 10 Tage hier, man will mich
verhungern lassen; ich möchte die ganze "Welt ankotzen, und dort drüben ist
ein gemachtes Bett" oder: „Fühle mich wohl und munter, ist mir leicht und ver-
spüre einen großen Hunger und Heimweh". — Auch die Form im engeren Sinne
zeigt oft die Gefühllosigkeit an. Eine gebildete Tochter schreibt ihrer Tante
einen Brief, der ihre Anhänglichkeit beweisen soll, aber namenthch durch den
Umstand höchst trocken ausfällt, daß die Kranke die Gefühle in unpersönhchen
Sätzen ausdrückt („es wird verdankt", „es wird gewünscht").
Sperrungen drücken sich gelegentHch aus durch Unterbrechung mitten
im Satz, worauf dann ein neuer Gedanke auftritt, oder in schweren Fällen das
Schreiben ganz aufhört. Gelegentlich zeigt auch eine Lücke den unterdrückten
Gedanken an, so in dem Briefschluß:
Grüßt Sie herzHch J - • • . .
in der (große Lücke)
Adr.: Anstalt. Zürichs, Zinmier Nr. 2.
Das Äußere der Schriftstücke läßt oft den Schizophrenen erkennen:
die Einteilung auf dem Papier ist ganz bizarr; der Band verrät die wechselnden
Launen des Schreibers; bald ist er breit, bald fehlt er, bald befindet er sich hnks,
bald rechts; der Brief wird unten an der Seite angefangen oder zu oberst un-
mittelbar unter dem Papieranfang. Namenthch Paranoide haben baufig die
Gewohnheit, nirgends einen Rand zu lassen, das Papier voUständig auszufüllen.
Dagegen schreibt ein Katatoniker auf ein ganzes Blatt:
Akzessorische Symptome. Sprache und Schri
131
Zürich, den 28. Juli 04
Mutter !
Schicke Zucker
A.i).
Die Schrifthnieu gehen oft ganz schief oder in verschiedenen Richtungen
über das Papier; dort wird ein Quadrat ausgefüUt, da eine Kreisfläche mit
Worten umschrieben; allerlei mehr oder weniger sonderbare Figuren werden
teils mit Schriftzügen gebildet, teils hinzugezeichnet. Das Blatt wird m ver-
zwickt komphzierter Weise gefaltet, oft so, daß man sich verwundert, wie es.
dem Kranken trotz aller scheinbaren Regellosigkeit noch gehngt, die gewünschte-
Form imd Größe herauszubringen.
Der katatonen Sonderbarkeiten in der Schrift sind Legion. Große und;
kleine Buchstaben werden ohne Regel gebraucht, die Majuskeln auch mitten
in Worten; hinter jeden Vokal kommt „etwas wie ein h" (Pfister), Dialekt-
ausdrücke werden phonetisch geschrieben, so daß man sie nur mit großer Mühe
entziffern kann („Pfrau" statt „die Frau"), „Nicht einmal" wird wiedergegeben;
„nicht 1 X". Die Orthographie wird überhaupt nach unzähligen Richtungen
verändert. Ganz unmotiviert bricht eine Patientin ab „S — tein"; die Inter-
punktion fehlt durch lange Schriftstücke vollständig ; nach jedem Wort kommt
ein Komma ; die Worte werden aneinander geschrieben. Auch ganz bedeutungs-
lose Zahlen werden zuerst in Ziffern, dann in Worten ausgedrückt.
Die katatonen Eigentümlichkeiten der Stereotypie und der Manieren
finden in der Schrift ihren in die Augen fallenden Ausdruck ; schriftliche Verbi-
geration ist etwas sehr häufiges, und zwar werden nicht nur Wörter oder Sätze,
sondern auch einzelne Buchstaben und namentlich Satzzeichen beliebig oft
wiederholt, manchmal in ganz besonderer Anordnung oder gemischt mit Kreuzen,
Kreisen, Dreiecken und anderen Figuren. Ein Hebephrene schrieb viele Jahre
lang immer die gleichen Reihen von Zahlen, deren Nullen bis ans Ende der Zeile
gingen. Die Manieren zeigen sich in affektierten und sonderbaren Buchstaben-
formen und allerlei Schnörkeln, die ebenfalls Neigung haben, stereotyp zu werden.
Einzelne Kranke erfinden eine besondere Schrift (Kryptographie), die eine
Karikatur bekannter Schriften oder eine ganz freie Erfindung sein kann.
Die Per severatio n beeinflußt namenthch in akuten Stadien der Katatonie
(speziell der „Benommenheit") nicht so selten die Schrift mid betrifft sowohl
Worte wie einzelne Buchstaben, die an unpassender Stelle sich wieder auf-
drängen, („wieder wiede" statt „wieder werde"); ferner noch häufiger in den
nämlichen FäUen die Kontamination diu-ch spätere Wörter und Buch-
staben, die der Schreiber schon im Sinne hat.
Auch Zusammenziehungen, wie „icht" statt „ich nicht", sind daselbst
nicht selten. Hierzu gehört es wohl auch, wenn Worte und Buchstaben nicht
fertig geschrieben oder ausgelassen werden („Wärtin"; „nih" statt „nicht");
immerhin können diese Störungen auch andere Ursachen haben, so namentlich
in plötzlich auftretenden Sperrungen.
Auch das Graphologische im engeren Sinn ist oft — aber lange nicht'jn
allen Fällen — so charakteristisch für die Schizophrenie, daß man daraus die
1) Im Original nur dieser Buchstabe, etwas geziert.
9*
132
Schizophrenie.
Diagnose machen kann. Schon Kraepelin (390, II., 564) hat in katatoni-
schen Zustanden gefunden, daß die ganze Führung ungleich und gesetzlos ser
auch im Stupor kommen rasche und sogar, wenn auch seltener, kraftvolle Be-
wegungen vor. So sehen wir gemischt im gleichen Schriftstück Icräftige und
ganz kraftlose, große und kleine Züge, aufrechtstehende und sehr schiefe Schrift
fluchtige und sorgfältig gezeichnete Buchstaben; der gleiche Patient führt —
oft auf der gleichen Seite — ganz verschiedene Handschriften i).
Als Ursache der Änderung läßt sich oft Wechsel des Komplexes im Ideen-
gang nachweisen. Überhaupt zeichnen sich die Komplexstellen bei Schizo-
phrenen durch viel markantere Zeichen (Unregelmäßigkeiten aller Art, Ab-
weichungen von der Linie usw.) aus als bei Gesunden.
Wenn autistische Katatoniker, die den Zusammenhang mit der Außen-
welt ganz verloren haben, zum Schreiben gedrängt werden, haben sie oft zunächst
Schwierigkeiten, die Feder richtig in die Hand zu nehmen, dann ist es, wie wenn
die Feder nicht richtig zeichnen würde. Gewöhnlich machen sie dann Züge in
die Luft, schließlich bringen sie Striche aufs Papier, namentlich oft verschlungene
Linien u. dgl. Hat man recht viel Geduld, so kann man sehen, wie sich aus
diesen nach und nach Buchstaben entwickeln, die dann zunächst in unverständ-
licher Weise zusammengesetzt werden, schließhch aber ein, wenn nicht richtig,
so doch verständlich geschriebenes Wort, eventuell sogar einen Satz bilden.
Man kann meist nachträglich erkennen, daß Elemente des Wortes schon in dem
zunächst unverstandenen Gekritzel enthalten waren. Die Schrift entwickelt
sich also in ganz gleicher Weise wie automatisches Schreiben, nur meist rascher,
schon in einer „Sitzung". Dafür geht das Errungene bis zum nächsten Versuch
wieder vollständig verloren^).
Q Die körperlichen Symptome.
Die Schizophrenie hat eine Anzahl körperlicher Symptome, die zwar meist
nicht sehr ausgesprochen, in manchen Fällen gar nicht zu finden sind, in ihrer
Gesamtheit aber doch darauf hindeuten, daß der Krankheit eine tiefere Altera-
tion des Gehirns oder gar des ganzen Körpers zugrunde liegt.
In akuten Zuständen trifft man psychische Symptome, die an Hirndruck
erinnern. Auch von der körperhchen Seite lassen zitternde unsichere Bewegungen
auf eine allgemeine gröbere Hirnstörung schheßen. Nach Reichardt kommt
ein im Verhältnis zum Schädel zu großes Hirngewicht und sogar Stauungs-
papille vor^). Auch die Pupillenstörungen müssen hier erwähnt werden.
Manchmal gleicht der Zustand des Körpers dem einer schweren Infektion.
NamentHch in akuten Anfällen der Katatonie finden wir oft eine stark belegte
Zunge, Appetitlosigkeit (auch ohne psychische Abneigung gegen Nahrungs-
aufnahme) und schlechte Assimilation der Nahrung. Der Kräfte- und Ernährungs-
1) Durch diesen Umstand ist z. B. die Forschung über Lenzens Gedichte an Frie-
derike Brion erschwert worden.
*) In ganz analoger Weise spielen solche Patienten auf dem Klavier oft zunächst ein
Chaos von Tönen, aus dem sich dann ganz allmählich Melodien herausheben.
*) Siehe auch unten, einerseits Tod an katatonischer Hirnlähmung, anderseits die
katatonische „Benommenheit".
Akzessorische Symptome. Körperliche Symptome.
133
zustand sinkt rapid, und zwar ganz unabhängig von der motorisclien Anstrengung;
die Bewegungen werden zittrig. Manchmal, aber nicht immer, sind mit solchen
Zuständen auch leichte, selten stärkere Temperaturerhöhungen verbunden.
Eeichardt (S. 32) hat bei Stuporzuständen bis 5'Voo Eiweiß im Urin
gefimden. Geringere Quantitäten haben wir auch etwa bei verschiedenen kata-
tonen Zuständen vorübergehend gesehen. Ob ein Zusammenhang des Sym-
ptoms mit der Psychose existiert, ist noch nicht zu entscheiden.
Das Körpergewicht zeigt namentlich bei den akuten Formen häufig
ganz unregelmäßige und starke Schwankungen, für die man keinen Grund kennt^).
Es galt von jeher als ein schhmmes prognostisches Zeichen einer akuten Psychose,
wenn ein Kranker anfing stark zuzunehmen, ohne daß sein psychischer Zustand
sich besserte ; wir konstatieren also häufig ein auffallendes Stärkerwerden während
des Abklingens akuter Zustände, und zwar in einzelnen FäUen um 25 Kilogramm
und noch mehr über das Normalmaß des Kranken, so daß es sich nicht um eine
einfache Ausgleichimg des Verlustes durch die Aufregung handeln kann. Ein-
zelne bleiben dann lange auf einem abnorm hohen Gewicht, andere gehen in
wenigen Monaten wieder auf die Norm zurück. Ob diese Fälle eine schlimmere
Prognose haben als die mit unauffälligeren Schwankungen, bleibt weiterer
Forschung vorbehalten.
Manchmal schwankt das Gewicht zugleich mit dem psychischen Zustand,
indem es namentUch bei Aufregungen ab- und bei Euhe zunimmt.
Die meisten Kranken unserer Anstalten unterscheiden sich indes in Hin-
sicht auf das Körpergewicht nicht bemerkbar von den Gesunden; nur scheinen
auch bei chronischen Zuständen die Schwankungen etwas häufiger und größer
als in der Norm.
Das Körpergewicht geht durchaus nicht immer parallel der Nahrungs-
aufnahme; namenthch in akuten Zuständen kann bei ganz reichlicher oder
doch genügender Aufnahme der Kranke extrem abmagern, ja an Inanition
zugrunde gehen, wie Rosenfeld (629) beobachtet hat. Umgekehrt bleiben
manche Kranke trotz ganz geringer Nahrungsaufnahme sogar bei starker motori-
scher Aufregung merkwürdig gut bei Kräften. Beim gleichen Patienten kann
sich eine Zeitlang das Körpergewicht umgekehrt verhalten wie die Nahnmgs-
aufnahme.
Nicht zu verwechseln mit den Schwankungen im Ernährungszustand sind
die unregehnäßigen Oszillationen des Körpergewichtes, die oft innerhalb eines
oder weniger Tage eintreten und, wie Rosenfeld nachgewiesen hat, einfach
auf ungleicher Wasserretention beruhen. Sie scheinen gar nicht selten zu sein
und können mehrere Pfund betragen.
Appetitlosigkeit ist häufig vorhanden, in akuten Zuständen oft be-
gleitet_ von den Symptomen eines „Magenkatarrhs" oder einer gastrischen
Intektion (belegte Zunge, fauliger Geruch, manchmal, aber nicht regelmäßig,
leichte Temperaturerhöhungen), in chronischen mehr- ohne solche Begleit-
erscheinungen. Abwechselnd mit der Anorexie oder auch aUein kann Heiß-
.o ^..i? ^bnahme des Körpergewichtes „im Anfang der Ki-ankJieit" ist wenigstens
dSr KraSei?^^^^^^ '''^ ^^^^^'^en kommen, für den Anfang
134.
Schizophrenie.
hunger vorkommen, bald in Anfällen, bald als chronischer Zustand. Solche
Vielesser erreichen nur selten ein entsprechendes Körpergewicht.
Über die Absonderung der Verdauungssäfte wissen wir noch recht
wenig. Unzweifelhaft ist die Tätigkeit der Drüsen des Magendarmkanals meist
nicht gestört. Doch gibt es Ausnahmen. So finden wir dann und wann Ptyalis-
mus, und zwar gelegenthch ganz hochgradigen; ich habe in einem Fall im Laufe
von je einem Tage mehrfach bis drei Liter herausgegebenen Speichels gemessen,
und das dauerte monatelang und wiederholte sich nach einigen Jahren^). Ein-
zelne Kranke klagen auch über Trockenheit im Munde, die in der Regel nach
Wochen oder Monaten wieder vergeht.
Nach Leub uscher und Ziehen soll bei Katatonie und Stupor Neigung zu
Hyperchlorhydrie, bei erworbenem Schwachsinn Tendenz zu Hypochlorhydrie und bei
akuten paranoiden Zuständen normale Azidität bestehen. Wir haben noch keinen
Grund, aus diesen Angaben, die wohl der Nachuntersuchung bedürfen, den Schluß
zu ziehen, daß die genannten Krankheitserscheinungen prinzipiell verschieden seien
(vgl. auch Mayr, 460).
Wie bei anderen Psychosen ist dieNahrungsauf nähme sowie dieTätig-
keit des Darmes auch bei der Schizophrenie im höchsten Grad abhängig von
psychischen Faktoren; Vergiftungswahn, Negativismus, Autismus, Aufregung
usw. verhindern oder erschweren die Nahrungsaufnahme vielfach, die indes
bei der Wandelbarkeit dieser Zustände zwischendurch wieder bis zur Bulimie
sich steigern kann. Bei keiner Geisteskrankheit kommt volle Nahrungs-
verweigerung so häufig und so andauernd vor, wie bei der Schizophrenie.
Namentlich bei katatonischen Zuständen höheren Grades ist mehr oder weniger
konsequente Abstinenz die Regel. Eine unserer Kranken konnte 16 Jahre lang,
d. h. bis zu ihrem Tode, nur mit der Sonde ernährt werden.
Darmtätigkeit. Manche Kranke scheinen den Stuhl absichtlich zm-ück-
zuhalten, aus den verschiedensten Gründen. Andere wieder entleeren den
Darm viel mehr als nötig, teils weil sie das Material zum Schmieren brauchen,
teils infolge von Wahnideen, teils aus uns noch unbekannten Gründen. Eine
primäre Atonie des Darmes scheint aber namentlich bei katatonen Zuständen
wirklich vorzukommen.
Masseion (S. 81) erwähnt unter den schizophrenen Symptomen den Mery-
zismus, der aber auch eine mehr zufälUge Begleiterscheinung sein kann.
Mehr Untersuchungen sind gemacht worden über den Stoffwechsel, soweit
er sich in der Zusammensetzmig des Harns ergibt; zu einem faßbaren Resultat
haben sie aber noch nicht geführt. Es scheint, daß in den chronischen Zuständen
der Harn im großen und ganzen nicht abnorm sei. Während der akuten Zustande
und der Schübe der Krankheit muß seine Zusammensetzimg natürUch m weiten
Grenzen schwanken, schon wegen der unregelmäßigen Nahrungsaufnahme und
Kraftausgabe der Kranken, wegen des Zustandes der Verdauungsorgane usw. i.s
ist deshalb selbstverständlich, daß man da manche Abweichungen findet; man muß
sich aber sehr hüten, sie der Krankheit als solcher zuzuschreiben.
1) Nicht zu verwechseln ist der Ptyalismus mit der Eigentümlichkeit mancher Kata-
toniker, den Speichel nicht zu schlucken, sondern so lange als möglich im Munde zu behalten
oder ausfließen zu lassen.
Akzessorische Symptome. Körperliche Symptome.
Nach d'Ormea und Maggioto ist die Ausscheidung der Erdmetalle, nament-
üch Magnesia, etwas verringert, am stärksten bei der Katatome, weniger bei der
Hebephrenie und beim Paranoid. Auch soll die Azidität des Urins geringer sein. -
Dide und Chenais haben bei Dementia praecox gefimden: Urinmenge etwas
vermindert; Harnstoff deutlich vermindert; Phosphate unverändert; CMoride
deutlich vermehrt; Eiweiß findet sich selten; Urobilin selten nachweisbar. Die
Befunde sind aber sicher nicht zu verallgemeinern.
Zucker im Urin scheint keine EoUe zu spielen, nach d'Ormea soll im Gegen-
teil die Menge der reduzierenden Substanzen im Urin geringer sein als beim Nor-
malen; dagegen scheint manchmal in delirösen Zuständen, die wir zur Schizophrenie
zählen würden, etwas Ei weiß vorzukommen (vgl. auch oben Eiweiß im Stupor).
Die Quantität des Urins scheint in den chronischen Zuständen im
normalen Verhältnis zur Nahrungs- und Wasseraufnahrae zu sein. Bei Schüben
aber können große Unregelmäßigkeiten vorkommen. Die Kranken entleeren
bald große Mengen von Urin, bald ist OHgurie vorhanden; ja zweitägige voll-
ständige Anm-ie habe ich bei einem katatonischen Mädchen konstatiert (mit
Hilfe des Katheters). Da sind die raschen Schwankungen des Körpergewichtes
nicht verwunderhch. Arndt (23) fand bei einem Kranken mit jedesmaligem
Eintreten der Katalepsie SaHvation und Polyurie.
Bewußte Urinretention ist ebenfalls sehr häufig; sie verlangt aber
selten ein Eingreifen.
Blutuntersuchungen mit genügender Berücksichtigung nicht nur
der systematischen Stellung der Fälle, sondern auch des früheren Befindens, des
momentanen Zustandsbildes, der Lebensweise usw., liegen noch nicht vor. Aus
den bisherigen Angaben läßt sich nichts Sicheres schheßen, was zur Kenntnis
unserer Krankheit beitragen könnte.
Kahlbaum (346, S. 52) fand bei seinen Fällen von Katatonie fast konstant
hochgradige Oligämie oder Chlorose. Andere allerdings, wie Tschisch, fanden einen
besonders guten Ernährungszustand, wozu die Blutbeschaffenheit auch gehört.
Nach meinen Erfahrungen, die sich nicht auf Untersuchungen mit Meßinstrumenten
stützen, verhalten sich die Schizophrenen in dieser Beziehung wie andere Leute. —
Whitmore Steele will bei seinen MelanchoHschen, zu denen er natürlich auch
deprimierte Schizophrene zählt, zu wenig rote Blutkörperchen und zu wenig Hämo-
globin gefunden haben (letzteres im Durchschnitt TP/g), während Schultz (681) bei
Katatonie „eine gewisse Tendenz die Erythrozytenzahl des in den Hauptgefäßen
befindlichen Blutes herabzusetzen" und nahezu normalen Hämoglobingehalt wahr-
scheinlich macht. Vor st er fand das spezifische Gewicht und den Hämoglobin-
gehalt zu niedrig bei Melancholia attonita imd akutem Wahnsinn, aber auch bei
anderen akuten Psychosen. — Pighini und Paoli wollen juvenile Formen der
roten Blutkörperchen (Vergrößerung und Nabel) gefunden haben (vgl. aber Mug-
gia). — Obici und Bonon sowie Agostini haben wie bei anderen Geisteskrankeli
so auch bei Dementia praecox (namentlich im Beginn) Herabsetzung der Isotonie
der Blutkörperchen beobachtet. Die Alkalinität ist nach Pugh bei den chronischen
Fällen, zu denen die Schizophrenie in erster Linie zählt, mid nach Schultz bei der
Katatonie nicht verändert. Nach Bruce soll das Blut bei Katatonie und akuter
Manie schwerer koagulieren. Es ist auffallend, daß sich das bei den häufigen Ver,
letzungen und Operationen nicht bemerkbar macht.
Beachtung verdienen vor allem die Untersuchungen über das Verhalten der
weißen Blutkörperchen, wo sichere Anomalien konstatiert worden sind. Na-
136
Scliizopbienie.
mentlich Bruce stützt darauf seine Theorie des infektiösen Ursprungs von Krank-
heiten, die wir zum größten Teil als akute Zustände der Schizophrenie bezeichnen
würden. Seine Untersuchungen bedürfen allerdings noch der sorgfältigen Nach-
prüfung.
Es ist indes für uns unmöglich, seine Studien kurz zu resümieren, weil
er sie auf eine ganz andere Einteilung der Psychosen aufbaut. Wesentlich ist' etwa
folgendes: In akuten Anfällen von gewissen Krankheiten steigt die Zahl der weißen
Blutkörperchen bis auf das Doppelte; am meisten in den Fällen, die gut ausgehen,
viel weniger in den andern. Die „polymorphonuklearen" Zellen werden in den gut-
artigen Fällen etwas stärker vermehrt als die andern, während ihre Prozentzahl
in den schlecht ausgehenden Fällen bis auf ein Drittel des Normalen sinkt. Nach
Heilung besteht die Leukozytose fort, aber das Verhältnis der polymorphonuklearen
zu den andern weißen Blutkörperchen geht auf die Norm zurück, während es bei
den ungünstigen Fällen jahrelang unter der Norm bleibt. Bei Exazerbationen heben
sich beide Zahlen vorübergehend.^)
Neuestens hat Heilemann^) bei 24 Fällen verschiedener Formen von De-
mentia praecox deutliche und regelmäßige Abnahme der polynukleären Blutkörperchen
bei Zunahme aller andern Formen der Leukozyteen gefimden.
Vielleicht am auffallendsten ist, unabhängig von den psychischen Zu-
ständen, die Tätigkeit des Herzens und der Gefäße alteriert. Der Puls ist
auch in ruhigen Zeiten oft sehr wechselnd, ohne daß man weder in Schwankungen
der Temperatur (Moravcsik, Pighini) noch der Affekte eme Erklärung finden
könnte, in akuten Perioden kann er große, ganz plötzliche Sprünge machen.
Bei einem Paranoiden, der allerdings später katatone Symptome bekam, wech-
selte der Puls während einer einzigen Beobachtung mehrmals von einem Augen-
blick zum andern, z. B. von 80 auf 130, ohne daß der Grund klar geworden
wäre. Bei einer leicht Stuporösen war er mal einige Stunden auf 140, während
er sonst in normalen Grenzen sich bewegte. Unter psychischen Einflüssen kann
der Puls wechseln, auch wenn man den Patienten sonst nichts anmerkt. Die
Pulsveränderung kann das einzige Indizium psychischer Tätigkeit sein. Bei einer
Katatonischen in komplettem Stupor sprang der Puls von 85 auf 134 in dem
Momente, da der Arzt eintrat. Über Herzklopfen wird bei solchen Unregel-
mäßigkeiten weniger geklagt, als man erwarten könnte.
Der Vasomotorius ist stark alteriert. In katatonen Zuständen
sind Livor und Zyanose recht häufig, namentlich an Füßen und Händen, aber
auch in anderen Hautgebieten. Oft wechseln diese Stauungen sehr rasch. Eine
unserer Katatonikerinnen z. B. hatte vormittags ganz kalte Hände; mittags
sind Hände, untere Hälfte des Unterarmes und Kopf stark gerötet und erhitzt;
dann hatte sie wieder heiße Hände, kalten Kopf und kalte Füße; dann Kopf
heiß und Hände kalt usw., aUes ohne Veränderung der Körpertemperatur. Bei
einer andern waren oft objektiv und subjektiv die Extremitäten und der Bauch
ganz kalt. Die Zyanose ist nicht bloß eine Folge des Nichtbewegens der Extremi-
täten, wenn sie auch bei starren Kranken im ganzen häufiger und stärker ist
als bei anderen. Sie ist aber in einzehien Fällen außer allem Verhältnis zur
Unbeweglichkeit. Es kann sogar vorkommen, daß ein Patient nur bei der Ai'beit
1) Vgl. auch Sandri. . ... „
2) Heilemann, Blutuntersuchungen bei Dementia praecox. A. Zeitschrift tur Psy-
chiatrie, 07. Band, 1910, S. 415.
Akzessorische Symptome. Körperliche Symptome.
137
Zyanose der Hände bekommt und deshalb nur einen Teil des Tages arbeiten
kann. Vorübergehendes EiTÖten oder Erblassen nicht nur des Gesichtes, sondern
auch anderer Hautstellen ist nicht selten.
Als Zeichen einer abnormen Erregungsfähigkeit des Vasomotorius besteht
häufig ein geringer Grad von Dermographie: starke Kötung auf leichte
Keize; "bis zur Quaddelbildung kommt es nicht oft, doch läßt sich auch das
etwa beobachten.
Über die Spannungsverhältnisse im Gefäßsystem wissen wir noch
nichts Allgemeines. Es wäre aber sehr wichtig, dieselben zu untersuchen im
Hinblick darauf, daß sie uns gewiß sehr häufig Aufschluß geben könnten über
das Verhältnis der Kranken zu gewissen Komplexen.
Nach Pighini soll die sphygmographische Kui've bei Dementia praecox nied-
riger sein als bei Gesunden; die Elastizitätsschwankungen wären besonders stark,
und die Sekundärelevation soll auf ein Minimum reduziert sein, alles Zeichen ver-
mehrter Spannung der Gefäße.
Der Blutdruck soll im katatonischen Stupor erhöht sein (Stoddart).
Meist wird die große Neigmig zu Ödemen in Zusammenhang gebracht mit
der Blutstauung. Sie muß aber noch andere Ursachen haben. Wir finden oft Ödeme
ohne nachweisbare Stauung, und umgekehrt hochgradige Stauung ohne Ödeme.
Daß Kranke, die jahrzehntelang nur herumstehen, oft Ödeme der Knöchelgegend
und eventuell der Beine bekommen, scheint nach imseren pathologischen Anschau-
ungen leicht verständüch ; weniger vielleicht der Umstand, daß manche andere
Patienten bei gleichem Verhalten ohne Ödeme bleiben. Überhaupt sind auch die
Ödeme in hohem Grade unabhängig von Stauung und Verhalten. Man findet sie
auch an Stellen, wo Stauimgserscheinungen selten sind, so namentlich unter den
Augen. Kraepelin spricht da von myxödematösen Verdickungen^), auch die
Knöchelödeme sind etwa wie Myxödem anzufühlen; Druck hinterläßt manchmal
kaum eine Delle. Wir haben aber doch keinen Grund, sie dazuzuzählen. Sie ver-
schwinden mid kommen oft viel rascher als Myxödem. Bei einer körperlich sehr
kräftigen Patientin mit beginnender ganz leichter Schizophrenie bestanden Ödeme
an den Oberschenkeln, die im Laufe eines Tages stark an Intensität variierten. —
Urinuntersuchungen bei solchen Kranken geben keine Erklärung. — Stärkere
Ödeme können unter Umständen die Bewegungen schmerzhaft machen, wahr-
scheinlich durch die Spannung.
Wie die Ödeme lassen sich bei Schizophrenie noch andere Störungen des
Trophismus finden, die man mit dem Vasomotorius in Verbindung bringen kann.
Die Neigung zu Frostbeulen ist bei ihnen größer als bei Gesunden; man kann
Pernionen bei uns gelegentlich in kühleren Vorsommern sehen. Auch die Neigung
zu Decubitus muß erwähnt werden, obschon sie sehr selten ist. Ich habe aber
u. a. eine sehr kräftige junge Katatonika, die reinUch war, ohne äußere Ursache
in 24 Stunden an Dekubitus erkranken sehen ■•^).
Wunden heilen meist auffallend gut, außer in den akuten Verwirrtheits-
1) Trepsat (771) glaubt, das „Pseudoödem", wie Dide es genamit hat, sei in fast
allen Fallen zu konstatieren, wenn man die Kranken nur genügend lang beobachten könne —
uhrmann memt das Gesichtsödem sei noch nicht beschrieben, nennt es Pachydermia
acialis - Engländer nennen die glänzende Beschaffenheit der etwas sukkulenten und
(durch^Mangel an Bewegiing?) überhaupt faltenlosen Haut: varnished skin.
) Trepsat beschreibt bei katatonisch Dementen je einen Pemphigus und ein Ulcu<*
am Unterschenkel und schreibt diese Affektion trophischen Störungen zu Ob aber ein Zu-
sammenhang mit der Psychose anzunehmen sei, ist doch fraglich.
Ii
138
Schizophrenie.
zuständen, wo das Gegenteil der Fall ist; die Neigung zu Infektionen ist keine große,
auch ist die Vcruarbung im ganzen eine günstige.
Auf eine wirkliche Erkrankung der Gefäße scheint die bei vielen Schizophrenen
im akuten wie in chronischen Stadien vorkommende Gefä ßbrüchigkeit zu deuten.
Manche dieser Kranken — namentlich, aber nicht ausschließlich, Katatoniker —
können bei alltäglichen Traumen, bei verhältnismäßig sanftem Anfassen, wie es zu
vielen Dienstleistungen notwendig ist, Blutungen unter die Haut bekommen. Auch
Blutungen in die Konjunktiva, die z. B. dann entstehen, wenn die Kranken sich
selbst in gewöhnlicher Weise waschen, scheinen bedeutend häufiger als bei Gesunden.
Othämatom ist gar nicht immer Folge eines Traumas von anderer Seite, wie ich
in manchen Fällen sicher konstatiert habe. In einem Falle entstand es auch durch
eigenhändiges Waschen ; in einem andern hat der Patient der Stimmen wegen beständig
auf das Ohr gedrückt und so die Blutung provoziert. Die Neigmig zu Blutungen
kann ganz vorübergehend sein oder längere Zeit anhalten. Ich konnte sie bei keinem
Falle dauernd konstatieren. Tod an Gehirnblutung scheint nicht besonders häufig.
Störungen der Schweißsekretion gehören nicht zum gewöhnlichen
Bilde, sind aber doch bei den verschiedenen Formen gar nicht selten. Hemmung
dieser Fimktion ist bei der großen Breite ihrer physiologischen Schwankungen schwer
zu konstatieren; es fällt höchstens etwa auf, daß sich die Kranken in die größte
Sonnenhitze legen, ohne zu schwitzen. Abnorm starke Schweißsekretion ist dagegen
häufig, manchmal im Anschluß an psychische Erregungen, manchmal im Zusammen-
hang mit Anfällen, namentlich solchen, die sexuelle Erregungen vertreten, manchmal
auch ohne bekannte Ursache. Eine Katatonikerin onanierte viele Wochen lang
ganz krampfhaft durch Übereinanderdrücken der Oberschenkel, wobei sie so schwitzte,
daß der Leinenverbrauch zur Kalamität wurde. Eine andere Katatonische bekam
jedesmal eine halbe Stunde nach der (widerstandslosen) Sondenfütterung einen
starken Schweißausbruch.
Noch häufiger als bei anderen nervösen Leuten sehen wir lokalisierte Schweiße,
die eine beliebige Körpergegend betreffen können. Dann und wann sind sie halb-
seitig. Wahrscheinlich hängen ein Teil dieser Erscheinungen mit Komplexen zu-
sammen, sicher aber mit psychischen Erregungen.
Hoche (309, S. 231) erwähnt auch starke Absonderung der Talgdrüsen.
Von anderen trophischen Störungen mögen noch erwähnt werden die
Osteomalazie und die Knochenbrüchigkeit, die oft bei alten Anstalts-
insassen beobachtet worden sind. Man hat sie mit dem psychischen Zustand in
Zusammenhang gebracht (Haberkant), ohne sichere Beweise dafür zu bringen.
Vielleicht handelt es sich um Einflüsse ungünstiger hygienischer Verhältnisse,
die wir allerdings nicht kennen. In Rheinau trat die Osteomalazie bei Männern
und Frauen auf, die zu wenig ins Freie kamen, wobei sie sich nicht an die Art
der Psychose hielt. Sogar eine Oberwärterin erkrankte daran, weil sie sich zu
wenig Ausgänge gönnte. Durch Aufenthalt im Freien konnte die Krankheit
geheilt werden, nicht aber durch andere gebräuchliche Behandlung.
Mit der Knochenbrüchigkeit, die von der Osteomalazie zu unter-
scheiden ist, kann es sich ähnlich verhalten. j o4i
Es mag ferner der seinerzeit von Forel (229 a) publizierte Fall einer Kata-
tonika angeführt werden, deren Haare während der depressiven Affekte nn Beginn
der Krankheit grau wurden, nach Änderung des psychischen Zustandes aber wieder
die schwarze Farbe annahmen^). - Bertschi nger erwähnt (S. 303) eine Kranke,
1) Ähnlicher Fall bei Urs t ein, S. 59.
Akzessorische Symptome. Körperliche Symptome.
139
die etwa halbjährlich die Haarfarbe zwischen duiikel-kastamenbrauu und hellgelb
wechselte. — Bei einer unserer Kranken waren die Haare eine Zeitlaug in der Auf-
regung kraus, in der Remission glatt.
Die Abnormitäten der Atmung sind sehr schwer zu studieren, weil der
psychische Faktor nicht auszuschließen ist. Katatoniker atmen oft sehr ober-
flächlich. Gelegentlich werden bestimmte Rhythmen innegehalten. So blieb
eine unserer Katatonikerinnen jeweilen einige Sekunden ganz ohne Atmung;
dann seufzte sie plötzlich sehr tief, dann atmete sie ganz oberflächlich und schließ-
lich eine Zeitlang wieder gar nicht mehr usw.
Die Beobachtung der Atmung ist nichtsdestoweniger bei der Untersuchung
wichtig, weil Veränderungen derselben eines der feinsten Indizien für Affekt-
änderungen sind; namentlich, wenn durch eine Bemerkung ein Komplex ge-
troffen wird, macht sich das sehr oft an der Atmung bemerkbar.
Die Menstruation ist im akuten Stadium vielleicht in der Mehrzahl der
Fälle gestört, namentHch setzt sie aus oder wird auch spärlich. Sie kann aber
auch noch im chronischen Stadium viele Monate bis mehrere Jahre zessieren.
Zu häufige Menstruation scheint auch etwa mit der Psychose zusammen-
zuhängen. Menorrhagien aber werden in der Regel durch Genitalerkrankungen
bedingt sein. Subjektive Menstruationsbeschwerden scheinen sehr viel seltener
als bei gesunden Frauen, offenbar weil die Gleichgültigkeit diesbezügliche
Autosuggestion verhindert.
Bei Männern ist Impotenz und Herabsetzung des Geschlechtstriebes
häufig.
Die Temperatur ist in den chronischen Zuständen meist normal. Ge-
legentHch kommen Heinere Schwankungen vor, merkwürdigerweise eher unter
die Norm als nach oben; das Thermometer kann bis auf 3-i,0° heruntergehen.
In Stuporzuständen ist die Temperatur meist an den unteren Grenzen der
Norm. Erhöhungen kann man oft durch irgendwelche Komplikationen erklären
(Magen-Darm- Störung, Kontusionen, Verstopfung usw.^).
Die Tagesschwankungen soUen unregelmäßig sein, namentlich soll Typus
in versus vorkommen (letzteres ist auch bei anderen Geisteskranken, z. B. Melan-
cholie, nicht selten).
Der Schlaf ist wie bei allen anderen Psychosen während alcuter Erregungen
regelmäßig gestört. Immerhin kann es vorkommen, daß ein Kranker am Ta^e
sehr erregt scheint, klagt, lärmt und dabei die ganze Nacht schläft. Im chroni-
schen Stadium ist der Schlaf meist genügend, wenn nicht halluzinatorische Zu-
stande ihn stören. Viele Schizophrene in den Anstalten schlafen ruhig weiter
im größten Lärm. Andere wieder befinden sich ganz gut, trotzdem sie monate-
lang sehr unregelmäßig, meist zu wenig, schlafen.
Während akuter Schübe, selten in chronischen Zuständen, besteht oft
bchlafsucht, so daß die Patienten einen großen Teil des Tages und die ganze
^acht schlafen, ja bei der Arbeit einschlafen. Manchmal ist die Schlafsucht
das einzige Zeichen des Schubes, so bei einer Hebephrenischen, die von Zeit zu
^eit bchlafsuchtperioden hatte. Einer unserer Patienten erkrankte zur Zeit
msaent «i^""^ ?■ ^'S'^^^^^i enfin l'existeiice de poussees febrUes ephemeres qui
passent assez souvent mapergues" (Masseion 457, S. 27). ^
140
Schizophrenie.
des Apothekerfachexamens, das er gut bestand, an Schlafsucht; er führte dann
mit Erfolg eine Apotheke; mit 28 Jakren trat wieder Schlafsucht ein, an die
sich Depression und Menschenscheu anschloß; 33 jährig „Neurasthenie", die ihn
veranlaßte, den Beruf aufzugeben; 35 jährig verwirrtes Paranoid in mehreren
Anfällen, geringe Verblödung.
Auch der Schlaf steht unter direkten psychischen Einflüssen. Viele Kranke
wollen nicht schlafen, weil sie wissen möchten, was in der Nacht vorgeht,
oder weil sie sich fürchten, sie könnten im Schlaf irgendwie vergewaltigt werden.
Äußerst verschieden sind die „Ermüdungserscheinungen". Viele
Schizophrene ermüden kaum. Sie klettern Tag und Nacht herum und lärmen,
arbeiten anhaltend, ohne daß man etwas von Ermüdung bemerkt. Bei Katalepsie
fehlt das Ermüdungsgefühl oft ganz. Andere haben ungefähr das normale Ruhe-
bedürfnis. Wieder andere ermüden körperlich und geistig sehr leicht, namentlich
solange die Krankheit im Fortschreiten begriffen ist. Viele sind geradezu be-
ständig müde (meist ohne Schlafsucht). Jede Bewegung macht ihnen Mühe
und ist eine Anstrengung für sie; ebenso manchmal das Denken. Sie können
deshalb nicht arbeiten, auch wenn sie wollen; sie empfinden es als eine große
Zumutung, wenn man von ihnen nur verlangt, daß sie aufstehen; ihr Alter an-
zugeben, ist für viele schon eine Arbeit, der sie sich bewußt oder unbewußt gerne
entziehen, indem sie in den Tag hinein oder gar nicht antworten. Manche spüren
die Denkarbeit ihrer Komplexe, der sie sich nicht entziehen können, als eine
Anstrengung; sie beklagen sich dann manchmal allen Ernstes, daß sie so viel
arbeiten müßten, und können nicht verstehen, daß man sie für Müßiggänger
ansieht.
Etwas anderes ist es, wenn die Kranken erst während der zu leistenden
Arbeit abnorm rasch ermüden; das kommt weniger häufig vor. Doch haben
wir schon während der Aufnahme von 100 Assoziationen Ermüdungserscheinun-
gen konstatieren können.
Gewöhnlich verhält es sich so, daß die Kranken, die nicht von vornherein
sich ermüdet fühlen, diu'ch eine Untersuchung nicht merkbar angestrengt werden,
auch wenn diese viele Stunden in Anspruch nimmt. Es ist das ein oft recht
frappanter Unterschied gegen andere Psychosen, namenthch die organischen.
Von reinen (nicht psychisch bedingten) motorischen Symptomen
sind eigentHch nur zwei sicher nachgewiesen, die Zuckungen und die Ver-
stärkung der idiomuskulären Kontraktion. Letztere fehlt selten und
ist in vielen Fällen so deutlich, daß bei leichter Perkussion die Faserbündel des
PectoraMs major, die unter dem Plessimeter Hegen, sich als lange Wülste von der
Umgebung abheben.
Untersuchung des Rückenmarkes solcher Fälle hat mir auch in den höchsten
Graden keinen pathologischen Befund ergeben, allerdings mit den Methoden die
vor 20 Jahren üblich waren. - Bernstein fand die idiomuskulare Kontraktion
bei Dementia praecox in 95-77o der Fälle; bei Paralyse in 90%, bei Mamsch-Depres-
siven in ll-97o; bei Gesmiden meist nur in der Pubertätsperiode.
Nach Curschmann (148) soll die idiomuskuläre Kontraktion em Zeichen
einer Vergiftung sein, die durch Wasserverarmimg der Gewebe begünstigt werde
und namentlich bei hochgradigen Ernährungsstörungen vorkomme. Damit ver-
bunden sei meist eine abnorme mechanische und wahrscheinlich auch elektrische
Akzessorische Syniptome. Körperliche Symptome.
141
Nervenerregbarkeit. Curschmann fand wie Gatz das Symptom häufiger bei
Männern als bei Frauen (vgl. auch Rudolphson.)
Fibrilläre Zuckungen fallen namentlich in der Gesichtsmuskulatur
auf, wo das „Wetterleuchten" schon längst als Zeichen einer chronisch werdenden
Krankheit galt. Seltener sind Zuckungen einzelner Muskeln oder gar ganzer
Gliedmaßen.
Vielleicht deutet auch auf eine Vergiftung des motorischen Apparates
das sehr häufige Zittern, das sich auch bei vielen ganz „abgelaufenen" Fällen
nachweisen läßt. Es handelt sich hier meist um ziemlich regelmäßigen und
feinschlägigen Tremor, der im ganzen unabhängig ist von dem Zustand der
Psyche. Selbstverständlich kann aber wie bei allen nervösen Leuten Tremor
infolge psychischer Erregung hinzukommen; dieses Plus ist dann meist grob-
schlägig und unregelmäßig und bildet als Signal für unbewußte und bewußte
Gemütserregung ein gutes Komplexzeichen.
Bei manchen Beobachtern nehmen allerdings motorische Symptome
einen wichtigen Platz in der Symptomatologie ein ; haben doch als rein motorisch
aufgefaßte Spannungszustände der zuerst erkannten Gruppe der Schizophrenie
der Katatonie den Namen gegeben^). Die Wer nick esche Schule und einzelne
Franzosen nehmen auch jetzt noch Störungen der Motilität im engeren Sinne
an, und Schuele setzt einen Teil der Motilitätssymptome in tiefere Partien
der Zentralorgane. Man hat sich sogar vorgestellt, daß einzelne Muskelgruppen
allein oder doch vorzugsweise affiziert seien. Obgleich die Beobachtungen, auf
die sich solche Ansichten stützen, etwas Alltägliches sind, konnte ich mich doch
nicht von deren Eichtigkeit überzeugen. Es ist ja möglich, daß solche Er-
scheinungenvorkommen; es ist auch denkbar, daß sich die allgemeine Dissoziation
einmal in Wer nick es Bahn zu fühlbar macht, aber nachgewiesen ist beides
noch nicht. Leute, die sich nicht aufsetzen ,, können", vermögen auf irgend
einen psychischen Eeiz hin auf einmal beliebige komplizierte und kraftvolle,
richtig koordinierte Lokomotionen zu machen.
Abgesehen von anderen Möghchkeiten, ist, bevor man die psychische Genese
ausschheßen kann, namenthch Negativismus (und Hyoszinwirlmng?) zu elimi-
nieren. Sogar die apraxieähnUchen Symptome können Ausdruck einer psychischen
Allgemeinstörung sein. Wenn sehr oft die Bewegungen der Kranken etwas
Unsicheres haben, so kann das eine Folge der Ziellosigkeit des Handelns über-
haupt wie der einzelnen Bewegungen sein.
Namenthch der Gang ist oft auffaUend. Schon das Zusammenspiel der
Arm- und Bembewegungen ist oft gestört, manche Kranke halten auch die Aj-me
beim Gehen steif. Besonders wichtig aber ist, daß oft die Füße zeitUch wie
räumlich ganz unregelmäßig gesetzt werden.
Auf der Frauenseite in Rheinau bewegten sich viele Kranke frei in einem
großen Garten mit viel Gesträuch, das aber unten zurechtgeschnitten war, um die
Durchsicht zu ermöglichen. Man sah also von gewissen Stellen aus sehr viele Kranke
nur bis zur Höhe der Knie. Man konnte bei vielen die Diagnose aus dem irrlicht-
artigen Gange machen, der seine Eigentümlichkeit auch dann nicht verlor wenn
die Patienten auf ein bestimmtes Ziel losgingen. - Mönkemöller und Kaplan
haben die Fußspuren zu fixieren versucht und dabei die räumliche Unregelmäßigkeit .
^) Vgl. unten, Abschnitt „Katalepsie".
142
Schizophrenie,
des Ganges bei zwei Katatonikern graphisch festgehalten. Clanz ähnlich fand Groß
(390, II., S. 566) beim Schreiben einen gestörten in Unordnung geratenen
Rhythmus.
Moravcsik fand in allen Fällen von untersuchten Katatonikern Herab-
setzung der elektrischen Erregbarkeit mit langsamen trägen Zuckungen.
Leider sagt das Referat nicht, auf welche Stromart und ob bei der Reizung der
Nerven oder des Muskels. — Osterniayer fand die galvanische Erregbarkeit der
motorischen Nerven vermindert, aber ohne qualitative Veränderung.
Organische Lähmungen werden als Teilsymptorae der Schizophrenie
kaum vorkommen. Dagegen habe ich psychogene („hysterische") Lähmungen
dann und wann gesehen, oft von großer Hartnäckigkeit. Astasie und Abasie
kommt ebenfalls vor. Eine Patientin konnte mehrere Stunden lang die Augen
nicht aufmachen. Nicht prinzipiell verschieden davon sind die allgemeinen
oder lokahsierten Lähmungen durch Sperrungen. Sehr selten sind hysteriforme
Kontrakturen.
Von den Reflexen sind, wie bei den meisten Psychosen, die Haut-
reflexe so schwer unabhängig von der Psyche zu prüfen, daß wir nichts Be-
stimmtes darüber wissen. Seglas (in Ballet, S. 109) schreibt, die Haut- und
Schleimhautreflexe seien in den sekundären Blödsinnsformen abgeschwächt.
Nach Maillard (Soc. de Psychiatr. Paris 16./XII. 1909. Nein-. C. Bl. 10. 623) fehlt
der Plantarreflex bei 757o der Fälle von Dementia praecox (bei andern Psychosen
in 41 7o)- Steigerung der Patellarreflexe plus Fehlen des Plantarreflexes kommt
bei der Dementia praecox in 70°/o vor, bei anderen Psychosen in lö^o- Daß
der Pharynx- und überhaupt jeder Würgreflex häufig in frischen wie m alten
Fällen fehlt, ist jedem Praktiker bekannt. Tränen und Rötung der Wange
können Erhaltensein der Empfindhchkeit beweisen, während in anderen FäUen
intensive Berührung des Pharynx und sogar der Bronchialschlehnhaut keine un-
angenehmen Empfindungen auslöst. Phthise, die bis zum Tode ohne Husten
verläuft, kann vorkommen.
Der Konjunktival-, ja der Kornealreflex fehlen unter Umständen eben-
falls vollständig, aber, so weit ich gesehen, nui" in Fällen schwerer Katatonie.
Regelmäßig sind, wie überall, wo das Großhirn in seiner Kontrolle nachläßt,
die° tiefen Reflexe, die der Sehnen und Knochen, gesteigert. Manchmal
erhält man an der Patella eine klonusartige Serie von Zuckungen; manchmal
gibt sich die Steigerung auch darin zu erkennen, daß die beginnende Streclomg
die Flexoren reizt, so daß der Unterschenkel federartig zurückgeschnellt wird.
Häufig dehnt sich die Zuckung auf eine größere Anzahl von Muskeln aus, so
beim Patellarreflex auf den andern Oberschenkel; in einem unserer Fälle zuckte
bei Beklopfen des Kieferwinkels die ganze gleichseitige Kopf-, Hals- und Brust-
muskulatur. Auch einseitige Steigerung der Sehnenreflexe soU der Schizo-
phrenie angehören (Kleist 366, S. 76).
Mit dem Tonus der Muskulatur hängt die Verstärkung der Sehnenreflexe
nicht zusammen. Ich erinnere mich einer frischen (leichtgradigen) Katatonie,
die eine enorme Schlaffheit der Muskulatur hatte; dennoch waren die Sehnen-
reflexe verstärkt. , . r ^
In einem einzigen FaUe fand ich die Sehnenreflexe abgeschwächt, ohne
daß ein Versuchsfehler zu konstatieren war. Kleist (S. 43) sah herabgesetzte
Sehnenreflexe bei Hypotonie.
Akzessorische Symptome. Körperliche Symptome.
143
Vielfach und mit Erfolg studiert sind die. Pupillenreflexe. Die Piltz-
sche Lidschlußreaktion wird in etwa der Hälfte der Fälle vorkommen.
Bumke und Hu ebner haben nachgewiesen, daß die Pupillenunruhe, die
Erweiterung bei Anspannung der Aufmerksamkeit, bei Erschrecken usw., sowie
bei sensibeln Eeizen (namentlich unangenehmen) bei der Schizophrenie sehr
häufig fehlen. Bumke glaubt annehmen zu dürfen, daß dies auf der Höhe
eines katatonischen Zustandes ein regehnäßiges Verhalten sei, während der zweite
Autor bei 757o seiner Schizophrenen psychische und sensible Reaktion vermißte,
bei 8% aber sicher konstatieren konnte. Die Verhältniszahlen haben aber noch
wenig Wert, da die Art der Untersuchung, das Instrument, die Stärke der Be-
leuchtung und dann die systematische Auffassung der Krankheiten starke
Unterschiede bedingen müssen (vgl. Wasser meyer). Sicher ist aber, daß die
psychischen Reflexe nirgends so oft fehlen oder abgeschwächt sind wie bei der
Schizophrenie^).
Neben der Reaktionslosigkeit findet man bisweilen eine auffallend starke
Reaktion auf psychische Reize, gerade wie bei den Affektivitätserscheinungen,
Bei katatonen Erregungen irgendwelcher Art sind die Pupillen besonders
häufig stark erweitert, reagieren aber auf Lichtschwankungen. In den ver-
schiedensten Zuständen sind sie oft ungleich, ohne die Reaktion eingebüßt zu
haben ; dieses Verhalten hat früher oft Anlaß zur unbegründeten Diagnose der
Paralyse gegeben. Zum Unterschied von dieser Krankheit ist aber die Differenz
selten eine anhaltende, sie wechselt oft nach wenigen Stunden, indem sie sich
ausgleicht oder umgekehrt wird. Stecknadelkopfenge Pupillen habe ich bei
Schizophrenie nur zweimal gesehen.
Gelegentlich sieht man auch Kuriosa wie die folgenden beiden. Ein Kata-
toniker hatte beim Eintritt in die Anstalt enge, gleiche Pupillen, die nicht schön
rimd waren und kaum reagierten. Nach 10 Minuten waren sie weit und reagierten
normal. Bei einem katatonischen Mädchen sahen wir in voller Ruhe spontane Er-
weiterungen und Verengerungen ohne Licht- oder Akkommodationsänderungen.
Dann und wann scheinen solche Abnormitäten mit der psychischen Konstellation
im Zusammenhang, wenn man es auch selten durch Wiederholung nachweisen kann.
So hatte einer miserer Paranoiden einmal, während er eifrig über seine Wahnideen
sprach, etwa eine Stunde lang weite Pupillen, die sich auf Licht nicht verengerten2).
Altbekannt ist der „paranoide Blick", der auftritt, wenn die Patienten an
bestimmte Komplexe denken. Bei einzelnen Kranken läßt sich diese Erscheinung
durch Anschlagen eines anderen Themas momentan hervorrufen und wieder zum
A erschwmden bringen. Worauf sie beruht, weiß ich nicht. Sie bleibt oft erkennbar
wenn man durch eine Maske bloß den Bulbus sieht.
Von sensorischen Störungen, die wir zu den körperlichen zählen
konnten, fmdet sich das Kopfweh sehr häufig, namentHch schon in der Ana-
') Vgl- die wichtige Arbeit von Weiler. Zeitschrift für die gesamte Neurologie und
Psychiatrie, Or. 1910, II,' S. 101. 6
Leeper (J. of. ment. sc. 1904, S. 520) fand die Pupillen morgens weit, abends
eng.
Ich kann in der Klmik, die abends stattfindet, sehr oft die weiten PupUlen demonstrieren
oJwn ;«''^^lfn «ogar Ai-gyll-Robertson/häufiger aber das umgekehrte Verhalten.
herabgesetzt. Blin will Argyll-Robertson
m U 8 /o der Falle gefunden haben, was auffallend ist.
habe slTkt Jr*^^\''''l,".'"''^'^"'^'^'^' ""'^ "^^^"^ ^'"P"'^»^ beschrieben; auch ich
Habe sie als vorübergehendes Phänomen gesehen.
144
Schizophrenie.
ninese. Viele unserer Patienten hatten von Jugend auf an Kopfweh geUtten;
während der manifesten Krankheit fnidet man dieses Symptom oft in den ver-
schiedensten Formen: als Druck im ganzen Kopf, hinter der Stirn und besonders
häufig im Hinterkopf; als reißende, bohrende, ziehende, brennende Schmerzen,
die sich meist von irgend einer Stelle aus über den ganzen Kopf verbreiten'
Es kann auch migräneartigen Charakter annehmen und trotzdem wieder ver-
schwinden, so daß man keine Berechtigung hat, es als eine einfache Kompli-
kation anzusehen.
Auslösende Ursachen des Kopfwehs, soweit es Teilerscheinung der Schizo-
phrenie ist, kennen wir nicht. Der Hinterhauptschmerz muß irgend eine Be-
ziehung zur Sexuahtät haben.
Brennende Gefühle, Sausen, Surren und Pochen an verschiedenen Stellen
des Kopfes sind eine häufige Begleiterscheinung des Kopfwehs, kommen aber
auch sonst vor.
Alle möglichen Parästhesien sowie Hyperästhesien werden etwa
beobachtet. Meist sehen sie denen der Neurasthenie gleich, nicht allzu selten
erwecken sie aber den Verdacht organischer Erkrankung des Zentralnerven-
systems. Sensationen in Herz, Magen, Darm sind etwas GrewöhnUches. Masto-
dynie und Ovarie soUen vorkommen. Druckpunkte (ohne Hysterie) sollen
häufig sein (Ziehen 840, S. 378).
Schizophrene beklagen sich zuweilen über Schwindelgefühle, die bald
anhaltend, bald mehr anfallsweise auftreten.
Die häufige Analgesie ist in anderm Zusammenhang erwähnt. In einem
Falle von absoluter Anästhesie für Schmerz habe ich die Blutung auf tiefe
Nadelstiche vermißt.
Andere Ausfallsstörungen der Sensibilität kommen kaum in Betracht. Die
etwa gefundene Einengung des Gesichtsfeldes hat natürhch psychische Ursachen
(Klien). Vielleicht aber ist von der Aufmerksamkeit unabhängig die in ein-
zelnen Fällen (namentlich bei ,, Benommenheit") zu beobachtende Dissoziation
der Sinneseindrücke: die Kranken können einen gemalten Kohlkopf für eine
Rose^) ansehen, indem sie die Farbe ignorieren (wie Alkoholdeliranten), einen
Maiskolben in natürlicher Größe für eine Ähre, wobei in erster Linie die Dimen-
sionen vernachlässigt werden u. dgl.
Zu den körperlichen Symptomen rechnet man auch die verschiedenen bei
der Schizophrenie vorkommenden „Anfälle". Viele derselben sind nun sicher
von der Psyche unabhängig; andere umgekehrt sind psychisch ausgelöst und
in allen ihren Symptomen psychisch, wobei natürlich Begleiterscheinimgen der
Affekte am Herzen, den Gefäßen, eventuell an Darm- und Nierentätigkeit,
zu den psychischen gerechnet werden, obschon sie Erscheinungen am Körper
sind. Dazwischen gibt es eine Menge von Übergängen, in denen der dauernde
Gehirnzustand die Disposition schafft, ein psychisches Vorkomm-
nis aber den Anfall auslöst, oder umgekehrt ein körperlicher An-
fall eintritt, dessen psychische Symptomatologie aber bestimmt
wird durch die vorhandenen Komplexe^). Unter „körperlich" ver-
1) Oder entsprechend der Vorliebe für weit abliegendes für eine Seerose.
2) Einzelne Anfälle stellen einen veränderten sexuellen Akt dar, siehe Abraham.
Jahrbuch für psycho -analytische Forschung, Bd. II. S. 29.
Akzessorische Symptome. Körperliche Symptome.
145
stoben wir hier natürlich eine Veränderung der physiologischen Hirntätigkeit,
sei sie bedingt durch eine Vergiftung oder durch Gefäßkrämpfe oder wie immer.
Am körperbchen Pole der Reihe stehen namenthch die apoplekti-
formen Anfälle, die allerdings bei der Schizophrenie nicht häufig sind. Die
Kranken sinken plötzlich oder aUmählich zusammen, mit oder ohne Vorboten,
wie Apoplektiker ; die Sprache wird lallend oder versagt ganz. Schhngen, Fixieren
und andere Funktionen können deutlich gestört sein, der Speichel kann aus
dem Munde fließen ; alle Körperbewegungen werden unsicher usw. ; seltener er-
folgen unwillkürHche Entleerungen von Fäzes und Urin. Manchmal haben die
Erscheinungen deutlich hemiplegischen Charakter, indem die eine Körper-
hälfte während des Anfalles schlaffer, nach demselben schwächer erscheint.
Kommen dabei Zuckungen vor, so können sie auch einseitig oder doch auf der
einen Seite ausgesprochener sein. Das Bewußtsein ist meist getrübt, kann aber
auch ganz erhalten sein oder ganz fehlen ; ebenso die nachträgliche Erinnerung.
Solche Anfälle dauern meist ein paar Stunden; seltener gehen sie rascher vor-
über, oder sie dehnen sich auf Tage aus. Ein Kranker, bei dem weder der mehrere
Jahre lang beobachtete Verlauf, noch die häufige Untersuchung Anhaltspunkte
zu einer andern Diagnose als zu der der Schizophrenie gab, war mehrmals einige
Tage lang in einem Koma, in dem er sogar Babinski zeigte.
Manchmal versagt die Hirntätigkeit in der Form von Ohnmächten,
die ja allerdings auch psychisch ausgelöst sein könnten, wie es bei nervösen
Leuten vorkommt. Auch Reizzustände, die von der Psyche in der Hauptsache
unabhängig sind, werden beobachtet, so Krämpfe einzelner Muskelgruppen.
Meist habe» die Krämpfe einen gemischten Charakter, man kann nicht sagen,
wieviel an ihnen psychisch und wieviel rein physisch ist. Sehr wichtig ist es,
daß die Krampfanfälle gar nicht selten typisch epileptiform sind (tonisches,
dann klonisches Stadium ; kurze Dauer, selten über eine Minute). Manche unserer
Kranken sind deshalb mit der Diagnose Epilepsie in die Anstalt geschickt worden,
sogar aus KHniken. Die epileptiformen Anfälle können einzeln bleiben oder
auch während einiger Jahre sich wiederholen und dann wieder verschwinden.
Sie können sogar ausnahmsweise zu einer Art Status führen^).
Die epileptiformen Anfälle treten in allen Stadien der Krankheit auf;
sie können das erste Zeichen der Schizophrenie sein und ebensowohl eine alte
Verblödung komplizieren. In keinem Idaren Falle habe ich gesehen, daß sie
sich dauernd dem einfachen Bilde der Schizophrenie beimischten; bheben sie
anhaltend, so zeigten sich auch psychische Symptome der Epilepsie, so daß
es sich wahrscheinlich um Mischfälle der beiden Krankheiten handelte (Mora-
witz). Wie bei der gewöhnUchen Epilepsie können die Anfälle ausnahmsweise
auch psychisch ausgelöst werden. Eine ältere Schizophrene bekam den ersten
Aufall unmittelbar nachdem sie mit großem Interesse einen Anfall bei einer
Epileptischen angesehen hatte; während 10 Jahren wiederholten sich die Anfälle
in unregelmäßigen Zwischenräumen ; im Anschluß an die Versetzung der Patientin
in ein anderes Gebäude zessierten sie, um nicht wieder zu kommen.
Am psychischen Pole der Reihe stehen die rein hysterif ormen An-
fälle, die bei Schizophrenie nicht selten sind. Sie zeigen gar keine Symptome,
1) Ein Fall von Tod durch gehäufte Krampfanfälle Avird von Tetzner berichtet-
es scheint sich da um eine Katatonie in unserem Sinne zu handeln.
Handbuch der Psychiatrie: Bleuler.
164
Schizophrenio.
die auf etwas Organisches deuten. Organisch ist dabei wohl bloß die Disposition,
wenn wir auch annehmen müssen, daß diese Disposition momentan mit der
Stärke des schizophrenen Prozesses wechseln muß, so daß der Anfall bald leichter,
bald schwerer auslösbar ist. Aus Gründen, die wir gleich besprechen werden,
müssen wir in diesem Zusammenhang auch der psychisch ausgelösten Schimpf-
und VerwirrtheitsanfäUe gedenken, die den Übergang bilden zu der einfachen
Reaktion der schizophrenen Psyche.
Typisch hysteriforme Anfälle sind wie alle anderen hysteriformen Sym-
ptome nicht selten bei unseren Kranken. Alle Formen, die bei Hysterie vorkommen,
treffen w auch da. Vom großen Anfall bis zu einfachen Schüttelkrämpfen
einzelner GHeder ist alles zu beobachten. Sie können abwechseln mit anders-
artigen Anfällen oder allein bleiben. Meist sind sie vereinzelt oder doch wenig
zahlreich, während allerdings leichtere Andeutungen und abortive Anfälle
häufig vorkommen. Eine unserer Kranken prophezeite, sie werde in der Nacht
sterben; sie lag dann eine Zeitlang wie besinnungslos, aber ruhig atmend im Bett ;
dann begann sie plötzHch zu schreien und zu zittern. Auf Wasserapplikation
sofortige Besserung.
Die nicht seltenen Lach- und Weinkrämpfe, die Kahlbaum unter den
körperlichen Symptomen anführt, kann man hieher zählen, wenn man will;
wiv fassen sie natürlich in den meisten Fällen als Äußerungen des unbewußt
bleibenden Komplexes auf.
Als Kuriosum sei erwähnt, daß eine Kranke während des Redens manchmal
Anfälle von Singultus bekam.
Die häufigsten Anfälle, die zugleich als eine Art Typus der schizophrenen
Attacken gelten können, erscheinen uns als organisch bedingte Reiz- imd Läh-
mungszustände, in denen namentHch auch die intrapsychischen Assoziationen
verändert sind. Sie bekommen so eine große Ähnhchkeit mit den Anfällen, die
wir nicht selten bei groben Gehirnerlcrankungen und Intoxikationen wie der
Urämie beobachten, und sie lassen sich von solchen nur aus den begleitenden
Umständen unterscheiden. ,, Abortive", d. h. leichtere Anfälle dieser Art haben
die Neigung, sich oft zu wiederholen; die größeren Anfälle sind seltener.
Manchmal leitet ein tonisches Stadium die Szene ein, das aber zum Unterschied
von der Epilepsie sehr lang dauern kann und nicht die beängstigende Höhe des
Morbus sacer erreicht. Meist handelt es sich mehr um eine allgemeine Steifigkeit
des Körpers; Hinfallen scheint selten; die Atmung bleibt gewöhnUch relativ oder
ganz frei. Eine Katatonika reagierte plötzüch nicht mehr auf Anreden, lag starr
da mit geschlossenen Augen; ungeheurer Schweißausbruch am 'ganzen Körper;
Puls weich, voll, 100—110. Temperatur stieg bis 38-0°. Dann wurden die Hände
krampfhaft gefaltet; Anrufen, Bitten, Drohimgen erzeugten keine Reaktion, bloß
auf Zwicken und direkte Beleuchtmig der Augen mit nahegehaltenem Streichholz
erfolgten leichte Abwehrbewegungen. Dauer des Anfalles vier Stunden; nachdem
Schweiß- und Temperaturerhöhung zurückgegangen waren, erholte sich die Kranke
rasch; sie weinte ziemHch affektlos, „das Reden sei ihr mit der Maschine (d. h. der
Gasflamme) abgestellt gewesen; man wollte sie hinrichten, sie habe das Beil fallen
hören". — Ein Hebephrene, der in den Fünfzigerjahren einige katatone Symptome
gezeigt hatte, war einige Tage in einem ganz leicht dämmerigen Zustando. als er
plötzlich vollständig steif wurde, aber nicht fiel. Dazu kam leichter Tremor des
ganzen Körpers. Auf Nadelstiche reagierte er nicht mit Bewegungen, sondern nur
Akzessorische Symptome. Körperliche Symptome.
147
l^^t^^cH, saffpatient noch einige Stunden lang m.t ^^^^^
fla- er war noch darüber hinaus verwrrt, hat eingenaßt. — I>a8 tonisclie ötaaium
a.^h a ein abortiver Anfall vorkommen. Eine Katatonika wmde an Sitz n
tS eilal slif. saß etwa zehn Minuten da, die Hände zur Fa^t geba^^^^, den Bh k
zu Boden gerichtet, dann stand sie plötzlich auf mit denWoitcn. „So, jetzt ist 8
'"'^'in anderen Anfällen fehlt der Tonus; sie zeigen bloß eine trauinhatte Er-
regung mit Erscheinmigen nervöser Schwäche. Ein manischer Hebephrene fing
nn Bett auf einmal an, sich zu wälzen, stöhnte, erbrach; bekam unregelmäßige
Zuckungen der Extremitäten; bohrte den Kopf ins Kissen. Er war benommen, gab
unklare; verworrene Antworten, Gesicht blaß, kühl; Züge ganz schlaff, namenthch
imi den Mund, der offen steht und reichlich Speichel ausfheßen laßt. Versucht zu
schlucken kann aber den Mund nicht schließen. Verbigeriert langsam mit Pausen
zwischen den einzelnen Wörtern: „cheibe^) - cheibe - Hureclieibe - cheibe
^g^^. i_2 — 3 — 4 — 5 — 5— . . . — Mutterli — nicht — sterben —
Mut^;erli — nicht — sterben — usw." Sehnenreflexe gesteigert; Augen halb offen,
machen rollende Bewegungen. Pupillen weit, reagieren auf Licht; Angst. Klammert
sich überall an. Nach einigen Stunden fällt er in Schlaf. Am andern Tage weiß
Patient nur, daß er Angst hatte und nicht reden konnte. Der gleiche Patient wurde
nachher noch mehrere Tage lang oft mitten im Gespräch für kurze Zeit anders, er-
blaßte, verdrehte die Augen, gab unpassende Antworten.
Andere Beispiele: Katatonika: Im Bett: alle möglichen Stellungen, Winden,
Eingen, Zusanmienrollen des Körpers, rasche stöhnende In- mid Exspiration. Sali-
vation, roter Kopf, kalte Hände. Außer Bett: rasche Eotationen auf den Eüßen.
Pupillen spielen; Puls voll, zirka 80. Dauer zirka 2 Stunden, dann Benommenheit,
liegt wie schlafend da, kann aber noch handeln, z. B. auf den Nachtstuhl gehen;
taumelt aber dabei. Nachher volle Erinnerung. — Ein Hebephrene hatte zwei
gleiche Anfälle : Schütteln und Verdrehen der Glieder, Verdrehen der Augen, ganz
blasses Gesicht, Schaum vor dem Mund; Dauer mehrere Stmiden. Totale Amnesie. —
Periodischer Katatoniker mit manischen Perioden. Beim Essen plötzlich Zuckungen
in Armen mid Hals; Arme flektiert, bewegen sich klonisch gegeneinander; der
Kopf macht nickende imd schüttelnde Bewegungen. Kein Bewußtseinsverlust.
Dauer eine halbe Stunde. Später noch unregelmäßige Zuckungen, wollte nicht zu
Tische gehen, weil er das Geschirr leicht fallen ließ. Dann wieder wie vorher. —
Katatonika: Klonische Zuckungen aller Extremitäten, behält aber passiv gegebene
Stellungen eine Zeitlang bei (vor dem Anfall nicht kataleptisch). Heftiges Weinen,
starke Eötung des Gesichtes. Dauer eine halbe Stunde. — Hebephrene: Beginn
mit Grimzen imd Eülpsen, dann schnellende Bewegungen des Körpers, hält sich
mit den Händen krampfhaft an der Bettstatt. — Paranoide: Fing am Tisch plötzlich
laut zu lachen an, dann Stampfen; schlief ein; erwachte nach einiger Zeit und
stampfte wieder mit einem Fuß, hielt den Arm fest über den Augen, so daß man
ihn nicht passiv bewegen konnte. Keine Amnesie, sie habe nicht antworten können,
habe so machen müssen. Später hatte sie raomentweise roten Kopf und glaubte
sich dann während dieser Zeit verfolgt. — Eine Hebephrene hat „Zitteranfälle der
Reine, wobei sie innerlich aufgeregt wird und nicht mehr arbeiten kann." Eine
^) Schweizcrdeutsclier Univcrsalflucli, der eigentlicli „Aas eines Pferdes" bedeutet
und als Anklang an altgerraanischo Anschauungen noch jetzt im Volksgefülil religiöse Be-
deutung hat.
10*
148
Schizophrenie.
andore bekommt unregelmäßige klonische Zuckungen in Extremitäten und Gesicht. —
Eine Katatonika verdreht die Augen, strampelt mit den Füßen, bekommt Schaum
vor dem Mund. Dauer zirka zwei Minuten. Totale Amnesie. — Die Anfälle können
auch im Schlafe auftreten. Eine unserer Kranken wurde dadurch geweckt, daß der
Körper in die Höhe schnellte. — Ein Hebephrene bekommt plötzlich einen roten
Kopf, dann fährt er auf und schimpft.
Die letzteren Beispiele zeigen, daß es kontinuierliche Übergänge gibt von
den eigentlichen zerebralorganischen Anfällen zu den xAufregungszuständen
unserer Kranken. Es ist nun allerdings gewiß, daß ein Teil der letzteren rein
psychisch bedingt ist, indem der Gedankengang der Kranken oder ein äußeres
Ereignis, eine Wahrnehmung den Komplex getroffen hat. Wenn man aber die
halluzinatorischen Anfälle betrachtet, die bei den älteren Schizophrenen unserer
Pfiegeanstalten so häufig sind, so bekommt man den Eindruck, den meisten
derselben liege ein organischer Vorgang zugrunde; weder auf ihre Entstehung
noch auf ihren Ablauf kann man irgendwie einwirken; man kann höchstens
nach und nach die Kranken gewöhnen, daß sie auch während des Anfalles
sich etwas zusammennehmen, oder man kann erreichen, daß sie selbst verlangen,
isoliert zu werden, ,,wenn es kommt", damit sie die anderen nicht belästigen.
Manche abortive Anfälle lassen sich vom epileptischen petit mal nicht unter-
scheiden: Hebephrene, meist heiter; plötzlich nimmt ihr Gesicht einen mürrischen
Ausdruck an, dabei murmelt Patientin einige unverständUche Worte, Dauer einige
Sekunden. — Hebephrene: Fährt etwa plötzlich auf, greift mit den Händen an seinen
Kopf; es ist ihm schwarz vor den Augen, es flimmert alles. Dauer einige Sekunden. —
Periodische Katatonie : Liegt eine Zeitlang ganz schlaff wie tot da, Augen geschlossen,
Puls bleibt gut. Hier ist wieder psychischer Ursprmig nicht auszuschließen.
Wernicke hat anfallsweise Starre gesehen, die namentlich auftritt, wenn
man von den Patienten etwas will. Ich habe äußerlich ähnliche Anfälle gesehen,
die sicher sexueller Orgasmus waren. — Huefler kennt auch Schmerzanfälle.
Über die Häufigkeit körperlicher Mißbildungen (ich vermeide ab-
sichtlich den Ausdruck „Degenerationszeichen") bei der Dementia praecox
existieren meines Wissens noch keine brauchbaren Untersuchungen. Nach der
Arbeit von Laubi, deren Material mir zum großen Teil bekannt ist, verhält
es sich aber so, daß die jetzt zur Schizophrenie gerechneten Psychosen viel
weniger Mißbildungen aufweisen als die Idioten und Epileptiker, aber etwas
mehr als die Gesunden. Sehr starke schizophrene Belastung braucht sich in
keiner Weise in solchen AnomaKen auszudrücken. Da unter den Schizophrenen
der Anstalten die ursprünglich intellektuell minderwertigen relativ dominieren,
kann man noch nicht sagen, ob die Nichtimbezillen unter ihnen wirkhch mehr
Mißbildungen besitzen als die Gesunden.
Wintersteiner hat in zwei Drittel seiner „Paranoien" (im Sinne der Wiener
Schule) angeborene Augenhintergrundveränderungen gesehen.
Viele nennen in diesem Zusammenhang auch die Struma. Es ist unzweifel-
haft, daß in Kropfgegenden mehr große Strumen bei den Schizophrenen zu
finden sind als in der gesund'en Bevölkerung. Es kommt auch vor, daß die Struma
Akzessorische Symptome. Katalepsi
149
Y;) Die katatonen Symptome.
Unter dem Namen der katatonen Symptome faßt man eine Anzahl von
Erschemungen zusammen, die Kahlbaum bei seiner Katatonie gefunden hatte,
eigenartige Motilitätszustände, Stupor, Mutismus, Stereotypie Manieren
\eaativismus, Befehlsautomatie, spontane Automatismen, Impiüsmtat. Ich
möchte nicht sicher behaupten, daß sie alle mehr inneren Zusammenhang unter
sich haben als mit anderen Symptomen. Jedenfalls aber ist der Begriff bequem,
und ihm entspricht das häufige Zusammenvorkommen der einzelnen Symptome
bei den Formen der Schizophrenie, die wir katatonische nennen. Mehr als die
Hälfte der Schizophrenen der Anstalten zeigen dauernd oder vorübergehend
katatone Symptome.
1. Die Katalepsie.
Das steife Gesicht der Kranken macht manchmal den Eindruck gespannter
Züge; auch andauernd innegehaltene gezwungene Stellungen scheinen auf
Muskelrigidität zu deuten; bei passiven Bewegungen empfinden wir oft einen
Widerstand, der in schweren Fällen geradezu unüberwmdHch werden kann.
In Wahrheit aber kennen wir bei der Schizophrenie das, was man in eigent-
lichem Sinne tonische Zustände der Muskeln nennen könnte, noch nicht. Was
beschrieben ist, sind komplizierte Erscheinungen mit ganz oder doch vorwiegend
psychischer Genese.
Nicht ganz selten allerdings begegnet es, daß ein Patient monatelang eine
bestimmte Haltung einnimmt und auch ganz steif erscheint, wenn man die
Gheder passiv bewegen will. Das kann so weit gehen, daß man den ganzen
Körper, wie wenn er aus einem einzigen Stück Holz bestünde, an der Hand, am
Fuß herumbewegen kann, ohne daß die relative Lage der Glieder verändert
würde. Sieht man aber in solchen Fällen genauer zu, so kann man wohl immer
konstatieren, daß die Muskeln sich im Verhältnis zur äußeren Kraft in jedem
Moment gerade so stark spannen wie nötig ist, um die Stellung innezuhalten.
Dabei ist die Dosierung eine merkwürdig genaue, die Feststellung der Gelenke
eine fast absolute. Ein Gesunder brächte die gleiche Art des Widerstandes nur
ausnahmsweise und nicht auf die Dauer zustande. Es fehlt mir bis jetzt der
Beweis, daß die Muskeln zu irgend einer Zeit stärker gespannt wären, als nötig
ist, um gegen die Schwere oder andere äußere Einflüsse die Stellung beizube-
halten. Dagegen ist in einzelnen Fällen ein Übergreifen der Spannung auf nicht
direkt engagierte Muskeln zu beobachten — gerade wie bei Anstrengungen
von Gesunden auch.
Ballet (38, S. 105) hat die Neigung zu Spannungen Katatonismus genannt
und (mit Anderen^) vorausgesetzt, daß bestimmte Muskelgruppen, wie namentlich
^) Vgl. Kleist.
150
Schizophrenie.
die Beuger des Halses, dazu prädisponiert seien. Ich habe mich noch nicht über-
zeugen kömien, daß sich das Phänomen an bestimmte Muskelgruppen halte;
es scheint mir vielmehr, daß es sich hier um Innehaltung bestimmter Stellungen'
durch den Patienten handle, von denen z. B. die Beugung des Kopfes bei Rücken-
lage besonders häufig ist. Wir erwähnen diese Erscheinungen deshalb unter den
Stereotypien der Haltung.
Häufiger als die vollkommene Starre ist die biegsame Katalepsie:
In ausgesprochenen Fällen machen die Kranken keine oder nur seltene spontane
Bewegungen ; wo und wie man sie hinstellt oder hinlegt, bleiben sie unbeweglich.
Passiv gegebene Stellungen werden beibehalten, und zwar ganz gleichgültig, ob
sie unbequem seien oder nicht. Man kann einem stehenden Kranken em Bein
in die Höhe heben, die Arme horizontal ausstrecken und auch noch den Rumpf
beugen, er bleibt in dieser Stellung, und zwar gelegentlich zwanzig Minuten
und noch länger. Ermüdungsgefühle fehlen dabei (immer?). Nach einher Zeit
sinken ausgestreckte Glieder herunter, oder sie tauschen ganz unmerklich ihre
Lage gegen eine andere, vielleicht ebenso bizarre, oder sie werden mit einem
Ruck in eine bequemere Lage gebracht, aber oft so, daß die zuerst gegebene
Stellung noch einigermaßen markiert ist : der Arm, der nach vorn ausgestreckt
gewesen, bleibt auch in herabhängender Stellung noch ein wenig nach vorn
gehoben, der zunächst seitlich ausgestreckte entfernt sich seitlich noch ein wenig
vom Körper.
Oft empfindet man bei passiven SteUungsveränderungen kaum einen
Widerstand, ja es ist, wie wenn die Kranken der Absicht des Untersuchers zuvor-
kommen wollten; sie heben das Glied beim leisesten Anstoßen von selbst und
erraten dabei meist die gewünschte Richtung sehr gut; geht man etwas rasch
vor, so schießen sie leicht über das Ziel hinaus^). In anderen Fällen wieder findet
man einen deutlichen Widerstand, man muß zum mindesten das Gewicht des
Armes heben wie bei einem toten Körper. In wieder anderen Fällen ist ein
leichter Muskelwiderstand zu überwinden. Man kann diese Bilder nicht recht
voneinander trennen, und ich möchte sie deshalb, wie manche andere Autoren,
miter dem Namen der Flexi bilitas cerea zusammenfassen.
Viel häufiger ist das Symptom nur angedeutet. Die Kranken bewegen
sich für gewöhnlich frei, aber wenn man einem Glied eine bestimmte Stellung gibt,
behalten sie sie einige Zeit bei, manchmal ohne sich in den übrigen Bewegungen
des gleichen Gliedes stören zu lassen. Sie machen z. B. Gesten oder stereotype
Bewegungen mit einer Hand; hält man ihnen den entsprechenden Arm hoch,
so lassen sie ihn oben, machen aber die gleichen Bewegungen, die sie vorher in
gewöhnlicher Lage ausführten, über ihrem Kopfe.
Die Art mid Weise, wie man einem solchen Kranken das Glied bewegt, ist nicht
ganz gleichgültig; oft zeigt sich Katalepsie nur, wenn man das Glied etwas brüsk
in die neue Stellung bringt, wie wenn man andeutete, daß es da sein sollte. Wirksani
ist aber nicht die Suggestion im gewöhnlichen Sinne : der Patient braucht nicht zu
meinen, man verlange von ihm die Beibehaltung einer bestimmten Stellung. Ich
1) Wer.nicke nennt dieses Symptom Pseudof lexibilitas und hält es für einen
geringeren Grad der Flexibilitas cerea; Ziehen unterscheidet diese Pseudoflexibüitas prin-
zipiell von der letzteren, da es sich bei ilir um die Wirkung einer bestimmten Vorstellung
handle.
Akzessorische Sj'mptome. Katalepsie.
151
prüfe oft mit Erfolg auf Katalepsie, indem ich den Kranken den Puls fühle und dabei
wie zufällig ihren Arm in die Höhe halte, um ihn nach vollendeter Zählung einfach
loszulassen. Man kann umgekehrt in der gleichen Weise, wie man sonst auf
Katalepsie prüft, beliebige andere Kranke imd Gesunde behandeln, ohne daß das
Phänomen zmn Vorschein käme.
In selteneren Fällen äui3ert sich die Katalepsie in der Fortsetzung von Be-
wegungen, die den Kranken mitgeteilt werden. Wenn man den Kranken die Hände
umeinander dreht, so können sie nicht mehr aufliören. Wenn sie beim Freiturnen
eine bestimmte Zahl von Bewegungen machen sollten, machen sie zu vieP) u. dgl.
Bei ausgesprochener Katalepsie fehlen die spontanen Bewegungen. In
leichteren Fällen sind sie deutlich erschwert, sie werden langsam und kraftlos
ausgeführt. Oft sieht man den Patienten die Anstrengung an, sie öffnen z. B.
die Lippen, wenn sie eine Antwort geben sollen, bringen aber nach vielen Ver-
suchen oft nur ein leises, langsames Geflüster heraus, so daß man an eine Hem-
mung denkt. Andere Kranke führen noch die eine oder andere Handlung aus;
namentlich gehen sie noch herum; aber auch dann geschieht das Meiste langsam,
zögernd, kraftlos. Die Endstellung einer Handlung kann fixiert werden; oder
mitten in Bewegungen erstarren die Kranken. Ein Patient will den Löffel zum
Munde führen, auf halbem Wege bleibt ihm die Hand stehen und verändert
viele Minuten ihre Lage nicht; sie kann dann allmählich der Schwere folgend
hinmitersinken, oder es kann die begonnene Handlung noch vollendet werden.
Die Fixierung kann ebensogut den ganzen Körper betreffen wie ein Glied.
Auch die höchstgradige Katalepsie ist wohl durch innere oder äußere
psychische Einflüsse momentan lösbar. Wie bei jedem anderen katatonischen
Stupor können die Kataleptischen, die ganz unbeweglich schienen, plötzlich
auffahren, einen Nachbar hauen oder beißen oder sonst etwas Unangenehmes
anstellen, um nach einigen Sekunden wieder starr zu sein ; sie können aber auch
plötzlich ganz vernünftig plaudern oder sich mit Halluzinationen unterhalten.
Die Bewegungen zeigen in solchen Momenten keine Störungen mehr, werden
im Gegenteil oft mit großer Kraft und Gewandtheit ausgeführt (vgl. oben die
tanzenden Kataleptikerinnen.
Gewisse Kranke werden nur unter bestimmten Umständen kataleptisch.
Eme Patientin kann, wenn sie sich allein glaubt, bald fröhlich singen, vergnügt
lachen, bald unflätig schimpfen, um sofort kataleptisch zu werden, wenn sie
sich beobachtet weiß. Ob dabei Negativismus zu finden sei oder nicht, braucht
keinen Unterschied zu machen. Andere bewegen sich bei der Arbeit ganz frei
werden aber kataleptisch, wenn man sie untersuchen wiU. Einer unserer Rekon-
valeszenten, der schon einige Zeit frei schien, wurde kataleptisch, als beim Kapitän-
spiel etwas größere Anorderungen an seine Aufmerksamkeit gesteUt wurden.
Uie Katalepsie kann auch etwa abwechseln mit voller Starre; bei negativisti-
schen Kranken kann man die letztere geradezu provozieren. In einem unserer Fälle
kam zwischenhinein vollkommene Erschlaffung der Muskulatur, so daß der Kranke
eir^^^z^" uTer ^'"^ Leichnam. Sonst ist der Muskeltonus bei Flexibihtas cerea
l.n«i f ^'''^if ^^^^^ andauernd und in mehreren Anfällen nur rechtsseitige Kata-
lepsie (veAunden mit Tremor, Analgesie und Gehörshalluzinationen der gleich! n Se'te).
') Mündliche Mitteilung von Bezzola.
152
Schizophrenie.
Merkwürdig sind zuweilen Mischuiigeji der Katalepsie mit Negativismus. Wenn
mau z. B. einem solchen Kranken den rechten Arm in die Höhe hält, reißt er ihn
brüsk negativistisch herunter, hebt aber dafür den linken in die verlangte Stellung.
(Ähnliches habe ich schon gesehen, auch ohne daß man' Grund hatte, Negativismus
anzunehmen, nur wurde das angefaßte Glied dann nicht so brüsk in seine Normal-
stelkmg gebracht.) — Abraham hat auch Flcxibilitas auf der einen .Seite, und
negativistischc Steifheit auf der andern gesehen (natürlich ohne Suggestion).
Bei einer Mischung von Echopraxie mit Katalepsie sahen wir eine Nachahmung
der einen Seite durch die andere: der rechte Arm des Patienten wurde passiv in die
Höhe gehalten, der lijike nach unten ein wenig ausgestreckt. Nach und nach sanken
beide Arme etwas herab, der linke in die natürliche Stellung, der hochgehaltene
rechte näherte sich dem Kopfe und wurde schließlich an den Hinterkopf angelegt,
was der linke aus der hängenden Rulielage nachmachte. Patient blieb dann längere
Zeit in dieser Stellung.
Neben den verschiedenen katatonischen Zuständen, seltener vereinzelt,
kann eine bald allgemeine und andauernde, bald ganz launenhaft auftretende
Schwierigkeit oder Unmöglichkeit der Bewegungen bestehen. Es
kostet die Patienten Anstrengungen, die Muskeln zu kontrahieren; die Be-
wegungen werden kraftlos, langsam, zitternd, ja vielfach ganz unmöglich. Es
kann ihnen dabei sein, wie wenn das Glied gelähmt oder auch steif wäre oder
wie wenn es durch äußere Gewalt festgehalten würde. Manchmal motivieren
sie den Zustand fälschlich du.rch Halluzinationen und Wahnideen; natürlich
kann Akinese auch so bedingt sein, aber dann handelt a sich nicht um eine
Motilitätsstörung im obigen Sinn einer psychischen Lähmung oder Parese^).
Der Zustand erschreckt die Kranken meist auffallend wenig; immerhin besteht
Angst oft daneben, erscheint aber dann in ihrem Verlauf unabhängig von der
Akinese. — Bei Stupor und Benommenheitszuständen macht die Herabsetzung
der Bewegungsfähigkeit gelegentlich den Eindruck eines allgemeinen Hirntorpors.
2. Der Stupor.
Sehr viele Katatoniker werden stuporös genannt. Im präzisen Ziehe n-
schen Sinne (Aprosexie + Denkhemmung + Bewegungslosigkeit) aber finden
wir den Stupor fast nur bei der Benommenheit (vgl. folgendes Kapitel, akute
Syndrome), offenbar als Folge einer allgemeinen Reduktion der psychischen
Tätigkeit, ferner bei totaler Sperrung. Das äuJSere Bild der mangelnden oder
stark verminderten Reaktion auf die Umgebung findet sich aber auch noch
bei allen akinetischen Katatonien; es wird außerdem hervorgebracht durch
allgemeine Sperrung, durch starke (melanchohsche) Hemmung der psychischen
Vorgänge, durch den Mangel an Interesse, an Affekt und Willen, durch den
Autismus, die Dämmermechanismen, den Negativismus, durch massenhafte
Halluzinationen, die auch ohne systematische Absperrung der Außenwelt die
Kranken vollständig m eine Phantasiewelt versetzen.
Natürlich mischen sich diese verschiedenen Formen von
Stupor gern miteinander, indem mehrere Ursachen zugleich vor-
handen sind.
1) Oft werden die die Bewegung verbietenden Stimmen und die Ersclnvening
Motilität parallele Folgen einer einheitlichen Ursaclie sein.
Akzessorische Symptome. Stupoi-. Hyperkinese. Stereotypien.
153
Der Stupor braucht nicht ein vollkommener zu .sem. Manche Stuporöse
duseln nur so herum, können aber noch auf manche einfachen Gespräche ein-
gehen oder etwas arbeiten. Einer unserer Kranken wollte hinter dem Heustock
etwas nachsehen, zündete dazu ein Streichholz an, wodurch das Heu in Flamraeji
kam. Er hatte noch in der Wirtschaft mithelfen können, was die Frau ihm be-
fahl; um selber zu denken, daß es gefährlich sei, in unmittelbarer Nähe von
Heu und Stroh Feuer zu machen, dann um die nötige Sorgfalt anzuwenden und
schlicßhch, um das Feuer im Entstehen zu löschen, war er nicht mehr denk-
fähig genug.
Wohl alle schizophrenen Stuporformen, mit Ausnahme vielleicht der als
Benommenheit bezeichneten, können sich unter psychischen Einflüssen ganz
oder teilweise lösen. Trifft man die Komplexe der Kranken, so sieht man oft
deuthche Eeaktion, sei es in der Spannung der Muskeln, sei es in der Gefäß-
innervation. Die Kranken fassen also noch auf und verarbeiten. Der stuporöse
Katatoniker Riklins (612) antwortete nur auf die Ideen und las nur die Worte,
die ganz direkt mit seinen krankhaften Wünschen zusammenhingen. Eine ganz
starre imd negativistische Patientin beißt sofort auf die Zähne, als ich ihr sage,
sie sei zu mager, um, wie sie meinte, Speisen gestohlen zu haben. Eine unbewegliche
Kranke bricht in herzliches Lachen aus, als eine andere Butter aus einem Papier
verhert. Stuporöse können auf einmal richtig Schach spielen, beim Schreiben
schnelle Bewegungen machen, Klavier spielen usw. Durch Besuche der An-
gehörigen lassen sich viele vollständig ,, aufwecken".
Uber den Mutismus, der oft als Teilerscheinmig des katatonen Stupors
beschrieben wird, siehe oben S. 121.
3. Die Hyperkinese.
Den aldnetischen Symptomen des Stupors und der Flexibilitas cerea
stehen gegenüber die katatonen Hyperldnesen. Sie sind von der Wer nick e-
schen Schule als eine besondere Krankheit mit Reizerscheinungen der Psycho-
motiUtät hingestellt worden. Es fehlt aber bis jetzt der Nachweis, daß es sich
nicht auch hier um eine Teilerscheinung des aUgemeinen psychischen Zustandes
der Katatonie handelte; die „pseudospontanen" Bewegungen erscheinen, wie
andere Bewegungen bei Katatonikern, willkürlich, automatisch und stereotyp
ni bunter Mischung. Da sie häufig das äußere Bild der katatonischen Aufreaun<y
ganz allem zeichnen, werden sie bei den akuten Symptomenkomplexen näher
beschneben.
4. Die Stereotypien.
Eine der äußerhch auffaUendsten Erscheinungen ist die Neiguncr der
Schizophrenen zu Stereotypien. Wir finden sie auf allen Gebieten, dem der
Bewegung, der Handlung, der Haltung, des Sprechens, Schreibens, Zeichnens
Halh'^idereir """^ ^^^«i'^^^i^^hen Äußerung, des Denkens, Verlangens, des
dierec^hteF^n^•f^?'^■^'"^''\^^^^ ausfahrenden Bewegungen
die rechte Hand über den hnken Daumen; andere tupfen, womöglich mit angespeichel-
Mobein und Wanden nach, wie wenn sie abstauben wollten; andere klopfen
154
Schizophrenie.
rliythmiscli an die Bettstelle, klatschen in die Hände, machen allerlei Manipulationen
an den Zähnen usw. Wieder andere gehen in bestimmter Weise herum, tappen mit
dem Fuß an einer gewissen Stelle, balancieren wie in einer Quadrille, nicken mit
dem Kopf, drehen sich im Liegen oder im Stehen beständig um die Längsachse,
machen immer die gleichen Turnübungen. Manchmal hat die Stereotypie den An-
schein einer gewollten Handlung: sie reißen sich die Haare aus, oft in einer be-
stimmten Form, so daß z. B. noch eine Raupe über die Mittellinie des Kopfes stehen
bleibt, stecken den Finger in den After, schmieren in einer bestimmten Weise,
zupfen an den Kleidern, drehen die Knöpfe ab.
Die Haltnngsstereotypien zeigen etwas weniger Abwechslung, sehr viele
der ruhig im Bett liegenden Katatoniker halten in Rücken- und sogar in Seitenlage
den Kopf vom Kissen abgehoben, eine Stellung, die der Gesunde nicht lange ohne
Ermüdung innehalten könnte; sie kauern sich zusammen, sitzen oder stehen steif
wie eine ägyptische Statue da, halten die Beine gespreizt, die eine Hand in ganz
bestimmter Fingerhaltung an die Wange; kauern in gezwungenster Stellung im
Bad, so daß der Kopf genau bis über die Mundwinkel und dazu noch der Rücken
aus dem Wasser ragt; blicken wochenlang den gleichen Fleck an, oft in extremster
Augenstellung, die der Gesunde keine zwei Minuten festhalten könnte.
Stereotypie des Ortes kommt in zweierlei Weisen zum Ausdruck, indem
die Kranken immer die gleiche Ecke des Zimmers, das gleiche Plätzchen im Garten
zum Aufenthalt wählen und sich den Ort geradezu erkämpfen, wenn er ihnen
zufälligerweise oder absichtlich streitig gemacht wird, oder indem sie an einem
bestimmten Ort immer die gleichen Sonderbarkeiten machen, z. B. an einer bestimmten
Stelle des Korridors beim Vorbeigehen immer dreimal an die Wand klopfen.
Handlungen, die an sich nicht sinnlos sind, werden ohne Unterlaß wieder-
holt, immer mit photographischer Gleichheit. Der Kranke geht genau in der gleichen
Weise an der gleichen Stelle ins Bett und wieder heraus; er läuft im Garten den-
selben Kreis oder dasselbe Viereck ab, so daß man die Spuren immer ausebnen muß ;
ein Arzt machte, Jahre bevor die Krankheit manifest wurde, eine starke Vertiefung
in den harthölzernen Boden seines Zimmers, indem er sich immer genau an der
gleichen Stelle auf dem Absätze umdrehte ; Wände imd Möbel der Anstalten zeigen
häufig Spuren solcher stereotyper Handlungen.
Die verschiedenen Arten von Stereotjrpien werden natürlich sehr oft zu kom-
plizierten Bildern zusammengesetzt. Die Patientin steht, während sie strickt, an
einer bestimmten Stelle in bestimmter Orientierung und Haltung; so wie die Arbeit
abgebrochen wird, gelit sie in den Korridor, stellt sich, Front gegen die Eßzimmertür,
auf, bis das Essen aufgetragen wird, worauf auch dieses in ganz bestimmter Weise
eingenommen wird.
Auch die AusdrucksbeAvegungen werden etwa stereotypiert. Der eme
grinst, der andere macht ein trauriges Gesicht, gleichgültig, wie seine Stimmung
sei. Stereotypes Brüllen, Schreien und Quieken hat oft dieselbe Bedeutimg; ebenso
das Vorstrecken der Lippen („Schnauzkrampf"). Hier mögen auch die musi-
kalischen Stereotypien erwähnt werden; eine Kranke spielte jahrelang oft tausende
von Malen nacheinander bald einen bestimmten Trüler, dann wieder einen kleinen
Satz von wenigen Tönen. Häufiger wird das gleiche Lied oder Stuck emes Liedes
immer wieder gesungen, von einem Kranken mit störend gellender Stimme, vom
andern diskret. Es kann auch nur irgend eine bekannte oder selbst erfundene Me-
lodie allen mögüchen Texten, sogar den Antworten auf Fragen aufgepfropft werden,
ebenso ein Rhythmus, der im Sprechen festgehalten wird.
Die meisten der schwerer Kranken haben, wenn sie sich überhaupt äußern,
die Neigung, bestimmte Ausdrücke immer und immer wieder zu brauchen an pas-
Akzessorische Symptome. Stereotypien.
155
sender und unpassender Stolle. Manchmal werden ohne jeden Zusamnie..hang, ]a
überhaupt ohne die Absicht einer Mitteilung, die gleichen Worte und featze unge-
zählte Male nacheinander ausgestoßen in gewöhnlichem Tone, schreiend, flüsternd,
sinkend- affektiver Ausdruck fehlt oft dabei; kommt er vor, so ist er meist ganz
gekünstelt, übertrieben, dem Inhalt nicht entsprechend (Verbigcratio n) So
wiederholte ein Patient immer den Satz: „Du stiehlst dem Heiland das Recht ab ,
ein anderer: „I thank you, Sir". Das Wort „Liebe" wird von manchen Patientinnen
ziun Verbigerieren mißbraucht; ganz unsinnige Verbindungen von Lauten wie „ge-
kreuzigter Krex in e Umkrexhaus" (Kraepelin) sind nicht selten. Meist ist der
Inhalt\icht in allen Details stereotyp; eine Kranke nennt die Namen ihrer Kmder,
ein Katatoniker zählt ohne jede Ordnung Namen von Ortschaften auf. Das Frl.
Müller zählt: „21 Herr Müller, 22 Herr Müller" usw.; eine andere rechnet laut rufend:
„Imal i ist 90; 2 mal 3 ist 7; 2 mal 1 ist 24; 2 mal 2 ist 28" usw. Ein anderer
spricht halblaut: „a, o, u, e, e, a, u, e, a, o usw. in verschiedenen Variationen;
eine andere: „ich denke, ich will" und konjugiert dazwischen das Präsens von
lieben". Manchmal kommen die Leute im Thema doch ein wenig weiter: bababababa,
•s', s, s, s sind rechte Leut, s, s, s, s sind rechte Leut, rechte Leut, rechte Leiit,
rechte Leut, bababababa, hmhmhmhm ich habe ja geschlafen, ich habe ja geschlafen
.... was ist auch das, was ist auch dadadadadadas? babababa ."
Eine unserer Kranken wandelte täglich stundenlang eines von wenigen Thematen
ab, z. B. „Concierge", wobei sie alle ihr bekannten Haushüter, die Einzelheiten
von deren Wohnung beschrieb usw.
Auch die Verbigeration kombiniert sich mit anderen Stereotypien, so bei
Neissers Kranker, die verbigerierte ,, erbarme dich" und jedesmal den Eumpf vor-
und rückwärts bewegte.
Nicht wohl zur Verbigeration zu rechnen sind Sprachstereotypien wie die
folgenden: Einschieben von stereotypen Worten (,,bist du da, liebs Beschützerli,
plumps, bist du da? plumps") oder auch nur von irgend welchen Lauten, die
nicht der Sprache anzugehören brauchen (eine unserer Paranoiden hängte an jedes
Wort, nach dem im Sprechen eine kleine Pause möglich war, einen grimzenden Ton
an). Wieder anders ist es, wenn ein Patient auf alle Fragen nur mit dem Wort ,, schön"
in verschiedenen Tonlagen antwortet. Auch Ausrufe, die nicht gleich nacheinander
wiederholt werden, werden stereotypiert und ganz miabhängig von ihrem Sinn
angebracht: So sagt eine Kranke seit dreißig Jahren alle Augenblicke: „es ist mir
nicht wohl" als Zeichen der Freude, so gut wie zum Ausdruck von etwas Unan-
genehmem oder auch in anscheinend ganz gleichgültiger Stimmmig; gelegentlich
übersetzt sie einen Teil in eine fremde Sprache (well, bene).
Die schriftliche Verbigeration zeigt die gleichen Eigenschaften wie die
mündliche. Wörter, Sätze, Buchstaben, haben sie einen Sinn oder nicht, werden
mit oder ohne Variationen ins Unendliche wiederholt. Hinzu kommen aber noch
allerlei Schnörkel, die an die Buchstaben oder unabhängig von denselben angebracht
werden; namentlich lieben es die Katatoniker, mit den Satzzeichen zu spielen, eine
bestimmte Anzahl von Punkten wird mit Strichen kombiniert, es werden Figuren
daraus gebildet, die sich immer wiederholen usw. Ganze Schriftstücke können in
großer Anzahl so genau gleich gefertigt werden, daß beim Aufeinanderlegen die
einzelnen Buchstaben sich decken (Antheaume).
Auch die zeichnerischen Äußerungen neigen zur Stereotypie. Sie be-
handeln gerne ein und dasselbe Thema, kürzen es bis zur Unverständlichkeit ab,
sei es, daß es sich um einfache Ornamente handle, die oft aus allerlei verschlungenen
Strichen gebildet sind, sei es, daß Figuren oder andere Darstellungen bevorzu^^t
werden. Em Maler malte mit einigem Geschick eine Unzahl überschlanker nackter
Jungfrauen in einer Felsenspalte, ohne je vom Thema abzugehe
len.
156
ScliizopLrenie.
Zu unterscheiden von den Stereotypien der Sprache sind diejenigen der Ge-
danken und Wünsche, die dann natürlich auch sprachlich immer gleich geäußert
werden. Man kann wohl die oft ganz automatisch gewordenen Bitten um Entlassun«y
die sich täglich in der gleichen Form wiederholen und auf die viele Kranke gar keine
Antwort erwarten, hierherzählen. Das Gleiche ist es, wenn eine Patientin täglich
verlangt, daß wir ein Parkfest abhalten, obschon sie wissen kann, daß dies, ab-
gesehen von allen anderen Hindernissen z. B. im Winter ganz unmöglich ist. Weniger
verständlich wird es, wenn ein Patient lange Zeit jede Frage mit der Gegenfrac^e
beantwortet: „Wäre es nicht gut, ein Pechpflaster aufzulegen?"
Die Stereotypie der Gedanken ist oft eine so große, daß die Kranken
mifähig sind, etwas anderes zu denken, als einen oder ganz wenige Gedanken. Hierher
gehört es wohl auch, wenn ein katatonischer Arzt bei den verschiedensten Indi-
kationen immer das gleiche Mittel verschreibt.
Die Stereotypie der Halluzinationen fällt namentlich auf dem Gebiete
des Gehörs auf, wo die Patienten tausende von Malen immer die gleichen Worte,
die gleichen Beschimpfungen vernehmen müssen.
Die Stereotypien kommen nicht immer ohne äußeren Anlaß von innen-
heraus; bei Erzählungen werden oft bestimmte Komplexstellen der Kranken
damit markiert; so machte eine Katatonische viele Jahre lang, nicht nur wenn
sie ihren Gedanken nachhing, sondern im Gespräch gewisse Kreisbewegungen
mit ihren Armen, die bedeuteten, daß sie viele Millionen habe.
Das Verhalten der Kranken den Stereotypien gegenüber ist
ein sehr buntes. Die meisten benehmen sich, wie wenn die Stereotypie etwas
Selbstverständliches wäre. Einzelne suchen sie vergeblich zu unterdrücken.
Arbeitende Patienten unterbrechen während der Arbeit ihre stereotypen Be-
wegungen; andere suchen beides miteinander zu vereinigen; wieder andere
setzen bei der Arbeit aus, um Bewegungen auszuführen.
Auslcunft, warum die Kranken die Bewegungen machen, bekommt man
auf direkte Fragen nur ganz ausnahmsweise. Die Kranken geben irgend einen
Grund an: „um eine Beschäftigung zu haben", „die Rehgion zu retten" usw.,
oder sie lehnen die Auskunft ab. Bei solchen Erkundigungen kommen aber
sehr häufig allerlei Komplexsymptome zum Vorschein : Ein ganz torpider Kranker,
der monatelang keine rasche Reaktion gezeigt hat, antwortet auf die Frage,
warum er beständig die Finger im Gesicht habe: „Das ist eine Coutume von
mir", und das viel prompter als ein Normaler und mit sichthchen Zeichen der
Erregung. Auch Negativismus wird häufig durch solche Fragen provoziert.
Die Stereotypien haben große Gewalt über die ganze Psyche. Nicht niu-,
daß sie andere Handlungen unmöglich machen können und oft den Kranken
zum Innehalten der unbequemsten Stellungen veranlaßten; sie können sich
durchsetzen auch auf Kosten der Integrität des Körpers: Bei relativ gesunder
Zirkulation kann die Innehaltung der gleichen Lage zu Dekubitus führen; oft
ist es schwer, Patienten, die immer die gleiche Hautstelle reiben, vor ernsten
Verletzungen und Infektionen zu bewahren. Frauen, die beständig mit den
letzten Fingern die Schürze oder den Rock in die Höhe halten, bekommen manch-
mal Dupuytrensche Kontrakturen; und in der Zeit, da man die Kranken
mehr sich selbst zu überlassen pflegte, waren Kontrakturen der Beine, die die
Kniee in der Nähe des Kinns festhielten, keine Seltenheit.
Wie schon aus einigen angeführten Beispielen hervorgeht, sind die Stereo-
Akzessorische Symptome. Manieren.
157
typien keineswegs ganz unveränclei-lich. Diii-ch äußere Einflüsse können sie
modifiziert werden, ja sie können sich den Verhältnissen anpassen. Eine Patientin
hatte die Gewohnheit, wenn eine männhche Person auf die Abteilung kam, in
einer gar nicht üblen, selbstgemachten Melodie unzählige Male zu singen: „0
was für ein schöner prächtiger Herr Pfarrer!" Als ich nun einmal mit schmutzigen
Schuhen von der Straße kam, sang sie: „Was für ein schöner dreckiger Herr
Pfarrer!" Sehr häufig werden Worte, die in der Umgebung ausgesprochen oder
begrifflich angedeutet wurden, mit den ursprünghchen Stereotypien verquickt.
Auch durch zufällige Assoziation verbundene Worte können neu hineinkommen :
„Hallelujah (5 mal), holla, holla, holla; oh la, oh la, was hat es gegeben".
Auch können Wünsche, die in der Verbigeration zum Ausdruck kommen,
erweitert werden und ebenfalls ihren Ausdruck finden.
Am häufigsten ist die allmähliche Abkürzung der Stereotypie. Be-
wegungen, die zuerst einen guten Sinn haben, das Nachmachen des nähenden
Schusters, das Balancieren beim Tanze werden bis zur Unkenntlichkeit gekürzt;
aus „heimgehen" wird nach einiger Zeit ,,hei", dann bloß ,,ei, ei"; eine ganze
Erzählung, die die Eeise zum Geliebten darstellt, kann schließlich zu einem
schluckenden Tone, der etwa wie ,,hm" klingt, zusammenschrumpfen.
5. Die Manieren^).
Viele Patienten nehmen bestimmte Posen an. Der läuft mit gekreuzten
Armen in der Stellung herum, wie er einen Premierminister abgebildet gesehen
hat; der ahmt Bismarck bis auf seine Schrift nach; die meisten begnügen sich
in Haltung, Miene und Kleidung, in Sprache und Schrift in mehr allgemeiner
Weise irgend etwas Besonderes zu mimen, wobei sich die einen jahrzehntelang
konsequent bleiben, die anderen beständig aus der Eolle fallen. Fast immer hat
dieses Gebahren etwas Gemachtes, Gespreiztes an sich; es bleibt unangepaßt
an Gelegenheit und Umstände, ungenügend modulierbar. So werden die Manieren
fast immer zur Karikatur.
Die meisten Manieren aber sind uns ganz unverständlich geworden. Alles,
was man überhaupt tut, kann im Sinne schizophrener Manieren modifiziert
werden, ohne daß der Grund zu sehen wäre.
Das Gehen wixd anders; ein noch ganz intelHgenter, fleißiger Anstaltspatient
geht nie anders als im Laufschritt; Waschen, Ankleiden wird anders gemacht als
von den Gesunden. Beim Essen wird der Löffel nur an der Spitze gehalten oder
umgekehrt m der Höhlung; es wird vor dem Einnehmen eines Bissens dreimal auf
den leller geschlagen; die Speisen werden siebenmal auf die Gabel genommen und
herabgeworfen, bevor sie in den Mund kommen. Die Kranke geht dreimal mn den
^ achtstuhl herum, bevor sie sich setzt. Ein Maurer macht über jeden Ziegelstein
den er legt, eine wehende Bewegung mit beiden Händen.
Neben dem Essen gibt die Sprache die beste Gelegenheit zu Manieren. Ganz
abgesehen von dem Pathos der verschiedensten Art wird im Telegrammstil cre-
sprochen, in Infinitiven, in Diminutiven; Fremdwörter werden mit affektierter Be-
tonung gebraucht, an alle Wörter wird ein „- io" oder ein „-ismus" angehängt;
hat 8ie'^ ^Xw''T ''""^ '-^"«^"«"de Abänderungen von gewölinlichen Handlungen. Ziehen
^^^^^ nfeht a,le Ma-
158
Schizophrenie.
es wird skandiert, m Rhythmen gesprochen, in Reimen geschrieben. Eine unserer
Kranken öffnete beim Sprechen in vielen Jahren die Lippen niemals, wobei es ihr
ganz gleichgültig war, daß niemand sie verstand. Die Stimme wird verändert- eine
Katatonika habe ich in zehn Jahren nie anders als in Fistelstimme oder in heraus-
gepreßten Tönen sprechen hören.
Die eigentlichen Ausdrucksbewegungen werden ebenso verändert. Alle möe-
hclien gespreizten Gebärden kommen vor; Johlen, Kreischen, Quieken wird an den
unpassendsten Stellen angebracht. Zum Gruß wird die Hand verkehrt oder aanz
steif gereicht oder nur der kleine Finger; oder die Hand wird rasch vorgestoßen
und wieder zurückgezogen. Achselzucken, Grimassen aller Art, sonderbare "Zungen-
und Lippenbewegungen, Fingerspielereien, plötzliches Ausfahren u. dgl sind die
Ursache, daß man auch, von choreatischen und tetanieartigen Bewegungen bei der
Katatonie gesprochen hat, allerdings mit Unrecht. Dagegen lassen sich wohl manche
solche Bewegungen nicht scharf von Tics unterscheiden.
6. Der Negativismus.
Unter dem Namen des Negativismus werden eine "Anzahl
Symptome zusammengefai3t, die alle das Gemeinsame haben,
daß eine Eeaktion, die im positiven Sinne zu erwarten gewesen
wäre, negativ abläuft: die Kranken können oder wollen nichts tun, was
man von ihnen erwartet (passiver Negativismus) oder sie tun das Gegenteil
oder wenigstens etwas anderes (aktiver oder konträrer Negativismus).
Wenn die Kranken aufstehen sollten, so wollen sie zu Bette bleiben; sollten
sie im Bett sein, so wollen sie aufstehen. Sie wollen auf Befehl oder gemäß der
Anstaltsordnung weder sich anziehen, noch sich ausziehen, weder zum Essen kommen
noch vom Essen gehen, kurz sie widerstreben allem und jedem und werden dadurch
recht schwierige Objekte der Behandlung^). Sie verweigern die reguläre Nahrung,
essen aber mit Gier, was sie auf unrechtmäßige Weise erlangen, z. B. den anderen
wegnehmen können. Oder sie essen nur heimlich oder nur zur Unzeit. Sie schimpfen
über das Essen, können aber auf die Frage, was sie denn wünschen, nur antworten :
„Etwas anderes, nur nicht, was man hat." Sie gehen spontan nicht auf den Abort;
führt man sie hin, so befriedigen sie ihre Bedürfnisse nicht, beschmutzen aber sofort
das Bett oder die Kleider, sobald sie von dem für solche Dinge passenden Ort weg-
kommen. Sie wenden sich ab, wenn man zu ihnen spricht, kneifen die Augen zu;
letzteres tat eine Patientin so kräftig, daß jeweilen das obere Lid teilweise evertiert
wm'de, ohne daß sonst eine Anomalie desselben wahrzunehmen gewesen wäre. Sie
sagen auf ,, guten Tag" ,, adieu"; machen die Arbeiten verkehrt, nähen die Knöpfe
auf die falsche Seite der Kleider, essen die Suppe mit der Gabel oder mit dem Dessert-
löffel und das Dessert mit dem Suppenlöffel; setzen sich beständig an einen ihnen
nicht zukommenden Platz, gehen in alle Betten, nur nicht ins eigene, nennen unsere
Kinder mit dem zweiten Nanien, den sie irgendwo aufgeschnappt haben, statt mit
dem Rufnamen. Ein Hebephrene sollte Holz sägen: er holt Scheiter; nun soll er
Scheiter holen: er bringt sie von einem falschen Haufen; er soll die Rampe hinunter-
gehen: er sträubt sich, macht dann aber plötzlich eine Volte über das Geländer
hinunter.
Eine Teilerscheinung des Negativismus ist auch die oben erwähnte Muskel-
starre, die eine stereotyp (oder seltener vorübergehend) eingenommene Stellung
gegen alle Einflüsse behauptet.
^) Engländer spreclicn von einer „mulish resistivuness".
Akzessorische Symptome. Negativismus.
159
Viele gehen über den passiven Widerstand hinaus, wehren sich aus Leibes-
kräften gegen alle Eingriffe, oft mit Schimpfen und Dreinschlagen. Selbstverständ-
liche Kleinigkeiten, die man von ihnen verlangt, bringen sie in die höchste Wut.
Immerhin gibt es auch nicht allzu seltene Fälle, wo die Kranken lachend beißen,
kratzen, schlagen oder dem Arzte, dem sie widerstreben, mit freundlicher Miene
nachlaufen und damit beweisen, daß sie eigenthch nichts gegen ihn haben, sondern
daß der Negativismus sich nur auf das bezieht, was man von ihnen verlangt. Sie
verweigern mit einer schnöden Bemerkung die Hand zum Gruße, geben aber dem
Arzt zugleich ihre Tasse, aus der sie trinken, zum Halten.
In einzelnen Fällen wird so konstant das Gegenteil von dem gemacht,
was man von den Kranken wünscht, daß man das benutzen kann, um sie zu
lenken („Befehlsnegativismus"). Die Frau eines Kranken hatte das zu
einem System ausgebildet und sogar bei den Spaziergängen, die sie wünschte,
dem Mann immer die gegenteilige Richtung vorgeschlagen, wobei sie sicher
sein konnte, daß er dann das tat, was sie eigentlich woUte. Auch in den Anstalten
ist es oft möglich, die Kranken dadui'ch zu einer Handlung zu bewegen, daß
man sie ihnen verbietet. Wenn sie zum Essen kommen sollen, sagt man: „Gehen
Sie nicht zum Essen"; wenn sie vorwärts gehen soUen, sucht man sie etwas
zurückzudrängen u. dgl. Eine weniger angreifbare Benutzung negativistischer
Tendenzen ist es, wenn man den Patienten bei notwendigen Dislokationen
auf kurze Distanz rückwärts gehen läßt, wozu er sich oft leichter versteht als
zum Vorwärtsgehen.
Auf Fragen bekommt man von negativistischen Kranken sehr wenig Auskunft.
Sie hüllen sich in Schweigen, fangen an zu schimpfen oder geben Antworten
auf eine nicht gestellte Frage; eine unserer Kranken sagte es heraus, sie ant-
worte gerade das nicht, was wir wissen möchten, wenn sie es merke. Andere
haben Ausreden ; sie können nicht antworten, weil das eine dumme, eine kitzlige
Angelegenheit betreffe. Recht charakteristisch ist die Negation ä tout prix
bei einer Kranken, die auf die Frage, wie sie heiße, antwortete: „Ich heiße nicht
so." Viele weichen aus, so daß man nie an ein Ziel kommt, obschon sie scheinbar
auf alles antworten. Auf die wiederholte Frage, seit welchem Jahr er verfolgt
werde, antwortete ein Patient: 1. „Seit einem Prozeß, bei dem ich viel Geld
verloren"; 2. „ich habe viele (sc. Prozesse) gehabt"; 3. „ich habe über 800 Mark
dabei verloren" usw.
Der Negativismus ist auch eine der Wurzeln des schizophrenen Daneben-
antwor tens.
Oft werden Fragen, die den Komplex anschneiden, zuerst ohne Besinnen ver-
neint, und zwar auch dann, wenn der Gefragte gar keinen bewußten Grund hat
nicht richtig zu antworten, und wenn er nachher ganz gerne Auskunft gibt Wir
treffen das Symptom aber auch bei nicht negativistischen Schizophrenen und in
geringerem Maße auch bei Gesunden. Es liegt in vielen Komplexen etwas, das ein
auch begünstigf ''"'^ ^'"^ Negativismus vortäuscht oder
Kranke, die aus Negativismus nicht antworten, reagieren zuweilen auf Fragen
die anderen gestellt werden; sie nennen dann z. B. den eigenen Mann wenn S
Nachbann den Namen ihres Gatten sagen sollte.
■nheJnlt ^7'''^ Negativismus nur in den leichteren Fällen
überwinden, in ausgesprocheneren werden dadurch die Patienten nur noch
60
Schizophrenie.
widerspenstiger. Viel besser ist schon Ignorieren und Abwarten. Oft wird das
Verlangte getan, sobald die dafür geeignete Zeit vorbei ist. Die Patienten ziehen
beim Gruß die Hand zurück, um sie, wenn man sich an andere Kranke wendet,
mit einem plötzlichen Ruck zu bieten, allerdings gewöhnlich so, daß die Berührungs-
fläche eine möglichst geringe ist, oder so, daß die Hand am Ziele vorbeifährt.
Ebenso geben sie uns erst Antwort, oder wollen sie erst reden, wenn man im
Begriff ist, das Zimmer zu verlassen; sie tun ihre Arbeit nicht, wenn man sie
darum ersucht, gehen aber spontan hin, wenn man nichts sagt. Ein Arzt, der
noch in Stellung ist, konnte sich einmal auf alle Aufforderungen des Schaffners
nicht entschließen, die Elektrische zu besteigen, um ihr dann nachzurennen,
nachdem sie sich in Bewegung gesetzt hatte. Wenn man nachgeben kann, sieht
man überhaupt oft den Negativismus schwinden. Kranken, die auf Anordnung
nicht in einem Zimmer bleiben wollen, braucht man manchmal nur die Türe
zu öffnen, dann gehen sie nicht hinaus oder kommen gleich wieder herein.
Manchmal nutzt allerdings auch bei scheinbar leicht Kranken weder
Abwarten noch Nachgeben. Es gibt Fälle, wo der Negativismus geradezu Anlaß
zur Betätigung sucht und zu einer höchst unangenehmen Schikanöse ausartet.
Solche Kranke sträuben sich mit allen Mitteln zu essen, aufzustehen, zu spa-
zieren; beklagen sich aber, nicht nur Fremden, sondern auch dem Anstaltspersonal
gegenüber, daß sie nichts zu essen bekommen, daß man sie zwinge im Bette zu hegen,
ihnen verbiete zu spazieren. Eine Kranke, die taub geworden war, aber ganz gut
sprechen konnte, schrieb alles auf, was sie zu sagen hatte, wollte aber nicht, daß
wir ihr anders als mündlich Antwort gaben, wodurch die Unterhaltung meist ganz
immöglich wurde. Sie versteckte ihre und anderer Patientinnen Taschentücher, wo
sie nur konnte, mid beschwerte sich dann bei allen Instanzen, daß die Wärterinnen
ihr die Taschentücher stehlen. Sie verlangte Bäder von ausnahmsweiser Temperatur,
und wenn sie sie erhielt, schimpfte sie, man hätte sie verbrennen wollen oder zu-
leide in ganz kaltes Wasser gesteckt. Solche Dinge waren jahrelang ihre Haupt-
beschäftigung. Die Fälle werden besonders dadurch schwierig, daß sie sich Dritten
gegenüber immer ins beste Licht zu setzen wnssen, so daß sie überall Glauben finden.
Inwieweit in solchen Fällen der Negativismus das Denken und die Er-
kenntnis des Patienten fälscht, konnte ich noch nicht eruieren. Sicher aber
halten sie wenigstens einen Teil ihrer Klagen selbst für richtig; vielleicht fehlt
ihnen das Bewußtsein des Unrechts ganz.
Es gibt nämlich auch Vorgänge, die wir zum Negativismus zählen müssen,
und bei denen nicht die Außenwelt, sondern das Streben und Fühlen der Patienten
selbst verneint wird („innerer Negativismus"). Die bekannte Erscheinung,
daß man immer das, was man erreicht und getan hat, für das Unrichtige hält,
kommt bei den negativistischen Schizophrenen sehr häufig und in starker Über-
treibung vor. Da ist eine Kranke, die mit aUem Eifer ihre Verlobung betrieben
hat- nachdem sie sie zustande gebracht hat, macht sie sich Vorwürfe, sie habe
übereilt gehandelt, worauf die Krankheit manifest wird. Em Hebephrene
weiß, wenn er draußen ist, nicht, warum er hinausgegangen, und wenn er drin
ist, nicht, warum er drin geblieben". Er sagt für sich: „Da sitzt das Kalb wieder
drinn, statt draußen zu sein." Wenn das Tor offen ist, so sieht er starr darauf
hin- wenn es geschlossen ist, ärgert er sich darüber, daß er die gute Gelegenheit
zum Hinausgehen nicht benutzt hat. Die gleiche Erscheinmig kann sich auch
Akzessorisclie Symptome. Negativismus. 161
als Zwanc. ävißern: eine Kranke muß, wenn sie ein bestimmtes Stück gestrickt
hat s wieder auflösen; oder der Kranke „sagt immer das was er mcht sagen
t?U- so kommen manche dazu, gleich nachher zu widerru en was sie soeben
reL;ptet- Jch muß das verruieLren und nicht verkegdn i^^^^^^f^
Ausdi-uck) Ich muß das verkegeln und nicht verrujenieren. , Ich bm der Herr
Papa und nicht die Frau Mama; ich bin die Frau Mama und mcht der Herr
Iii ' Ode" : „Ich bin ins Burghölzli gekommen, dami't ich ein Zeugnis bekomme^
S ich will kein Zeugnis, unbedingt nicht.'' In den ersten beiden FaUen handelte
es S um spontane Verbig-ation, im letzten um ein Gespräch, das die Wunsche
des Patienten hätte ausdrücken sollen. In beiden FäUen wurde sehr viel so ge-
sprochen (intellektueUer Negativismus, vgl. intellektueUe Ambivalenz).
Manchmal zeigt sich der innere Negativismus als Gegensatz von Kede
und Handlung, so wenn eine Patientin (die schon gegessen hat) sich an den
Platz einer andern setzt, zu den Anwesenden sagt: „Ihr braucht kerne Angst zu
haben, ich nehme nichts", und gleichzeitig anfängt zu essen.
Nicht als innerer Negativismus aufzufassen ist der Gegensatz, in dem die ver-
schiedenen Persönlichkeiten im Patienten zueinander stehen, obschon natürlich
die beiden Phänomene viele Berührungspunkte haben. Ein Patient sagt: „Ich bin
der liebe Gott ün Himmel selbst"; dann korrigiert er sich: „Schreib's nur nicht auf,
es ist eine verdammte Lüge, daß ich der Hebe Gott bin." In diesem Falle kommt
nach der autistischen Wahnidee die bessere Einsicht respektive das normale Stuck
des Patienten und bedingt so den Widerspruch.
Der innere Negativismus überträgt sich auf die Halluzinationen: die
Stimmen sagen den Kranken anhaltend das Gegenteil von dem, was sie tun
sollten, auch nach ihrer eigenen Ansicht. Oder wenn die Kranken etwas tun,
so verbieten es die Stimmen oder sagen wenigstens, es sei nicht recht; wenn
die Kranken dann der Stimme folgen, so ist es auch wieder nicht recht. Manche,
die noch nicht ganz gleichgültig sind, werden durch diese Erscheinung zur Ver-
zweiflung gebracht. Ein Techniker nannte diese Stimmen „Plus- und Minus-
stimmen".
Der innere Negativismus kann sich auch im Handeln äußern, so daß die
Kranken gar nicht das tun können, was sie wollen (Kraepelins ,, Gegen wille").
Auch aus freiem Antrieb gehen sie zu Stuhle, verrichten aber doch daselbst
die Notdurft nicht, sondern nachher ins Bett. Sie möchten eine bestimmte
Speise, die dasteht, essen, können sie aber nicht nehmen. Eine Kranke soll
laut lesen; sie gibt sich sichtlich Mühe, es zu tun, kann aber den Mund nicht
öffnen und bekommt Schlundkrampf. Einzelne Negativistische scheinen in
dieser Weise zu bestimmten Handlungen unvermögend zu sein, wenn ihnen
jemand, gegen den der Negativismus sich äußert, zusieht, wie Gesunde manches
vor Zuschauern nicht fertig bringen.
Manchmal sitzt die negativistische Sprachstörung weiter zentral, wenn
man so sagen darf; die Sprachorgane gehorchen den Impulsen richtig, aber es
werden negative Ausdrücke gegen den Willen des Patienten gesagt, so daß das
Gegenteil von dem herauskommt, was er sagen will. Eine Kranke soll zur Vor-
stellung aufs Podium steigen. Sie protestiert beständig, sie wolle nicht da „hin-
unter". In einzelnen Fällen werden aber negative Ausdrücke gebraucht, wo
formell positive angebracht wären, ohne daß der Sinn verändert würde.
Handbuch der Psychiatrie: Bleuler.
162
Schizophrenie.
Eine Kafcatonika sagte z. B. statt schön „nicht häßlich". Nach einiger Zeit
wurde ihr das „nicht häßlich" zu einem einheitlichen positiven Ausdruck; sie sagte
dann statt häßlich: „nicht nicht häßlich". Auch dieser Ausdruck erstarrte rasch
wieder zur Formel, in der sie die Negation nicht mehr fühlte, und schön wurde dann:
,, nicht nicht nicht häßlich". Als die Sache noch weiter ging (nicht nur bei diesem
Ausdrucke, sondern auch bei anderen), verwirrte sich die Kranke leicht, indem sie
statt der ungeraden Zahl der einander aufhebenden Negationen die gerade brauchte
oder umgekehrt, oder sich überhaupt nicht mehr zurechtfinden konnte; sie beklagte
sich dann über die Umgebung, die sie verwirrt habe.
Der Gegen wille" bewirkt oft nicht gerade die der gewollten entgegen-
gesetzte Handlung; er braucht das Handeln als solches nicht ganz zu verhindern.
Er bewirkt oft nur, daß gerade das, was der Patient will, nicht getan werden
kann, dafür aber etwas anderes, so daß das äußerliche Bild der Apraxie ent-
steht (statt die Haare zu kämmen, fährt der Patient mit dem Kamm über
den Eock). Ich kann viele solcher Handlungen direkt nicht von organischer
Apraxie unterscheiden. Ebensowenig ist es mir möglich, im einzelnen Falle
den Anteil des Negativismus und den der Benommenheit und des Emotions-
stupors abzuwägen (vgl. Kapitel ,, Benommenheit"). Ich bin aber überzeugt,
daß aUe diese Dispositionen mitwirken können.
Den Übergang vom gewöhnlichen Negativismus zu solchen apraxieähnlichen
Symptomen zeigen Fälle, in denen nur ein Teil der Muskeln im Siime der ge-
wollten Handlung arbeitet, während andere durch entgegengesetzte Kontraktion
den Erfolg erschweren oder verhindern. Meschedes Kranker drehte, wenn
er den Blick nach Knks richten woUte, nur den Kopf in dieser Richtung, die Augen
aber nach der andern Seite. Häufig habe ich das gleiche gesehen bei der Auf-
forderung, Klavier zu spielen. Die Patienten ließen sich herbei, mit den Armen
die nötige Bewegung zu machen, oft mit großem Ausholen und deutlichem
Kraftaufwand, sie flektierten aber zugleich die Hände maximal dorsalwärts,
so daß die Finger die Tasten doch nicht berührten.
~ Der intellektuelle Negativismus kann sich sogar auf die Auffassung
der Umgebung, auf die Orientierung erstrecken. So behauptete ein Kranker,
der Zürichberg habe früher im Westen gestanden, der Uetli im Osten (in Wirk-
lichkeit stehen die beiden Berge in umgekehrter Richtung).
Einen bestimmten, dem Negativismus zugrundeliegenden Affekt („der
Ablehnung" Groß) kann man nicht sehen. Negativismus kann bei jeder Art
des manifesten Affekts auftreten. Wir sehen ihn bei manischen Aufregungen
und bei der gleichgültigen Euphorie der Schizophrenen ebensogut wie bei De-
pression oder bei affektloser Stimmung. Natürlich aber ist Gereiztheit und
Zorn sehr häufig sowohl Grundlage als auch Folge des Negativismus.
Auch Überlegungen spielen primär keine RoUe bei den negativistischen
Erscheinungen. Sind Wahnideen oder falsche Auffassungen die Ursache der
Ablehnung, so Hegt nicht Negativismus, sondern normales Handeln unter ab-
normen Bedingungen vor. Das hindert nicht, daß oft die negativistischen Akte
mit Wahnideen begründet werden. Selbstverständhch beeinflussen und steigern
sich Wahnideen und Negativismus oft gegenseitig.
Das Instinktive des Negativismus, seine Unabhängigkeit vom Verstand
zeigt sich denn auch darin, daß er wie Bernstein (S. 563) hervorhebt, wenig
Akzessorische Symptome. Befehlsautomatie und Echopraxie.
163
Unterschied zwischen angenehmen und unangenehmen, nützlichen und schäd-
hchen Eingriffen macht. Auch der durstige Negativistische wird gereizt, wenn
man ihm zu trinken bringt.
So können die Kranken für ihr negativistisches Verhalten meist keine rechten
Gründe angeben; manchmal bringen sie Ausreden vor, die erst ad hoc gemacht
sind, die wechseln, wenn man mehrmals das gleiche fragt, mid die immer nur
einzelne Fälle, nie das ganze Benehmen erklären können. Die Begründung
durch Stimmen ist natürhch keine ausreichende, weil wir dann nur vor der
gleichen Frage stehen, warum die Stimmen negativistisch seien. Auch die Be-
gi'ündung durch Wahnideen ist sichthch in sehr vielen Fällen eine ungenügende.
Zunächst kann man auch hier fragen, warum die Wahnideen negativistisch
seien. Dann aber sind die vorgeschützten Wahnideen und Ausreden meist gar
nicht geeignet, eine genügende Erklärung zu geben, teils weil der Normale auf
die gleichen Ideen nicht negativistisch reagieren würde, teils weil die Kranken
im übrigen gar nicht nach diesen Wahnideen handebi. Eine Kranke weigert sich
zu baden, weil sie körperlich rein sei und sich nie gewaschen habe; eine andere
will nicht essen, weil sie sonst nicht sehg wird, ißt aber heimlich, soviel sie be-
kommen kann. Nicht besser steht es mit den Fällen, wo die Kranken memen,
sie dürfen nicht anders handehi. Das eigentliche Symptom ist immer der
Negativismus, der erst geeignet ist, die Art und den Inhalt der anderen Er-
scheinungen zu begründen.
So uuzugänghch unsere stark negativistischen FäUe in den Anstalten
erscheinen, etwas ganz Starres ist auch der ausgesprochenste Nega-
tivismus nicht. Er ist gegen bestimmte Personen meist größer als anderen
gegenüber; manche Kjranke zeigen ihren Negativismus nur im Verkehr mit den
Anstaltsärzten, andere beziehen auch das Wartepersonal oder nur das Warte-
personal ein; JVIitpatienten, Angehörige und namentlich Unbekannte können
oft in ziemhch normaler Weise eine kurze Zeit mit Kranken verkehren, die
sonst während Jahren alles abweisen. Besonders deutlich zeigt sich
eine sehr enge Beziehung des Negativismus zu den Komplexen.
Viele Kranke sind in einem Gespräch ganz ungehemmt, bis ein Komplex an-
geschnitten wird, dann kommt mit oder ohne Sperrimg der Negativismus, und
man kann am gleichen Tage, oft für längere Zeit, nichts mehr mit ihnen anfangen.
hicht selten ist aber auch das umgekehrte Verhalten, daß die Kranken ab-
weisend sind, bis sie durch Eingehen auf ihre Leitideen aufgeschlossen werden
und dann sehr zugänghch bleiben, allerdings raeist nur vorübergehend.
7. Die Befehlsautomatie und die Echopraxie.
In äußerem Gegensatz zum Negativismus steht die Befehlsautomatie
ivianche Kranke folgen irgendwie gegebenen Antrieben von außen mehr oder
vveniger mechanisch, und gelegentlich sind sie gar nicht imstande, solchen Sugge-
stionen zu widerstehen, auch wenn sie es wünschen. Kurz und sicher gegebene
^etehle werden oft auch von sonst widerstrebenden Kranken sofort ausgeführt
J^s muß sich allerdmgs um einfache Dinge handeln, wie vom Essen aufzustehen"
SKJh anziJdeiden; eme andai;ernde Arbeit, ein Aufsatz z. B. läßt sich nicht in
üieser Weise erzwingen. Auch unangenehmen Aufforderungen leisten solche
11*
164
Schizophrenie.
Kranke Folge: so strecken auch nicht analgetische Patienten wiederholt die
Zunge heraus, obgleich sie wissen, daß man in diese einsticht.
Zur Befehlsautomatie rechnet Kraepelin auch die Flexibilitas cerea.
Wir haben sie in anderem Zusammenhang beschrieben, unter anderem deswegen,
weil kataleptische Symptome auch auftreten können, ohne daß dem Patienten
die Idee gegeben zu sein braucht, er müsse eine bestimmte Stellung festhalten.
Die Aufforderung zu einer Handlung braucht allerdings auch bei Befehlsauto-
matie nicht ausdrücklich gegeben zu sein. Die motorische Komponente, die
in jeder Idee liegt, genügt oft zur Ausführung, So schloß eine unserer Katatoni-
schen die Augen, wenn sie vom Schlaf sprechen hörte, und die deuthchste und
häufigste Teilerscheinung der Befehlsautomatie ist die Echo praxie und Echo-
lalie, das Nachahmen ganz gleichgültig aufgenommener Eindrücke. Leicht
benommene, oft aber auch ganz besonnene chronische Patienten machen, meist
ohne sich dabei etwas zu denken, also auch ohne zu widerstreben, die verschieden-
sten Handlungen, die sie von anderen sehen, nach : Mimik, Bewegungen, Schreien,
Worte. Das Symptom wird deshalb auf den Abteilungen recht unangenehm. In
einer Pflegeanstalt, wo die Kranken sehr schlecht disziphniert waren, sah ich
viele Male, daß, wenn beim Essen eine Kranke einen Teller fortwarf, im nächsten
Moment ein halbes Dutzend Geschirre durch die Luft flogen. Schreien, Eaufen
regt an; ein einziger unruhiger Patient kann eine ganze Abteilung ebenfalls
laut werden lassen. Sonderbare Gesten und Stereotypien eines Kranken werden
von anderen nachgemacht; v. M uralt erzählt von einem Katatoniker, der
jahrelang immer einen anderen kopierte. Fragen, die an die Kranken gerichtet
werden, wiederholen sie. In anderen Fällen werden namenthch Bewegungen
nachgemacht, die auffallen, z. B, weil sie sehr brüsk ausgeführt werden. Man
hebt experimenti causa einen Arm plötzlich in die Höhe oder dreht die Hände
umeinander, um vom Kranken imitiert zu werden. Doch können auch Tier-
stimmen, ja Abbildungen aus Büchern, nachgeahmt werden.
Bemerkenswert ist der Eiklinsche Fall (612) von Katatonie, der zeit-
weise auf Fragen, die den Komplex betrafen, im Sinne desselben antwortete,
andere Fragen aber einfach wiederholte. Meist ist es unklar, was für eine materielle
Auswahl die Echopraxie unter den gebotenen Eindrücken trifft. Es gibt auch
FäUe, wo die Echolahe durch Wahnideen motiviert wird, so wenn der Patient
jede ihm gestellte Frage laut wiederholt — an die Adresse Gottes, der ihm dann
sagt, was er zu antworten habe. Auch nach der Seite der Zwangshandlungen
gibt es Übergänge: Wenn eine Hebephrene sprechen hörte, hatte sie die Emp-
findung, wie wenn die Stimmen von unten her in ihr aufstiegen, und fühlte den
Drang, aUes mitzusprechen. Ballet (38, S. 149) beschreibt auch eine „ßcho-
lalie mentale", wobei der Patient Gehörtes innerhch nachsprechen muß, und
eine „ficholalie hallucinatoire", wobei Patient seine Halluzinationen nach-
sprechen muß.
Die Befehlsautomatie kommt häufig in Verbindung mit Negativismus
vor, bald abwechselnd, bald gleichzeitig mit ihm. So sprach em Patient
Kraepelins (389, S. 36) zwar nach, öffnete aber dabei aus Negativismus den
Mund nicht.
Akzessorische Symptome. Automatisraen.
165
8. Die Automatismen.
Auch innere Antriebe können zu automatischen Handlungen führen.
Meist kommen auf diese Weise nur einfachere Akte zustande.
Unbedeutende Bewegungen, Hochheben der Arme, Einnehmen der Stellung
des Gekreuzigten, mit den Füßen an die Wände schlagen, im Kreise herumgehen,
sich verkriechen, Schreien, Tierstimmen nachmachen u. dgl. Ein groi3er Teil der
Bewegungsstereotypen verläuft automatisch. Von eigentlichen Handlungen sind
Ohrfeigen austeilen. Zerreißen, Scheiben einschlagen. Schmieren bei den Anstalts-
insassen recht häufige automatische Entäußerungen. Freie Patienten begehen
etwa einen Mord (472, S. 11) oder eine Brandstiftung. Meist kommt es allerdings
trotz des Antriebes nicht zur Vollendung solcher Übeltaten. Die Kranken benehmen
sich dabei oft so imgeschickt, daß sie das Ziel nicht erreichen, imd daß man manchmal
den Eindruck bekommt, es sei ihnen nicht recht ernst, oder ein innerer Widerstand
hindere sie an der richtigen Ausführung.
Häufiger als Verbrechen gelingen Selbstbeschädigungen, wenn auch die
Mehrzahl der Suizidversuche nicht zum Ziele kommt. Es scheint, daß einzelne
Fugues (siehe unter: Akute Syndrome) auch zu den Automatismen gehören; die
meisten werden aber hysteriform sein.
Es gibt verschiedene Grade des Automatismus, je nach der Menge und
der Art der abgespaltenen Assoziationen.
1. Der Kranke zerreißt mit vollem Bewußtsein dessen, was er tut, die
Kleider; er glaubt, selbst die Handlung zu wollen, kennt aber die Motive nicht.
Er weiß nicht, warum und zu welchem Zweck er es getan hat. Die Umsetzung
der Idee in Handlung und der ganze zentrifugale Teil des Vorgangs dagegen
läuft in Verbindung mit dem bewußten Ich ab.
2. Auf der zweiten Stufe weiß der Kranke zwar auch, daß er eine Scheibe
einschlägt, aber er wiU es eigentlich nicht tun; die Handlung kommt ihm als
etwas außer dem Willen Stehendes vor. Hier bleibt nicht nur das Motiv, sondern
auch die Umsetzimg in Handlung ohne rechte Verbindung mit der bewußten
Persönlichkeit. Diese ist aber noch so beeinflußt, daß ihr die Handlung gleich-
gültig erscheint. Der Patient tut etwas, was er eigentlich nicht tun will, dem
er sich aber auch nicht widersetzti). Er steUt dem Antrieb seine PersönUchkeit
nicht gegenüber, sie ist noch zu sehr mit demselben verbunden.
3 Im dritten Grade wehi-t sich der Patient gegen den auftauchenden
Antrieb; er empfindet diesen als einen Zwang. Die Person mit ihrem Willen
und ihrer Einsicht stellt sich dem Antrieb gegenüber. Die Zwangsantriebe
werden, wenn sie stärker sind als die Persönlichkeit, zu Zwangshand] u ngen
Die letzteren treten numerisch sehr in den Hintergrund gegenüber den Zwangs-
antrieben und den einfachen ungewoUten Handlungen, die am häufigsten vor-
kommen. °
4 Eine gebildete Katatonika, die während der Aufregungen viel Unsinn
gemacht hatte, äußerte, sie erinnere sich an aUes wie an einen Traum; was sie
getan habe, sei ihr aber ein Gebot gewesen, ein moralisches Gesetz, kein eigent-
cher Zwang; es sei ihr aUes ganz vernünftig vorgekommen. Hier hat der Impuls
die^g^schwachte Überlegung des halben Traumzustandes beeinflußt; die Impd
1) Schreber „läßt das Brüllen einfach über sich ergehen".
se
166
Schizophrenie.
kamen ihr noch als etwas fremdes vor („ein Gebot"), aber sie waren so mit dem
Ich verbunden und beeinflußten das bewußte Denken so, daß die Patientin
nicht darüber räsonieren konnte.
5. In einzelnen Fällen beobachtet man, daß die Kranken zwar wie Normale
ihrer Absicht entsprechend essen oder die Hand geben, aber die Empfindung
haben, wie wenn die Glieder das Gewollte ohne ihr Zutun ausführen: ,,Ich tue
es gar nicht, die Hand gibt sich Ihnen selbst". Hier ist der ganze Antrieb zur
Handlung in normaler Weise mit dem Ich verbunden ; der Übergang des Willens
auf die zentrifugalen Bahnen geschieht aber ohne Verbindung mit dem Ich-
komplex. Die Patienten registrieren mit den Augen, meist auch mit den kin-
ästhetischen Sinnen die Handlung ihrer Glieder. Solche Fälle sind nach meiner
Erfahrung am ehesten in subakuten Stadien zu beobachten, aber nicht ge-
rade häufig.
6. öfter ist die ganze automatische Handlung von der bewußten Person
des Patienten abgespalten: die Glieder tun etwas, der Mund spricht etwas,
von dem die Patienten nur als Zuschauer während der Ausführung durch ihre
Sinne Kunde erhalten wie eine dritte Person. Namentlich Schreiben und Sprechen
kommt oft auf diese Weise zustande. Nur das sind die automatischen Handlungen
im vollen Sinne des Wortes. Unrichtigerweise werden sie auch etwa als Zwangs-
handlungen bezeichnet; es findet aber kein Widerstand, also auch kein Zwang
statt. Die Kranken kommen nur insofern in eine Zwangslage, als sie während
des Ablaufs der Automatismen ihre damit beschäftigten Organe zu nichts anderem
brauchen können.
Zwischen den angeführten Kategorien von automatischen Handlungen
gibt es alle Übergänge ; es ist aber bemerkenswert, wie genau oft ganz ungebildete
Patienten die Anomalien schildern können, wenn man sich nur hütet, ihnen
etwas zu suggerieren.
Oft beklagen sich auch melancholische Schizophrene, sie seien Automaten.
Das hat aber mit Automatismen nichts zu tun, sondern will meist ausdrücken, daß
sie nicht mehr die gewöhnlichen Affekte haben und nach ihrer Meinung „ganz
gefühllos" sind.
Automatismen können auch eine gewollte Handlung verändern.
Eine etwas komplizierte Strickarbeit wird immer schlechter; die Patientin gibt
an, sie'^^habe ganz gut gewußt, wie das Muster eigentlich hätte sein sollen, es
„ging ihr aber einfach auf die falschis Art". Ein Radfahrer muß absteigen; er
kann das Rad auch nicht mit der Hand führen, es geht nicht wie er will „es ist,
wie wenn das Rad verrückt wäre". Ein Paranoider will einen Brief schreiben;
gegen bessere Einsicht muß er „Verrücktes" hineinschreiben und nachher
streichen.
Besonderen Charakter bekommen die Automatismen der Sprache. Die
Kranken sind etwa selbst verwundert über das, was sie sprechen oder (was nicht ganz
das Gleiche ist) was die Zunge spricht; sie vernehmen das nur durch das Gehör. Uder
die Worte werden ihnen auf die Zunge gelegt, so daß sie sie sprechen müssen ,
oder „das Maul spricht, ohne daß der Patient es will"; die Worte kommen schon
ausgesprochen auf die Zunge, ganz fertig" (Pfersdorff, 562). Bei Schizophrenen
handelt es sich fast nie um längere zusammenhängende Reden, sondern um emze ne
Worte und Sätze und dann um zerfahrenen GaUimathias. Gramer (141) hat bei
zwei
Akzessorische Symptome. Automatismeu. 1G7
.isprachigen Katatonikera beobachtet, daß das Zwangsreden mir in der Mutter-
spräche auftrat ^^.^^,1^^^, ^3,den, die oft nicht nur schlimme
Worte aÄ sondern sie 'an die Stelle von gewollten Worten m.t guter Bedeu.
tung setzt.
Die Automatismen erstrecken sich auch auf die innere^ Pf'^f J^'
gänge. Die Kranken richten ohne oder gegen ihren ^ülen die Auf merksam^
keit auf einen äußeren oder inneren Vorgang, oder „es denkt m ^^nen es
macht in ihnen VorsteUungen" ; dem Denken fehlt die Empfindung der Spon-
taneität. Dazu kommt oft noch der wirkhche Zwang zu denken (was sie
nicht wollen und wann sie nicht wollen); „tausend Dinge Milhonen
Sachen muß ich denken'', dabei haben die Kranken doch oft das Gefühl des
\rbeitens, einer Anstrengung, einer schrecklichen Ermüdung. Oft sind es mcht
fortgesponnene Gedanken, sondern einfache Erinnerungsbilder, die zwangs-
mäßig auftauchen („Zwangserinner n"). . .
\uch der Inhalt der Gedanken kann die Patienten plagen: eine Kranke
mid3 sich vorsteUen, daß ihre Verwandten sterben, und hat dabei Schuldgefühl
(Übergang zu Wahnideen); eine andere muß mit Abscheu denken, wie man
Hühner rupfe. Bei einem Paranoiden „arbeitet die Gedankenmaschine so,
daß es ihm beinahe war, als ob ihm eine Stimme zurufe: tue das" (Ubergang
zu HaUuzinationen; später hatte er auf Befehl von HaUuzinationen Mordtrieb,
dem er aber widerstehen konnte).
Manchmal haben die automatischen Gedanken auch angenehmen Inhalt.
Die Kranken beschäftigen sich mit ihren Wunschkomplexen, die auch versteckt
sein können; sich aufdrängende Lieder beziehen sich auf den Geliebten. Die
Gedanken können auch angenehm und unangenehm zugleich (ambivalent)
sein, so bei einer Paranoiden, die denken mußte: „Ich liebe dich, mich reizt
deine schöne Gestalt. Und bist du nicht wiUig, so brauch' ich Gewalt", wobei
sie sich zugleich den Geliebten vorstellen mußte.
Das Zwangsdenken (der „Denkzwang") ist das häufigste aUer automatischen
Phänomene. Es hat seinen Gegensatz in dem zwangsmäßigen Aufhören
des Denkens. Schon die gewöhnhchen Sperrungen, die aus dem Unbewußten
kommen, sind ja im Prinzip nicht unterscheidbar von Automatismen; wenn
aber den Kranken die Gedanken ,, fortschleichen" oder gar ,, fortgenommen
werden", so muß man wohl eine automatische Denkhinderung annehmen.
Auch affektive Vorgänge können subjektiv den Eindruck des Auto-
matischen, Zwangsmäßigen oder Fremden machen. Manche Kranke sind lustig
oder traurig und wissen nicht warum, empfinden die Stimmung deswegen als
von außen „gemacht". Mimische Äußerungen ohne Affekte können so ent-
stehen: das schizophrene unbegründete Lachen, gelegentlich auch krampf-
artiges Weinen ist oft ein Automatismus. Es kann auch nur die Bewegung
des Lachens, nicht der Akt als solcher, empfunden sein; den Kranken kommt
das Lachen dann vor wie eine peripher ausgelöste Muskelaktion (,,das ziehende
Lachen"). Manchmal tritt das Lachen auf, wenn durch irgend eine Anspielung
der Komplex des Patienten getroffen wird; in einzelnen Fällen erkennen die
Kranken selbst einen Zusammenhang zwischen Komplex und schizophrenem
Lachen.
168
Schizophrenie.
Auch zentripetale Funktionen haben das Timbre des Fremdartigen,
ja des Aufgezwungenen; von den HaUuzinationen ist das bekannt; eine unserer
Katatonischen „machte man zwangsunwohl".
Sogar die Träume können den Patienten als Produkt fremden Einflusses
erscheinen und subjektiv den gleichen Charakter haben wie das Zwangsdenken.
Die Kranken fassen die automatischen Vorgänge in ver-
schiedener Weise auf. Meist machen sie sich gar keine Gedanken über die
Abnormität; um so mehr aber empfinden sie den Verlust der Spontaneität und
müssen infolgedessen die Vorgänge als etwas ihnen Fremdes ansehen. Die weniger
Gleichgültigen glauben sich heutzutage meist „suggestioniert", auf magneto-
elektrischem Wege oder sonst wie physikahsch beeinflußt; Abergläubische sind
natürlich verzaubert oder besessen, teils von einem guten oder bösen Geiste,
teils auch von Menschen, die sich in ihnen eingenistet haben, gelegenthch sogar
von allerlei Getier. Christus oder der Teufel handeln und sprechen durch die
Patienten, bringen ihnen die Gheder in bestimmte Stellungen usw. Die Gedanken
werden ihnen auf irgend einem natürhchen oder unnatürlichen Wege ,, zugestoßen",
„in den Kopf gedrückt'' (Schneie).
DieÄrzte, die Eltern, der Geliebte, die Vögel und dann alle jene halbabstrak-
ten Begriffe, die die Verfolgungen und die Verfolgenden bezeichnen, sind es, die
aus Bosheit, zum Experimentieren oder auch aus guten Gründen mit allerlei
Maschinen und mit Zauber die Gedanken, Bewegungen und Affekte hervor-
bringen, unterdrücken oder auf Abwege lenken. Manche Kranke unterscheiden
auch innerhalb der automatischen Gedanken diejenigen, die von anderen gemacht
sind, von den spontan auftretenden; „sowie mit meinen Gedanken ein Stich
am Knie oder ein Druck auf der Schulter verbunden ist, so weiß ich, daß es
gemachte Gedanken sind" (Schneie).
In allen Fällen fühlt sich die Persönlichkeit ihrer inneren mid äußeren
Handlungen nicht mehr mächtig und einer fremden Gewalt ausgehefert, sie ist
,,der reinste Willenssklave".
Als von der Persönhchkeit losgelöste psychische Äußerungen sind die
Automatismen als solche selten von bewußten Gefühlen begleitet. Die
Kranken können tanzen oder lachen, ohne fröhhch zu sein; einen Mord begehen,
ohne zu hassen; sich selbst umbringen, ohne des Lebens überdrüssig zu se n.
Die Automatismen beeinflussen gewöhnhch die Grundstimmung nicht und
werden meist nicht von ihr beeinflußt.
Immerhin gibt es sekundäre Gefühlsregungen im Zusammenhang mit
denselben. Das automatische Denken wird teils direkt, teils weil es die Kranken
mahnt, daß sie nicht Herr ihrer selbst sind, ganz unerträgHch. Zwangsimpulse
werden schwer empfunden, indem sie mit Angstzuständen verbmiden sind und
innere Kämpfe hervorrufen.
Die Reaktion der Kranken gegenüber ihren Automatismen
ist sehr verschieden. Viele lassen einfach geschehen. Gegenüber den verbrecheri-
schen Antrieben fehlt ein gewisser Widerstand selten, auch wenn er dem Kranken
nicht zum Bewußtsein kommt. Wenn alle die aUtäghchen Zwangsantriebe, Unheil
Akzessorische Symptome. Impulsivität.
169
anzurichten, zui- Ausführung kämen, würden die Schizophrenen die Welt be-
ständig in Atem halten. Sogar einer, der schon Raubmord begangen hat, kann
dem Trieb, den Staatsanwalt zu töten, widerstehen und ihn als einen lästigen
Fremdkörper empfinden. Einzehie Kranke erfinden geradezu Schutzmaßregeln
gegen die Zwangsantriebe; einer, der bloß gezwungen wird, zu singen, kann sogar
ein Holz verlangen, das er sich in den Mund stecken will, um sich (d. h. seine
Organe) daran zu hindern. Nicht selten entschuldigen sich die Kranken, nach-
dem ihre Automatismen etwas Dummes angestellt haben.
In leichteren Fällen kann es vorkommen, daß Zwangsideen und Zwangs-
impulse nicht nur als etwas Fremdes, sondern auch als etwas Krankhaftes emp-
funden werden, und daß die Reaktion darauf eine ähnliche ist wie bei der ein-
fachen Zwangsneiu-ose. Immerhin ist es sehr selten, daß nicht andere Symptome,
namenthch die Gleichgültigkeit gegenüber den Automatismen oder ganz schiefe
Auffassungen derselben die Schizophrenie erkennen lassen.
Gegenüber den inneren Automatismen sind die Kranken natürlich ganz
ohnmächtig. Die einen reagieren aber ihre unangenehmen Empfindungen durch
gelegentliches oder kontinuierliches Schimpfen ab, die anderen verscMießen sich
noch mehr in sich selbst.
9. Die Impulsivität.
Die Impulsivität, die bei vielen Katatonikern im Vordergrund steht, ist
kein einheitliches Symptom. Ein großer Teil der sogenannten impulsiven
Handlungen sind automatische in einer der eben angeführten Bedeutungen.
Andere sind Affekthandlungen. Ein Patient weiß mit sich selber nichts mehr
anzufangen, alle Sinneseindrücke wie seine eigenen Gedanken plagen und reizen
ihn ; so kann er's nicht mehr aushalten ; es muß etwas geben, etwas anders kommen ;
wie und was, ist gleichgültig, nur etwas anderes. Nachdem er einige Tage oder
Wochen in dieser Stimmimg gewesen, bricht er auf einmal los, schlägt, zerstört
in größter Wut. Nach einigen Sekunden bis einigen Stunden, selten erst nach
Tagen, beruhigt er sich, bald plötzHch, bald aUmählich. Die „Entladimg" hat
die „Spannung" für- einige Zeit gemildert, der Patient fühlt sich erleichtert
mnerhch und äußerlich. Was er getan hat, ist im Prinzip gleichgültig; er läßt
eben seine Wut an dem aus, was seinen Händen zunächst ist. In schwächeren
FäUen genügen Schimpfausbrüche dem Bedürfnis. Reue ist bei der Schizo-
phrenie nach solchen Entladungen natürlich selten; die Patienten fühlen sich
zur Handlung berechtigt, oder sie sind zu gleichgültig, um es anders zu wünschen.
Uft geben sie an, daß Stimmen sie in Wut versetzt haben; für den Beobachter
ist das aber keine ausreichende Begründung.
Eine zweite Gruppe impulsiver Affekthandlungen unterscheidet sich nur
gradueU von normalen Akten im Affekt: Die Patienten werden leicht erregf
bei der Spaltung der Assoziationen werden hemmende Faktoren oft 'nicht herbei-
gezogen; so kommt es zu allerlei unüberlegten Handlimgen, tätlichen Angriffen
maßlosem Schimpfen, aber auch zu anderen Streichen, plötzlichem Verlassen
tL '^t' ^r"^*""^'^ ^^''"^ ^"^^^ ^"^^ ^i"^ Menge nicht katatoni-
tlh^ ™' ^P^^^"' P^-^g^l^ ^''^ ^i^-^al seinen
Nach^ax oder zerschlagt die Flasche, weil jener bessere Karten bekommen
170
Scliizoplircnie.
Den Affekthandlungen gegenüber stehen die Handlungen aus patho-
logischem Einfall. Der schizophrene Assoziationsverlauf bringt ohne ge-
nügenden Zusammenhang mit den vorhandenen Ideen nicht nur einfache Ge-
danken, sondern auch solche mit motorischer Komponente ins Bewußtsein;
„es fällt dem Patienten ein", das und das zu tun. Oft hat er keinen Grund oder
keine Möghchkeit zu widerstreben, der Einfall wird in Tat umgesetzt, handle
es sich darum, einen Nachttopf auf den Kopf zu setzen oder ein Haus anzu-
zünden oder die Knöpfe an den Kleidern abzureißen. Das Bewußtsein des
Patienten kennt weder affektive noch intellektuelle Motive der Handlung.
Diese verschiedenen Arten von impulsiven Akten sind in praxi natürhch
nicht so reinhch getrennt; es gibt viele Mischfälle. Eine gewisse Begründung
der schlechten Stimmung durch unangenehme Erfahrungen kann der Entladung
des gespannten Gemüts vorausgehen: der bei Schizophrenen so häufige Zucht-
hausknall ist eine Affekthandlung aus beiden genannten Motiven zugleich;
die als migerecht empfundene Behandlung und das Bedürfnis nach Entladung
wirken zu dem gleichen Ende. Auch der Einfall kann durch einen Anlaß aus-
gelöst werden, oder er kann inhaltlich durch Komplexe bedingt sein, so daß man
z. B. gerade seinem Feinde die Bäume zerstört, obschon im Bewußtsein kein
Motiv vorhanden ist.
■8-) Akute Syndronne.
Der Gang der Krankheit wird häufig unterbrochen durch akute Sjiidrome,
vorübergehende Zustände, die sonst meist als selbständige Psychosen aufgefaßt
und mit vielen verschiedenen Namen belegt worden sind. Dieselben sind in den
Erscheinungsweisen sowohl wie genetisch sehr verschieden. Es kann sich
handeln um:
1. Schübe des pathologischen Prozesses. Hierher gehören wohl viele
katatonisch-halluzinatorische Formen und ein Teil der stuporösen Benommen-
heiten.
2. Einfache Exazerbationen des chronischen Zustands; z. B.
halluzinatorische A.ufregungen bei chronischen Halluzinanten ; schwere akute
Katatonien bei Dauerzuständen von leicht katatoner Färbung. Die hyper-
kinetischen Katatonien erscheinen oft nur als Steigerungen der sonst vorhandenen
Bewegungen, die akinetischen als Übertreibungen der chronischen Willen-
losigkeit. In ähnlicher Weise können die meisten akuten Syndrome bloße Stei-
gerungen von chronischen sein.
3. Abnorme Eeaktionen der kranken Psyche auf gefühls-
betonte Erlebnisse. Hierher gehören die hysteriformen Dämmerzustände
und manche Schimpfanfälle auf äußere Eeize.
4 Nebenprodukte des Krankheitsprozesses, deren Zusammen-
hang mit demselben wir vorläufig nicht verstehen: wahrscheinhch ein Teil der
melancholischen und manischen Verstimmungen.
5. Zustände, die gar nicht der Krankheit als solcher angehören,
sondern dieselbe komplizieren oder höchstens von derselben
Akzessorische Symptome. Akute Syndrome.
171
ausgelöst werden: wahrscliemlicli ein Teil der periodischen und zyklischen
Formen manischer und melancholischer Verstimmung bei Schizophrenie.
Diese verschiedenen Zustände lassen sich aber nicht nur für unser jetziges
Wissen nicht scharf trennen, sie mischen sich in Wirklichkeit in behebigen Ver-
hältnissen. Sie erwachsen ja alle auf dem gleichen Boden und sind Symptome
der gleichen Disposition. Eine Exazerbation des Krankheitsprozesses kann
leichte Dauersymptome zu einer akuten „Psychose" steigern; die sichtbaren
" Erscheinungen sind aber auch in einem solchen Falle zum größten Teil psychisch
bedingt. Deshalb kann umgekehrt ein besonders starker psychischer Chok
ohne Verschlimmerung im Kranldieitsprozeß ein ähnhches oder gleiches Bild
hervorbringen. Es ist somit selbstverständlich, daß die verschiedenen und zum
Zwecke der Beschreibung auseinander gehaltenen Zustände sich in der mannig-
faltigsten Weise mischen müssen und ganz reine Symptomengruppen kaum
anzutreffen sind. Mischungen verschiedener Zustände, z. B. MelanchoHe, Kata-
tonie, Dämmerzustand und Benommenheit, sind etwas ganz Gewöhnüches.
Es ist dann ^villkürlich, nach welcher Symptomengruppe man das Bild benennt.
So lassen sich über die allgemeinen Erscheinungen bei den einzelnen Zu-
ständen nm- insofern Regeln geben, als jedes herausgeschnittene Bild gewisse
Symptome notwendig einschheßt und andere ausschließt. Wir nennen nichts
Katatonie, was nicht katatone Symptome zeigt; ein Dämmerzustand kann
keine normale Orientierung aufweisen. Im übrigen kann der Grad der Klarheit
oder der Spaltung des Bewußtseins bei jedem Bilde vom Maximum zum Mini-
mum wechseln. Ebenso die Ablenkbarkeit und die Reaktionsfähigkeit auf
äußere Eindrücke.
Wir sind noch nicht imstande, alle die verschiedenen akuten Krankheits-
bUder herauszuheben; es lassen sich deswegen nicht alle Fälle in den Kategorien
unterbringen, die wir anführen werden. Doch treffen wir damit die meisten
vorkommenden Bilder.
Die Anfälle kommen etwas häufiger in den ersten Jahren als im späteren
Verlauf der Krankheit vor. Sie können mit oder ohne Vorläufer auftreten
(Verstimmungen und andere psychische Symptome, vasomotorische Störungen,
wie Injektion der Slderen, Tremor usw.). Die Dauer der Anfälle kann sich von
einigen Stunden bis zu Jahren ausdehnen.
Die nachträgliche Erinnerung an die Anfälle ist sehr- verschieden. In
der Natur der Dämmerzustände liegt es, daß die Kranken sich nachher an die
Erlebmsse im AnfaU nicht gut oder gar nicht erinnern. (Allerdings ist zum
Unterschied von Hysterie und Epilepsie eine voUständige Amnesie recht selten )
Auch nach Benommenheitszuständen besteht meist mehr oder minder ausge-
sprochene Amnesie. Bei den manischen und melancholischen Syndromen herrscht
die gute Erinnerungsfähigkeit vor; bei den katatonen und paranoiden verhält
sich das Gedächtnis sehr verschieden. Da, wo keine Amnesie besteht, ist man
Ott überrascht, wie genau die Patienten noch nach vielen Monaten über ihre
inneren und äußeren Erlebnisse Bescheid geben können. Es kommt auch bei
den verschiedensten Zuständen vor, daß - anscheinend regellos - ein gewisser
ieii der Erlebnisse, einige Wochen, einige Monate, vergessen sind, während
das übrige reproduziert werden kann.
172
Schizophrenie.
1. Melancholische Zustände.
Die melancholische Symptomentrias mit depressivem Affekt und Hem-
mung des Denkens und Handelns ist eine der häufigsten Formen akuter Störungen
in der Schizophrenie.
Verstimmvmgen, die auf der Einsicht oder der unklaren Empfindung des
Mangels an Leistungsfähigkeit und des richtigen Rapports mit der Außenwelt
beruhen, sind normale Reaktionen auf schmerzhche Wahrnehmungen. Sie
werden der Natur der Sache nach im Anfang der Krankheit häufiger vorkommen
als später.
Neben derartigen physiologischen Depressionen gibt es aber auch solche,
die irgendwie im Krankheitsprozeß begründet sein müssen. Es sind dies wohl
die gewöhnHchen schizophrenen „Melanchohen".
Außerdem lassen manche Fälle an eine Komphkation mit manisch-de-
pressivem Irresein denken. Symptomatologisch haben wir zurzeit noch keine
Anhaltspunkte, die beiden letzten Formen auseinander zu halten.
Die Depression hat alle die verschiedenen Charaktere, die wir von anderen
Krankheiten her kennen: einfaches schmerzHches Gefühl unabhängig von den
Erlebnissen, Ängstlichkeit, sich steigernd bis zu wilder Angst, seltener Weinen,
oft aber lautes Schreien und verzweifeltes Jammern, dann depressive Hemmung
bis zur Bewegungslosigkeit. Viele Kranke behaupten auch ganz gefühllos zu
sein und beklagen sich darüber.
Das Bild der MelanchoHe wird getrübt nicht nur durch schizophrene Sym-
ptome, sondern auch zuweilen dadurch, daß ein Teil der Persönhchkeit nicht melan-
chohsch ist und die ängstHchen Ideen ignoriert, kritisiert oder darüber Witze
macht; schizophrene Schwermütige können über ihre melanchohschen Wahn-
ideen und Handlungen lachen. Häufiger entbehrt das Bild in Nebensachen der
EinheitHchkeit. Während die Patienten nichts Nützhches tun können, ja
nicht einmal essen, sind sie in beständiger Bewegung, die oft eintönig erscheint,
aber nicht wie bei den agitierten Formen der organischen Melanchohen Ausdruck
des Kummers und der inneren Unruhe ist. Der Kranke jammert zwar auch,
sagt tausendmal im Tage das Gleiche: man solle ihm den Kopf abhauen, er wolle
heim, er sei der schlechteste Mensch, er komme in die Hölle — aber dazu macht
er eine Menge durch die Depression nicht erldärbarer Dinge, zerreißt das Hemd,
die Decken, zerkratzt nicht nur seine Haut, sondern auch die Wand; geht tägüch
hunderte von Malen aus dem Bette, hindert den Wärter täthch an der Pflege
anderer Kranken, schmiert, zerschlägt Geschirr. Ganz brutale Selbstmord-
versuche, mit dem Kopfe gegen die Wand rennen, sich mit einem Sprung aus
dem Bett auf den Kopf stürzen, aUerlei Selbstbeschädigungen sind nicht selten.
Manchmal haben die Selbstmordversuche mehr den Charakter des Spiels: der
Kranke stopft sich in Gegenwart des Wärters einige Tage lang beständig das
Kissen in den Mund; eine Patientin will sich mit dem eigenen Zopf auf ganz un-
mögliche Weise erdrosseln, sie stopft die ganze Faust in den Mund, um sich zu
ersticken. Nahi-ungsverweigerung ist dabei etwas Gewöhnhches, doch wird gar
nicht immer die Sonde nötig.
Auch wenn der Affekt die ganze Persönhchkeit zu beherrschen scheint,
haben seine Äußerungen in der Regel den schizophrenen Charakter der Steifig-
Akzessorische Symptome, Melancholische Zustände. Manische Zustände.
keit, des Gemachten, Übertriebenen; man glaubt nicht recht an eine tiefe Emp-
findung. Doch gibt es sogar bei älteren Fällen wirkUch melancholische De-
pressionen. Auch kommt die ganze Lage, die Unfähigkeit zu handeln, den
Kranken oft schmerzHch zum Bewußtsein. Manche suchen sich dann darüber
Klarheit zu verschaffen, ohne an ein Ziel zu kommen.
Den melanchoUschen Hemmimgen der Motiütät mischen sich oft die
Symptome der Sperrung und der Katalepsie bei, so daß man das Gesamtbild
niu- schwer zerghedern kann.
Die Ideenhemmung zeigt sich nicht nur in langsamem Denken und in
Entschlußunfähigkeit, sondern ganz besonders in einem extremen Mono-
ideeismus, der im Gegensatz zur einfachen Melanchohe hier geradezu absolut
sein kann. Es lassen sich oft lange Zeit keine Spuren von anderem Denken
auffinden als die beständig geäußerten Wünsche, Klagen oder Verwünschungen,
und jeder Versuch, die Kranken auf ein anderes Thema zu bringen oder auch
nur das gegebene weiter auszuspinnen, scheitert vollständig.
Wahnideen und namentlich Halluzinationen fehlen selten. Stim-
men drohenden und anklagenden Inhalts, giftige Dünste, elektrische Einwirkungen,
Feuer werden oft wahrgenommen. Die Patienten glauben sich auf alle Art gequält,
sie werden getötet, ihren Kindern werden die Augen ausgestochen, es sind unter-
irdische Marterkammern da, worin sie in der Nacht verweilen müssen, man
hefert sie den anderen Kranken zum Zerfleischen aus, sie haben alle erdenklichen
Sünden begangen, ihre Liebsten unglücklich gemacht, umgebracht.
Oft sind die Wahnideen rein hypochondrisch. Die „hypochondrische
Melanchohe" der Autoren ist, wenn nicht eine organische, in der Regel eine
schizophrene Melanchohe. NamentHch der C o tat d sehe Symptomenkomplex
gehört bei Nichtorganischen fast nur der Schizophrenie an, denn hier können
Größenideen ungestört durch logische Widersprüche sich neben den schhmmsten
Befürchtungen entwickeln und halten. Die größte Sünderin ist zugleich Königin
der Nacht; sie füllt das ganze W^eltall, ist ewig, betont aber auch diese Vor-
stellungen mit negativen Gefühlen.
2. Manische Zustände.
Den verschiedenen Arten melanchoHscher Zustände gegenüber stehen die
manischen (gehobene Stimmung, Ideenflucht, Beschäftigungsdrang). Sie
kommen allein vor oder — seltener — in zyklischer Form abwechselnd mit
melanchohschen Zuständen, mischen sich aber auch leicht mit Katatonien.
Die Stimmung der schizophrenen Manischen ist gewöhnlich mehr eine
mutwiUige als eigen thch gehobene; die Kranken haben Freude an aUerlei Dumm-
heiten und schlechten Scherzen. Besonders Hebephrene sind da in ihrem
Element; sie reißen dumme Witze, zoten, machen sich über aUes lustig, die Um-
gebung, die Famihe, die höchsten Güter der Menschheit. Der Kranke schimpft
renommiert, flucht, streckt die Zunge heraus, verdreht die Augen, spricht sehr
^ut mit eigentümhcher Betonung, gestikuHert lebhaft, übertrieben, karildert der
Kede unangepaßt, täppisch ; turnt wie ein Schlangenmensch, hegt da mit dem Kopf
™chen den Beinen, deklamiert, singt, betet. Tag und Nacht werden aUe mög-
hchen unangenehmen Gewohnheiten fortgesetzt: Zerstören, Schmieren, Lärmen
174
Schizophrenie.
Zornaiisbrüche kommen noch häufiger vor als bei der gewöhnlichen Manie
seltener die vorübergehenden Umschläge in weinerliche Traurigkeit. Die ersteren
können hier ohne äußeren Anlaß entstehen. In manchen Fällen bemerkt man
von der Euphorie nur wenig. Der Patient macht in Frölüichkeit wie eine Maschine,
oder wie auf Befehl; das Benehmen ist das eines übermütigen Kindes, nicht
aber die Mimik und die Rede. Auch manische Schizophrene können schweig-
sam, geradezu mutistisch sein. Sie setzen sich überhaupt wenig in Beziehung
zur Umgebung, schheßen die Augen, in einzehien Fällen kontinuierlich wochen-,
monatelang. Die Ablenkbarkeit fehlt zeitweise oder andauernd; ganz unbe-
kümmert um die Umgebung machen die Kranken ihre Faxen und Turn- und
Sprachübungen. Die Ideenflucht mischt sich oft mit den schizophrenen zer-
fahrenen Assoziationen; kaum je kann sie von diesen ganz verdeckt werden.
Der manische Beschäftigungsdrang wird oft zu einem bloßen Bewegungs-
di'ang. Schienen in den angeführten Beispielen die Bewegungen doch noch
einen gewissen Zweck zu haben, so können sie schheßlich für den Zuschauer
ganz unsinnig nur als Bewegungen erscheinen: der Kranke wirbelt herum;
schlenkert jetzt die Beine in der Luft, nun den einen Arm, nun trällert er, schwingt
sein Taschentuch, klopft einige Male auf den Stuhl, wirft diesen um, zupft an
den Kleidern, setzt sich, wirft sich auf den Boden, schreit, brüllt. Solche Fälle
bilden die Übergänge zu den katatonen Aufregungen, die nichts Manisches an
sich zu haben brauchen. Dies dokumentiert sich auch darin, daß viele der Be-
wegungen sich immer wiederholen und schließhch sehr leicht ganz stereotypiert
werden. In einzelnen Fällen zeigt sich die schizophrene Herabsetzung des Be-
schäftigungsdranges in ganz auffallender Weise. Obschon diese Patienten ideen-
flüchtig und gehobener Stimmung sind, auch Pläne machen und uns sogar mit
Briefen überschütten, bringt man sie nicht dazu, eine Arbeit nur zu versuchen.
Ebenso auffallend ist die Neigung, sich zurückzuziehen. Während der (manisch-
depressive) Manische mit Heißhunger die Außenwelt in sich aufnimmt mid
sich übereifrig mit ihr beschäftigt, ignoriert sie der schizophrene Manische
mehr oder weniger.
Auch hier kommen Halluzinationen recht häufig vor; es ist aber meist
schwer, Auskunft über ihren Inhalt zu bekommen. Die Wahnideen sind,
wenn überhaupt vorhanden, gewöhnhch flüchtig, haben Größen- oder Verfolgungs-
charakter; sie tauchen momentan auf, um im nächsten Augenbhck nicht mehr
nachweisbar zu sein. Doch halten sich namenthch Verfolgungsideen oft auf
die Dauer, ebenso manchmal erotische.
Manisch-depressive Mischzustände im Sinne von Weygandt habe
ich bis jetzt bei der Schizophrenie nicht gesehen; es ist aber wohl möglich, daß sie
auch da vorkommen.
3. Katatonische Zustände.
Katatone Symptome mischen sich in der Regel den manischen und melan-
cholischen Zuständen bei, unter Umständen in so hohem Maße, daß sie das Bild
beherrschen, und man von einer manischen oder melanchohschen Katatonie
sprechen kann. Die alte Melanchoha attonita, soweit sie diesen Namen verdiente,
gehörte hierher. Im folgenden soll aber nur von denjenigen alcuten Häufungen
katatoner Symptome gesprochen werden, die nicht einer der Affektpsychosen
Akzessorische Symptome. Katatonische Zustände.
175
im alten Sinne beigezählt werden können. Es handelt sich um mancherlei Zu-
standsbilder, die nicht nur dem Aussehen nach, sondern auch m ihren psychologi-
schen Mechanismen sehr verschieden sind. Zusammengehalten werden sie eben nur
durch die katatonen Erscheinungen, die sich ganz verschieden gi-uppieren können.
Das äußere Bild dieser Formen läßt sich am besten m zwei Extremen
beschreiben, die ungefähr der akinetischen und der hyperkinetischen Motüitäts-
psychose Wernickes entsprechen.
Von altersher bekannt waren die akinetischen Zustände der Attonität,
des Stupors und der Flexibilitas cerea. In irgend einer Stellung,
meist mit Überwiegen der Flexoren, sitzen, kauern, liegen die Kranken da; in
den hochgradigen Fällen sind die Bewegungen nahezu auf Null reduziert; nicht
einmal der Speichel wird geschluckt; er fließt aus den Mundwinkebi oder wird
solange als möglich im Munde angesammelt; auch die anderen psychisch be-
einflußbaren Eeflexe funktionieren nur ausnahmsweise ; hier kommen am häufigsten
und am hartnäckigsten die verschiedenen Unregelmäßigkeiten in der Entleerung
von Blase und Mastdarm vor. Die Nahrung wird oft nicht geschluckt, sondern
muß mit der Sonde eingegeben werden, meist mit Überwindung heftigen Wider-
standes. Wie häufig eigentliche Verdauungsstörungen vorkommen, ist schwer
zu unterscheiden ; belegte Zunge, ja Fuligo, ist in katatonen Zuständen mit Ver-
wirrtheit nicht selten.
Sonst ist das körperliche Befinden gewöhnlich wenig alteriert; doch
haben die meisten dieser Kranken ein etwas gedunsenes Aussehen, auch dann,
wenn sie abmagern, und die Hautfarbe ist eine andeutungsweise oder ausge-
sprochen livide. Der Schlaf ist meist gestört oder fehlt ganz.
Von diesen Fällen mit verminderter Reaktion gibt es nun
alle Übergänge zu den hyper kinetischen. Die Akinese ist nui: in
selteneren Fällen eine so vollständige, wie oben geschildert: einzelne Bewegimgen
oder unter Umständen auch einzelne Verrichtungen werden noch ausgeführt,
die Kranken wechseln etwa noch den Ort, langsam, zögernd, schwankend, auf
den Zehen, in irgend einer gebückten oder zusammengedrückten Haltung; viele
kauen die in den Mund geschobenen Speisen ; man bekommt auch zuweilen Ant-
worten, leise, langsam. Auch die aktiven katatonen Symptome bringen oft Leben
in das Bild; der Kranke verbigeriert laut oder leise, er macht stereotype Bewegun-
gen, wehrt sich sehr ausgiebig gegen alle Lage Veränderungen (während er auf
Nadelstiche und noch viel unangenehmere Empfindungen reaktionslos bleibt).
Spontane Bewegungen oder Handlungen bei Kranken, die im ganzen eine herab-
gesetzte Motilität zeigen, haben ein typisch katatonisches Gepräge. Die ganze Tätig-
keit eines Kranken bestand während vieler Wochen darin, aus dem Bett zum Nacht-
stuhl und zurück zu gehen, wozu er halbe und ganze Stunden brauchte. Er geht
langsam hin, hebt den Deckel des Stuhles, macht ihn wieder zu, ohne ein Bedürfnis
zu verrichten, geht etwas zurück und wiederholt das viele Male, bis er den Stuhl
endlich benutzt. Wenn er in dieser Tätigkeit gestört wird, oder auch spontan zieht
er seine Zehen krampfhaft in Klauenstellung zusammen und geht so, immer den
Kopf gesenkt, die Augen krampfhaft, aber nur halb geschlossen, hin oder zurück
Er sieht aus wie ein gelangweilter Eeiher in einer Voliere. An der Nase hängt ein
Iropfen. Wird er gestört, so weicht er geärgert aus. Wenn man ihn aber hindert
oder nur ihm folgt, stößt er bei einer bestimmten Ecke des Bettes einen durchdringen-
den bchrei aus und weint dann, wie wenn er tief unglücklich wäre
176
Scbizoplirenie.
Manchmal wird die Ruhe durch katatone Raptus unterbrochen.
Plötzlich springt der Patient auf, zerschlägt etwas, greift mit großer Gewandtheit
und Kraft jemanden an oder stellt irgend etwas im Saal anders, als es vorher war.
Ein Katatoniker erwacht aus der Starre, radelt im Hemd drei Stunden lang
herum, fällt und bleibt kataleptisch im Straßengraben hegen. Auch auf äußere
Einflüsse können auf einmal ganz prompte imd nicht sinnlose Reaktionen
kommen; eine Antwort, eine Zwischenrede verblüfft plötzhch die Anwesenden.
Ein Wirt in hochgradigem „Stupor" hebt einen herabgefallenen Pfropfen auf.
In manchen Fällen kann man von den mutistischen Kranken schrifthche Ant-
worten bekommen; oder sie schreiben sogar spontan ganze Seiten voll.
Die hyperkinetischen Fälle sind beständig in Bewegung, ohne eigen thch
etwas zu tun („Tatenflucht", Fuhrmann, S. 834).
Sie klettern herum, schlagen Purzelbäume, hüpfen über die Betten, klopfen
zwanzigmal auf den Tisch, dann an die Wand, wippen, machen Kniebeugen, werfen
sich in die Luft, schlagen, zerstören, klemmen die Arme in möglichst verrenkter
Stellung zwischen die Radiatoren des Ofens, unbekümmert um Brandwunden,
schreien, singen, verbigerieren, schimpfen, lachen, weinen, spucken herum, machen
Grimassen: traurige, schreckhafte, fröhliche, nehmen einen beliebigen Gegenstand
in"^die Hände, bewegen ihn irgendwie, legen ihn in andere Lage nieder und machen
tausend andere Bewegungen, von denen allerdings der einzelne Kranke sich meist
auf eine gewisse Anzahl beschränkt. Die Bewegimgen haben immer etwas Abnormes.
Wenn die Kranken einen Gegenstand aufheben, so tun sie es in einer besonderen
Weise, wie man es sonst nicht tut; ins Bett steigen sie von der Kopfseite und mit
ganz ungewohnten turnerischen Allüren, oder sie lassen sich hineinfallen usw. Die
Bewegungen werden oft mit großer Kraft, fast immer mit Anstrengung imnötiger
Muskelgruppen gemacht; die Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst scheint manchmal
so groß, wie die gegen die lebende und leblose Umgebung. Das Maß für Kraft und
Ausgiebigkeit der Bewegungen ist verloren gegangen. In stuporösen, kataleptischen
Fällen wiegen energielose Bewegungen vor. Dann wieder wird alles zu kräftig aus-
geführt; eine einfache Geste, die eine Rede begleitet, wird gerne wiederholt, und
das immer energischer und ausgiebiger; irgend eine Erklärimg, eine gleichgültige
Redewendung, die die Kranken abgeben, wird in der katatonen Repetition rasch
zum lauten Geschrei. Auch einmalige Bewegungen werden häufig mit maximalem
Kraftaufwand ausgeführt. Die anderen Zeichen der Katatonie, stereotype Wieder-
holungen, Verbigeration, Karikierung im Gefühlsausdruck, hohles Pathos usw.
fehlen" niemals. Sie reden weniger als entsprechend aufgeregte Manische, oft sind
sie geradezu mutistisch. Teilstücke der Handlungen können scheinbar einen gewissen
Sinn haben, z. B. Nachmachen eines Predigers, des Militärs, eines schüchternen
Mädchens. Man sieht aber keine ganzen Darstellungen. Auch da, wo eine solche
Idee immer wieder auftaucht, wird sie beständig durch andere Handlungen unter-
brochen. Irgend ein Zweck der Handlung ist selten angedeutet: die Kranken ver-
barrikadieren sich in sonderbarer Weise hinter Bettstücken, sie machen sich eine
Höhle aus dem Bettzeug, sie stellen irgendwelches Material, dessen sie habhaft
werden können, in bestimmter, aber recht sonderbarer Weise zusammen. Solche
Handlungen wiederholen sich dann gerne in der gleichen Weise.
Eine Einheit kommt, abgesehen von den beständigen Wiederholungen, in
manchen FäUen insofern in das Bild, als ein — aUerdings schizophren kraft-
loser — Affekt durch alles hindurchgeht. Eine Anzahl dieser Kranken sind
deuthch manisch (mit nachweisbarer Ideenflucht), andere sind melancholisch,
Akzessorische Symptome, Katatonische Zustände.
177
wieder andere gereizt oder ängstlicli und fühlen sich verfolgt. Viele Katatoniker
aber schaffen herum ohne rechten Affekt, wie eine Maschine, oder sie wechseln
mit den karikierten Affektäußerungen alle Augenbhcke. HaUuzinationen
begleiten die Anfälle sehr häufig, aber nicht immer; auch Wahmdeen brauchen
nicht dabei zu sein.
Auch die hyperldnetische Form kann unterbrochen werden; piotzüche
Beruhigungen von kurzer Dauer komplizieren das Bild.
Besonders in den akinetischen Katatonien, aber auch bei den anderen,
zeigen sich oft deutliche Gefäßstörungen (Livor, Ödeme). Die beständige
Bewegung setzt natürhch in den meisten Fällen den Kräftezustand schheßhch
henmter, doch nicht in allen; manche erhalten sich merkwürdig gut, so daß
man einen abnorm haushälterischen Stoffwechsel annehmen muß, wie bei vielen
hysterischen Aufregungen. Die Nahrungsaufnahme ist natürlich sehr
unregelmäßig, oft besteht Abstinenz; der Schlaf ist immer schlecht, oft fehlt
er lange Zeit ganz.
Analgesie ist gerade hier häufig; indes kann sie auch durch die bloße
Reaktionslosigkeit vorgetäuscht werden. Anästhesie habe ich nie beobachtet,
und ich vermute, daß die katatone Anästhesie mancher Autoren nur eine Anal-
gesie war.
Über ihren sonderbaren Zustand machen sich die Kranken meist nicht viel
Gedanken. Manche denken jedenfalls sehr wenig, einzelne vielleicht, wie Brosius
meint, gar nichts. Immerhin wird auch hier passiv recht viel von dem, was um
sie vorgeht, registriert. Dennoch ist die Vigihtät der Aufmerksamkeit meist
eine stark herabgesetzte, besonders in den hyperkinetischen Formen.
Ein ganz großer Teil der Kranken befindet sich während der akuten katatoni-
schen Phase zugleich in einem mehr oder weniger ausgesprochenen Dämmer-
zustand oder sonst in einer aus beständigen Sinnestäuschungen gebildeten Welt.
Sie erklären die Bewegungslosigkeit durch die Vorstellung, von Abgründen um-
geben zu sein, Stimmen drohen ihnen alle Scheußhchkeiten, wenn sie sich be-
wegen, oder versprechen ihnen Herrhchkeiten, wenn sie es nicht tun; sie dürfen
nicht schlucken, ihre Bedürfnisse nicht auf dem Nachtstuhl verrichten u. dgl.
Oft spüren sie die Unmöghchkeit der Bewegungen subjektiv als Steifigkeit oder
Lähmung.
Auch in den hyperkinetischen Formen scheint oft — nicht immer — das
Verhalten durch massenhafte Halluzinationen bestimmt. Es handelt sich oft
um Abwehr-, Flucht- und Agressivbewegungen, die aber unzweckmäßig oder
geradezu apraktisch oder unkoordiniert erscheinen. Die Begründung der Handlun-
gen und der Unterlassungen aus den Halluzinationen ist aber für die Logik des
Gesunden meist eine nicht genügende, so wenn der Patient an das Bett klopft,
weil man ihn vergiftet.
Eine besondere Form der hyperkinetischen Katatonie "ist die „Faxen-
psychose". Die Kranken machen beständig unzusammenhängende karikierte
Gesten und Grimassen, die oft aussehen, wie wenn sie in ungeschickter Weise „den
Toren spielen" wollten i). Daneben machen sie eine Menge kleiner Dummheiten,
klopfen auf die Knie, vertauschen Kissen xmd Decke, gießen Wasser aus, heben
^) Die Faxen mutwilliger Hebephrener sind etwas ganz anderes und nur ein Einzel-
symptom unter vielen gleichartigen.
Handbuch der Psychiatrie: Bleuler.
12
178
.Schi20]ihrenie.
die Türe aus den Angeln, alles anscheinend bei Orientiertheit. Regelmäßig
sprechen sie dabei wenig oder gar nicht. Was sie sagen, ist meistens ganz unlogisches
Schimpfen oder sonst ein Unsinn. • °
Das Faxensyndrora hat unzweifelhaft einen ähnlichen Ursprung wie der
Gansersche Dämmerzustand. Es handelt sich um Leute, die aus irgend emem
Grunde (unbewußt) den Geisteskranken spielen (75 a).
4. Der Wahnsinn.
Manchmal herrschen die Halluzinationen und Wahnideen vor; manische,
depressive oder katatonische Züge mögen sich daneben finden ; in vielen Fällen
aber fehlen sie ganz. Solche Zustände nennen wir Wahnsinnsformen. Der
manische und melancholische Wahnsinn früherer Autoren gehört zum großen
Teil hierher, da manisch-depressiver Wahnsinn selten ist.
Nur ausnahmsweise fehlen die Sinnestäuschungen bei solchen „akuten
Paranoien", so daß sie nur durch Wahnideen gekennzeichnet sind. Meist stehen
die Halluzinationen im Vordergrund, die beständig mid massenhaft auf den
Kranken eindringen und ihn verwirrt erscheinen lassen, letzteres namentlich
dann, wenn sie rasch wechseln: Jetzt werde ich gestochen, da drückt es mich,
jetzt ist es weg, jetzt ruft man mir, jetzt zieht man mir die Nebelkappe an. .
In ganz akuten Fällen sind die Halluzinationen weniger stereotyp als in chroni-
schen Zuständen, auch pflegen daselbst die Gesichtshalluzinationen mehr hervor-
zutreten. Der Kranke hört in verwirrender Weise eine Menge Stimmen; unten
vor dem Fenster ist eine Bande, die ihn fangen, verbrennen, köpfen wiU; sie
lauern ihm auf, wollen durch die Mauern dringen, Idettern außen herauf, sind
unter seinem Bette. Andere wollen ihm helfen, der liebe Gott ist bald sein Be-
schützer, bald im Komplott ; seine Lieben werden gemordet, er selbst elektrisiert,
sexuell auf jede Weise mißhandelt. Die Reaktion pflegt in diesen Zuständen
eine sehr lebhafte zu sein. Die Kranken lassen sich nur schwer im Bette halten,
steigen überall herum, Idettern am Fenster in die Höhe, verkriechen sich, schlagen,
raufen. Die Bewegungen aber sind zum Unterschied von den katatonischen ver-
ständlich von den delirösen Ideen der Patienten aus; wir haben Handlungen
vor uns, nicht Faxen. Die Kranken flüchten oder verteidigen sich oder greifen
an. Da wo die Halluzinationen angenehmen Charakter haben, lassen sie die
Kranken irgend eine Festivität, eine Himmelfahrt oder sonst etwas Vergnügliches
mitmachen.
Die Wahnsinnsformen gehen beim gleichen Patienten oft in andere akute
Stönmgen über oder entwickeln sich aus solchen. Auch nach der Seite der
chronischen Zustände haben sie ihre Übergänge. Bei chronischen Halluzinanten
können sie den Eindruck einer bloßen Exazerbation machen; in anderen Fällen
aber kontrastieren sie sehr scharf gegenüber dem gewöhnhchen blöden Zustand
der Patienten, den sie als begrenzte Episoden unterbrechen.
Die Wiener Schule würde diese Fälle als Amentia bezeichnen. Ich wende
aber den Namen nicht an, weil er je nach der Schule eine bestimmte systematische
Vorstellung voraussetzt, die nicht zu unseren Auffassungen paßt.
Akzessorische Symptome. Wahnsinn. Dämmerzustände.
179
5. Die Dämmerzustände.
Die Dämmerzustände sind wie bei der Hysterie Wachträume, die Wünsche
oder Befürchtungen direkt oder in symbohscher Weise als erfüllt darstellen.
Der Typus ist das unglücklich liebende Mädchen, das nun im pathologischen
Zustand seine Wünsche erreicht sieht. Es verkehrt halluzinatorisch mit dem
Geliebten, verlobt sich, heiratet, wird gravid und gebiert. Entsprechend
diesen Wahnideen wird dann die ganze Umgebung verkannt. Die
Personen der Anstalt sind bald Leute, die zur Familie, zur Hochzeit gehören;
bald werden sie als Hindernisse, als Feinde der gewünschten Verbindung auf-
gefaßt. Der Krankensaal wird ebenfalls in diesem Sinne verkannt. — Eine
Patientin mit rehgiösen Aspu-ationen hielt den Krankensaal für einen Tempel.
Die Grundidee des Wahns gibt indes nur das Leitmotiv für den ganzen
Traum. Dieser wird in allen Details ausgesponnen, die Patientin muß sehr
viel essen, nm die Kinder zu ernähren; sie muß Blumen abreißen, um sich recht-
zeitig zu schmücken. Mit anderen auffallenden Handlungen verhindert sie
ihre und des Bräutigams Feinde, ihr zu schaden. So wird der Kern der Wahn-
vorstellungen unter einem Haufen von Nebensachen versteckt. Auch sonst
wird der Wunsch nicht immer klar ausgedrückt. Statt einer Liebesszene können
die Kranken von einem Kriege träumen. Es können dann noch alle die Un-
gereimtheiten, die die Gesunden zu träumen gewohnt sind, und vielleicht noch
viel mehr Dinge in das Dämmerdelir eingehen.
Von altersher hebt man die ekstatischen Dämmerzustände besonders
hervor. Hier können die allgemeinen Eigentümlichkeiten des religiösen Komplexes
mit seiner Tendenz zu Visionen, zu starrer Haltung in verehrender Stellung,
zu verzückten Mienen und zu der bis zu voller Analgesie reichenden Absperrung
der Außenwelt die schizophrenen Charaktere des Bildes mehr oder weniger ver-
decken. Nicht alle Dämmerzustände religiösen Inhalts führen indes zu Ver-
zückimg; oft sind auch die Kranken, die mit Heihgen verkehren, noch zum Teil
auf der Erde, empfinden dann die Bosheit dieser Welt doppelt stark und leben
mit derselben in beständiger Fehde.
Der Kranke kann auch die Umgebung mit semen rehgiösen Vorstellungen
verqmcken. Er erkennt zwar die Leute, hat aber doch die VorsteUung, daß sie
am Ende andere Personen (Gott, Judas, Apostel) seien, die nur in Gestalt der
Arzte und Pfleger auftreten.
In einer abortiven Ekstase war der Patient nach dem Heiligen Abendmahl
„zwei läge lang unaufhörlich in überirdische Glückseligkeit eingetaucht so daß
er fast immer nur weinen sollte vor Freude."
Die schizophrene ekstatische Stimmung kann aufrecht kleinhche Dinge über-
tragen werden; so verbigerierte eine Katatonische mit verzücktem Gesichte- Ich
habe gestrickt, ich habe gestrickt, ja wohl, ich habe gestrickt (sie hat in der Anstalt
noch me etwas gearbeitet). Es ist schön gewesen! Wundervoll! Diese schönen ge-
häkelten Vorhange! (es sind gar keine da!) und mo sie dann aufgetan wurden- wie
WeT/; gewesen?") Die Mutter ist da gewesen, aUe
Leute sind da gewesen ich folge dem Herrgott!"
Das Benehmen der Dämmerigen ist sehr verschieden. Viele machen aUes
mögliche durch, während sie in Wirldichkeit ruhig unter der Decke liegen ändere
reagieren entsprechend ihren Ideen, was sie beständig in KonfHkt mit d;r Um-
12*
180
Scliizophrenie.
gebung bringt. Sie klettern herum, verkehren laut oder leise mit ihren Hallu-
zinationen, machen allerlei unverständliches Zeug, das erst durch genaue Analyse
einen Sinn bekommt. Sie drcängen fort, wollen aus den Türen, verlangen
immer das Gleiche, unmöglich zu gewährende, oder sie rufen in verlangendem
Ton Sätze, die für uns gar kein Verlangen enthalten. Eine Patientin wähnte
sich auf einer Wiese, mußte Pferde hüten. Sie wollte nicht aufstehen, weil sonst
die Pferde über den Haag springen.
Die doppelte Eegistrierung der äußeren Vorkommnisse (im Sinne des
Traumes und zugleich in dem der Wirkhchkeit) ist auch in hochgradigen Fällen
die Regel, Gedanken aus beiden Reihen mischen sich recht häufig, so wenn
die Kranken ihre Entlassung verlangen, wobei sie die Anstalt als solche richtig
auffassen, aber ihr Begehren mit Motiven aus dem Traumleben begründen.
Die Dämmerzustände der Schizophrenie sind diejenigen, die am längsten
dauern können; solche von einem halben Jahre Dauer sind etwas ganz Ge-
wöhnliches. Manche Patienten scheinen überhaupt während des ganzen Lebens
nicht mehr aus dem Dämmerzustand herauszukommen. Es handelt sich dann
aber um sehr schwer zugängliche katatonieartige Zustände, die wir bis jetzt
nicht genügend analysieren konnten, um ein bestimmtes Urteil über die inneren
Vorgänge zu bekommen. Die Kranken werden mit der Zeit ruhiger, passen
sich, wenn der Negativismus nicht vorherrscht, der Umgebung so weit an, daß
sie zu wenigen oder gar keinen Konflikten kommen, leben aber in der Hauptsache
in einer anderen Welt, sorgen höchstens für ihre allernächsten Bedürfnisse,
d. h. sie essen, wenn man ihnen die Speisen vorlegt, und gehen etwa auf den
Abort, wenn es nötig ist; wenn sie sich — auf Aufforderung — selbst an- und
ausziehen, so ist das eine Leistung, die gar nicht immer erwartet werden kann.
Es können auch Bruchstücke aus dem Dämmerwahn in den chronischen Zustand
übergehen. So war für eine solche Patientin die Anstalt dauernd „das Haus
mit den schwarzen Gittern", nachdem sie zuerst das Gefängnis als solches ver-
kannt und dann die Vorstellung auf die Anstalt übertragen hatte.
Gelegentlich können Dämmerzustände nur einige Minuten dauern; so
fiel ein Kranker plötzhch über die Umgebung her, beruhigte sich sofort wiedev
und konnte erzählen, daß er sich in einem Urwald gesehen habe, wo er sich gegen
wilde Tiere, namenthch gegen einen Orang-Utan wehren mußte. Diese Anfälle
unterscheiden sich nur graduell von den halluzinatorischen Aufregungen der
chronischen Insassen unserer „unruhigen Abteilungen."
Umgekehrt kann ein Dämmerzustand von klaren Zeiten unterbrochen
werden, die einige Minuten oder auch emige Tage dauern können; halten sie
wochenlang an, so nennt man sie Heber Besserungen. Es kann auch vorkommen,
daß die klaren und die dämmerigen Zeiten sich ungefähr die Wage halten, so
daß der Kranke z. B. abwechselnd je einen Tag lang im Dämmerzustand und
einen Tag lang klar ist.
Schizophrene Dämmerungen können auch den Gans er sehen Charakter
haben, wobei, entsprechend dem Dehrzweck, ein voUständiger, wenn auch
negsitiver Rapport mit der Umgebung erhalten bleibt. Das Gansersche Syndrom
wird bei den Schizophrenen von den gleichen Ursachen ausgelost wie bei den
Hysterischen; so leiden namenthch Untersuchungsgefangene daran. Die Kranken,
obgleich sie sich anzustrengen scheinen, den Wünschen nachzukommen, be-
Akzessorische Symptome. Dämmerzustände.
181
antworten die einfachsten Fragen falsch; meist in systematischer Weise so
daß man die (unbewußte) Absicht gleich merkt. 2 X 2 ist meist 5 oder 3, 4 Uhr
wird 8 Uhr genannt, 12 Uhr 6 Uhr. Bei dem Befehl, em Schloß zu offiien, ver-
sucht der Kranke, den Ring des Schlüssels einzustecken, oder halt den Bart
nach oben; er sucht das SchlüsseUoch über der Klinke; ist der Schlüsse im
Loch so di-eht er nach der falschen Seite. Eine Streichholzschachtel wiU er
auf der falschen Seite aufstoßen; das Zündholz streicht er mit dem freien Ende
an der Reibfläche, oder mit dem richtigen an allen anderen Flachen, nur nicht
an der Reibfläche.
Nur in ganz leichten Fällen von Schizophrenie sind übrigens die Kranken
so konsequent. Die meisten faUen im Gegensatz zu den Hysterischen oft aus
der Rolle. Sie machen vieles richtig oder in nicht typischer Weise falsch, er-
scheinen nur bei der Untersuchung „verwirrt" und benehmen sich sofort richtig,
wenn sie mit den anderen Patienten verkehren. Oft fehlt überhaupt eine scharfe
Grenze zwischen Dämmerzustand und gewöhnMchem Verhalten. Nach der
Besserung sind sie nicht diskussionsfähig über den abnormen Zustand, obschon
sie sich einigermaßen daran erinnern. Meist mischen sich andere schizophrene
S}Tnptome bei.
Natürlich ist der Gans ersehe Zustand etwas ganz anderes als das Vorbeireden
aus Negativismus oder Gleichgültigkeit.
Eine besondere Art von unbewußter Krankheitssimulation zeigte eine Patientin,
der ein Vorarbeiter den Vorwurf gemacht hatte, sie sei verrückt. Von dem Augen-
blick an benahm sie sich auch wie eine ,, Verrückte", hielt schon zu Hause die Haus-
meisterin für eine Irrenwärterin, aß nicht usw. Nach einmahger Fütterung plötz-
liche Heilung.
Graduell sind die Dämmerzustände sehr verschieden. In den einen Fällen
haben wir eine konsequent durchgeführte Traumhandlung: der Dämmerzustand
ist im wesenthchen die Reaktion einer leicht schizophrenen Persönlichkeit auf
ein psychisches Trauma ; der äußere Anlaß erscheint als die wesentliche Bedingung ;
die schizophrenen Symptome trüben das hysteriforme Bild wenig. In anderen
Fällen ist der Krankheitsschub mit seiner Zerreißung der Assoziationen das
Wesentliche; irgend ein vielleicht stets vorhandener Wunsch bekommt plötzlich
die Herrschaft über die von der Logik verlassenen Gedanken. Von den letzteren
Formen aus gibt es Übergänge einerseits zu den erstgenannten mehr hysteri-
formen Dämmerzuständen, anderseits zu den Verwirrtheiten verschiedener
Art, die wir wegen des Mangels an Einheitlichkeit nicht mehr als
Dämmerzustände bezeichnen.
Neben den eigentlichen Dämmerzuständen gibt es eine unendliche Menge
von verschiedenen Einstellungen der Psyche nach dem gleichen Schema, die
aber nur dann auffallen, wenn sie sehr ausgesprochen sind, und namentlich,
wenn verschiedene solcher Zustände rasch wechseln. Sie haben Übergänge
nach allen Seiten.
Ein viele Jahre als latenter Hebephreae herumvagierender Mann kam in die
Anstalt mit folgenden, längere Zeit andauernden Zuständen : am häufigsten war er
negativistisch, verkannte die Umgebung als Teufel, sprach mit Stimmen, bekreuzigte
sich, beging seltsame Handlungen. Zwischendurch Einsicht, nur ist die Krankheit
„eine Antastung durch böse Geister"; summarische Erinnerung an den ersten
^09
iScliizophrenie.
eine
Zustand. Dann wieder zugänglich, angenehme Verkennungen: die Anstalt ist .xxx^
Marinekaserne. Der Arzt ist Kriegsgott. Patient spricht mit den Sternen, teils
italienisch, teils in einem selbstgemachten italienisch sein sollenden Idiom. '
6. Benommenheit.
Aus den Stuporzuständen möchte ich bis zu besserer Kenntnis dieser
Symptome herausheben die „Benommenheit". Nicht alle Stuporösen sind
benommen; die Mehrzahl der Benommenen erscheinen kaum stuporös. In den
meisten Stuporformen können die Kranken denken und handebi, soweit sie es
begehren, die wenigsten werden den Defekt empfinden. Es gibt aber eine Ver-
langsamung aller psychischen Prozesse, vereint mit der Unmöglichkeit, sich in
einigermaßen komplizierten oder ungewohnten Verhältnissen zurecht zu finden,
die wegen der relativen oder ganzen Erhaltung des eigentlichen Wollens nicht
zum gewöhnlichen Stupor und wegen der fehlenden Depression und der leichten
Verwirrbarkeit nicht zur melancholischen Hemmung gerechnet werden kann.
Diese Zustände sollen vorläufig mit dem Namen der Benommenheit bezeichnet
werden.
Solche Kranke benehmen sich äußerlich sehr verschieden. Viele von ihnen
beschäftigen sich überhaupt nicht: andere zupfen an sich herum oder unterhalten
sich sonst in ähnlicher wenig anstrengender Weise; noch andere sind etwas erregt imd
machen verschiedene katatone Dummheiten; der eine oder andere kann ein bißchen
im Hause helfen, namentlich leichte Näh- oder Strickarbeit geht noch, wenn auch
oft mit vielen Fehlern. Der Unterschied gegenüber anderen Katatonischen zeigt
sich meist erst deutlich beim Experimentieren. Auf Fragen antworten die Kranken,
wenn überhaupt, sehr langsam; obschon sie sich in vielen Fällen Mühe geben, den
Anforderungen gerecht zu werden. Ohne daß Hemmungen oder Sperrungen im
gewöhnlichen Sinne anzunehmen wären, sprechen sie mehrmals den Anfangslaut
eines Wortes, bevor die Aussprache des ganzen gelingt. Aufforderungen folgen sie
richtig nur bei ganz leichten Dingen, und auch da oft nur nach mehreren Entgleisungen.
Wenn sie die Zunge zeigen sollen, sehen sie den Arzt zuerst verständnislos an; nach
mehrfacher Wiederholung des BefehL suchen sie diesen auszuführen, bringen aber
die Zunge nicht heraus, machen Bewegungen mit den Lippen, sogar mit den Augen,
die namentlich gern geschlossen werden. Wenn man sie auffordert, den Löffel in
den Teller zu legen, ergreifen sie denselben, drehen ihn aber um oder führen ihn
zum Munde oder legen ihn an einen andern Ort, vertauschen ihn mit der Gabel,
kurz es zeigt sich ein ausgesprochenes Bild der Apra.xie. Eine Kranke brauchte
fünf Stunden, die Kleider anzuziehen, sie benutzte die Jacke als Hose oder als
Kombination, wollte die Zähne putzen, nahm aber die Schuhbürste, putzte die
Kleider damit, strich Salbe an die Schuhe. Eine Kranke habe ich erst nach viel-
jährigen Versuchen dazu bringen können, auf Befehl die Türe zu schließen. Spontan
konnte sie so kleine Verrichtungen sehr gut ausführen; auf Befehl aber entgleiste
sie meist und kam schUeßlich in immer stärkere Verwirrung. Statt die Türe zu
schließen, ging sie hinaus, oder machte sie sie weit auf; gelang es ihr, die Türe
wirklich zu schließen, so war sie meist auf der falschen Seite derselben usw. So
werden die Handlungen durch „Querimpulse" gestört (Trömner, 774). Man denkt
aucli oft zuerst an Negativismus, und der mag ja in einzelnen Fällen solcher schizo-
phrener Apraxie mitwirken. Er ist aber sicher nicht die wesentliche Ursache des
Symptoms. Es handelt sich einfach um eine Art Verwirrung wie bei
Emotionsstupor. Die Kranken können die nötigen Ideen nicht zusammen
Akzessorische Symptome. Ueuommenheit.
183
brin.reü- sie tun etwas Verkehrtes wie der Erschreckte, der bei einem Brande Uhr
und°Porzellangeschirr aus dem Fenster wirft und alte Lappen sorgfaltig ms Freie
träL't Sie sind also auch nicht parabulisch im Sinne Kraepelins
In der Benommenheit scheint Echopraxie am häufigsten, doch kommt sie
nicht bloß da vor. .. j ^ xr
Die Auffassun<^ äußerer Eindrücke ist eine sehr ungenügende; etwas Kom-
pliziertes kann überhaupt nicht erfaßt werden. Sogar an Bildern mögen nur einzelne
Faktoren zur Geltung kommen. Die Orientierung kann schwierig werden, so daß
die Kranken unter wenig veränderten Umständen ihr Zimmer nicht finden. Auch die
einfachste Geschichte wird beim Lesen nicht aufgefaßt; der Kranke liest im gleichen
Ton in die nächste Erzählung hinein, ohne zu merken, daß etwas Neues kommt.
Er macht beim Lesen Fehler, „Fuß" statt „Fluß", „angefogen" statt „angesogen",
bleibt mitten in einfachen Wörtern stecken, liest die Kommas mit usw. — Von „dem
mit Salz beladenen Esel" wußte eine Kranke gar nichts zu erzählen. Auf die Frage,
wovon die Rede sei, meinte sie schließlich: „Von einer Hirtin". (Und von einem Ele-
fanten?) „Ja." (Oder von einem Pferd?) „Ja." (Von einem Esel?) „Ja, Ja." Sie
erinnerte sich also schließlich, als der Esel erwähnt wurde. Auch vorher Gekanntes
kann nur in kleinen Bruchstücken schrittweise erinnert und wieder gegeben werden.
Ein Hebephrene trifft einen Bekannten in der Anstalt, der vor kurzem einen andern
Bekannten des Patienten erschossen hat. Er erinnert sich, daß er den kennt. (Was
ist denn mit ihm?) „Er hat auch einen Anfall gehabt". (Nach längerem Besinnen
kommt ihm in den Sinn): „Er hat einen erschossen." Dann: „Er habe den (er-
schosseneu) 0. gekannt er sei sein Nachbar gewesen." Nicht einmal diese
wichtige Geschichte kam dem Kranken als Ganzes in den Sinn.
Am leichtesten beobachtet man die Benommenheit beim Schreiben^). Die
Kranken machen Wörter und Sätze nicht fertig, lassen Wörter ans, korrigieren
falsch, bemerken es, machen neue Versuche, die aber oft nicht besser gelingen,
streichen aus und schreiben ein Wort oder einen Satz neu; das letzte gelingt am
ehesten. Es können Sätze vorkommen wie: , .liege fast immer im Bett, wo ich so
gu hause" (d. h. wo ich so gut zu Hause arbeiten könnte). Andeutungen von Perseve-
ration und auch von Vorausnahme später zu setzender Buchstaben sind nicht selten.
In dem einzigen Fall, den ich bis zu einem gewissen Grade analysieren konnte,
war die Affektivität erhalten, und sogar sehr ausgesprochen und labil. Die Pa-
tientin befand sich in Besserung, machte die Hausarbeiten gern und richtig, konnte
aber „dritte reitende Artilleriebrigade" nicht nachsagen, ohne (psychisch) zu entgleisen.
Die Benommenheit kommt nicht nur in akuten Zuständen oder als akuter
Zustand vor; sie hat an sich schon die Tendenz, sich lange hinzuziehen und kann
sogar in der geschilderten Weise, wenn auch meist etwas abgeschwächt, jahr-
zehntelang anhalten. Es ist möghch, daß ihr eine einheithche Erschwerung aller
psychischen Vorgänge zugrunde Hegt'-^). Wahrscheinlich aber handelt es
sich auch hier um verschiedene Grundzustände. Bei der akuten
Benommenheit mit katatonen Symptomen bekommt man den Eindruck einer
groben Störung des Zentralorgans mit einheithcher Erschwerung aller psychischen
Vorgänge inklusive der Motihtät. Komphzierte raschere Funktionen kommen
hier ganz selten dazwischen. In anderen, namentUch chronischen Fällen läßt
sich der Zustand nicht von einer hochgradigen und andauernden Perplexität
unterscheiden. Hier kann oft ein Teil der Verrichtungen relativ prompt aus-
1) Vgl. oben, S. 131.
") Hirndruck, toxische Schädigung oder ähnliches.
184
Scliizophrenie.
geführt werden^). Jedenfalls gibt es alle Übergänge und Mischungen des psy-
chischen und des organischen Faktors, wohl in dem. Sinne, daß die organische
Störung die Disposition zu psychischer Perplexität erhöht oder erst schafft. Es ist
aber möglich, daß auch noch andere Störungen zu dem gleichen Bilde führen.
7. Verwirrtheit, Inkohärenz.
Die meisten Assoziationsstörungen führen zu Verwirrtheit, wenn sie hoch-
gradig sind. Einer besonderen Erwähnung bedürfen die Verwirrtheitszustände,
die eine bloße Folge der schizophrenen Assoziationszerreißung sind. Bei dieser Art
Inkohärenz handelt es sich fast immer um akute Syndrome. Die Patienten
sprechen ganz unzusammenhängend, oft in abgebrochenen Sätzen; sie sind meist
unruhig, tun immer etwas, aber es kommt in den ausgesprochenen Fällen nicht
zum eigentlichen Handeln, kaum zur dauernden Durchführung so : infacher
Handlungen wie das Fortdrängen. Wie in den Gedanken, sieht man in den Hand-
lungen meist nur Bruchstücke, wenn sich auch durch das ganze Benehmen
gewisse affektbetonte Ideen unklar nachweisen lassen, so Angst vor irgend einem
Unglück, Freude an einem erträumten Glück. — Körperhche Symptome, wie
Fuligo, belegte Zunge, grobes Zittern ist oft auch hier vorhanden.
Eine solche Patientin war am Tage nach der Untersuchung etwas besser und
verfügte ziemlich gut über ihr Wissen. Von der Untersuchung hatte sie nur Bruch-
stücke behalten, die sie zum Teil nachträglich zusammensetzen konnte. Sie weiß,
daß sie in einem Saal oben gewesen ist mit einer Anzahl Herren, daß ein Sofa da
war, daß ein Herr neben ihr auf dem Sofa saß; kann dann herausfinden, welcher
es gewesen, kann die Ärzte, die dabei waren, zum Teil beschreiben, weiß aber nicht
einmal, daß einer derselben der Abteilungsarzt ist. Diese Art Zerrissenheit unter-
scheidet sich sehr stark von den gewöhnhchen katatonischen Aufregnmgen, in denen
die Kranken während des wildesten Tobens in wenigen Minuten einen ganzen Saal
voll Patienten und Angestellten mit Namen kennen lernen.
Zu allen Formen von Verwirrtheit können sich melancholische, manische
oder namentlich katatonische Symptome hinzumischen, es ist aber nicht nötig.
8. Zornanfälle.
Der Erwähnung wert sind auch die Zorn- mid Schimpf anfalle vieler Kranker,
die durch irgend ein äußeres Ereignis ausgelöst werden. Nicht nur weim man dem
Patienten etwas Unangenehmes zu sagen hat, sondern auch sonst, beim bloßen Gruß
oder mitten in einem normalen Gespräch fangen die Kranken an zu schimpfen. Es
nützt dann gar nichts, irgend ein Mißverständnis richtig stellen zu wollen; die
Kranken fühlen sich durch alles, was man sagt, beleidigt und kommen nur immer
mehr in den Zorn hinein. Gar nicht so selten kommen sogar Halluzinationen oder doch
Illusionen dazu, auch wenn sie im ruhigen Zustande fehlen. Meist dauert der Anfall
noch eine Weile fort, wenn der Patient allein gelassen worden ist, häufig einige
Stunden, manchmal einige Tage, selten länger. Dauernde Verschlimmerungen
folgen kaum je darauf.
1) So war eine katatonisclie Malerin, der sonst viel schwierigere Dinge meist gelangen,
einmal einfach nicht imstande, eine Bank perspektivisch zu zeichnen. Häufiger ist allerdings
das umgekehrtt^ Verhalten, daß die gewöhnlichen Verrichtungen noch ordentlich gehen,
alles Ungewohnte abei', auch wenn es noch so einfach ist, nicht ausgeführt werden kann.
Akzessorische Symptome. Gedenktagsaufregungen. Stupor. Delirien.
185
Etwas canz anderes sind die endogenen, meist halluzinatorischen Zornanfälle, die
namentulh olt im Laufe vieler chronischer Zustände auftreten. Unter dem Einflüsse
r nlzinationen, selten ohne solche, beginnen die Patjenten p^^^^^^^^^^^^
zu schimpfen, werden auch zuweilen gewalttätig. Die Anfalle dauern ein ge ^ixuten
bis einige Wochen und sind einander beim nämlichen Patienten oft sehi ahhlich.
9. Gedenktagaufregungen.
Es handelt sich um eine ätiologische Gruppe. Manche Aufregungen erscheinen
an bestimmten Kalendertagen. Die Kranken feiern Tage, an denen irgend etwas
geschehen ist, was mit ihren Komplexen zusammenhängt, mit Aufregungen alle.
Art- größerer Reizbarkeit, Halluzinationen, Stupor usw. Ein arbeitsfähiger He be-
phreue bekam Geruchshalluzinationen, mußte zwangsmäßig onanieren und ent-
wickelte oft geradezu Wahnideen jeweils gegen den 17. emes Monats; er war an
einem 17. geboren. Den Patienten ist der Grund ihrer Verstimmung nicht immer
klar bevor man eine Analyse mit ihnen gemacht hat. Tage, an denen eine Patientin
den Mann oder den Geliebten getroffen oder verloren, der Hochzeitstag der Schwester,
sogar die Tage, an denen der Kranke sündige Orgien gefeiert, werden auf diese Weise
Anlaß zu Erregungen. Diese können mit dem Tag vorübergehen, aber auch von
längerer Dauer sein, nachdem sie am kritischen Tage eingesetzt haben. Meist ver-
Ueren sich die Erregungen nach wenigen Wiederholungen. Länger verfolgen konnten
wir sie bis jetzt nur in zwei Fällen.
10. Der Stupor.
In der Beschreibung mancher Autoren nimmt der akute Stupor einen wichtigen
Platz ein. Da aber Stupor überhaupt kein einheitliches Symptom, sondern die äußere
Erscheinung von vielen ganz verschiedenen Erschwerungen des Willens, Denkens
und des Rapportes mit der Umgebung darstellt, kann er hier keinen besonderen
Platz finden. Eine Zusammenstellung der Anomalien, die als Stupor in die Er-
scheinung treten können, siehe Seite 152.
11. Delirien.
Wieviel von den halluzinatorischen Zuständen der Schizophrenie mit dem
Namen der Delirien bezeichnet werden mag, ist bei der unklaren Bedeutung des
Wortes willkürlich. Es muß aber daran erinnert werden, daß den Fieberdelirien
ähnliche Zustände im letzten Stadium tödlicher Katatonie vorkommen. Die Pa-
tienten reagieren aber dann fast gar nicht mehr auf die Umgebung, so daß eine Unter-
suchung und eine Charakterisierung dieser Zustände zurzeit nicht möglich ist.
12. Wanderzustände').
Interkurrente Erregungszustände können auch die Form von Fugues annehmen.
Kranke, die sonst ganz zuverlässig sind oder energie- und wunschlos vegetieren,
laufen auf einmal davon, oft recht weit. In selteneren Fällen kommen sie nnch
einiger Zeit spontan zurück; meist werden sie aufgegriffen. Auch diesem Sjmiptom
liegen die verschiedensten Zustände zugrunde. Manchmal ist es nichts weiter, als
daß es den Patienten mit oder ohne äußeren Anlaß in der Anstalt plötzlich verleidet
ist; da laufen sie ohne lange Überlegung, was dann werden könne, davon; sie wissen
nicht wohin, wenn sie nur fortkommen. Oft treiben wirkliche Verstimmungen mit
1) Vgl. Eisath.
186
Schizophrenie.
großem Unbeliageu oder geradezu Angst die Patienten fort. Von hier bis zu hallu-
zinatorisclien Erregungen, in denen die Patienten den, Befehl oder doch den Rat
bekommen, sich aus dem Staube zu machen, ist ein kleiner Schritt. Gelegentlich
handelt es sich um einen bloßen pathologischen Einfall. Dämmerzustände liegen
wieder anderen Fugues zugrunde, während bei einer letzten Kategorie das Davon-
laufen eine Zwangshandlung oder sonst eine automatische Aktion ist.
Auf ihren Reisen benehmen sich die Kranken so verschieden wie sonst. Einzelne
können als gesund imponieren, auch wenn sie in der Anstalt im höchsten Grad
asozial oder sonderbar waren. Andere laufen in defekter Kleidung oder gar nackt
fort, machen Lärm, greifen Leute an usw.
Die nachträgliche Begründung und die Erinnerung ist natürlich je nach dem
zugrunde liegenden Zustand verschieden.
Schizophrene Wanderzustände geben manchmal Anlaß zu Fahnenflucht.
13. Dipsomanie.
Einzelne, wenn auch seltene Schizophrene bekommen dipsomane Anfälle. Sie
haben eine gewisse Einsicht in ihren Zustand, soweit es das Trinken betrifft; fassen
sogar, wenn sie nicht schwer krank sind, gute Vorsätze; bekommen aber von Zeit
zu Zeit ängstliche Verstimmungen, die sie zwingen, mit allen Mitteln sich Alkohol
zu verschaffen, bis sie nach einigen Tagen schwer berauscht und erschöpft irgendwo
liegen bleiben.
II. Abschnitt.
Die Untergruppen.
Einleitung.
Die Aufgabe der Zerlegung der Schizophrenie in einzelne natürliche Unter-
abteilungen ist zurzeit noch nicht lösbar. Doch hat man das praktische Be-
dürfnis, die verschiedenen Idinischen Bilder, die die Krankheit bietet, wenigstens
nach groben Zügen mit Namen zu charakterisieren. Soviel ist auch möglich,
aber nicht mehr.
Allerdings gehen einzelne viel weiter. Charpentier kennt 11 Unterformen.
Wir halten uns an die bereits geläufigen Labeiiierungen Kraepelins, da etwas
prinzipiell Besseres noch nicht an deren Stelle gesetzt werden kann. (Siehe die
Charakterisierung der vier Gruppen, S. 7.)
Es handelt sich aber auch da nicht um Abgrenzung von . Krankheitsformen,
sondern lun Gruppierung von Symptomen. Die Einteilung entspricht ungefähr
einer Klassifizierung der Phthise in Fälle mit und ohne Fieber, mit und ohne
Blutungen, mit und ohne Darm tuberkulöse oder Amyloid. Em Fall, der als Hebe-
phrenie beginnt, kann einige Jahre später ein Paranoid sein.
Der Symptomkombinationen sind unendlich viele; da sich aber manche Syn-
drome sehr häufig in recht ähnlicher Weise wiederholen"^), kann man einige dieser
Formen als Beispiele herausgreifen. Sie lassen sich meist leicht in die vier Haupt-
kategorien einordnen.
Von den Kraepeli nschen Gruppen sind Katatonie und Hebephrenie
in den Heilanstalten ungefähr gleich häuiig. Das Paranoid ist etwas seltener.
Die einfache Form ist in den Anstalten spärlich vertreten, draußen aber viel-
leicht die häufigste Erscheinungsweise.
') Es sind also — wo ei n katatones Syuiptom zu sehen ist, mit einiger Wahr-
scheinlichkeit auch noch andere zu erwarten. Aber eine bestimmtere Korrelation der
Symptome in dem Sinne etwa, daß man aus dem Vorhandensein einer Erscheinung
auf die Anwesenheit oder das Fehlen von anderen rechnen könnte, kennen wir bis
jetzt nicht.
188
Schizophrenie.
A. Das Paranoid').
Hierher gehören zunäohst die meisten der typischen Fälle der alten
„Paranoia"'.
Die Patienten fühlen sich nicht mehr wie sonst; es erscheint ihnen zeit-
weise alles anders wie früher; dann kommen „Ahnungen" oder Einfälle, sio
seien zu diesem oder jenem bestimmt. Sie beziehen ganz gleichgültige Gescheh-
nisse auf sich, oft zunächst nur ganz unsicher, sie fragen sich selbst: ,,Kann es
so sein?"' Nach und nach, oder auch plötzlich, bekommt der Beziehungswahn
volle Sicherheit. Schulkinder laufen dem Tramwagen nach, wenn der Patient
darin sitzt: es ist ihm klar, sie verspotten ihn; man „schreit ihn aus", er habe
schlimme Dinge mit Kindern gemacht, onaniert, gestohlen. Immer mehr Leute
geben ihm durch allerlei Zeichen und Anspielungen zu verstehen, daß sie um
diese Missetaten wissen; sogar in den Zeitungen stehen mehr oder weniger ver-
steckte Anspielungen auf ihn; der Pfarrer predigt mit speziellem Hinweis auf
ihn. Der Kjanke wechselt die Stelle, den Aufenthaltsort, überall tuschelt man
über ihn, überall macht man ihm Zeichen; man fängt an, ihn zu schikanieren,
man will ihn vertreiben; man gibt ihm nur die schlechte Arbeit; man verdirbt
ihm, was er gemacht, um ihn zu diskreditieren; es ist ein ganzes Komplott,
das sich die Mühe nimmt, ihn zu verfolgen. Eines Tages hört er auch, wie man
über ihn spricht, ja zu ihm selbst sagt man allerlei Beschimpfungen, oder man
höhnt ihn. Andere Halluzinationen kommen hinzu, namentlich die der Körper-
empfindungen. Schließlich wird der Kranke gegen seine Verfolger gewalttätig,
er ohrfeigt jemanden, oder schießt, oder macht Lärm, namentlich in der Nacht;
oder er getraut sich nicht mehr seine Wohnung zu verlassen und lebt da in
ünreinlichkeit und Hunger ganz sonderbar dahin. Nim muß man eingreifen,
der Kranke kommt in die Anstalt. Nach einiger Zeit wird er soziabler, er fängt
an, gewisse Arbeiten zu verrichten, schließlich kann man ihn beruhigt, aber ohne
Besserung seiner Wahnideen entlassen. Er hält sich einige Zeit draußen; es
geht aber nicht lange; er wechselt wieder seine Stellen, oder man kündet ihm,
weil er unverträglich ist, Fehler macht, unregelmäßig zur Arbeit kommt. Dann
wiederholen sich die früheren Aufregungen; der Kranke kommt wieder in die
Anstalt, wo er leicht dieses oder eines der nächsten Male hängen bleibt. Lange
Zeit ist er da recht unangenehm, schimpft, lärmt, wird aggressiv; dann beruhigt
er sich in Schwankungen; er läßt sich wieder zur Arbeit schicken, hat aber die
Initiative verloren, sowohl in Verfolgung seiner Wahnideen als auch in anderen
Dingen; wie eine Maschine arbeitet er weiter bei der Beschäftigung, die ihm
angewiesen wird. Er wandert in die Pflegeanstalt oder kann auch in günstigen
Fällen sich dauernd draußen halten, etwa bei der Arbeit helfend, aber in der
Hauptsache gleichgültig und untätig in den Tag hineinlebend.
Nicht immer geht es nach diesem Schema. Viel häufiger ist em ganz un-
regelmäßiger Verlauf. Schon die Wahnideen können wie ein Blitz aus heiterem
1) „Paranoide Form der Schizophrenie" kann man auf die Dauer nicht sagen der
Ausdruck ist zu lang. Teils deshalb, teils aus Mißverständnis wird von vielen Autoren dafür
der Ausdruck „Dementia paranoides" gebraucht, der aber von Kraepelin m einem viel
beschränkteren Sinn angewendet ^vird, und der geschaffen worden ist zu einer Zeit wo
der Autor die anderen paranoiden Formen noch nicht der Dementia praecox zuzahlte.
Untergruppen. Paranoid.
189
Himmel fix und fertig auftauchen, während der ICi-anke noch arbeitet; sie können
ihn für einige Tage aufgeregt machen, dann zurücktreten, um später wieder
zu erscheinen. Oft beginnt das eigentlich paranoide Stadium nach längeren
mehr oder weniger ausgesprochenen „Prodromen", die gar nicht paranoiden
Charakter haben müssen, ganz akut: In der Nacht erscheint ein Engel, Christus,
Gott selbst, der dem Kranken neue Wege zeigt; bei Verfolgten gibt es oft eine
mehrstündige oder auch mehrtätige halluzinatorische Erregung, häufig verbunden
mit vollkommener Verwirrtheit und Desorientierung. Oder es kommt bei irgend
einer Gelegenheit, meist allerdings, wenn die Patienten allein sind, wie eine
Erleuchtung über sie, und damit ist ihnen ihre, neue Stellung zu Gott und
den Menschen, die eigene Größe oder die Schändlichkeit der Verfolgerbande
Idar geworden. Solche Augenblicke findet man in der Geschichte
vieler Schizophrenen mit Wahnideen überhaupt; bei den Nicht-
paranoiden spielen sie aber eine viel geringere Eolle, weil die Nachhaltigkeit
der Wirkung fehlt.
Bei der Mehrzahl der Paranoiden verläuft die Kranldieitskurve gar nicht
stetig aufwärts, sondern in starken Schwingungen, die sich bald der Normal-
lim'e annähern, bald wieder auf große Höhe erheben. Neben den halluzinatori-
schen Verwirrtheitszuständen sind melancholische Depressionen häufig, viel
seltener manische Erregungen; katatone Symptome aller Arten zeigen sich
teils vorübergehend in akuten Schüben, teils auch dauernd in Haltung und
Benehmen: der Kranke steht ein paar Jahre mit gespreizten Beinen an einer
Wand, verbigeriert, zeigt Negativismus, der mehr oder weniger unabhängig
ist von den Wahnideen usw. Zu anderen Zeiten arbeitet er.
Es gibt auch Paranoide ohne Halluzinationen; diese haben bloß falsche
Eigenbeziehungen, die zu Wahnideen verarbeitet werden, oder sie knüpfen
an irgend ein Ereignis eine Wahnidee, die sie dann Jahre hindurch verfolgen,
ohne je darüber diskussionsfähig zu werden.
Hierher gehören namentlich viele schizophrene Querulanten.
Ein Mädchen besorgt die Haushaltung eines Arztes. Vielleicht hat er ihr einige
erotische Avancen gemacht; jedenfalls bildete sie sich ein, er habe ihr die Ehe ver-
sprochen, verlangte, daß er sie heirate, machte ihm allerlei Schnödigkeiten, so daß
er sie entlassen mußte. Sie klagte vor Gericht, immer in der Meinung, sie beweise
ja alles, verklagte dann wieder die Richter, weil sie ihr nicht recht gaben, wurde immer
konfuser, arbeitete fast nichts mehr, verprozessierte ihr Vermögen; wurde als geistes-
krank begutachtet, verklagte die Begutachter usw. Dann und wann ging es "wieder
em Jahr außerhalb einer Anstalt, wenn auch nie ganz ohne Reibereien.
Die Wahnideen können in leichten Fällen quasi im embryonalen Zustande
verharren: solche Kranke beziehen vieles auf sich, was unter Umständen auch
em Gesunder auf sich beziehen, aber nicht weiter berücksichtigen würde; sie
sehen in allem, was ihnen nicht gerade paßt, eine Beeinträchtigung ihrer Person,
gelten als böse Drachen, kommen mit niemandem aus, bleiben auch in den
^Vnstalten zur großen Befriedigung ihrer Mitlcranken nicht lange. Sie können sich
in Berufen, die sie nicht an andere Leute ketten, durchbringen, so als Hausierer
Manchmal fehlen umgekehrt eigentliche Wahnideen, und es bestehen nur
Halluzinaticnen, die sich in vielen FäUen ganz oder nahezu auf das Gehör be-
schranken. Wahrend die Patienten zuerst meist nur durch verändertes Wesen
190
Schizophrenie.
darauf reagieren, oft ihre Umgebung jahrelang im Unklaren über ihre inneren
Vorgänge lassen, brechen sie früher oder später in Schimpfen aus; je nach dem
Charakter kann auch unaufhörliches oder anfallsweises Weinen oder ein Selbst-
mordversuch oder rasende Zerstörung von Gegenständen die Krankheit manifest
machen. In schweren Fällen sind diese Patienten sehr lange arbeitsunfähig,
sogar in der Anstalt; in den leichtesten Fällen wissen sie sich mit den Stimmen
abzufinden; sie gehen auf die Seite, wenn sie schimpfen woUen, oder unter-
drücken die Keaktion mehr oder weniger. Dazwischen gibt es alle Übergänge.
Namentlich sind in den Anstalten diejenigen häufig, die ganz ordentlich arbeiten,
dann aber plötzlich für einige Minuten bis einige Tage ihre Aufregungen „in-
folge der Stimmen" bekommen. Sobald die Stimmen aussetzen, sind die
Patienten mhig und oft äußerlich ganz normal. Auffallend ist aber auch dann
die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihre Lage hinnehmen.
Ganz die gleichen Variationen wie der Verfolgungswahn zeigt der eroti-
sche und der Größenwahn. Die Kranken glauben sich von einer meist höher
stehenden Person geliebt; wollen dieser Gelegenheit geben, mit ihnen zu ver-
kehren, belästigen sie auf alle Weise, übertragen gelegentlich die Liebe auf
andere Personen, die dann ebenso behandelt werden. Die Megalomanischen
haben Erfindungen gemacht, sind Propheten, Philosophen, Weltverbesserer,
die aber nur in verhältnismäßig seltenen Fällen Anhänger bekommen, da sie
zu konfus sind und zu ungeschickt verfahren.
Neben den beschriebenen paranoiden Symptomenreihen tritt natürlich
beim Paranoid die ,, Verblödung" immer mehr oder weniger hervor. Die
Ej-anken handeln gar nicht nach ihren eigenen Ideen; der Prinz und König
hilft bei allen landwirtschaftlichen Arbeiten mit, die Braut Christi kümmert
sich nicht um Überirdisches, sondern wäscht mechanisch das Bettzeug ihrer
unreinlichen Nebenpatientinnen und ist glücklich über ein geschenktes Bonbon.
Nur wenige besitzen die Konsequenz und die Energie, ihre Wahnideen mit der
Wirldichkeit in Verbindung zu bringen und ReaHsierung ihrer Wünsche zu
verlangen. Einzig der Verfolgungswahn bleibt manchmal unermüdlich, die
Abstellung der Quälereien und sogar die Bestrafung der Schuldigen zu ver-
langen. — In Dingen, die nichts mit den Komplexen der Kranken zu tun haben,
kann in leichteren Fällen ein Intelligenzdefekt nicht nachzuweisen sein, doch
sind die Kranken auch da meist unüberlegt und zerfahren. Im übrigen äußert
sich die affektive Verblödung in der früher geschilderten Weise, aber gerade bei
den eigentlichen Paranoiden am wenigsten stark.
* ^ *
*
Für unsere jetzigen Erkenntnismittel kommen ganz gleiche Störungen
wie alle die oben angeführten auch vor als „Folgezustände" initialer melancholi-
scher, manischer, amenter, katatoner Erregungen. Es ist nämlich nicht so,
daß in den „sekundären" Fällen die „Verblödung" besonders stark hervor-
treten müsse. Auch diese Kranken können gelegentlich neben bestandigen
Halluzinationen and den unsinnigsten Wahnideen viele gute mteUektueUe
Leistungen aufweisen.
* * *
Untergruppen. Katatonie.
191
Eine besondere Erwähnung verdient die von Kraepelin herausgehobene
Dementia paranoides. „Hier beginnt nach der einleitenden Depression
sofort eine ganz abenteuerliche, immer wechsekide, durch Einreden und Er-
innerungsfälschungen beeinflußte üppige "Wahnbildung, die, abgesehen von
gelegentlichen Zornausbrüchen, sehr bald jeden Einfluß auf das Handeln ver-
liert. Ein eigentliches Fortschreiten findet nach der anfänglichen, rasch sich
abspielenden Entwicklung nicht mehr statt; vielmehr kann der Zustand ein
Jahrzehnt imd länger nahezu unverändert bleiben. Besonnenheit und äußere
Haltung bleiben trotz der ganz verworrenen, von massenhaften Wortneubildungen
begleiteten Wahnvorstellvmgen ziemlich ungestört." Dieser Beschreibung bleibt
nur hinzuzufügen, daß ein Depressionsstadium sich nicht immer finden läßt,
und daß es svmptomatologisch ganz ähnliche, aber chronisch beginnende Fälle
gibt; ferner ist besonders zu betonen, daß die katatonen Symptome auch auf
die Dauer vollständig fehlen.
Der „präsenile Beeinträchtigungswahn" (Kraepelin) nimmt
oft diese Form an; in den anderen FäUen unterscheidet er sich nur durch den
schleichenden Beginn und die etwas geringere Ausbildung der S}Tnptome von der
Dementia paranoides.
B. Die Katatonie.
Die auffallendsten Formen der Katatonie beginnen mit oder ohne Vor-
läuferstadium mit einem akuten Schub, der den Charakter einer der bei der
Schizophrenie gewöhnlichen Aufregungen hat, dem sich aber meist, wenn auch
nicht immer gleich von Anfang an, katatone Symptome beimischen. Namentlich
die mit kataleptischen Symptomen gemischten Stuporformen und die Hyper-
kinesen beherrschen häufig das Bild. Die Art der Erregung kann mehrere Male
m unregehnäßiger Weise wechseln zwischen manischen und melancholischen
Zuständen, Verwirrtheiten und Stupor. Nach einer beliebigen dieser Phasen
kommt die Beruhigung, die in mehr als der Hälfte der FäUe zugleich eine Besse-
rung ist: die Kranken fangen an zu arbeiten, halluzinieren weniger, oder gar
mcht mehr, korrigieren einen Teil ihrer Wahnideen und werden „mit Defekt
geheilt". Einzehie Symptome, namentlich katatone, bleiben gern mehr oder
weniger deutlich sichtbar. Bei den gut ausgehenden wie bei den schlimmeren
l^aUen treten früher oder später häufig weitere alcute Schübe auf, die oft, aber
gar mcht immer, dem ersten gleichen. Nach jedem derselben wird die Demenz
meist prononzierter.
Die Katatonie kann auch mit chronischen paranoiden Symptomen be-
ginnen; Wahmdeen oder Halluzinationen oder beides bringen die Kranken mit
der Diagnose Paranoia" in die Anstalt, wo über kurz oder lang sonderbare
mcht direkt durch die Wahnideen motivierte Handlungen und Unterlassungen
geseuÜr' '''^ ^^^^^^^^'^ katatonen Symptome bei-
Die chronischen Formen, die meistens als Endzustand betrachtet mirden
Charlkt T^,^^— ^^^'^^'^ ausgesprochene katatomscher;
Charakter haben, so z. B. bei einer Kranken, die fast ein Jahr vor dem ^nstalte
emtritt zu sprechen aufhörte, dabei aber ihre Haushaltung n ch "e "t
192
iSchizoplireiiie.
führte. Im Laufe der nächsten zwe] Jahre kamen Negativismius, Katalepsie und
allerlei sonderbare Handlungen, Gewaltakte, Unreinlichkeit und vollständige
Arbeitsverweigerung hmzu, Symptome, die nun wieder mehrere Jahre anhalten
In vielen Fällen sind Sonderbarkeiten namentlich des Handelas, die noch in an-
scheinender Gesundheit begangen werden, sich aber immer häufiger wiederholen,
die Anfangssymptome der chronischen Katatonie.
Die chronischen katatonen Zustände, seien sie mit oder ohne Aufregungen
entstanden, zeigen wenig Variationen. Viele Kranke sitzen einfach in beständigem
Stupor, mit oder ohne Negativismus, herum und lassen sich besorgen; andere
sind aufgeregter oder infolge des aktiven Negativismus gewalttätig und gehören
dann zu den unangenehmsten Anstaltsinsassen. Sehr viele für die Außenwelt
ganz Gleichgültige bekommen spontan vorübergehende Aufregungen, in denen
sie schimpfen, gewalttätig werden, schmieren usw.
0. Die Hebephrenie.
Man_ ist versucht, diese Gruppe dadurch zu charakterisieren, daß die „Ver-
blödung" im Vordergrund stehe. Dann wären aber alle die zahlreichen und praktisch
wichtigen leichten Formen ausgeschlossen, bei denen sich das Wort „Verblödung"
nicht mehr anwenden läßt, auch wenn man an eine volle Restitutio ad integrum
nicht glaubt.
Die Hebephrenie umfaßt also
a) die nicht katatonischen akut beginnenden Formen (melancholische, mani-
sche, amente, dämmerige Zustände), soweit sie nicht in chronisch paranoide oder
katatone Zustände übergehen;
h) alle chronischen Fälle, die akzessorische Symptome zeigen, ohne daß diese
das Bild ganz beherrschen.
Leider paßt der Name auf die Gruppe nur insofern, als die meisten dieser
Patienten zwischen 15 und 25 Jahren erkranken; doch gibt es (seltene) Hebephrenien
im obigen Sinne, deren Anamnesen vor dem fünften oder gar sechsten Jahrzehnt
keine Krankheitssymptome auffinden lassen.
Die Kahlbaum-Heckersche Hebephrenie war eine Verblödung, die in der
Pubertätszeit verhältnismäßig rasch eintrat, meist mit verschiedenen affektiven
Störungen verlief und außerdem noch charakterisiert war durch die Symptome der
Flegeljahre. Für uns ist das Alter irrelevant, und die Symptome der Geziertheit
und des Pathetischen, der Freude an Lümmeleien auf der einen Seite, der Altklugheit,
dem Trieb zur Beschäftigung mit den höchsten Problemen anderseits, finden wir
auch bei anderen Schizophrenen, deren Komplexe eine Selbstüberhebung, ein Gerne-
großsein bedeuten 1).
Die Erregungen im Sinne Heckers sind übrigens, wie seine Krankengeschichten
zeigen, gar nicht so ausgesprochen, daß sie den Charakter akuter Psychosen an-
nähmen. Bei ihm ist bloß die Verblödung im Vordergrund. Schon Kraepelin
spricht aber von Beginn mit akuter Geistesstörung, findet ihn jedoch seltener. Da
man indes die akuten Initialstörungen nicht wohl Katatonien nennen kann, wenn
sie nicht ausgesprochene katatone Symptome zeigen oder von solchen gefolgt sind,
müssen wir alle akuten „Psychosen" mit nachfolgender Verblödung ohne katatoni-
^) Vgl. Theorie der Manieren.
1
Untergruppen. HebepLrenie.
sehen oder paranoiden Charakter der Hebephrenie beizählen, wenn wir nicht eine
"anz unnötige neue Gruppe bilden wollen. ■ ■
° Für diese Gruppe spezifische Symptome gibt es nicht. Ich bm nicht einmal
sicher ob dk Flegeljahrsymptome hier häufiger vorkommen als bei der Katatome;
"eUetcht treten sfe hier nur mehr in den Vordergrund, weil kerne katatonen Sym-
ptonie sie verdecken. .
Immerhin gibt es theoretische Gründe, die gerade bei der Hebephreriie diese
Erscheinimgen am meisten erwarten lassen. Es ist namlich richtig, daß sie be m
Paranoid, da. ja im ganzen später auftritt als die Hebephreme lange nicht so häufig
sind Wir wissen ferner, daß sich zur Zeit der Erkrankung bestehende Komplexe
und Gewohnheiten gern fixieren, so daß sie lange Jahre nachher noch zu erkennen
sind- es liegt also sehr nahe anzunehmen, daß die Gewohnheiten der Pubertät sich
hier 'karikieren und zugleich dem geistigen Organismus fest einprägen. Dena ist
nur entgegenzuhalten, daß es viele Leute gibt, die erst erkranken, nachdem sie dieses
Stadium längst überwunden haben und doch die „hebephrenen" Erscheinungen
zeigen!). _ Falls es richtig wäre, daß die katatonen Symptome ihre Wurzel m der
Sexualität haben, so würden eben die Leute mit vorwiegend sexuellen Komplexen
Katatoniker, diejenigen, wo jene zurücktreten, Hebephrene oder Paranoide je nach
dem Erkrankungsalter.
Unter dem Namen Hebepkrenie wüi-den also zunächst einmal die einfachen
Formen des früheren sekundären Blödsinnes mit ihren einleitenden alcuten
Psychosen verstanden. Dann aber kommen die nicht seltenen FäUe hinzu,
bei denen eine Erregung erst nach der Verblödung auftritt. Diese sind viel
häufiger, als man nach den Beschreibungen annehmen sollte; melancholische
und manische Erregungen, Dämmerzustände usw. können zu jeder Zeit des
Verlaufs ebenso gut wie im Anfang eintreten. Gerade bei der Hebephrenie
mit ihren wenig auffallenden Symptomen ist es sehr häufig, daß eine schon
viele Jahre bestehende Ejrankheit durch einen akuten Anfall in die Anstalt
gebracht wird.
Manchmal ist die Erregung sehr leicht, oder sie fehlt ganz. Im letzteren
Falle versagen die Kranken einfach, verHeren ihre Leistungsfähigkeit, werden
nachlässig, rücksichtslos, machen Dummheiten. Darunter sind viele, die jahre-
lang als Neuras theniker oder, wenn sie weiblich sind, als Hysterische gelten.
DeutHch hypochondrische Färbung büdet oft den Übergang zu den paranoiden
Formen. Bei der großen praktischen Wichtigkeit einer rechtzeitigen Diagnose
ist es sehr richtig, wenn Kraepelin diese „hypochondrische Verblödung"
besonders hervorhebt. „Im Vordergrund steht dabei das immer stärker hervor-
tretende Gefühl der geistigen und körperhchen Unfähigkeit mit allerlei krank-
haften Empfindungen, das die Kranken nach und nach dauernd auf jede Tätig-
keit verzichten läßt. Zugleich werden sie gemütlich stumpf, teilnahmslos, schlaff,
ohne Sinnestäuschungen oder ausgeprägte Wahnbildungen."
Die Hebephrenie kleidet sich also in eine behebige Form der schizophrenen
Verblödung. Sie kann dauernd chronisch verlaufen oder im Anfang oder später
akute Syndrome aufweisen. Halluzinationen, unsinnige Wahnideen, gelegentlich
auch katatone Symptome komplizieren das Bild, ohne es zu dominieren.
!) Auch Jahr märker (316) erwähnt Fälle mit läppischem, albernem Benehmen,
die im fünften und sechsten Dezennium erkrankten.
Handbuch der Psychiatrie: Bleuler.
I
194
Schizophrenie.
D. Schizophrenia simplexO.
„Die Patienten werden einfach affektiv und intellektuell schwächer, der
Wille verliert an ICraft; die Fähigkeit ihre Arbeit zu tun, für sich zu sorgen,
nimmt ab, sie erscheinen dumm und zeigen schließlich das Bild einer ausge-
sprochenen Demenz" (Clouston).
Daß wir diese Fälle nicht, wie es Kraepelin tut, der Hebephrenie zuteilen,
hat mehr praktische als theoretische Gründe ; trotz aller Versuche von kompetenten
Seiten ist es ja nicht gelungen, der „primären Demenz" allgemeine Anerkennung
zu verschaffen; sie wurde von manchen in concreto gar nicht erkannt; die Kranken
machen die Welt unsicher unter der Flagge der Psychopathie, der Degeneration,
der Moral Insanity, des Alkoholismus und vielleicht am häufigsten unter der der
Gesundheit. Die einzige^ Möglichkeit, diese Formen den Ärzten bekanntzumachen,
besteht darin, daß man sie besonders benennt. Und einen kleinen theoretischen Wert
hat diese Abtrennung doch auch, indem sie den Unterschied der wesentUchen von
den akzessorischen Symptomen recht deutlich demonstriert; dem einfachen Schizo-
phrenen fehlen die letzteren.
Die einfache Form ist in den Anstalten ziemlich selten, kommt aber draußen
ebenso oft vor wie die anderen. In der Sprechstunde sieht man sie mehr, und
zwar sowohl bei den Verwandten des Patienten, wegen dessen man konsultiert
wird, wie bei diesem selbst. In den unteren Ständen vegetieren die einfachen
Schizophrenen als Hausierer, Taglöhner, sogar etwa als Dienstboten, dann aber
als Vagabunden wie andere Schizophrene leichteren Grades. In höheren Ständen
spielt der häufige Typus des unverträglichen, beständig keifenden, nur Ansprüche
machenden, aber keine Pflichten kennenden Weibes seine unglückselige Rolle.
Die Familie denld: lange Jahre nicht an Klrankheit, erträgt eine HöUe voll Qualen
von der ,, boshaften" Frau und verdeckt mit allen Mitteln das Verhältnis vor
der Außenwelt; Geheimhalten der Anomalie ist um so leichter möglich, als
viele dieser Kranken sich in Gesellschaft noch ganz unauffällig benehmen können.
Oft ist man geradezu gezwungen, vor der Welt die Anomalie zu verschweigen,
da viele Leute geneigt sind, für die Patientinnen einzutreten, die so gut die
verfolgte Unschuld spielen können.
Kahlbaum (348) hat diejenigen Fälle, bei denen fast nur die Störung
im sozialen Fühlen und Handeln zatage tritt, als Heboidophrenie oder Heboid
bezeichnet. Er weiß aber, daß auch formale Störungen des Denkens (z. B. Vorbei-
denl^en) bei der Krankheit nicht fehlen, und gliedert sie in richtiger Weise seiner
Hebephrenie an. Er stellt eine verhältnismäßig gute Prognose; FäUe, wie die
von ihm beschriebenen, verlaufen aber nicht anders als andere zunächst leichte
Fälle von Schizophrenie. Die Aufstellung des Heboids hat deswegen keinen
Anldang finden können.
Ein anderer wichtiger und sehr häufiger Typus ist der schizophrene
Alkoholiker, der meist verkannt und immer unrichtig behandelt wird. Viele
Schizophrene ergeben sich ja dem Trunk; man übersieht dann gewöhnlich die
Grundkrankheit (vgl. Graeter).
Ob man die schizophrenen Querulanten zu dieser Gruppe zählen
will, ist Sache der Willkür. Von den einfach unverträglichen Leuten zu den
1) Vgl. auch Weygandt. (813) und Diem (180).
Untergruppen. Schizophrenia simplex.
195
■anoiden Queriüanten mit ausgesprochenen Wahnideen gibt es all
ice • man tut vieUeicht am besten, irgendwo in der Mitte der Skala einer
machen, und die eine Hälfte, die keine eigentlichen Wahnideen hat,
die andere zum Paranoid zu zählen.
Ferner sind unter den verschrobenen Köpfen aUer Arten, die als Welt-
fbesserer, Philosophen, Schriftsteller, Künstler auffallen, neben „Degene-
rierten" viele einfache Schizophrene.
Bin junger Schweizer, der die Handelsschule mit Erfolg absolviert hat, natm-aü-
siert sich als Deutscher, um Unteroffizier zu werden; als solcher macht er die Kriege
von 66 und 70 mit; nachher wird er Photograph, treibt sich aber in verschiedenen
Stellungen als Gehilfe oder Reisender herum; zwei Versuche, sich selbständig zu
machen" scheitern kläghch; er büßt sein ganzes Vermögen ein. Die Heirat etwa
im 40. Jahre ändert nichts an der Sache. Er wird immer unfähiger, immer gleich-
gültiger, arbeitet schheßhch gar nichts mehr, kümmert sich nach dem Tode seiner
Frau nicht um seine Kinder, sitzt zu Hause oder in den Wirtshäusern herum ohne
eigentHche Alkoholexzesse, und erst im 52. Jahre kommt Patient in die Pflegeanstalt.
In diesem Falle zeigte sich die Schizophrenie zunächst jahrelang nur darin, daß
Patient ohne rechten Grund seinen Beruf aufgab und die NationaUtät wechselte.
Ganz allmähhch wurde er aber leistungsunfähiger und gleichgültiger, und erst Ende
der Vierzigerjahre scheint die Krankheit ein etwas rascheres Tempo bis zur totalen
Verblödung eingeschlagen zu haben.
Bin Lehrer, der sehr gut durchs Seminar gekommen, geht, da er nicht gleich
nach dem Examen eine Stelle findet, als Hauslehrer nach Rxmiänien. Er bleibt dort
acht Jahre, läßt sich aber auf verschiedene Arten um sein Salär bringen ; dann kommt
er aller Mittel entblößt zurück, bewirbt sich um Lehrerstellen, vikariert an den ver-
schiedensten Orten, bekommt aber jahrelang keine feste Stelle, bis ihn einmal eine
kleine Gemeinde wählt, um ihn ein halbes Jahr später wegen seiner Unfähigkeit
wieder wegzuwählen. In einem anderen Kanton hat er nicht mehr Glück; eine Stelle,
wo er — wenigstens vorläufig — hätte bleiben können, verließ er Knall und Fall,
ohne Aussicht auf eine andere zu haben. Natürlich war er immer in Geldverlegenheit,
mußte Schulden machen, verpfändete seine Pension zu migünstigen Bedingungen,
versetzte seine Sachen, alles in der Meinung, daß die Verhältnisse sich nun anders
gestalten müßten, denn bis jetzt hatte ihm nur dies oder jenes zufällig gefehlt;
weim man ihm jeweilen noch so und so viel vorstreckt, so ist er ganz sicher, daß er
dann eine Stelle bekommt und alles wieder ordnen kann. Daß er an seinem Miß-
geschick selber schuld ist, davon hat er trotz aller Belehrmigsversuche keine Ahnung.
Schheßlich bombardiert er alle Behörden, die mit ihm zu tun haben, mit Bitt-
gesuchen oder Darstellungen seines guten Eechtes, denen Anschuldigungen und
Beschimpfungen beigemischt werden, schädigt diejenigen, die ihm Kredit geben,
und kommt im 45. Jahre in die Anstalt, wo er in allen wichtigen Dingen ganz gleich-
gültig ist, nichts arbeitet und nur darauf beharrt, man müsse ihm eine Lehrstelle
geben, die er bei seinen Fähigkeiten ganz gut ausfüllen könnte.
Anderer Typus, mit Reizbarkeit : Normales, intelligentes Mädchen verheiratet
sich mit 20 Jahren und lebt über fünf Jahre in glücklicher Ehe. Ganz allmählich
wird sie reizbarer, gestikuliert auffallend beim Sprechen; das nahm zu, sie konnte
kein Dienstmädchen mehr behalten, bekam mit den Hausbewohnern Streit, und
innerhalb der FamiUe hatte sie sich zum unerträghchen Hausdrachen ausgewachsen,
der nur Rechte, aber keine Pflichten kannte. Die Haushaltung konnte sie nicht
mehr führen, weil sie ganz ungeschickte Einkäufe machte und überhaupt alles un-
praktisch in die Hände nahm. In der Anstalt viele Jahre lang das gleiche Benehmen,
13*
f
196
Schizophrenie.
nur in zunehmendem Maße, so daß man sie auf der Abteilung nur in ihrem Zimmer
und im Freien nur da liaben kann, wo wenig Leute sind. Sie kann aber nach mehr
als zehnjährigem Aufenthalt noch frei ausgehen, wenn sie auch durch Schwätzereien
manche Unannehmlichkeit verursacht. Hat beständig über ungenügende Behandlung
irgendwelcher nervöser Leiden zu klagen. Wichtigen Dingen, wie ihrem Verhältnis
zur Familie, gegenüber, ganz gleichgültig; keine Liebe zu ihren Kindern; ist nicht
imstande, sich zusammenzunehmen, obschon sie ganz gut weiß, daß sie ein schönes
Leben haben könnte, wenn sie weniger keifen würde. Keine paranoiden oder kata-
tonen Symptome.
Sehr viele Leute werden bei genauerem Zusehen der einfachen Schizo-
phrenie verdächtig, ohne daß man im gegebenen Moment die Diagnose sichern
kann. Sehr oft aber wird nach Jahr und Tag die Vermutung bestätigt, so daß
es ganz unzweifelhaft ist, daß viele Schizophrene herumlaufen, deren Symptome
nicht ausgesprochen genug sind, um die Geisteskranlcheit erkennen zu lassen.
Wenn man die Verwandten unserer Patienten beobachtet, so findet man oft
Eigentümlichkeiten bei ihnen, die qualitativ ganz identisch sind mit denen der
Patienten selbst, so daß die Krankheit nur als eine quantitative Steigerung
der Anomalien bei Geschwistern und Eltern erscheint.
Solche leicht Kranke gelten als Nervöse verschiedener Art, als Degenerierte
usw. Verfolgen wir die Anamnese der in späteren Jahren durch eine Exazer-
bation, eine gerichtliche Untersuchung, einen pathologischen Rausch oder einen
ähnlichen Zufall in die Anstalt gebrachten Kranken, so finden wir gewöhnlich
in der ganzen Vergangenheit leichte pathologische Symptome, die sich im Lichte
der neuen Erkrankung unzweifelhaft als schizophrene darstellen.
Es gibt also eine latente Schizophrenie, und ich glaube gerade-
zu, daß diese Form die häufigste ist, wenn sie auch am seltensten
als solche in Behandlung kommt.
Die Efscheinungsweisen der latenten Schizophrenie zu beschreiben, lohnt
sich wohl nicht. Alle Symptome und Symptomenkombinationen, die bei der
ausgebildeten Krankheit zu sehen sind, können hier in nuce vorkommen. Reiz-
bare, sonderbare, launenhafte, einsame, übertrieben pünktliche Leute erregen
unter anderen den Verdacht, schizophren zu sein. Oft findet man versteckt
noch das eme oder andere katatone oder paranoide Symptom, und Exazer-
bationen von verschiedenstem Habitus im späteren Leben beweisen, daß alle
Formen der Krankheit latent verlaufen können.
E. Spezielle Gruppen,
a) Periodische.
Es hat einen gewissen Wert, noch von einigen anderen Gesichtspunkten
aus einzelne Gruppen herauszuheben.
a) Da sind zunächst die „periodischen" Fälle. Der Begriff des
Periodischen ist in der Psychiatrie ein sehr unbestimmter. Am meisten verdienen
diesen Namen diejenigen Psychosen, deren aloite AnfäUe sich ganz nach
dem Schema des manisch-depressiven Irreseins wiederholen. Bald nach der
Pubertät, selten später, treten die ersten manischen oder melancholischen An-
fälle, auf die sich dann in längeren oder kürzeren Intervallen wiederholen; auch
Untergruppen. Periodische. Altersgruppen.
197
zyklische Formen sind nicht so selten. In den meisten Fällen dieses Typus
ist die nach dem AnfaUe zurückbleibende Demenz anfänglich eme geringe.
Die meist deutlich hervortretenden schizophrenen Symptome lassen aber kernen
Zweifel über die Diagnose und den endlichen Ausgang.
Die Perioden sind in einzelnen Fällen sehr kurz und auch zuweilen von ver-
blüffender Kegelmäßigkeit, wie ich sie von dem manisch-depressiven Irresem nicht
kenne. Ich habe einen Fall gesehen, der mehr als 30 Jahre lang immer den einen
Tag manisch, den andern deprimiert war; und dieses Verhalten änderte sich auch
nicht, als die Hirnatrophie des Alters ihre Symptome zu der Schizophrenie hinzutrug.
Bei einer andern Kranken dauerten die Phasen viele Jahre lang 25 Stunden; der
"Wechsel fiel dann in jede Tageszeit und war ein momentaner. Eine Katatoikan
war lange Zeit an einem Tage verhältnismäßig gut, arbeitete, aß sehr viel, sprach
aber wenig. Am andern Tage war sie Stupores, negativistisch, mibeweglich, absti-
nierte. — Eine chronisch Katatonische war regelmäßig jeden zweiten Tag aufgeregt,
schrie und verbigerierte ; an den anderen Tagen war sie stuporös, lenksam; gab
man ihr an den Lärmtagen Schlafmittel, so wurde der Zyklus ver-
schoben; sie blieb an diesem Tage ruhig, lärmte aber am folgenden.
Es handelt sich also bei diesen kurzen Perioden ebensowenig wie bei den
längeren immer um manisch-depressive Sjonptome. Alle Arten von Aufregungen
können abwechseln mit allen Arten von Darniederliegen der psychischen
Tätigkeit. Naecke (505, S. 645) nennt solche Fälle Katatonia alternans;
einer seiner Kjanken war jeweilen zirka 25 Stunden in Erregung und zirka
29 Stunden im Stupor (vgl. auch Schubert).
Merkwürdig sind diejenigen Veränderungen des Bildes, in denen die Kranken
meist imter psychischen Einflüssen bald ganz in den Wahnideen leben, dann
wieder sich an die Wirklichkeit halten. Meist allerdings sind hier die Wechsel
zwischen den einzelnen Phasen so kurz, daß man lieber von einem einheitlichen
Zustandsbild mit verschiedenem Aspekt spricht, so wenn eine Spätkatatonie
zwei Zustände zeigt, die während eines einzigen Gespräches wechseln können.
Beispielsweise war der erste Zustand in einem Falle durch Orientierung in der
Umgebung und eine gewisse Einsicht charakterisiert; im zweiten hielt die
Patientin den Arzt für den Teufel, änderte die ganze Umgebung im gleichen
Sinne und kroch angstvoll unter die Decke.
Man sollte natürlich diejenigen Fälle, deren Periodizität von innen heraus-
kommt, scharf trennen von den anderen, die nur unter psychischen Einflüssen bald
Aufregungen, bald Ruhe haben. Wie schon aus den obigen Andeutungen hervor-
geht, läßt sich aber eine solche Trennung nicht recht durchführen, nicht nur, weil
wir die Veranlassungen der einzelnen Phasen gar nicht immer genau kennen, sondern
namentlich auch deshalb, weil eben oft beide Ursachen zusammenkommen müssen,
um den Anfall auszulösen oder zu beendigen.
b) Altersgruppen.
Die Schizophrenie ist nicht eine Pubertätspsychose im strengen Sinne,
wenn auch die meisten Erkrankungen bald nach der Pubertät manifest werden!
Bei eimgermaßen guter Anamnese kann man mindestens ö^o der FäUe in die
Kindheit, und zwar bis in die ersten Lebensjahre zurückverfolgen. Dabei lassen
wir die Anomalien, die nicht deutlich schizophrenen Charakter haben, ganz
198
Schizophrenie.
unberücksiolitigt, obsohon wir wissen, daß die Krankheit viele Symptome von
allgemeinerer Bedeutung in sich schließt.
Unterschiede der infantilen Formen gegenüber den anderen kennen wir
vorläufig nicht. Bekommt man die Kranken im Kindesalter zur Beobachtung,
so zeigen sie die gleichen Symptome wie die Erwachsenen; nur ist uns bis jetzt
aufgefallen, daß eine Analyse dieser Fälle schwieriger war. Kinder sind sich
zwar nicht in ihren Wünschen, wohl aber im Inhalte derselben wenigei klar
als die Erwachsenen; möglicherweise hängt die Schwierigkeit damit zusammen,
vielleicht aber auch mit unserer ungenügenden Erfahrung im Umgang mit den
Ideinen Geisteskranken.
Die Prognose der vor der Pubertät bei uns eingetretenen Fälle scheint
für die nächsten Jahre eine nicht ganz schlechte zu sein; ich erinnere mich nur
an zwei, die in der Anstalt hängen geblieben sind. Was später aus ihnen wird,
weiß ich nicht. Die Anamnesen der Aufnahmen Erwachsener zeigen aber, daß
wenigstens ein Teil dieser FrühlCTanken rezidiviert und dann meist stark verblödet.
Die Erkrankungen des zweiten und dritten Jahrzehntes sind zum großen
Teil die hebephrenen imd katatonen Formen, während im vierten Dezennium
und wenig vorher eine gewisse Vorliebe für paranoide Formen zu bemerken ist.
Diese nimmt noch einige Zeit zu, so daß Kraepelin eine Form des „Bf:-
einträchtigungswahnes", die wir der Schizophrenie zuzählen müssen, als
,, präsenile" herausheben konnte.
Lugaro (428) hat für diese Tatsachen eine ansprechende Erklärung ge-
geben, die aber noch der Bestätigung bedarf : er meint, daß die anfertige Psyche
durch den Elrankheitsprozeß mehr geschädigt werde als die fertige, vne wir ja
wissen, daß alte Erinnerungsbilder durch Zerstörungen im Gehirn viel weniger
alteriert werden als neue Erwerbungen. Die Persönlichkeit und das ganze Ver-
hältnis des Menschen zu seiner Umgebung bildet sich um bis ins dritte Jahr-
zehnt, muß also vor dieser Zeit besonders vulnerabel sein, während die gefestigte
Persönlichkeit des späteren Alters zwar verändert, aber nicht so restlos vernichtet
werden kann. Es kann aber auch sein, daß leichtere „Disposition" zugleich zu
späterem Ausbruch und zu geringerer Alteration der Persönlichkeit neigt.
Jedenfalls müssen diese Verhältnisse durch die Stärke des Krankheits-
prozesses eventuell auch durch die Intensität psychischer Faktoren in ehizehien
Fällen verändert werden können. Denn wir sehen Paranoide auch in der Puber-
tät erkranken, und vor allem wissen wir, daß es auch Spätkatatonien gibt.
Kraepelin hat zuerst auf die nicht seltenen Fälle aufmerksam gemacht, die
in der Involutionsperiode an einer anscheinend gewöhnlichen Melancholie
erkranken, dann aber katatone Symptome bekommen und schließlich in katatone
Verblödung übergehen. Es ist hinzuzufügen, daß in jeder Periode des späteren
Alters die gleichen Formen auftreten können wie früher. Ob sie Rezidive oder
Exazerbationen einer früheren Erkranlcung sina, können wir noch nicht ent-
scheiden; doch haben wir noch keinen Fall gesehen, bei dem wir einen früheren
Beginn sicher ausschließen durften.
c) Ätiologische Gruppierungen
gibt es in der Schizophrenie nach unserem jetzigen Wissen nicht. Wir müssen
annehmen, daß durch Kopftraumen schizophrene Krankheitsbilder erzeugt
Untergruppen. Ätiologische Gruppierungen.
199
oder ausgelöst werden können; sicher ist es, daß Fieberzustände und normale
Puerperien Schübe von Schizophrenie im Gefolge haben können, ja daß der
erste Anfall sich manchmal an solche Vorgänge anschließt. Wir kennen aber
keine bestimmten Typen oder Symptome, die einer solchen Ätiologie entsprechen.
DieHaftpsyohosen besitzen zwar ein der veranlassenden Ursache entsprechen-
des Gepräge; es handelt sich aber hier nicht um Charakterisierung der ganzen
Krankheit, sondern um die der Symptome. Der „Haftkoraplex" äußert sich in dem
Wiuische, befreit zu werden, oft in dem Bedürfnis unschuldig zu sein oder wenig-
stens so zu gelten. So hört der Ki'anke eines Tages den Direktor oder einen
Engel oder sonst eine kompetente Person sagen, daß er freigesprochen sei, oder
daß er entlassen werde. Er wird gehobener Stimmung — aber nicht entlassen.
Es sind eben Feinde da, die ihn gefangen halten wollen; sie lassen ihn trotz
Verfügmi^en von kompetenter Stelle nicht gehen; sie verhindern die Boten, zu
ihm zu kommen; sie fangen an ihn zu quälen, lassen giftige Gase in seine Zelle
strömen, mißhandeln ihn in der Nacht, machen ihm schreckhafte Bilder vor.
So wird er zuerst gereizt, dann lärmend und gewalttätig, kommt in psychiatri-
sche Behandlung, -wo der psychisch, ausgelöste Anfall in vielen FäUen verhältnis-
mäßig rasch, d. h. meist in einigen Wochen abldingt und die chronische Schizo-
phrenie in irgend einer Form zurückläßt. Nicht immer natürlich verläuft der
Anfall in dieser Weise. Statt sich bloß gerechtfertigt zu fühlen, kann der Sträf-
ling zum Weltverbesserer, zum zweiten Erlöser werden. Die Verfolgungen
werden dann längere Zeit etwas besser ertragen. Es kann auch vorkommen,
daß schon der Untersuchungsgefangene, besonders wenn er Alkoholiker ist,
an einer akuten Psychose erkrankt. Er sieht dann etwa in einem zusammen-
hängenden Delirium alle möglichen Versuchungen, Anstalten zu seiner Erlösimg,
die er mit der Erlösung der Menschheit überhaupt identifiziert; nach mehr-
tägigen Erlebnissen, die die Apokalypse übertrumpfen, wird er endlich feierlich
in den siebenten Himmel aufgenommen — die Haft kann ferner einen Gans er-
sehen Zustand oder das Faxensyndrom auslösen. — Natürlich kann auch bei
schizophrenen Sträflingen der „Haftkomplex" wirkungslos bleiben; dann sieht die
entsprechende Schizophrenie eben auch in dieser Beziehung aus wie irgend eine
andere.
Oder es kann vorkommen, daß wie bei anderen Psychopathen der Haß
gegen die Gesellschaft und das vöUige Versagen jeden Ausweges zu einem zer-
störenden Wutanfall führt (Zuchthausknall). Leute der letzteren Kategorie
können nach em paar Stunden wieder in dem ruhigen früheren Zustande sein,
der besonders leicht nach dem Schlafe der Erschöpfung eintritt. •
Besondere Erwähnung verdienen auch die „Menstruationspsychosen".
Schon die gewöhnlichen schwereren Fälle in den Anstalten sind zu einem be-
trächtHchen Teil während der Menstruation stärker aufgeregt. Ganz leichte
Falle können viele Jahre lang nur während der Periode Icrank erscheinen. Solche
Zustande kommen als Residuen nach akuten AnfäUen, als Vorläufer von schwere-
ren Erkrankungen, aber auch ohne weitere Komplikationen vor; im letzteren
i'alle können sie heilen, namentlich im Klimalcterium.
Ich kannte eine in Haushalt und Geschäft tüchtige Frau, die während mehr
m t .Tw.« V T, t^uation deutlich schizophrene Verstimmungen hatte
mit etwas Verfolgungswahn, Suiz.dtncb, schizophrenem Gedankcnaano- nnd schizo-
200
Schizophrenie.
phrener Reaktion auf ihre Kiaukheit. Sie ist seit einigen Jaliren frei von manifesten
Symptomen. In diesem Falle lag Verwechslung mit maniscli-depressiver Ver-
stimmung sehr nahe.
d) Gruppierung nach der Intensität der Krankheitserscheinungen.
Von den latenten Schizophrenien bis zu den schwersten gibt es alle Über-
gänge. Hier sind nur besonders zu erwähnen die letalen Fälle. Sie haben,
soviel ich weiß, alle katatonischen Charakter. Natürlich zählen wir hierzu nicht
diejenigen Fälle, die aus Nahrangsmangel, an Erschöpfung bei beständiger
Bewegung, an Infektionen durch die Verletzungen oder au gehäuften epilepti-
formen Anfällen zugrunde gehen. Die von solchen Einflüssen unabhängigen
Schwankungen des Kräftezustandes können so weit gehen, daß die Nahrung
überhaupt nicht mehr assimiliert wird. Trotz künstlicher Ernährung und aller
Sorgfalt der Behandlung gehen die Patienten an Atrophie zugrunde; meist inner-
halb einiger Wochen oder Monate.
Es gibt aber auch eine andere Gruppe, die an einer Art katatoner Hirn-
lähmung umzukommen scheint. Die Patienten gleichen zunächst ganz den
gewöhnlichen Schizophrenen, fallen aber bald durch eine gewisse Kjaftlosigkeit
auf; trotz der motorischen Erregung sind die Bewegungen nicht ausgiebig,
nicht kräftig; die Verbindung mit der Außenwelt erscheint eine ungenügende,
man bekommt gar kein Verhältnis zu ihnen, auch nicht das negative wie bei
vielen anderen Katatonien; wenn sie reagieren, reagieren sie langsam auf Anreize
von außen. Der Mund wird nicht mehr gereinigt, der Lidschlag wird selten,
oder hört ganz auf; trotz aller Gegenmaßregeln, die allerdings von den wider-
spenstigen Kranken möglichst erschwert werden, gibt es nekrotische Stehen
in der Kornea, unter Umständen auch Dekubitus der äußeren Haut, die Farbe
wird fahl, und die Patienten gehen innerhalb weniger Wochen zugrunde. Daß es
sich um Schizophrenien, wie alle andern, handeln kann, beweist nicht nur die
Symptomatologie der letalen Fälle, sondern vor allem der Umstand, daß solche
lischeinungen bei Kranken auftreten können, bei denen die Diagnose schon
lange vorher gesichert ist. Auch längst abgelaufene, stillstehende Fälle können
plötzlich eine Hirnlähmung bekommen, die in wenigen Tagen zum Tode führt.
III. Abschnitt.
Der Verlauf.
A. Der zeitliche Verlauf.
• Alle die verschiedenen Verlaufsweisen der Schizophrenie zn schildern
ist unmöglich. In den Lehrbüchern findet man nicht die häufigsten Variationen,
sondern diejenigen, die am leichtesten zu beschreiben sind. Am nächsten kommt
man wohl der Wirklichkeit, wenn man sich Idar macht, daß nur die Verlaufs-
richtung nach der schizophrenen Demenz hin bestimmt ist, daß aber im
einzekien die Krankheit zeitlich und qualitativ ziemlich regellos verlaufen kann;
kontinuierliches Fortschreiten, Stillestehen, Schübe, Kemissionen sind jederzeit
möglich^).
Man glaubte früher, dem Ziele näher zu sein. Für ihre Hebephrenie hatten
Kahlbaum und Hecker den sicheren Ausgang in Verblödung angenommen.
Kahlbaums Katatonie sollte einen ganz bestimmten Zyklus von verschiedenen
Stadien durchmachen 2). Diese und noch manche von anderen aufgestellte
Kegel hat sich als unrichtig erwiesen.
Immerhin gibt es eine Anzahl von Fällen, die sich einigermaßen in ein
Schema einreihen lassen. Viele Schizophrenien werden mit einer akuten
Erregung manifest. Während der Erregung sinkt das Niveau der Intelligenz
oft so, daß man nach dem ersten Anfalle schon von Blödsinn sprechen kann
(,, sekundärer Blödsinn" der Autoren); oder das akute Syndrom hinterläßt
chronische Halluzinationen und Wahnideen (,, sekundäre Paranoia"). Der Anfall
kann sich wiederholen, wobei die Intelligenz jedesmal weiter herimtergesetzt
wird; oder nur bei einem einzelnen von mehreren Anfällen bemerkt man den
Sturz des geistigen Niveaus. Der Begriff der „selnindären" Zustände hält aber
^) Es gibt viele Mitteilungen über ,, ungewöhnlichen Verlauf" hierher gehörender
Krankheitsbilder. Keiner der mir bekannt gewordenen Fälle hatte etwas, was nicht jeder
beschäftigte Irrenarzt in prinzipiell gleicher Weise schon oft gesehen hat. Der Autor hat
sich jeweilcn einen „gewöhnlichen Verlauf" konstruiert, der aber der Wirklichkeit nicht
gerecht wird. Das Ungewöhnliche liegt dann nur darin, daß der Autor in einem besonders
eklatanten Falle die Abweichung von seinem Schemen bemerkte.
^) Allerdings ist anzunehmen, daß er selbst ebensowenig wie ich einen ganz nach
seinem Schema verlaufenden Fall gesehen habe; denn er publiziert nicht eine einzige
Krankengeschichte, die in seinem Sinne typisch wäre.
202
Schizophreuie.
den Tatsachen nicht einmal in diesen Fällen mit alaitem „Beginn" Stand, indem
die „Verblödimg" auch nach Beendigung des akuten Syndroms noch Fort-
schritte macht oder — gar nicht selten — erst einige Zeit nach dem Abklingen
der Erregung einsetzt. Es gibt indes, soviel wir wissen, keine akuten Formen,
die notwendig einen dauernden Ausfall bedingen müssen^). Die Dämmer-
zustände verlaufen in der Regel gut.
Die akuten Episoden können einige Stunden bis Jahre dauern Diejenigen
die wir in die Irrenanstalten bekommen, sind zum größten Teil in einer Anzahl
von Monaten abgelaufen. Sie können einzeln vorkommen oder sich beliebig
oft wiederholen.
Den Formen mit akuten Syndromen aller Arten ist die einfache Schizo-
phrenie gegenüberzustellen, da sie am häufigsten gleichmäßig schleichend
verläuft imd Dezennien zu ihrer Entwicklung gebrauchen kann, ohne daß Schübe
oder Eemissionen zu bemerken wären. Es gibt aber auch einfache Verblödungen,
die von einem Tage auf den andern eine solche Höhe erreicht haben, daß die
Patienten vollständig arbeits- und gesellschaftsunfähig sind. (Allerdings weiß
ich nicht, ob die wenigen Fälle, die ich so habe verlaufen sehen, nicht später
akzessorische Symptome bekommen haben.) Viele Verblödungen verlaufen
aber ganz unregelmäßig, zeitigen dann meist akute Syndrome und werden des-
halb nicht zur einfachen Schizophrenie gerechnet.
Auch das Paranoid hat eine gewisse Vorliebe zu chronischem Verlauf.
Da wir aber hier nicht die unkomplizierten Fälle von vornherein abtrennen,
sind bei dieser Gruppe — ganz abgesehen von den ,, sekundären" Fällen —
Schübe, interkurrente Aufregungen und Remissionen sehr häufig ; doch kommen
die Schultypen mit ziemlich gleichmäßig verlaufender ganz flacher Kurve vor.
Ein subakut beginnendes und dann viele Jahre stabiles Paranoid ist die
Dementia paranoides.
Die unregelmäßig verlaufenden Fälle sind die häufigsten. Sie zu beschreiben
'ist unmöglich. Einige Beispiele sollen sie charakterisieren.
Bäuerin. 17 Jahre alt. Katatonie von zwei Jahren Dauer. Nachher Kranken-
schwester; nach zwei Jahren entlassen. Dann Hebamme; Heirat. Der Mann kam
schwer mit ihr aus; sie duldete z. B. nicht, daß er bei der Arbeit singe. Unbegründete
Sympathien und Antipathien. 38 Jahre alt wieder leichte Katatonie von sechs
Monaten Dauer. Seitdem Avieder acht Jahre draußen arbeitend, aber nicht mehr
als Hebamme.
Kaufmann. 20. Jahr Kopfweh. 21. Jahr innere Angst. Idee geisteskrank zu
werden. Abulie; arbeitete aber tadellos. Besserung. 22. Jahr gleiche Symptome
wie früher, nur stärker; nun arbeitsunfähig.
Grußputzer. In Jünghngsjahren Bein Verletzungen ; als man ihn elektrisierte,
meinte er, das fahre ihm aufs Herz. 28. Jahr Anfälle von Beklemmung zur Zeit der
Heirat. „Geistig immer gesund." Seit 35. Jahr nach Influenza immer Kopfweh.
46. Präkordialangst in Anfällen, Schlaflosigkeit, Geistesabwesenheit, Unverträglich-
keit, stummes Brüten; Verfolgungs- und Kleinheitswahn, Suizidversuch. Anstalt.
Besserung.
Seidenweber. Intelligent. 15. Jahr religiös, Größenwahn. 20. Jahr katatoni-
sche Tobsucht, gebessert. 27. Jahr Blödsinn konstatiert. 29.— 31. Katatonie. Bis
1) Die mit Benommenheit verbundenen Syndrome habe ich, seit ich sie von den
anderen abtrenne, nur in nicht zahh-eichen schlimm ausgclienden Fällen gesehen.
Verlauf. Zeitlicher Verlauf.
203
55. Jahr fleißiger stiller Weber, der die Eltern und sich selbst erhielt. 55. Selbst-
kastratiou; seitdem still in der Anstalt, mit einigen katatonen Symptomen, meist
ein wenig arbeitend.
Kaufmannsfrau. 29. Jahr Leberleiden, Verstimmung, hysteriforme Krämpfe;
seitdem bei jeder Periode bös, verstimmt; zeitweise Trunksucht. 35. Jahr Verfolgungs-
wahn; nach einigen Monaten Anstaltsaufenthalt „geheilt", blieb aber aufbrausend.
37.— 40. Jahr alhnähliche Entwicklung von immer blöderem halluzinatorischem
Paranoid.
Haushälterin. Auffallend religiös. Nach der Pubertät mehrmonatliche Melan-
cholie; eine Stimme flüsterte ihr, was sie in einem Briefe schreiben sollte. Dann
10 Jahre lang das „Ideal einer Magd", sehr anhänglich, verträglich, gewissenhaft.
Dann mehrere Jahre dauernder manischer Zustand mit blöden, religiös-erotischen
Wahnideen. Später wieder in Stellung.
Fabrikarbeiterin. Kurz nach erster Menstruation einige Wochen manisch.
Dann gesund, nur reizbar, zurückgezogen, fühlte sich verspottet, lachte vor sich hin.
21. Jahr blöder manischer Wahnsinn; geheilt entlassen. Bis 33 gesund. Dann ver-
wirrter religiöser Wahnsinn; wieder geheilt; hielt aber nicht mehr an den Stellen
aus. Nach zirka fünf Jahren allmähliche Ausbildung einer halluzinatorischen Ver-
wirrtheit, aufgeregt, auch in der Anstalt nicht mehr arbeitsfähig.
Bauer. 25. Jahr Schlaflosigkeit. 28. Dämmerzustand, einige Monate; Heilung
über Nacht. ,, Gesund" bis 30. Jahr, nur am Leichenbegängnis eines suizidierten
Nachbars einen Tag aufgeregt. Wenn er die frühere Geliebte sah, je einen Tag stumpf,
mutistisch, abstinierte. 31. schrieb ihm die Geliebte einen Brief; darauf plötzliche
schwere deprimierte Katatonie. Nach fast einem Jahre Besserung. Arbeitsfähig
entlassen. Ein Jahr später Suizid.
Bauernknecht. Mit 20 Jahren Idee, ein großes Vermögen zu erben; trinkt;
macht Neologismen. Mit 49 Jahren mimotivierter Wutanfall, in dem er alles zu-
sammenschlägt. Irrenanstalt. Nach einigen Wochen arbeitsfähig entlassen.
Vorzüglicher Schüler. Vom 16. Jahr an mit jedem Jahr schlechter, ungleich.
Dennoch gute Maturität mit 19 Jahren ; infolge einer Gonorrhöe aufgeregte Depression.
Wieder besser, verlangte aber einen Beruf mit körperlicher Arbeit. Bald darauf
schM^ere Katatonie, definitive Verblödung.
Frau. Im 10. Lebensjahr in die Irrenanstalt. Mit 20. Jahr „verrückt" in-
folge eines Notzuchtattentates, dann anscheinend gesund. Mit 71 Jahren wieder
in die Anstalt (Bertschi nger 295).
Frau. Nach der Pubertät depressive Katatonie. Galt dann als gesund. Heiratete,
hatte Kinder. Dann in den Siebziger jähren melancholisch-schizophrener Anfall.
Arzt. Mit 29 Jahren Zerebralneurasthenie. 31jährig nach Tvphus Katatonie.
47 jährig geheilt; bald Wiederaufnahme der Praxis, Heirat. Seit zwei Jahren gesund.
(Schäfer, Monatschr., 22 Ergh. 72).
Bei allen Verlaufsarten können zu jeder Zeit E xa zer b atio ne n auftreten,
sei es, daß der chronische Zustand sich verschlimmert, sei es, daß akzessorische
Symptome auftreten oder auch, daß aluite Episoden irgend einer Art sich ein-
stellen. Solche Verschlimmerimgen können von innen heraus kommen, aber
auch durch physische Einwirkungen, wie eine Alkoholintoxikation, und vor allem
durch langsam oder schockartig wirkende psychische Ursachen ausgelöst werden.
Sind die Verschlimmerungen Wiederholungen akuter Zwischenfälle,
oder treten sie nach weitgehenden Remissionen auf, so nennen wir sie Rezidive'
Diese kopieren häufig die früheren AnfäUe mehr oder weniger, können aber auch
einen neuen Charakter annehmen.
204
Schizophrenie,
Ist einmal ein relativ stabiler Zustand erreicht, so sind die Schübe nicht
mehr häufig. Bei etwa 200 Kranken der Pflegeanstalt. Rheinau, die meist schon
beim Eintritt viele Jahre Kranldieit hinter sich hatten, fand ich nach 10 Jahren
wenig mehr als ein Dutzend, die sich wesentlich verschlimmert hatten.
Bei dem Material unserer Anstalten sind aber volle Stillstände, wie
mir scheint, doch nicht so häufig. Wenn man auch meist nichts von einem
Fortschritt der Verblödung bemerkt, solange man im täglichen Kontakt mit
seinen Kranken ist, so fällt doch eine Verschlimmerung gewöhnlich auf, wenn
man sie wieder mustert, nachdem man sie viele Jahre nicht mehr beobachtet
hat. Auch draußen macht sich dieses Fortschreiten der Ej-ankheit bemerkbar.
Die meisten Patienten unserer Pflegeanstalt sind erst im vierten oder fünften
Dezennium, also lange nach ihrer Erlcranlamg eingebracht worden. Das muJ3
seine Gründe auch in der allmählichen Zunahme der asozialen Eigenschaften
haben, nicht nur in den äußeren Umständen (daß die Umgebung ihrer über-
drüssig wird, daß die Eltern wegsterben usw.). Der Ausgang eines einzelnen
Anfalles oder Anstaltsaufenthaltes ist also in keiner Weise gleich-
wertig mit dem Ausgang der Krankheit. Andererseits ist es sicher,
daß von den leichteren FäUen, die draußen ihren Unterhalt verdienen, ein
großer Teil sich auch in Jahrzehnten nicht verschlimmert.
Wirkliche Stillstände können zu jeder Zeit eintreten, sind aber natürhch
in chronischen Zuständen nicht so auffallend wie in akuten. Bilden sich während
eines Stillstandes gar eine Anzahl von Symptomen zurück, so zählen wir sie
zu den Kemissionen^).
Besondere Beachtung verdienen die gar nicht seltenen ganz plötzlichen
Remissionen mitten in akuten Anfällen, namentlich in solchen mit dem
Charakter des Wahnsinnes oder der Katatonie : dem Laien können solche Kranke
dann ganz normal erscheinen. Bei genauerem Zusehen findet man aber eine
merkwürdige Indifferenz wenigstens gegen das im Anfall Geschehene.
Ein Dienstmädchen fängt beim Aufwaschen plötzlich zu toben an, zerschlägt
das Geschirr, macht großen Lärm. Als endlich Hilfe kommt, findet man die Kranke
ganz ruhig und besonnen mit Aufräumen beschäftigt; sie begreift aber nicht, daß
man soviel Aufsehens davon macht. Nach einem halben Tage beginnt das Toben
von neuem und hält dann viele Wochen lang an. — Einer unserer verwirrt auf-
geregten Katatoniker hatte sehr oft solche Akalmien, die man dazu benutzte, ihn
zu nähren.
Momentane Remissionen treten auch etwa im späteren Verlauf ein; sie
können auch da einige Stunden dauern oder so lange, daß sie in eigentliche
Besserungen übergehen, wenn auch die plötzlichen Heilungen eher einen baldigen
Rückfall erwarten lassen als die langsameren.
Definitive oder vorübergehende Besserungen kommen teils spontan
vor teils im Anschluß an eine psychische Einwirkung, eine Versetzung, eme
Entlassung, einen Besuch, einen Wickel, ja nach einer Chloroformnarkose
(Näcke und Steinitz)^). Sie sind wohl in chronischen Zuständen bedeutend
seltener als in akuten, fehlen aber auch da nicht.
1) Andere nennen sie auch Intermissionen und Heilungen.
2) Ich selbst habe sehr ^dele Chloroformnarkosen ausgeführt, ohne einen solchen
Effekt.
Verlauf. Beginn.
205
Für die chroniscli aufgeregten Fälle gilt es als Regel, daß
sie nacli Jahren ruhiger werden. Dieser Prozeß vollzieht sich auf die ver-
schiedensten Ai-ten. Viele werden insofern wirHich besser, als sie weniger
halluzinieren und weniger Wahnideen bilden. Bei anderen allerdings ist die
Beruhigimg zugleich eine Verblödimg, indem die Kranken nicht mehr die Kon-
sequenz besitzen, nach ihren Ideen zu handehi. Die Affekte, die an die krank-
haften Erscheinungen geknüpft sind, verblassen auf verschiedene Weise, zum Teil
wohl wie bei Gesunden, indem man sich eben an die Unannehmlichkeiten ge-
wöhnt, aber auch, indem sie einfach abgespalten werden. So können sich manche
Patienten nach Jahr und Tag wieder mit der Wirklichkeit einigermaßen ab-
finden; sie werden sogar gelegentlich außerhalb der Anstalt wieder erwerbs-
fähig, ohne daß intellektuell eine Besserimg wahrzimehmen wäre.
Über den qualitativen Verlauf der schizophrenen Symptomatologie
ist zurzeit nur folgendes zu sagen: Obgleich in keinem Falle das Hinzukommen
und Verschwinden beliebiger Symptome auszuschließen ist, behalten doch die
meisten Kranken während des ganzen Verlaufs ihren Typus ungefähr bei. Der Kata-
toniker hat katatone Symptome sowohl im akuten wie im chronischen Zustande;
beim Paranoiden sind die Halluzinationen und Wahnideen beständig im Vorder-
grund ; die akuten Zustände bevorzugen die affektiven und dämmerigen Störungen.
Aber Wechsel nach allen Richtungen sind nicht selten. Katatone oder
paranoide Symptome können verschwinden, so daß eine anfängliche Katatonie
oder ein Paranoid später einer einfachen Hebephrenie gleicht. Oder hebephrene
Aufregungen irgendwelcher Art werden oft in späteren Wiederholungen mit
katatonen Symptomen gemischt^). Überhaupt zeigen sich oft ausgesprochene
Verschlimmerungen durch (chronische) katatone Symptome an. Leider sind
wir noch lange nicht imstande, alle diese Fälle zum voraus zu erkennen.
Oft allerdings handelt es sich bei solchen Übergängen von einer Gruppe
in die andere nur um einen Wechsel des Grades. In Remissionen sehen ja die
Fälle aUer drei Gruppen einander ähnlich, indem nur noch die allgemeinsten
Symptome zu konstatieren sind; der „geheilte" Katatoniker hat natürlich
nicht mehr manifeste katatone Symptome als der Hebephrene. Umgekehrt gibt
es viele leichte Katatonien, deren Symptome so wenig ausgesprochen sind, daß
wir sie dem Paranoid zuzählen, bis Verschhmmerungen uns eines Besseren be-
lehren. Immerhin haben die meisten dieser letzteren Fälle von Anfang an etwas
besonders Steifes, psychisch und physisch weniger Bewegliches als die eigent-
lichen Paranoiden, so daß man die weitere Entwicklung zum voraus wenigstens
vermuten kann.
B. Der Beginn.
Der Beginn der Schizophrenie ist gewöhnlich ein schleichender, obgleich
die Verwandten meist zunächst ein akutes Einsetzen behaupten. Zwar°kann
1) Beispielsweise ist eine unserer liranken, die nur fünf Jahre im BurghölzH war
als Hebephrenie aufgenommen, als Paranoide geführt, als Katatonie in die Pflegeanstalt
entlassen, und alle drei „Diagnosen" waren ganz berechtigt
206
Scliizophrenie.
goradezi] von einer Minute auf die andere ein halluzinatorischer oder katatoni-
scher Zustand ausbrechen; eine Patientin Kahlbaums wurde beim Einkauf
m einem Bäckerladen plötzlich kataleptisch. Hat man aber eine gute Anamnese,
so vermißt man nur ganz ausnahmweise vorhergehende Zeichen der Krankheit'
seien es nervöse S}anptome oder Charakterveränderungen oder direkt schizo-
phrene Erscheinungen. Charakterveränderungen sind allerdings schwer zu
deuten, wenn sie nicht in der ausgesprochenen Eichtung der Krankheit ge-
schehen sind, oder wenn nicht die spätere Krankheit direkt aus diesem Charakter
herauswächst. Wenn z. B. ein Mädchen, das während der ganzen Schulzeit
neben hervorragenden Leistungen in der Musik nur mittelmäßigen Lerneifer
gezeigt hat, sich gleich nach der Pubertät mit einem enormen Eifer in alles
hineinstürzt, was allgemeine Bildung heißt, und überhaupt eine an ihm früher
nicht gekannte Energie entwickelt, bis ein ganz plötzliches katatones Delir
die Verblödung einleitet, so ist es unmöglich zu sagen, ob die Veränderung schon
der Krankheit angehörte.
Noch häufiger macht die Unterscheidung des schizophrenen Charakters
von originären Sonderbarkeiten unüberwindliche Schwierigkeiten. Immerhin
gibt es eine Charakteranomalie, die sich wohl bei mehr als der Hälfte der späteren
Schizophrenen anamnestisch nachweisen läßt: die Neigung zu Zurück-
gezogenheit, verbunden mit einem höheren oder geringeren Grade
von Keizbarkeit, so daß die Kinder schon sehr frühe auffielen, weil sie nicht
mit den anderen spielten und dafür ihre besonderen Wege gingen. Da es sicher
ist, daß viele Schizophrenien als solche in die Jugend zurückgehen, und da viele
manifeste Krankheiten als einfache Steigerungen des schon bestehenden Charak-
ters erscheinen, ist es mir wahrscheinlich, daß diese autistischen Charakter-
abnormitäten in der Regel die ersten Symptome selbst, nicht bloß Ausdruck
der Disposition waren. Oft findet man denn auch außerdem intellektuelle Eigen-
tümlichkeiten, die die Kameraden veranlassen, den Schizophreniekandidaten
schon sehr früh als ,, verrückt" zu bezeichnen. Von den zehn späteren Schizo-
phrenen, die ich in der Schulzeit kannte, war keiner wie die anderen Knaben.
Sieht man ab von diesen Auffälligkeiten des Charakters, so ist der Beginn
der Krankheit dann leicht zu erkennen, wenn ihn eigentlich schizophrene oder
wenigstens psychotische Erscheinungen markieren. Oft aber kann auch ein
Geübter in den ersten Jahren bei der genauesten Sprechstundenuntersuchung
keine spezifischen Symptome konstatieren. Daß die Verwandten in der Regel
die ersten Zeichen einer Geisteskrankheit nicht sehen oder nicht sehen wollen,
ist etwas Gewöhnliches und macht die Diagnose in der Sprechstunde oft geradezu
unmöglich.
Wenn wir also von Initialsymptomen der Schizophrenie
reden, so müssen wir uns im folgenden auf die ersten Symptome,
die aufgefallen sind, beschränken; zu oft kennen wir die wirklich
zuerst auftretenden Erscheinungen gar nicht^).
Soweit wir wissen, können alle Symptome die Szene eröffnen.
1) Von „Prodromen" sprechen wir nicht. Man kann Prodrome eines akuten Anfalles
und interkurrenter Erscheinungen überhaupt abtrennen von dem ausgebildeten Anfall,
wenn man will. — Prodrome einer Krankheit aber kann ich mir nicht denken. Was so
bezeichnet wird, sind erste Symptome, die man noch nicht richtig zu deuten weiß.
Verlauf. Beginn.
207
• . • A 1 K,R nn äUorp Ideen, daß die Katatonie in der
Knlilhanm meinte im Anschluls an altere luecu, ^ , . , ^ ,
Regel mt etrMeTlholie beginne. In seinen 32 K-kenpseh.c^.ten M
aber etwa, wa, ^an als Mela-bo,ie de„^„ kann nur «^^^
auch diesem Bahnbrecher der Psychiatrie den Bück trüben konnte.
Die eigentliche Intelligenzstör u ng wird recht selten von der Umgebung
bemerkt, obgleich sie oft schon weit vorgeschritten ist, wenn der Kranke in
die Anstalt kommt. Ganz „verrückte" Handlungen mitten im normalen Be-
nehmen fallen viel mehr auf, werden aber gerne wieder vergessen, wenn der
Patient nicht bald schwerer erkrankt.
Ein junger Soldat sollte bei der Grenzbesetzung dem Major sein Gewehr zur
Inspektion zeigen; er nahm eine drohende Haltung an mit den Worten: „Vivant
je ne lächerai pas mon fusil". Erst sechs Jahre später wurde die querulierende Schizo-
phrenie manifest (Yennacopoulos).
Charakteranomalien, die nach der Pubertät die Krankheit einleiten,
können die verschiedensten Seiten des schizophrenen Charakters hervorheben.
Namentlich Unbeständigkeit und Keizbarkeit gehen oft ernsteren Symptomen
viele Jahre lang voraus. Auch solche Erscheinungen können vorübergehen
oder z. B. mit der Menstruation periodisch kommen und verschwinden.
Neben den Charakteranomalien sind die hysteriscben und neurastheni-
schen Symptome wohl die häufigsten Vorläufer der ausgesprochenen Geistes-
krankheit. Viele Schizophrene, namentlich junge Mädchen, wandern jahrelang
mit diesen Diagnosen von Arzt zu Arzt. Die auch hier nicht seltenen Besserungen
scheinen dann die Annahme einer Neurose zu bestätigen.
Schott (666) beschreibt einen solchen Fall, zu dem Neisser (Mendels
Jahresber. 1905, 1041) bemerkt: „Es ist sehr interessant, an Hand der Kranken-
geschichte zu verfolgen, wie allmählich die geordneten mid ihrer Beschaffenheit
nach nicht besonders auffälligen Beschwerden einen immer mehr seltsamen, bizarren,
psychotischen Charakter annehmen und das Verhalten des Patienten immer starrer,
eigenwilliger und negativistischer wurde." In solchen Fällen muß man annehmen,
daß nicht der Neurasthenische später schizophren geworden sei, ebensowenig, daß die
Neurasthenie in die letztere Kranlcheit ,, übergegangen" sei, sondern, daß die Schizo-
phrenie im Beginn nur neurasthenische Symptome im Vordergrund gehabt habe.
Diese Leute führen manchmal jahrelang einen verzweifelten Kampf mit
ihrer Krankheit, bevor sie von der affektiven Lähmung oder einem halluzinatori-
schen Zustand überwältigt werden. Schüler z. B, fühlen sich unfähig zum geistigen
Arbeiten. Sie zwingen sich nächtelang dazu, versuchen alle möglichen Mittel,
nächtliche Spaziergänge, Tee, Turnen und was ihnen in den Sinn kommt. Man
hält dann ihre Sonderbarkeiten für jugendliche Launen, während die Kranken
schwer unter ihrem Zustande leiden.
Unter den gewöhnlichen neurasthenischen Symptomen ist am häufigsten
das Kopfweh, das sich allerdings meist recht launisch verhält, aber weniger deut-
lich als bei der Hysterie unter psychischem Einfluß steht. Daneben gibt es wohl
kein neurasthenisches Symptom, das nicht bei der Schizophrenie vorkommen
820
Schizophrenie.
könnte, so namentlich die Ermüdungserscheinungen bei geistiger und körper-
licher Arbeit, die Unmöglichkeit zu denken, die noch unangenehm empfun-
den wird.
Häufig wttd in der Vorgeschichte über aufregende Träume geklagt, die
die Kranken noch im Wachen verfolgen.
Nicht ganz mit Recht zählt man auch die Zwangsideen und Zwange-
impulse, die oft jahrelang den anderen Erscheinungen vorausgehen, hierher;
sie sind ja ebenso oft schizophrenen wie neurasthenischen Ursprungs.
Die affektiven Grundsymptome treten sehr häufig gleich von Anfang
an in den Vordergrund, indem die Patienten immer gleichgültiger erscheinen.
Die davon prinzipiell verschiedenen manischen und melancholischen Verstim.-
mungen eröffnen gar nicht so oft die Szene, wie der Begriff der sekundären
Psychosen erwarten ließe. Doch finden sich chronische und akute Depressionen
wohl etwas häufiger am Anfang der ausgesprochenen Krankheit als andere
Syndrome.
Die katatonen Erscheinungen können chronisch oder noch viel
häufiger in Verbindung mit einer akuten Katatonie das erste sein, was in die
Augen fäUt, während paranoide Symptome oft von den Patienten jahrelang
geschickt verborgen werden, bis irgend ein Zufall sie manifest macht.
Wenn die körperlichen Symptome zunächst allein auftreten, so ist
es erst ex post möglich, sie in Zusammenhang mit der Psychose zu
bringen. Alle Arten von Anfällen (Ohnmächten, Krämpfe) kommen mitten
in anscheinender Gesundheit vor. Wahrscheinlich sind diese letzteren Syndrome
aber viel häufiger im Verlauf der ausgebrc ebenen Psychose als in den Zeiten der
sonstigen Latenz.
C. Der Ausgang,
a) Der Tod.
Die Schizophrenie als solche führt kaum in 1% aller Aufnahmen zum Tode:
Direkt durch Hirndruck infolge von Himschwellung oder Vermehrung des
Liquor cerebrospinalis, durch Stoffwechselstörungen (inkl. autotoxische Zu-
stände) und durch Hirnlähmung in katatonen respektive epileptiformen An-
fällen. All das ist häufiger in akuten Stadien als in chronischen.
Letaler Ausgang als indirekte Folge der Psychose ist häufiger: Nahrungs-
verweigerung, Verletzungen aus Absicht oder Unachtsamkeit i), Selbstmord,
Phthise^) und andere Krankheiten infolge von unhygienischer Lebensweise.
So ist die Mortilität der Schizophrenie etwas höher als die der umgebenden Be-
völkerung. Bei den Patienten der Pflegeanstalt Rheinau verhalten sich beide
Zahlen wie 6-8 : S-Q^).
1) In chronischen Fällen scheint die Neigung zu Wundinfektionen meist auffallend
gering. Bei akuten, namentüch bei Verwirrtheitszuständen, kann sie gesteigert sein
2) Bei uns starben nicht mehr Schizophrene an Phthise als in der umgebenden
Bevölkerung. Nach manchen Autoren scheint die Krankheit eine besonders häufige Kom-
plikation der Dementia praecox zu sein. 1 Ol n/n
8) Kerner, Mortahtät der Dementia praecox. Psych. -neur. Wochenschr., 1910/11.
Verlauf. Ausgang.
209
b) Grad der Verblödung. Heilungsmöglichkeit.
Um sioli über den Ausgang der am Leben bleibenden Fälle unmißverständlich
ausdrücken zu können, .AlLeit über den Begriff der I^ei^^^^^
Kraepelin entläßt einen Teil seiner Patienten „geheilt ; er weiß aber daß sich
gewöhnlich doch noch Uberreste der Krankheit nachweisen l^«««^-/^^ ^^^^I
burg, der damals die nämlichen Patienten wie Kraepelin gesehen hatte, nannte
^''""'zmiffsind praktische!) und theoretische Ausheilung zwei ganz verschiedene
Dincre Wer sich wieder draußen selbständig bewegen kann, der ist in gewissem
Sinne 'geheilt. Solche Leute können aber eine Menge von Sonderbarkeiten und
Empfindlichkeiten aus der Krankheit ins Leben hinausgenommen haben. Vom
wissenschaftlichen Standpunkt aus darf man sie dann nicht geheilt nennen; denn ein
klarer Begriff der Heilung verlangt eine Restitutio ad integrum respektive den status
^Sobild man nicht ausschließlich die Rückkehr auf den früheren Zustand als
Heilung bezeichnet, hängt es ganz von der Willkür ab, bei welchem Grad und welcher
Zahl re°stierender Symptome man die Heilmig annehmen wolle; und wenn man die
soziale Restitution als Maßstab nimmt, so sprechen Faktoren mit, die außerhalb
des Patienten liegen, indem ein Bauernknecht auch mit einem ziemlichen Defekt
noch handlungs- und erwerbsfähig sein mag, während eine ganz kleine psychische
Narbe einen Großkaufmann oder Bankier unfähig machen kann, seinem Geschäft vor-
zustehen. Auch der Grad der Empfindlichkeit der Angehörigen müßte unter Um-
ständen die Frage, ob geheilt oder nicht, entscheiden. Ein solcher Begriff der Heilung
ist kein pathologisch brauchbarer. Die soziale Heilung umfaßt neben den wirklichen
Heilungen, wenn es solche gibt, einen großen Teil der Besserungen.
Aber auch der theoretisch klare Begriff der Heilung im Sinne der Wieder-
gewinnung des früheren Zustandes macht uns Schwierigkeiten. Der Anfall, der den
Kranken in die Anstalt führt, ist meist gar nicht der wirkliche Beginn der Krankheit;
diese hat schleichend schon längst begonnen ; man hat ihre Schatten aber als Charakter-
eigentümlichkeiten verkannt. Es braucht nun nicht jeder schizophrene Dämmer-
zustand eine Verschlimmerung nach sich zu ziehen; eine Restitution auf den Zu-
stand vor dem Anfall ist also gar nicht so selten. Damit ist aber die Krankheit,
die den Patienten vorher schon zu einem menschenscheuen Sonderling oder einem
reizbaren Instabeln gemacht hat, nicht geheilt. Den Zustand vor dem wirklichen
Beginn der Krankheit als Maßstab zu nehmen, ist recht oft unmöglich, weil die
Schizophrenie schleichend zur Zeit der schnellsten psychischen Umbildung oder
gar in der Kindheit begonnen hat. Da stehen wir wieder vor der schwierigen Frage :
Was ist Charaktereigentümlichkeit und was ist schizophrenes Symptom?
Im einzelnen Fall ist die Konstatierung der Heilung abhängig vom psycho-
logischen Geschick und vor allem von der Zeit, die der Psychiater zur Ver-
fügung hat, um den entlassungsfähigen Kranken zu beobachten und
zu untersuchen. Gesundheit kann man nicht direkt diagnostizieren; man suppo-
niert sie, wenn man trotz genauem Suchen keine Krankheitszeichen findet. Wer
keine Zeit hat, seine Patienten genau zu untersuchen, findet viele geheilte, die ein
anderer als gebessert ansehen würde.
„Soziale Heilungen" nach E. Meyer.
^) Ich weiß wohl, daß die Heilungen einer Wunde eine Narbe hinterlassen, und daß
man auch von einer geheilten Amputation spricht. Die Narbe, die die Funktion stört, rechnen
wir aber als einen Defekt, und die „geheilte Amputation" setzt einen Begriff voraus, den
wir in der Psychopathologie als , .Heilung mit Defekt" besonders abgrenzen.
Handbuch der Psychiatrie: Ulculer.
210
Schizophrenie.
Nach meinen Erfahrungen muß ich mich durchaus auf die
beite Aschaffenburgs und Tlbergs stellen. Ich habe keinen Schizo-
phrenen entlassen, bei dem ich nicht noch deutliche Zeichen der
Krankheit sehen konnte, und es sind nur ganz wenige, bei denen
man diese Zeichen eigentlich suchen mußte. Auch die'' spätere Unter-
suchung Entlassener, die ja den Umständen gemäß nur eine kurze sein kann, hat
uns nie volle Restitution ergeben. Ja, ich muß hinzufügen, daß die Berichte', die
wir uns wo immer möglich von Pfarrämtern und Verwandten nach einiger Zeit
geben lassen, nur ganz ausnahmsweise von wirldicher Heilung sprechen, obschon
die Mehrzahl der Entlassenen arbeitsfähig ist. Noch nie habe ich gesehen, daß
von anderer Seite „geheilt" Entlassene wirkL'ch geheilt gewesen wären. '
Niemals darf man sich hier auf die Urteile von Laien verlassen, die keine Sym-
ptome gefunden haben. Wie Stroh may er zu der Täuschung gekommen ist, Gemüts-
verblödungen werden auch von einfachen Leuten prompt angegeben, kann ich nicht
verstehen. Ich habe vor längerer Zeit in zwei gebildeten und intelligenten Familien
die Diagnose der Schizophrenie verfehlt, weil ich den Angehörigen geglaubt hatte,
daß die Patientinnen noch sehr feinfühlig seien. Die eine hat dann einige Tage später
in aller Ruhe ihren Mann erschießen wollen, und ihre Gefühle gegen das eine der
Kinder waren meist vollständig Null, gelegentlich auch negativ. Da kann man es
verstehen, wenn ein Mann aus dem Volke seine Frau für gesund erklärt, die nicht
spricht, nicht spontan ißt und in UnreinHchkeit im Bette liegt. Dieser Erfahrung
Aschaffenburgs könnte ich recht ähnliche an die Seite stellen.
Ich kenne Schizophrene, die nach der Erkrankung ein kompliziertes Ge-
schäft in die Höhe gebracht haben; ich kenne einen, der nach zwei katatonen
Dämmerzuständen von zirka sieben Jahren Intervall noch fähig ist, zu dozieren,
selbständig wissenschaftlich zu arbeiten und den Weltruf in seinem Fache auf-
recht zu erhalten. Einer unserer Katatoniker hat später als Dichter verdiente
Bedeutung erlangt. Sehr eher ist nach dem ersten Anfall Senatspräsident
geworden. Ein heboidophrener Kranker von Hess (301) ist Universitätsprofessor.
Schumann (der Komponist) und Scheffel waren Schizophrene. In den
13 Jahren, in denen ich prüfe, mußte ich mehrere Schizophrene durchs Staats-
examen gehen lassen, zum Teil sogar mit guten Noten. Diese Beispiele mögen
zeigen, daß wir unsere Augen den günstigen FäUen nicht verschließen.
Es gibt sogar Patienten, die nach einem akuten Schub besser
als vorher erscheinen. Die Einschränkung der Interessen kann Schizophrene
zu regelmäßig gehenden Arbeitsmaschinen machen. Ehegatten, die keine ge-
mütlichen Bedürfnisse haben, finden dann und wann einmal einen solchen
stillen Lebensgefährten ganz ideal. In zwei Fällen schienen die „Geheilten"
sogar lebhafter, geistig angeregter als vorher. Einem etwas beschränkten
Mädchen aus guter Familie, das ganz in Abhängigkeit von der Mutter gelebt
hatte, half die Katatonie zu größerer Selbständigkeit und damit zu Freude am
Leben und Handeln. Ein gebildeter Herr redete gern von seiner überstandenen
Krankheit, und es schien, wie wenn er seine Komplexe, die ihn vorher als einen
autistischen Sonderling erscheinen ließen, abreagiert hätte und nmi wieder
auflebte; er war gemütlicher, zugänglicher i). Ein anderer Kranker war immer
1) Obschon er wieder in Amt und Würden stand, raeinte er, eine Schlange sei ex-
perimenti causa von seinem Arzt in sein Zimmer geschickt worden.
Verlauf. Ausgang.
211
sehr verschlossen und finster. Nach der schweren melancholischen Katatonie
in den Dreißigerjahren konnte er wenigstens bei Gelegenheit lachen ).
Ein vielbesprochenes Kriterium der Heilung ist die K^^..^,^^«;^'' Tf'lW
Leute die selber von ihren Wahnideen, von ihrem Verhalten wahrend des Anfalles
dsTon krankhaften Erscheinungen sprechen, die begreifen daß man sie so und so
behandeln mußte, und gar noch dem Arzt oder der Anstalt dankbar smd, verd n
nicht ohne Grund leicht als geheilt angesehen, während das Gegented em ziemlich
sicheres Zeichen fortbestehender Krankheit ist. Nun haben aber manche Schizophrene
schon während der Exazerbationen ein lebhaftes Krankheitsgefühl; nur suchen sie
die Krankheit nicht immer da, wo der Beobachter sie sieht. Sie konstatieren z. B.
selbst den schlimmen Zustand ihrer „Nerven", den Unsinn gewisser Handlungen;
beides waren aber nach ihnen begreifliche Reaktionen auf Reizungen durch die Um-
gebung Gelegentlich macht auch ein schizophrener Arzt an sich die richtige Diagnose.
Diese Leute haben natürlich zum größten Teil auch in der Remission ihre „Einsicht' ,
die aber oft ganz wertlos ist. Auch wirkliche Einsicht ist oft noch deutlich krank-
haft- es ist, wie wenn nur ein Teil der Psyche das richtige Verständnis hätte. Von
korri'o-ierten Wahnideen z. B. reden die Kranken oft, wie wenn es jemand anders
anginge; es fehlt die Verbindung der krankhaften Erlebnisse mit ihrem jetzigen Ich.
Dieses Verhältnis wird namentUch deutüch, wenn man solche Fälle geheilten Melan-
cholikern gegenüberstellen kann; hier ein freies Aussprechen mit der Reproduktion
der Gefühlsmomente ; dort ein mühsames Hervorholen der Erlebnisse, die mit einigen
Phrasen als wahnhaft bezeichnet werden und von einem Affekt begleitet sind, der
gar nicht der Situation des von dem Wahn Erlösten entspricht. Der oben erwähnte,
r.durch die Krankheit gebesserte" Herr sprach von seinem akuten Anfall wie von
einem besonders gelungenen Erlebnis. Es handelt sich um eine „kalte, intellektuelle"
Einsicht (Jung), die das Gemütsleben des Kranken sehr wenig oder gar nicht be-
einflußt, imd wir haben auch oben gesehen, daß wir kaum je eine volle Korrektur
schizophrener Wahnideen konstatieren können.
So sprechen wir nicht von Heilungen, sondern von weit-
gehenden Besserungen und unterscheiden diese von den schweren Ver-
blödungen (in denen der Patient sozial ganz unmöglich ist) und von den leichten
Verblödungen, die die übrigen Fälle zwischen diesen Extremen zusammen-
fassen sollen.
Wenn wir Zahlen für diese Kategorien geben, so müssen wir davor warnen,
ihnen einen zu großen Wert beizulegen. Nicht nur der doch etwas subjektive
Maßstab setzt ihre Bedeutung herab, sondern noch mehr der Umstand, daß
in erster Linie die Aufnahms- und Entlassungsverhältnisse einer Anstalt für
die Durchschnittsprognose der Krankheit maßgebend sind. Hat man z. B. lange
Expelftantenlisten, so kommen viel weniger der leichten, d. h. günstigsten Fälle
zur Aufnahme, als da, wo Platz für jede Anmeldung ist. Die Zahlen gelten also
nicht für die Schizophrenie als solche, sondern für die in einer bestimmten Anstalt
aufgenommenen Schizophrenen. Die sehr zahlreichen Patienten, die nie in
eine Anstalt kommen und die Gesamtprognose natürlich ganz wesentlich ver-
bessern würden, entgehen den Zählungen ganz.
Als Maßstab der Schwere der Verblödung nehme ich die Leistungsfähigkeit
im Erwerb oder die Möglichkeit, sich außerhall) einer Anstalt selbständig zu
halten. Die verdicnstfähigen nenne ich „leicht demente", die sozial ganz un-
') Wille verzeichnet sechs Fälle, wo die Krankheit scheinbar günstig gewirkt hatte.
14*
212
Schizophrenie.
tüchtigen „schwer demente" und die nicht in diese Rubriken passenden Zwischen-
formen „mittel demente". Dieser Maßstab ist zwar abhängig vom Berufe des
Patienten und verschiedenen äußeren Umständen, doch macht er eine gewisse
Verständigung möglich. So ergibt sich aus 515 Fällen des Burghölzli (1898
bis 1905):
Nach dem ersten Anfall sind
leicht dement mittel dement schwer dement
307 (6O0/0) 92 (18%) 116 (227o)
Natürlich verschlechtert sich das Resultat mit der Zeit noch erheblich, doch
werden von denen mit einer guten Remission wenige durch eine
spätere Exazerbation dauernd anstaltsbedürftig.
Die Gesamtprognose der einzelnen Gruppen variiert in
folgender Weise:
Kraepelin gibt für die Hebephrenie 870 so weitgehender Besserungen an,
„daß man vielleicht von Genesung zu sprechen berechtigt ist," während 17%
auf der Stufe des mäßigen Schwachsinnes stehen bleiben. Bei der Katatonie
rechnet er 13% anscheinende Heilungen, während weitere 20% so lang dauernde
,, Nachlässe" aufweisen, daß sie den Genesenen gleichen. Bei dem Paranoid
verzeichnet der Autor nur „in einer kleineren Anzahl von Fällen" eine weit-
gehende Besserung.
Zablocka hat an unserem Material gefunden:
Gruppen
Demenz
leicht
mittel
schwer
in Prozenten
Paranoid
65
16
19
Katatonie
57
13
30
Hebephrenie ....
58
22
20
Es erscheint selbstverständlich, daß das Paranoid, das die Arbeitsfähigkeit
am wenigsten stört, unter dem angeführten Gesichtspunkt die beste Prognose
hat. Daß die Hebephrenie nicht mehr Aussichten bietet, liegt zum Teil in der
Art ihrer Abgrenzung, die auf die Verblödung besonderes Gewicht legt, zum
Teil in dem Umstände, daß die leichten Fälle gar nicht in die Anstalten kommen,
dann aber auch darin, daß die Hebephrenie viel mehr in einem Alter ausbricht,
da der Mensch seine sozialen Fähigkeiten noch nicht ausgebildet hat. Das letztere
trifft auch für die Katatonie zu, die dazu noch als Ausdruck des intensivsten
Krankheitsprozesses das Gehirn am meisten schädigen muß. Immerhin ist
bemerkenswert, wie klein diese Unterschiede sind.
Daß aber noch viel wichtigere Faktoren, als wir sie oben genannt haben,
das Verhältnis von Krankheitsform und Ausgang bestimmen helfen, ergibt sich
aus dem auffallenden Unterschied in den Geschlechtern:
Verlauf. Ausgang.
213
Schwer
dement
Leicht dement
Mittel dement
Gruppen |
männl.
weibl.
männl.
weibl.
männl.
weibl.
in Prozenten
1
Hebephrenie ....
78
54
56
51
59
61
6
9
22
27
18
20
16
38
21
22
23
19
Vielleicht, daß die Verschiedenheit der Arbeitsverhältnisse und der Versorgungs-
bedürftigkeit bei den beiden Geschlechtern mitsprechen.
Die Geschlechtsunterschiede im Ausgang der Katatonie ermnern uns daran,
daß Frauen mehr zu katatonen Symptomen neigen als Männer; sie kommen also
wohl bei ihnen in leichteren Fällen vor. Nimmt man alle Fälle einerseits mit imd
anderseits ohne katatone Symptome, gleichgültig zu welcher Gruppe sie gezahlt sind,
so bleibt der Unterschied ähnlich.
Leicht dement
Mittel dement
Schwer dement
mit kat.
ohne kat.
mit kat.
ohne kat.
mit kat.
ohne kat.
Symptomen
Symptome
Symptomen
Symptome
Symptomen
Symptome
in Prozenten
^länner . . .
56
67
12
17
32
16
Frauen . . .
58
57
20
22
22
21
Total ....
57
63
17
19
26
18
Zu erwähnen ist hier noch eine Gruppe von Paranoiden, die zwar in bezug
auf die Wahnideen und Halluzinationen keine gute Prognose haben, aber in-
sofern leichter sind, als sie die Haltung nicht verlieren, soweit die Wahnideen
es erlauben, und nicht eigentlich verblöden; sie werden nicht sprachverwirrt,
in ihrem Benehmen nicht autistisch, behalten den Kontakt mit der Umgebung,
kurz sie sind sehr ähnlich den Paranoikern. Auch ihre Wahnideen werden nicht
80 unsinnig. Sie bekommen keine katatonen Symptome ; manische und depressive
Anfälle fehlen fast immer; dagegen können halluzinatorische Verwirrtheiten
vorkommen. Viele dieser Kranken sind dauernd oder außerhalb der akuteren
Schübe arbeitsfähig, wenn sie auch selten lange an einem Platze bleiben können.
Leider sehen sie in den ersten Jahren für unsere Augen vielen später verblödenden
Formen vollkommen gleich, so daß wir sie zur Zeit weder theoretisch noch praktisch
von den anderen abgrenzen können. Es handelt sich meist um nach dem 30. Jahre
Erkrankte; ich möchte hierher den Krae pelinschen präsenilen Beeinträchti-
gungswahn zählen. Doch können auch Pubertätspsychosen diesen Verlauf haben.
Eine andere Form mit besonderer Prognose ist die Dementia para-
noides, die aber auch keine Grenzen gegen andere Erscheinungsweisen der
Schizophrenie hat.
214
Scliizophreuie.
Die Krankheitssymptome des Beginnes haben bis jetzt noch
keine Korrelation mit der Schwere des Ausganges auffinden
lassen (Zablocka, Bleuler).
Dagegen ist die Art des Anfalles, der den Patienten in die Anstalt
bringt, nicht gleichgültig für eine Durchschnittsborechnung der Schwere des
Ausganges. In der Natur der Krankheit wird es liegen, daß die Patienten mit
ganz akuten Anfällen zwar sehr große Chancen haben, nur leicht zu verblöden,
daß sie aber, wenn die Kjankheit in einem solchen Falle Fortschritte macht,
die Neigung haben, dann auch recht weit zu gehen. Wir zählen hierzu die Kranken
mit manisch-depressiven Syndromen, die entweder relativ gute Zwischenzeiten
haben oder dann zu den blödesten Kranken der Pflegeanstalten gehören.
Im übrigen haben die sichtbaren Zusammenhänge zwischen Aufnahme-
status und Schwere des Ausganges außerhalb der Kranlcheit liegende Gründe:
die akuten S\mdrome machen am ehesten Anstaltsbehandlung nötig, sei der
erreichte Dauerzustand schwer oder leicht. Die Chronischen, vor allem die
einfach Blödsinnigen, kommen erst, wenn der Verblödungsgrad es nötig macht,
sind also von vornherein eine Auslese schwer Kjanker. Deshalb entlassen wir
z. B. unter den manisch Eintretenden 83%, unter den Dementen nur 33%
arbeitsfähigem Zustande.
Ob die Akuität des Krankheitsfalles einen Zusammenhang mit der
Schwere des Endzustandes hat, können wir an dem einseitigen Anstaltsmaterial
gar nicht prüfen, ganz abgesehen davon, daß ein akutes Syndrom und ein Schub
zwei verschiedene, aber nicht immer auseinander zu haltende Dinge sind.
Einen Einfluß des Alters können wir nur insofern konstatieren, als
diejenigen Formen, die trotz starker Wahnideen die Haltung nicht verlieren,
etwas häufiger nach dem 30. Jahre manifest werden^).
Der Kräftezustand zur Zeit der Erkrankung scheint trotz der
mitgezählten Amentiafälle anderer Schulen für unsere Frage irrelevant zu sein.
Auch von den anderen körperlichen Symptomen der Krankheit selbst läßt sich
zurzeit nichts anderes sagen; nur die Pupillendifferenz hat bei unserem
kleinen Material eine etwas verschlechterte Durchschnittsprognose.
In bezug auf den Intelligenzzustand können wir nur sagen, daß natür-
lich diejenigen Kranken, bei denen sich die Schizophrenie zu einer angeborenen
Geistesschwäche summiert, ceteris paribus leichter in den Anstalten hängen
bleiben als intelligent angelegte. Eine größere Widerstandsfähigkeit ist weder
bei den Schwachsinnigen noch bei den Intelligenten nachgewiesen.
Dagegen haben an unserem Material die abnormen Charaktere mehr
schlimme Ausgänge als andere. Die Beobachtung läßt sich aber so lange nicht
deuten, als man unter diesem Titel verschiedenartige Abweichungen vom Typus,
und darunter ja auch latente Schizophrene, begreift.
Wir hatten erwartet, daß die Veranlassungen insofern einen gewissen
Zusammenhang mit der Prognose haben, als Erlcrankungen, die durch emen
psychischen Schock veranlaßt scheinen, sich eher ausgleichen könnten, da ja
z B die Dämmerzustände fast immer auf den früheren Stand zurückgehen.
1) Nach Herz er haben die Erkrankungen älterer Personen bessere Prognose (vgl.
auch Lugaro).
Verlauf. Endzustände.
215
Unsere Zahlen zeigen aber für den derzeitigen Begriff der körperlichen wie der
psychischen Ursachen keine Zusammenhänge mit dem Ausgang.
Besonderer Erwähnung verdient aber, daß die nicht seltenen Schizophrenen,
die sekundär durch Alkoholismus in die Anstalt kommen, keine
ganz schlechten Aussichten bieten. Ihre Neigung, sich abzusondern, schützt
sie vor Versuchimgen, ihr Autismus macht sie den Verführungen und Neckereien
der Gesellschaft gegenüber weniger empfindlich.
NeigungzuRezidiven läßt sich dann erkennen, wenn man den manisch-
depressiven Typus der Krankheit feststellen kann. Im übrigen gibt die Unter-
suchung aller bis jetzt in Betracht gezogenen Verhältnisse bei den Rezidivisten
ganz gleiche Zahlen wie bei den Nichtrezidivierenden.
D. Die Endzustände.
Da die schweren Schizophrenien wohl nie ganz stillestehen, und man bei
den leichteren vor einer Verschlimmerung nie sicher sein kann, ist der übliche
Ausdruck ,, Endzustände" cum grano salis zu verstehen. Die Mehrzahl der
Endstadien entzieht sich unserer Beobachtung. Die Leute leben draußen, gelten
als gesund, zum Teil aber als launisch, eigensinnig, schrullenhaft, verschroben,
dumm usw. Manche haben nur das Niveau ihrer Leistungen und ihrer Ansprüche
an die Welt herabgesetzt. Der Oberlehrer vegetiert in einer Privatschule, der
Jurist schreibt auf irgend einem Bureau, der zum Techniker bestimmte Lehrling
ist Handlanger, der hoffnungsvolle Gymnasiast bringt s,ich als Gärtnergehilfe
durch, der Mechaniker hilft seiner Frau beim Nähen. Viele sind an Posten,
die keine Selbständigkeit verlangen, ausgezeichnete, peinlich genaue Arbeiter.
Auf einer tieferen Stufe werden die Kranken Gelegenheitsarbeiter, Vaganten,
Gewohnheitsverbrecher in meist kleineren Delikten und Übertretungen.
Was in den Anstalten hängen bleibt, zeigt die nämlichen Charaktere;
diese sind aber ausgesprochener, und es sind gewöhnlich akzessorische Svmptome
hinzugetreten, die den Kranken ein freies Leben unmöglich machten: die katatonen
Erscheinungen, unter denen namentlich der Negativismus in den Anstalten so
häufig wie unangenehm ist, dann die Wahnideen und die Halluzinationen mit
ihren Aufregungen und ihren sekimdären Konflikten mit der Umgebung.
Auch diese schweren Endzustände zeigen eine unendliche Menge von
Variationen, die für unsere Kenntnisse untereinander nicht abgrenzbar sind. Die
beste Schilderung auch der Ausgänge hat Kraepelin gegeben, indem er neun
Typen heraushob:
1. „Heilung."
2. „Heilung mit Defekt," d.h. Besserungen (wohl der häufigste Ausgang).
3. Einfache Verblödung.
4. Schwachsinn mit Sprachverwirrtheit. Das Bild hat sich nach
einer einleitenden Depression ziemlich schnell entwickelt und bleibt dann lange
Zeit unverändert. Wahnideen fehlen nie, Sinnestäuschungen sind wenigstens
im Anfang vorhandeni). Nach langer Zeit kann auch diese Form noch in ein-
fachen Blödsinn übergehen. Sie ist nicht gerade häufig.
1) Der Verlauf hält sich gar nicht immer an das Schema Kraepelins (Depression
dann rasche Entwicklung der Sprachverwirrtheit, dann längerer Stillstund).
Schizophrenie.
5. Weit häufiger ist der Ausgang in halluzinatorischen Schwach-
sinn. Die Sinnestäuschungen und Wahnideen bleiben in ganz einförmiger Weise
bestehen, häufig mit periodischen Verschlimmerungen, gewinnen jedoch keinen
weiteren Einfluß auf das Denken und Handeln, die Kranken bleiben dauernd
besonnen und in der Hauptsache geordnet in ihrem Benehmen.
6. In einer kleinen Zahl von Fällen schreitet die Wahnbildung dauernd
fort, ohne daß die schweren Formen der Verblödung erreicht werden. Die Wahn-
ideen werden langsam weiter entwickelt, allerdings allmählich immer zerfahrener.
Ausnahmslos handelt es sich um körperlichen Beeinflussungswahn, vielfach
daneben um Größenwahn. Für diese Formen würde nach Kraepelin der
Name der halluzinatorischen Verrücktheit am besten zutreffen.
7. Dementia paranoides (vgl. oben S. 191).
8. Faselige Verblödung. „Sie ist neben den Erscheinungen der tief-
greifenden psychischen Schwäche beherrscht durch Krankheitsreste, die etwa
denen der katatonischen Erregung entsprechen." Bei den manirierten Formen
tritt die Verschrobenheit in Form von Manieren und Bewegungsstereotypien
in den Vordergrund, bei den erregten neben einförmigem Bewegungsdrange
besonders die Impulsivität. Gemeinsam ist beiden Gestaltungen die Verworren-
heit der sprachlichen Äußerungen und die Zerfahrenheit des Handelns.
9. Die umfangreichste Form ist die stumpfe Verblödung. Neben
hochgradiger Abstumpfung begegnen wir da den Resten des Negativismus oder
der Befehlsautomatie. „Dadurch wird einerseits scheue, starre Unzugänglichkeit,
andererseits jene dumpfe, gedankenlose WiUenlosigkeit erzeugt, die den großen
Pflegeabteilungen ihr eigenartiges Gepräge gibt. Manche dieser Kranken können
noch ganz brauchbare mechanische Arbeiter sein."
„Die beiden letztgenannten Formen der Verblödung dürften selbständige
Ausgänge darstellen, nicht aber Abschnitte desselben Krankheits verlauf es.
Mir scheint wenigstens, daß sie nicht ineinander übergehen, sondern, wenn
einmal ausgebildet, bis an das Lebensende wesentlich unverändert fortbestehen"
(Kraepelin). Daß die beiden Zustände beim nämlichen Kranken nicht mit-
einander abwechseln, glaube auch ich konstatieren zu kömien. Dagegen gibt
es so viele Übergänge in den Erscheinungsformen des höchsten Blödsinnes,
daß ich noch nicht von der Richtigkeit von Kraepelins Ansicht überzeugt bin.
Die Vererbbar keit.
Über das Individuum hinaus ist bis jetzt der Verlauf der Krankheit
respektive der Anlage nicht verfolgt worden. Die Hereditätsforschimgen gehen
immer vom Patienten aus rückwärts. Es wäre aber eine sehr dankbare Arbeit,
einmal das Schicksal der Nachkommen unserer Kranken zu verfolgen. Die von
W o 1 f s o h n untersuchten 647 Kranken hatten zurZeitdesAnstaltseintrittes
404 Kinder, von denen lO^/o mit geistigen und nervösen Krankheiten behaftet
waren: 11 Htten an ImbezilHtät, 11 an „Geisteskranldieiten", 14 an Nervosität, 2 an
Epilepsie, 1 war taubstumm und 1 hatte Suizid begangen. Die meisten Kinder
waren natürUch noch nicht über das Alter hinaus, in dem Schizophrenie auftritt.
Sollten sich diese Zahlen an größerem Material bestätigen, so würden sie sehr
zum Aufsehen mahnen.
IV. Abschnitt.
Kombinationen der Schizophrenie
mit anderen Psychosen.
a) Die Schizophrenie kann auf dem Boden der angeborenen Geistes-
schwäche entstehen (Pfropfhebephrenie). Es summieren sich dann die Sym-
ptome beider Krankheiten, wenn es auch recht vieler Geduld von selten des
Ai-ztes wie des Patienten bedarf, alle Erscheinungen der emen oder andern
Krankheit zuzuteilen. Bei einzehien Symptomen ist das manchmal überhaupt
nicht möghch. So kann beim (angeborenen) höheren Blödsinn eine Unscharfe
der Begi-iffe bestehen, die sich bis jetzt in nichts imterscheiden läßt von der
Begriffsunklarheit bei der Schizophrenie.
Im übrigen zeigen die Fälle nichts, was man nicht von vornherein ver-
muten könnte; schwere und leichte Formen kommen nebeneinander vor.
Wie bei den anderen Formen von Idiotie kommt die Schizophrenie auch
bei Kretinismus vor, sei dieser total oder bloß körperlich. Die Krankheit
zeigt dann ebenfalls keine Eigentümlichkeit, die sich nicht von selbst verstünde.
h) Von den organischen Gehirnkrankheiten komplizieren die ver-
schiedenen Formen der Altersatrophie des Gehirns sehr oft die Schizophrenie;
immerhin ist es nicht die Regel, daß bei unserem Bestand an alt gewordenen
Schizophrenen die Dementia senilis in ausgesprochener Weise auftrete. Auch
bei dieser Komplikation summieren sich die Symptome beider Krankheiten in
deutlicher Weise. Störungen des Gedächtnisses für frische Eindrücke, der
Orientierung, der Auffassung kommen zum schizophrenen Blödsinn hinzu. Die
Energie der Wahnideen und des Handelns, wenn sie überhaupt noch vorhanden
war, nimmt ab. Die Halluzinationen brauchen nicht zu verschwinden; manchmal
treten aber senile halluzinatorische Delirien auf. Auffallend ist nur das Verhalten
der Affekte. In manchen Fällen ist allerdings bei dem doppelten Blödsinn nicht
mehr viel aus den Kranken herauszubringen; sie vegetieren imbekümmert um
die Umgebung dahin. Manchmal aber löst die organische Psychose die Affekte,
die Kranken werden wieder zugänglicher, ,, gemütlicher".
Es gibt außerdem Fälle von langsam verlaufendem Altersblödsinn, die
ganz gleichmäßig bis zum Ende katatone Symptome haben, meist gepaart mit
irgend einer Art Aufi-egung. Da ist eine Patientin, die dauernd wie eine Schizo-
218
Schizoijhrenie.
phreue verbigeriert, Lärm macht, unrein ist und nie sich recht um die Um-
gebung kümmert. Eine andere ist zunächst „melanchoUsch", aber in emer auf-
fallend starren Weise, was das Gefühl betrifft, und eintönig, arm in allen
Äußerungen. Sie hat automatischen Selbstmordtrieb, auch nachdem der Affekt
sich erschöpft zu haben scheint; drängt mit Gewalt hinaus, sobald eine Türe
aufgeht, wispert beständig stereotypierte Reste fi-üherer Klagen vor sich hin.
Eine dritte leicht Deprimierte zeigt neben dem oberflächlichen Affekt ganz
mimotivierten Stimmungswechsel und karikierte hysteriforme Symptome.
Eine vierte drängt beständig aus den Türen, ist immer in Bewegung, hat eine
eigentümliche Art Negativismus, der dem Nihilismus gleicht, indem die Kranke
im Reden alles negativ ausdrückt. Eine affektive Wechselbeziehung zu ihr
ist nicht möglich. Bei allen Fällen ist die Orientierung erhalten. Das Gedächtnis
ist jahrelang nicht deutlich gestört. Man macht gleich von Anfang an die
Diagnose der Dementia senilis, weiß aber nicht recht warum, und doch gibt
ihr die Nelcroskopie recht. Die jetzige Erkrankung fällt in die Fünfziger- oder
Sechzigerjahre. Vorher waren alle diese Leute nicht ganz wie andere, aber man
kann eine Schizophrenie nicht in allen Fällen sicher herausfragen. Es ist nicht
unmöghch, daß es sich auch hier immer um latente Schizophrenien handelt,
die erst durch die beginnende Hirnatrophie manifest werden. Eine genauere
Analyse, die Klarheit verschaffen könnte, ist uns bei den widerstrebenden
Kranken noch nie gelungen.
In Verbindung mit der Dementia senilis oder auch ohne dieselbe können natürlich
infolge von Apoplexien und Erweichungen Herderscheinungen auftreten. Von diesen
haben bloß die aphasischen Störungen ein gewisses Interesse, insofern als sie Mutismus
vortäuschen können, und namentlich als die Paraphasie die schizophrene Sprach-
störung komplizieren kann. Die beiden Symptome lassen sich aber bei genauerem
Zusehen leicht imterscheiden.
Die Komplikation mit H i r n I u m o r e n (und anderen lokalen Hirnerkrankungen)
verlangt ein besonderes Studium, zu dem allerdings das Material noch gar nicht
vorhanden ist. Hirntumoren sind zuweilen von katatonen Symptomen begleitet. Finden
wir nun bei einer klinischen Katatonie später Tumorsymptome, so ist bis jetzt nicht
zu entscheiden, ob es sich um eine Katatonie handelt, die durch einen Hirntumor
kompliziert ist, oder um einen primären Hirntumor, der katatone Symptome macht.
In den Fällen allerdings, wo der Verlauf der Psychose dem des Tunaors (z. B. viele
Jahre bestehende Schizophrenie bei rasch wachsendem Gliom) nicht entspricht,
weiß man, woran man sich zu halten hat.
Viel schon hat man nach Kombinationen der nun als Schizophrenie zu-
sammengefaßten Psychosen mit Paralyse gesucht, imd als Raritäten eine An-
zahl von FäUen gefunden (Joffroy et Gombault). Die Frage, wie die Selten-
heit dieser Komplikation zu erklären ist, wird bis jetzt nur mit Vermutungen
beantwortet (die Paralyse sei „die Krankheit des gesunden Hirns"). Ich kann
dem nichts hinzufügen, als daß vielleicht auch die SyphiHs bei imseren Kranken
nicht häufig ist. Ich kann mich wenigstens aus 27 jähriger Irrenpraxis mcht er-
innern, einen syphiütischen Schizophrenen gesehen zu haben (Auterotismus !),
weiß allerdings auch, daß man in neuester Zeit andernorts solche gefmiden hat.
Wie sich die Kombination von Paralyse und Schizophrenie symptomatologisch
gestaltet, ist aus der Literatur nicht zu ersehen. Ich selber habe nur einen emzigen
Fall genauer beobachtet^), und da war auffällig, wie die Patientin rasch herunter-
Kombination der Schizophrenie mit anderen Psychosen.
219
kam, obschon man sich noch in einigen gemütlichen Rapport mit ihr setzen konnte.
Sie war zu keiner Arbeit zu bewegen, hatte die Hände beständig im Mund, wurde
unreinlich, ohne daß Lähmungen oder katatoner Zustand das genügend erklärt
hätte. Das Wartpersonal schloß aus mangelnder Orientierung und schlechtem Ge-
dächtnis auf Paralyse. Ärztliche Untersuchungen, bei denen sich die Patientin
zusammennahm, konnten keinen Defekt des Gedächtnisses und der Orientierung
nachweisen; auch die körperlichen Symptome der Paralyse waren zu wenig aus-
gesprochen, um die Diagnose zu machen. Dafür waren die Komplexe so im Vorder-
grund, wie bei einer Schizophrenie. Tod an Marasmus nach 3 Jahren Anstalts-
aufenthalt. Die Sektion grgab eine beginnende, aber unzweifelhafte Paralyse, xmd
die nachträgliche genauer eingeholte Anamnese eine sicher mehr als zehn Jahre
zurückdatierende Schizophrenie.
Der haltlose Schizophrene wird leicht Trinker. Wohl 107o unserer Al-
koholiker sind zugleich Schizophrene. Die Eigentümlichkeiten dieser Kom-
bination sind im folgenden Kapitel geschildert.
In diesen Fällen ist der Alkoholismus wohl als Symptom der Schizophrenie
aufzufassen. Daß die letztere erst nachträgKch bei einem Alkoholiker auf-
getreten wäre, habe ich noch nicht gesehen.
Kombinationen der Schizophrenie mit Melancholie und Manie respek-
tive manisch-depressivem Irresein sind bis jetzt nicht sicher nachzuweisen.
Manische und melancholische Symptome sind bei unseren Kranken so gewöhnlich,
daß wir annehmen müssen, sie werden meist durch den Krankheitsprozeß aus-
gelöst, gehören also der Schizophrenie an. Bei den von Anfang an paranoiden
Fällen ist aber die eigentlich melanchohsche Depression nicht häufig und die
Manie so selten, daß man sie als Rarität registriert. Da könnte man schon eher
an eine Komplikation denken. Und diejenigen Fälle, die nach dem Schema
des zykhschen Irreseins oder doch mit einer gewissen regelmäßigen Periodizität
verlaufen, werden wohl zu einem großen Teil Mischformen des manisch-depres-
siven Irreseins mit der Schizophrenie sein, eventuell manisch-depressive Anfälle,
die bei entsprechender Disposition durch die Schizophrenie ausgelöst werden.
Man wird ganz besonders zu dieser Annahme geneigt sein, wenn die Verblödung
nach einer Anzahl recht heftiger Erkrankungen immer noch wenig angedeutet
bleibt, was allerdings selten ist. In manchen Fällen erhöht die Konstatierung
manisch-depressiver Heredität die WahrscheinUchkeit. Da aber alle manisch-
depressiven Symptome auch bei der Schizophrenie vorkommen können, werden
nach unseren jetzigen Kenntnissen die Krankheitsbilder dirrch diese Kom-
plikationen nicht auffällig alteriert.
Noch schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob es eine Kombination
der Schizophrenie mit Epilepsie gebe.
Da epileptische Anfälle bei Schizophrenie etwas Häufiges sind, darf man
nicht gleich an eine Komplikation beider Kranldieiten denken, wenn auch die
frühere Literatur die KompHkation der „Paranoia mit Epilepsie" besonders
berücksichtigte. Seit uns eingehendere Methoden der Diagnostik zur Verfügung
stehen, habe ich keinen Fall mehr gesehen, bei dem eine solche KompUkation
in Frage kam. Ich muß es also weiteren Studien überlassen, die Existenz und
eventuell die Symptomatologie solcher Fälle zu untersuchen. Eine diagnostische
1) Die Diagnose dieser Kombination konnte ich nicht so selten machen.
220
Schizophrenie.
Schwierigkeit macht der Umstand, daß die schizophrene Gefühlssperrung und
die epileptische Gefühlsüberschwänghchkeit sich bis zu einem gewissen Grad
kompensieren können (Morawitz).
Prinzipiell nicht beantwortbar ist die Frage, ob sich die Schizophrenie
mit Hysterie kombinieren könne, so lange als wir nur die sekundären Sym-
ptome mid nicht den Grundprozeß beider Krankheiten kennen. Die schizo-
phrene Gehirnveränderung ist ja eine der häufigsten disponierenden Ursachen
hysterischer Symptome; daher die vielen hysterischen Paranoien und hysterisch-
degenerativen Krankheiten mit behebiger Hauptbezeichnung der Autoren. Wir
brauchen also vorläufig nur daran festzuhalten, daß jedes hysterische Symptom
auch auf dem Boden der Schizophrenie entstehen kann.
Das Nämhche können wir von allem dem sagen, was man mit dem Worte
Neurasthenie zu bezeichnen pflegt (inklusive Zwangsideen usw.).
Ebensowenig kann man von einer Kombination von Paranoia und Schizo-
phrenie sprechen, weil eben die positiven Symptome der Paranoia auch bei der
letzteren Krankheit vorkommen können, so daß wir vorläufig die Wahnbildungen
ohne schizophrene Symptome paranoisch, die anderen schizophren nennen
müssen.
Zu erwähnen haben wir noch die Fieberdelirien. Jeder Psychiater hat
Fälle von Schizophrenie gesehen, in denen Fieberdehrien alteriert waren durch
Hinzukommen schizophrener, namentlich katatoner Symptome. Nun sieht man
aber auch zuweilen katatone Zeichen, namenthch Katalepsie und Verbigeration,
bei Fieberdeliranten, bei denen vor- und nachher keine Schizophrenie nach-
zuweisen ist. Man hat jedesmal den Eindruck, diese Symptome gehören zum
Fieberdelirium. Doch muß man sich daran erinnern, daß fieberhafte Krank-
heiten oft erst eine Schizophrenie manifest machen oder gar hervorrufen; sollte
es nicht auch denkbar sein, daß eine latente Katatonie sich emmal nur in einem
Fieberdehr zu erkennen gäbe?
V. Abschnitt.
Der Krankheitsbegriff.
Die Dementia praecox umfaßt die Mehrzahl der bisher als funktionell
bezeichneten Psychosen. In dem Begriffe liegt eine besondere Axt der syste-
matischen Auffassung der Geisteslcrankheiten. Es ist deshalb nicht möglich,
ihn zu besprechen ohne ausgiebige RücTcsichtnahme auf andere Krankheits-
begriffe.
Vor Kraepelin unterschied man in dieser großen Gruppe von Psychosen
nur Zustandsbilder oder Symptomenkomplexe. Die Dementia praecox will
eine Krankheit im Kahlba umsehen Sinne sein. Sie ist etwas prinzipiell anderes
als ein „akuter halluzinatorischer Wahnsinn", eine „Manie" und „Melanchohe"
(im vorkraepelinischen Sirme), eine „akute Paranoia", eine „Amentia" der
Wiener Schule. Man kann nicht fragen, ob ein Fall zur akuten Paranoia
oder zur Schizophrenie gehöre (das eine schließt das andere nicht aus), ebenso-
wenig wie es eine Frage gibt, ob eine Krankheit mit Ödemen eine Hautwasser-
sucht oder eine Nephritis sei. Nicht nur die Namen, sondern auch die Begriffe
der Hautwassersucht (der alten Autoren), der akuten Paranoia, der Verwirrtheit,
sind nach dem dem jeweihgen Beobachter auffallendsten Symptom gebildet
worden. Eine wirkliche Umgrenzung solcher Krankheitsbilder ist deshalb un-
möglich. Neben Symptomen, wie Verwirrtheit oder paranoischer Intelügenz-
störung, finden sich in jedem Falle noch andere Erscheinungen in wechselnder
Menge und Stärke. Werden solche ,, Nebensymptome" besonders deutlich,
oder tritt das „Kardinalsymptom" etwas zurück, so wird die Benennung un-
sicher, und der Begriff verfliegt oder muß für den gegebenen Fall willkürlich
begrenzt werden. Eine solche Änderung des Bildes kann schon eintreten beim
nämlichen Patienten, der eben noch als typischer Fall gegolten hatte, noch viel
häufiger aber bei vielen ähnlichen Krankheitsfällen, die sich in eine kontinuierliche
Reihe ordnen lassen, deren erste Glieder beispielsweise der MelanchoHa sim-
plex, weitere der Melancholia hallucinatoria, und deren EndgHeder der akuten
halluzinatorischen Paranoia angehören, ohne daß irgendwo eine Grenze auf-
zufinden wäre. Als man die Hautwassersucht für eine Krankheit hielt, wußte
man sich bei Verschiebung des Bildes leicht zu helfen: es kam eben eine Bauch-
wassersucht und eine Brustwassersucht und eine Herzwassersucht zu der ur-
sprünghchen Krankheit hinzu. Bei den Psychosen erscheint das Krankheits-
222
Scliizophienie.
bild docli zu einheitlich, als daß man solche Additionen häufig vorgenommen
hätte; dafür läßt man die eine Krankheit sich in die andere umbilden^). Der
extremste Repräsentant dieser Auffassmig ist Wer nicke; wenn ein neuer
Symptomenkomplex in den Vordergrund tritt, hat er eine andere Krankheit
vor sich; die Motilitätspsychose von heute ist morgen eine Paranoia.
Ganz anders bei den Begriffen der Nephritis, der Paralyse, der Dementia
ex atrophia cerebri: das Bild kann wechseln wie es will, es kann dort ein
urämischer Anfall, eine Herzschwäche, eine Retinitis, hier die manische Trias,
der „Blödsinn", die Lähmung, die Remission im Vordergrunde sein, wir ändern
weder die Benennung noch den Begriff der Krankheit. Die Möglichkeit des
Eintretens solcher Symptome war mit der Diagnose gegeben.
Auf anderen Gebieten der Medizin hat man nicht mehr viele symptomato-
logische Krankheitsbegriffe stehen gelassen, und da, wo man sie noch nicht er-
setzen konnte, braucht man sie nur mit dem Bewußtsein, daß man es mit einer
vorläufigen Formulierung, nicht mit einer Diagnose zu tun hat. In der Psych-
iatrie muß man noch für solche selbstverständhche Auffassungen kämpfen. Man
hebt es zwar, die Paralyse als Muster eines klaien Begriffes anzuführen, sie steht
aber in direktem Gegensatze zu den symptomatologischen Krankheitsbegriffen.
Wir haben uun den Nachweis zu leisten, 1. daß die anderen Diagnosen,
unter denen die Kraepelinsche Dementia praecox sonst untergebracht wird,
keine wirklichen Krankheitsbegriffe repräsentieren, und
2. daß der Begriff der Dementia praecox etwas Besseres, einen eigenthchen
Krankheitsbegriff an die Stelle der Zustandsbilder setzt und zugleich, daß dieser
Begriff dem entspricht, was wir beobachten können.
Daß Begriffe, wie Verwirrtheit, akute Paranoia, akutes halluzinatorisches
Irresein, Confusion mentale sowie Manie und Melanchohe im älteren, jetzt
noch in Frankreich und England gebräuchlichen Sinne keine „Kranldaeiten"
bezeichnen, sollte eigenthch jedem klar sein, der Geisteslcranke gesehen hat.
Ich kann mich also auf wenige Punkte beschränken; es würde viel zu lang, woUte
ich von diesen Begriffen alles Böse sagen, das ich eigenthch sagen sollte; und
ich wäre der Aufgabe auch aus dem Grunde nicht gewachsen, weil ich mich
einfach nicht in diejenigen hineindenken kann, die jemals hinter diesen Namen
einen Krankheitsbegriff zu sehen glaubten.
Zunächst das Formelle: Eine Begriffsbildung nach einer emzehien
auffallenden Eigenschaft hat immer etwas Unbestimmtes und Willküi'hches an
sich. Was der eine für das Wichtige ansieht, beachtet der andere möghcherweise
kaum. Bei älteren Schizophrenen hat bis vor wenigen Jahren ungefähr die
eine Hälfte der Psychiater die Demenz, die andere die Wahnideen und Hallu-
zinationen im Vordergrunde gesehen. Ja es kommt gar nicht so selten vor,
daß der eine ein Symptom überhaupt nicht konstatiert, das dem andern zu-
nächst in die Augen springt; oder der eine sieht einen Stupor, wo der andere
von Stupor nichts wissen wiU, weil er einen engern Begriff mit diesem Namen
verbindet; oder der eine meint gar, Halluzinationen direkt zu beobachten, wo
der andere an ihrer Existenz zweifelt, weil der Patient kerne Auskunft gibt,
sehr gewagten Begriff der Umbildung konnte man nicht wohl ausweichen
Nasse beschrieb sogar Umbildungen einer Psychose in eine andere, daeim Verlauf emiger
Stunden eintraten.
Krankheitsbegriff.
223
und man das auf Halluzinationen Gedeutete auch aus anderen Grunderschei-
nungen erklären kann.
Und nun inhaltlich: Ein Symptom, ein psychisches, wie em körper-
liches (Schmerz, Anasarka), ist nie eine Krankheit; ein Symptomkomplex ist
es ebensowenig. Es wäre auch ein großer Zufall, wenn einmal irgendem
psychisches oder sonstiges Syndrom emer wirklichen Krankheit entsprechen
würde, d. h. notwendig im Vordergrunde jedes einzelnen Falles dieser Krankheit
sein müßte, ohne bei anderen Krankheiten vorzukommen. Hat man ein Symptom
oder einen Symptomenkomplex bei seinen Kranken gefunden, so ist damit
die Systematik, die Bildung des Krankheitsbegriffes nicht am Ende, sondern
am Anfang; jetzt erst hat man sich zu fragen: In was für Verbindungen mit
anderen Symptomen vmd anatomischen Befunden, bei welchem Verlauf, nach
welchen Ursachen kommt das Symptom vor? Eventuell: Auf was für eine
Grundstörung ist es zurückzuführen? Und erst die Beantwortung dieser Fragen
bringt uns den Krankheitsbegriff.
Die meisten der zm- Abgrenzung der alten Pseudopsychosen verwerteten
Symptome waren schon an sich ganz ungeeignet für eine solche Rolle. Hallu-
zinationen z. B. gibt es bei allen Geisteskrankheiten, ja schon bei Gesimden.
Ihr Vorkommen ist also nicht einmal brauchbar als Kriterium zur Abgrenzung
von gesund und krank, geschweige denn zui' Abgrenzung der einen Geistes-
krankheit von der andern. Auch das quantitative Verhältnis derselben zu den
anderen Krankheitserscheinimgen könnte uns nichts sagen. Wir sehen ja z. B.
Paralysen, Epilepsien, senile Verblödimgen bald mit vielen Halluzinationen,
bald ganz ohne solche verlaufen; es fällt uns aber nicht ein, deshalb den Krank-
heitsbildern in irgend einer Richtung eine andere Deutung zu geben. Wir sehen
sogar in den verschiedenen Anfällen des nämlichen Manisch-Depressiven, die wir
aus guten Gründen als gleichwertig betrachten, die Halluzinationen bald im
Vordergrund, bald ganz fehlend. Wenn wir nun wie in der Schizophrenie Krank-
heitskomplexe, die in allen anderen Merkmalen der Symptomatologie, des Ver-
laufes usw. identisch sind, sich aber durch das Vorkommen von Halluzinationen
unterscheiden, vor uns haben, so gibt uns das noch nicht das geringste Recht,
diese Krankheitsbilder als etwas Besonderes aufzufassen.
Wichtiger wäre die Art der Halluzinationen. Man kann ein Delirium
tremens mit Wahrscheinhchkeit, und wenn noch bestimmte EigentümHchkeiten
der Reaktionsweise hinzukommen, mit Sicherheit an der Kombination bestimmt
gearteter Gesichtshalluzinationen mit Tasthalluzinationen erkennen; ebenso
erlaubt die beschriebene Kombination von Halluzinationen des Gehörs und der
Körperempfindungen die Diagnose der Schizophrenie — die Diagnose, aber
nicht die Abgrenzung des Begriffes, denn die Halluzinationen können in
sonst gleichwertigen Fällen ganz fehlen oder das Bild vollständig beherrschen; sie
können im einen Falle während eines fünfzigjährigen Krankheitsverlaufes nur
acht Tage lang zu konstatieren sein, im andern, ebensolange dauernden, nur
vorübergehend fehlen; kurz, um aus ihnen etwas schließen zu können, müssen
sie vorhanden sein; und die Diagnose stützen wir einfach auf die durch die
Erfahrung gegebene Korrelation bestimmter Halluzinationen mit den anderen
Symptomen der Schizophrenie. So hat aus guten Gründen niemand gewagt
den Begriff emer Krankheit auf die Art der Halluzinationen zu stützen
224
Schizophrenie.
Noch viel schlimmer steht es mit dem Begriffe der Verwirrtheit, der
der Amentiaidee zugrunde hegt. Verwirrtheit ist ein Endsymptom, das durch
die verschiedensten Störungen hervorgebracht wird, wenn sie nur hochgradig
genug sind. So sind Manische, Epileptische, Hysterische, Dehrierende, Katato-
nische gelegenthch verwirrt; die genauere Analyse zeigt aber, daß es sich trotzdem
um ebenso viele ganz verschiedene und klinisch unterscheidbare Zustände handelt.
Der Begründer des Amentiabegriffes hatte denn auch folgerichtig alle diese Zu-
stände zusammengefaßt und damit seine Lehre ad absurdum geführt, d. h. er
hat selber gezeigt, daß seine Voraussetzung unrichtig war, weil sie logischer-
weise zu falschen Konsequenzen führt. Auch die gereinigte Amentia der neueren
Wiener Schule^) leidet noch unter dem prinzipiellen Fehler der ursprünghchen Ab-
grenzung. Wenn Stransky sich nun so hilft, daß er zur Amentia diejenigen Fälle
von Verwirrtheit rechnet, die nicht zu einem andern Krankheitsbegriff gehören,
so wäre das nur dann praktisch brauchbar, wenn wir die in Betracht kommenden
anderen Krankheiten schon kannten und abgegrenzt hätten. Die Kraepelin-
sche Schule zählt aber die meisten seiner Fälle unbedenkhch zur Dementia praecox.
Würden wir also Stranskys Definition annehmen, so kämen wir gar nicht
mehr als sonst in den Fall, Amentia zu diagnostizieren.
Auch der oft zur Differentialdiagnose verwertete Stupor ist dazu ganz
ungeeignet. Alle Ai'ten von Hemmungen und Sperrungen treten als Stupor
in die Erscheinung, wenn sie nur recht hochgradig sind. Wichtig für die Kenntnis
der Krankheit ist nur das ihm zugrunde liegende Primärsymptom, nicht aber
das äußere Bild, der Stupor. Manischer, epileptischer, schizophrener Stupor,
Stupor aus Schreck, alles das sind ganz verschiedene Dinge.
Für viele ist es von großer Bedeutung, ob die Störung bei einer
Geisteskrankheit primär die Intelligenz oder die Affektivität
betreffe. Neben anderen Schwierigkeiten machen aber zwei Umstände ein solches
Kriterium ganz unbrauchbar: wir wissen gar nicht, ob es primäre Störungen
des einen Gebietes gibt, die das andere frei lassen, und wir wissen noch viel
weniger im konkreten Fall zu sagen, was primär und was sekundär ist. So
zeigen sich bei der Affektpsychose „Manie" sogar Ideenflucht und gehobene
Stimmung nicht als voneinander abhängig, sondern als Korrelationen (Beweis:
die Mischzustände); so streitet man sich lebhaft, ob bei der „Verstandespsychose
par excellence", der Paranoia, nicht doch die Gefühlsstörung das primäre sei.
Es handelt sich also hier um ein Kriterium, das vielleicht gar nicht existiert,
jedenfalls aber noch von niemandem nachgewiesen worden ist.
Einzelne legen sogar Gewicht auf das zeitliche Vorausgehen des einen
Symptoms vor dem andern, so Ziehen, der in gewissen Fällen Manie annimmt,
wenn zuerst die affektive Störung eingetreten ist, dagegen akute haUuzinatorische
Paranoia, wenn die Halluzinationen zuerst da waren (840, S. 338). Wer will
diesen Unterschied konstatieren? Das von Ziehen (840, S. 207) empfohlene
Ausfragen des Patienten scheint mir denn doch für viele Fälle zu misicher.
Daß man mit solchen Kriterien nicht scharf abgrenzen kann, ist selbst-
verständlich; so gibt es bei den svmptomatischen Diagnosen immer eme Menge
Übergangsfälle und atypische Fälle. Die Annahme atypischer Krank-
1) Stransky, Pilcz.
Kvankbeitsbegriff.
225
Leiten ist immer ein Testimonium irgend einer Schwäche. In der Natm- ist
nichts typisch und nichts atypisch; die „Forme fruste" hat ihre Existenz-
berechtigung so gut wie die als Typus angenommene. Wenn wir eme Krankheit
als atypische bezeichnen, so heißt das, sie weicht ab von einer Norm, die wir
aufgestellt haben. Wenn ein solches Abweichen vorkommt, so ist das ein
Beweis, daß unsere Norm nicht alle Fälle umfaßt, die sie umfassen sollte; oder
dann, daß wir zu Zwecken der Beschreibung eine bestimmte Gruppe von
Fällen unter dem Namen der „typischen" herausgehoben haben, um dann
die anderen Fälle als Abweichungen und Varietäten zu schildern. Letzteres
Verfahren bietet oft große Vorteile ; man darf aber die zu didaktischen Zwecken
angenommene Begrenzimg der Beschreibung nicht mit der Abgrenzung des
Begriffes verwechseln. Wenn es eine Scarlatina sine exanthemate gibt, so
umfaßt eben der Krankheitsbegriff der Scarlatina auch diese Form. Was typisch
ist, läßt sich nur willkürüch bestimmen. Man vergleiche den Begriff der Vesania
typica nach Kahlbaum oder gar nach Arndt (21; a) mit der Wirklichkeit
und mit Cloustons Ausspruch: die typische Form der Geisteskrankheit ist
das jugendliche Irresein, das in sekundäre Demenz übergeht.
Was nun die Übergänge^) betrifft, so kommen dieselben an manchen
Orten in der Natur vor. Es gibt keine Grenze zwischen Höhenküma und Tiefen-
Idima, keine zwischen ehrlich und schlecht, zwischen gesund und abnorm und
keine zwischen den verschiedenen Arten ,, psychopathischer Persönlichkeiten" des
Kraepelinschen Schemas. In diesen Fällen ist eben eine natürliche Einheit
von ims künstlich zerlegt worden. Es ist zwar theoretisch die MögHchkeit
zuzugeben, daß ein solches Verhältnis auch bei den Psychosen oder wenigstens
bei den hier in Betracht kommenden Formen derselben bestehe: es könnte
ja nur eine Geisteskrankheit geben; dann wären die Zustandsbilder, die wir
abtrennen, künsthche Gebilde, und in der Natur gäbe es keine entsprechende
Grenze. Diese Annahme ist wirkHch vor einigen Jahrzehnten gemacht worden,
und konsequente Anhänger der alten Diagnosen, wie Ziehen, halten die Idee
der Übergänge wenigstens für die bei der Diagnose Dementia praecox in Frage
kommenden Formen noch aufrecht. Es könnten ferner die Psychosen einfache
Abweichungen von der Norm sein, die in den verschiedensten Richtimgen und
Graden vorkommen. So ist alles das, was Mag na n unter seinen Degenerations-
begriff subsumiert, als Einheit gedacht; zwischen den einzehien hieher ge-
hörenden Krankheitsbildern gibt es nach dieser Auffassung keine Grenzen,
so wenig wie zwischen den Verbrechern Kraepelins imd seinen Pseudologen.'
Wir haben aber keine Anhaltspunkte dafür, daß eine dieser An-
nahmen für die Schizophrenie zutrifft. Im Gegenteil tendieren
alle Autoren dahin, die Schizophrenien als eine Vergiftung oder
ein ähnliches Novum für den Körper anzusehen; sie wären dann
der Paralysegruppe ganz an die Seite zu steUen und düi-ften keine Über-
gänge zu anderen Krankheiten zeigen.
Es gibt auch sehr gute Gründe, solche Übergänge direkt auszuschheßen •
und wenn Pilcz (580, a, S. 205) in seinem Material mehr atypische als Schul-
fällc findet, so kann ich nicht verstehen, warum das nicht das Todesui'teil seiner
') Ziehens konvergierende Formen (848) müssen wir unberücksichtigt lassen.
Handbuch der Psychiatrie: Bleuler.
15
22G
Schizophrenie.
Systematik sein soll. Wir wollen noch erwähnen, daß auch die Wiener Schule
die Grenzen ihrer Amentia immer mehr verengert hat, und daß Pilcz
selber seine sekmidäre Demenz nicht von der Dementia praecox unterscheiden
kann. Der Autor meint mm allerdmgs, daß verschiedene Prozesse zu der gleichen
psychischen Narbe führen könnten; das ist nicht zu bestreiten; wenn aber die
Endzustände von niemandem und die Anfangszustände nur von einer Schule
abgegrenzt werden können, und auch von dieser nicht einmal scharf, und nicht
einmal in der Hälfte der Fälle, dann hegt doch wirldich wenig Grund vor, solche
„Krankheiten" als verschiedene anzusehen.
Mit diesen Bemerkungen kommen wir zur Praxis, die die bitterste Ironie auf
die alten Einteilungsprinzipien darstellt. Unsere Literatur ist voll von Klagen über
den chaotischen Zustand der Systematik der Psychosen, mid jeder Psychiater weiß,
daß man sich auf Grund der alten Diagnosen gar nicht genügend verständigen kann.
Nicht einmal unter einander nahestehenden Klinikern ist eine Diskussion mögUch,
ohne daß jeder seinen besonderen systematischen Standpunkt rkizziert^) ; Fürst ners
halluzinatorisches Irresein ist etwas ganz anderes als das Meynertsche; Schuele
plädiert für Aufrechterhaltung der Kah Iba umsehen Katatonie, rechnet aber die
primäre Demenz dazu ^) ; Fürst ner behauptet, die Amentia habe man nie der
Paranoia zugerechnet^), während Wer nicke umgekehrt meint, die Paranoia acuta sei
in der „von Meynert so meisterhaft geschilderten Amentia" enthalten*). So
können sich mit den alten Begriffen nicht einmal die Koryphäen der Wissenschaft
verständigen, und viele Patienten tragen genau so viele Diagnosen mit sich herum,
als sie Anstalten besucht haben. Selbstverständlich war auch jeder Verfasser eines
Lehrbuches genötigt, sich vor allem eine Systematik zurechtzuschustern, denn die-
jenige seiner Vorgänger ist für seine Denk- und Beobachtungsweise unbrauchbar.
Auch innerhalb der gleichen Schule ist dem einen schon eine Paranoia, was der andere
noch eine Melancholie nennt. Die Zwischenformen, die atypischen Fälle muß man
eben durch einen Gewaltspruch irgendwo miterbringen. Ereignisse wie das folgende
sind etwas Gewöhnliches: In einer Anstalt trägt der große Topf die Aufschrift
,, Dementia". Nmi kommt ein neuer Arzt imd vergrößert den daneben stehenden
mit der Etikette „Paranoia" versehenen Topf und packt dann behutsam einen lun
den andern der alten Insassen bei irgend einem Wahnideerudiment und steckt ihn
in den neuen Topf — , und dabei meint er Fehler seines Vorgängers zu korrigieren.
Noch schöner charakterisiert es das Unfaßbare der alten Krankheitsbegriffe,
wenn Cramer bei Anlaß der Differentialdiagnose des „degenerativen Irreseins"
(140) den Rat geben muß: „Fälle, bei welchen unter Auftreten von stuporösen
Erscheinungen rasch eine Verblödung eintritt, rechnet man am besten zur katatoni-
schen Paranoia oder Katatonie im Sinne von Kraepelin". „Am besten." das sagt
mehr als eine ganze Abhandlung^).
Sehr oft hat man dem wirklichen Krankheitsbild dadurch gerecht zu werden
versucht, daß man mehrere Krankheiten zu gleicher Zeit beim gleichen Patienten
1) Vgl. z. B. die Paranoiadiskussion im psychiatrischen Verein in BerUn vom 17. Mötä
1894. Allgem. Zeitschr. f. Psych., 1895, S. 178.
2) Allgem. Zeitschr. f. Psych., 1901, S. 705.
^) Allgem. Zeitschr. f. Psych., 1894, S. 1081.
Allgem. Zeitschr. f. Psych., 1899, S. 642. Was hat den beiden Autoren die
„meisterhafte Schilderung" genutzt? . i ^nnrlorn nur
Im Sinne von Kraepelins Diagnosen gibt es kern „am besten . ''Ondena n^
ein „richtig" oder „falsch", ebenso wie man nicht gewisse lieberkrankheiten „am
bestek" dem Typhus oder dann der akuten Miliartuberkulose zurechnet.
JKrankheitsbegrifl'.l
227
a
„nnahm; die Fälle wurden dadmx-h allerdings vollständiger beschrieben — al)er
richtiger untergebracht gewiß nicht. Die Kombinationen von verschiedenen Psy-
chosen wuchsen überhaupt bei manchen Systematikern unheimhch an; denn eine
unvollständige Diagnose konnte durch eine zweite und dritte ergänzt werden.
In neuerer Zeit konnten sich viele deutsche wie ausländische Autoren dem
Einfluß des Dementia-praecox-Begriffes nicht entziehen. Sie nehmen eine Hebe-
phrenie, eine Katatonie oder eine Dementia praecox an, geben aber dem Begriff
einen geringeren Umfang, so daß daneben akute und chronische halluzinatorische
Paranoia, Amentia, Confusion mentale doch noch vorkommen. Damit ist natürlicli
nichts gewonnen als ein neues symptomatologisches Bild, das man Krankheit
nennt, und dann erst noch in mißverständlicher Weise mit dem gleichen Namen
bezeichnet, wie den qualitativ und quantitav ganz verschiedenen Kraepelin schien
Begriff. Es mag geniigen, noch einen ausländischen Autor anzuführen: Anglade
(16, S. 368) weiß zur Differentialdiagnose zwischen Confusion mentale und Dementia
praecox nur anzugeben: Der Schizophrene versucht gar nicht zu antworten, der
Konfuse hat mehr guten Willen, aber beide antworten ungenau, unzusammenhängend,
absurd; der Konfuse ist physisch meist herimtergekommen, der Demente nicht;
die Unterschiede ,, fühlt" man oft mehr, als daß man sie beschreiben könnte. —
Um diese in Wirklichkeit gar nicht existierenden und — wenn sie existierten —
kaum nachweisbaren Kriterien zu finden, mußte er zwei andere Autoritäten,
Hannion und Chaslin, herbeiziehen. Was hat eine solche Systematik für
einen Sinn?
Diesem Wirrwarr gegenüber hat die Aufstellung des Dementia-praecox-
Begriffes Klarheit und Ordnung gebracht.
Die Kraepelinsche Dementia praecox i) ist ein wirklicher Krankheits-
begriff :
Er hat Symptome, die nur ihm zukommen imd immer bei ihm vorhanden
sind. Dadurch erhält die Krankheitsgruppe nach außen wirkUche Grenzen.
Die als akzessorisch bezeichneten Symptome sind unwesenthch, denn sie
können auftreten mid verschwinden, ohne daß die Krankheit ihr Wesen ändert.
Die verschiedenen unter dem Begriffe zusammengefaßten Krankheits-
bilder doknimentieren sich auch darin als eine Einheit, daß sie nach unserem
jetzigen Wissen beim nämhchen Patienten ineinander übergehen oder miteinander
wechsehi können, und daß sich keine Gruppe herausheben läßt, die nicht zu
allen anderen Formen fheßende Übergänge zeigte.
Die AufsteUung entspricht auch der Wirkhchkeit, denn die Kriterien
sind m concreto sehr leicht zu finden, und tatsächhche Widersprüche gegen die
Konzeption hat meines Wissens noch niemand konstatiert.
Was für eine Art Einheit nun der Begriff der Dementia praecox repräsentiert
ist noch nicht klar. Wahrschebhch enthält er eine oder einzelne wenige Krank-
heiten im engeren Shme, die den größten Teil der FäUe enthalten, etwa so wie
die syphihtische Paralyse den größten Teil aller FäUe von Dementia paralytica
des vorigen Jahrhunderts umfaßt. Außerdem werden wahrscheinlich einige
seltenere Krankheitsprozesse Symptome hervorbringen, die für unser jetziges
^^ü^ , ? Seitdem dies geschrieben, hat ihn Kraepelin etwas enger gemacht Ich kann
>hm dabe: nicht folgen und halte mich an die ß. und 7. Auflage seinfr Psychiatrie!
15
*
228
Scbizopbrenie.
Wissen gleichartig sind. Wir waren zwar imstande, bei schizophrenieähnlichen
Fällen von organischen Störungen im Gehirn die Diagnose zu machen oder
wenigstens etwas „Atypisches" bei den Kranken zu sehen. Es ist aber nicht
auszuschheßen, daß doch noch gewisse leichte organische Störungen Symptomen-
komplexe hervorbringen, die wir jetzt als Dementia praecox bezeichnen. Ferner
wäre es möglich, daß irgendwelche Intoxikation, wie die alkohohsche, ähnhche
Bilder hervorbrächte (vgl. unten). Und vor allem ist es, solange uns der
eigentliche Krankheitsprozeß unbekannt ist, nicht auszuschließen, daß ver-
schiedene Arten von Autointoxikation oder von Infektion zu dem gleichen
symptomatischen Bilde führen könnten.
Die Dementia praecox ist also vorläufig nicht als Spezies einer Krankheit
aufzufassen, sondern als Genus, im gleichen Sinne wie die „organischen Geistes-
ki-ankheiten", oder vielleicht in dem engeren, wie die Dementia paralytica der
letzten Dezennien.
Wir sind also mit der Dementia praecox noch nicht so weit gekommen, wie
z. B. mit dem Begriff der infektiösen Nephritis; unser vorläufiger Begriff hat un-
gefähr die Bedeutung, die früher dem chronischen Morbus Brightii zukam. Dieser
umfaßte noch mehrere verschiedene Nierenprozesse, die aber in den wichtigsten
und damals allein erkennbaren Zeichen übereinstimmten. Ähnlich ist wohl jetzt
noch der Begriff des Gelenksrheumatismus, der möglicherweise verschiedene In-
fektionen enthält; diese sind aber noch nicht trennbar und repräsentieren für uns
noch eine Einheit, denn es fällt uns nicht ein, z. B. einen Gelenksrhemnatismus
mit Endokardititis als eine andere Kranlcheit zu bezeichnen als einen solchen ohne
diese ,, Komplikation", oder die Krankheit zu zerlegen je nach der Lokalisation in
den verschiedenen Gelenken.
Innerhalb des geschilderten Krankheitsbildes haben wir bis jetzt keine
natürlichen Scheidewände finden können. Die verschiedenen Symptomen-
kombinationen gehen beim einzelnen Kranken und von Patient zu Patient
so ineinander über, daß alle Unterschiede flüssig erscheinen. Unsere Unter-
gruppen, Hebeplirenie, Katatonie, Paranoid, sind also wohl „zufäUige" Er-
scheinungsweisen der gleichen Krankheit; jedenfalls entsprechen sie bloß Bildern,
die a potiori benannt werden, und bei denen das Potius nur unwesentUche Sym-
ptome betrifft.
Ich habe mich lange gesträubt, alle paranoiden Formen zur Dementia praecox
zu zählen; namentlich die Dementia paranoides im engeren Sinne mit ihrem sym-
ptomatologisch und verlaufsweise so leicht zu umschreibenden und eigenartigen
Bilde war das beständige Ziel meiner partikularistischen Wünsche. Auf der einen Seite
hat aber ein Eingehen in die Psychopathologie überall die nämlichen Grund-
erscheinungen gezeigt, auf der anderen gab das genauere Studium unserer Krankheits-
fälle soviel Gleichartiges, soviel Übergänge und ein so vollständiges Fehlen aller mit
unseren jetzigen Mitteln wahrnehmbaren Grenzen, daß ich nicht anders konnte,
als mich Kraepelin anzuschließen, der nun allerdings in neuerer Zeit wieder, wie
ich es früher getan hatte, eine Zwischengruppe zwischen Paranoia und Schizophrenie
vermutet. Hier kann ich ihm nicht mehr folgen, weil ich in der Richtung gegen die
Paranoia nirgends an eine Grenze komme, bis zum engen Begriff der Kraepelin-
schen Paranoia.
Die Zerlegung der Schizophreniengruppe ist also eine Aufgabe der Zukunft.
Ich halte es aber für noch wichtiger als die Abgrenzung der Krank-
Kranklieitsbegriff.
229
heit nach außen, daß einmal klar ausgesprochen worden ist:
innerhalb dieser Gruppe kennen wir noch keine natürlichen Grenzen; was man
bis jetzt für Grenzen ausgab, sind Grenzen von Zustandsbildern, nicht von
Krankheiten. Irrtümer hindern die Wissenschaft am meisten am Fort-
schreiten; sie zu beseitigen hat mehr praktischen Wert, als eine neue Erkeimtnis
zu gewinnen. Und hier ist ein ganzes Chaos von Namen^) beseitigt worden,
hinter denen man fälschlicherweise brauchbare Ki-anldieitsbegriffe suchte, und em
Wald von Grenzpfählen, von denen keiner an einer natürlichen Grenze stand.
Nach zwei Seiten allerdings ist der Begriff noch nicht gut abgeschlossen,
gegen die Paranoia und die Alkoholpsychosen.
Der Kraepelinschen Paranoia fehlen die Gemüts- und Assoziations-
störungen außerhalb des Wahnsystems und alle die groben Anomalien Avie die
katatonen Symptome. So können wir beim Paranoiker überhaupt eine Krankheit
außerhalb seiner Wahnideen nicht nachweisen. Damit ist auch die Prognose eine ganz
andere: die Paranoiker verblöden nicht (bis etwa Dementia senilis das Bild kom-
pliziert), wenn sie auch gelegentUch, wie alle Leute, die nur noch einseitig denken,
mehr oder weniger versimpeln können.
Der Mechanismus der Wahnbildung bei der Paranoia ist aber für unsere jetzigen
Untersuchimgsmethoden identisch mit dem bei der Schizophrenie, und so wäre es
möghch, daß die Paranoia eine ganz chronisch verlaufende Schizophrenie wäre,
die so milde ist, daß sie gerade noch zu Wahnideen führen kann, deren weniger auf-
fallende Symptome aber so wenig ausgesprochen sind, daß wir sie nicht nachweisen
können. Ich würde das für äußerst wahrscheinlich halten, wenn es häufiger vorkäme,
daß zu einer anfängHch reinen Paranoia später noch schizophrene Symptome kämen.
Wir mußten sehr wenig Fälle aus Paranoia in Schizophrenie umdiagnostizieren,
und es war keiner darunter, der nicht schon von Anfang an auf Schizophrenie ver-
dächtig gewesen wäre. Leider ist diese Erfahrung noch kein genügender Beweis
für die prinzipielle Verschiedenheit der beiden Krankheiten, da die Paranoia in
den Anstalten sehr selten ist.
Ebenso miklar ist noch das Verhältnis der Schizophrenie zu den verschiedenen
paranoiden Formen des Alkoholismus, verlaufen sie akut oder chronisch. Die
beiden häufigsten Psychosen, der Alkoholismus und die Schizophrenie, haben natürhch
eine Menge äußerer Berührungspunkte. So sehen wir häufig, daß die Halluzinationen
bei akuten Anfällen trinkender Schizophrenen alkoholische Färbung haben, sei
es in dem Sinne der lebhaften, multiplen, beweghchen Gesichts- und Getast-
halluzinationen des Delirium tremens, sei es nach Art der szenisch zusammen-
hängenden, den Kranken in dritter Person nennenden Gehörshalluzinationen des
Alkohol wahnsinn82). Diese Färbung habe ich nie gesehen, wenn nicht der Alkoholis-
mus die Schizophrenie komplizierte.
Die Schizophrenie disponiert aber auch zum Delirium tremens selbst. Delirium
tremens im Jünglingsalter (bis etwa zum 25. Jahr> nach wenigen Jahren über-
mäßigen Alkoholgenusses habe ich nur bei Schizophrenen gesehen.
Auch den Alkoholwahnsinn habe ich auf dem Boden der Schizophrenie ent-
^) Chaalin (118) zählt 31 Namen auf nur für die akuten halluzinatorischen Zu-
stande, die alle gerade bei der Dementia praecox am häufigsten vorkommen.
_ =*) Begleitender Alkoholismus kann überhaupt den akuten Syndromen der Schizo-
phi-enie einen logischen Zusammenhang verleihen; während umgekehrt die flüchtigen
Smnestauschungen des Delirium tremens durch den sclüzoplu-enen Einfluß der Komplexe
zu emem m Inhalt und Ablauf einheitlicheren Bilde geordnet werden, woran sich die
ratienten ungleich besser erinnern als an die wenig zusammenhängenden Einzelheiten des
230
ScliizoplirenieJ
stehen sehen. Er hat nach verschiedenen Autoren die Tendenz, in paranoide
Formen auszugehen, die wir nicht mehr von schizophrenen unterscheiden können.
So ist es nach meinem Material nicht auszuschließen, daß der akute Alkoholwahn-
sinn ein durch Alkohol hervorgerufenes und spezifisch gefärbtes Intermezzo im
Verlauf einer Schizophrenie darstelle. Durch diese Auffassung würde es auch ver-
ständlich, daß beim Alkoholwahnsinn die übrigen Zeichen des Alkoholismus so oft
fehlen, und daß v. Speyr und Schuele bei der akuten Alkoholparanoia den kür-
zesten Alkoholmißbrauch finden.
Die chronische Alkoholparanoia nun habe ich zwar schon sehr oft von anderer
Seite diagnostiziert gesehen; es ist mir aber noch kein Fall unter Augen gekommen,
bei dem ich nur den leisesten Grund gehabt hätte, etwas anderes zu sehen als eine
ganz gewöhnliche Schizophrenie bei einem Patienten, der auch trank. Wirkliche
Zeichen von Alkoholismus waren nicht einmal in allen Fällen vorhanden; dafür
war die Anamnese gewöhnlich schizophren. So ist es für mich ganz unzweifelhaft,
daß der größte Teil der chronischen Alkoholparanoien der Autoren nichts als Schizo-
phrenien sind^). Damit stehen in Einklang die Beobachtungen E. Meyers und
Bonhoeffers, daß die Prognose der chronischen Alkoholparanoia mit dem Auf-
treten von Größenideen und von Halluzinationen der niederen Sinne und der Organ-
empfindungen, also von schizophrenen Symptomen, sich verschlimmere. Die
„paranoide Disposition", die E. Meyer an der Wurzel der Alkoholparanoia voraus-
setzt, wäre dann in Wirklichkeit eine latente Schizophrenie, und wir hätten es nicht
zu tun mit auf alkoholischer Basis entstandener Paranoia, sondern mit auf schizo-
phrenem Boden entstandenem Alkoholismus. Jedenfalls ist bis jetzt der Be-
weis für die Existenz einer nicht schizophrenen Alkoholparanoia
nicht geleistet^). Damit möchte ich nicht ausschließen, daß er nicht an Material
aus anderen Gegenden doch noch erbracht werden könne.
Alkoholstupor^), der im Osten häufig sein soll, habe ich noch nicht gesehen,
dafür manchmal Stupor bei Schizophrenen, die zu viel tranken.
Auch den Kraepelinschen halluzinatorischen Schwachsinn der
Trinker kenne ich nicht aus eigener Erfahrung. Leider habe ich auch keine von
anderer Seite diagnostizierten Fälle zu sehen bekommen. Ich darf also ihre Existenz
nicht bezweifeln und habe zur Zurückhaltung noch einen andern Grund. Der Alkohol-
abusus führt schließlich zur Hirnatrophie, also zu einer Form von Schwachsinn.
Unter Abstinenz bleibt der Hirnprozeß stehen, und die Funktionsstörungen gleichen
sich mehr oder weniger aus. So mag es manchmal nicht mehr möglich sem, den
organischen Ursprmig des Schwachsinnes nachzuweisen. Halluzinationen können
gewöhnlichen DeHrium tremens. Dadurch und durch das Vorwiegen der SprachhaUuzi-
nationen entstehen auf schizophrenem Boden Übergangsformen des DeHrium tremens zum
Alkoholwahnsinn. , . u i i
Bemerkenswert ist auch, daß die Patienten, die zur Pohzei gehen und sich anklagen,
ein bestimmtes, von anderen begangenes Verbrechen ausgeführt zu haben, meist alkoho-
lische Schizophrene sind. ' , r i. -i i
1) Der bloß alkoholische Eifersuchtswahn bildet sich, soweit ich beurteilen kann,
unter Abstinenz wieder zurück. ,„ , i ,
2) Pilcz' Lehrbuch (S. 96) kann zur Differentialdiagnose des Alkoholwalmsinns
gegenüber seiner echten Paranoia (id est Schizophrenie) nur anführen den anamnestischen
Nachweis des akuten Beginnes bei einem Gewohnheitssäufer. Es gibt also nach ihm gar
keinen Unterschied, denn viele Schizophrenien werden bei einem Gewohnheitssaufer akut
manifest. Auch Schröder (673) kann die Frage nach der Existenz der chronischen Alkohol-
psychosen „nicht mit Sicherheit im bejahenden Sinne beantworten. Vgl. auch Chotzen
(124, S. 475). . ^„ ,
3) Als Krankheit, nicht als Emotionsstupor bei Alkoholikern.
Krankheitsbegriff'.
231
überall vorkommen, warum nicht bei einzelnen hirnatrophisclien Alkoholikern?
Allerdings beweisen die Beschreibungen Kraepelins und Schröders noch nicht
die Notwendigkeit der Abtrennung eines alkoholischen halluzinatorischen Schwach-
sinnes von der Schizophrenie. _ .
Ob ein schwerer Korsakow zu einem chronischen schizophrenieartigen Bilde
führen kann, oder ob ein Korsakow, der in eine Schizophrenie überzugehen scheint,
von vornherein eine Schizophrenie war, die durch Korsakow kompliziert worden
ist, muß weitere Beobachtung ergeben. In zwei Fällen meiner Beobachtung war
das letztere wahrscheinlich, und zwar namentlich deshalb, weil die Kranken von
einem bestimmten Zeitpunkt an einen so unsinnigen Lebenswandel geführt hatten,
daß er sich besser durch eine Dementia praecox als durch einen bloßen Alkoholismns
erklärt.
Schwierigkeiten wie die obgenannten zeigen sich wohl bei jedem Krank-
heitsbegriffe. Der der Dementia praecox ist im übrigen ein sehr gut ab-
geschlossener. Vor den symptomatologischen Krankheitsbildern hat er voraus,
daß es bei ihm kein „Mehr oder Weniger" gibt:
Wenn einmal die schizophrene Gemütsstörung oder die schizophrene
Assoziationsanomalie nachgewiesen ist, so ist die Diagnose gesichert. Fragen
kann man sich nur, ob eine noch wenig ausgesprochene Gemütsstörung
schon eine schizophrene sei ; das sind Schwierigkeiten, die nicht dem Krankheits-
begriff, sondern unseren diagnostischen Mitteln anhaften und bei keiner Krankheit
fehlen; ob ein bestimmtes unreines Atmen schon pneumonisches Bronchial-
atmen sei, ist eine technische Frage, nicht eine des Krankheitsbegriffes. Der
Begriff der Schizophrenie ist also schon deswegen jedem sjonptomatischen über-
legen, weil es sich bei diesem Kranldieitsbegriffe nicht um relative, sondern
um absolute Kriterien handelt — absolut m dem Sinne, daß, wenn die Kriterien
nachgewiesen sind, die Diagnose unter allen Umständen gesichert ist.
Das zeigt sich denn namentlich beim Verlaufe. Ist die Diagnose einmal
gemacht, so muß sie nicht mehr geändert werden; es treten keine Symptome mehr
auf, die nicht zu der Krankheit gehören; es kann nicht vorkommen, daß die
richtig diagnostizierte Dementia praecox von heute auf morgen eine Paralyse
oder eme Epilepsie sei; die Krankheit hält sich immer innerhalb der gleichen
Symptomengruppen.
Natürlich müssen nicht alle Symptome in jedem einzekien Fall auftreten,
so wenig vne bei jedem Typhus eine Darmblutung eintritt. Auch kann es selbst^
verständlich, wie bei allen anderen Krankheiten, in leichten Fällen der Schizo-
phrenie vorkommen, daß man zu einer gegebenen Zeit ein vorhandenes Symptom
mit imseren jetzigen Mitteb nicht nachweisen kann.
Die Schizophrenie kann zu jeder Zeit stille stehen, gerade wie z. B. eine
Limgentuberkulose. Bilden sich dann die akuten Symptome zurück, und ist die
Krankheit nicht weit vorgeschritten, so kann man mit miseren Mitteln unter
Umständen kaum mehr etwas Pathologisches finden, gerade wie die Reste einer
Spitzeninfiltration m"cht zu erkennen sind, wenn sie nicht einen gewissen Umfang
erreicht haben. Sind aber Symptome vorhanden, so ist es für den Krankheits
begriff ganz unwesentlich, ob sie kaum merklich oder hochgradig seien- in jedem
i^alle bleiben sie im Rahmen der schizophrenen Symptome. Es ist also niclit
wie sonderbarerweise viele Gegner meinen, daß die Schizophrenie i„ '
232
Schizophrenie.
l^aile zur ausgesprochenen Verblödimg, führen müsse, sondern: wenn die Krank-
heit weiter schreitet, so führt sie zur Verblödung, und diese Verblödung hat einen
spezifischen Charakter. Sie braucht aber nicht weiter zu schreiten.
Einige der häufigsten Einwendungen, denen der Dementia praecox-Begriff
begegnet ist, mögen hier erwähnt werden.
Zunäclist war wohl die Vielgestaltigkeit des äußeren Krankheitsbildes das
größte Hmdernis semer Anerkennung. Nachdem aber nachgewiesen ist, daß ein-
zelne durchgehende Symptome existieren, während den wechselnden keine systemati-
sche Bedeutung zukommt, ist die Einheit in der Menge der Formen nicht mehr viel
schlechter zu erkennen als bei der Paralyse. Jedenfalls handelt es sich um eine Gruppe
von Krankheiten, die von allen anderen Kraepelinschen Gruppen prinzipiell
unterschieden sind.
Einer der häufigsten Einwände, der auch jetzt noch besonders im Auslände
viel gehört wird, ist merkwürdigerweise der, es handle sich nicht immer um eine
Demenz noch um eine Präcocitas. Nachdem Kraepelin den Begriff so klar um-
schrieben unter ausdrücklicher Erwähnung von Heilungen und Späterkrankungen,
darf dies als grobes Mißverständnis bezeichnet werden, das den Begriff nicht kennen
will und sich an den Namen klammert.
Eher Beachtimg verdient schon der Einwand, daß Krankheitsfälle, von denen
die einen heilen, die anderen in Blödsinn übergehen, nicht zusammengehören. Der
Einwurf würde indes die alten Krankheitsbegriffe noch viel eher treffen als die
Dementia praecox mit ihrem semper aliquid haeret, und wäre hier nur dann ange-
bracht, wenn nachgewiesen wäre, daß das Fortschreiten der Verblödung einen wesent-
lichen Bestandteil des Krankheitsbegriffes ausmachte. Es ist aber das Gegenteil
der Fall. So ist es, wie wenn man den Begriff der Lungentuberkulose angreifen wollte,
weil zwar die meisten Fälle heilen, viele aber chronisch werden oder rezidivieren,
und eine Anzahl Patienten daran zugrunde gehen.
Eine gewisse Schwierigkeit finden viele in ihrem Demenzbegriff. Schaefer
z. B. (651) meint, daß eine Krankheit, die 14 Jahre lang als Demenz imponierte
luid dann heilte, keine wirkliche Demenz sein könne. Er mußte also den Fall, der
nach uns nur ein etwas eklatantes Beispiel einer Spätheilung bei Schizophrenie
darstellt, zu einer andern Krankheit zählen als die hoffnimgslos Verblödeten in den
Pflegeanstalten. Wer sich klar gemacht hat, wie wenig eigentlich bei der Schizo-
phrenie vom Denkorgan zugrunde gegangen ist, und wer gerade die Hauptsymptome
der spezifischen ,, Verblödung", das sich Einspinnen in die eigene Gedankenwelt
und die Affektlosigkeit als sekundäre, potentia wandelbare Erscheinungen erfaßt
hat, sieht in solchen Vorkommnissen keine Schwierigkeit.
Es gibt nun aber auch Psychiater, die umgekehrt nicht nach dem Ausgang
gruppieren wollen und sich gerade deshalb ablehnend gegen den Begriff verhalten.
Bruce meint, bei Differenziermig nach dem Ausgang wären alle Krankheiten gleich,
weil alle schließlich mit Tod endigen. Nun ist für die Dementia praecox nicht der
Ausgang, sondern die Ausgangsrichtung wesentUch. Und wenn Pilcz anführt,
daß doch wohl verschiedene Prozesse zum gleichen Ende führen können, so ist dem
entgegenzuhalten, daß wir eben bei genauerem Zusehen die Elemente der späteren
spezifischen Verblödung in jedem Stadium der Schizophrenie, nicht aber bei anderen
Krankheiten finden können. Es ist also eine Sache der Untersuchung und der Er-
fahrung, ob man dem Autor recht geben kann oder nicht. Unsere Erfahrung gibt
ihm vollständig Unrecht.
Wer nicke hat auch eingeworfen, daß es nicht angehe, den ätiologischen
Begriff der „Hebephrenie" mit dem symptomatologischen der „Katatonie" zu
parallelisieren. Hätte er Kraepelin richtig gelesen, so wäre ihm klar geworden.
Krankheitsbegriff. 233
ä.Q bei ihm beide Worte nicht bloß ätiologische und nicht bloß symptomatologische
Z^l ZLnen, sondern Erscheinungsweisen einer ganzen Krankheit mit allen
''^"E'S a:ä:t. der „Katatonischen Einheitspsychose''^) und macht
aam.^t ZdelUng des Be^.fes — ^ uSe^ur^^
^um' ob der Beclff richtig gebildet sei, und ich kann nicht finden daß es weniger
b dauerlich äre:wenn Schnupfen und Typhus oder Pferde und Elefanten un"
.efthr deich häufig wären. Es würde auch keinem Menschen emfa len we^n die
p'iX! einmal der männlichen Aufnahmen ausmachte, deshalb den Krank-
^teb^rifi zu umfangreich zu finden. Es gibt gewiß auf der ganzen Welt keinen
Grund gecen die Annahme, daß eine einzelne Psychose unverhältnismäßig viel hautgei
sei als die anderen. Im Falle der hier in Betracht kommenden Krankheit hat man
im Geaenteil von jeher überall da, wo diese Patienten sich ansammelten, das in der
Natur "der Sache begründete Bedürfnis nach dem großen Topf gehabt, der nuj mit
der Zeit seine Etikette wechselte.
Umfang des Begriffes.
Kraepelins präseniler Beeinträchtigungswahn läßt sich nach
unserer Erfahrung nicht von der Schizophrenie trennen ; er hat genau die gleiche
Symptomatologie wie die Dementia paranoides oder andere Formen des Para-
noids; manchmal kann man die Störung in ein ziemlich frühes Alter zmäick-
verfolgen; auch treten dann imd wann einzelne katatone Symptome avif. Es
handelt sich also nach unserer Auffassung um ein Spätparanoid.
In neuester Zeit gewmnt das manisch-depressive Irresein wieder
an Ausdehmmg auf Kosten der Dementia praecox (vgl. namentlich Wilma nns,
827, S. 569). Im Gegensatze zu Dreifuß (187, S. 45) kann ich mich an keinen
einzigen Fall erinnern, den wir aus der Schizophrenie in manisch-depressives
Irresein umdiagnostizieren mußten ; dagegen ist das Umgekehrte mit den J ahren
dann imd wann vorgekommen. Unsere Erfahrung widerspricht direkt dem Satze
Wilma nns: „Katatonische Symptomen komplexe, die sich an eindeutig
manisch-depressive oder zyklo thymische Anfälle anschUeßen, sind als eigentüm-
Hche Äußerungen dieser Krankheit anzusehen und gehen in Heilimg über."
Wenn wir bei manisch-depressivem Irresein katatonieartige Sympl omen-
komplexe analysieren konnten, so erwiesen sie sich bis jetzt immer als nicht
eigentlich katatonisch. Wir sind also noch nicht überzeugt, daß katatone S)'m-
ptome beim manisch-depressiven IiTesein vorkommen. Dagegen treffen wir
manisch-depressive Symptome bei der Schizophrenie so gut wie bei der Paralyse
oder der Dementia senilis. So können wir vorläufig gar nicht verstehen, wie
Wilma nns dazu kommt, ,,den manisch-depressiven Symptonienkomplexen
eine weit größere differentialdiagnostische Bedeutung als den katatonischen
beizumessen". — Daß wir bei Mischung von manisch-depressiven Symptomen
mit schizophrenen die Krankheit nicht manisch-depressives Irresein, sondern
Dementia praecox nennen, wie es auch Kraepelin früher getan hat, ist nach
1) Sommer, Zeitschr. f. Psych., 1899, S. 260.
2) AUgem. Zeitschr. f. Psych., 1899.
234
Schizophrenie.
unserer Auffassimg selbstverständlich. 80 gibt es für uns so wenig eine „katatoni-
sche Form des periodischen Irreseins" (Geist) wie eine paralytische Form des-
selben. Dafür kennen wir periodisch verlaufende Katatonien und Paralysen
Wahrscheinlich gibt es auch Mischfälle von manisch-depressivem Irresein und
Schizophrenie.
Abgesehen von dieser Erweiterung des Begriffes stimmt unsere Erfahrung
ganz mit der Kraepelins überein. Dagegen haben wir uns einigermaßen mit
den systematischen Begriffen der wichtigsten anderen Schulen abzufinden.
Epilepsie, Paralyse, Dementia senilis dürfen A\dr als Krankheiten mit allgemein
anerkannten Grenzen aus dem Spiele lassen.
Schon die Idiotie macht aber einige Schwierigkeiten. Man hat die in der
Pubertiit auftretenden Psychosen auch als Spätidiotien bezeichnen wollen. Bei
den Idiotien handelt es sich aber um eine Menge anderer Krankheiten und um
Entwicklimgshemmungen, die nicht mit der Schizophrenie zu verwechsehi sind^).
Die Begriffe der Melancholien und Manien sind jetzt noch in Frank-
reich und namenthch in England sehr weit; der größere Teil der hierzu gezählten
Krankheiten muß von uns der Schizophrenie angereiht werden. Der deutsche
Begriff von Melanchoüe und Manie ist schon vor Kraepeli n enger gefaßt worden;
aber dennoch gehören viele Fälle namenthch von halluzinatorischer Manie oder
Melanchohe respektive manischem und melanchohschem Wahnsinn der Autoren 2)
zu unserer Schizophrenie. Wir haben also die Krankheit in dieser Richtung
abzugrenzen gegen das manisch-depressive Irresein und die Melanchohe (der
Involution), wenn die letztere wirklich eine Kranlcheit sui generis ist. Nach dem
oben Gesagten hat das keine theoretischen Schwierigkeiten.
Die Schizophrenie umfaßt ferner den größten Teil derjenigen Fälle, deren
Bezeichnungen die halluzinatorische Aufregung oder die Verwirrtheit
in den Vordergrund stellen, inldusi ve der A m e n t i a oder derhalluzinatorischen
Paranoia. In dieser Richtung sind die Grenzen schwer zu bestimmen, weil die
wohl ziemlich mannigfaltigen, aber nicht sehr häufigen Krankheiten, die neigen
der Schizophrenie in Betracht kommen, noch gar nicht bekannt sind. Es gibt
aber akute halluzinatorische und Verwirrtheitszustände, die bei fieberhaften
Kranlcheiten, bei Niereninsuffizienz, kurz unter Umständen vorkommen, die
eine Art Giftwirkmig vermuten lassen. Dem einzigen Versuche, solche Zustände
erkennbar zu beschreiben, entstammt die Kraepelinsche Amentia. Ich
habe aber unter den letzten über 4000 Aufnahmen keine solche nachweisen
können, und fange deshalb an zu zweifeln, ob sie die Bedeutung habe, die ihr
der Autor zuschreibt. Die anderen dieser im weitesten Sirme toxischen Dehrien
sind leider in den allgemeinen Begriffen der hierhergezählten Krankheiten
^) Kraepelin und Weygandt neigen dazu, die Schizophrenie selbst unter die
Krankheiten einzureihen, die Idiotie hervorrufen können. Da der Name Idiotie nur eine
intrauterin oder in früher Jugend eingetretene geistige Insuffizienz bezeichnet, und die
Schizophrenie auch in den ersten Lebensjahren ausbrechen kann, so ist prinzipiell nichts
gegen die Aufstellung einzuwenden. Nur muß ich bemerken, daß ich noch keinen solchen
Idioten gesehen habe. Alle Fälle von infantiler Schizophrenie meiner Erfahrung waren
keine Idioten. Die Stereotypien der Idioten sind etwas prinzipiell anderes als die kata-
tonischen.
2) Ein sehr kleiner Teil des akuten (melancholischen und manischen) Wahnsinns
gehört nach unserer Auffassung zum manisch-dej)ressiven Irresein.
Krauklieitsbegriff.
235
verschwunden, so daß sie noch keine spezifische Symptomatologie haben. Man
sollte die ..Verwirrtheit" in diesen Fällen auf andere Elementarsymptome zurück-
führen können als bei der Dementia praecox.
Mit dem Sammelbegriff des Delirium acutum hat die Schizophrenie
wenig Berührungspimkte, doch kann es einmal vorkommen, daß ein ganz akut
und tödhch verlaufender Fall von Schizophrenie als Delirium acutum auf-
gefaßt wird. Die Ecnoia Ziehens würden wir wohl in den meisten Fällen
unserer Krankheit einreihen.
Selbstverständlich sind auch die Wer nickeschen „Motihtätspsychosen"
fast alle Schizophrenien.
Von chronischen Krankheiten gehören alle^) diejenigen zu imserem Begriff,
die als Verblödungsformen, primäre und sekundäre Demenz usw.
bezeichnet wurden, dami der größte Teil aller Paranoien der anderen Autoren.
Von kleineren Kr ankhei tsbilder n möge erwähnt werden dieHypochondrie,
die bei vielen Psychiatern jetzt noch eine große Eolle spielt. Die meisten (un-
heilbaren) Hypochonder sind Schizophrene, deren Wahnideen eben den eigenen
Körperzustand betreffen. Nach genauerer Untersuchung und namentHch nach
Kenntnis einiger ganz klarer analoger Fälle, muß ich jetzt auch die in meiner
,,Affektivität" (S. 133) beschriebene Frau als schizophren ansehen. Viele Arzte
werden aber auch Kranke als Hypochonder bezeichnen, die wir als Neurastheniker,
Hysteriker usw. taxieren würden. Auch eigenthche Paranoiker können \delleicht
Hypochonder mit den Gesundheitszustand betreffenden Wahnideen sein. Ein
eigenes Kranlcheitsbild der Hypochondrie kennen wir nicht.
Einige Fälle, auf die die Kraepelinsche Schilderung der „Erwartungs-
neurose" ganz genau paßte, waren Schizophrene.
Eine große Zahl der mir bekannten weibhchen Schizophrenen galten an
anderen Orten als hysterisch Verrückte, wobei man sich vorstellte, daß
die Verrücktheit irgend wie eme Weiterbildung der Hysterie wäre. Ich habe
noch nie emen Anhaltspunkt gefunden, eine hysterische Verrücktheit zu diagno-
stizieren. Alle von anderen so genannten Kranken unterschieden sich in
keiner Weise von den anderen Schizophrenen. Wenn ein angebhcher Hysteriker
verrückt wird oder verblödet, so ist er eben nach meiner Erfahrimg kein Hysteriker,
sondern em Schizophrene, trotz der Autorität Charcots und den neuerhchen
Arbeiten von Eancke (588) und Kaiser, welch letzterer bei ganz offenkundigen
Schizophrenen diagnostische Schwierigkeiten sieht und sie zum Teil als Hysterien
auffaßt. Ebenso smd die „hysterischen" Melanchohen und Manien anderer
Autoren meistens Schizophrenien, wenn es auch gelegenthch wkhche Kom-
binationen von Manie und Melanchohe mit Hysterie gibt.
Auch „Nervöse", die des öfteren ganz verkehrte Reden führen, die Nahrung
verweigern und Eifersuchtsideen haben, sind nach imserer Erfahrmig weder
Neurastheniker noch Narkoleptischei), sondern Katatonische.
Ein großer Teil, aber nicht alle, der ganz schHmmen Formen von Zwancrs-
zustanden, von Grübelsucht, von impulsiven Handlungen gehören
r.«, . . 'V^V'VV'^'''"''''^"'"'^'''^' noch andere Hirnkrankheiten gebe, die eine
psycbBche Narbe hmterlassen. Sie sind aber noeh nicht beschrieben (auch nicht in Fom
der bishengen Amentiaauffassungen) und kaum von numerischer Bedeutung
*) bchott (C66). ^'
236
Schizophrenie.
unzweifelhaft der Schizophrenie an. Meist kommen dann fi-üher oder später
die deutlichen Zeichen der Grundkrankheit zum Vorschein. Mit Pyi-omanie,
Kleptomanie u. dgl. Namen bezeichnete Krankheitsbilder sind manchmal
Schizophrenien.
Wie wir vms zu den juvenilen Psychosen stellen, ist nach dem früheren
selbst verständhch. Die Schizophrenie beginnt am häufigsten zwischen 15 und
25 Jahren; sie ist zugleich die häufigste Psychose; daraus folgt, daß sie auch
die häufigste juvenile Psychose ist. Neben ihr kommen aber in diesem Alter
auch noch alle anderen Psychosen vor, mit Ausnahme der Involutionsformen,
wenn es solche gibt, und der senilen Krankheiten. Es gibt also für uns keine
charakteristische juvenile Psychose oder Psychose des Pubertätsalters.
Das masturbatorische Irresein der verschiedenen Autoren hat offen-
bar ganz in der Schizophrenie aufzugehen.
Abzufinden haben wir uns noch mit dem Begriff der Degeneration. Im Morel-
schen Sinne bedeutet das Wort eine von Generation zu Generation zunehmende geistige
Insuffizienz in einer Familie. Diese Art der Degeneration wird jetzt selten mehr
unter dem Worte verstanden, da sie nur ausnahmsweise klar zu sehen ist. Dafür
hat man den weiteren Begriff eingeführt, der ungefähr sich deckt mit der Belastmag".
— Die Degeneres Magnans sind Leute aus degenerierten, d. h. geistig abnormen
Familien. Man will gesehen haben, daß bestimmte Krankheitsbilder und bestimmte
Symptome nur bei Degenerierten in diesem Sinne vorkommen. Bei gewissen Ab-
weichungen von der Norm, z. B. bei der echten moralischen Idiotie, der Pseudologie
und einer ganzen Menge von Verschrobenheiten der Intelligenz und des Charakters
wird die Auffassung für die meisten Fälle zutreffen, aber kaum für alle, denn es gibt
auch erworbene Gehirnkrankheiten, die uns ähnUch erscheinende Bilder hervor-
bringen können. Die eigentüchen Psychosen aber haben bis jetzt einer solchen Auf-
fassung widerstanden. Es ist von keinem einzigen Bilde nachgewiesen, daß es nur
bei Hereditariern vorkomme. Wenn man eben „die Heredität" sucht, so findet
man sie bei Geisteskranken fast immer; bei den Krankheiten, die nicht als degenerative
gelten, hat man viel weniger Eifer, sie zu suchen, man findet sie also weniger. Nach-
dem der groß angelegte Versuch Magnans gescheitert ist, haben wir keinen Grund
mehr, ims lange mit der Idee zu beschäftigen. Wenn ein Mann von der Erfahrung
mid dem klinischen Können dieses Autors so gründlich Fiasko macht, so ist das
der beste Beweis, daß sich wenigstens bei unseren jetzigen symptomatologischen
Kenntnissen mit der Idee nichts anfangen läßt. Und gewiß auch später nicht, wenn
man nicht die Heredität in viele Hereditäten bestimmter Richtung zerlegt. Es naag
also genügen, darauf hinzuweisen, daß in St. Anne das große Fach heißt: „Degeneres",
und daß sich darin ein schöner Teil unserer Schizophrenen befindet. Das ist um
so eher möglich, als eben viele leicht Schizophrene als solche verkannt werden und
dann als ab ovo psychopathische Naturen gelten müsseni). Zxxm Überfluß hat Wolf-
sohn (AUg. Zeitschr. f. Psych., 1907) nachgewiesen, daß die Heredität, die übrigens
bei 90% der Schizophrenen nachzuweisen ist, keinen erheblichen Einfluß weder
auf den Verlauf noch auf die Symptomatik der Schizophrenie ausübt
Ein dritter schärferer Begriff, der sich aus dem allgemeinen Sclilamm des
bisherigen Degenerationsbegriffes herausheben läßt, ist der einer angeborenen oder
in der frühen Jugend erworbenen Gehirnschwäche des Individuums, auf deren
1) Morel (Brain 1889, S. 219) sieht die schizophrenen Symptome als Zeichen der
Degeneration an. Auch Bonhoeffer beschreibt in seinen Degenerationspsychosen viele
degenerative Symptome, die ebensogut schizopliren sein können.
Krankheitsbegrifl'.
237
ßodi'.ii dann bosondoro Kianklieitcn entstehen. Da viele Schizoplueiüen bis in die
frühe Jugend zurückgelien, und schlecht begabte Leute ebenso oft von der Krankheit
befallen werden wie Normale, ist es selbstverständlich, daß mau diese Art Degenera-
tion bei der Schizophrenie oft findet. Wir haben aber bis jetzt keine Anhaltspunkte,
die Schizophrenie bei solclien Degenerierten zu unterscheiden von der des rüstigen
Gehirns. Alle Kriterien, so namentlich auch die Schueles, haben mir bei der Nach-
prüfung versagt.
Ein cähnlicher Begriff ist der der konstitutionellen Formen, die in der
schweizerischen offiziellen Statistik sogar eine Hauptklasse bilden. So weit es sich
da um moralische Idioten, um intellektuell oder affektiv verbildete Leute handelt,
hat die Schizophrenie mit dem Begriff nichts zu tun. Man hat ihn aber an manchen
Orten als Topf für sonst nicht zu klassifizierende Psychosen gebraucht; man
verlegte eben das, was zum Schema der Psychosen nicht paßte, in die Anlage. Daß
unter diesen Umständen, die früher nicht recht verständliche Schizophrenie einen
großen Teil der konstitutionellen Krankheitsfälle lieferte, ist selbstverständlich.
Man hat sich auch gar nicht gescheut, z. B. beim ersten Anfall eine Manie zu diagno-
stizieren, sie geheilt zu entlassen, und dann, wenn sie als chronische Schizophrenie
wiederkam, ohne daß man den ,, sekundären Blödsinn" konstatieren konnte, und der
Patient doch krank schien, das konstitutionelle Irresein anzxmehmen.
Die vierte Art der Degeneration ist die der Degeneration der einzelnen
Krankheit. Wenn bei einer Krankheit ,, degenerative Symptome" auftreten, so
will das im Sinne dieser Konzeption heißen: die Krankheit tendiert zum Blödsinn,
zum schlimmen Ausgang. Manche verbinden damit in mehr oder weniger klarer
Weise die Vorstellung, daß eben die degenerative Anlage in einem der früheren Sinne
an dieser Verschlechterung schuld sei.
Diesen verschiedenen Auffassimgen gegenüber miissen wir konstatieren: Alle
die drei ersten Arten der Degeneration enthalten Schizophrenien
in unserem Sinne. Mit Geisteskrankheiten direkt belastete Personen
erkranken häufiger an Schizophrenie als andere; die Belastung ist
aber keine notwendige Vorbedingung der Krankheit. Erhebliche
Unterschiede in Symptomen und Verlauf der Schizophrenie, je nach-
dem ein Fall belastet ist oder nicht, kennen wir zurzeit nicht. Die
spezielle Art der Beiast ung, die zur Schizophre nie disponiert, ist uns
noch nicht näher bekannt.
Die geisteskranken Degeneres Magnans sind zum großen Teil
Schizophrene. Die Kranken mit „degenerativen Symptomen" im
Sinne des vierte n Begriff es sind wohl mit äußerst seltenen Ausnahmen
alle Schizophrene.
Natürlich weiß ich wohl, daß es akute Syndrome bei Psycho-
pathen aller Art gibt. Auch versteht es sich nach unserer Annahme
vom sekundären Ursprung der meisten Symptome von selbst daß
sie unter Umständen schizophrenen Delirien ähnlich sein kö'nnen
Zu uns kommen aber solche Fälle, die offenbar in Großstädten häufig
sind, so selteni), daß ich nicht imstande bin, die Grenze zwischen
Ihnen und den Schizophrenen zu zeichnen. Die Autoren aber die die
degenerativen Psychosen beschreiben, fassen den Begriff der Dementia
praecox viel zu eng und verfehlen aus diesem Grunde die Grenzbe-
^1'« ""^ere Fälle mit anscheinend psychischer Ätiologie zusammeneenommen
!r„Ä"S=r SL"i^ ^^^^^
238
iSchizophicnie.J
Stimmung oder ig iioru' ro ii sie vollständig; So hat unser Wissen hier
eine bedauerliche Lücke.
Daß auch viele als Moral Insanity aufgefaßte Störungen hierher gezählt
werden müssen, ist nach der Symptomatologie selbstverständlich. Levinstein-
Schlegel kennt sogar nur die aus Schizophrenie hervorgehende Moral Insanity;
das Heboid und die Parethosia Kahlbaums sowie Wernickes moralische Auto-
psychose kommen diesem Begriff nahe^). Es ist aber sicher, daß es außerhalb der
Schizophrenie verschiedene Arten moralischer Defekte gibt, worunter wohl die
moralische Idiotie aus Mangel der moralischen Gefühle die am besten faßbare ist.
Es sind ferner nach unserer Erfahrung recht viele akute Haftpsychosen
bloße Schübe von einer Schizophrenie, die meist schon vorher bestanden hat und
Ursache des antisozialen Verhaltens gewesen ist. Vergleiche auchEüdin, Siefert.
* *
*
Die eigenartige Systematik Wernickes können wir nicht ganz übergehen,
obgleich es unmöglich ist, sich kurz mit ihr abzufinden. Seine symptomatologischen
Begriffe, so geistreich sie konstruiert sind, und so sehr sie sich auf Beobachtung stützen,
sind für mis nicht brauchbar: so enthält seine Sejmiktion nicht nur die Sperrung,
sondern auch andere Formen von Dissoziation, die psychologisch und nosographisch
eine ganz andere Bedeutmig haben. Wir mußten deshalb viele der von ihm geprägten
Ausdrücke vermeiden, wenn wir nicht Anlaß zu Mißverständnissen geben AvoUten.
Auf seine Begriffe Krankheitsbilder aufzubauen, war ein unmögliches Unterfangen.
Beim gleichen Patienten kommen die verschiedensten seiner Krankheiten vor. Er
hilft sich dann mit der Annahme seiner zusammengesetzten Psychosen. Die Psychose
kann aber als eine zusammengesetzte meist erst ex post diagnostiziert werden; und
es gibt bei ihm so viele zusammengesetzte, gemischte, kombinierte Fälle, daß allein
schon deshalb die Wahrscheinlichkeit für die Auffassung seiner Symptomen komplexe
als besonderer Krankheiten ungefähr null werden muß. Was würde man von einer
Lungendiagnostik sagen, die verschiedene Krankheiten, wie Emphysem, Tuberkulose,
Pneumonie, in den Verlauf einer zusammengesetzten Limgenkrankheit einfügen
würde, xmd das erst noch in ganz imregelmäßigem Turnus? Der beste Beweis der
Unrichtigkeit der Wer nick eschen Abgrenzimgen liegt darin, daß sie einen genialen
Beobachter nicht einmal befähigten, in so einfachen Fällen wie Nr. 28 seiner Kranken-
vorstellungen (Heft 1) die Paralyse auszuschließen; ich würde es einem Kandidaten
im Examen nicht leicht verzeihen, wenn er bei einem solchen Falle von Paralyse
spräche. Auch mit Wernickes Prognostik steht es recht schlimm, soweit nicht
sein Blick der Systematik überlegen ist. Er meint S. 105, daß die ersten Anfälle
einer akuten Halluzinose immer zu heilen pflegen; nun sind die akuten Halluzinosen
in seinem Sinne meistens identisch mit unseren schizophrenen Delirien, deren Prognose
nicht so gut ist. Täuscht er sich, so muß er wohl die Diagnose ändern, wie im Falle 10
des gleichen Heftes. Es ist etwas ganz Analoges, wie wenn der Autor zum erwähnten
Fall 28 sagt (S. 113): „Unser Irrtum lehrt, wie schon mancher andere Fall, daß es
akute Krankheiten gibt, die ohne Kenntnis einer Anamnese einer Diagnose nicht
zugänglich sind." Eine andere Würdigung der Symptome hätte ihn mit Leichtigkeit
vor dem Irrtum bewahren können.
1) Auch Schaefer (635) schildert die (moralisch) Schwachsinnigen so. daß u. a.
die leichten Hebephrenen ^in seinen Rahmen passen. — Kirn kennt einen „sittliclien
Schwachsinn", der später in Wahnsinn' übergeht.
VI. Abschnitt.
Die Diagnose.
A. Allgemeines.
Die Diagnose ist in den ausgesprochenen Fällen von Schizophrenie sehr
leicht, bietet aber in den wenig vorgeschrittenen Formen mehr praktische
Schwierigkeiten als bei den meisten anderen Psychosen.
Wie bei jeder Krankheit müssen auch hier die Symptome eine gewisse
Höhe erreicht haben, um diagnostisch verwertbar zu sein. Gerade bei der Schizo-
phi-enie stehen aber in den leichteren Fällen euie Anzahl von Erschemungen im
Vordergrund, die sehr stark schwanken innerhalb der Breite dessen, was man,
wenn nicht gesund, so doch „nicht geisteskrank" nennt. Char akter anomahen,
Gleichgültigkeit, Energielosigkeit, Unverträghchkeit, Eigensinn, Launenhaftig-
keit, und die Eigenschaft, die Goethe bei Lenz nur mit dem engHschen Wort
„whimsical" zu bezeichnen wußte, hypochondrische Klagen usw. brauchen gar
nicht Symptome einer eigenthchen Geisteskrankheit zu sein; sie sind aber sehr
häufig die einzigen sichtbaren Zeichen der Schizophrenie. Deshalb Hegt die
diagnostische Schwelle bei keiner Krankheit so hoch, und sind latente Fälle
etwas Alitäghches.
Ist die Geisteskrankheit sicher, so hat die spezielle Diagnose der Schizo-
phrenie wieder ihre Schwierigkeiten. Nm* einzelne psychotische Symptome
lassen sich zur Erkennung der Krankheit verwenden, und auch diese haben hier
einen sehr hohen ppeziaidiagnostischen Schwellenwert. Manische oder depressive
Verstimmungen können bei aUen Psychosen vorkommen ; Ideenflucht, Hemmung
und — soweit sie nicht spezifische Eigentümhchkeiten angenommen haben —
Halluzinationen und Wahnideen sind Teilerscheinungen der verschiedensten
Kranldieiten. Sie dienen oft nur zur Diagnose der Psychose, nicht zu der der
Schizophrenie.
Die eigenthchen schizophrenen Symptome, soweit sie bis jetzt beschrieben
wurden, sind keine Nova wie etwa eine Halluzination oder eine paralytische Sprach-
störmig. Sie sind Verzerrungen und Übertreibungen von normalen Vorgängen').
^) Ich hoffe allerdings, daß man später einmal lernt, die schizophrene Begriffsspaltung
und vielleicht auch die allgemeine Assoziationsspaltung von den ähnhchen Erscheinungen,
die sich außerhalb des Bhckf eldes der normalen Aufmerksamkeit vollziehen, zu unterscheiden.
240
Schizophrenie.
Wichtig ist also weniger das einzelne Symptom für sich ge-
nommen, als seine Intensität und Extensität und vor allem sein
Verhältnis zur psychologischen Umgebung. In dem Gewirre der psy-
chischen Pfade gibt es viele Wege, die ans gleiche Ziel führen. Wenn jemand
während eines langweiligen Vortrages stereotype Schnörkel auf das vor ihm
liegende Papier kritzelt, so hat das keine pathologische Bedeutung; die gleichen
Schnörkel unter anderen Umständen in emen ernsthaften Brief hineingezeichnet,
können für sich die Diagnose der Schizophrenie sichern.
Manche Leute erscheinen gleichgültig, weil pie von irgend etwas. präokkupiert
sind, imd weil der Affekt des sie beschäftigenden Komplexes auch vorhanden ist,
wenn sie an andere Dinge denken; die Gefühlsreaktion läßt sich aber bei ihnen
oft hervorrufen, wenn es gehngt, ihr Interesse anderen Themen zuzuwenden.
Auch ein verschlossener Charakter, oder die durch Erziehung ins Übertriebene
gesteigerte Beherrschung der Affektäußerungen (Amerikaner, Japaner) kann
Gefühllosigkeit vortäuschen.
So muß bei den folgenden Erwägungen immer vorausgesetzt
werden, daß der Leser die begleitenden Umstände, die ganze psy-
chische Konstellation zu berücksichtigen imstande sei, ohne daß
auf die unendlich vielen Möglichkeiten jedesmal aufmerksam
gemacht wird.
Besonders wichtig ist es daran zu denken, daß manche schizophren aus-
sehenden Erscheinungen normahter dm-ch einen Affekt ausgelöst werden können,
oder daß an der Peripherie unserer Aufmerlcsamkeit oder in unseren Wach- und
Schlafträumen vieles geschieht, was mit den schizophrenen Assoziationsstörmigen
und den Stereotypien identisch ist; deshalb haben z. B. in Aufregungszuständen
Symptome, wie Sperrungen, Verwechslungen von Symbolen mit der Wirklich-
keit, Transitivismus, Neologismen, nur dann einen spezialdiagnostischen Wert,
wenn sie sehr ausgesprochen sind. Koramen sie aber bei voller Besonnenheit
vor, so kann derjenige, der alle Umstände gut erwägt, aus einem einzigen solchen
Symptom die Diagnose oft sicher machen. Je besonnener ein Patient, je
weniger Grund zu Affekten vorhanden ist, um so leichtere Grade der
Symptome gestatten die Diagnose auf Schizophrenie. Das gleiche
gilt für die Differentialdiagnose: Epileptiker können symboHsieren, Begriffe
wie Mann und Frau miteinander verwechseln, Neologismen machen, aber nur,
wenn sie dämmerig sind. Hysterische können affektiv sehr steif sein, aber nur,
wenn sie gerade ein Komplex beherrscht. Kranke aller Art (wie Gesunde) können
vorbeireden, wenn sie gerade Grund zu einer ablehnenden Haltung haben.
Nur Schizophrene zeigen diese Erscheinungen außerhalb jener psychischen
Allgemeinzustände .
Ausschlaggebend für die Diagnose sind oft die Verallgemeinerungen
der Symptome. Die Sperrung, die der Gesunde hat, betrifft, wenn sich nicht
ein Emotionsstupor nachweisen läßt, nur die Dinge, die eben affektbetont suid.
Der Schizophrene dehnt die Sperrimgen oft über alle möghchen anderen Ideen
aus — kann doch in den hochgradigen FäUen seine ganze Psyche andauernd
gesperrt sein. Unklare Begriffe und Ideen imd logische Fehler kann jedermann
einmal produzieren, besonders wenn er sich in einem außergewöhnlichen Zustand
wie in einem Affekt oder in Erschöpfung befindet. Die Unklarheit wird dann
Diagnose. Allgemeines.
241
aber mit der auslösenden Ursache kommen und verschwinden, während sie sich
bei der Schizophrenie von jenen Zuständen imabhängig machen kann.
Die schizophrenen Symptome brauchen nicht in jedem Moment vorhanden
zu sein. Bei keiner Geisteskrankheit kann man so wenig wie bei der
Schizophrenie darauf rechnen, zu einer bestimmten Zeit irgend ein
bestimmtes Krankheitssymptom zu sehen. Sogar in vorgeschrittenen
Fällen, die für gewöhnhch ganz blödsinnig erscheinen, kann in einem gegebenen
Moment die Gemütsstörung und die charakteristische Assoziations Veränderung
nicht demonstrierbar sein. Nicht einmal durch eine eingehende mehrstündige
Untersuchung wird man die Diagnose in allen Fällen mit Sicherheit stellen
können.
So ist es selbstverständlich, daß diejenigen Falle, in denen die Krankheit in
fi-üheren Stadien Halt gemacht hat, von Laien und Psychiatern gewöhnlich verkannt
werden. Man zankt sich mit schizophrenen Hausfrauen ein Menschenalter lang
herum; man trifft alle möglichen strafenden Maßregeln gegen „ungeratene Söhne";
oder^wenn man bei ihnen Zwang anwenden will, scheitert man daran, daß der begut-
achtende Arzt kein auf Geisteskrankheit lautendes Zeugnis geben kann, oder Aveil,
wenn er eins gegeben hat, gelegentlich sogar ein Anstaltsdirektor den Kranken als
gesund oder geheilt den verzweifelnden Eltern wieder zuschickt; man läßt die Leute
als ^hysterisch oder noch lieber als neurasthenisch alle möglichen Kuren machen,
denen oft das Vermögen der besorgten Familie geopfert wird; man nimmt die
Kranken in die Spitäler mit der Diagnose Wanderniere, wenn sie halluzinierte Geburts-
schmerzen haben; man betrachtet einige gynäkologische Abweichungen von der
in den Büchern festgesetzten Norm als Krankheit und behandelt den Unterleib;
man überläßt die Patienten der Polizei und den Gerichten, d. h. den ungeeignetsten
Instanzen zur psychischen Behandlung; man nimmt sie ernst und läßt sie Vereine
gründen gegen irgend einen, von ihnen oder von anderen entdeckten Krebsschaden der
Gesellschaft, und man macht noch vieles andere mit ihnen, was man besser nicht täte.
Ganz wird man solche Vorkommnisse niemals verhindern können. Aber sehr
beträchtlich reduzieren kann man sie, wenn man etwas mehr an die Möglichkeit
des Bestehens einer leichten Schizophrenie denkt und die Zeichen der Krankheit
erkennen lernt.
In gewissen Fällen bilden gemütHche Erregungen ein Reagens auf die
Krankheit, das latente Symptome manifest macht; gibt es doch Patienten,
welche nur in solchen Zuständen den krankhaften Ideengang, die Gemütsstörung,
Neologismen und dergleichen zeigen. — Auch der Alkohol erweist sich manchmal
als ein solches Mittel; er kann typisch schizophrene Aufregungen provozieren,
die unter Umständen die Alkoholintoxikation lange überdauern. Die beiden
Reagentien wirken aber nicht in allen Fällen und smd zudem aus verschiedenen
Gründen zum Experimentieren nicht zu empfehlen.
Dennoch sind wir nicht so schlimm daran, wie es nach dem Ausspruch
Kraepelins scheinen möchte, der sagt (388, II. Bd., S. 271), daß es kein einziges
Krankheitszeichen gebe, das für die Differentialdiagnose ausschlaggebend wäre.
Die früher beschriebene Assoziationsstörung imd auch wohl die Art der Hallu-
zinationen ist charakteristisch und genügend zu emer positiven Diagnose;
auch eine allgemeine Gefühlseinklemmung hat diesen Wert.
Immerhin muß betont werden, daß die Erfahrung von ein
bis zwei Jahrzehnten und von verhältnismäßig wenigen Beobachtern
Handbuch der Psychiatrie: Bleuler.
16
242
Schizophrenie.
noch nicht genügt, um sich überall mit absoluter Sicherheit aus-
zusprechen. Das eine oder andere Symptom,, das wir jetzt nur der
Schizophrenie zuschreiben, kann möglicherweise eines Tages auch
als seltene Begleiterscheinung anderer Krankheiten auftreteni).
Wir kennen ferner noch gar nicht alle Psychosen, so daß eine Ab-
grenzung der Schizophrenie in der Eichtung gegen unbekannte
Symptomenkomplexe nur einen ganz einseitigen und zugleich
provisorischen Charakter haben kann. Durch diesen Generalvor-
behalt sind unsere diagnostischen Auseinandersetzungen, die sich
auf den jetzigen Stand des Wissens beziehen müssen, einzuschränken.
Verschmäht man es nicht, mit bloßen Wahrscheinlichkeiten zu rechnen,
so kann als Regel gelten, daß die zweifelhaften Fälle sich in der großen Mehrzahl
als Schizophrenien entpuppen, wenn man sie längere Jahre verfolgen kann.
Die Anamnese gibt in vielen Fällen so gute Anhaltspunkte für die
Diagnose, daß man aus dem Berichte der Verwandten die Schizophrenie mit
Sicherheit zu erkennen imstande ist. Das Verhalten vieler unserer Kranken ist ja
so charakteristisch, daß es auch von Laien|^genügend beschrieben werden kann.
Wichtig sind die Veränderungen des Charakters. Ein junger Mann,
der ,, anders" geworden ist, ist in den meisten Fällen geisteskrank, und zwar
am häufigsten hebephren^).
Wie stark ausgesprochen die einzelnen Symptome sein müssen,
nm die Diagnose der Schizophrenie zu erlauben, ist kaum zu beschreiben.
Wir haben ja kein objektives Maß für Grade der kompUzierten psychischen Vor-
gänge. Da kann nur Erfahrung und vor allem genaue Erwägung der begleitenden
Umstände entscheiden. Erlaubt die Stärke eines Symptoms die Diagnose der
Geisteskrankheit im allgemeinen, so kann man es, wenn es spezifische Bedeutung
hat, gewöhnlich auch zur Abgrenzung der speziellen Psychose benutzen.
B. Die differential-diagnostische Bedeutung der einzelnen
Symptome.
Von den intellektuellen Symptomen gehören Störungen der Wahr-
nehmung, der Orientierung mid des Gedächtnisses in dem früher genauer
1) Das wird namentlich der Fall bei manchen Symptomen sein, die zurzeit gar
nicht notwendig zum Begriff der Schizophrenie gehören, bei ihr indessen häufig vorkommen,
nicht aber bei anderen Psychosen. Es ist ja nicht auszuschließen, daß wir einmal einen
Nichtschizophrenen finden mit vorwiegenden Gehörs- und Organhalluzinationen, und
einen besonnenen Schizophrenen mit vorwiegenden Gesichts- und Tasthalluzinationen.
Bis jetzt kennen wir allerdings nur umgekehrte Erfahrungen.
2) Nicht anders geworden ist aber ein Schwächling, wenn er in einer neuen Umgebung
zu lumpen anfängt, nachdem er unter den Fittigen der Eltern sich musterhaft aufgeführt
hat, oder wenn er die umgekehrte Wandlung durchmacht. Eine Veränderung im Charakter
ist es ebenfalls nicht, wenn in einem Menschen von zwei Trieben, die sich bekämpfen, je
nach inneren oder äußeren Umständen zuerst einmal der eine und dann der andere die
Oberhand gewinnt, was als Bekehrung oder als eklatanter Abfall vom Guten in die Er-
scheinung tritt. Hütet man sich vor solchen Mißverständnissen, so gibt die Charakter-
änderung sehr wichtige Fingerzeige.
Diagnose. Differential-diagnostische Bedeutung der einzelnen Symptome. 243
definierten Sinne niemals zur Schizophrenie; sie beweisen also das Bestehen
einer anderen Psychose, schheßen aber die Schizophrenie nicht aus.
Dagegen ist ausgesprochene schizophrene Assoziationsstörung
allein zur Diagnose ausreichend.
Die Sperrungen sind bei Gesunden und anderen Nichtschizophrenen
vorübergehend und haben immer bestimmte Gründe, die man herausfinden kann.
Bei Schizophrenen charakterisieren sie sich meist als unüberwindHche ; ihre
psychologische Wurzel ist oft nicht leicht aufzudecken, und sie verallgemeinern
sich gerne, d. h. man findet sie auch außerhalb des Zusammenhanges mit den
Komplexen. Immerhin ist es manchmal mmöghch, eine hysterische Sperrung
in einem gegebenen Moment von der schizophrenen zu unterscheiden. Femer
darf man den Emotionsstupor, der besonders bei Imbezillen wochenlang andauern
kann, nicht mit dem pathologischen Symptom verwechseln.
Die systematischen Spaltungen, die z. B. die Persönhchkeit betreffen,
finden sich in vielen psychotischen Zuständen; bei Hysterischen noch viel aus-
gesprochener als in der Schizophrenie (mehrfache PersönHchkeiten), Deutliche
Spaltung aber in dem Sinne, daß die verschiedenen Bruchstücke der Person
bei guter Orientierimg in der Umgebung nebeneinander existieren, wird sich
wohl nur bei unserer Krankheit finden.
Der Autismus an sich kann nicht zur Diagnose benutzt werden, da er
namenthch in hysterischen Traumzuständen vorkommt, aber auch in gewisser
Beziehung z. B. die Wahnideen der Paralyse beherrscht. In den nicht schizo-
phrenen Fällen sieht das Symptom zwar anders aus, es ist aber schwer, die
Unterschiede zu beschreiben. Die Epileptischen und Organischen ziehen sich
einfach auf sich selbst zurück, wenn sie ein Verhalten annehmen, das dem autisti-
schen ähnlich ist, während die Schizophrenen sich in Gegensatz und Widerspruch
mit der Wirkhchkeit setzen. Auch ist bei den Nichtschizophrenen die Ab-
sperrung nach außen eine viel weniger vollständige; sie kümmern sich zwar
unter Umständen nicht aktiv um die Wirkhchkeit, kommen aber sofort in Eapport
mit derselben, wenn man sie z. B. anredet.
Die Unklarheit der Begriffe ist Teilerscheinung auch anderer Krank-
heiten; wenn sie aber so weit geht, daß bei voUer Besonnenheit verschiedene
Personen oder verschiedene Dinge identifiziert werden, dann darf man
mit Sicherheit Schizophrenie annehmen. Auch der Transitivismus kann
etwa bei Nichtschizophrenen angetroffen werden, aber wohl nur bei getrübtem
Bewußtsem. Emzehie Neologismen sind nicht für die Diagnose zu verwerten
(Epilepsie!); wer aber emen wesentHchen Teil seiner Gedanken in neuen Wörtern
ausdruckt, ist schizophren. Ehi Maniakus kann in einer selbstgemachten Sprache
reden, zum Scherz, er denkt nicht daran, sich damit zu verständigen- der
bchizophrene spncht seine „Kmistsprache" im gleichen Sinne vvie wir unser
gewohntes Idiom, kümmert sich aber mcht darum, daß man sie nicht versteht
Der Mangel an Diskussionsfähigkeit kommt in der gleichen Weise
wie bei der Schizophrenie nirgends vor. Auch da, wo unsere Kranken sich auf
Diskussionen über ihre falschen Auffassungen einlassen, findet man neben richtig
nSL Kabulistik verteidigten Gedankengebieten regel-
mäßig solche, wo die Sache einfach „so ist", wie die Kranken sagen, oder wo
ganz unsmmge Deduktionen gemacht werden. Der Schizophrene kknn t2
16*
244
Schizophrenie.
Sachen, die zu seinen Affekten nicht passen, abspalten; der Eigensinnige wird
sie meist nur ignorieren.
Das Auftauchen abrupter Ideen, namenthch wenn sie zugleich unsinnig
sind oder im Widerspruch zu der sonstigen Persönhchkeit stehen, ist ein ziemhch
sicheres Zeichen der Schizophrenie.
Nicht zu verkennen ist oft die schizophrene Form der Aufmerksam-
keit, wobei trotz voller Interesselosigkeit die passive Eegistrierung aller Vor-
kommnisse tadellos funktioniert. Ich habe ein solches Verhalten nur bei Schizo-
phrenie gesehen.
Bei den Hall uzinationen ist wichtig ihre Vorliebe für Gehör und Körper-
empfhadungen (cave: neuritische Erscheinungen, die Körperhalluzinationen
vortäuschen können^). Wo physikaHscher Verfolgungswahn und Gehörshalluzi-
nationen das Bild dauernd beherrschen, ist wohl immer auf Schizophrenie zu
schHeßen. Gedankenlautwerden kommt höchst selten bei anderen Psychosen vor.
Charakteristisch ist auch wohl die Absperrung der Halluzinationen vom realisti-
schen Bewußtseinsinhalt.
Die schizophrenen Halluzinationen haben gewiß noch manche andere charak-
teristische Eigentümlichkeit. Ich wage aber nicht, sie herauszugreifen, weil wir
die anderen halluzinatorischen Psychosen zu wenig kennen.
Die Wahnideen kennzeichnen sich oft schon durch ihren Inhalt als schizo-
phrene. Das Unsinnige, Unausgedachte, Abgerissene derselben läßt sich eicht ver-
kennen. Doch kommen bei organischen Krankheiten oft ähnliche Wahnideen vor,
deren Unterschiede nicht recht zu beschreiben sind (z. B. die hypochondrischen
bei depressiver Paralyse). Am meisten charakteristisch für Schizophrenie ist es,
wenn die Wahnideen gar nicht ausgedacht werden, wenn sie im größten Wider-
spruch mit der einfachsten Wirkhchkeit stehen und doch bei anscheinend klarem
Bewußtsein geäußert werden. Wer bei voUer Besonnenheit andauernd ganz un-
logische Verfolgungsideen produziert, ist wohl immer ein Schizophrene ; kommen
die charakteristischen Halluzinationen dazu, so ist die Diagnose sicher.
Inhalthch ist nahezu pathognomonisch die Wahnidee, daß jedermann
schon alles wisse, was der Patient denkt.
Die schizophrene Para- und Afunktion der Affektivität ist ein aus-
schlaggebendes Zeichen unserer Psychose, wenn es gelingt, sie von anderen Arten
der Gleichgültigkeit zu unterscheiden. Anhaltende Gleichgültigkeit gegen die
vitalsten Interessen ist schizophren, auch wenn weniger bedeutende Themata
ganz normal gefühlsbetont smd. Da die Menschen verschiedene Mittelstellungen
ihrer Affektivität haben, wird man auf eine kleine Abweichung der Stimmung
in der Kichtung der Gleichgültigkeit weniger als auf den Mangel an Modula-
tionsfähigkeit derselben achten. Bleibt der Patient quahtativ und quantitativ
starr bei den gleichen Gefühlen, auch wenn er auf verschiedenwertige Ideen eingeht,
so spricht das für Schizophrenie. Doch kann m leichteren FäUen dieses Symptom
auch fehlen oder mit der Indifferenz der Hysterischen ÄhnHchkeit bekommen.
Ferner kommen bei organisch Geisteskranken zuweilen ähnliche Mißempfindungen
vor, die sich aber meist als falsch gedeutete Parästhesien erkennen lassen. Jedenfalls haben
sie daselbst ganz anderen Charakter als bei der Schizophrenie. Vergleiche mdessen:
Serieux, Ann. med. -psych. 1902. Sept. Oct. Ferner die Körperhalluzmationen m der
Aura von Epileptikern.
Diagnose. Difi'ereiitial-diagnostische Bedeutung der einzelnen Symptome. 245
Eiii besonders wiclitiges und oft sehr frühes Zeichen ist das unmotivierte
affektlose Lachen. Man wird es nicht leicht mit dem Lachkrampf Nervöser
verwechseln.
Die katatonen Symptome gehören bekanntlich nicht bloß der Schizo-
phrenie an. Wenigstens ist es noch mimöghch, sie immer von ähnlichen Zuständen,
namentlich bei den organischen Psychosen, zu unterscheiden. Zeigen sie sich
aber ausgesprochen und in der Mehrzahl, so ist Schizophrenie anzunehmen.
Die biegsame Katalepsie treffen wir außerhalb der Katatonie bei organi-
schen Krankheiten, dann vor allem bei der Epilepsie, hier aber meist im Anschluß
an Anfälle, femer zuweilen bei der Hysterie imd vielleicht bei Fieberpsychosen,
sicher in fieberhaften Krankheiten der Kinder. Die starre Form der Katalepsie
kommt öfter bei organischen Gehimkrankheiten aller Art und bei Epilepsie vor.
Hier ist aber die Starre meist unabhängig von Versuchen passiver Bewegung,
die ja bei Schizophrenie den Muskeltonus meistens erst provozieren oder ver-
stärken.
Die übrigen Formen von Befehlsautomatie können wahrscheinlich
in den verschiedenen willenlosen Zuständen Nichtschizophrener erscheinen. Viel-
leicht auch die Echopraxie, wenn sie auch, außerhalb der Schizophrenie bei
rms sehr selten ist. In der Form der Echolalie treffen wir sie mit etwas anderer
psychologischer Begründung bei Herderkrankimgen des Gehirns nicht selten.
Den Negativismus kann man praktisch noch nicht immer abgrenzen
gegen andere Formen von Ablehnung. Gesunde und Kranke aller Art werden
abweisend bei bloßer unangenehmer Stimmungslage. Ist die letztere gemischt
mit unklarer Auffassimg der Umgebung, wie es so oft bei Epileptikern mid
Organischen vorkommt, so kann sie sehr leicht Negativismus vortäuschen.
Das bloße Widerstreben ängsthcher Kranker dagegen hat den Charakter von
Flucht- und Schutzbewegungen, es ist beeinflußbar durch das Benehmen des
Arztes, manchmal durch freundlichen Zuspruch. Beim Schizophrenen fehlen
diese Zeichen, und namentüch ist hier auffallend die kontrastierende Gleich-
gültigkeit, mit der er oft wirkliche Angriffe erträgt. Weniger scharf läßt sich die
emfache feindhche Auffassung der Umgebung vom Negativismus unterscheiden,
da eben die feindliche Gegenüberstellung der Außenwelt überhaupt eine Wiu'zel
des Negativismus bildet. Der Negativismus kann auch neben einer solchen
Verkennimg und unabhängig von ihr bestehen; dann ist es oft nicht leicht, die
beiden Faktoren auseinander zu halten. Die blinde, diskussionsimfähige Ab-
lehnung kommt indes sehr selten bei anderen attenten Kranken als den Schizo-
phrenen vor. Dafür darf nicht aus den Augen gelassen werden, daß auch der echte
Negativismus kern aUgemeiner zu sein braucht, sondern sich nur unter bestimmten
Umstanden oder gegenüber bestimmten Personen zeigen oder umgekehi't ver-
bergen kann. — Vom Eigensinn, der ja auch auf einer Art übertriebenem Autis-
mus beruht, unterscheidet sich der Negativismus dadurch, daß er ein allgemeines
Symptom ist, imd daß er in den meisten Äußerungen dem normalen Fühlen
ganz unverständlich bleibt.
Die Stereotypien sind bei Schizophrenen am häufigsten, fehlen aber
auch bei anderen Kranken - und bei Normalen - nicht. Das Sinnlose, den Ge-
k!^r "^1 ^^'^^ Entsprechende läßt aber meist die
katatonen Stereotypien von den anderen miterscheiden. Die Verbigeration ist
24G
Scliizophrenie.
wenn man nur an die Möglichkeit dieser verschiedenen Symptome denkt, meist
leicht von der Gedankenarmut und der Perseveration (bei Organischen) zu
miterscheiden, die beide Wortwiederholungen verursachen. Am häufigsten
geben Stereotypien der Haltung bei Paralytikern Anla,Q zu Verwechslung mit
katatonen Symptomen.
A.uch bei den „Manieren" ist auf das Übertriebene, den Umständen
Unangepaßte zu achten. Sie kommen ja bei Gesunden und Geisteskranken in
gewissen Graden nicht selten vor. Von Ticks wird man sie meist leicht unter-
scheiden, wenn man einmal darauf aufmerksam ist. Sind die Manieren sehr
ausgesprochen, so bilden sie ein wichtiges Unterscheidungszeichen gegenüber
anderen Krankheiten.
Der Stupor, der auch bei organischen Himkranlcheiten, manisch-depres-
sivem Irresein, Epilepsie, Hysterie vorkommt, ist als solcher nur dann für die
Diagnose zu verwerten, wenn man eine schizophrene Genese desselben (Sperrung,
Autismus usw.) nachweisen oder ausschließen kann. Ferner wird ein Stupor,
bei dem der Kranke besonnen erscheint und die Umgebung gut beobachtet,
wohl immer ein schizophrener sein. Wichtig ist auch die Beobachtung von
Groß, der bei keinem seiner katatonischen Stuporösen Störung der Auffassung
oder motorische Hemmung gefunden hat.
Von motorischen Symptomen können die tiefen Reflexe, die regel-
mäßig erhöht sind, die Diagnose stützen, namentüch das Faziahsphänomen
ist^bei Gesunden und manchen anderen Psychosen selten^).
Auch die idio muskuläre Erregbarkeit wäre zu prüfen.
Nach Ziehen (840, S. 347/348) besteht bei Melancholia attonita allgemeine
Spannung zum Unterschiede von der Erschlaffung bei der Melancholia passiva.
Auch Gaupp (255) findet bei katatonischem Stupor eher Spannung als bei anderen
Krankheiten.
Parästhesien: Kahlbaum (S. 52) meint, Hinterkopfschmerz sei bei Kata-
tonie häufig, bei anderen Geisteskrankheiten selten, andere Kopfschmerzen ver-
halten sich umgekehrt. Ich konnte bis jetzt in den Parästhesien nichts sicher
Charakteristisches sehen. Natürlich sind sie meist schizophren, wenn sie von anderen
„gemacht" sind.
Hier mag auch die geringe muskuläre wie psychische Ermüdbarkeit
vieler Schizophrenen Erwähnung finden (vgl. auch Katalepsie!) Sie kann z. B.
gegenüber den organischen Psychosen von Bedeutung werden (Ziehen, 846).
Von anderen körperlichen Symptomen sind zu erwähnen die Störungen
der Pupillenreaktion. Abnorm weite Pupillen ohne erkennbare Ursache in
Aufregungszuständen deuten fast mimer auf Katatonie, sind z. B. bei einfacher
Manie sehr selten^).
Die Ödeme sind natürüch nur dann als Zeichen der Schizophrenie anzu-
sehen, wenn eine andere Ursache ausgeschlossen ist; vieUeicht läßt sich auch
1) Dunton Will. Rush sagt, wenn man die Kranken mit einem Perkussions-
hammer leicht über die Wange vor dem Ohr streiche, so erfolgen Bewegungen im Orbicu-
laris palpebrarum, namentlich in frischen Fällen. Ich weiß nicht, ob diesem Hautreflex
eine diagnostische Bedeutung zukommt. .
2) Die Bedeutung der anderen Pupillenanomalien siehe unten, Differentialdiagnose
gegen die Paralyse.
Dififerentialdiagnose,
247
das Unelastische derselben bei geringer Wegdrückbarkeit der Flüssigkeit für die
Diagnose verwerten.
Die Stoffwechseluntersuchungen (Harnformel usw.) lassen sich (noch)
nicht diagnostisch benutzen. Einen gewissen Wert hat es einzig, zu wissen, daß große
Schwankungen des Körpergewichtes ohne erkennbare Ursache am häufigsten bei
unserer Krankheit vorkommen, sowie, daß Steigen des Ernährungszustandes ohne
psychische Besserung bei einem akuten Anfall mit großer Wahrscheinlichkeit für
Schizophrenie spricht.
Auch die Anomalien der Magensaftsekretion (Pilcz) bedürfen noch sehr
der weiteren Untersuchung an größerem Material, bevor sie zu diagnostischen
Schlüssen verwendbar sind.
In den akuten Anfällen der verschiedensten Axt macht man die Diagnose
aus dem Vorhandensein der spezifischen schizophrenen Symptome. Dem Er-
fahrnen kann allerdings der Gesamteindruck oft die Diagnose der Schizophrenie
ohneweiters erlauben; die Krankheit ist ja so häufig, daß das Risiko bei einiger
Vorsicht ein sehr kleines ist. Doch beraubt man sich bei solchen Diagnosen der
Möglichkeit der rechtzeitigen Entdeckung der selteneren Aufregungszustände, die
noch nicht in den Rahmen einer unserer bekannten Krankheiten passen; und
voUe Sicherheit gemnnt man nur durch den Nachweis ausschlaggebender Sym-
ptome. Die plötzHchen Remissionen mitten in einem akuten Anfall, in denen der
Kjranke trotz vorhandener Erinnerung tut, wie wenn nichts geschehen wäre,
habe ich bis jetzt nur bei Schizophrenie gesehen. — Die Benommenheits-
zustände sind natürlich schwer zu untersuchen; sie sind schizophren, wenn
man nachweisen kann, daß der Grad dessen, was wir Benommenheit nennen,
in keinem Verhältnis steht zu der eigentlichen Denkbehinderung, indem die
Kj-anken doch alles beachten und registrieren.
Negativ pathognomonische Zeichen, welche das Vorhandensein
von Schizophrenie ausschließen würden, gibt es nicht. Man hat die Beeinfluß-
barkeit einer Krankheit auf psychischem Wege als ein solches Zeichen ansehen
woUen (Specht [732, S. 554] und Gaupp). Wir sehen aber sehr häufig, daß
auch das, was wir schizophrene Verblödimg nennen, in hohem Grade durch
psychische Einflüsse gebessert oder verschlimmert wird.
Smd Zeichen einer andern Psychose, z. B. einer Paralyse vorhanden, so
wird man aus praktischen Gründen die Diagnose der Schizophrenie meist faUen
lassen. Dagegen ist damit niemals der Beweis geleistet, daß nicht neben der
organischen Gehirnkrankheit noch eine Dementia praecox bestehe. Können
wir doch bei niemandem eine latente Schizophrenie ausschließen,
so wenig wie eine latente Lungentuberkulose.
0. Die Differentialdiagnose.
Hier sollen nur die speziellen Schwierigkeiten und Unterscheidmigszeichen
gegenüber den anderen Krankheiten berührt werden. Sind die früher erwähnten
allgememen Zeichen einer Schizophrenie in genügender Ausprägung vorhanden
so versteht sich die Diagnose von selbst.
Zur Zeit ist es leider noch nicht mögüch, die Differentialdiagnose der
Schizophreme zu besprechen , ohne auf die Symptomatologie der anderen Psychosen
248
Schizophrenie.
einzugehen, bei deren Beschreibung oft gerade das, Avorauf es hier ankommt
ungenügend becücksiclitigt wird.
a) Die symptomatologische Unterscheidung der Schizophrenie vom
manisch-depressiven In-esein kann nur an Hand der spezifischen schizo-
phrenen Symptome geschehen; was beim manisch-depressiven Irresein
beobachtet ist, kann auch bei unserer Krankheit vorkommen;
entscheidend ist nur das Vorhandensein oder Fehlen schizophrener
Symptome. Eine manische Exaltation, eine melancholische Depression und
auch ein Wechsel beider Zustände bedeutet also für die Diagnose noch nichts.
Erst wenn eine genügende Beobachtung nichts Schizophrenes ergeben hat,
darf man auf manisch-depressives Irresein schUeßen.
Die Affektstörung gilt von jeher als das wichtigste Unterscheidungszeichen
der „Verblödmigen". Beim manisch-depressiven Irresein sind die Affekte kräftig
und ganz klar, bei ausgesprochener Schizophrenie aber undeuthch und oft geradezu
undefinierbar oder fehlend. Ihr Mangel ist namenthch dann auffallend, wenn
gleichzeitig der Inhalt der Reden Größenwahn oder Verzweiflung ausdi-ückt.
Besonders zu achten ist auf die Modulationsfähigkeit. Der Manische und
in gewissem Sinne auch der Melanchohsche ist auf ein abnormes Niveau seiner
Affektivität eingestellt, ohne die Fähigkeit verloren zu haben, seine Stimmimg
allen Nuancen des Gedankeninhaltes anzupassen. Beim Schizophrenen aber
hat auch eine ausgesprochene Affektlage etwas Starres, UnbewegHches ; und
treten Änderungen der Stimmung ein, so scheinen sie oft unmotiviert, nicht
dem Vorstellungsinhalt parallel gehend.
So lassen sich die Zornausbrüche des Manischen gewöhnlich auf normale
Motive zurückführen; er ärgert sich über die Beschränkung, über eine abgeschlagene
Bitte u. dgl. Der manische Schizophrene hat oft Wutausbrüche, deren Aus-
lösung gar nicht motiviert oder doch quahtativ unbegründet erscheint.
Ein besonders wichtiges Zeichen ist das Fehlen der Einheitlichkeit
der Stimmung, Einheithchkeit nicht im zeitHchen Sinne, sondern insofern,
als die verschiedenen psychischen Äußerungen nicht zusammenpassen. Wenn
Inhalt und Ausdruck einer Rede im Widerspruch zueinander stehen, wenn im
nämlichen Satz Worte imd Gedanken vorkommen, die verschiedenen Stinmaungen
oder verschiedenen Nuancen entsprechen, gleichgültige Ausdrücke neben über-
trieben gehobenen oder verzweifelten, wenn die Mimik selbst so dissoziiert wird,
daß z. B. der obere Teil des Gesichtes einen andern Affekt ausdrückt als der
untere, dann handelt es sich nicht um manisch-depressives Irresein. Fröhlich,
ängstlich, gehoben und deprimiert kann der Schizophrene nicht nur rasch nach-
einander, sondern geradezu gleichzeitig sein. Er kann auch trotz starker ge-
hobener oder ängsthcher Erregung normal lang und tief schlafen. Alles das sind
Unterschiede gegenüber dem Manischen.
Die gleichgültige Euphorie vieler Schizophrenen darf nicht mit der ge-
hobenen Stimmimg der Manischen verwechselt werden.
Aiißer den oben genannten Zeichen dient oft zur Unterscheidimg der
schizophrene Mangel an Aktivität, der auch dann auffällt, wenn eine eigenthche
manische Stimmung die Grundkranldieit komphziert. Ein manischer Zustand,
der nicht einen der Stimmung entsprechenden Beschäftigungsdrang hat, ist in
der Regel ein symptomatischer und am häufigsten ein schizophrener.
Differentialdiagnose. Manisch-depressives Irresein.
249
überhaupt ist der Beschäftigungsdrang eines der kaum feh enden Zeichen
der Man e (abgesel^en von den Weygandtschen ''M-hfallen ) waW^^
dlvon bei den Erregungen der Dementia praecox sehr wenig sehen. Schon
Brius hat auf dls Lfallende Verhalten des V-^^"
aemacht der nach einer Zerstörungsszene untätig unter den Scherben stehen
Stwähtnd der Manische das Albruchmaterial eifi-ig .u verwenden bestrebt
ist. Nur beim Schizophrenen erscheint das beständige Hemmldettern Herum
turnen imd Zerstören ganz sinnlos. Beim Manialais wissen wir m dei Kegel,
was er sich dabei denkt.
Wernicke (804, S. 378) macht auch auf das Mißverhältnis zwischen Rede-
drang und Beschäftigungsdrang bei seiner hyperkinetischen Motilitätspsychose
aufmerksam. Bei der Manie soll der Eededrang überwiegen bei der Motilitäts-
psychose soll oft neben starkem Bewegungsdrang geringe Sprechlust bis zum Mutis-
mus vorkommen. Letzteres ist richtig, doch gibt es auch Manien, die spontan nicht
viel reden Der Unterschied läßt sich viel richtiger nach Kraepehn ausdrucken,
wenn man sagt, die erregten Schizophrenen setzen sich zu wenig m Be-
ziehung zu ihrer Umgebung; sie zeigen überhaupt eine auffallende
Unabhängigkeit von den Eindrücken der Umgebung; „der Bewegungs-
drang trägt die Kennzeichen des Zwangsmäßigen und Einförmigen, ist durchaus
ziellos, wird nicht durch äußere Einwirkungen beeinflußt; vielfach fällt die gezierte
Ausführung gewisser Handlungen auf (Kraepelin, A. Zeitschr. f. Psych., 99,
S. 255). • ■ , 1,
Die Kranken reden mit der Umgebung wenig, auch dann, wenn sie viel sprecüen.
Die Anregung zum Sprechen sowie der Inhalt kommt größtenteils autistisch von
innen heraus. Manische Schizophrene können sogar andauernd die Augen geschlossen
halten, nicht nur auf der Abteilung, sondern z. B. während des größten Teiles einer
klinischen Vorstellung. So ist es mir nicht verständUch, wie Wernicke die aus-
gesprochene Hypermetamorphose als Unterscheidungszeichen der hyperkinetischen
Motilitätspsychose von der Manie hinstellt (eod. 1.). Übertriebene Ablenkbarkeit
kann bei der katatonen Erregung vorhanden sein, aber sie ist selten so groß wie bei
der Manie und meist geringer als bei dieser; noch häufiger treffen wir geradezu das
Gegenteil, eine pathologische Hypovigilität.
Daß die manische Ideenflucht nicht verwechselt werden darf mit der
schizophrenen Inkohärenz, und daß bei manischen Anfällen der Schizophrenie
beide Störungen zugleich vorkommen, ist selbstverständlich. Wichtig ist dabei
zu wissen, daß die Ideenflucht nicht bis zu einer Lockerung der gewöhnlichen
Begriffe und zu einer eigentlichen Fälschung der logischen Funktionen gehen
kann. Der Manische sieht nicht eine Person zugleich für mäimlich und weiblich
an und gibt nicht im Emst ganz zufälligen Assoziationen einen kausalen odier
anderen logischen Zusammenhang, der ihnen nicht gebührt.
Die Unterscheidung der Ideenflucht von der Inkohärenz der Schizophrenie
ist nicht immer auf den ersten Blick zu machen, da beide Anomalien etwas Ziel-
loses haben. Zu beachten ist, daß der Ideenflucht die Direktive eigentlich nicht fehlt,
sondern daß sie alle Augenblicke wechselt. Da bei den Gedankensprüngen der Schizo-
phrenie nicht alle Fäden reißen müssen, haben wir bei dieser Störmig oft Asso-
ziationen, die den oberflächlichen, klanglichen und motorischen der Ideenflucht
an die Seite zu stellen sind, im einzelnen Falle mit ihnen identisch sein können.
Es ist aber doch die Diagnose in den meisten Fällen an verhältnismäßig wenig Material
zu machen, weil den schizophrenen Assoziationen viel mehr Leitfäden fehlen können
250
Schizophrenie.
als den manischen. Daher bei ilmen das Bizarre, das skrupellos Unsinnnige, während
die Ideenflucht Assoziationen zum Vorschein bringt, die auch dem Normalen nicht
nur verständlich sind, sondern bei ihm wirklich häufig vorkommen, aber dann
gewöhnlich unterdrückt werden (Reime, Wortergänzungen). So werden Assoziationen
wie Absicht — in der Nacht sieht man nichts; Bitte — Bidet; Ziegelboden — Zigeuner;
Schuh — Schönheit, bei Manischen nur unter ganz speziellen Konstella tione'
möglich sein.
Auch an sich normale oder nur ideenflüchtige Assoziationen werden bizarr durch
die Verwendung in Sätzen, die unsinnig erscheinen und weder im Ausdruck noch in
den Gefühlen eine einheitliche Stimmung zeigen.
„Helft mir einen Weihnachtsbaum der Welt am 25. crt. anzünden; ich darf
ihn mit eurer Hilfe mit einer kleinen Glocke durch meine Mutter anzünden und
rüsten helfen, ich darf ein Kindertrompetchen blasen, mein modernes Testament
ohne Geld."
In diesem Beispiel sind alle Assoziationen noch gut verständlich ; ihre Zusammen-
fügung zu Sätzen ist aber eine deutlich schizophrene, nicht nur wegen des Unsinnes,
daß Patient den Baimi mit der Glocke anzünden will, sondern auch u. a., weil er
in den feierlichen Ton das geschäftliche ,,25 currentis" hineinbringt.
Wäkrend der Manische seine Erregung weder in der Sprache noch in der
Schrift verbergen kann, ist der Schizophrene zerfahren aucli ohne Erregung:
er allein kann einen äußerlich tadellosen, dreißig Seiten langen Brief voU un-
zusammenhängenden Unsinns schreiben; nur bei dieser Krankheit kann man
bei sonst unsinniger Aufführung einen fehlerlosen Strumpf stricken.
Der Unterschied zwischen Schizophrenie und Manie zeigt sich u. a. auch
in den Erklärungen der Kranken für ihr Verhalten. Die Manischen machen sich
und anderen oft hinterdrein ihre Aufführung ganz plausibel: Die Wärter waren
zu grob gegen sie, darum haben sie demohert usw. Die Schizophrenen haben
ihre früher beschriebenen sinnlosen Ausreden: Sie schlugen eine Scheibe ein,
weil man sie nicht nach Hause läßt, oder weil der Wärter eine Schürze trägt,
oder sie haben gar kein Bedürfnis, Begründungen zu finden.
Bei manisch-depressiven Mischzuständen wiederholen sich die Kranken
trotz deutHcher Zeichen von Ideenflucht manchmal in geradezu ermüdender Weise,
oder sie bilden endlose Keihen von ähnhchen Ideen (Namen, Ortschaften usw.).
Diese Erscheinimg ist bei einiger Aufmerksamkeit nicht zu verwechseln mit der
Verbigeration, bei der gar nicht beabsichtigt wird, etwas zu sagen. — Kehren
die Kranken beständig auf frühere Ideen zurück, ohne daß ein Interesse dieses
Verhalten erklärte, so handelt es sich in der Regel nicht um Manie.
Eigenthche mittelbare Assoziationen spielen bei der Manie der Manisch-
Depressiven kaum je eine auffallende Rolle, während sie bei der Schizophrenie
recht häufig sind.
Ehi weiteres wichtiges Zeichen der Schizophrenie ist die Bedeutung,
die die abnormen Assoziationen für den Kranken bekommen. Während der
Ideenflüchtige mit seinen Reimen und Assonanzen spielt, werden die bizarren
Assoziationen des Schizophrenen inhaltlich verwertet und haben für ihn oft
Wahrheitswert: Das F. L. auf dem Tischtuch in Verbindung mit dem Oval des
Tisches erinnert nicht nur die Hebephrene an das Wort „folle", sondern es
sagt ihr, sie sei „folle". Kein Manischer, der an einen „wonnigen Gruß" dachte
und dem noch auf „wonnig" die sonderbare Assoziation „wemg" käme, wäre
Differentialdiagnose. Manisch-depressives Irresein.
251
imstande, den letzteren Einfall am Schlüsse eines Bnefes zu verwerten an der
Form mit wonnigem Gruß an wenige Euer Ad.". Ebenso verwerten nur die
Schizophrenen die zufäUigen, von außen gegebenen Verbmdungen 'n logisch
falscher Weise. Der Manische nimmt zwar aUe mögHchen zufäUigen Vorkomm-
nisse in seinen Ideengang auf, namentUch läßt er diesen durch äußere Wahr-
nehmungen ganz ablenken, die OberflächUchkeit kann dabei bis zur Smnlosigkeit
gehen, sie wird aber nicht zum vollen Widersinn.
Dagegen ist die Fesselung durch äußere Eindrücke, das Benennen,
die Bannung eine AnomaUe, die der Schizophrenie — niemals aber der Ideen-
flucht angehört.
Gehen die schizophrene und die manische Assoziationsstörung bis zu voll-
ständiger Verwirrtheit, so kann es für kurze Zeit immöglich sein, sie zu unter-
scheiden.
Die experimentellen Assoziationen der Schizophrenie haben wir
im Abschnitt über die Symptomatologie charakterisiert; ich möchte hier gegen-
über der flotten Eeaktion der Manischen nur noch auf die so häufigen unregel-
mäßigen und langen Zeiten der Schizophrenen aufmerlcsam machen.
Mit Beziehung auf das Assoziationsexperiment sagt Isserlin (342): ,, Finden
wir regelmäßig trotz langer Reaktionszeiten ein Bemühen, dem Sinne des Reiz-
wortes gerecht zu werden, so werden wir auch bei mäßigem Vorstellungswechsel
und nicht sehr tiefem Affekt nicht zweifeln, die Diagnose Depression des manisch-
depressiven Irreseins zu stellen." Er wird für die meisten Fälle recht haben. • — ■
Schon unzuverlässiger wird das Kriterium Pfersdorffs sein, daß neue Einstellung
auf jedes neue Reizwort für manisch-depressives Irresein spreche. Es gibt doch viele
leichtere Schizophrene, die sogar bei etwas stuporösem Benehmen imstande sind,
jedem neuen Reiz zu folgen.
Außer den spezifischen Eigentümlichkeiten der schizophrenen Erregungen
ist neben der Gespreiztheit, dem Theatralischen des Benehmens gegenüber der
reinen Manie namentlich auch die Einförmigkeit der Bewegungen charak-
teristisch; ferner deren Un Verständlichkeit; der Manische handelt, mancher
erregte Schizophrene bewegt nur die Gheder.
Die Unterscheidung von Hemmung und Sperrung macht uns die Trennung
schizophrener Zustände von den früher mit ihnen verwechselten stuporösen
und depressiven Zuständen des manisch-depressiven Irreseins
möghch. Die Sperrungen spielen keine Rolle bei den letzteren. Bei der Hemmmig
allgemeine Erschwerung und Verlangsamung der Bewegungen und des Denkens
neben traurigem Affekt; bei der Sperrung Schwankungen in der Kraft und
der Schnelligkeit der Bewegimgen und des Denkens. Der Gehemmte
macht auf Befehl Bewegungen (Hände umeinander drehen. Zählen) langsam,
kraftlos, unausgiebig, rasch nachlassend; der Gesperrte gehorcht in aus-
gesprochenen Fällen zunächst gar nicht; ist aber einmal der Widerstand über-
wunden, so sind Kraft und Geschwindigkeit meist normal. Bei der Reaktions-
losigkeit hochgi-adig stuporöser Formen beider Krankheiten kann aber die
Unterscheidung in seltenen FäUen nahezu unmöglich werden. Dann hilft etwa
noch das von Wer nicke (804, S.448) angegebene Zeichen, daß die „MelanchoHker"
auch wenn sie mcht antworten, den Fragenden meist noch anbücken, während
die Schizophrenen gar kein Zeichen des Verständnisses geben oder geradezu
252
Scliizophreiiie.
sicli abwenden. Die Sperrung unterscheidet sich von der Hemmung manchmal
auch deuthch dadm-ch, daß sie sofort verschwindet, wenn es mögUch wird, die
Aufmerksamkeit des Kranken auf ein Thema zu lenken, das seinen Komplexen
fern liegt, während die Hemmung sich außer in leichten Fällen auch bei Ablenkung
geltend macht.
Gelegentlich wird die Hemmung mit Negativismus verwechselt, doch ist
es leicht, sich vor diesem Irrtum zu schützen.
Eecht häufig hat die scheinbare ,, Stumpfheit" der Manisch-Depressiven,
die teils als Nachstadmm einer Manie, teils als leichte Form der depressiven
Phase auftritt, eine „Verblödung" vorgetäuscht. Die restlose Erklärbarkeit
des ganzen Syndroms aus leichter Hemmung sollte aber die Diagnose sichern.
Die Wahnsinnszu stände des manisch-depressiven Irreseins sind noch
oft schwer von der Schizophrenie zu -unterscheiden; erst nach längerer und
eingehender Beobachtung wird das Nich tauffinden schizophrener Symptome
den Ausschlag für die erstere Diagnose geben. Diese Zustände sind aber recht
selten, so daß die Wahrscheinlichkeit immer sehr stark für Schizophrenie spricht.
Läßt sich eine deutliche Depression oder gehobene Stimmung nicht nachweisen,
so ist immer Schizophrenie anzunehmen.
Schneie (675 a, S. 312) gibt an, wenn die Sinnestäuschung dem Kranken
als etwas Fremdes gegenübertrete, das für ihn über den logischen "Wert hinaus
eine Mehrbedeutung habe, so handle es sich nicht mehr um Melancholie, sondern
um Paranoia (d. h. Schizophrenie in unserem Sinne). Wenn auch das Kriterium
nicht immer leicht anzuwenden sein wird, so ist doch damit etwas Eichtiges aus-
gesprochen ; es ist eben der abgespaltene Teil der PersönHchkeit, der dem andern
die Halluzinationen und deren Deutung aufdrängt.
Nach Heilung" eines akuten Anfalles stehen die Schizophrenen in der
großen Mehrzahl ihren Wahnideen anders gegenüber als die Manisch-Depressiven.
Auch wenn sie sie als falsch erkennen, so nehmen sie nicht recht Stellung den-
selben gegenüber; sie sperren sie ab, gehen nicht darauf ein (vgl. S. 112
und 211).
Kölpin meint, die Erinnerung an einen melancholischen Stupor sei lücken-
hafter als die an den katatonischen Stupor. Ich kann das Zeichen nicht gelten
lassen. Auch in stuporösen Zuständen der Schizophrenie gibt es Dämmerzustände,
die totale oder teilweise Amnesie zurücklassen, und an den melancholischen Stupor
kann eine ganz gute Erinnerung bleiben.
Ob das Zeichen von Pfersdorff (560, S. 742), daß in den Wahnideen des
manisch-depressiven Irreseins Körperabschnitte (Brust, Bauch usw.) figurieren
statt eines einzelnen Organes, einen Wert habe, kann ich nicht sagen.
Die Unterschiede des Verlaufes sind selbstverständhch insofern, als
die Schizophrenie die Richtung auf eine spezifische Verblödimg einschlägt,
während die Anfälle des manisch-depressiven Irreseins normale Zustände oder
dann eine gesteigerte Emotivität ohne eigenthche Störungen der Assoziations-
fähigkeit und Intelligenz zwischen sich lassen. Geht es bei dem manisch-depressiven
Irresein schlimm., so geschieht das in dem Sinne, daß die gesunden Zwischenzeiten
immer kürzer werden oder ganz ausfallen. AusdrückHch sei bemerkt, daß der
periodische oder zykhsche Verlauf einerseits beim manisch-depressiven Irresein
fehlen, anderseits bei der Schizophrenie vorkommen kann. Die große Wahrschein-
Differentialdiagnose. Organische Psychosen. 253
1 „«-u /^ß,->vf>oaivpti Irresein, wenn mehrere Anfälle
liphkeit süricht aber für mamsch-depiessives iiicawii,
vttgegSien sind und man dennoch keine deuthchen Zeichen der Schizo-
'^^^üso.e .Vnhaltspunkte aus der Heredität .u nehmen ist be^^^^^
noch wenfg erforschten SteUung, die die Heredität bei f^y^^^^^—^
und bei der kompüzierten Zusammensetzimg unserer Abstammung noch kaum
""'^^ Kraepelins Melancholie des Rückbildungsalters ist nun wohl dem
manisch-depressiven Irresein anzureihen. Es mag hier nm: darauf aufmerksam
gemacht werden, daß manche Spätkatatonien mit melancholischen Sj^ptomen
beginnen, denen sich erst später die deutlichen katatonen Zeichen beimischen
Da ist es immer gut, eine genaue Anamnese zu bekommen, m der namentlich
Rücksicht genommen wird auf früher, besonders in der Pubertät, überstandene
schizophrene Schübe oder auf das Bestehen eines schizophrenen Cnarakters;
denn es ist nicht gerade häufig, daß hi der Rückbildung der erste AnfaU der
Krankheit auftritt. Ferner darf man nicht vergessen, daß germge Nachhaltigkeit
■des Affektes und einzehie Andeutungen von katatonen Symptomen auch eine
beginnende Dementia senihs bedeuten können.
Ziehen findet bei seiner Melancholie auch Gedankenlautwerden. Ich
glaube doch, daß dieses Symptom mit ziemlicher Sicherheit auf Schizophrenie hin-
weist. — Es muß auch gegenteiligen Behauptungen gegenüber festgehalten werden,
daß akute Verschlimmerung oder Besserung unter dem Einfluß psychischer Momente
durchaus nicht gegen Schizophrenie spricht. Im Gegenteil; ich glaube nicht, daß
eine Melancholie sich unter psychischen Einflüssen, wie Versetzung in eine andere
Anstalt wesentlich bessere (Stelzner, S. 12/13), während die Versetzungsbesserungen
bei der Schizophrenie etwas Gewöhnliches sind (Riklin 611).
h) Die beiden hauptsächlichen organischen Psychosen, die Paralyse
und die Dementia senilis, sind insofern leichter von der Schizophrenie zu
unterscheiden, als sie positive Symptome haben, die die Diagnose sichern. Die
charakteristische Gedächtnisstörung im Sinne des rascheren Vergessens der
rezenten Erlebnisse, die frühere und stärkere Schwächung der habituellen gegen-
über der maximalen Aufmerksamkeit, die Ermüdbarkeit, die Langsamkeit und
Unsicherheit der Wahrnehmung, die Orientierungsstörung, das leichte An-
schlagen der qualitativ erhaltenen pathologisch labilen Gefühle, das sind ebenso
bekannte als klare Zeichen einer ausgedehnten groben Störung der Hirnrmde.
Sie kommen bei nicht kompUzierter Schizophrenie nicht vor.
Weniger bekannt und nicht leicht zu beschreiben ist die organische Störung
der Assoziationen und, was eigentlich das gleiche ist, der Intelligenz. Wir
müssen uns hier auf die Andeutungen beschränken, die notwendig sind zur
Diff erenti aldiagnose .
Die Assoziationen des Organischen^) sind insofern gestört, als sie an Zahl
reduziert sind ; das psychische Gesichtsfeld ist verengert. Die auffallendsten Be-
^) Die Inkohärenz paralytischer Verwirrtheitszustände und beim (ziellosen?) para-
lytischen Pororieren kann ich noch nicht positiv charakterisieren.
254
Schizophrenie.
schrankimgen geschehen nach Trieben, oder nach Affekten, was das gleiche ist.
Der Paralytiker, der gerae große Geschäfte machen würde, sieht nur noch die
guten Chancen, die schlechten existieren für ihn nicht. In späteren Stadien will er
sich irgend einen Gegenstand auf seiner Abteilung aneignen; er stiehlt ihn mit
vorsichtiger Miene und versteckt ihn sorgfältig unter sein. Kleid — vor den Augen
der Wärter und seiner Mitpatienten, die in diesem Moment nicht für ihn exi-
stieren. Der Greis möchte seinen Geschlechtstrieb befriedigen; er sieht in dem
Kinde nur noch das Weib, denkt nicht daran, was alles für morahsche Gründe
gegen sexuellen Verkehr mit Kindern sprechen, imd mißbraucht das erste beste
Kind, das ihm begegnet. So leidet namenthch auch die Registrierung von
Vorkommnissen, die außer der Aufmerksamkeit des Patienten liegen, und damit
die Orientierimg.
Ganz anders der Schizophrene. Seine Assoziationen sind auch beschränkt,
aber nach Komplexen, die im gegenwärtigen Moment gar nicht aktuell zu sein
brauchen. Eine Menge von Gedanken sind abgespalten und gar nicht fähig,
mit gewissen anderen in assoziativen Kontakt zu kommen. Außerhalb der ge-
sperrten Bahnen sind die Assoziationen aber frei ; es können mehrere Assoziations-
komplexe nebeneinander verlaufen. So ist die unbewußte Registrierung eine
ganz vorzügliche^).
Der Paralytiker guckt die Welt durch ein kleines Loch an; es ist aber
möglich, ihm sukzessive fast alle Details zu zeigen; nur bekommt er nie eine
Übersicht. Der Schizophrene sieht beliebig große zusammenhängende Stücke,
die er potentia alle miteinander verbinden kann, aber in Wirkhchkeit oft nicht
verbindet. Bei der organischen Wahnidee existiert im gegebenen Moment nur
der Komplex (der Wunsch, die Befürchtung), bei der schizophrenen existiert das
der Wahnidee Widersprechende auch, aber es wird nicht mit ihr in logische Ver-
bindung gebracht. So kann der senil Demente wie der Schizophrene sich mit
irgend einem Frauenzimmer verloben, unbekümmert darum, daß er schon ver-
heiratet ist. Gelingt es aber, ihn an das Hindernis zu erinnern, so faßt der Senile
die Situation auf, wenn auch vielleicht nicht in toto; für den Schizophrenen
existiert in einem solchen Moment die Schwierigkeit gar nicht, obschon er sie
in einem andern Zusammenhang viel richtiger einschätzen kann als der Senile.
Die Spaltung zeigt sich auch in der Axt des Sprechens. Wenn der Paralytiker
sagt „Morgen kommt meine Frau und holt mich ab", so ist er ganz dabei und
freut sich; Widerspruch kann nur von außen kommen. Der Hebephrene wird
in den meisten Fällen die gleichen Worte in einem unangenehm behauptenden
Ton sprechen; er kämpft merkbar gegen einen Widerspruch, der nicht laut wird.
Die „Apathie" der Organischen, die namenthch bei Senilen, weniger bei
Paralytikern, zu beobachten ist, ist eme sekundäre; die Kranken verstehen die
Umgebung nicht mehr genügend, mn Anteil an ihr zu nehmen; sie verstehen
auch die eigene Situation nicht so, daß sie Affektwert für sie haben kann. Bringt
man aber den Kranken die nötigen VorsteUungen bei, so sieht man zum Unter-
schied von den Schizophrenen auch entsprechende Affekte erschemen.
Überhaupt sind die Organischen gemüthche Leute, mit denen man einen
kontinuierlichen Rapport hat, sei er feindhch oder freundhch. So zeigen sie auch
1) Die Ausnahmen sind sekundär bedingt (siehe S. 47).
DifFerentiakliagnose. Hirnherde.
255
eine übertriebene Beeinflußbarkeit gegenüber jedem, der sie zu nehmen weiß,
im großen Gegensatz zu den Schizophrenen.
Auch die Halluzinationen können zur Differentialdiagnose benutzt
werden; massenhafte Halluzinationen sprechen mit Wahrscheiiüichkeit gegen
Paralyse und, wenn sie sich nicht hauptsächlich auf die Nacht beschränken,
auch gegen Dementia senihs.
Neben diesen Zeichen einer organischen Krankheit überhaupt hat speziell
die Paralyse noch eine Anzahl nur ihr zukommende körperhche Symptome^).
Die Differenzierung der psychischen Pupillarreaktionen faßt Hu ebner in folgende
Worte: „Fehlen Pupillenunruhe imd sensible Reaktion bei erhaltenem oder gar
schießendem Lichtreflex imd prompter Konvergenzverengerung, so spricht das
für Dementia praecox. Fehlt nur die Pupillenunruhe bei noch vorhandenem
Lichtreflex und erhaltener sensibler Reaktion, so erweckt das den Verdacht
einer organischen Gehirnerkrankung" (314, S. 1044). Die häufigen Pupillen-
differenzen bei Schizophrenie sind zum Unterschied von der Paralyse nicht mit
Starre, höchstens mit etwas abgeschwächtem Lichtreflex verbimden und wechseln
meist rasch, oft im Laufe eines Tages mehrmals, so daß bald die eine, bald die
andere weiter ist. Dauernde Differenzen sind wohl meist Komplikationen.
Von größter Wichtigkeit ist der Nachweis von Leukozytose oder
Wassermannscher Reaktion der Zerebrospinalflüssigkeit, die auf eine
organische Erkrankung des Zentralnervensystems hinweisen.
Mischfälle von Schizophrenie und Paralyse gelten (wohl nicht ganz mit
Recht) als so selten, daß man kaum mit ihnen rechnet. Um so häufiger sind Kom-
binationen von Dementia senilis mit der Schizophrenie. Namenthch können
Spätkatatonien solche Mischfälle sein.
Zu den organischen Psychosen gehört auch der K o r s a k o w. Diese Krankheit
wird auf der Höhe niemals mit Schizophrenie verwechselt werden kömien.
Später können schizophrene Symptome auftreten, wir wissen aber — wie früher
ausgeführt — noch nicht, ob sie der stillstehenden neuritischen Veränderung
im Gehirn oder einer gleichzeitig bestehenden Schizophrenie angehören. Die
Differentialdiagnose kann sich deshalb noch nicht mit der Sache beschäftigen.
* ... *
Noch ganz im argen hegt die Abtrennung der Schizophrenie von gewissen
psychotischen Zuständen, die grobe Hirnherde (Traumen, Tu-
moren usw.) begleiten und ähnliche Symptome machen. In aUen den Fällen
die ich genauer beobachtete, konnte man entweder die Diagnose aus anderen
organischen Symptomen machen, oder es fiel wenigstens auf, daß keines der
als schizophren zu deutenden Symptome so recht klar war. In einem FaUe von
Himtuberkulose, wo wir uns nach langem Zögern aus Mangel an einer andern
Diagnose fälschlich für Schizophrenie entschlossen, fiel u. a. die starke Benommen-
heit mit sehr verlangsamten Reaktionen auf. Leider sind die FäUe zu selten als
daß wir Bestimmteres sagen könnten. Daran zu denken ist, daß die Schizophrenie
durch einen Hmiherd kompliziert sein kann.
') Die ungeschickte Schrift benommoner 8cliizophrcnen mit ihren -Rnnh^t«!.,.,,
aus,™„ge„™dVerdiohtu„gc„i,to,tansich nicht vo„dor'dorPa"„lyUU:^r„^^^^^^^^^^
256
Schizophrenie.
c) Die Unterscheidung von den Idiotien ist in den meisten Fällen eine sehr
leichte. Es gibt zwar Leute, die anderer Meinung sind, der am drastischsten
Mas ein (454) Ausdruck gibt, in dem er die Katatonie als eine Spätidiotie auffaßt
und behauptet, ohne Anamnese wäre es oft nicht möglich, einen Hebephreniker
im Endstadium von einem Idioten zu unterscheiden. Die ganze Ähnlichkeit der
Krankheiten besteht indes nur darin, daß sich das Denken in beiden Fällen als
insnffizient erweist.
Wirkliche Schwierigkeiten entstehen dann, wenn die Schizophrenie wenig
ausgesprochen oder, wie so oft, mit der Imbezillität kombiniert ist.
Bei den Idioten sind diejenigen Assoziationen nicht gebildet, die eine kom-
pliziertere Überlegung verlangen oder ungewöhnlich sind. Ein Imbeziller, der
nicht addieren kann, wird noch weniger subtrahieren oder gar dividieren, einer,
der den Begriff der Eltern nicht aus den beiden Komponenten Vater und Mutter
bilden kann, ist sicher auch unfähig, sich unter „Vaterland" etwas Klares vor-
zustellen. Der Schizophrene hingegen kann bei einfachen Denkaufgaben eben-
sogut scheitern wie bei komplizierten. Die Sperrung unterbricht die Bahnen nach
ganz anderen Gesetzen . So kann er, wenn er sich nur überhaupt in Wort oder Tat
äußert, immer noch zeigen, daß er vieles verstehen gelernt hat, was dem Idioten
unzugänglich war. Auch seine Bewegungen, seine Sprache usw., haben gar nichts
mit der Idiotie gemein.
Das Gefühlsleben der Idioten und Imbezillen (auch letztere führe ich
in diesem Zusammenhange an, im bewußten Gegensatz zu den unrichtigen
Aufstellungen Solliers) hat keine Ähnlichkeit mit dem der Schizophrenen.
Es schwankt allerdings in großen Grenzen, aber es ist ein ungehemmtes. Der Axzt
hat zu den Idioten seiner Anstalt das Verhältnis eines Vaters zu seinen Kindern;
die meisten Schizophrenen aber bleiben ihm so fremd wie Vögel, die er füttert.
Die Aufregungen der Idioten sind entweder durch die ihnen nicht
verständlichen Umstände angeregte Wutanfälle oder hysteriforme Erregungen,
oder dann der Epilepsie ähnliche Dämmerzustände mit Kopfweh, vasomotorischen
Symptomen usw., alles Dinge, die mit Schizophrenie nichts zu tun haben.
Gelegenheit zu Verwechslungen gibt etwa der Emotionsstupor, der bei
Imbezillen sehr leicht auftritt, wenn sie in eine ungewohnte Lage kommen;
so bei einem Interrogatorium, bei der Versetzung in das komplizierte Miheu
einer Irrenanstalt usw. Manchmal erscheint der Stupor nur bei einzelnen Fragen,
die die Fassungskraft des Kranken übersteigen; dann kann er den Eindruck
einer plötzlichen Sperrung machen. Ferner kommt bei vielen Imbezillen ein
In-den-Tag-hineinantworten vor gerade wie bei kleinen Kindern; man wird bei
einiger Geduld leicht merken, daß es sich um Raten handelt und nicht um
Negativismus, um eine mangehide Unterscheidung von Wissen mid Vermuten
und nicht um ein mangehides Interesse an der TJntersuchimg.
Die Stereotypien der Imbezillen entsprechen zum Teil dem Beine-
schlenkern, sich wiegen, an emem Haar drehen und ähnhchen Ausdiäicken
eines Betätigungsreizes bei Gesunden und haben dann fast ausnahmslos emen
ganz elementaren Charakter. Andere sind mehr den Ticks an die Seite zu stellen;
wenn dabei auch das, worauf es ankommt, mit Worten schwer zu beschreiben
ist, so sieht man doch leicht, daß die Bewegungen nicht von der Psyche ab-
gespalten sind: der ganze Kranke „macht" diese Bewegungen; zu bestimmten
Differentialdiaguose. Idiotien. Paranoia. Epilepsie.
257
Arten derselben gehören bestimmte Posen, bestimmte Stimmungen mit ihren
Ausdnicksformen. Wiederholungen des gleichen Ausrufes, der gleichen Wovte
sind etwas anderes als die schizophrene Verbigeration ; sie sind meist der Ausdruck
der Ideen- und Wortarmut, die nur immer das gleiche äußern kann (vgl. auch
Wey<^andt 816). Bei manchen Imbezillen erscheinen Zeichen von Mamnertheit
sowohl im Benehmen als in den Ausdiücken; sie nehmen bestimmte Posen an,
brauchen ungewöhnliche Wörter, reden hochdeutsch u. dgl. Das kommt davon
her, daß sie oft auch den „Intelhgenzkomplex" haben, mehr Schemen woUen als
sie sind; das Symptom ist deswegen identisch mit gewissen Formen von Mani-
riertheit bei der Schizophrenie.
Bei der moralischen Idiotie fehlen von den Gefühlen nur die ethischen,
diese aber konstant; das Gleichbleiben des Charakters seit der frühesten Jugend
beweist die angeborene Störmig; eigentlich schizophrene Zeichen sind natürlich
hier nicht anzutreffen.
d) Die Differentialdiagnose gegen die Kraepelinsche Paranoia ergibt
sich aus der Beschreibmig derselben. Alle spezifisch schizophrenen und die kata-
tonen Symptome fehlen ihr; die Wahnideen gehen von falschen Prämissen-
aus, sind im wesentHchen unkorrigierbar, d. h. von logischen Assoziationen,
die ihnen entgegenstehen, abgesperrt, sonst aber logisch konsequent ausgebaut.
So kann der Paranoiker über sein Wahnsystem diskutieren, während der Paranoide
nur zu oft nicht einmal imstande ist, Einwände aufzufassen, geschweige sie abzu-
wägen. Den Wahn innerlicher Beeinflussung durch fremde Gewalten habe ich
bei Paranoia nie getroffen. Einige Halluzinationen sagen natürhch nichts gegen
Paranoia, kommen sie doch bei Gesunden vor. Wenn aber Sinnestäuschungen
nicht nur bei seltenen und rasch vorübergehenden Erregungen das Bild be-
herrschen, dann wird man immer auch andere Zeichen von Schizophrenie finden.
Daß die Paranoiker den Zusammenhang mit den Sitten der Umgebung nicht
verlieren, kurz eine äußere Haltung bewahren im gleichen Siime wie Gesunde,
die stark affektiven Erlebnissen ausgesetzt sind, ist bekannt.
Eine Differentialdiagnose gegen andere Psychosen, die noch als Paranoia
bezeichnet werden, gibt es nicht, da alle bekannten paranoiden Formen zu
unserem Begriff der Schizophrenie gehören.
e) Wichtiger ist die Unterscheidung von der Epilepsie. Fuhrmann
(248, S. 836/837) findet Ähnlichkeit akuter juveniler Verblödungszustände
mit Epilepsie und Dehrium tremens. Sie ist aber eine sehr äußerliche.
Zunächst das epileptische Delir. Die Halluzinationen, die Desorien-
tiertheit und das rüclcsichtslose Verhalten gegenüber der Umgebung hat es mit
vielen schizophrenen Zuständen gemein. Einen andern Charakter verleiht ihm
aber vor allem die Verschiedenheit der Affektivität. Bei der Epilepsie eine Idare,
Hnndbuoli der Psychiatrie ; Bleuler. -^r^
258
Schizophrenie.
meist ganz elementare Stimmimg, die sich in jedem einzelnen Wort, im Ton
jedes Satzes, in jeder einzelnen Handlung ganz gleichmäßig äußert;' bei der
Schizophrenie unklare oder doch inkonsequente Affektäußerungen, die auch bei
wirklicher Angst oder Ekstase immer etwas Steifes oder Gemachtes haben
Auf intellektuellem Gebiet die langsame Auffassung, die Schwierigkeit
des Verständnisses bei der Epilepsie — die Sperrungen im Verständnis, die
jeden Augenblick von ganz raschen Reaktionen auf komplizierte Wahrnehmungen
abgelöst werden können, bei der Schizophrenie. Meist läßt sich auch der für die
eine oder andere Krankheit charakteristische Gedankengang nachweisen, wobei
hier erwähnt werden mag, daß der Gedankengang der Epileptiker doch fort-
schreitet, trotz der Schwierigkeiten, sich von einmal erfaßten Gedanken loszu-
machen, und trotz der Neigung zu Wiederholungen. Femer handelt der Epilep-
tiker im Sinne einer deliriösen Vorstellungi), während das Benehmen des däm-
mernden Schizophrenen häufig zwecldos, fast immer inkonsequent erscheint.
Schwierig wird die Unterscheidimg nur dann, wenn die Kranken sich nicht
untersuchen lassen; so bei postepileptischer Reizbarkeit, in der die
Patienten untätig daHegen, sich von der Umgebung abschheßen, auf Anreden
mit Schimpfen oder mit Gewalttätigkeiten antworten. Ein solches Bild ist
manchmal von dem schizophrenen Negativismus nicht gleich zu unterscheiden.
Auch die Anfälle von Elexibilitas cerea als solche sind beiden Krankheiten
gemein. Doch ist es wichtig zu wissen, daß sie bei Epilepsie meist nm- kurze
Zeit, Viertelstunden bis höchstens Tage 2), dauern, bei der Schizophrenie meist
Wochen und Monate.
Der epileptische BIcdsi nn kann zuweilen äußerhch durch die epileptische
Reizbarkeit, die übertrieben scheinenden Gefühlsäußerungen und die spontanen
Verstimmungen an Schizophrenie erinnern; besonders wenn noch Halluzina-
tionen hinzukommen.
Auch die Epileptiker ziehen sich oft mehr und mehr auf sich selbst zurück.
Das Egozentrische ihrer Denkweise unterscheidet sich aber doch beträchthch
vom Autismus der Schizophrenen. Zur Verfälschung der Wirklichkeit kommt
es beim Epileptiker selten und nur unter ganz bestimmten Umständen, für
einen bestimmten Fall, wie bei anderen Leuten auch, die sich von ihren Affekten
hinreißen lassen. (Hier ist nicht von den Dämmerzuständen die Rede.) Der
zurückgezogene Epileptische beachtet die Wirklichkeit wenig, er kommt aber
nicht mit ihr in logischen Konfhkt. — Der epileptische Eigensinn ist natürlich
noch kein Aiitismus.
Die Assoziationen der Epilepsie mit ihren Wer tm'teüen, ihrer Ego-
zentrizität, ihrer Perseveration, die sich in Wiederholungen und im Kleben-
bleiben an einem Thema und darausfolgendem Detailausmalen (Umständlichkeit)
ausspricht, diese Assoziationen haben mit dem schizophrenen Gedankengang
auch nicht das Geringste gemein. Das Zögemde im Ideenablauf läßt sich leicht
von Sperrungen unterscheiden. Die Unschärfe der Auffassimg und die Ver-
schwommenheit der schwierigeren Begi-iffe und die Störimg des Gedächtnisses
in den fortgeschrittenen Fällen sind weitere Unterschiede von der Schizophrenie.
Bei starker Benommenheit, z. B. während und unmittelbar nach Anfällen kann
die motorische Koordination so stark gestört sein, daß die Absicht schwer festzustellen ist.
2) Ich wenigstens habe nie epileptische Flexibilitas von längerer Dauer gesehen.
Differentialdiagnose. Epilepsie. Alkoholpsychosen.
259
Ebenso verscliieden ist die Affektivität der beiden Krankheiten. Statt
der schizophrenen Einklemmimg der Affekte sehen wir bei der Epilepsie leicht
en-egbare imd auffallend nachhaltige und tiefgehende Gefühle. Gleichgültigkeit
finden wir nur, so weit die Kranken die Situationen nicht verstehen, niemals
aber gegenüber ihren persönlichen Interessen, die im Gegenteil meist viel stärker
gefühlsbetont sind als normal. Es ist auch an die übertriebene Objekthebe der
Epileptiker zu erinnern, während bei den Schizophrenen eine oft bis ins Extreme
gehende Gleichgültigkeit gegenüber ihrem kleinen und großen Eigentum die
Regel ist.
Aschaffenburg meint, man könne annehmen, daß die gleichen
Stimmungsschwankungen wie bei Epilepsie auch bei Dementia praecox
vorkommen können, da ja die epileptischen Anfälle auch bei der letzteren Krank-
heit zu beobachten seien. Der Schluß ist aber nicht zwingend, da die epilepti-
formen Anfälle, einem vorgebildeten Mechanismus entsprechend, unter den ver-
schiedensten pathologischen Umständen auftreten können. Dennoch sind Ver-
stimmungen von innen heraus auch bei Schizophrenie — mit oder ohne epilepti-
sche Anfälle — sehr häufig, und es gibt auch Zustände, die sich durch Mischung
von Symptomen beider Kj:ankheiten charakterisieren.
Epileptiker können auch außerhalb der Dämmerzustände zuweilen halluzinie-
ren, namentlich mit dem Gesicht. Gelegentlich gibt dieser Umstand Anlaß zu Ver-
wechslung mit Schizophrenie. — Auch kommen bei Epilepsie automatische Be-
wegungen vor mid sogar die Empfindung, daß dem Kranken die Gedanken von
außen gemacht werden.
Jene Nebensilben hinausziehende („singende") und häsitierende Sprache,
welche — wenn vorhanden — so charakteristisch für Epilepsie ist, habe ich noch
nie durch die Maniriertheit der Schizophrenen imitiert gesehen; ebenso fehlt
den letzteren die pathologische Umständlichkeit.
/) Der chronische Alkoholismus wird in praxi noch sehr oft mit
Schizophrenie verwechselt, insofern als bei einem schizophrenen Säufer nm- das
Trinken und nicht die Grundkrankheit Beachtung findet. Wir sehen aber bei
bloßem Alkohohsmus oberflächhche, leicht entzündhche Gefühle, Euphorie,
Trieb, aus sich heraus zu gehen, Schwatzhaftigkeit, Unschärfe der Wiedergabe
von Erlebtem oder Gelesenem, mit dem Bedürfnis nach Einschiebung von kau-
salen Zutaten beim Erzählen, aUes Symptome, die der Schizophrenie fi-emd sind
Ist em Alkoholismus auf der Basis der Schizophrenie entstanden so
mischen sich die Symptome beider Krankheiten. In der Anstalt treten aber die
des Alkohohsmus allmähhch zurück. Der verschlossene AlkohoHker mit dem
sich gar mcht diskutieren läßt, der auf der Abteilmig herumsitzt, ohne uns bei
jeder Gelegenheit auseinanderzusetzen, wie geheilt er nun sei, und wie nötig es
sei, daß er wieder frei werde, ist ein Hebephrene, wenn nicht ganz besondere
logisch begreifbare Gründe ihn zu diesem Verhalten veranlassen.
Die Unterscheidung von Delirium tremens und schizophrenem Auf-
regmigszustand ist so emfach, daß es schwer wird zu begreifen, wie man den
Anstalten so viele Schizophrene unter der Diagnose Delirium tremens zuweisen
17*
260
Schizophrenie.
kann. Der von Bonhoeffer so gut beschriebene Bewußtseinszustand der
Deliranten, die bekannte Art ihrer Halluzinationen mit vorwiegender Beteiügung
des Gesichtes imd Getastes, der ängsthch euphorische Gemütszustand, die Be-
schäftigungsdelirien, die Agilität und Unsicherheit in den Bewegungen (gegen-
über der massigen BewegHchkeit der motorisch erregten Schizophrenen) sind
lauter Zeichen des Deliriums. Tremor kommt auch bei Schizophrenie vor; ist
er aber hochgradig, so spricht er für DeHrium tremens. Genaue nachträgUche
Erinnerung kommt beim ausgesprochenen Dehrium tremens wohl nicht vor.
Waren bei einem wirkhchen Dehrium tremens die Gehörs täuschungen im
Vordergrund, so handelte es sich in unseren Fällen um Mischung mit Schizophrenie
(in einem einzigen konnten wir das nicht mit voller Sicherheit nachweisen),
ebenso bei Auftreten von ausgesprochenen Körperhalluzinationen oder von
Stereotypien.
Der Alkoholwahnsinn der Autoren entsteht, wie früher auseinander-
gesetzt, meist oder vielleicht immer auf der Basis einer Schizophrenie. Er ist
deshalb gern mit den Zeichen der letzteren Krankheit gemischt. Findet man diese
bei genauem Zusehen nicht ausgesprochen, so kann man eine verhältnismäßig
gute Prognose stellen und von einem bloßen Alkoholwahnsinn reden. Finden
sich umgekehrt bei einer deutlichen Schizophrenie die für den Alkoholwahnsinn
charakteristischen zusammenhängenden Gehörshalluzinationen bei klarer Orien-
tierung, so muß man auf begleitenden Alkoholmißbrauch schheßen.
Die Grenzen der chronischen Alkoholparanoia kann ich nicht be-
stimmen, weil ich diese Krankheit noch nicht gesehen habe, imd weil die Autoren,
die sie gesehen haben wollen, keine genügende Kücksicht auf die Dementia
praecox nehmen oder doch keine Symptome beschreiben, die nicht auch bei der
Schizophrenie vorkommen können.
g) Am schwierigsten ist die Unterscheidung der Schizophrenie von den
Formen, die man am verständHchsten mit dem Namen der akuten Verwirrt-
heit bezeichnet. Eine diagnostisch brauchbare Beschreibung derselben existiert
eben noch nicht^).
Bei diesen Formen, mit denen ich hier die „Fieber psychosen" zusammen-
rechnen kann, weiß ich gar kein Symptom zu nennen, das nicht auch bei der
Schizophrenie vorkommen könnte; im Vordergrunde steht die Verwirrtheit,
manchmal auch neben ihr die HaUuzinose. Beides sind sehr vieldeutige 8yra-
ptome; und etwas Charakteristisches an der Verwirrtheit und an den Halluzma-
tionen 'dieser Psychosen hat noch niemand beschrieben. So bleibt nichts anderes
übrig als die Diagnose der Schizophrenie in denjenigen Fällen von Verwirrtheit
zu machen, die schizophrene Symptome zeigen; wo aber trotz guter Unter-
suchung schizophrene Symptome sich nicht finden lassen muß
man eine dieser anderen Verwirrtheiten annehmen. Ich kann noch hin-
1) Weder die KraepelinscheAmentia noch dieRäckescheiiErschöpfuugspsychosen
(587) kenne ich aus eigener Erfahrung. Räcke spricht von „primärer Inkohärenz , ohne
sie zu charakterisieren.
Diffeientialdiagnose. Amentiafomen. Fieberpsychoseu.
261
zufügen, daß ausgesprochene katatone Symptome, mit Ausnahme der Flexibilitas
cerea und der Befehlsautomatie überhaupt, gegen eine solche Verwirrtheit wie
gegen die Amentia Kraepelins sprechen. Starker Negativismus, Haltungs-
stereotypiei), triebartige Verbigeration weisen bei einem solchen Zustand immer
auf Schizophrenie hin, auch wenn es momentan nicht mögüch sein sollte, die
schizophrene Assoziations- oder Affektstörung zu finden.
Ich kann hinzufügen, daß wir mit dieser Art Diagnostik seit Jahren gut
gefahren sind, indem wir keinen Fall umdiagnostizieren mußten, bei dem die Unter-
suchung ims berechtigte, eine Diagnose zu machen. Und doch kann man sich mit
einer solchen negativen Unterscheidung nicht beruhigen. Findet man in einem
Fall heute kein sicher schizophrenes Zeichen, so könnte es ja morgen zu sehen sein.
Stransky (753, S. 815/816) meint, daß sich die Verblödung nach Amentia von
der schizophrenen durch den natürlichen Affektausdruck unterscheide. Da die schizo-
phrene Alteration der Mimik in leichten Fällen nicht jederzeit erkennbar ist, kann
man mit dem Zeichen allein keine Differenzialdiagnose stützen.
Sehr wenig hilft die Beobachtung der Ätiologie. Es gibt viele solche
Verwirrtheiten ohne Schwächezustand und ohne Fieber; in zwei Fällen konnten
wir die chronische Nierenerkrankmig, auf die wir fahndeten, erst post mortem
nachweisen. Auf der andern Seite wird die Schizophrenie so oft bei Anlaß von
fieberhaften Krankheiten manifest, daß das Kriterium vollständig unbrauchbar
ist. Viel sicherer kann die Anamnese leiten, aber leider nur in der Eichtimg
nach der Schizophrenie hin, die schon in der Symptomatologie ihre guten Weg-
weiser hat.
*
h) Auch die Difi'erentialdiagnose gegen Hysterie und Neurasthenie
ist nm- eine einseitige. Kein hysterisches oder neurasthenisches Symptom ist der
Schizophrenie fremd. Schizophrenie nehmen wir dann an, wenn spezifi-
sche Symptome dieser Krankheit nachgewiesen sind; Hysterie und
Neurasthenie dann, wenn genaue Untersuchung hysterische respek-
tive neurasthenische, aber keine schizophrenen Symptome zutage
fördert. Nachweis hysterischer Symptome schließt die Schizo-
phrenie so wenig wie irgend eine andere Krankheit aus.
Wenn Verblödung, Gehörshalluzinationen bei klarem Bewußtsein ausge-
sprochene Wahnideen oder andere Zeichen einer eigentlichen Psychose nach-
zuweisen sind, ist natürhch die Diagnose leicht. In weniger ausgesprochenen
fallen aber machen Hysterie und Neurasthenie die meisten diagnostischen
Schwierigkeiten, weil sich hinter nervösen Symptomen eine leichte Schizophrenie
lange Zeit oder dauernd verstecken kann. Wir müssen auch bei aUer Vorsicht
viele Schizophrene noch als nervös bezeichnen und behandeln, so lange wir bei
Ihnen spezifisch schizophrene Symptome noch nicht aufzudecken vermögen.
1) Immerhin hat Aschaffenburg bei Initialdelirien des Typhus auch StereotvDien
gesehen Er erwähnt auch die Empfindung des ElektrisiertM^erd^ns. Sere hTbf c^
emmal bex einer Influenzapsychose gesehen. (Neuritis !) - Schuele (675a) sprfcl^^TdL"^^
^re '""'J^T.'''''^'' Halluzinationen auftreten, ohne daß das iTvertdert
262
Schizophrenie.
Am meisten Gewicht wird man zunächst auf die Art der Affektivität
legen. Die Indifferenz der Schizophrenen sticht doch meist deutUch ab von dem
labilen, reizbaren, ängstHchen oder sich aufdrängenden Wesen der Nervösen^).
Namentlich auffallend ist ihre relative oder absolute Gleichgültigkeit gegenüber
der Krankheit und ihren Symptomen, gegenüber ihrer eigenen Situation, der
Famihe usw. Oft ist die Torpidität das dem Beobachter zuerst auffallende
Symptom: erst wenn man in die Kranken dringt, etwas zu leisten, kommen
die Klagen und Ausreden. Doch können auch Hysterische indifferent erscheinen;
so gegenüber Lähmungen und anderen Beschwerden, die sie mit großem Heroismus
ertragen — aber nichts desto weniger stark zur Schau stellen. Erlebnisse, die
ihre Komplexe aufrühren sollten, können Hysterische eine Zeitlang ganz kalt
lassen, dann aber folgt der Ruhe meist der Sturm in Form einer Erregung oder
eines Anfalles. Auch inadäquate Reaktionen können gelegenthch vorkommen,
indem Hysterische eine für sie peinliche Assoziation mit einem Lachkrampf
oder mit Singen verdecken. Besonderes Gewicht ist zu legen auf den Mangel an
Einheitlichkeit der Affektäußerungen, der bei Nervösen kaum vorkommt.
Der affektive Autismus der Schizophrenie gibt sich auch darin zu erkennen,
daß die Kranken kein Bedürfnis haben, sich auszusprechen. Wer dem Arzt
nichts zu sagen hat, ist kein bloßer Nervöser.
Der mangelnde Gefühlsrapport zeigt ?ich überhaupt oft am besten im
Verhältnis zum Arzt. Wenn man mit einer Nervösen eine Stmide lang über ihre
Krankheit spricht, so muß sich ein persönliches Verhältnis zu ihr ergeben, sei es
feindlich oder freundlich. Auch gegenüber gleichgeschlechtigen Patienten wird
man diesen Rapport niemals vermissen. Schizophrenen aber kommt man meist
nicht näher (Jung).
Mit dem Gefühlsrapport fehlt den Schizophrenen auch die Suggestibilität,
die die Nervösen gegenüber dem Arzt haben. Doch ist der Unterschied kein
absoluter. Die Schizophrenie ist in sehr vielen Beziehungen durch
psychische Einflüsse modifizierbar. Sehr selten, und auch dann wohl
nur vorübergehend, findet man bei der Nervosität den Mangel an Beeinflußbar-
keit. Ein unbeeinflußbarer Dämmerzustand ist in der Regel kein hysterischer.
Riskiert man es, einem wild um sich schlagenden Patienten das Gesicht hinzu-
halten, und er schlägt konsequent daneben, so wird es sich wohl in allen Fällen
um einen Hysteriker handehi. Die weitgehende Besserung eines anscheinend
schweren Zustandes durch eine Psychanalyse spricht mit ziemhcher Sicherheit
gegen Schizophrenie, die solchen Einwirkungen nur in leichteren Fällen zu-
gänglich ist.
Um solche Zeichen sowie noch viele andere zur Differential-
diagnose gegen die Neurosen benutzen zu können, ist es aber unum-
gänglich notwendig, daß man die ganze psychische Konstellation
genau erwägt. Auf irgend einem Umwege kann bei einem Hysterischen zu
einer bestimmten Zeit eine Affektlosigkeit oder eine Unzugänghchkeit vorge-
täuscht werden, die in der normalen Wirkung irgend eines Komplexes begrimdet
ist. Jeder Gesunde - und um so mehr jeder Neurotiker - hat gelegenthch eme
diesem Namen bezeichne ich hier aUes, was man hysterisch, neurasthenisch
und nervös nennt.
Differentialdiagnose. Neurosen.
263
auffallende Sperrung, jeder kann einmal einen Begriff unscharf fassen, eine
bizarre Assoziation bilden; zur Differentialdiagnose darf das Symptom nur be-
nutzt werden, wenn es sich unter verschiedenen Umständen wiederholt oder
wenn im bestimmten Fall eine Komplexwirkung nicht anzunehmen ist. Man
wird also gelegentlich die Diagnose erst machen können, wenn man
die Komplexe des Patienten kennt.
Die Sperrungen der Hysterie zeigen deutlich ihren affektiven Ursprung.
Sie treten in bestimmten Ideenverbindungen auf, fehlen in anderen, verall-
gemeinern sich aber nicht; es besteht eben eine reinliche Trennung zwischen
gesunder tmd kranker, respektive autistischer und realistischer Psyche.
Am besten sieht man auf dem intellektuellen Gebiete, wie die hysteri-
formen Svmptome der Schizophrenie auf dem Boden einer dissoziierten Psyche
erwachsen und deshalb karildert werden. Nur bei imseren Kranken fehlt die
Einheit des Denkens, können die widersprechendsten Vorstellimgen neben-
einander existieren, ohne sich zu beeinflussen, ohne in ein Gesamtbild
verschmolzen zu werden. Wenn, wie man allgemein annimmt, der Kinder-
komplex auch bei Hysterischen zu eingebildeter Schwangerschaft mit Aus-
setzen des Menses führen kann, so wird die Kranke doch niemals außerhalb eines
Dämmerzustandes ein eingebildetes Kind haben, ohne daß sie z. B. Gravidität
hinzuillusioniert hat.
Auch die Inkonsequenz nach außen fehlt der bloßen Nervosität. Die Hysteri-
sche, die die Außenwelt nach irgend einem Wunsche umbildet, kann z. B. nicht
den Arzt zugleich als den früheren Gehebten imd den Anstaltsarzt ansehen.
So ist im Verhalten der Hysterischen viel mehr Methode und weniger von den
allgemeinen Gesetzen des Handebs Abweichendes. Die Hysterische macht
schwerere Dummheiten höchstens imter ganz bestimmten Voraussetzungen.
Sie wird sich, wenn es sich nicht darum handelt, ernsthch krank zu sein, nicht
verletzen; sie wird auch in anscheinend wildem DeHr den unbekannten Arzt
nicht schlagen, sie wird den Geliebten außer in rasender Eifersucht nicht um-
zubringen suchen, sie wird nicht leicht das Haus anzünden, nicht unreinlich
werden u. dgl. So ist auch kein Hysteriker, wer während längerer Zeit
jeden Interesses ermangelt, wer außerhalb von Dämmerzuständen die Um-
gebung nicht berücksichtigt. Ich konnte mich noch nicht überzeugen, daß die
Janetschen „Psychastheniker", die jahrelang nur dasitzen, keine Hebephrenen
seien. Es ist aber falsch, wenn man umgekehrt schHeßen wiU, daß Kranke, die
bei Beobachtung sich anders verhalten, als wenn sie sich unbeobachtet glauben,
kerne Schizophrene sein können (Kaiser, 351, S. 964).
Das uns bizarr E rscheinende und doshalb oft für die Diagnose Ausschlaggebende
kann auch bedingt sein durch die ethnischen Anlagen und besonders geartete Lebens-
anschauungen. Hysterien z. B., die aus dem Osten kommen, erscheinen uns manch-
mal so bizarr, wie ausgesprochene Schizophrenien Einheimischer.
Auch in den Dämmerzuständen zeigt sich die schizophrene Vermischung
von autistischen Vorstellungen und der Wirklichkeit. Die Hysterische kann im
Dämmerzustand neben den Wahnvorstellungen die Wirklichkeit mehr oder
weniger registrieren; es geschieht aber unbewußt, während beim Schizophrenen
auch in schweren Bewußtseinstrübungen beide Reihen sich im Bemißtcn und
264
Schizophrenie.
im Unbewußten mischen^). Dafür wird die Delirien fabel von den Schizophrenen
viel karikierter und meist geradezu unsinnig dargestellt. — Dämmerzustände
die monatelang dauern, sind wohl nie hysterisch, noch weniger solche, die sich
allmählich im Laufe von Wochen oder Monaten entwickeln und in ähnlicher Weise
abklingen.
Die Dissoziation der Begriffe kommt bei der Nervosität nicht vor,
ist also, wenn vorhanden, ein sicheres Zeichen der Schizophrenie. Auch die
Symbolik geht nur unter ganz bestimmten Umständen ohne Bewußtseins-
störung bis zur eigentlichen Materialisierung. Einer Hysterischen kann man
nicht im körperlichen Sinne „die göttliche Liebe ausreißen und den Keim der
Wiedergeburt wegnehmen".
Auch bei Hysterischen und Neurasthenischen gibt es Vorstellungen und
Empfindungen, die als Wahnideen und Illusionen der Körpersensa-
tionen bezeichnet werden können. Sie sind aber nie in solchem Grade unsinnig,
wie so oft bei der Schizophrenie. Sie sind meist denkbar auch für den Normalen,
oder dann kennen die Kranken das Unrichtige der sich ihnen aufdrängenden
Vorstellungen. Eine Neurasthenische kann die Empfindung haben, wie wenn ihr
Hals sich ins Ungemessene verlängerte, und deshalb in einem Angstzustand im
Wald herumlaufen. Sie wird aber außerhalb von Dämmerzuständen volle Einsicht
in das Krankhafte haben und nie die Parästhesie nach außen projizieren. Sie
kann die Empfindung haben, daß an ihrer Stirn zwei Knöpfe wachsen; sie kann
aber nicht wie die Schizophrene spüren, wie die Knöpfe in ein irgendwo außer
ihrem Körper befindliches Netz fallen. Ebenso deuten die genauen Beschreibungen
von Tropfen, Männchen, Maschinen im Ohr oder sonst wo im Körper auf
Schizophrenie. Ob eine Hysterische heutzutage noch ,,ein Tier im Leibe" haben
kann, weiß ich nicht ; ich habe das noch nie gesehen. — Ferner wird es bei Nervösen
nicht zu beobachten sein, daß ihnen die im Kopfe aufsteigenden „fremden"
Gedanken als von einer andern Persönlichkeit gemacht vorkommen.
Die Ambivalenz kann auch hysterisch sein; der schwarze Mann ist ja
auch bei dieser Krankheit eine stehende Figur. Aber wenn sie bei ganz luzidem
Bewußtsein sich auf viele Dinge erstreckt, so kann doch Hysterie ausgeschlossen
werden.
Illusionistische oder gar halluzinatorische Verkennung der
Umgebung kommt bei Hysterischen nur in Dämmerzuständen oder sonstigen
Bewußtseinstrübmigen vor. Nur der Schizophrenie gehören nichtssagende
Akoasmen an („Frl. V., stricken Sie"; „Frl. V., kommen Sie in den Garten"),
nur ihr die Kombination von Gehörs- und Körperhalluzinationen. Die Hysterie
hat eine Vorliebe für Visionen.
Die körperlichen „Stigmata" der Hysterie sind bei der Schizophrenie
verhältnismäßig selten. Hemianästhesie habe ich nur einige wenige Male gesehen,
allerdings auch nicht oft gesucht. Viel häufiger ist wohl Eeflexlosigkeit des
Gaumens bis zu voUer Unempfindhchkeit von Schlund, Kehlkopf und Trachea.
Die Analgesie ist, wenn vorhanden, meist konsequenter als bei der Hysterie:
1) Es scheint, daß Träume, deren Deutung vom Patienten ohne weiteres gegeben
werden kann, oder solche, die Wünsche trotz deren Verdrängung direkt ausdrucken und
mit Selbstverständlichkeit erzählt werden, differentialdiagnostisch zugunsten der Dementia
praecox verwertet werden können.
DifFereutialdiagnose. Degeneratives Irresein.
265
die Kranken verletzen sicli absichtlich und unabsichtlich viel häufiger als die
Hysterischen und vor allem ohne erkennbaren Grund. Einengungen des Gesichts-
feldes lassen sich bei unseren die Aufmerksamkeit wenig anstrengenden Patienten
nicht wohl diagnostisch verwerten. Typisch hysteriforme Lähmungen kommen
manchmal vor; weit seltener, so viel ich weiß, Kontrakturen.
Man hat auch die Art des beiden Krankheiten gemeinsamen Vorbeiredens
zm Differenzialdiagnose benutzen wollen, und ich glaube, daß ein Geübter in
den meisten Fällen hysterischen Vorbeiredens das Systematische spürt, das mit
Konsequenz gerade die richtige Antwort vermeidet; während der Hebephrene
teils aus Denkfaulheit die erste beste Antwort gibt, unbekümmert darum, ob
sie richtig sei oder nicht; oder dann aus Negativismus sich dem Hysterischen
nähert, aber diesen Negativismus außerdem in der ganzen Art seines Benehmens
erkennen läßt. Nur darf nicht vergessen werden, daß der typische Gans er sehe
Symptomenkomplex auch auf schizophrener Basis vorkommt. — Man hat auch
darin einen Unterschied finden wollen, daß nur bei der Schizophrenie die Vorbei-
Antworten bHtzartig erfolgen; es hat sich aber gezeigt, daß das nicht der Fall
ist. (Westphal in Stransky: Blödsinnsformen.)
Von nem-asthenischen Symptomen ist bei der Schizophrenie die häufig,
aber nicht immer angegebene Ermüdung meist mehr subjektiv als objektiv.
Die Beobachtung ergibt selten deuthche Ermüdungserscheinungen. Die Kranken
haben Mühe, zu denken, und schreiben das der Ermüdung zu. Dann wird Er-
müdung oft vorgeschützt, während in Wirklichkeit nur Interesselosigkeit besteht.
Masseion empfiehlt deshalb, die Kranken kleine Arbeiten machen zu lassen.
Erlahmt das Interesse abnorm früh, so handelt es sich meist um Schizophrenie;
bei eigentHcher Ermüdung aber ist Neurasthenie anzunehmen. Das Kopfweh
imd die Eeizbarkeit gehören beiden Krankheiten an.
Die Neurasthenie geht meist mit Störungen des Schlafes einher, während
viele Schizophrene sich außerhalb der akuten und halluzinatorischen Zustände
eines normalen Schlafes erfreuen.
t) Unmöglich ist eine scharfe Unterscheidung der Schizophrenie von dem
degenerativen Irresein mancher Autoren. Unmöglich zimächst deswegen,
weil der letztere Begriff viele unserer Schizophrenien umfaßt.
Die Verschiedenheit der Auffassimg selbst beruht aber auf einer zur-
zeit überhaupt nicht lösbaren Schwierigkeit: es gibt gar keine Symptome, die
nur bei Degenerativen vorkommen. Boenheffers pathologischer Einfall z B ist
em bei der Schizophrenie sehr häufiges Vorkommnis ; ich will zwar gern amiehmen
daß er auch außerhalb der Schizophrenie auftrete, aber bewiesen ist das noch
nicht. Das gleiche ist von Birnbaums degenerativen Wahnideen zu sagen
die bis m ihre letzte Nuance schizophren sein könnten^). Auf Seite der Dementia
praecox besteht die Schwierigkeit darin, daß ihre eigentHch spezifischen Sym-
ptome, die pnmären, m den in Betracht kommenden leichteren Fällen selten
nachzuweisen sind, und daß die sekundären nur durch ihre hohe Entwicklimg
SchizopLenir" """^ ''^^"'^^'^^ ^'^^^'^ Symptome bei der
266
Schizophrenie.
auf die Dementia praecox hindeuten. Gegenüber anderen Psychosen kommen
wir mit diesen Unterscheidungsmittehi sehr gut durch, nicht aber gegenüber
der Degeneration, weil noch kein Mensch weiß, wie weit die Karikierung der
psychischen Vorgänge auch ohne schizophrene Veränderung gehen kann. Ja
wenn, wie einzelne wollen, die Schizophrenie nur eine funktionelle Krankheit
wäre, wäre sie überhaupt nur ein Syndrom bei Degenerativen.
Jeder Diagnostiker kann also latent Schizophrene so lange als Degenerierte
auffassen, als die Symptome nicht so ausgesprochen sind, wie sie nach seiner
Erfahrung nur bei Schizophrenen vorkommen. Die Schizophrenie läßt sich aber
nie sicher ausschließen. Die Sachlage ist also von der bei den Neurosen nur
graduell verschieden.
/•) Ob die bei Morbus Basedowii beschriebenen Psychosen der Schizo-
phrenie angehören oder nicht, muß ich offen lassen. Bei den meisten Fällen der
Literatur sowie bei zweien meiner Beobachtung fiel namentüch das stärkere
Hervortreten affektiver Symptome auf; die Kranken waren andauernd deutlich
traurig oder gehoben.
l) Die Abgrenzung der Schizophrenie gegen Simulation ist insofern nicht
ganz leicht, als es zwischen bewußten und unbewußten Symptomen hier wie bei
der Hysterie keine Grenze gibt. Der Negativismus, die Gleichgültigkeit veran-
lassen die Kranken zu falschen Antworten, die gewollt oder ungewollt oder beides
sein können. Ein Kjranker kann simulieren wollen xmd doch schizophren sein.
Wir hatten hier einen Paranoiden, der glaubte, alles was wir und seine Verwandten
täten, sei nur, um ihm ein Mätzchen vorzumachen. Um, nun in eine wirkliche
Irrenanstalt zu kommen und dort als gesimd erkannt zu werden, simulierte er
andauernd Geisteskranldieit. Da wo keine Geisteskrankheit vorHegt, wird die
genaue Beobachtung des Benehmens, der Mangel an Sperrungen, die nicht imter-
drückbare Emotivität neben den allgemeinen Verstößen gegen das wirkliche Bild
einer Geisteskrankheit die Simulation offenbaren. Sollte Katalepsie vorgetäuscht
werden, können die eintretenden Ermüdungserscheinungen leicht zur Diagnose
helfen.
VIL Abschnitt.
Die Vorhersage^).
Da die Schizophrenie in jedem Stadium still stehen und zu jeder Zeit Fort-
schritte machen oder akute Syndrome zeitigen kann, ist es unmöglich, eine be-
stimmte Spezialprognose zu stellen. Besserungen auch chronischer Zustände
sind theoretisch immer möglich; zu erwarten sind sie insofern, als auch chronische
Aufregungen mit der Zeit gelinder werden; damit ist aber häufig eine Zunahme
der Verblödung verbunden. Sonst sind wesenthche Besserungen chronischer
Zustände selten, also nicht in Berechnung zu ziehen. Akute Zustände gehen
natürUch vorüber, setzen aber oft das geistige Niveau beträchtHch herunter.
Von Regeln, die uns erlauben würden, im einzelnen Falle mit einiger Sicher-
heit den spätem Grad der Verblödung zu bestimmen, kennen wir nur die folgenden,
auf relativ wenige Fälle anwendbaren:
Chronische katatone Symptome lassen, wenn sie ausgesprochen
sind und bei voller Besonnenheit zutage treten, eine definitive
schwere Verblödung erwarten. In Fällen, welche eine oder mehrere
gute Remissionen hatten, ist stärkere Verblödung selten. Eine
Ausnahme von letzterer Regel machen die ganz akuten Syndrome
mit periodischen Wiederholungen; diese gehen schließlich meist
in sehr starke Verblödung aus.
Die Fälle von Benommenheit meiner Beobachtung sind alle recht schlimm
verlaufen.
Die geringen Unterschiede in der Prognose der einzelnen Untergruppen
sind im Abschnitt über „Verlauf" angeführt.
Heredität im bisherigen weiten Sinne, Alter, Geschlecht, Intelligenz 2),
Zahl der Degenerationszeichen, Kräftezustand, die einzehien Formen der Krank-
heit, die einzehien Symptome und ihre verschiedenen Gruppierungen haben
so geringen Zusammenhang mit der Strecke, die die Krankheit in der Richtung
der Verblödung durchlaufen wird, daß alle diese Dinge bei der PrognosesteUung
M Zablocka, Bleuler (73), Räoke (591).
2) Irnmerliin werden Imbezille durch Kombination mit einer „Pfropfhebephrenie"
leichter sozial unmögUch als Vollsinnige. In der Pflegeanstalt Rheinau sind mindestens
ein l<unftel aller Schizophrenen erhebhch imbezill.
268
Schizophrenie.
kaum 111 Betracht gezogen werden können. Statt der Streckenprognose müssen
wir uns deshalb mit der Streckendiagnose begnügen; d. h. wir haben zu be-
stimmen, wie weit die „unheilbare" Verblödung bereits vorgeschritten ist, und
wie vieles von den aktuellen Symptomen sich noch zurückbilden kann. Damit
bestimmen wir ein Minimum der Verblödung. Ein besserndes Zurückgehen
unter dasselbe ist nicht mehr zu erwarten. Zunahme der Verblödung ist aber nie
auszuschließen.
Zur Beurteilung der Rückbildungsfähigkeit ist zunächst im Auge zu be-
halten, daß das gleiche Symptom eine schlimmere Bedeutung hat,
wenn es Teilerscheinung eines chronischen Zustandes ist, wenn
es selber einen chronischen Verlauf hat, und wenn es bei Besonnen-
heit vorkommt.
Die drei Bestimmungen decken sich nicht ganz. In einem chronischen Zustande
können zwischendurch mal einzelne oder mehrere Symptome akut auftreten und
wieder verschwinden; während eines akuten Zustandes können Symptome aus
früherer Zeit bestehen bleiben oder in ganz schleichender Weise erst auftreten. Am
schwierigsten ist das zu definieren, was ich aus Mangel an einem passenden Wort
mit Kraepelin „Besonnenheit" nenne. Dämmerige, VerAvirrte, Manische, Melan-
cholische sind natürlich nicht „besonnen". Chronische Halluzinanten aber, auch
wenn sie dauernd aufgeregt sind, unterscheiden sich von solchen Kranken ganz
wesentlich, indem sie in bestimmten Beziehungen einen normalen Kontakt mit der
Umgebung haben und zusammenhängende Erfahrungsreihen richtig auffassen und
verwerten. Es ist bei ihnen nur ein Teil der PersönHchkeit nicht besonnen, bei den
anderen die ganze. Ein autistisch-negativistischer Patient mag mit der Umgebung
viele Jahre lang nur insofern verkehren, als er das angebotene Essen, die Kleider
u. dgl. annimmt, er kann dabei ganz mutistisch sein; sein Bild über die Außenwelt
ist aber nur insoweit gefälscht, als seine Wahnideen mitsprechen; ebenso sein Ge-
dankengang, der außer den Komplexbeziehungen nur durch die allgemeine schizo-
phrene Assoziationsstörung da und dort unrichtig, aber nicht systematisch verfälscht
wird. Ein Sprachverwirrter kann sich auf der Abteilung normal bewegen und über-
haupt zeigen, daß er in der ganzen Situation orientiert ist. Nur wenn die ganze
Persönlichkeit oder doch der ganz überwiegende Teil derselben affektiv oder intel-
lektuell in den krankhaften Zustand einbezogen wird, ist der Kranke nicht besonnen
in diesem Sinne. Vorübergehend kann ferner bei sonst klaren Patienten die Besonnen-
heit verloren gehen durch starke Erregimgen, seien sie von außen oder von innen be-
dingt, durch Alkoholgenuß und ähnliches.
Die geringste Tendenz zur Rückbildung haben die schizo-
phrenen Kardinalsymptome, und von diesen wieder die Assoziations-
störungen, während der Autismus noch am häufigsten überwunden wird. Um-
gekehrt sind die manischen und melancholischen Affektwellen
ihrer Natur nach fast immer vorübergehende Erscheinungen. Hallu-
zinationen und Wahnideen haben während eines akuten Zustandes mit
vollständigem Fehlen der Besonnenheit gar keine schlimme Bedeutmig. Daß
der ausgesprochen schizophrene Charakter derselben im Sinne einer schhmmeren
Prognose verwertet werden könnte, ist möglich, aber iioch nicht nachgewiesen.
Chronisch bestehende Wahnideen und Halluzinationen dagegen bedingen sehr
schlimme Aussichten; doch keine absolut schlechten. Patienten, die bei voller
Besonnenheit einige Jahre lang halluzinieren und dann doch frei von dem Sym-
ptom und erwerbsfähig werden, sieht man nicht allzu selten.
Vorhersage.
269
Von den katatonen Symptomen ist bei akuten Zuständen die Flexibilitas
cerea gar nicht ominös; verdächtiger sind sinnlose Stereotypien. Die übrigen
katatonen Symptome stehen in der Mitte. Ceteris paribus bedeuten die katatonen
Symptome immer eine Verschlechterung der Prognose. Fehlen sie und sind die
schizophrenen Grundsymptome so leicht, daß sie übersehen werden, so ist die
Prognose des Anfalles eine recht gute^).
Die Prognose der akuten Zustände verlangt nur die Anwendung
des eben Ausgeführten. Das was akut ist, geht vorüber. Daher die gute
Prognose der Dämmerzustände, der Wahnsihnsfor men, vor allem
der einzelnen Affektpsychosen, solange sich ihnen wenige eigentlich
schizophrene Symptome beimischen. Ob während ihres Verlaufes oder
unmittelbar nachher die Verblödung Fortschritte machen wird, können wir nicht
sagen. Wir wissen nur, daß die Dämmerzustände imd gewisse Aufregungen nicht
einen Schub der Krankheit zu bedeuten brauchen und deshalb meist den Status
quo ante zurücklassen, während die anderen akuten Syndrome meistens Zeichen
einer mehr oder weniger deuthchen Verschlimmerung sind.
In akuten Zuständen ist der aktuelle Verblödungsgrad nicht immer leicht
zu bestimmen, weil die bleibenden Symptome gewöhnlich überdeckt werden durch
die akuten Erscheinungen. Doch wird man meist die G-emütssteifigkeit imd oft
auch die Assoziationsstörung einigermaßen schätzen können. Den Grad des
chronischen Autismus aber wird man z. B. in Dämmerzuständen gar nicht er-
mitteln können, da ja diese Zustände nichts anderes sind als Wellengipfel der auch
sonst bestehenden autistischen Tendenzen. Im übrigen kommt es auf das
Verhältnis zwischen deletären Symptomen und Besonnenheit an:
je weniger und je leichtere deletäre Symptome einerseits, und je
schwerer die Störung der Besonnenheit anderseits, um so günstiger
der durchschnittliche Ausgang. Eine Häufung katatoner S}Tnptome
oder der verwirrtesten Eeden ist noch nicht so ungünstig, so lange der Patient
auf keinem Gebiete Besonnenheit zeigt. Leichte katatone Symptome, leichte Ver-
wirrtheit, einzehie impulsive Handlungen bei sonst normaler Relation zur Um-
gebung haben aber schlechte Bedeutung.
In negativer Richtung kann die Anamnese sehr wichtige Fingerzeige
geben. Man kann ja ziemlich darauf rechnen, daß der Kranke nach dem akuten
Anfall nicht besser sein wird als vor demselben; meist wird er nachher blöder
oder „verrückter" erscheinen. Schlimmer Dauerzustand vor dem Anfall schüeßt
also einen guten Ausgang mit ziemhcher Sicherheit aus.
Klingen die anderen Symptome ab, ohne daß die schizophrenen sich gleich-
zeitig bessern, so ist das natürlich von böser Vorbedeutung. Ebenso wenn der
Verlust der geistigen Regsamkeit in den Vordergrund tritt, und wenn katatone
Zeichen wie der Negativismus schwinden obie Besserung der gemütlichen An-
sprechbarkeit.
Ein schlimmes Zeichen ist es auch, wenn in einem Zustand, der schon den
ungehemmten Verkehr mit anständigen Leuten erwarten Heße, das Taktt^efühl
,, heilt
Dahor rli,. Häufigkeit der akuten Paranoia und Amentia der Autoren, Avelche
270
Schizopliienie.
noch fehlt. Unsauberkeit, plötzhches Sicligehenlassen bei Patienten aas guter
b-esellschaft oder gar Zoten bei einer früher anständigen Frau sind sichere In-
dizien einer weitgehenden Alteration. Dokumentiert sich das Ende des akuten
Schubes durch Erhöhung des Körpergewichtes, so muß dieser in den günstigen
Fällen die psychische Bessenmg einigermaßen parallel laufen.
Bei den chronischen Zuständen ist die Diagnose des Verblödungs-
zustandes einfacher, weil dieser nicht durch zufällige Symptome verdeckt wird.
Immerhin kann man leicht das bewußte Sichabschheßen eines Kranken von
der Umgebung mit Interesselosigkeit verwechselni) ; feindsehge Haltung in-
folge von Wahnideen täuscht oft eine aUgemeine falsche Auffassung der Um-
gebimg vor.
Am sichersten scheint mir eine Besserung ausgeschlossen, wenn verblödete
Kranke einige Jahre lang ganz gleichmäßig sind, kerne akuten Symptome zeigen
und auf "Wechsel in Behandlung und Umgebung nicht reagieren.
Solange die Zustände sich ändern, sind weitgehende Besserungen nicht aus-
zuschHeßen. Als Zustandsänderung ist es aber nicht aufzufassen, wenn ein
periodischer Patient in eine andere Phase kommt.
Eeiner Größenwahn auf einem leicht kontrollierbaren Gebiete (Macht,
Liebe, Eeichtum) ist natürlich meist ein Zeichen stärkeren Abschlusses von
der Umgebung; der Wahn darf aber nicht unter allen Umständen als böses
Omen angesehen werden, besonders nicht, wenn er sich auf der Logik nicht
oder nur teilweise zugängliche Komplexe richtet (EeHgion, Pohtik, Philo-
sophie usw.).
Das Auftreten unmotivierter kurzer Verstimmungen imd Erregungen,
seien sie regelmäßig oder nicht, scheint eine scUimme Bedeutung zu haben.
Junge Leute, die chronisch untätig und trieblos herumstehen, ganz schlechte
Innervation der Gefäße zeigen, die nicht auf Vorwürfe über ihr Verhalten ein-
gehen können und sich auch nicht darum kümmern, sind wohl alle als verloren
zu betrachten, wenn sie auch in späteren Jahren innerhalb einer Anstalt noch
zu untergeordneten Arbeiten tauglich werden können. Man erhält überhaupt
oft bei Schizophrenen, die einige Jahre nach dem Beginn zu uns gebracht werden,
den Eindruck, daß die ganz schleichend beginnenden Fälle besonders ungünstig
seien. Wenn man aber die leichten Späterkrankungen, die ein zufälliges Trauma
(Alkohol, ein Chock) in die Anstalt gebracht hat, oder die man in der Sprech-
stunde sieht, auf ihre Vergangenheit untersucht, so findet man darunter so viele
Fälle mit unmerkhchem Beginn, daß man zur Überzeugung kommt, auch diese
Verlaufsweise könne nicht regelmäßig deletär sein.
Der Verblödungszuwachs, den ein AnfaU bringen wird, läßt sich mit einer
gewissen Wahrscheinhchkeit voraussagen, wenn ähnhche Anfälle schon früher
vorgekommen sind. Die späteren Anfälle verhalten sich dann oft auch in dieser
^) Verlust der geistigen Regsamkeit und gemütliche Stumpfheit ist natürüch kein
einheitHches Symptom. Das mag der Grund sein, daß dann und wann Fälle, die man wegen
dieser Erscheinungen aufgegeben hatte, doch noch weitgehend bessern. Ich kenne eine
Kranke, die jahrelang in der Heilanstalt interesselos herumsaß, sich nur selten zu einfachen
Dienstleistungen verwenden Heß, später in einer Pflegeanstalt unter erotischer Übertragung
auf die Ärzte zuerst in alberner Weise munter wurde, dann zu arbeiten anfing und nach
ihrer Entlassung ein Modewarengeschäft gründete und mit Erfolg leitete.
Vorhersage.
271
Beziehung wie die früheren. In der Pflegeanstalt finden sich verhältnismäßig
wenige Kranke, die eine oder gar mehrere weitgehende Remissionen hatten;
am ehesten solche vom periodisch-manischen Typus.
Über das Tempo der Verblödung läßt sich nur sagen, daß auch in den
chronischen Fällen zwar Schübe vorkommen, daß aber oft eine gewisse Gleich-
förmigkeit des Tempos bis zum Stillstand bestehen bleibt.
Man hat das Bedürfnis gehabt, Fristen anzugeben, jenseits deren eine
Bessermig nicht mehr erhofft werden kann; bei Anlaß der Ehescheidung nennen
verschiedene Gesetzbücher drei Jahre als diejenige Zeit, nach der ein schlimm
ausgehender Fall praktisch als unheilbar betrachtet werden kann. Besserungen,
die als Heilungen angesehen werden können, sind aber auch nach mehreren
Jahrzehnten nicht auszuschließen. Doch ist das selten, und mit Ehescheidimgs-
gutachten habe ich in der Schweiz, wo doch die Scheidung wegen Geisteskrankheit
etwas sehr Häufiges ist, bis jetzt nie etwas Schlimmes erlebt, wenn ich auch in
jedem FaUe bei der Unheilbarerklärung ein recht imangenehmes Gefühl habe.
Schuele (675 a und 679) macht darauf aufmerksam, daß die körperlichen
Symptome, zu denen er allerdings die motorischen in ziemlich großem Umfange
rechnet, ein Index für die Tiefe der zerebralen Störung seien. Vielleicht ist namentlich
mit Bezug auf die vasomotorischen Anomalien^) etwas Richtiges an dieser Auf-
fassung. Doch gibt es sicher Fälle, die mit eigentlichen körperlichen Symptomen
hohen Grades einhergehen und doch gut verlaufen.
Moravcsick meint, daß unerwartete psychische Klärungen Remissionen
wahrscheinlich machen. — Salerni berichtet, daß die Fälle, in denen bei Amenor-
rhoe doch die menstruellen Schwankungen in Puls, Temperatur und Atmung zu
erkennen seien, Remissionen erwarten lassen. — Schuele hält stark Onanierende
für besonders gefährdet. Ich habe aber Fälle mit ziemlich kontinuierlicher Mastur-
bation weitgehend bessern sehen. — Bruce und andere haben die hämatologi-
schen Befunde zur Prognostik verwerten wollen; unsere Kenntnisse erlauben
uns noch nicht so weit zu gehen.
Kraepelin (Diskuss. zu 73) hat bemerkt, daß die Fälle mit Sprachverwirrtheit
sich oft nicht weiter entwickeln. Ich kann nur sagen, daß es auch von dieser Regel
nicht seltene Ausnahmen gibt.
Die Neigung zu Rezidiven abzuschätzen haben wir noch gar keine
Anhaltspunkte. Stransky hält die Kranken etwa fünf Jahre nach Ablauf
des ersten Anfalles für ziemlich gesichert. Eine solche Zeitbestimmung kann
natüi-lich nur für diejenigen Fälle, bei denen man einen akuten Beginn supponiert,
benutzt werden. Es gibt aber auch dann noch zu viel Ausnahmen, als daß
man die Regel überhaupt gelten lassen könnte. Man gibt wohl unser n
jetzigen Kenntnissen den richtigsten Ausdruck, wenn man sagt,
daß neue Schübe um so seltener vorkommen, je länger ein Still-
stand gedauert hat. Eme gewisse Gefahr für Rezidive bietet bei Frauen
das Khmakterium, ferner Gravidität und Wochenbett. Fälle mit regelmäßiger
Periodizität gestatten natürlich eine ziemlich bestimmte Voraussage neuer
Anfälle.
Eine emigermaßen sichere PrognosesteUung über den Verlauf des einzehien
^^^"^ ^^^^ natürlich so wenig möglich sein, als bei den meisten anderen
^) Vgl. auch Weber (797).
272
Schizophrenie.
Krankheiten. Wie eine Liingentuberlculose, ein Grelenksrlieumatismus verläuft,
wie viele Rezidive eintreten werden, wann solche kommen usw., alles das wird
wohl nie vorauszubestimmen sein. Bei der Schizophrenie kommt noch
hinzu, daß der Verlauf des praktisch allein maßgebenden äußeren
Krankheitsbildes in vielen Beziehungen gar nicht vom Verlauf
des Krankheitsprozesses abhängt. Wir haben es ja fast ausschließ-
lich mit sekundären Symptomen zu tun, die unter zufälligen psychi-
schen Einflüssen sich innerhalb maximaler Grenzen bessern oder
verschlimmern können. Solche Einflüsse wären nur dann vorauszusehen,
wenn man es in der Gewalt hätte, sie selber herbeizuführen oder zu vermeiden.
VIII. Abschnitt.
Häufigkeit und Verbreitung.
Die Dementia praecox ist, abgesehen von der Gesamtgruppe der Idiotien,
die häufigste Geisteslo-ankheit.
Albrecht fand vmter 693 Geisteskranken 29%, Wolfsohn unter 2215 Auf-
nahmen des Burghölzü 30o/o (23°/o bei den Männern und 39»/o bei den Frauen).
In den letzten Jahren ist bei ein wenig veränderten Verhältnissen (Bezug neuer
Bauten in der Pflegeanstalt) der Anteil der Schizophrenen noch um einige Prozent
gestiegen. Die absolute Zahl der aufgenommenen männhchen Schizophrenen
verhält sich zu der weiblichen wie 47:53; der große Geschlechtsunterschied
im Verhältnis zu den anderen Psychosen rührt also nicht sowohl von einem Minus
der Schizophrenen als vom Plus der Paralytiker und Alkohohker bei den
Männern her.
Da die Schizophrenen zu einem ziemlich großen Teil imheilbar sind, früh
erkranken und spät sterben, überwiegen sie im Bestand der Irrenanstalten noch
viel mehr als imter den Aufnahmen; sie machen in unserer Heilanstalt 71% der
Männer und 79% der Frauen = 75o/o aller Kranken aus. In der Pflegeanstalt
wird der Prozentsatz durch die Idioten auf 50°/ü herabgedrückt.
So ist die soziale Bedeutung der Krankheit eine ganz enorme; sie fällt
allerdings weniger in die Augen als die der Paralyse, weil sie die meisten Kranken
trifft, bevor sie sich eine Lebensstellung geschaffen haben. Ein Schizophrene,
der vom Jünglingsalter bis zum Tode versorgt bleiben muß, verzehrt oft das
ganze Vermögen seiner Familie. In noch unheilvollerem Licht erscheint die
Krankheit, wenn man sich überlegt, daß eine große Menge von nicht als geistes-
krank geltenden Psychopathen, die die Familien und die Gesellschaft in Atem
halten, und von Neuropathen, die die Ärzte beschäftigen, ohne Heilung zu finden,
latente Schizophrene sind. Ich habe Grimd zu der Annahme, daß diese uner-
kannten Schizophrenen noch viel zahlreicher sind als die ausgesprochen Geistes-
ki-anken.
Unterschiede in der Erkrankvuigsfähigkeit der verschiedenen Kassen
kennen wir noch nicht, wenn auch natürlich diejenigen mit migehinderter Aus-
lese viel weniger zahlreiche Geistesla-anke haben. Bei Malaien (Kraepelin),
Japanern (Miyake), Zentralasiaten (Urstein) findet sich die Schizophrenie
als vorwiegende Psychose wie bei uns.
Hnndbtioh der Psychiatrie: Bleuler.
74
Schizophrenie.
Inwiefern Raase und iiuliore Verliiiltnisae die Form der Krankheit beein-
flussen, weiß man noch nicht. Wenn unsere Auffassung der Genese der Symptome
richtig ist, müssen sich in diesen Beziehungen Unterschiede auffinden lassen. Ziehen
ist es aufgefallen, daß seine Dementia hebephrenica in HoUaJid viel häufiger vor-
komme als in Thüringen. Kraepelin hat (nach mündlicher Mitteilung) bei den
Malaien ausgesprochen katatonische Formen seltener, die faselige Verblödung häufiger
als bei uns gefunden. Sicher ist ferner, daß sich Rasseneigentümlichkeiten durch
die Krankheit hindurch geltend machen. Engländer sind ruhiger als Iren, Ober-
bayern gewalttätiger als Sachsen; ja es ist leicht einen Unterschied zu konstatieren
zwischen Bernern und Zürchern, die so nahe verwandt sind.
IX. Abschnitt.
Die Ursachen.
A. Die Pathologie der Schizophrenie gibt uns keine Anhaltspimkte, wo
wir die Ursachen der Kranldieit suchen sollen. Die direkte Forschung nach
spezifischen Kausahnomenten hat uns ebenfaUs im Stiche gelassen. Allerdings
wissen wir, daß „Geisteskrankheiten" in den Familien der Schizophrenen häufiger
sind als in denen von Gesunden; wir sehen auch oft von einer zahkeichen Famihe
die Mehrzahl der Mitglieder erkranken. Wenn aber ein „Infektionist" sagen
will, es gebe bei der Schizophrenie keine Heredität, sondern nur Infektion an
gemeinsamer Quelle, oder wenn jemand annehmen mag, die Gemeinsamkeit
psychischer oder physischer Erlebnisse verursache bei Zusammenlebenden
solche Krankheitsanhäufungen, so können wir ihm keinen Gegenbeweis liefern.
Solche Zweifler mögen anführen, daß sich in vielen Fällen bei ganz genauer
Nachforschimg keine hereditäre Anlage imd keine individuelle Disposition (wie
verschlossener Charakter) nachweisen läßt.
Und doch wird die Heredität eine Eolle in der Ätiologie der Schizophrenie
spielen. Aber wie groß und welcher Art ihr Einfluß ist, das kann noch nicht
gesagt werden. Um weiter zu kommen, müßten wir zuerst einen brauchbaren
Hereditätsbegriff haben; wir sollten wissen, welche Kjankheiten, speziell welche
Psychosen in der Familie Zusammenhang mit der Schizophrenie eines ihrer
GUeder haben, und welche Verwandtschaftsgrade dabei in Betracht kommen.
Zur Zeit ist der einzig gangbare Weg zur Lösung dieser Fragen der statistische;
es fehlt aber an den ersten Versuchen zu einer solchen Statistik :
Wir ^vissen bis jetzt, daß sich die Gesamtbelastung der Schizophrenen
von der der Gesunden etwas imterscheidet"). Von den Schizophrenen sind 90%
belastet^) gegenüber GT^/o bei Nichtgeisteskranken und 65°/o bei Gesunden^).
^) Die sehr interessanten Publikationen Vorsters und Siolis können als stati-
stische Vorarbeiten natürlich nicht in Betracht kommen.
Die Angaben beziehen sich immer auf Eltern und deren Geschwister, Großeltern
und Geschwister der Kranken. — Die Zahlen für die Schizophreiüe sind der Arbeit Wolf-
sohns entnommen, zum Teil allerdings in für unsere Bedürfnisse umgerechneter Form.
') Mit Geistes- oder Nervenkrankheiten, abnormen geistigen Anlagen, Trunksucht
der Eltern.
,, Gesunde" sind bei Diom die Nichtgeisteskranken abzüglich die Nervösen oder
Psychopathen unter ihnen.
18*
^"^^ Schizophrenie.
Zu enormen Unterschieden kommt man aber, wenn man nur die mit Geistes-
krankheiten Belasteten berücksichtigt: in 65«/„ der Familien von Schizophrenen
laßt sich Geisteskrankheit finden, während Die m die Belastung durch Geistes-
krankheit bei Nichtgeistesla-anken auf 7" P/o wertet. Leider lassen sich indes
die Zahlen nicht streng miteinander vergleichen: Diem hat bei Belastung durch
mehrere Familienglieder nur denjenigen Faktor in seine Berechnung gebracht
dessen Träger am nächsten mit der Testperson verwandt war. Da aber die Psy-
chosen von allen seinen Erblichkeitsfaktoren nicht einmal den sechsten Teil
ausmachen, mid da bei den Geisteskranken die Belastung durch die Eltern die
numerisch wichtigste ist, so kann der Vergleichsfehler nicht sehr in Betracht
kommen. Die Belastung durch Geisteskrankheiten ist also sicher
bei den Schizophrenen um ein Vielfaches so groß wie bei den Ge-
sunden.
Noch schwieriger lassen die Zahlen von Diem imd Wolf söhn einen Ver-
gleich zu in bezug auf die Bedeutung der belastenden Verwandtschaftsgrade.
Ich kann nur sagen, daß unsere Schizophrenen (im Burghölzli) in 357o
durch Geisteskrankheit der Eltern und Großeltern (oder beider) belastet smd^),
während nach Diem bei den Eltern Nichtgeisteskranker in 2-2Vo imd bei denen
der Gesunden in I-Q^/q Geisteskrankheiten vorkamen, und die entsprechenden
Zahlen der indirekten und atavistischen psychotischen Belastung bei den Nicht-
geisteskranken 4 und bei den Gesunden 4-3 betrugen.
Per exclusionem ist nun diese hohe Belastung durch Geisteskrankheiten
als eine schizophrene, also gleichartige anzusprechen. Wir wissen ja, daß die
organischen Geisteskrankheiten hier nicht sehr in Betracht kommen, imd daß
das manisch-depressive Irresein nicht so häufig ist, daß es diese Zahlen stark
beeinflussen könnte.
Für die Belastung durch andere Faktoren fallen die Unterschiede in der
Zählart bei Diem und Wolfs oh n wohl mehr ins Gewicht; Die ms Zahlen
müssen für uns zu klein sein.
Wolf söhn findet bei der Schizophrenie eine neurotische Belastung von
297o5 wovon gerade die Hälfte mit Geisteskrankheit kombiniert ist. Wenn nun
Diem eine neurotische Belastung von 8'2°/o bei seinen Nichtgeisteskranken
und von 7°/o bei den Gesunden findet, so ist es trotz der veränderten Bedeutung
der Zahlen sicher, daß die Belastung durch Neurosen bei unseren Kranken um ein
Bedeutendes größer ist als bei Gesunden.
Ob sich diese neurotische Belastung mit Sicherheit für das Bestehen einer
ungleichartigen Heredität, d. h. für eine Famihendisposition, die sich sowohl
als Neurose wie als Schizophrenie äußern kann, ins Feld führen läßt, ist nicht
sicher. Es ist ja wahrscheinlich, daß ein großer Teil dieser als Nerven-
krankheiten taxierten Anomalien latente Schizophrenien waren.
Alkoholismus der Eltern (die anderen Verwandtschaftsgrade sind von
Wolf söhn beim Alkoholismus nicht berücksichtigt) finden wir in 2Q°/o, wovon
etwas über zwei Drittel sich mit anderen Belastungsmomenten (bei allen FamiUen-
ghedern) kombinieren. Die Nichtgeisteskranken und Gesunden Die ms waren
durch Alkohohsmus der Eltern in 12 respektive lOo/p aller Fälle belastet. Da es
Nach Kraepelin (388, S. 270) nur 18-197«.
Ursachen.
277
sich hier nur um die Eltern handelt, sind die Zahlen vergleichbar Gewöhnhch
ist der Vater der Potator, und Diem hat bei kumulierter Heredität der des
Vaters den Vorzug vor der der Mutter gegeben; so sind Diems Zahlen sicher
nicht viel zu klein^). AlkohoUsmus der Eltern ist also bei der Schizophrenie
häufiger vorhanden als bei Gesunden^). Ist er aber Symptom der schizophrenen
Famiüenanlage oder Ursache der Schizophrenie des Nachkommen?
Abnorme Charaktere fanden sich in der Verwandtschaft Schizophrener
in 22% der Fälle, davon in 7% als alleiniger Belastungsfaktor, bei Die ms
Nichtgeisteskranken und Gesunden aber in 10-4 respektive lOlVo- Auch ab-
norme Charaktere können latente Schizophrenien sein,
Apoplexie und Dementia senilis kann keine Bedeutung als Zeichen
einer schizophrenen Belastimg haben, da diese AnomaUen bei allen Geistes-
ki-ankheiten zusammen in geringerer Zahl vorhanden sind als bei Gesunden,
und die Schizophrenie einen bedeutenden Teil aller Geisteskrankheiten ausmacht.
Die hereditäre Disposition spielt also sicher eine wichtige Rolle unter den
Ursachen der Schizophrenie. Worin aber diese Disposition bestehe, und wie sie
sich sonst äußern könne, wissen wir nicht; sie scheint für die Schizophrenie
spezifisch zu sein.
Gibt es nun Schizophrenie ohne hereditäre Anlage? Wahr-
scheinlich. Jedenfalls kann man in etwa 107o der Fälle, trotz anscheinend ge-
nauer Kenntnis der Famihengeschichte bis in das dritte GHed oder auch weiter
keine Anlage nachweisen. Hinzu kommt, daß natürUch ein beträchtlicher Teil
der als „belastet " geführten Kranken gar nicht durch die schizophrene Dis-
position belastet sind.
Man hat namentlich in Frankreich die Geisteskrankheiten und damit die Schizo-
phrenie auch mit anderen Familiendispositionen wie der rheumatischen
und der skrofulösen in Zusammenhang gebracht. Es wird hier genügen, darauf
aufmerksam zu machen, daß solche Anschauungen zurzeit ganz in der Luft stehen.
Lomer (S. 390) nimmt als möglich an, daß bei größerer spezifisch-psychopathischer
Vererbungskraft des Vaters vorwiegend der katatonische, bei der der Mutter vor-
wiegend der hebephrene Symptomenkomplex sich herausbilde. Nach ihm (S. 389)
disponiert auch Kombination von Geisteskrankheit und Alkoholismus der Eltern
zu Katatonie (vgl. oben Fuhrmann), Geisteskrankheit plus Neurasthenie zu Hebe-
phrenie. Über die Größe der spezifisch psychopathischen Vererbungskraft habe ich
kein Urteü. Dagegen haben unsere Beobachtungen ergeben, daß die Heredität
nach den jetzigen Prinzipien keine erkennbare Beziehung zu der Erscheinungsform
der Krankheit hat.
Auffallend ist, daß Mag na n bei seinem Delire chronique, das wir der Schizo-
phrenie zuzählen müssen, keine Degenereszenz gefunden hat, ein Begriff, der bei ihm
nicht von der psychotischen Heredität zu trennen ist.
Vielleicht gibt es auch eine Disposition, die dem Entstehen der Schizophrenie
ungünstig ist. Nach gewissen Zusammenstellungen kommen „Nervenkrankheiten"
in den schizophrenen Familien seltener vor als bei den Angehörigen Gesunder (Koller:
1) Bertschinger (S. 270) findet in 249 Fällen Alkoholisraus der Verwandten über-
haupt bei 151 Patienten, von denen 25 außerdem durch Geisteskrankheit belastet sind.
2) Fuhrmann (S. 817) meint, Alkoholismus der Erzeuger verursache bei den
Nachkommen Störungen, die den Alkoholpsychosen ähnUch seien, aber nachher rasch zu
Verblödung führen.
278
Schizophrenie.
dfe\t«Sf-!'^ir? i''''';^'!.- ^^S^"^" ^'ervenkrankheiten und
die btatistik selbst so schwankend ist, tut man aber wohl £?ut in «nlr-T^av. 4 ^
die höchste Vorsicht walten zu lassen. ' ^ ' '^^'^'"^ Annahmen
5. Das jugendliche Altert) hat eine besondere Disposition zu der Er-
kiankung. Kraepehn macht über das Erkrankungsalter von 296 Fällen folgende
Angaben-). ^
Erkrankungsalter
bis 15 Jahre
- 20 „
-25 „
- 30 „
-35 „
- 40 „
-45 „
- 50 „
- 55 „
Prozent
6
32-5
24-5
19
11
5
1-5
0-7 (?)
0-4 (?).
Wolfsohn bekam von 618 Patienten des Burghölzli folgende Zahlen:
Es erkrankten im
Alter von
Männer
Frauen
Total
Frozen
t
1 — 15 Jahren
6
3
4
15-20 „
21
16
18
20—25 „
25
20
22
25—30 .,
22
18
20
30-35 „
10
14
12
35-40 „
10
11
11
40^5 „
5
5
5
45—50 „
4
6
4
50—55 „
0
5
3
55—60 „
0
2
1
60—65
0
0
0 ,
Bei Kraepelin sind über 60% vor dem 25. Jahre erkrankt; bei uns nur
44''/o- Ich möchte aber diesen Unterschieden zimächst keine Bedeutung geben,
denn solche Zahlen sind unter anderem eine Funktion der Aufnahmsverhältnisse
und der Genauigkeit der Anamnesen. Ich führe deshalb auch keine weiteren
Untersuchungen an.
Bemerkenswert scheint mir bloß noch, daß an Wolfsohns Material die
Kurve der Männer vom Maximum im fünften Quinquennium regelmäßig absteigt,
während die der Frauen zwischen 45 und 50 Jahren einen kleinen .Anstieg zeigt,
der umso besser markiert, als auch die beiden folgenden Pentaden noch stärker
besetzt sind als bei den Männern. Es handelt sich wohl um einen Einfluß des
^) Im Kindesalter wird die Krankheit selten manifest. Doch gibt es Fälle, die man
als originäre Schizophrenie bis in die ersten Lebensjahre zurückführen muß.
^) Die Zahlen sind der Figur entnommen und deshalb nicht absolut genau.
Ursachen.
279
Klimakteriums, das sich m der weiblichen Psyche mehr geltend macht als beim
Manne der auch in diesem Alter noch nicht zu verzichten hat.
Die einzehien Ki-ankheitsgi-uppen verhalten sich ungleich mdem (nach
Kraepelin) von den einfach hebephrenen Formen 72, von den katatonen 08,
von den paranoiden nm: 40o/o vor das 25. Lebensjahr faUen
C Ob es eine individuelle Disposition gibt, ist fraghch. Unzweifelhaft
sind viele der späteren Schizophrenen schon in der Jugend „eigen zurückgezogen
aÄh. Es läßt sich aber zur- Zeit nicht entscheiden, ob dieses Verhalten
Äußerung einer Disposition oder der schleichend beginnenden Krankheit selbst ist.
Die Intelligenz ist jedenfalls nicht mit der Disposition im Zusammen-
hang Elmiger und Lugaro haben geradezu auffallend viel gute Anlagen kon-
statiert, während wir selbst wenigstens ein Überwiegen mmderwertiger Intelli-
genzen ausschheßen können.
Bertschinger ist es aufgefallen, daß unter den Kranken sehr viele
schmächtige und kleine Leute seien. Ich hatte auch schon längst den nämhchen
Eindruck; man kann sich aber bei diesen energielosen, zusammengeschobenen
Figm-en leicht täuschen, und eine wirldiche Untersuchung fehlt.
Von den äußeren Umständen scheint die Schizophrenie unabhängig
zu sein. Sie kommt bei Armut und Überfluß, in aUen Verhältnissen, geordneten
und imgeordneten, glücklichen und unglückhchen vor. Stadt und Land be-
herbergen sie in gleicher Weise (Gaupp 258). Auch in jedem Klima gibt es
Schizophrene. Über den Einfluß der Kasse vgl. &. 273.
Soukhanoff findet bei „Degenerierten" eine „Constitution ideo-obses-
sive". Mit diesem Begriffe ist wohl nichts anzufangen.
Man hat auch seit Dezennien geäußert, daß namentlich Gouvernanten
leicht schizophren werden. Man sprach geradezu von einer „Gouvernantenpsychose"
oder behauptete, daß Gouvernanten besonders schwer (und in unangenehmer Form)
erkranken. Es wird insofern etwas daran sein, als Mädchen, die über ihren Stand
hinaus wollen und doch nicht können, unter denen viele zu Schizophrenie prädis-
ponierte sein müssen, leicht Gouvernanten werden, und als die Behandlung dieser
Personen oft genug Anlaß gibt, um eine Schizophrenie zu determinieren. Immerhin
müßte erst noch festgestellt werden, ob die Gouvernanten wirkUch in größerer Zahl
erkranken als Angehörige anderer Berufe.
Von jeher ist wohl die Onanie eine der am meisten erwähnten Ursachen der
,,juvenüen Psychosen". Man will sogar bestimmte Formen imserer Krankheit damit
in Zusammenhang bringen. Es ist nun richtig, daß so ziemlich alle unserer Kranken
onanieren oder onaniert haben. Wenn n^an aber genauer zusieht, so findet man keinen
Zusammenhang mit deni Verlauf der Krankheit. Ganz exzessive Masturbanten,
die sozusagen kontinuierlich onanieren, erholen sich dennoch von ihren akuten An-
fällen oder bleiben jahrzehntelang auf der gleichen Stufe der Verblödung stehen.
Kastration hat keinen direkten Einfluß auf die Krankheit. Wir müssen also die
Masturbation, soweit sie einen Zusammenhang mit der Krankheit hat, als Symptom
derselben auffassen und nicht als Ursache. Zunächst allerdings fällt in Betracht,
daß bestehende Onanie beim Mangel der Scham viel eher zur Kenntnis des Beobachters
kommt als sonst. Dann aber begünstigt der Wegfall der Heraraungen die Onanie
direkt, und vor allem ist es der Autismus, der die Kranken zur Selbstbefriedigimg
zwingt. Nur auf sexuellem Gebiet ist es möglich, seine Wünsche autistisch einiger-
maßen zu erfüllen ; für den Kranken ist die eingebildete Geliebte mehr als eine wirk-
280
Schizophrenie.
liehe, deshalb wird der normale Verkehr verhältnismäßig so wenig gesucht^), und des-
halb bewegt sich das sexuelle Leben auch wenig vorgeschrittener Icranker' fast ganz
auf dem Gebiete onanistischer Befriedigung.
Grraviditcät uiid Wochenbett scheinen einen Zusammenhang mit der
Schizophrenie zu haben. Es gibt zu viele Frauen, die in mehreren Wochenbetten,
oder in allen, einen Schub ihrer Schizophrenie bekommen, als daß man mit
Reichardt nur Zufall annehmen dürfteä). Es ist aber sehr gut möglich, daß es
sich da um psychische Zusammenhänge handle, die die Krankheit nicht be-
dingen, sondern manifest machen.
Ebenfalls noch zu studieren ist der Zusammenhang mit Infektions-
krankheiten. Oft schließt sich die Schizophrenie an eine fieberhafte Krankheit
an, und zwar auch etwa in Fällen, die vorher gar nichts Abnormes zeigten. Es
könnte das ein Zufall sein; man sieht aber oft, wie em Fieber eine wesentHche
Besserung im Gefolge hat; wenn es somit die Psychose überhaupt beeinflußt,
so darf man auch einen Zusammenhang von Fieber und Verschhmmerung nicht
ohneweiters ablehnen. Es kann sich um physische oder psychische Einflüsse
handeln. — Es ist ferner daran zu erinnern, daß viele Fälle, die von anderen zur
Amentia gruppiert werden, unserer Schizophrenie angehören, und daß daselbst
gern ein schwächendes, körperliches Moment, und zwar gerade eine fieberhafte
Kranlcheit als Ursache angenommen wird.
Von mehreren Seiten wird jetzt auch ein Zusammenhang mit Syphilis
vermutet. Es genügt wohl zu sagen, daß diese Hypothese durch nichts ge-
stützt ist3).
Eine besondere Stellung nehmen organische Störungen des Gehirns
ein. Wir wissen, daß chronische Meningitiden, Hirngliose, Hirntraumen ähnliche
Krankheitsbilder erzeugen können wie die Schizophrenie. Hierbei ist wohl der
Zufall ausgeschlossen. Leider haben wir keine solchen Fälle nach neueren Gesichts-
punkten imtersuchen können. So müssen wir. nur die Frage stellen: Gibt es Psy-
chosen, die auf einer Hirnkrankheit beruhen, mit den gleichen Symptomen
wie die Schizophrenie? Wenn ja, welche Unterschiede zeigen sie gegenüber
den anderen Fällen von Schizophrenie? Wäre es mögHch, diese Fragen zu beant-
worten, so würde auch klar, wie man die zufälligen Komplikationen, die natürlich
vorkommen müssen, von den echten organischen Katatonien unterscheiden
könnte (Muralt, Köttgen, Crocq).
„Überanstrengung" wird auch von vorsichtigen Psychiatern sehr
häufig als Ursache einer Schizophrenie genannt. Ich habe bis jetzt noch nichts
gesehen, was für einen solchen Zusammenhang spräche. Faulenzer erkranken
so gut wie Arbeitsame. Es kommt aber oft vor, daß Schizophrene im ersten
1) Schizophrene scheinen seltener venerisch infiziert als geistig Gesunde, und das
trotz ihrer Hemmungslosigkeit oder Sorglosigkeit.
2) Soweit das Wochenbett in Betracht kommt, läßt sich leicht beweisen, daß
Reichardt Unrecht hat: das Puerperium dauert etwa den zehnten Teil der GraviditÄt.
Es kommen aber vielleicht zehnmal soviel Wochenbettpsychosen in die Anstalt wie
Schwangerschaftspsychosen; und doch gibt es nicht mehr Puerperien als Schwanger-
schaften.
*) Roubinowitch und Levaditi haben neuUch im Serum von 15 Schizophrenen
in drei Fällen positiven Wassermann gefunden.
Ursachen.
281
Stadium der Krankheit einen Schaffenseifer entwickeln, der keine Rüclcsicht auf
Umstände und Leistimgsfähigkeit nimmt, oder daß gerade das Nachlassen der
Leistimgsfähigkeit eine stärkere Anstrengung notwendig macht. Die „Uber-
anstrengimg" ist dann Symptom und nicht Ursache der Krankheit. Viel häufiger
allerdings ist sie nichts als Entschuldigung der Krankheit und der Famihen-
anlage von Seite der Angehörigen, oder Entschuldigung für die Unkenntnis der
Ursachen von Seite des Arztes.
In ähnhcher Weise werden auch bestimmte Neigungen, Arten der Lebens-
führung, „Leidenschaften", der Erzeugung der Krankheit beschuldigt.
Der eine soll krank geworden sein, weil er den aufregenden Beruf als Schau-
spieler ergriffen, der andere, weil er so unregelmäßig gelebt, immer den Beruf
gewechselt hat, der dritte, weil er das Reisen als Leidenschaft betreibt. Sieht man
genauer zu, so findet man nicht den leisesten Grund zu einer solchen Vermutung.
Schizophrene nehmen weniger Rücksicht auf die Wirkhchkeit, im Guten wie
im Schhmmen, werden diu-ch ihren Autismus selbständiger im Denken und
Handeln ; sie sind viel eher geneigt, eine Idee durchzuführen als andere, die durch
gute imd schlechte Rücksichten, Herdengeist, Suggestibilität gegenüber der
Denkweise der Mehrheit, überhaupt größere Anpassungsfähigkeit an das Miheu
wie es ist, daran verhindert werden. Alle neuen Bewegungen ziehen die latent
Schizophrenen zuerst an und werden von ihnen gefördert und gefährdet zugleich.
So erklärt es sich, daß von den „Stürmern und Drängern" mehrere krank „wur-
den", nicht aber dadurch, daß die Teilnahme an der Bewegung sie krank
gemacht hätte.
Nicht unter allen Umständen von der Hand zu weisen ist eine ätiologische
Bedeutung der Unbefriedigtheit mit dem Leben. Es ist ja wahrscheinhch,
daß solche psychische Reize die Krankheit manifest machen können. Gewöhnlich
aber verhält es sich auch da so, daß die Leute mit ihrem Beruf und ihrer Stellung
nie zufrieden werden, weil sie eben krank sind.
Ob es überhaupt psychische Ursachen der Schizophrenie gibt, ist noch
nicht mit Sicherheit zu entscheiden; es ist aber wahrscheinhch zu verneinen.
Man fmdet bei guten Anamnesen so regelmäßig Zeichen der Krankheit vor dem
psychischen Trauma, daß es schwer wird, diesem eine ursächliche Bedeutung zu
geben. In den meisten Fällen ist es denn auch ohneweiters Idar, daß das unglück-
hche Liebesverhältnis, die Zurücks etzimg im Amt usw. Folge mid nicht Ursache
der Krankheit war, wenn überhaupt ein Zusammenhang besteht.
Und doch taucht die Idee der psychischen Ätiologie der Krankheit immer
wieder auf, einesteils, weil sich diese zu häufig an ein imangenehmes Erleb-
nis anschheßt, andernteils weil auch nach dem manifesten Ausbruch Ver-
schlimmerungen imd Besserungen unzweifelhaft von psychischen Einflüssen
abhängig sind, und weil auch die Symptome auf den Zusammenhang mit dem
Erlebnis hinweisen, indem die verschmähte Liebende in den Delirien ihre Wünsche
befriedigt oder Stereotypien produziert, die wenigstens eine sjonboUsche Be-
schäftigung mit dem Gegenstand ihres Verlangens gestatten.
Aus all dem geht imzweifelhaft hervor, daß psychische Erlebnisse — natür-
lich fast immer unangenehmer Natur — schizophrene Syndrome bewirken können.
Es ist aber im höchsten Grade unwahrscheinlich, daß die Krankheit dadurch
wu-klich hervorgebracht werde. Die psychischen Ereignisse lösen die Svmptome
282
Schizophrenie.
nicht aber die Krankheit aus, etwa wie eine Anstrengung bei einem Phthisiker
eine Lungenbkitung auslösen kann, wenn die Gefäße bereits arrodiert sind
Allerdmgs stimmt dieser Vergleich msofern nicht ganz, als es sich bei den Sym-
ptomen der Schizophrenie nicht um eine bloße Schädigung handelt, sondern um
eine Reaktion unter veränderten Umständen, eine Reaktion, die sich prinzipieU
nicht von einer normalen unterscheidet.
So nehmen wir nicht an, daß ein FaU ins Wasser die Ursache der sich an-
schheßenden Schizophrenie gewesen sei, sondern wenn er nicht bereits Symptom
war, so hat wohl der Schreck die schon veränderte Psyche zu einer abnormen
Reaktion veranlaßt.
Ebenso, wenn die manifeste Krankheit nach zufälhgem Zusammentreffen
mit der früheren Verlobten auftritt und später nach einigen Jahren guter Inter-
mission wieder bei gleichem Anlaß zum Vorschem kommt.
In der gleichen Weise haben wir auch die meisten oder alle schizophi-enen
Gefängnispsychosen aufzufassen, bei denen allerdings recht häufig ein
eigenthcher Krankheitsschub mitbestimmend sein wird.
Wie psychische Anlässe wirken können, zeigt sich z. B. in einem Falle, wo
ein Mediziner während beider propädeutischer Examina und vor dem Schlußexamen
je einen Anfall von Katatonie bekam. Ein als normal geltender Mann erkrankte
viermal bei Anlaß des Militärdienstes an leichten Wahnideen. Ein Ingenieur bekam
halluzinatorische Anfälle, als er aus pohtischen Gründen eingesteckt wurde, und
gleiche, als sich seine Frau von ihm scheiden ließ. Eine Dame, die sich zu Hause
noch halten konnte, bekam jedesmal eine Aufregung, wenn ihr etwas abgeschlagen
wurde, z. B. die Teilnahme an einem Ball, an einer Gesellschaft. Der letztere Fall
zeigt den Übergang zu den in den Anstalten so häufigen vorübergehenden Auf-
regungen bei irgend einer Unannehmlichkeit.
Eine besondere Beachtung verdient die Induktion. Ins Bm'gLölzIi
wurden einmal vier Geschwister gebracht, die die gleichen Verfolgimgs- und
religiösen Wahnideen hatten. Es stellte sich heraus, daß eine Schwester, die
intelligenteste der viere, zuerst erkrankt war mid ihre Wahnideen den anderen auf-
oktroiert hatte. Sie verblödete ziemhch weitgehend und bekam später katatone
Symptome. Eine zweite Schwester kam zm' Entlassung, mußte aber später
wieder aufgenommen werden. Zwei Brüder hielten sich nach der Entlassmig
draußen. Es ist unzweifelhaft, daß die beiden Schwestern an eigenthcher Schizo-
phrenie leiden; wir haben aber auch guten Grund anzunehmen, daß die anderen
beiden Geschwister ebenfalls schizophren sind, nicht nur, weil sie nachher nicht
ganz heilten, sondern weil ihre Lebensführung auch vorher schon darauf hin-
deutete. Bei einer andern Famihe übertrug die Mutter ihre Größenideen auf die
beiden Töchter, von denen die eine deuthch schizophren war, die andere sich
von der Unrichtigkeit ihrer Ideen überzeugen ließ und dann keine Krankheits-
symptome mehr zeigte.
Wir müssen also die Möglichkeit annehmen, daß ein energischer Kranker
anderen Famihengliedern seine Wahnideen suggerieren kann, wenn sie mit den
Komplexen (Wünschen imd Befürchtungen) dieser im Emklang stehen. Zur
Ausbildimg einer Schizophrenie wird es aber nur dann kommen, wemi diese
Krankheit auch sonst in dem Individuum steckt. Die Induktion hat dann nicht
i
Ursachen.
283
die Krankheit als solche, sondern ihre Wahnideen und damit vielleicht auch den
manifesten Ausbruch der Krankheit bestimmt.
Natürlich hat man alle möglichen Vorkommnisse im menschlichen Leben als
Ursache der jetzt zur Schizophrenie gezählten Psychosen beschrieben. "Man schickt
uns „eine religiöse Manie, hervorgegangen aus einem Uterusleiden", wobei es genügt,
zu bemerken, daß wir nicht den Schatten eines Anhaltspunktes haben, die Schizo-
phrenie direkt mit Genitalleiden in Verbindung zu bringen (den Weg durch die
Psyche im oben dargelegten Sinne natürlich vorbehalten). — Auf Vorstellungen
einzugehen, wie die, die Krankheit komme davon, daß die jungen Leute nicht
mehr folgen (Journ. ment. sc. 1904-, S. 272), verbietet die Rücksicht auf den Leser,
X. Abschnitt.
Die Theorie.
1. Kapitel.
Die Theorie der Symptome.
Die Psychopathologie der Schizophrenie ist wohl eine der anziehendsten,
gestattet sie doch die vielseitigsten Einblicke in das Eäderwerk der kranken wie
der gesunden Psyche. Ohne Hypothesen freilich ist auch hier so wenig aus-
zukommen wie bei der Theorie anderer Psychosen. In der folgenden Darstellung
muß es indes zur Vermeidung von Weitschweifigkeit dem Leser überlassen
bleiben, sich jedesmal die nötigen Vorbehalte hinzuzudenken; ich hoffe, ihm
diese Aufgabe nicht zu schwer gemacht zu haben. Ferner ist im Auge zu behalten,
daß auch für den Fall, daß alle unsere Voraussetzungen richtig sein sollten, nur
ein kleiner Teil aller der Mechanismen bekannt wäre, die zur Symptomatologie
der Krankheit beitragen. Umgekehrt ist es selbstverständUch, daß niemand
Anspruch machen kann, jetzt schon alles oder nur den größten Teil der Symptome
zu erklären.
Primäre und sekundäre Symptome.
Eine physisch bedingte Psychose können wir nur verstehen, wenn wir die
direkt dem Krankheitsprozeß entspringenden Symptome unterscheiden von
den sekundären, die erst entstehen durch die Reaktion der Iccanken Psyche auf
irgendwelche inneren und äußeren Vorgänge. Bei einer Kranlcheit wie der Osteo-
malacie bilden die chemischen und physiologischen Prozesse, inklusive der Ent-
kalkung der Knochen, den Krankheitsprozeß ; die Widers tan dslosigkeit der
Knochen ist eine direkte Folge der Knochenveränderung; eine Verbiegung oder
ein Knochenbruch aber tritt erst ein durch äußere Einwirkung; diese letzteren
Erscheinungen sind nicht Folge des Krankheitsprozesses an sich, sondern Folge
des veränderten Verhaltens der Knochen gegenüber akzessorischen Einflüssen.
Eine Kontinuitätstrennung des Abduzens ist eine Krankheit, die Lähmung der
Augenbewegung nach außen die direkte und notwendige Folge derselben (pri-
märes oder direktes Symptom). Die Kontraktur des Internus und die falsche
Lokalisation der Gresichtsbilder sind sekundäre (indirekte) Symptome, entstanden
durch physiologische Reaktionen des Organismus auf die veränderten Umstände.
Die primären Symptome sind notwendige Teilerscheinungen einer Krank-
heit; die sekundären können, wenigstens potentia, fehlen oder wechseln, ohne daß
der Krankheitsprozeß sich zugleich ändert.
Theorie. Primäre Symptome.
285
Fast die gesamte bis jetzt beschriebene Symptomatologie der
Dementia praecox ist eine sekundäre, in gewiss^em Sinne zufalhge.
Die Krankhe^ kann deshalb lange Zeit symptomlos Weihen. Welche Sjanptome
entstehen ob ein chronischer Schizophrene gerade heute ruhig arbeitet oder
Wumbumme^^ oder sich zankt, ob er reinlich ist oder schmiert, das hangt meis
von et er Menge aktueller und vorausgegangener Erlebnisse ab und nicht direkt
von der Kranlleit. Irgend ein affektbetontes Ereignis löst emen haUuzinatorischen
Aufregungszustand aus. Eine Versetzung kann die HaUuzinationen zum Ver-
schwinden bringen. Die Affekte, die jahrelang vollständig zu fehlen schienen,
können bei gewissen Gelegenheiten plötzlich in normaler Weise funktiomeren. -
Kein Schizophrene kann ferner die Wahnidee bekommen, Fräulem N. woUe ihn
heiraten, wenn er nicht von Fräulein N. gewußt hat, und ich möchte hinzufugen,
wenn nicht noch andere Erlebnisse seine Wünsche oder Befürchtungen m dieser
Richtung determiniert haben. Keiner wird halluzinieren, die Jesuiten verfolgen
ihn, wenn er nicht etwas von der Bedeutung der Jesuiten gehört hat. Der Inhalt
der' Wahnideen imd Halluzinationen ist also undenkbar ohne bestimmte äußere
Erlebnisse; die Symptome selbst ohne Inhalt sind aber unmöglich. Es kann
also (ganz abgesehen vom auslösenden Anlaß) Halluzination und Wahmdee
nicht direkt dem Krankheitsprozeß entspringen, dieser schafft nur die Disposition,
auf der psychische Vorkommnisse das SjTuptom entwickebi^).
A. Die primären Symptome.
Mt Sicherheit kennen wir die primären Symptome der schizophrenen
Himaffektion noch gar nicht. Immerhin dürfen wir mit Wahrscheinlichkeit
eine Anzahl einfacherer Erscheinungen dazu rechnen; vor allem einen Teil der
Assoziationsstörungen. Es ist, wie wenn die durch Erfahrung gebahnten
Verbindungen und Hemmungen an Bedeutung eingebüßt hätten. Die Assoziationen
gehen viel leichter in neue Bahnen, folgen also nicht dem durch die Erfahrung
vorgezeichneten, d. h. logischen Wege. J u ng macht allerdings darauf aufmerksam,
daß auch bei Gesunden in der Zerstreutheit und im unbewußten Denken ähnliche
imgewohnte Bahnen eingeschlagen werden. Aber so weit wie bei der Schizophrenie
geht es doch in keinem solchen Falle (nur der Traum bildet wahrscheinlich ein
genügendes Analogen in der gesimden Psyche). Man findet namentlich in akuten
Zuständen der Schizophrenie oft eine so vollständige Zerstückelung des Gedanken-
ganges, daß es zu keiner fertigen Idee vuid wohl zu Bewegungen, aber nicht zum
Handeln kommen kann. Dabei werden sogar Begriffe wie Vater und Mutter
verschwommen. Solche Verwirrtheiten sehen wir denn auch am ehesten ohne
psychischen Anlaß auftreten; sie bilden oft den Gipfel der Kurve einer subakut
verlaufenden schizophrenen Phase. Manchmal sind sie von einem Symptomen-
komplex begleitet, den wir als Zeichen einer Infektion oder Autintoxikation
anzusehen gewohnt sind: belegte trockene Zunge, Faligo, Verdauungsstörung,
^) Ea gibt allerdings Leute, die sich vorstellen, irgend ein Gehimreiz köime diejenigen
Systeme (oder horribile dictu diejenigen Einzelzellen) am'egen, in denen gerade die Vorstellung
der Jesuiten oder einer bestimmten Drohung durch Jesuiten „aufgespeichert" sei. Dies ist nahezu
80 wahrscheinlich, wie wenn man durch mechanische Reizung des Akustikus ein Gedicht hören
lassen wollte.
286
Schizophrenie.
Abnahme der Kräfte, des Körpergewichtes, grober Tremor, hie und da etwas
Fieber, vielleicht auch Brucesche Leukozytose, Aus all dem wird es wahr-
scheinlich, daß diese Arten von Verwirrtheit der direkte Ausfluß der Steigerung
des Krankheitsprozesses sind, und folglich die geringeren Grade der gleichen
schizophrenen Assoziationszerspaltung, wie wir sie überall treffen, ein primäres
Symptom darstellen. Wir halten also die Assoziatio nsstör u ng für pri mär,
soweit es sich um Herabsetzung oder Nivellierung der Affinitäten
handelt; sekundär sind die Sperrungen und die systematischen
Spaltungen.
Eindruck des primären machen auch die Benommenheitszustände,
in denen die Kranken sich Mühe geben, ihre Gedanken oder ihre Bewegungen
zu irgend einem bestimmten Zweck zu sammeln und doch nichts zustande bringen.
Gewöhnlich haben wir auch da einen relativ groben Tremor, ferner Kraftlosig-
keit und eine gewisse Ungeschicklichkeit der Bewegungen. Man kann diese
Kranken, soviel ich weiß, nicht wecken ; sie bleiben so, bis der Anfall abgelaufen
ist, ohne auf psychische Einflüsse mit wesentlicher Änderung des Zustandes
zu reagieren. Hier scheint eine allgemeine Hinderung der zentralen Vorgänge^),
irgend ein Torpor zu bestehen. Man bekommt denn auch oft den Eindruck,
wie wenn die Kranken an Hirndruck litten, und wenn solche Patienten zur Sektion
kommen, findet man, wie es scheint gewöhnlich (oder immer?) Hirnödem^) oder
ein sehr straffes Piaödem. Ich glaube also, daß wir in gewissen Benommenheits-
zuständen einen Symptomenkomplex vor uns haben, der in seinen wesent-
lichen Bestandteilen nicht auf dem Umweg durch die Psyche gebildet wird.
Wir wissen aber noch nicht sicher, ob die ihm zugrundeliegende Hirnveränderung
dem schizophrenen Prozeß selber angehört oder einer sekundären Komplikation
desselben; das Piaödem könnte z. B. die Folge einer schizophrenen Vasomotorius-
störung sein, wie man sie für die anderen Ödeme bei dieser Krankheit annimmt.
Jedenfalls kommen diese Erscheinungen nicht in jedem Falle vor.
Eine besondere Stellung nehmen unter den akuten Bildern die melan-
cholischen und manischen Anfälle ein. Wir wissen, daß der Zustand des
Körpers, Verdauung, chemische Einflüsse (Alkohol) Affektschwankimgen im
Sinne der Manie und der Depression hervorbringen können, und wir müssen
annehmen, daß Hirnveränderungen das Gleiche bewirken (Paralyse). Auch bei
der Schizophrenie werden wohl AffektweUen vorkommen, die irgendwie organisch
bedingt sind. Während man in einzelnen Fällen den Eindruck bekommt, es
handle sich um eine KompUkation mit manisch-depressivem Irresein, scheinen
die meisten manischen Anfälle dem schizophrenen Krankheitsprozeß selbst
anzugehören. Bei den melancholischen Zuständen werden wir außerdem oft
sekundäre (d. h. psychische) Genese treffen: Depression infolge von Krankheits-
bewußtsein oder von Angstzuständen und ähnliches.
Jahr märker führt unter den primären Erscheinungen wahrschemlich
mit Eecht auch die Disposition zu Halluzinationen an. Doch treffen
wir Sinnestäuschungen bei den verschiedensten Himprozessen, bei Vergiftungen
und im Traume des Gesunden; wir sehen bei Künstlernaturen den Unterschied
1) Natürlich nicht im Sinne der manisch-depressiven Hemmiingen.
2) Respektive eine andere Ai't Hirnschwellung (Reichnrdt).
Theorie. Primäre Symptome.
287
zwischen Vorstellung und Wahrnehmung sich oft recht stark verwischen. So
ist es nicht auszuschließen, daß die halluzinatorische Disposition etwas in jeder
Psyche Vorhandenes ist, und daß die Schizophrenie, wie viele andere Um-
stände, dieselbe nur mauifest macht^). Mit größerer Wahrscheinlichkeit
können wir mit Jahr märker bei der Tendenz zur Stereotypie eine
direkt dem Krankheitsprozeß entspringende Wurzel annehmen (siehe unter
Theorie der Stereotypien).
Hinter einem Teil der übrigen katatonen Symptome wird man
vielleicht auch einmal eine allgemeine Tendenz finden, die als primäres Symptom
gelten muß. Wie wir später sehen werden, sind allerdings auch die katatonen
Symptome nicht unabhängig von zufäUigen Einwirkungen. Aber die chronischen
katatonen Symptome haben eine so unzweifelhaft schlimme prognostische
Bedeutung, daß es zu nahe liegt, sie als Ausdruck irgend eines schweren Büm-
prozesses aufzufassen.
Von den körperlichen Symptomen sind zunächst zu erwähnen die Todes-
fälle mit den Erscheinungen von Hirnlähmung und die Störungen des Stoff-
wechsels, die bis zum Tod an Marasmus führen können.
Mit Wahrscheinlichkeit sind als organisch, d. h. als primär zu deuten
die Pupillendifferenzen (während die symmetrischen Anomalien der Pu-
pillenweite auch psychisch begründet sein können). Abgesehen von der gewöhn-
lichen Auffassung dieses Symptoms 2) kommt der Deutung noch der Umstand
zu Hilfe, daß wir — allerdings an noch zu kleinem Material (Zablocka) — die
Pupillendifferenzen bei schlechterem Ausgang fanden als die anderen Pupillen-
störungen. Sie wären also ebenfalls Ausdruck einer stärkeren Hirnaffektion.
Der Tr emor, der in akuten Zuständen manchmal dem grobschlägigen
Zittern der Fiebernden ähnlich sieht und in den chronischen unabhängig von
Aufregungen oder Anstrengungen besteht, kann auch nur organisch gedeutet
werden, ebenso die fibrillären Zuclcungen. Wahrscheinlich gehört hierher auch
die Steigerung der idiomuskulären Erregbarkeit, ferner manches hartnäckige
Kopfweh und der Schwindel, die oft die Krankheit begleiten und noch
häufiger ihr vorangehen.
'Die Anomalien des Vasomotorius könnten sekundär ausgelöst sein.
Oft aber sind sie in gar keinem Verhältnis zu den Störungen der Affektivität,
oder sie beschränken sich nur auf einzelne Körperteile, so daß man den Eindruck
bekommt, ein Teil derselben sei direktes S.ymptom einer Störung im Zentral-
nervensystem.
Ebenso müssen die Ödeme aufgefaßt werden. Ein Teil derselben scheint
durch deii Krankheitsprozeß direkt bedingt zu sein.
Organisch bedingt scheinen auch manche katatone Anfälle, besonders
wenn sie von Parese einzelner Muskelgruppen gefolgt sind. Eine psychogene
Entstehung erscheint bei vielen ausgeschlossen, ganz abgesehen davon, daß
die AnfaUe oft nicht zu unterscheiden sind von den Anfällen bei Epilepsie und bei
Apoplexien.
. Bei den Scliizophrenen ist ja der Unterschied von Wirkliclikeit und Vorstellung auch
sonst durch die Spaltung der Psyche herabgesetzt - oft bis auf Null ^
ln„o • ) ^""^"^^'^ g^^t es bei Migräne eine Pupillendifferenz, bei der eine organische Grund-
lage nicht angenommen werden muß. "igcimscne v^runa-
288
Schizophrenie.
Mit diesen Wahrscheinlichkeiten ist wohl alles gesagt, was wir über primäre
Symptome der Schizophrenie wissen.
B. Die sekundären Symptome,
a) Die einzelnen Symptome.
Sekundär sind zunächst, als direkte Folge der Lockerung der Assoziationen:
der Gebrauch bloßer Begriffsbruchstücke zum Denken mit seinen
unrichtigen Eesultaten, die Verschiebungen, Symbolisierungen,
Verdichtungen, die Zerfahrenheit des Denkens.
Ferner sind die Sperrungen im Entstehen wie im Vergehen von psy-
chischen Einflüssen abhängig; sie können also nicht dem fortdauernden Krank-
heitszustand angehören ^) .
Das Systematische in der Spaltung der Assoziationen kann
nur insofern direkt mit dem Kranlvheitsprozeß zusammenhängen, als die kom-
plizierteren und weniger geübten Funktionen eher zerfallen als die anderen.
Obwohl ein solches Verhalten in manchen akuten Fällen und bei sehr genauem
Zusehen auch zweiten in chronischen Zuständen nachzuweisen ist, so springt doch
viel häufiger eine ganz andere Spaltung in die Augen: in scheinbar ganz un-
regelmäßiger Weise werden einfache wie komplizierte psychische Gebilde zerlegt ;
unter Umständen werden die nächstliegenden Assoziationen vmterdrückt, während
daneben Funktionen, wie das Verstehen wissenschaftlicher Probleme, untadelhaft
vor sich gehen. Diese Art Spaltung hat ihre rein psychischen Gesetze: die-
jenigen Funktionen werden gestört, die in Konflikt kommen mit
gewissen affektiven Bedürfnissen des Patienten.
Die Neigung zu Assoziationsunterbrechung und Anknüpfung ungewohnter
Assoziationen ist also wohl eine primäre; die Auswahl der Assoziationen aber,
die in concreto gestört werden, wird meist sekundär durch die affektbetonten
Komplexe bestimmt^).
Zu den sekundären Symptomen zähle ich vorläufig auch die Affektstörung,
weiß mich aber dabei im Widerspruch mit der gewöhnlichen Auffassung der
schizophrenen Verblödung. Meine Gründe sind folgende: Eine wirkliche Vernich-
tung der Affektivität ist auch in den schwersten Fällen nicht nachzuweisen ; die
fehlende Funktion kann bei eingehender Untersuchung des Patienten, bei Antönung
seiner Komplexe, bei komplizierender Hirnatrophie wieder manifest werden.
In mittelschweren Fällen ist die Affektivität in einer Weise gestört, wie es
einer allgemeinen Abschwächung der Fimktion nicht entsprechen kann: die
1) iNicht unter aUen Umständen ist die Abhängigkeit eines Symptoms vom psy-
chischen Zustand Beweis für dessen sekundäre Genese: In Auf regungen wken Schlafmittel
schlecht oder gar nicht; eine Narkose wird durch den psycliischen Zustand beemfliißt.
Der Berauschte kann plötzlich nüchtern werden, nachdem er das angestellte Unglück er-
kannt hat. j- -^^ •
2) In analoger Weise sehen wir bei der senilen Gedächtnisschwache die l^rimierung
zuerst und am häufigsten da versagen, wo sie mit unangenehmen Gefühlen betont ist Ebenso
kann mancher Paralytiker sich noch ganz gut orientieren, nur die ominöse Irrenanstalt sieht er
trotz aUer Gegenbeweise für ein Hotel an. - Ein leichter Reizzustand des Kehlkopfes braucht
keinen Husten zu bedingen. Dieser wd erst ausgelöst durch Einatmen yeninremigter Luft oder
durch eine unangenelmie psychische Situation.
Theorie. Entstehung der sekundären Symptome.
289
einen Affekte sind da, die anderen nicht, und zwar ist die Auswahl so, daß das
Vorhandensein der einzelnen nur aus psychischen Ursachen erklärbar ist. Auch
zeitlich wechseln die einzelnen Affekte wie der Zustand der Affektivität je nach
psychischer Konstellation und Anregung.
In leichten Fällen sehen wir oft eine Hyperfunktion der Affektivität, nicht
nur Empfindlichkeit, sondern allgemeine Empfindsamkeit.
Das genauere Studium der Affektivität überhaupt, bei Menschen und
Tieren, bei Gesunden und Kranken, scheint eine isolierte Vernichtung einer so
primären Funktion bestimmt auszuschließen.
Ganz selbstverständlich sind sekundär die bekannten Störungen des
Gedächtnisses und der Orientierung, die, wenn überhaupt, ausschließlich
im Sinne bestimmter Komplexe auftreten, und die Automatismen (inklusive
Zwangsgedanken usw.), die nur auf Grund einer gewissen Selbständigkeit be-
stimmter Komplexe entstehen können.
Daß die Störungen der komplizierten Funktionen der Intelligenz (Blöd-
sinn und Wahnideen), der Synthese der Person, des Verhältnisses
zur Wirklichkeit (Autismus) und des Strebens (Unberechenbarkeit,
Abulie) nur im Zusammenhang mit den schon genannten sekundären Sym-
ptomen verständlich, also zum allergrößten Teil selbst sekundäre Erscheinungen
sind, bedarf ebenfalls keines Beweises. Auch der Negativismus ist gewiß ein
ganz kompliziertes sekundäres Phänomen.
Wie oben ausgeführt, gibt es noch eine Anzahl Symptome, zu deren Ent-
stehen gewisse sekundäre Mechanismen notwendig sind, bei denen wir aber zur
Zeit außerdem eine weitere Ursache voraussetzen müssen, die nur als primäre
Disposition zu bezeichnen ist: hierher gehören die Halluzinationen, die
Stereotypien, die Katalepsie.
b) Die Entstehung der sekundären Symptome.
Überblick. Die Lockerung der Assoziationen bewirkt einerseits, daß
von der Erfahrung abweichende, also unrichtige Bahnen des Denkens ein-
geschlagen werden, andererseits, daß mit Bruchstücken von Ideen operiert
werden muß. Aus der letzteren Abnormität ergeben sich die Verschiebungen, Ver-
dichtungen, Verwechslungen, die Verallgemeinerungen, die Assoziationen nach
entfernter Klangähnlichkeit, die Zerfahrenheit und unrichtige logische Ver-
knüpf imgen.
Die Schwäche der logischen Funktionen gibt den Affekten ein relatives
Ubergewicht. Unangenehm betonte Assoziationen werden im Entstehen unter-
drückt (Sperrungen); was dem Affekt widerspricht, wird abgespalten. Daraus
entstehen wiederum logische Schnitzer, die u. a. die Wahnideen bedingen, und
vor allem wird dadurch eine Zerklüftung der Psyche nach affektbetonten Kom-
plexen be^virkt. Die dem Patienten unangenehme Wirklichkeit wird im Autismus
abgespalten oder in den verschiedenen Wahnformen umgestaltet. Die Abwendung
von der Außenwelt kann die Form des Negativismus aimehmen. Die Spaltung
der Assoziationen führt auch zur pathologischen Ambivalenz, indem wider-
beXflTsser,^^™^ ""^^"^ Gedanken nebeneinander ablaufen, ohne einander zu
Handbuch der Psychiatrie: Bleuler
19
290
Schizophrenie.
Inhalt der Wahnideen sind Wünsche und Befürchtungen, die aber durch
die Assoziationsstörungcni) oft bis zur Unkenntlichkeit karikiert werden.
Die gleiche (bewußte oder unbewußte) Tätigkeit der abgespaltenen Komplexe
bedingt ferner die Erinnerungstäuschungen und den Inhalt der IJalluzinationen,
der Manieren und der meisten oder aller Stereotypien.
Die Affektsperrung entsteht im wesentlichen dadurch, daß die Affekte
(meist schon in statu nascendi) unterdrückt werden, aber dennoch andere Affekte
hemmeu. Die Gleichgültigkeit wird aber noch durch andere Umstände vergrößert,
so namentlich durch den Autismus und die Abspaltung gefühlsbetonter Komplexe!
a) Gedankenablauf. Spaltung.
Ausgehend von der als primär aufgefaßten Assoziationsstörung können
wir die große Mehrzahl der sekundären Symptome zwar noch nicht mit zwin-
gender Notwendigkeit ableiten, aber doch vorläufig unter einheithche Gesichts-
punkte bringen.
Bei der Schizophrenie haben die eingeübten Assoziations-
bahnen an Festigkeit verloren: Assoziationen, die sonst regelmäßig
gemacht werden, unterbleiben; dafür wird Material assoziiert,
das normaliter nicht mit dem Ausgangsgedanken zusammenhängt.
So straffe Verbindungen, wie die der wesentlichen Teile eines Begriffes können
unbenutzt bleiben; dafür können (aber müssen nicht) ganz neue Bahnen ein-
geschlagen werden: der Vater denkt in einem bestimmten Zusammenhang sich
selbst als Mutter seiner Kinder, indem er notwendige Attribute seiner Person
ignoriert und an deren Stelle Attribute seiner Frau einsetzt! Ganz aufgehoben
sind indes die Unterschiede in der assoziativen Affinität niemals. Auch in den
schwersten Fällen geht die Mehrzahl der Assoziationen ihre gewohnten Bahnen;
denn immer kommen noch unzählige ungefähr richtige Begriffe und Gedanken-
stücke zustande. Unter welchen Einflüssen und nach welchen Eegeln die Ab-
weichungen entstehen, wissen wir nur zum Teil : Viele schizophrenen Assoziationen
erscheinen uns „zufällig". Wir sehen indes, daß systematische Affektwirkungen
viele Assoziationsfäden zerreißen und andere knüpfen. Statt der Begriffe und
Ideen leiten oft nur Bruchstücke derselben oder unrichtig zusammengesetzte
Konglomerate solcher Trümmer den Gedankengang. Dieser muß deshalb in vielen
Richtungen entgleisen.
So werden die extremen Klangassoziationen verständlich, die sich nur
auf die Gleichheit eines einzigen Lautes gründen (Schuh — Schönheit2). Worte
mit mehreren gleichen Lauten treten leichter und häufiger füreinander ein 3).
1) Und vielleicht auch durch affektive Bedürfnisse im Süuie von Freuds Traumzensur.
2) Lobsien hat bei Kindern nachgewiesen, daß Alliterationen, wie „Federkasten —
Flasche" oft Anlaß zu festen Assoziationen gaben. Immerhin ist es ein großer Unterschied,
ob solche sinnlosen Assoziationen im Experiment, das keinen andern Zusammenliang gibt,
entstehen oder im gewöhnlichen Denken. — Die AlUterationen der altdeutschen Dichtung
müssen ähnliche Kraft gehabt haben wie der moderne Reka.
^) Das ist bei Kindern und im Traum noch häufiger als in der Scliizoplu-eme. Ein Kmcl
kann die Wörter „Itahener und Laterne" miteinander verwechseln. Ich trämnte einmal den
Gedanken: „Mach nur nicht zu vicV, der in den Worten ausgedrückt wurde: ,i¥arandon
de Montyer (natürhch brauchte es noch andere konstelliercnde Momente, die die Auswaiu
gerade dieses Namens bestimmten).
Theorie. Gedankcnablauf. Spaltung.
291
In gleicher Weise können Begriffe miteinander verwechselt werden, die nur
einen kleinen Teil gemeinsam haben: Eine Patientin findet, es sei, wie wenn sie
Küsse schicke, wenn sie den Faden mit dem Munde netzt.
„Verschiebungen", darin bestehend, daß auf einmal in einem Gedanken-
gang ein Begriff, eine Idee für eine andere eingesetzt wird, sind eine ähnliche
Folge der Unvollständigkeit der Assoziationskomplexe. Der Mangel an Logik
verhindert die Kichtigstellung des Fehlers. Der häufige Gebrauch von Sym-
bolen ist ein Spezialfall dieser Anomalie.
Mehrere Begriffe mit gemeinsamer Komponente können auf diese "Weise
in einen verdichtet werden, indem eben nur das Gemeinsame zur Geltung
kommt^), so verschiedene Geliebte, verschiedene Aufenthaltsorte der Kranken.
Begriffe imd Ideen, die nur teilweise gedacht werden, müssen überhaupt
leicht verschwimmen. Das wird eine der Ursachen der schizophrenen Neigung
zu Verallgemeinerungen und Ausdehnung eines Sjonptoms sein. Andere
Ursachen sind wohl der Mangel an Hemmungen, die eine psychische Funktion
auf inadäquate andere Psychismen ausüben sollte, sowie die erleichterte Benutzung
ungewohnter Bahnen.
Wird beim Denken die Ziel Vorstellung nicht beständig mitgedacht, so entsteht
Zerfahrenheit aller Art; der Kranke verliert sich in Nebenassoziationen,
er wird von außen abgelenkt, wo es sonst nicht der Fall ist, und beachtet um-
gekehrt äußere Vorgänge nicht, die den Umständen nach beachtet werden soUten.
Sind die Assoziationen nicht mehr auf die gewohnten Bahnen angewiesen,
so können zufällig sich bietende Verknüpfungen logischen Wert erhalten. Was
der Kranke eben erlebt, kann verbunden werden in beliebiger durch die Um-
stände gegebener logischer Form (er hat eine Scheibe eingeschlagen, „weil" der
Arzt eine Brille trägt)^).
Andere Assoziationsstörungen haben außer dem häufig vorhandenen
Mangel einer Zielvorstellung noch vielerlei Wurzeln. Das Ausassoziieren
z. B. wird u. a. auch begünstigt durch das „sentiment d'incompletude", das
sich bei unvollständigem Denken leicht einstellt. — Das Benennen und die
Gebundenheit lassen sich unter Umständen dadurch erklären, daß die Ge-
danken nicht fortschreiten, was natürlich wieder verschiedene Ursachen haben
kann, z. B. die Äff ektlosigkeit oder die Benommenheit^). Auch die mittelbaren
Assoziationen können auf verschiedene Weise zustande kommen. Wichtig
ist wohl auch hier neben dem Mangel der Zielvorstellung nach Analogie des
Normalen die Störung der Aufmerksamkeit.
^) Auch das ist im Traume etwas Gewöluiliches.
2) Diege Symptome an sich sind natürUch nichts Pathologisches. Das lünd muß erst
.^•n'.T.^'''.^^ dargebotenen Verbindungen nach Gleichzeitigkeit und Nacheinander
„zufalbg seien. Em 2]ähriges Kind verschüttet Wasser, wälirend ich ihm eine Frage über
etwas ganz anderes vorlege, und antwortet ganz unpassend „wegen dem Wasser". Auch die
Mythologie mit ihren Personifikationen, Verdichtungen und Auflösungen bietet eine reiche
J^undgrube für Analogien zum schizoplirencn Gedankengang. Der Osterhase legt Eier weü
ST K n 1 ^r^"'^ "^'^ Fruchtbarkeit und der Ostara heilig sind. Die Dreieinigkeit
ist gebildet worden, weil man das Bediü-fnis hatte, jede der drei darin Vertretenen Personen zu
ehren, nachdem die Idee des einigen Gottes schon durchgedrungen war
dn ß i iJ! GJedanken versunken an einer Fmnatafel vorbeigehe, kann es vorkommen
daß ich dieselbe ganz unbewußt, ZM^ar nicht hörbar, aber doch mit LippenbewegungeTTete.
19*
202
Scliizopbrenie.
Am meisten leiden natürlich die logischen Operationen. Viele Begriffe
und Ideen, die in Rechnung kommen sollten, werden überhaupt nicht herbei-
gezogen, andere sind nicht voll ausgedacht; wenn im Begriff „Vater" nur der
Teilbegriff „Erzeuger" gedacht wird, kann derselbe mit dem der Mutter ver-
wechselt werden. So kommen manche logischen Operationen zu einem
falschen Resultat.
Die bisher genannten Anomalien sind so unmittelbare Folgen der primären
Assoziationsstörungen, daß man sie fast ebenso gut noch selbst zu diesen
hätte zählen können. Nun ergeben sich aber außerdem indirekte Konsequenzen
aus dem gestörten Verhältnisse zwischen Assoziation und Affektivität, die zwar
nur bei bestimmten Anlässen in Erscheinung treten, aber dennoch im Krank-
heitsbilde meistens dominieren. Logische und affektive Bedürfnisse stehen
oft miteinander im Widerspruch. Die Wirkung der Äff ekte ko mmt deshalb
beijeder Krankheit, welche dieLogik schwächt, zustärkerer Geltung.
Während die intellektuellen Gedankengänge durch die Erfahrung ge-
gebene Bahnen einschlagen^), dirigieren die Aifekte die Assoziationen im Sinne
der entsprechenden Strebungen (Erlangung von Lust, Abwehr von Unlust);
sie fördern die gleichsinnigen Verbindungen und erschweren das Zustandekommen
derer, die ihnen nicht entsprechen; sie geben ferner den Ideen andere Valenzen,
so daß z. B. die Gefahr einer gewünschten Unternehmung unterschätzt, die einer
unerwünschten vergrößert wird; es ist, wie wenn man in einer numerischen
Rechenoperation das Dezimalzeichen einzelner Zahlen versetzte. Beim Normalen
bestimmt die Affektivität im wesentlichen bloß die Richtung des Handelns;
nur in ganz starker Erregung, oder da, wo die Subjektivität erlaubterweise
mitspricht (Geschmacksuxteil), werden logische Operationen normaliter im eigent-
lichen Sinne gefälscht. Bei krankhaft geschwächter Logik aber greift die Wirkung
der Affekte auch auf sonst klare und fest gegründete Detailassoziationen über.
Sie werden im Sinne der Wünsche und Befürchtungen gefälscht. Was man
wünscht und fürchtet, hält man für eine Realität (vgl. Theorie der Wahnideen).
Die auffallendste Wirkung der Affektivität ist bei der Schizophrenie die
Sperrung. Sie ist an sich kein pathologisches Symptom. Wir sehen sie beim
Gesunden, wenn er durch eine Gemütsbewegung überwältigt wird, in Schreck,
Angst, sogar gelegentlich einmal bei freudiger Überraschung. Kinder, Imbezille,
Hysterische, die sich, jeder aus einem andern Grunde, sehr leicht durch Affekte
überrumpeln lassen, werden auch leicht gesperrt'^). Wo wir bei unseren Schizo-
phrenen den Eintritt der Sperrung verfolgen können, ist immer ein Komplex-
angeschnitten oder ein unangenehmes Gefühl hervorgerufen worden. Der Schluß
liegt nahe, daß die allgemeinen und lange dauernden Sperrungen in katatonen
Zuständen eine Übertreibung des gleichen Phänomens seien. Wir können denn
MüTdie Formen unserer Logik nur durch die Erfahrung gegebene Assoziationen Avieder-
holen oder Analogien dazu biklen, ist es selb3tver3tändüch, daß die erworbenen log.sclien
Assoziationen bei einer allgemeinen Hnnstörung vor den angeborenen affektiven geschädigt
werden. Wenn es eine schizophrene Anlage der Psyche gibt, möchte dabei m Betracht kommen,
daß Individuen, d.ren Fälligkeit zur Reproduktion der Wirklichkeit und ilu-er Zusammenhange
schwach entwickelt ist, zum Autismus disponiert sein müssen. • w „„
^) Der Emotionsstupor, der eintritt, wenn man sich einer Anforderung nicht ge-
wachsen fühlt (Risch), ferner wohl auch die Kataplexie der Tiere, wenigstens d.r höheren,
ist etwas Analoges.
Theorie. Gedankenablauf. Spaltung.
293
auch diese Sperrungen in keiner Weise von den rascher vorübergehenden unter-
scheiden. Sie entwickeln sich auch gelegentlich aus den ersteren unter unseren
Augen. Zur Entstehung dieser allgemeinen Sperrungen wirkt vielleicht auch die
scliizophrene Neigung zum Andauern beliebiger Erscheinungen (Stereotypierung)
mit, ganz sicher aber die Neigung zu Verallgemeinerung: Wir sehen ganz ge-
wöhnlich, daß sich Sperrungen, die sich zunächst nur auf einen bestimmten
Gedanken bezogen, rasch verallgemeinern, so daß dann mit dem Patienten
überhaupt nichts mehr anzufangen ist. — Kraepelin legt Gewicht darauf,
daß auch Gegenantriebe zu Sperrungen führen können, natürlich mehr auf dem
Gebiete des Wollens als dem des Denkens. Das ist selbstverständlich richtig.
Mit der Ablehnung eines Impulses ist aber so häufig ein GegenimpuLs verbunden,
daß für uns dadurch mehr die Hervorhebung einer andern Seite des gleichen
Vorganges als ein Novimi gewonnen ist.
Manchmal macht es auch den Eindruck, daß die Interesselosigkeit ihren Anteil
am Zustandekommen des Sypmtoms habe, indem sie beim ersten Hindernis den Ge-
dankengang stille stehen läßt. Ferner scheinen bei schweren Katatonien mit benommen-
heitsartigen Zuständen noch andere Widerstände den Gedankengang allgemein zu
hemmen; sslbstverständlich tritt dann die Wirkimg der Affekte, die Sperrmig, doppelt
leicht ein, oder Hindernisse des Denkens summieren sich. Umgekehrt kann sich der
Kranke, wenn die psychischen Prozesse auf irgend eine Weise (Vergiftung? Hirn-
druck?) andauernd gehemmt sind, miter dem Einfluß einer Willensanstrengung vor-
übergehend normal bewegen. Wir hätten hier nicht eme sich plötzlich lösende allge-
meine Sperrimg, sondern das Gegenteil: Überwindmig eines Hindernisses durch einen
Affeki:.
Da aUes dem Affekt Widerstrebende stärker als normal unterdrückt, das
ihm Entsprechende ebenso abnorm gefördert wird, so kommt es schließlich dazu,
daß Widersprüche zu einer affektbetonten Idee gar nicht mehr gedacht werden
können: der ehrgeizige Schizophrene träumt nur noch von seinen Wünschen;
die Hindernisse ihrer Realisierung existieren für ihn nicht. So werden Komplexe
von Ideen, die mehr durch gemeinsamen Affekt als durch logische Verloiüpfimg
verbunden sind, nicht nur gebildet, sondern auch gefestigt. Durch den Nicht-
gebrauch büßen die von einem solchen Komplex zu anderen Ideen übergehenden
Assoziationsbahnen im Verhältnis zu den adäquaten Assoziationen an Gangbarkeit
ein, d. h. der affektbetonte Ideenkomplex grenzt sich immer mehr ab und er-
langt immer größere Selbständigkeit (Spaltung psychischer Funk-
tionen).
Alle (normalen imd pathologischen) psychischen Vorgänge, sowohl die
affektiven wie die logischen, haben aber neben der positiven Tendenz der Bahnung
affdierten Materials auch die negative der Hemmung aller nicht affilierten
Psychismen. Das bekannteste Resultat dieser Tendenz ist die „Bewußtseins-
enge", d. h. die Unfähigkeit des Gesunden, Verschiedenes gleichzeitig zu denken.
Smd nun die Assoziationen unterbrochen, primär durch die ursprüngliche
Assoziationsstörung und sekundär durch die Abgrenzung des Komplexes, so
wird nicht nur der verbindende, sondern auch der hemmende Einfluß der Ver-
schiedenen Ideen aufeinander herabgesetzt oder ganz unterdrückt. So wird
uns die Tatsache verständlich, daß gleichzeitig mehrere Komplexe
der nämlichen Psyche funktionieren und unvereinbare Ideen
294
Scbizophrenie.
nebeneinander laufen können. (Der Patient kann, während er an etwas
Bestimmtes denkt, Stimmen hören, Zwangsideen haben, Handlungen begehen,
die einem ganz anderen Ideenkomplex angehören: er sieht im Untersucher
zugleich den Anstaltsarzt N. N. und seinen Feind X. Y.)^).
Im Bewußtsein ist natürlich in einem gegebenen Moment auch bei der
Schizophrenie gewöhnlich nur ein Komplex. Immerhin laufen etwa der autistische
und der realistische Gedankengang gleichzeitig ab^), und ganz gewöhnlich sehen
wir intime Mischungen von Ideen, die verschiedenen Komplexen angehören, im
bewußten Gedankengang. Daß die Komplexe im Unbewußten funktionieren,
ersehen wir in folgenden Erfahrungen: Sie erscheinen plötzhch weiter gebildet,
indem z. B. fertige Wahnsysteme auf einmal ins Bewußtsein springen; in jedem
Moment können sie bereit sein, sich Erfahrungen zu assimilieren (Beziehungs-
wahn); sie äußern sich direkt in Halluzinationen, in der Mimik, in unbewußten
oder zwangsmäßigen Handlungen und in Stereotypien. Ob ein Komplex zu
einer gegebenen Zeit bewußt ist oder nicht, ist also recht neben-
sächlich.
Die Theorie braucht keine Rück-:icht auf das Vorhandensein oder Fehlen der
Bewußtheitsqualität der einzelnen Komplexe zu nehmen. Wir haben Grund zu der
Annahme, daß sich eine bewußte psychische Funktion bloß dadurch von einer imbe-
wußten unterscheide, daß sie mit der bewußten Persönlichkeit assoziativ verbunden
sei. Ohne Berücksichtigung der Tatsache, daß es imbewnßte Prozesse gibt, die, abgesehen
von dem Fehlen der Bewußtheitsqualität, identisch sind mit den bewußten psychischen
Vorgängen, kann man die schizophrenen Symptome so wenig verstehen wie andere
komplizierte psychische Erscheinungen (73, a).
Wenn, wie es wahrscheinlich ist, in der normalen Psyche Hemmungen
auch in dem Sinne bestehen, daß disparates Assoziationsmaterial nur schwer
herbeigezogen werden kann, und daß der Übergang auf ein anderes Thema
ganz besonderer Kräfte bedarf (Affekte, Ablenkung von außen), so muß in der
Schizophrenie natürlich auch diese Art Hemmungen wegfallen. Jedenfalls
sehen wir in den schizophrenen Assoziationen neben der Ausschaltung normaler
Assoziationen auch Verbindungen am unrichtigen Ort. Das ist mit ein Grund,
warum die Gedanken so leicht auf Nebenbahnen geraten, und warum
3 n ei nem Ideengang ga nz f remde Assoziationen auf tauche nkönnen^).
Ganz verständlich werden durch diesen Mangel an Hemmung die
mancherlei Arten von Verquickung verschiedener Ideen, die so
weit geht, daß sogar die affektbetonten Komplexe, obgleich sie
größere Selbständigkeit als beim Gesunden besitzen, oft ineinander
fließen oder in Bruchstücken untereinander gemengt werden
1) Bei einer dynamischen Auffassung der psychischen Vorgänge m dem
Simie, daß eine bestimmte Quantität „psyclxischer Energie" zur Verfiigung steht, die jeweilen
die bei der gegebenen Konstellation wderstandslosesten Bahnen emschlagt, fallt die geläufigere
Vorstellung der Hemmung weg. Für diesen FaU müßte sich unsere , Erklärung 'auf die Zu-
sammenstellung d3r beiden Beobachtungstatsachen beschränken, daß die psyclr^he Iva. 1
bei der Schizophrenie ungewohnte Bahnen einschlägt, und daß sie sich m verschiedene leile
zerspalten kann, von denen jeder seinen besonderen Weg geht.
2) Vel die Spaltung der Aufmerk-^amkcit. „ , n u
3 Am Zustandekommen dieser Symptome ist natüi-Uch außerdem die mangelhaft
auBgedachts Leitidee und der Defekt eines einlieitlichen Strebens beteiligt.
Theorie. Gedankenablauf. Spaltung.
295
Das, was fi'üher über die schizophrenen Assoziationen gesagt ist, macht es selbst-
verständlich, daß die Assoziation von Ideen eines Komplexes an den andern
nicht nach logischen Gesetzen zu geschehen braucht. Daher das Unsinnige
solcher Verquickungen^),
Die Trennung der Komplexe könnte natürlich auch ohne den Wegfall jener
Hemmungen keine absolute sein. Sie sind ja alle mit dem Ich mehr oder weniger
verbunden und können somit mindestens via Persönlichkeit einander beeinflussen.
Und dennoch zeigt sich ihre Isolierung gerade im Verhältnis zur Per-
sönlichkeit am auffallendsten. Statt daß sie zusammenfließen und als Resul-
tante ein einheitliches Streben bilden, ist das schizophrene Ich bald mit dem,
bald mit einem andern einzelnen Ideenkomplex zusammengeschaltet. Der Patient
kann mit dem Arzt ein interessantes Gespräch führen, um im nächsten Augen-
bhck in ganz unlogischer Weise über Verfolgung durch denselben zu schimpfen;
er kann besorgt sein um seine Angehörigen und gleich darauf in Haß gegen sie
ausbrechen oder die äußerste Gleichgültigkeit über ihr Schicksal zur Schau
tragen; er kann in einem Moment nach den höchsten Zielen streben, im andern
irgend einem lächerlichen Einfall seine Existenz opfern.
So erscheinen die Patienten entsprechend ihren Komplexen in verschiedene
Personen gespalten 2). Immerhin ist das Ich selbst nur in den hochgradigsten
FäUen ganz zertrümmert. Gewöhnlich weiß der Klranke noch, wer er ist, er kennt
seine Vergangenheit, er orientiert sich in Raum und Zeit — alles, so weit nicht
ein aktuell eingeschalteter Komplex etwas anderes verlangt. Alle diese nicht
unwesentlichen Bestandteile der Persönlichkeit stehen mit den verschiedenen
Komplexen in einer gewissen Verbindung; nimmt man als wesentlichsten Teil
der Persönlichkeit diese intellektuellen Bestandteile, so kann man meist nicht
sagen, sie sei gespalten; sie ist vielmehr der Spielball der Komplexe. Betrachtet
man aber das Streben als das Maßgebende des Ich, dann allerdings hat der
Schizophrene so viele Persönlichkeiten als Komplexe, Persönlichkeiten, die von-
einander mehr oder weniger unabhängig sind.
Je nach der Spaltung wird aber auch der festere intellektuelle Bestandteil
der Person verändert. Solange der Patient über den Arzt schimpft, ist ihm dieser
der femdliche Schuster N., während er sonst in dieser Beziehung ganz gut orientiert
ist. — Hält sich der Kranke füi- den Kaiser, so kann während der Verbindung
des Größenkomplexes mit dem Ich ein wesentlicher Teil der Vergangenheit des
Patienten ausgeschaltet und durch Wahnvorstellungen ersetzt sein. — Es können
sich unter Umständen auch wirkliche und wahnhafte Vorstellungen zu einer
wahnhaften Erklärung verbinden.
Aber auch während der wahnhaften Auffassung funktioniert die richtige
Orientierung meist ungestört, nur mehr oder weniger abgespalten vom Ich
bobald der Kranke mit seiner Schimpferei über den als Schuster verkannten Arzt
fertig ist, weiß er ganz gut, was dieser während des Schimpf ens als Arzt getan
1) Das letztere ist ein wichtiger Unterschied gegenüber der Hysterie. Auch bei dieser
haben wir einen ubertnebanen Einfluß der .Effekte auf che Assoziation^. Da aber die pitäre
von der Ä
Anzahl^I:^^^S^^,^;^^ ^--^ ^-.serniaßen gleichzeitig aus ehier
296
Schizophrenie,
hat. Während lang andauernder Dämmerzustände läßt sich neben der syste-
matischen Verkennung der ganzen Umgebung doch meist noch eine richtige
Orientierung nachweisen, und namentlich können die Kranken nachher auch
über das wirklich Geschehene verblüffend gute Auskunft geben, ohne daß
sie sich die Dinge zurecht legen, während sich epileptische oder alkoholische
Deliranten, deren ganze Persönlichkeit an der Täuschung teilnimmt, nur durch
bewußte Überlegung zurecht finden oder durch Anregung aus dem pathologischen
Zustand herausgerissen werden müssen, und nach dem Delir, wenn überhaupt,
nur mit Mühe die wirklichen Vorgänge rekonstruieren können. '
Die Spaltung ist die Vorbedingung der meisten komplizierteren
Erscheinungen der Krankheit; sie drückt der ganzen Symptomato-
logie ihren besonderen Stempel auf. Hinter dieser systematischen
Spaltung in bestimmte Ideenkomplexe aber haben wir vorher
eine primäre Lockerung des Assoziationsgefüges gefunden, die
zu einer unregelmäßigen Zerspaltung so fester Gebilde wie der
konkreten Begriffe führen kann. Mit dem Namen der Schizophrenie
wollteich beide Arten der Spaltung treffen, die in ihren Wirkungen
oft in Eins verschmelzen.
Die schizophrene Spaltung ist wieder nur eine Übertreibung phj^siologischer
Vorgänge. Auch der Gesmide kann verschiedene Komplexe mehr oder weniger un-
verbimden nebeneinander beherbergen mid sogar im Unbewoißten oder im Traum
weiter entwickehi. Seine Persönlichkeit wird auch inhaltlich eine andere, wenn der
Affekt wechselt. Ein Fremid macht in einer Unterhaltung eine ims sehr unangenehme
Bemerkung; da sind die wenigsten imstande, die neue Erfahrimg einfach hinzuzu-
addieren zu dem Bilde, das sie sich bis jetzt von dem Freunde gemacht; sie werden
gereizt, denken nur noch an seine schlimmen Seiten und vergessen die guten ganz
oder teilweise, sie lassen sich zu Handhmgen hinreißen, die sie sonst nicht täten; der
Gereizte ist „ein Anderer" geworden.
Von hier aus gibt es alle Übergänge durch die hysterischen Erscheinungen bis
zum Autismus, den Dämmerzuständen und den paranoiden Syndromen der Schizo-
phrenie, aber nirgends eine prmzipielle psychologische Verschiedenheit. Wir müssen
uns vorstellen, daß bei solchen Schwankungen beim Normalen — sagen wir, um nicht
unbequem große Zahlen anzuführen, die freilich richtiger wären — tausend Assozia-
tionen gehemmt oder abnorm gebahnt werden, beim gereizten Schizophrenen vielleicht
hunderttausend, beim dämmernden Millionen.
Was Groß miter ,,BewußtseinszerfaH" versteht, ist das Gleiche wie unsere
„Spaltmig". Das Bewußtsein kann aber nicht zerfallen, sondern nur sein Inhalt; wir
finden ferner die Spaltung im Unbewußten so gut wie im Bewußten, und der Ausdruck
„Zerfall" kann die besonders feste Bindung einzelner Assoziationskomplexe nicht üi
sich schließen. Wir ziehen deshalb den Ausdruck Spaltung vor. — Für ähnliche Be-
obachtungen ist schon längst auch das Wort „Dissoziation" gebraucht worden.
Es bezeichnet aber auch anderes, so die Einschränkung des Bewußtsemsüihaltes bei
den Paralytikern, imd könnte deshalb zu Mißverständnissen Anlaß geben. — Zu
einem großen Teil deckt sich unser Begriff der Spaltung mit dem der Wernickeschen
„Sejunktion". Wir dürfen den Ausdruck dennoch nicht annehmen, weil der Begriff
der Sejmiktion außer dem, daß er etwas weiter ist, anatomisch-physologisch gedacht
ist. Die Sejunktion führt z. B. zu Rückstaumigen des Psychokyms, das dann andere
Bahnen sucht, in inadäquate Hirnteile gerät und daselbst Wahnideen und Halhizira-
tionen erzeugt. Alles das möchten wir vom Begriff der Spaltung ausgeschlossen wissen.
Theorie, Affektivität.
297
Foersterling will die „Spaltung des Selbstbewußtseins" als Steigerung der
psychomotorischen Störungen ansehen. Ich kann mich nicht recht in diese Idee
hineindenken.
ß) Die Affektivität.
Alles was wir bei der gemütlichen Verblödung beobachten, läßt sich zurück-
führen auf Übertreibung von normalen Vorgängen in unserer Psyche. Dennoch
meinen wir natürhch nicht, schon alle Faktoren aus dem Ge wirre der psychischen
Funktionen herausgefunden zu haben, die die schizophrene Affektstörung mit-
bedingen.
Daß die Affekte wenigstens für gewöhnlich nicht vollständig fehlen, ist natürlich
schon von jedem beobachtet worden. Man dachte sich deswegen etwa eine allgemeine
Abschwächung statt der Vernichtung der Funktion. Dieser Auffassung widerspricht
die Beobachtmig. Wemi auch, wie selbstverständlich, die höheren Funktionen etwas
stärker leiden als die einfacheren, so fehlt doch ein gesetzmäßiges Verhalten in dem
Sinne, daß immer die komplizierteren Affekte vor den primitiveren oder etwa den
phylogenetisch älteren ausfallen würden. Eine allgemeine Herabsetzung der Affektivität
ist ferner deswegen auszuschließen, weil die erhaltenen Affekte sich oft mit großer
Energie äußern ; man denke an den Zorn, aber auch an die gelegentliche Fröhlichkeit
und an die manchmal entwickelte Kraft des Trieblebens. Ferner sind die affektiven
Wirktmgen auf die Assoziationen geradezu stärker als bei den Gesmiden (vgl. Jung).
Stransky (748) lümmt eine teilweise Dissoziation, eine ,, Ataxie", zwischen
Thymopsyche mid Noopsyche an, woraus eine Unsicherheit in den thymo-noopsychi-
schen Beziehmigen", d. h. die Ath}Tnie mid die Parathymie entstünde. Es ist das
eine sehr leicht faßliche Bezeichnung des tatsächlichen Verhaltens, aber keine Er-
klärung^).
Auch der Versuch, die Affektstörung ausschließlich auf die Denk-
störung zurückzuführen, mußte scheitern. Forster meinte, daß die höheren
Affekte ausfallen, weil die höheren Ideen nicht gebildet werden^). Eine solche Er-
klärung genügt für die Affektstörung der organischen Psychosen. Das Wesen dar
schizophrenen Affektivität kann sie nicht treffen, denn wir sehen oft relativ gut er-
haltene Affektivität bei schwerer Denkstörung, z. B. in akuten Anfällen, die von
anderen Schulen als Manien und MelanchoUen aufgefaßt Averden — und umgekehrt
vollständigen Defekt der Gefühle bei Leuten, die so gut denken, daß sie nicht nur
jeden Richter, sondern auch manchen Psychiater von ihrer Gesundheit überzeugen
kömien. °
Selbstverständlich müssen sekundär durch die Denkstörung hervorgerufene
Affektstörungen neben den primäreren vorhanden sein. Wenn die Begdffe und
Ideen nur in Bruchstücken gedacht werden^), wenn die Denktätigkeit sich in
Nebenassoziationen verliert, wenn ganz falsche ylssoziationsbahnen eingeschlagen
1) Die Bezeichnung hat außerdem, daß sie dazu verleitet, sie für eine Erklärung zu halten
und sich damit zufrieden zu geben, den Nachteil, daß sie InteUekt und Affektivität, die beiden
bciten eines einheitlichen psychischen Vorganges, zu sehr als selbständige Funktionen hinstellt
) Pfersdorff (561) äußerte für eine bestimmte Klasse eine ähnliche Ansicht
) Wenn man sich selbst beobachtet, so sieht man, daß Ideenkomplexe, die nicht aus-
gedacht werden, leicht von einem geringen oder gar keinem Gefühlston begleitet werden Es ist
A«pS W "^T "^"^ "^'^ ^'^^""'^ '"^l^t '^'^ Ereignisse an sich, 'die den
Ättekt bedingen, sondern ihr Zusammenhang mit anderen Verhältnissen. Wenn Geld gestohlen
Sifi^rr '^""^^'^ ^'■""^^g erscheinen, oder es kami bloß das cferechtig
ke,t«gefuhl verletzen. Erst wemi man sich dabei vergegenwärtigt, daß z. B. das Gestohlene
298
Schizophrenie.
werden, so können die Gefühlsäußerungen - am Maßstab des Normalen gemessen
— nicht adäquat sem. Wenn die Gedanken regellos von einer Idee zur andern
spnngen, so kann kerne emlieitliclie Stimmung resultieren. Und wenn die kranke
Persönlichkeit nach ihren Trieben, von denen jeder einem Gefühl entspricht
m verschiedene verhältnismäßig lose zusammenhängende Teüwesen aufgelöst
wird, kann keines dieser Gefühle Besitz von der ganzen Person nehmen Eine
adäquate Betonung der Wahnideen wird ferner dadurch gestört, daß neben
ihnen psychische Komplexe in den Patienten sind, die AYirklich und UnwirkHch
unterscheiden, d. h. die Wahnideen als solche taxieren. Kranke, die sich gut
beobachten, geben manchmal in Eemissionen diese Erldärung selbst. Die auti-
stischen Kranken reagieren auf die Wirklichkeit nicht mit Affekten, weil sie
sie absperren; auf ihre Wahnideen nicht, weil etwas in ihnen diese als Phantasie-
spiel erkennt. Das Wesentliche der schizophrenen Gemütsstörung zeigt sich
indes unabhängig von der Denkstörung und hat einen Typus, der auf diese
Weise nicht erklärt werden kann. Es ist auch zu beachten, daß m?nche Denk-
störungen erst Folgen der Affektanomalie sind: sie können nicht zugleich die
Ursache bilden.
Das Verständnis eröffnet uns die Betrachtung folgender Eigenschaften der
normalen Af f ektivität ;
1 . Die Affekte besitzen eine obere Intensitätsgrenze, die nicht überschritten
werden darf, wenn sie die gewöhnlichen subjektiven und objektiven Symptome
beibehalten sollen. Diese Grenze scheint besonders stark je nach Individuum und
Umständen zu variieren; ob sie überhaupt bei jedem Individuum erreicht werden
kann, ist unbekannt. Die Dichter kennen sie von je her sehr gut. Aus der wissen-
schaftlichen Literatur erwähne ich die schöne Selbstbeobachtung von Baelz
bei einem Erdbeben, von Livingstone, der in den Klauen eines Löwen war,
und Bremers vollständig gleichartige objektive Konstatierungen bei einer
größeren Anzahl von Personen nach einem Zyldon!i) Vielleicht gehört es auch
hierher, wenn unter den Qualen der Folter mit einem Male Analgesie eintritt.
Sicher aber ist es, daß die Intensität der Affekte einen großen Teil ihrer Wirkungen,
namentlich das Bewußtwerden derselben, hindern kann.
2. Ein bereits aufgetretener Affekt kann abgespalten werden, wenn er
schwer zu ertragen ist. Zugleich bleibt der Ideenkomplex, der als Träger des
Affektes erscheint, dem Ich meist schwer oder gar nicht zugänglich. Viele Leute
halten sich unangenehme Erinnerimgen fern, indem sie sie „vergessen". Und
wenn es sich nicht vermeiden läßt, daß die schmerzlichen Ideen ins Bewußtsein
gerufen werden müssen, so erscheinen sie wie etwas Fremdes, Theoretisches, nicht
Ausgedachtes gerade in denjenigen Komponenten, die die Berührung mit dem
Ich am intensivsten vermitteln. Man kann vom Verlust eines Lieben, den uns
genau vorzustellen einfach unerträglich wäre, sehr häufig reden, ohne dabei
irgend etwas zu fühlen, was dem Gefühlston des ganzen Komplexes entspricht.
Eine Menge Beziehungen des Verstorbenen zu unserem eigenen Ich werden dabei
sorgfältig von der Reproduktion ausgeschlossen,
die einzige Habe einer kranlcen Mutter war, die daraus ilir Kind erziehen wollte, stimmt uns
das traurig. Wer diese Zusammenliänge nicht mit dem Grimdereignis zugleich als ein Ganzes
denkt, der kann unmöglich einen entsprechenden Affekt haben.
1) Vgl. auch d'Abundo.
Theorie. Affektivität.
299
Eine Analogie, vielleicht eine Identität, bildet die unbewußte Vermeidung
von Schmerz, wenn wir an einer Verletzung oder einem Rheumatismus leiden.
AYir unterlassen „instinktiv" die kritischen Bewegungen, ohne daß wir aktuelle
Schmerzen oder auch nur die bewußte Vorstellung von solchen hätten. Unsere
Psyche bleibt durch den früher empfundenen Schmerz für einige Zeit so eingestellt,
daß sie gewisse Bewegungen nicht ausführt. Nun kann die Wirkung über das Ziel
hinausgehen: in vielen Fällen werden auch solche Bewegungen nicht gemacht,
die keinen Schmerz provozieren; bei nervösen Leuten können unter diesen Um-
ständen sogar alle Bewegungen erschwert sein.
Es kann aber auch ein neuer Affekt durch seine unangenehme Qualität
in statu nascendi gehemmt werden. Bevor sich der Affekt entwickelt hat,
stellt er die intrapsychischen Weichen so, daß er die bewußte Persönlichkeit
unbehelligt lassen muß.
3. Die solcherart vom bewußten Ich abgesperrten Affekte sind durch-
aus nicht aufgehoben; sie bleiben in ihren Wirkungen deutlich zu erkennen.
Wer durch ein affektives Ereignis präokkupiert ist, kann subjektiv und objektiv
der direkten Zeichen des Affektes entbehren. Deswegen ist er aber doch un-
fähig, andere Affekte zu produzieren. So kann man gleichgültig erscheinen sowohl
gegen das frühere Unglück als auch gegen alle neuen Ereignisse. Bin stärkerer
Affekt kann dauernd die ganze Persönlichkeit umgestalten, ohne daß man in der
neuen Eigenart den Affekt finden könnte ; auch der Betroffene selbst scheint den
Affekt und das auslösende Erlebnis mehr oder weniger vergessen zu haben; es
bedarf besonderer Ereignisse, um „die alte Narbe wieder bluten zu lassen".
Dennoch hat er mm andere Lebensziele, andere Lebensart, andere Grund-
stimmung beibehalten. Bei Hysterischen kann das auslösende Ereignis dem
Bewußtsein ganz unzugänglich geworden sein.
Beim Assoziationsexperiment sehen wir die Jungschen Komplexzeichen
nicht nur bei Ideen, die die Versuchsperson zur Zeit bewegen, sondern auch bei
solchen, die während des Experimentierens weder in ihrer intellektuellen noch
in ihrer affektiven Komponente zum Bewußtsein kommen, ja seit vielen Jahren
nicht mehr bewußt gewesen sind. Auch das psychogalvanische Phänomen zeigt
Wirkungen von Affekten, die nicht im Bewußtsein sind.
Im Traum der Gesunden, in hysteriformen DeUrien sehen wir, wie ein un-
erträgliches Ereignis — sagen wir die Untreue eines Geliebten — durch seinen
Gefühlston, aber auch mit seinem Gefühlston, aus dem Bewußtsein ausgeschaltet
wird und dennoch seine Wirkungen ausübt, indem der Affekt Assoziationen
so bahnt und hemmt, daß die Erfüllung des Wunsches vorgetäuscht wird, während
im Bewußtsein gar kein Affekt vorherrscht oder geradezu der gegenteilige
4. Wir kommen damit zum Begriffe der unbewußten oder, wenn man
das Wort scheut, der latenten Affekte.
_ Diese können sich durch die Mimik bemerkbar machen, indem z. B. Erröten,
gewisse Bewegungen, gewisse Modulationen der Stimme und ähnliche Erscheinun-
gen eintreten, die dem Affekte entsprechen.
* *
— - *
^) Freud, Jung.
300
Schizophrenie.
Der Tendenz zur Abspaltung, welche gewisse Intensitäten und Qualitäten
von Affekten besitzen, stellt sich beim Gesunden entgegen die Tendenz, gegebenen-
falls alles, was für die Persönlichkeit wichtig ist, assoziativ herbeizuziehen. Da
aber in der Schizophrenie die assoziativen Affinitäten geschwächt
sind, werden diejenigen Affekte, die überhaupt eine Tendenz zur
Abspaltung haben, sehr oft wirklich latent, sei es nach kurzem Be-
stehen, sei es schon in statu nascendi. Da sie dennoch ihre Wir künden
zum Teil beibehalten, ja sie in mancher Beziehung geradezu un-
gehemmter entfalten können, üben sie einen unterdrückenden
Einfluß auch auf die Entstehung anderer Affekte aus: der Kranke
erseheint überhaupt affektlos, gleichgültig^). Der Grad der Hemmung
ist natürlich abhängig von tausend momentanen Einflüssen; daher können
gehemmte Affekte anscheinend regellos wieder zum Vorschein kommen. Selbst-
verständlich wird auch die affektive Anlage große individuelle Unterschiede be-
dingen. Dies alles sehen wir beim Gesunden, beim Hysterischen und genau in
der gleichen Weise, nur quantitativ enorm vergrößert, beim Schizophrenen^).
Der präokkupierte Gesunde macht manchmal den Eindruck eines Katatonikers.
Der ,,KoraplexbIödsinn" macht ihn gefühlssteif oder geradezu unüberlegt, nachlässig,
willensschwach. — Ein sehr intelligenter mid affektiv ganz normal angelegter Kollege,
der einige Jahre lang in einer imangenehmen Situation war, hatte während dieser
Zeit nicht nur steife Affekte, sondern auch auffallend starre Gesichtszüge. Eme gebildete,
sonst sehr empfindsame Angestellte hatte eine Liebschaft, die ich um des Mädchens
willen nicht billigen koimte. Von nun an war sie nicht nm' wie die meisten verhebten
Mädchen ihren Pflichten gegenüber gleichgültiger, sondern auch gegen alles andere
oft geradezu unempfindlich. Sie gab mir Anlaß zu sehr ernsten Vorstellmigen, heß
aber alles mit steifem Gesicht und einer ganz stereotypen Haltung über sich ergehen,
ohne eine Spur von Affekt und folglich auch ohne Wirkung. Ich hätte sie bei einer
solchen Gelegenheit niemals von einer Katatonika unterscheiden können. — Jung
macht in diesem Zusammenhang auf die „belle indifference des hysteriques" auf-
merksam, die ja nur eine Keaktion auf überwältigende Affekte ist, allerdhigs aber bald
einem lebhaften Affektausbruch zu weichen pflegt.
Auch bei der Affektabspaltung handelt es sich natürlich um relative Ver-
hältnisse. Je stärker der Affekt, um so geringer braucht die dissoziative Disposition
zu sein, um die Gemütsverödung hervorzubringen. So finden wir in vielen Fällen
schwerer Krankheit an der Wurzel starker Verblödung niu' ganz alltägliche
Konflikte mit dem Leben, bei leichterer Erkrankung aber können wir auf absolut
starke Affekte als auslösende Ursachen eines akuten Anfalles treffen^), und nicht
selten mußten wir uns nach einer genauen Analyse die Frage vorlegen, ob wir
bei einem Patienten nicht ganz allein die Wirkung eines besonders starken psy-
chischen Traumas auf einen empfindsamen Menschen und gar nicht eine Krank-
heit im engeren Sinne vor uns haben.
Die so entstandene Äff ektlosigkeit wird im früher erwähnten Sinne vergrößert
1) Der „Zweck" der ganzen Einrichtung, der Schutz vor unangenehmen Affekt :>n
ist dadurch erreicht. Der Patient leidet nicht mehr; er hat sich einer Art Nir vana genähert.
2) Unsere Auffassung deckt sich so ziemhch mit der von Risch für psj^chogene Zu-
stände angenommenen. Seine Arbeiten erschienen, nachdem das Obige geschrieben.
^) Vgl. Stadelmann.
i
Theorie. Affektivität.
301
durch die Denkstör un», die ihrerseits zu einem Teil durch die Affektstörung
bedingt ist, so daß ein Circuhis vitiosus entsteht.
Ferner trägt auch der Autismus dazu bei, die Affektanomabe zu ver-
stärken. Mit ihren unangenehmen Affekten sperren die Kranken auch die dazu
gehörenden Erlebrisse ab. Dafür leben sie in einer erträumten Welt, die ihnen
Wirklichkeit wird. Wenn der Patient die Meldung vom Tod eines lieben An-
gehörigen nicht glaubt, so bleibt er natürlich gleichgültig. Oft werden solche
Dinge nur halb, nur in gewissen Bestandteilen für wirklich gehalten, natürlich
in denen, die nicht unangenehm sind. Wo aber die Kranken sich ganz in ihren
Autismus verpuppt haben, hat die Außenwelt höchstens noch insofern Wirk-
lichkeitswert, als sie sie in ihren Gedanken stört; wenn dann ein Affekt äußere
Ereignisse begleitet, so kann es nur noch der der „Ablehnung" sein. Die scheinbar
parathvmische Selbstzufriedenheit vieler Schizophrenen ist von ihrem Stand-
punkt aus gar nicht abnorm, da im autistischen Denken ihre Wünsche erfüllt sind.
In schweren Fällen hat wohl der Autismus den größten Anteil an der Ge-
staltung der Affektstörung. In leichteren tritt er beim jetzigen Stande unserer
Beobachtungskunst zu wenig hervor, als daß er zur Erklärung herangezogen
werden könnte, so daß die anderen Mechanismen im Vordergrunde stehen.
Besonders aufgefallen ist von jeher die Gleichgültigkeit gegen die
eigenen Wahnideen und Strebungen. Die Abstumpfung aller Affekt-
äußerungen durch die Gewohnheit und die geringere Affektfähigkeit einer Phan-
tasievorstellung gegenüber der Wirklichkeit müssen dabei von Bedeutung sein.
Dann ist die Wahnidee oft nur ein sehr uneigentlicher Ausdruck bestimmter
Strebungen. Ein Patient klagt in sonderbarem Ton. daß seine Kinder umgebracht
werden : der Affekt ist nicht adäquat, einesteils, weil etwas in ihm weiß, daß das
nur eine Phantasievorstellung ist, und andernteils, weil der Wunsch — nicht
die Befürchtung — , die Kinder möchten umkommen, an der Wurzel der Idee
steckt. Wahrscheinlich drückt auch die Wahnidee gerade wie in den Träumen oft
das Gegenteil dessen aus, was der Patient eigentlich anstrebt: ein Katatoniker
hat homosexuelle Neigungen; er bildet die Wahnidee, ein höher stehendes
Fräidem, das ihn gar nicht kennt, liebe ihn, und behauptet, sie auch zu lieben.
Es ist begreiflich, daß er unter diesen Umständen mit dieser Wahnidee keinen
Affekt verbindet: er liebt das Fräulein in Wirklichkeit gar nicht;
die Idee ist offenbar nur die Eeaktion auf das unangenehme Be-
wußtsein seiner Homosexualität.
Daß nichtschizophrene Formen assoziativer Schwäche viel seltener zu Affekt-
A;i^°^°^"^Sen führen, ist selbstverständlich. Bei den Idiotien ist die assoziative
Affinität mcht geschwächt; komplizierte Assoziationen werden nicht gebildet, weitere
Storimgen gibt es nicht. Bei den organischen Psychosen bekommen die Affekte zwar
auch eme abnorm große Gewalt über die Assoziationen; aber sie äußert sich in ganz
anderer Eichtung, weü die relative Stärke der Affnütäten weniger geschwächt^ist;
-Uinge, die unter gewissen einfachen Gesichtspmokten zusammengehören werden
noch zusammengedacht. So bleiben auch die Strebimgen und Affek-te mit der Persön-
lichkeit verbunden; eine Abspaltung von der Wirklichkeit fhidet nicht statt und der
Autismus kann sich nicht ausbilden.
in rl.r^A« i^'^'J^T^'''.'!'?'^ natürlich nicht genügend, um den ganzen Unterschied
üer Affektivität der Schizophrenie von der der anderen Psychosen zu erklären;
302
Schizoplirenie.
dagegen könnte die Freiidsclie Theorie des Auterotismus und der verfeWten Über-
tragung der Libido auf das Objekt auch diesem Unterscliied gerecht werden. Sie ist
aber noch zu wenig ausgebaut und verlangt zu viel Eingehen auf eine Menge unserem
Thema ferner liegender Dinge, als daß sie hier angeführt werden köimte.
Es bleiben nocli einige Details zu besprechen.
Der Mangel an Affekt scheint oft in einzelnen Äußerungen der Kranken
viel ausgesprochener, als er sonst ist, weil ein bestimmtes Ziel der Äußerung fehlt.
Wenn der Patient einen langen Brief schreibt, nur weil ihm die Idee gekommen
ist, „etwas" zu schreiben, ist es begreiflich, daß er keinen Affekt oder wenigstens
keinen einheitlichen hineinlegen kann, weil eben zu der Situation gar keiner
gehört (vgl. die Schulaufsätze).
Daß einzelne Affekte wie die Mutterliebe inselartig wirksam bleiben
können, ist nach unserer Auffassung selbstverständlich.
Eine besondere Erklärung bedarf die Eeizbarkeit, die sich in den
schwereren Fällen als Neigung zu Wut und Zorn äußert. Wir finden die gleiche
Tendenz bei Menschen und Tieren dann, wenn die Situation nicht genügend
oder gar nicht verstanden wird. (Die Eeizbarkeit infolge von zu großer Sinnes-
empfindlichkeit bei Neurasthenikern ist wohl etwas anderes.) Das gefangene
Tier, das ohne Eücksicht auf die Situation und auf seine eigene Integrität blind
wütet, zeigt den Affekt von der aktiven Seite, das scheuende Pferd, das ebenso
unsinnig davonrennt, von der passiven. Bei Kindern und Idioten sehen wir
das gleiche, ebenso bei Leuten, deren Eapport mit der Umgebung durch Gehör-
störungen gehindert ist (vgl. Helen Keller).
Eine Störung des inteUektuellen Eapportes mit der Umgebung sehen wir
nun ausnahmslos bei den gereizten und wütenden Schizophrenen. Sie fassen
die Umgebung anders auf als wir oder sind doch nicht imstande, uns in allen
Dingen zu verstehen. Eine regelrechte Verteidigung gegen vermeintliche oder
wirkliche Angriffe ist also unmöglich, und es bleibt in aUen schwereren Fällen
nur das Mittel des blinden Wütens, sei es in Worten oder in Handlungen.
Noch andere Momente werden, wenn auch in geringerem Maße, an der
Genese dieses Affektes beteiligt sein. Die Kranken spinnen sich in ihre Phantasie-
gebilde ein; die Wirldichkeit ist ihnen nicht nur fremd, sondern feindlich, in-
sofern sie sie aus ihrem Autismus herauszureißen strebt. So fließen die Ursachen
des Zornaffektes zum Teil mit denen des Negativismus zusammen.
Die von Jung hervorgehobene Unbeherrschbarkeit der zutage
tretenden Affekte ist eine selbstverständliche Folge der Überlegungsschwäche
und wird verstärkt durch die Isolierung der einzelnen Strebungen. Es scheint
mir aber nicht genügend, sie bloß aus der Störung der Ichsynthese abzuleiten,
wie es der Autor versucht; es ist eben die ganze assoziative Synthese gestört
und damit auch das Gleichgewicht zwischen Affektivität und Logik.
Das Verhalten der schizophrenen Aufmerksamkeit ist mit der
Affektivität, von der jene nur eine Seite bildet, zum größten Teil erklärt. Wo das
Streben und das Interesse fehlt, ist die aktive Aufmerlcsamkeit gering. Es muß
aber in diesem Zusammenhang noch daran erinnert werden, daß natürlich auch
Theorie. Affektivität.
303
die Denkstöningen aUer Art die Aufmerksamkeit selbst wie ihren Erfolg beein-
trächtigen. . IT -L
Die Möglichkeit einer Aufmerksamkeitsspaltung ist selbstverständliche
Folge der Persöiüichkeitsspaltung.
* *
Die Parathymie erklärt sich in verschiedener Weise. Meist läßt sich bei
genauerem Zusehen nachweisen, daß sie nur scheinbar ist, indem die Kranken
auf einen andern Gedanken reagieren, als die Umgebung von ihnen erwartet.
Masseion meint, daß es sich nicht um Anhänglichkeit, sondern um Auto-
matismen oder Stereotypien handle, wenn Kranke sich in auffälliger "Weise
an eine beliebige Person attachieren, so daß diese mit ihnen machen kann, was
sie will. In den Fällen, die ich gesehen, war die so ausgezeichnete Person regel-
mäßig der Kepräsentant eines gefühlsbetonten Komplexes. Man täuscht sich
leicht in der Auslegung, weil die Kranken je nach dem Zusammenhang sowohl die
wahnhafte wie die richtige Auffassung der Person haben können. Um ähnliche
Verschiebungen handelt es sich, wenn ein Patient Heimweh zu haben glaubt,
sich aber nicht freut oder geradezu ärgert, wenn er nach Hause gehen soll.
In Wirklichkeit hatte er gar kein Heimweh, sondern er hat irgend ein anderes
Unbehagen auf die Einsperrung in der Anstalt bezogen. Wenn die Nachricht
vom Tode eines geliebten Angehörigen fröhlich stimmt, so wird sie meist nicht
geglaubt, aber dennoch werden angenehme Konsequenzen daraus gezogen
(daß man nun Briefe mit schwarzem Rand bekomme u. dgl.). Eine Patientin,
die in einen Weinkrampf verfällt, wenn man vom Feuer spricht, faßt das Feuer
als Symbol ihrer unglücklichen Liebe. Es kommt auch vor, daß ein Affekt deutlich
dem Gegensatz des aktuellen Gedankens entspricht; das wird meist davon her-
rühren, daß der Schizophrene leicht das Gegenteil irgend eines Gedankens mit-
denkt (vgl. Ambivalenz und Theorie des Negativismus). In anderen Fällen ist
die Parathjonie eine Folge der Perseveration des Affektes : der Patient ist gereizt,
hat über die Einsperrung geschimpft und kommt nun auf ganz andere Themata,
die im gleichen Ton und mit dem gleichen Affekt behandelt werden wie das erste.
Auch Affekte, die samt den dazu gehörigen Vorstellungen zur Zeit nicht aktuell
oder geradezu latent sind, können bei Anlaß späterer Erlebnisse, die in gewisser
Beziehung ähnlich sind, aber sonst qualitativ oder quantitativ anders betont
würden, als parathymische Reaktion manifest werden. Auch wenn den Normalen
etwas drückt, begleitet der latente Affekt gerne kleine Unannehmlichkeiten,
ohne daß sein intellektueller Vorgang bewußt würde.
Manchmal wird es auch deutlich, daß ein fröhlicher Affekt sich an die Stelle
eines verdrängten setzt. Wir kennen ja auch beim Gesunden die „Obenhin-
fröhlichkeit" und den blutigen Witz, die Neigung, als Komiker aufzutreten,
Erscheinungen, die auf eine unterdrückte negative Gemütsstimmung deuten.
Noch häufiger sehen wir analoge Parafunktionen bei Hysterischen (319).
Viel seltener konnten wir die Paramimie zergliedern. Immerhin läßt
sich manchmal ihre Entstehung aus Perseveration der Mimik bei wech-
selndem Bewußtseinsinhalt verfolgen. Wenn dagegen ein Patient eine dargebotene
Dellkatesse mit jämmerUchem Wehklagen annimmt und eifrig verzehrt, so ist
304
Schizophrenie.
wohl immer bewußt oder unbewußt etwas Trauriges an das angenehme Erlebnis
assoznert worden. Nachweisen konnten wir das aber nur in wenigen Fällen.
Auch die Mischungen der mimischen Äußerungen entspringen (wie
zuweilen bei Gesunden) der Gleichzeitigkeit zweier Affekte, so wenn der Patient
mit den Augen fröhlich verliebt erscheint, aber mit dem Mund Trauer ausdrückt.
Warum aber im speziellen Falle gerade die Augen das Angenehme, dee Mund
das Unangenehme ausdrücken muß, verstehen wir noch nicht, und 'wir müssen
hinzufügen, daß wir lange nicht in allen Fällen diese Art derParamimie auf einen
g.,-niischten Affekt zurückführen konnten. Namentlich können wir die hoch-
gezogenen Brauen, die sich mit allen Arten von Affektausdruck vergesellschaften,
noch gar nicht erklären i).
Hier mag auch die Analgesie erwähnt werden, die ganz den Charakter eines
psychischen Symptoms hat (Absperrung), aber in ihrer Genese noch nicht genauer
verfolgt werden konnte.
Y) l^^r Autismus.
Eine direkte Folge der schizophrenen Spaltung der Psyche ist der Au-
tismus; der Gesunde hat die Tendenz, bei logischen Operationen alles hinzu-
gehörige Material ohne Eücksicht auf dessen affektive Wertigkeit herbeizuziehen.
Bei der schizophrenen Lockerung der Logik dagegen findet ein Ausschluß aller
einem gefühlsbetonten Komplex widerstrebenden Assoziationen statt. Das keinem
Menschen fehlende Bedürfnis, in der Phantasie Ersatz für ungenügende '\^'irk-
lichkeit zu suchen, kann auf diese Weise widerstandslos befriedigt werden. Die
Phantasieprodukte mögen noch so sehr im Widerspruch mit der Wirklichkeit
stehen, im Gehirn des Kranken kommen sie nicht mit ihr in Konflikt; sie werden
ja höchstens so weit mit ihr zusammengebracht, als sie mit den affektiven Bedürf-
nissen des Kranken in Einklang zu bringen sind. In den schweren Fällen wird
die ganze Wirklichkeit mit ihren nie aufhörenden Sinnesreizungen abgesperrt;
sie existiert höchstens in banalen Zusammenhängen, beim Essen, beim Ankleiden.
So bleibt der autistische Gedankeninhalt unkorrigierbar und bekommt
für den Kranken vollen Kealitätswert, während der subjektive Realitätswert
der Wirklichkeit bis auf Null herabsinken kann. Der Explorand, der sich ein-
bildet, wir hätten ihn für gesund erklärt, hört täglich von uns das Gegenteil;
er faßt auch den Sinn der Worte und kann ihn reproduzieren, aber unmittelbar
nachher stellt er doch wieder seine Ansicht als die unserige hin, weil das wirkHch
von uns Gesagte nicht in logischen Kontakt mit seinen Ideen gebracht worden
ist. Bietet ihm die Außenwelt Motive für seine Ansicht, dann allerdings benutzt
er sie gern. Unter Umständen verschiebt er oder fälscht er die Wirklichkeit. So
der Kranke, der auf die Frage, wann er entlassen werde, die Antwort erhält,
wenn er sich gut halte; er wendet ein: „Aber ich kann ja zu Fuß gehen." Er
nimmt statt der gestellten schwierigen Bedingung eine andere, aber überwindbare
Schwierigkeit, die der Reisekosten.
1) Möglich ist, daß sie das Bestreben ausdrücken, den verlorenen Zusammenhang
mit der Außenwelt wiederherzustellen. Peritz (A. Bd. 45. 1909, S. 788) hält das tickartige
Heraufziehen der Brauen für die Reaktion auf das Gefühl des Stirndruckes.
Theorie. Autismus. Ambivalenz.
305
Der Autismus hat von jeher Beachtung gefimden, namentlich bei den Franzosen.
Diese haben z. B. die eine Seite desselben hervorgehoben unter den Namen der Auto-
philie, des Egozentrismus, der Hypertrophie des Ich, der Augmentation
du sens de la personalite, während sie die negative Seite als parte du sens de
la realite oder perte de la fonction du reel beschrieben. Pelletier sagt, der
Kranke unterscheide überhaupt nicht mehr zwischen Wirklichkeit mid Phantasien;
,,supposer la croyance ä leur realite chez ces malades serait doter leurs etats de
conscience d'une Energie qu'ils n'ont pas." Alle diese Auffassungen haben etwas
Eichtiges; sie treffen aber unserer Ansicht nach nicht den Kern der Erscheinung.
Auch der Autismus ist die Übertreibmig eines physiologischen Phänomens.
Es gibt ein normales autistisches Denken^), das keine Rücksicht auf die Wirldichkeit
zu nehmen braucht mid in seiner Richtung von Affekten bestimmt wird. Das Kind
spielt mit einem Stück Holz, das ihm das eine Mal ein Bebe, das andere Mal ein Haus
bedeutet. Aber auch ohne ein Substrat denken sich die meisten Menschen ein Märchen,
in dem ihre Wünsche oder Befürchtungen erfüllt werden (bei Hysterischen kann diese
Phantasie ins Pathologische übertrieben werden; vgl. Pick, 570, a). Ein großer Teil
der schönen Literatur, der Märchen imd Sagen entspringt dieser Art des Denkens.
Versucht jemand solche imerfüllbare Wünsche im Leben zu realisieren, so erfährt er
Enttäuschungen, die den Phantasiemenschen bis an die Grenzen der Krankheit führen
können. So sind manche Frauen in der Ehe nicht nur deshalb enttäuscht, weil der Mann
nicht so ist, wie sie ihn geträumt haben, sondern weil das ganze Eheleben etwas anderes
ist, als sie erwartet haben. Sie können, wenn sie sich zu sehr vom Traum beherrschen
ließen, überhaupt kernen Genuß finden, weil es nicht der erwartete ist, sie bleiben
frigid, gerade wie Schizophrene gleichgültig bleiben, wenn ihre Wünsche äußerlich
in ErfüUmig gehen. Wir sehen ferner die migenügende oder fehlende Unterscheidung
von Phantasie imd Wirklichkeit bei Unaufmerksamkeit, im Traum und bei Kindern,
die die Unwahrheit sagen, ohne wissentlich zu lügen, sowie bei „Wilden" (dem Neger
Jst es unverständlich, wie es auffallen kann, wenn er heute mit aller Sicherheit einen
Diebstahl leugnet, den er gestern selbst gestanden hat, und der auch sonst außer allem
Zweifel steht).
5) Die Ambivalenz.
Auch für den Gesunden hat jedes Ding seine zwei Seiten. Die Rose hat
ihre Dornen. Der Normale zieht aber in 99 von 100 Fällen das Fazit aus der
Subtraktion der negativen und positiven Werte. Er liebt die Rose trotz der
Dornen. Der Schizophrene mit seinen geschwächten assoziativen Verbindungen
braucht die verschiedenen Seiten nicht in eine Einheit zusammenzudenken:
er liebt die Rose um ihrer Schönheit willen, und haßt sie zugleich wegen der
Dornen. So haben bei ihm viele Begriffe, einfache wie komplizierte, und namentlich
viele Komplexe beide affektiven Vorzeichen, die nebeneinander oder im bunten
Wechsel n acheinander zum Vorschein kommen. AUerdings unterbleibt auch unter
normalen Verhältnissen die Synthese nicht zu selten; auch der Gesunde fühlt
etwa zwei Seelen in seiner Brust, und er würde nicht so viel von Sünde sprechen
wenn sie nicht etwas ilngenehmes hätte. Liegt die doppelte Wertung nicht in der
■fcirfahrung selbst, sondern in doppelter Relation derselben, so verlangt die Logik
cU. J^'-^^'^l ""c^^T "^^""^ "^^^ ^'^Wgkeit des Kombinierens, im gleichen Sinne wie
das gewohnhche Sp.el (der Tiere und lünder) eine Übung körperHchef FertigkeiHt
Handbaoh der Psychiatrie : n 1 e u 1 e r.
20
306
SchizopLrenie.
imter Umständen das Bestellenlassen der beiden Vorzeiclien : Das gleiche Wetter
ist schön oder gut für einen bestimmten Zweck, schleclit für einen andern; es
ist schön im Verhältnis zu gestern, schlecht im Verhältnis zu vorgestern. Immerhin
richten die Normalen das Vorzeichen in diesen Fällen genau nach der Relation,
während die Schizophrenen zu ganz unpassenden Wertungen kommen.
Die affektive Ambivalenz hat noch eine zweite ebenso wichtige Wurzel
in dem Umstand, daß die Gegensätze einander näher verwandt sind, als heterogene
Eigenschaften. Haß und Liebe stehen einander unendlich viel näher aLs der
Gleichgültigkeit („wo ein Weib haßt, da liebt sie, hat sie geliebt oder wird sie
lieben"). Sie wandehi sich beim Normalen oft ineinander um, beim Schizophrenen
erscheinen sie ganz gewöhnlich nur als zwei Seiten des gleichen Affektes.
Auch die Ambivalenz des WoUens ist bei Gesunden im Keim vorhanden:
was man nicht denken will, drängt sich erst recht auf; der Anfänger im Rad-
fahren fährt gerade auf die Hindernisse los, die er vermeiden will^). Ich will
eine Theke aus anderen herausnehmen, denke mir zum voraus, eine bestimmte
sei es nicht, greife aber dann gerade auf diese. So ist es bei einer Absicht oft
psychologisch viel wichtiger, ob sie überhaupt gedacht wird, als ob sie positiv
oder negativ gedacht wird: ein Patient erklärte mir — wie ich aus guten Gründen
annahm, ganz ehrlich — er brenne jetzt nicht mehr durch, denn das bringe ihm
nur Nachteile; ich warnte die Wärter, er werde bald durchbrennen, was denn
auch geschah.
Von hier zur intellektuellen Ambivalenz ist ein ganz kleiner Schritt. Dem
Begriff „schwarz" liegt der Begriff ,,weiß" näher als irgend einer, der mit der
Farbe nichts zu tun hat. Der Gedanke „der Schnee ist weiß" enthält zwar zugleich
die Abweisung des Urteils ,,der Schnee ist schwarz", aber gerade deshalb liegt
dieses Urteil näher, wenn man den ersteren Satz denkt, als wenn überhaupt
weder Schnee noch schwarz in Betracht kommt. Kinder geben oft sehr klare
Beispiele für dieses Verhalten. Da brauchen manche den Ausdruck für „Türe
zu", auch wenn sie sagen wollen, die Türe soll geöffnet werden; das gemeinsame
ist ja das Bewegen der Türe; der Gegensatz von öffnen und Schließen tritt so
zurück, daß das Kind nicht zögert, den ihm geläufigeren Ausdruck für beides zu
benutzen. In einem wenig späteren Alter haben die Kinder das Bedürfnis, spielend
irgend welche Urteile auszusprechen, es ist ihnen aber ganz gleichgültig, ob sie sie
positiv oder negativ sagen, und zwar nicht bloß, weim sie scherzen wollen^).
Im Traum des Gesunden ist die affektive wie die intellektuelle Ambi-
valenz eine ganz gewöhnliche Erscheinung. Eine Menge von Ideen werden daselbst
fast regehnäßig durch ihr Gegenteil ausgedrückt, so „Geheimnis" durch das
Erscheinen von vielen Leuten.
Die normale Ambivalenz und namentlich die Ambitendenz, die zu jedem Antrieb
einen Gegenantrieb schafft oder damit eine Wahl respektive eine t3berlegung erzwingt,
hat ihre große Bedeutung in den psychischen Mechanismen. Die Psyche reguliert
wie der physische Organismus die feinere Anpassung dadurch, daß er ein Gleichgewicht
schafft zwischen entgegenstehenden Kräften; es ist, wie Eis in der Versammlung schwei-
zerischer Psychiater m Bern (1910) sagte, das Prinzip der gedämpften Magnetnadel.
1) Vgl. 74, und unter: Theorie des Negativismus.
^) Siehe auch Freud, Gegensinn der UrAvorte. Jahrbuch für psychanal. Forschung.
IL, S. 179.
Theorie. Gedächtnis und Orientierung. 307
£) Das Gedächtnis und die Orientierung.
Die Störungen der übrigen einfacheren Funktionen wie die des Gedächt-
nisses und der Orientierung erledigen sich nach dem Gesagten von selbst.
Die Wahrnehmung^) und die Fixierung des Wahrgenommenen funktionieren
gut. Das Material wird aber nur dann richtig benutzt, wenn es den Komplexen
nicht widerspricht. Wenn der Patient arbeitet, eine Eeise macht, wenn er mit
uns über die Dinge plaudert, die seine Komplexe nicht berühren, bemerken
wir von einer Störung nichts. Innerhalb des autistischen Gedankenganges aber
tritt statt der logischen Keprodukbion eine den Affekten entsprechende auf;
so kommt es auf dem Gebiete des Gedächtnisses zu Täuschungen der ver-
schiedenen .Vrten-). Die Gedächtnislücken haben wie bei anderen Kranken und
bei Gesunden verschiedene Genesen. Auch sie können affektiven Bedürfnissen
entsprechen (man vergißt, was man nicht wissen möchte); mancher deliriöse
Zustand ist inhaltlich wie in bezug auf die Assoziationsschaltungen so sehr
verschieden vom Habitualzustand, daß der Kjranke von ihm aus nicht mehr die
gleichen Assoziationsfäden auffinden kann; daß er ferner kunterbunt durch-
einander gehende innere Ereignisse überhaupt vergißt, hat der Schizophrene
mit dem Gesunden gemein.
Es läßt sich auch verstehen, daß der Schizophrene oft mehr Gedächtnis-
material zur Verfügung hat als der Gesunde. Dieser sichtet die Eindrücke,
die ihm die Sinne zutragen; was für ihn wichtig ist, wird vielfältiger (vielleicht
auch intensiver) den übrigen Ideen assoziiert, so daß es auf vielen Wegen wieder
aktualisiert werden kann. Anderes Material (z. B. die Erinnerungsbilder aller der
Leute, die uns bei einem Gang durch die Straße begegnet sind) wird von asso-
ziativer Verbindung möglichst fern gehalten und kann deshalb nur unter aus-
nahmsweisen Umständen ins Gedächtnis zurückgerufen werden. Der ziellose
Schizophrene unterläßt diese Sichtung. Er beachtet Wichtiges und Gleich-
gültiges in gleichem Maße ; die assoziativen Verbindungen des letzteren Materials
werden nicht gehemmt. Er wird also unter Umständen alles gleich gut reprodu-
zieren können. — Daß mit dem Gesagten schon alle Wurzeln der Gedächtnis-
abnormitäten aufgedeckt seien, ist natürlich nicht anzunehmen. Doch müssen die
genannten Verhältnisse den Gang der Erinnerungen beeinflussen, und sie machen
alles begreifbar, was wir bis jetzt vom schizophrenen Gedächtnis wissen.
Jung denkt nach Analogie Freudscher Ideen auch daran, daß die Gedächtnis-
bilder, weil kein Abreagieren stattfindet, keine Usur erleiden. Mir erscheint das un-
veränderte Fortbestehen aller Gcdächtnisbilder während des ganzen Lebens auch
bei Gesunden wahrscheinHch. Die Auffassung könnte also für mich nur dann m Betracht
kommen, wenn man statt „Gedächtnisbilder" sagen würde „Erinnerungsbahnen" 3). _
Wußten wir, was die prünäre Neigung zu Stereotypien ist, so müßte die Frage geprüft
werden, inwiefern das anscheinend abnorm starke Gedächtnis der Schizophrenen
mit ihr zusammenhänge, eventueU mit derselben identisch wäre.
1) Ich brauche hier den Ausdruck ohne Rücksiclit darauf, ob die Wahrnehmung
bewußt oder unbewußt sei. ^
Vgl. unten den Abschnitt über die analogen Wirklichkeitstäuschungen
^n^JZ^e^l^Jtr''''- ^*™s*hnen eW von den
20*
308
Schizophrenie.
Genau wie das Gedächtnis ist die Orientierung innerhalb realistischer
Gedankengange ungestört, während sie m anderer Schaltung nach den Komplex-
bedürfnissen umgestaltet wird. Natürlich ist die Orientierung in der eigenen
Lage am seltensten ganz normal, weil eben die Krankheitserscheinungen zum
Komplex gehören und vom Patienten selten als krankhaft erkannt werden
können; er glaubt sich ungerecht eingesperrt, die Ärzte sind seine Feinde. Aber
auch hier gibt es alle Übergänge von nahezu vollständiger Einsicht bis zur kom-
pletten Umdeutun<4 aller Verhältnisse, und zwar nicht nur von Patient zu Patient,
sondern manchmal auch beim nämlichen Kranken, und zwar gelegentlich inner-
halb weniger Augenblicke.
Die „doppelte Registrierung'' und „doppelte Orientierung"
ist nach dem Gegebenen selbstverständlich. Das Erfahrungsmaterial wird richtig
deponiert, der realistische Gedankengang benutzt es in richtiger Weise, der
autistische fälscht es ; beide laufen aber nebeneinander ab, ohne sich zu stören.
Kompliziert wird der Vorgang nur da, wo Fälschungen durch eigentliche Illu-
sionen und Halluzinationen eintreten; da können sich die Kranken manchmal
nicht mehr ganz zurecht finden. Immerhin ist es für den sekundären Charakter
der Illusionen bezeichnend, daß auch unter solchen Umständen, wo man nicht
anders annehmen kann, als daß der Kranke wirkHch statt seines Vaters einen
Teufel mit feurigen Augen und Haaren und einem Schweif sieht, wohl noch die
richtige Wahrnehmung neben der verfälschten existiert.
Q Der schizophrene Blödsinn.
Nachdem wir die wichtigsten Elemente als sekundär bezeichnet haben,
aus denen sich die schizophrene Demenz zasammensetzt, ist es selbstverständUch,
daß auch diese selbst im wesentlichen als sekundär aufgefaßt werden muß. Es
werden ja wohl einzelne primäre Symptome an dem Bilde beteiligt sein, doch
sehen wir sie für gewöhnlich nicht. Es ist auch gut möglich, daß uns andere
Beobachtungsmethoden später einmal in schweren Fällen hinter dem sekundären
einen primären Blödsinn deutlich machen. Vorläufig sehen wir nur, daß die
Kranken ihre Gedanken zerspalten, daß sie ihre Affekte absperren, daß sie sich
von der Wirklichkeit abkehren. Wir sehen ferner, daß kein geistiger Besitz
zugrunde geht; ja die Erfahrung an vielen einzelnen Fällen macht es in höchstem
Grade wahrscheinlich, daß in aUen chronischen Zuständen auch die Überlegungs-
fähigkeit in komplizierten Dingen nicht ganz ausgefallen, sondern im wesent-
lichen nur sekundär unterdrückt, durch die Spaltung gehindert wird. So können
wir in keinem Stadium vorübergehende oder bleibende Besserungen ausschHeßen.
Daß vielleicht ein Drittel der Anstaltsfälle in Wirklichkeit nur vorübergehend oder
gar nie aus dem Blödsinn herauskommt, spricht natürlich nicht gegen die sekundäre
Natur der Erscheinung. Schon Gesunde verrennen sich nicht selten dauernd in
irgend eine Idee; wieviel mehr muß es dem Schizophrenen begegnen, der die
korrigierenden Einwirkungen der Wirklichkeit und der Überlegung systematisch
abspaltet und sonst schon eine Neigung zu Perpetuierung von psychischen
Funktionen besitzt.
Ein Teil der hervorragendsten Demenzsymptome sind nichts als Teil-
erscheinungen der gemütlichen Verblödung. Wo die Affekte fehlen oder ein-
Theorie. Schizophrener Blödsinn.
309
.eklemmt sind, kann sich auch kein Streben entwickeln Zum gleichen Effekt
fwrken noch andere Faktoren mit: wo alle Wünsche im Autismus befriedigt sind,
d™^^^^^^ ei.cheinen, ist kein Grund zum Streben -"^^^^
Wo das Verhältnis zur Außenwelt unterbrochen oder stark gefälscht ist^ kann
klin itrieb da sein, auf sie einzuwirken. Auch die intellektuellen Defek e
Wem das Streben: die Synthese der --Inen Gedanken zu em^^^^^
zum Handehi treiben könnte, ist gestört; die Feststellung eines Zieles für das
Handeln ist durch die logische Unfähigkeit gehindert.
Die schizophrene Intelligenzstörung im engeren Sinne setzt sich
im wesentlichen aus folgenden Elementen zusammen : Die eigentliche Assoziations-
störuntr führt zu vielerlei falschen Resultaten. Die Sperrungen machen viele
Gedankengänge unmöglich. Aus affektiven Gründen können auch ohne Sper-
rungen bestimmte Denkrichtungen gar nicht eingeschlagen werden; die Pa-
tienten denken imd reden vorbei, nicht nur aus innerem und äußerem Nega-
tivismus, aus Gleichgültigkeit und infolge unvollständiger Ideen, sondern auch,
weil gerade die Richtung nach der aktueUen ZielvorsteUung ausgeschaltet ist.
Direkt gefälscht wird die Logik dadurch, daß logische Operationen durch
affektiv bedingte Assoziationen ersetzt werden; ferner durch die Abspaltung der
Komplexe, welche eine Welt für sich bilden, ohne andere Ideen, insbesondere
die Wirklichkeit in Berücksichtigung zu ziehen. In diesen Spaltungen widersetzen
sich die Affekte mit einer oft unüberwindlichen Stärke der Assoziierung korri-
gierender Gedanken. Der Paralytiker macht seine blödsinnigen Pläne deshalb,
weil er an bestimmte Dinge „nicht denkt"; er kann von außen an seine Fehler
erinnert werden, so daß er sie wenigstens durch einen neuen Fehlschluß kom-
pensieren muß; eine ausgesprochene schizophrene Abspaltung aber ist einer
logischen Korrektur nur selten zugänglich. Bei der Paralyse wird ein Weg aus
Versehen nicht eingeschlagen, bei der Schizophrenie ist der Weg physikalisch
gesperrt, oder man hat Furcht, ihn zu gehen. So wird die Kritik in vielen FäUen
nicht nur ungenügend durch die Denkfehler, sondern sie wird geradezu unmöglich
gemacht dadurch, daß die Ivritisierende Idee nicht mit der zu korrigierenden
zusammengebracht wird. — Der durch die bisher genannten affektiven und
intellektuellen Defekte erzeugte Mangel eines Zieles der Gedanken begünstigt
die Zerfahrenheit, die ohnedies schon durch die assoziativen Aberrationen her-
gebracht wird.
In der Resultante aller dieser mangelhaften Vorgänge, im Handeln,
zeigt sich die dritte Seite des schizo])hrenen Blödsinnes. Aus Mangel an Streben
handeln die Kranken bald gar nicht, bald ziellos, bald launenhaft; letzteres,
weil ihnen je nach der Einschaltung der Komplexe wechselnde Ziele vorschweben.
Und da, wo der Patient handeln will, tut er es oft infolge der falschen Logik
unzweckmäßig oder geradezu widersinnig. ,, Zufällig" auftauchende Assoziationen
bedingen ein unbegründetes Handeln nach Einfällen, Zwangsimpiilse rufen
unpassende Handlungen gegen den Willen des Kranken hervor.
Man hat schon viele andere Theorien gemacht, die die schizophrene Demenz
erklären sollten. Die meisten gehen aus von der Annahme einer „Schwächung
der geistigen Funktionen", wie sie ja leicht aus dem Begriff des Blödsinnes her-
ausgelesen wird. Viele stellen sich diese Schwächung dynamisch vor. P. Jan et spricht
bei Kranken, die wir zu den Schizophrenen zählen würden, von Abaissement du
310
Schizophrenie.
niveau mental; Lehmann (409) von herabgesetzter E nergie des Bewußt-
seins. Wir besitzen indes kein Maß für die psychische Energie und sind deswegen
ganz außerstande, dynamische Theorien zu diskutieren. Immerhin darf man nicht ver-
gessen, daß manche Schizophrene innere und äußere Leistungen aufweisen, die mit
dem Gedanken emer allgemeinen Herabsetzmig der psychischen Energie sehr schwer
vereinbar sind.
Andere gehen von der Beobachtungstatsache aus, daß die „psychische Höchst-
funktion" oder — was in ähnlichem Simi gememt ist — die psychische Synthese
geschwächt ist. Ich glaube nicht, daß uns eine solche Betrachtungsweise weiterführt.
Solange die „psychische Höchstfunktion" ein ganz undefinierbarer oder wenigstens
ad libitum definierbarer Begriff ist, erscheint eine derartige Erklärung nur ein Spiel
mit Worten. Es ist auch methodologisch sehr gewagt, etwas erklären zu wollen von
den kompliziertesten und deswegen am wenigsten faßbaren Funktionen aus, die man
überhaupt kennt.
Mit dem Begriffe der „Schwächung der psychischen Synthese" steht es etwas
besser. Wir weisen ja wirklich nach, daß die Synthese des Assoziationsmaterials oft
fehlt — aber sie fehlt nicht immer — mid wir finden schon unterhalb dieser komphzier-
ten Funktion in den Assoziationen Störungen, so daß die Erklärimg bestenfalls un-
genügend wäre.
Eine andere plausiblere Art der dynamischen Erklärung geht von der Auf-
merksamkeit oder den Affekten aus. Wir sehen wirklich, daß normaliter bei
affektiver Präokkupation, bei großem Mangel an Aufmerksamkeit oder auch neben
starker Inanspruchnahme der Aufmerksamkeit eine Anzahl schizophrener Symptome
vorkommen: sonderbare Assoziationen, unvollständige Begriffe und Ideen, Ver-
schiebungen, logische Schnitzer, Stereotypien. Die schizophrene Dissoziation geht
aber sehr viel weiter als diese affektive; ja auch bei der Hysterie, wo wir die Affekt-
wirkung bis zum Extrem vergrößert sehen, kommt es nie zu Begriffsspaltungen im
besonnenen Zustand, ixnd bei anderen Krankheiten mit Störung der Aufmerksamkeit
und verstärktem Einfluß der Affekte wie bei den organischen Psychosen mid der
Epilepsie sehen wir keine schizophrenen Bilder. Es gehen denn auch in der Schizophrenie
die Störungen der Affekte mid die primären Assoziationsanomalien einander gar nicht
parallel, die erstere ist vielmehr abhängig von zufälligen Erlebnissen, während die
zweite als direkter Ausdruck der Gehirnstörung imponiert. Es kommt hinzu, daß
auch schwer Kranke miter gewissen Umständen sehr gut aufmerken können, und
daß die Kranken bei Aufmerksamkeit die gleichen Fehler machen können, wie in der
Zerstreutheit. Vielleicht darf man auch hinzuziehen, daß wir oft im Traum die Auf-
merksamkeit energisch anspannen und doch schizophrenieartige Gedankengänge
produzieren. — Der Begriff der Aufmerksamkeit selber ist für die meisten Psycho-
logen noch ein recht dehnbarer mid schlecht begrenzter; er erinnert in dieser Beziehmig
noch stark an die Apperzeption. Wenn man aber zur Aufmerksamkeit nur das rechnet,
was man wirklich bedachtet, Hemmung imd Bahnung bestimmter Assoziations-
gruppen unter affektivem Einfluß, so kann eine „Aufmerksamkeitsstörmig" nichts
Primäres sein und bedarf ihrerseits wieder einer Ableitung. Von unserem Standpmikt
aus ist eine solche nicht schwer zu geben.
Claus stellt die „Alteration des facultes actives" in den Vordergrund: „la
demence precoce est une maladie qui touche primitivement les facultes actives de
l'esprit. Apathie, aboulie, perte de l'activite intellectuelle, teile est la triade sympto-
matique, caracteristique de la demence precoce". Es gibt zu viele Schizophrene
mit großer Aktivität (Pseudoschriftsteller, Weltverbesserer, Arbeitende m Anstalten),
als daß man diese verallgemeinernde Umschreibung gewisser Symptome annehmen
könnte.
Theorie. Wahnideen.
311
Man hat auch von einem Herabsmken auf subkortikale Funktionen ge-
sprochen, meist in Verbindmig mit der Herabsetzung der psychischen Energie. Wir
kennen aber bis jetzt keine Gründe, psychische Funktionen unterhalb der Rinde zu
lokalisieren; noch viel weniger haben wir Unterscheidungszeichen, was in der Psyche
kortikal und was subkortikal ist. Mit solchen Auffassungen ist also zur Zeit nichts
anzufangen.
Die weitestgehenden Erklärmigen hat Wernicke versucht unter Benützung
seiner lokalisatorischen Ideen. Die Symptomatologie der Schizophrenie (inklusive
Motilitätsstörungen) gibt vms aber gar keine eindeutigen Hinweise auf eine Lokalisa-
tion (vgl. Theorie der Motilität).
rj) Die Wirklichkeitsfälschungen.
Wir erfassen die Außenwelt nicht direkt mit den Sinnesorganen, sondern
müssen sie erst durch Synthese und logische Schlüsse aus dem durch die Sinne
gegebenen Material in ims schaffen. Die Aberrationen des Gedankenganges
führen deshalb zu Fälschungen in der Auffassung der Wirklichkeit. Diese Fäl-
schungen finden ihren klarsten Ausdruck in Wahnideen, aber auch in Sinnes-
und Gedächtnistäuschungen. Es geht nicht an, die Wahnideen sekundär aus
Hahuzinationen und Illusionen der Sinne und des Gedächtnisses abzuleiten.
Es handelt sich um koordinierte Symptome, die alle der Ausdruck der nämlichen
Wirklichkeitsfälschung sind. Foreis Patientin L. S. drückt dies von der sub-
jektiven Seite sehr klar aus: „Deutlich zwischen Wahnideen, Illusionen und
Halluzinationen zu unterscheiden, ist oft nicht möglich." So ist es auch nicht
richtig, wenn man sagt, ein Patient bewege sich nicht, weil er sich fürchte, in
einen halluzinierten Abgrund zu fallen; Bewegungslosigkeit und Vorstellungen
des Abgrundes sind parallele Erscheinungen, wie sich in einem solchen FaUe
etwa damit beweisen läßt, daß der Patient auch seinen Speichel nicht verschluckt,
eine Bewegung, die ganz ungefährlich wäre. Die imperativen Stimmen befehlen
nichts, dem der Patient nicht aus irgend einem Grunde zu folgen die Tendenz
hat usw.
1. Die Wahnideen.
Um m die Genese der Wahnideen einzudringen, müssen wir uns
notwendig klar machen, daß wir unter dieser Bezeichnung ganz ver-
schiedene Dinge mit verschiedenem Ursprung zusammenfassen. Specht
(731) hat zuerst darauf aufmerksam gemacht, ohne indes eine Einteilung zu geben,
die den speziellen Bedürfnissen an dieser Stelle entspräche. Die hier versuchte For-
mulierung der Unterschiede halte ich für eine sehr vorläufige; über die Schizo-
phrenie hinaus möchte ich ihr kerne Gültigkeit beimessen.
Aus den verschiedenen Arten von Wahnideen ist zunächst der Grund-
wahn heraiLsziüieben: der Kranke ist verfolgt, mächtig, Prophet, geliebt
Der Grundwahn enthält die Wahnrichtung, und zwar meist in konkreter
Anwendung: der Kranke ist verfolgt von bestimmten Leuten oder unter be-
stimmten Umständen, er ist Machthaber in einem gewissen Gebiete, hat eine
religiöse Mission in ganz bestimmtem Sinne, wird geliebt von einer bestimmten
Person. Manchmal gehört ein ziemlich detaillierter Ausbau dazu Der Grund-
wahn entsteht, wie gleich näher auszuführen ist, nur unter affek-
tiven Ji^influssen und ist immer egozentrisch.
312
Schizophrenie.
Ein großer Teil der Wahndetails aber sind zufällige Wahnanwen-
dungen, im logischen Sinne den Irrtümern näher verwandt als dem Grundwahn.
Der Kranke mit Vergiftimgswahn bekommt Diarrhöe; unter der gegebenen
Voraussetzung, daß die Ärzte ihm nach dem Leben trachten, ist der'' Schluß
auch für den Gesunden selbstverständlich, daß im Essen Gift gewesen sei.
Ein Rrief eines Verfolgten bleibt unbeantwortet. Mit Fehlern der Post rechnet
man nicht. Der Adressat gilt dem Patienten als ein zuverlässiger Freund, er
kann nicht schuldig sein; dagegen hat der Arzt ein großes Interesse, des Patienten
Brief nicht zu befördern; also hat er den Brief unterschlagen. Genetisch handelt
es sich um einen logischen Irrtum, der sich fast notwendig aus der falschen
Prämisse des Grundwahnes ergibt, also um etwas prinzipiell anderes als dieser
selbst ist. Während der Grundwahn unwandelbar ist, läßt sich ein
solcher Irrtum unter Umständen auch bei Kranken leicht korri-
gieren; mit besonnenen Kranken kann man oft darüber diskutieren wie mit
Gesimden. Sie betonen ihn auch nicht so konsequent mit dem dem Grundwahn
zukommenden Affekt.
Eine andere iVrt ist als „Erklärungswahn" geradezu nur dem Eest
von gesunder Logik zu verdanken, den der Patient manchmal behalten hat.
Der Taglöhner, der sich von gräflicher Abstammung wähnt, muß seine Eltern
für seine Pflegeeltern ansehen, wenn er diese Konsequenz noch zu ziehen vermag.
Eine dritte Art sekundären Wahnausbaues, die auch noch als Erkläruno-s-
wahn bezeichnet werden kann, entspringt dem Kausalitätsbedürfnis;
warum verfolgen die Ärzte den Kranken? Gestützt auf die falsche Prämisse der
bestehenden Verfolgung muß sich der Patient mehr oder weniger zwingende
Antworten geben, wie sie der Gesunde unter gleichen Umständen auch bilden
müßte. Oder der Patient hört Stimmen, obschon niemand da ist. Hat er noch
Kausalitätsbedürfnis, so bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als sich Maschinen
zu denken, mit denen man ihm Stimmen macht oder aus der Ferne zu ihm
spricht, oder er muß überirdische Einflüsse annehmen. Allerdings können hier
die Schizophrenen mit ihrer Abtrennung von der Wirklichkeit und ihrer logischen
Schwäche viel weiter gehen als Gesunde unter gleichen Umständen; sie denken
sich manchmal nicht bloß eine für sie unverständliche Maschinerie, sondern
einen ganz bestimmten Apparat, der oft so Idar vor ihnen steht wie eine extra-
kampine Halluzination.
Oft ist das Kausalitätsbedürfnis von außen gegeben: Eine Patientin hat
aus irgend einem nicht weiter verständlichen „Einfall" eine Uhr genommen;
auf Vorhalt erklärt sie, die Uhr gehöre ihrem Mannet). — Ein Patient will oder
kann aus irgend einem Grunde nicht essen; zur Begründung schafft er sich den
Wahn, es sei ihm verboten. Solche Wahnentwicklungen sind etwas Gewöhn-
liches, sie entstehen teils aus logischen, teils aus affektiven Bedürfnissen, teils
aus „Einfällen", die oft in vagen Analogien begründet sind.
Ungenügende Analogien und alle anderen logischen Schnitzer können bei
der Unzulänglichkeit des schizophrenen Denkens ohne sichtbaren Zusammen-
hang mit dem Grundwahn falsche Ideen bilden. Oder es entstehen solche daraus,
1) Solche Erklärungen ex post finden sich in genau gleicher Weise nach post-
hypnotischer Ausführung unsinniger Suggestionen.
Theorie. Wahnideen,
313
daß durch Zufall gleichzeitig von außen gegebene Ideen fälschlich in logischen
Zusammenhang gebracht werden (Beispiele S. 18). Man ist vorläufig gezwungen,
auch diese Dinge als Wahnideen zu bezeichnen, da sie sich durch die krankhafte
Art der logischen Entwicklung von den Irrtümern des Gesunden unterscheiden.
Alle diese Arten von Wahn sind nicht scharf getrennt, indem mehrere
Ursachen an der Entstehung der gleichen falschen Idee zusammenwirken können.
Da die Logik unserer Kranken meist auch außerhalb der Aifektwirkung defekt
ist, spielen logische Fehler leicht überall, auch bei den „Erklärungen'' mit.
Der Affekt, der den Grundwahn erzeugt hat, wirkt natürlich fort im Detail-
ausbau desselben. Wenn ein Affekt vorhanden ist, werden die Kranken unter
allen Umständen viel geneigter sein, logische Fehler zu machen, so daß der
Affekt auch die Entstehung anderer Wahnformen begünstigt: Ein Hebephrene
bekam die Idee, sein Oheim sei unglücklich, auf dem Wege eines ungenügenden
Analogieschlusses: er selbst ist arm, aber glücklich; der Oheim ist reich, also
unglücklich. Wahrscheinlich hätte Patient diesen Fehlschluß nicht gemacht,
wenn dieser nicht durch die Eifersucht auf den Oheim begünstigt worden wäre.
Manchmal aber ist der Affekt so unbedeutend, daß er uns als Nebensache er-
scheint, und oft finden wir überhaupt keinen Affekt in Verbindung mit solchen
Ideen, weder bei der Entstehung noch nachher. Die Wahnideen aus rein
logischen Defekten brauchen also nicht egozentrisch zu sein, zum
großen Unterschied vom Grundwahn.
In gewissen Fällen von Wahnideen liegt das proton Pseudos gar nicht in
der Idee, sondern in einer Erfahrung : infolge Abspaltung selbsttätiger Komplexe
fühlt der Patient oft einen zweiten AVillen in sich. Je nach seiner Weltanschauung
muß er bei Unkenntnis oder affektiver Ablehnung des Krankhaften dieser
Erfahrung auf Besessenheit oder hypnotische Einflüsse oder etwas ähnliches
zurückschließen. Die Empfindung der zweiten Seele, eventuell des Zwanges, ist
etwas Primäres, die Erklärung ist für ihn eine notwendioe
Primordiale Wahnideen, die fertig ins Bewußtsein treten ohne Veran-
lassung durch Halluzinationen und ohne daß der Patient ihre Entstehung verfolgen
könnte, sind natürlich als Resultate der Denkarbeit im Unbemißten aufzu-
fassen, die durch die Selbständigkeit abgespaltener Funktionen so sehr er-
leichtert ist. Entspringen sie aus einem der gefühlsbetonten Komplexe, so müssen
sie egozentrisch sein, andernfalls ist dies nicht nötig.
Die wichtigste und oft ausschließlich allein berücksichtigte Wahnform
ist natürhch der Grundwahn mit seinem Ausbau nnd seiner Detailanwendung.
Seme Entstehung ist nach dem im vorigen Abschnitt Gesagten selbst-
verständlich :
Die Affekte hemmen bei jedem Menschen bis zu einem gewissen Grade
die ihnen widersprechenden Assoziationen und fördern die gleichsinnigen. Deshalb
täuscht sich auch der Gesunde unter dem Einfluß der Affekte nicht selten
obgleich er im Prinzip als selbstverständlich zugleich mit einem unerfüllbaren
Wunsche auch dessen Unerfüllbarkeit und zu einer bloßen Befürchtung auch
die Möglichkeit ihrer Unrichtigkeit hinzudenkt. Wer sich über jemanden ärgert
sieht dessen Fehler ausschließlich oder doch in Vergrößerung; wer etwas sehr
wünscht, verkleinert die Hindernisse; wer sich fürchtet, vergrößert sie- wer
aus irgend einem Grunde die Außenwelt feindlich auffaßt, findet überall Grund
314
Schizophrenie.
ZU Mißtrauen. Die Unbelehrbarkeit und Diskussionsunfähigkeit bei Gesunden,
deren Äff ektivität nachhaltig und im Verhältnis zur Uberlegungskraft sehr stark
ist, führt zu Irrtümern und geht ohne Grenze in die Paranoia über.
Sind die logischen Affinitäten geschwächti), so verstärkt sich der Einfluß
der Affekte; Hindernisse einer Wunscherfüllung werden gar nicht mehr im Zu-
sammenhang mit dem Wunsche gedacht; dadurch erhält dieser EeaUtätswert ;
die Fälschung geht bis zu Wahnideen, die sich somit nur quantitativ von jenen
Täuschungen des Gesunden unterscheiden. Durch die weitgehende Spaltung der
psychischen Funktion wird der Affekt innerhalb eines bestimmten Ideenkom-
plexes zum Alleinherrscher; Kritik und Korrektur werden unmöglich. So schaffen
sich die Affekte in den abgespaltenen Komplexen phantastische Welten ohne jede
Rücksicht auf die Wirklichkeit, der sie nur das zu ihnen passende Material
entnehmen. Das letztere wird ihnen in der Schizophrenie besonders leicht ge-
macht durch die Lösung der Assoziationsbahnen, die ihnen ermöglicht, jedes
beliebige Material mit dem beständig in funktioneller Bereitschaft stehenden
Komplex zu verbinden und in dessen Sinne zu verwerten. Die Logik, so weit sie
benutzt wird, tritt nun in den Dienst der affektiven Bedürfnisse und beim Ausbau
in den Dienst des Wahnes.
Diese autistischen Welten sind in jedem Falle unter der Führung irgend
eines oder mehrerer der wichtigsten menschlichen Triebe entstanden : Liebesglück,
Macht, Reichtum sind erträumte Ziele; fehlende oder unrichtige sexuelle Be-
tätigung, eigene Nichtigkeit und Verfolgung die Befürchtungen, die sich daran
knüpfen.
Diese Auffassimg von der Genese des schizophrenen Grundwahnes deckt restlos
alle die tausendfältigen Beobachtmigen. Alle ihre einzelnen Elemente smd Beob-
achtungstatsachen. Es ist ein zwingender Schluß, daß diese Tatsachen zu Wahnideen
führen ; hypothetisch wäre nur die Voraussetzung, daß nicht noch andere Mechanismen
mitsprechen. Wir sind uns aber klar darüber, daß wir nicht alle psychischen Funktionen
kennen, und daß auch hier noch manche unbekannte Verhältnisse mitwirken mögen.
Dies soU uns nicht hiadern, das, was wir bis jetzt kennen, in seinen Wirkimgen zu
studieren 2).
Man hat alle Wahnideen auf logischem Wege entstehen lassen wollen, als Er-
klärungen von veränderten Körperempfindungen, veränderten Wahrnehmmigen usw.
{Schuele, Berze, Neißer, 518). Dem ist entgegenzuhalten, daß wir bei vielen
Kranken diese Veränderungen gar nicht finden^) und jedenfalls nirgends an der
^) Es kommt natürüch aufä gleiche heraus, wann der Affekt abnorm stark ist wie
bei der Melancholie, oder wenn gar beide Anomahen sich summieren wie bei der manischen
und der melancholischen Paralyse.
") Eingehender ist die Entstehung dieser Wahnideen geschildert in Bleuler, Affekti-
vität, woselbst sich auch eine kurze Kritik der wichtigsten abweichenden Theorien findet.
^) Schon aus diesem Grunde sind alle die Theorien zu verwerfen, die mit dem Wahn
die ganze Krankheit aus Veränderungen der Körper empfindungen herleiten: Marandon
de Montyel nennt die abnorme Coenästhesie das Primäre; Wherry meint geradezu, der
Krankheitsprozeß sei außerhalb des Gehirns, dessen Funktionen nur durch veränderte Körper-
empfindungen gestört werden. Schuele spricht ebenfalls mit lokalisatorischen Beziehungen
von einer „zerebrospinalen Verrücktheit" und deutet einzelne Formen der Schizoplirenie
als „neuralgische Psychose": „wahnliafte Traumblüten auf dem spinalen Nervenbauni,
aus welchem sie erwachsen, die einzelnepiVahn Vorstellung auf einem abnorm funktionierenden
Empfindungsnerv". Auch in der Sexualität hat Schuele die Wurzeln der Krankheit ge-
Theorie. Sinnestäuschungen.
315
Wurzel der Waluiideen, und daß erfahrungsgemäß auf logischem Wege Wahrheiten,
Vermutungen und Irrtümer deduziert werden, nicht aber Wahnideen im Siime des
Grundwahues. — Man hat die Wahnidee aus dem „Affekt des Mißtrauens" heraus-
wachsen lassen (namentlich Specht). Die Idee könnte höchstens für den Verfolgungs-
wahn Geltung haben, nicht für die anderen Formen. Gibt es aber einen Affekt des
Mißtrauens? Und wenn es einen gäbe, woher käme der bei unserer Krankheit?
Am nächsten kommen wir der Fried mannschen Auffassung, die den Wirk-
lichkeitswert einer Vorstellung von ihrer Stärke abhängig macht. Die Stärke hängt
aber auch nach dem Autor von der Affektbegleitung ab. Wir können also die meisten
seiner Ausführungen akzeptieren, so weit sie nicht statt der „affektbetonten Vor-
stellung" den vmfaßbaren Begriff der „starken Vorstellimg" setzen.
Die „Eigenbeziehungen", die in der Genese der Wahnideen eine so große
Rolle spielen, sind für luis ein selbstverständliches Teüsymptom, das am Zustande-
kommen der Wahnideen mitbeteiligt ist: der gefühlsbetonte Komplex funktioniert
beim Schizophrenen auch während anderer Gedankengänge, ist also jederzeit bereit,
irgend welches Material zu assimilieren; wir brauchen nicht auf Neißers Verstärkung
der Empfindungen zu rekuTxieren, die nur ausnahmsweise vorhanden ist. Da der Kom-
plex einen wichtigen Teil des Ich repräsentiert, sind mit dieser Bemerkung auch die
Auffassungen getroffen, die den Wahnideen eine ,, Hypertrophie des Ich" oder etwas
Ähnliches zugrunde legen. Besondere Bedeutung hat nicht das Ich bekommen, sondern
ein Teü desselben, der Komplex.
2. Die Sinnestäuschungen.
Wie die Wirklichkeitsfälscliungen sich in Sinnestäuschungen aus-
drücken können, wissen wir nicht. Die Beobachtung, daß neben Illusionen noch
eine richtige Beobachtung des gleichen Erlebnisses stattfinden kann, weist
uns darauf hin, die Störung möglichst weit zentral zu verlegen. Die normalen
Analogien zu den Sinnestäuschungen gehen nicht so weit, daß man zur Zeit
wie bei den Wahnideen bloß von einem quantitativen Unterschiede sprechen
könnte; dennoch mag es gut sein, sie nicht zu übersehen: jedermann hat Illu-
sionen; jedermann kann im Traum oder bei verschiedenen anderen Anlässen
halluzinieren. Die Disposition zu diesen Täuschimgen ist also gewiß eine recht
naheliegende. Über den Wirklichkeitswert unserer Sinnesempfindungen täuschen
wir uns beständig. Wir glauben mit den Sinnen eine Gaslampe wahrzunehmen,
während wir in Wirklichkeit nur HeUigkeits- und Formunterschiede empfinden,
die wir mit Hilfe der früher gesammelten Erinnerungsbilder als
Lampe deuten. Es liegt also in der Wahrnehmung ein wichtiger intrazentraler
Vorgang, der bei der Schizophrenie leicht in Mitleidenschaft gezogen werden
mag und dann zu TUusionen führen könnte. Der Schiitt von da bis zu Hallu-
zinationen muß ein recht kleiner sein, denn schon innerhalb der Norm gibt es
mcht nur Illusionen, sondern bei hervorragender optischer oder almstischer
fanden; er hat basser beobachtet als andsre, aber die Beobaclitungen physiologisch statt
psychologisch zu deuten versucht. s i' J' ö " »"^to
entstehen E^s\\Ti?^'l' ^^J'^''^''' Körperompfindungen Halluzinationen
ent tehen Es handelt sich aber dabei nur um ein Material, das von einer bereits bestehenden
Uahnrichtung benutzt wird, analog dem speziellen Vergiftungswahn bei Diarrhöe we^
a i gemeiner Vorgiftungswahn besteht. Die Wahnrichtung kaniT auch im Traur^e nur
^cf a?fttto "'^'^^^ '''''''' -^^h-o-ge-^ß -d diese Gründraus ließ
316
Scliizoplirenie.
Phantasie können bekanntlich Vorstellungen „so lebhaft werden", daß sie sinn-
licher Wahrnehmnng gleichkommen. Bei der Schizophrenie, wo sich die Unter-
schiede zwischen Realität und Phantasie stark verwischen, mag dies noch viel
leichter geschehen. — Die spezielle Form der Reflexhalluzinationen wird in
der Übertreibung eines normalen Vorganges wurzeln: das Sehen einer Hand-
schrift, das Hören von Schritten erregt oft einen sehr lebhaften Gefühlston,
ja bestimmte Ideen, die dem Urheber der Wahrnehmung entsprechen, auch wenn
man diesen im Bewußtsein nicht erkannt hat.
Die Anlässe für die schizophrenen Halluzinationen sind überhaupt meist
psychischer Art. Die Sinnestäuschungen selbst erweisen sich ferner als psychische
und nicht als sinnliche Anomalien, indem sie nicht nur inhaltlich einen Ge-
danken ausdrücken, sondern auch in Nebensachen von Vorstellungen abhängig
sind: ihre Lokalisation geschieht oft nachweislich nach der Richtung der Auf-
merksamkeit, und wenn von der rechten Seite oder von oben angenehme, von
links, respektive unten, unangenehme Stimmen gehört werden, so hat das seinen
Grund in der Regel nicht in der Veränderung des peripheren oder zentralen
Gehörapparates der einen Seite, sondern in der Bedeutung, welche diesen Rich-
tungen in unseren Vorstellungen gegeben wird. Natürlich brauchen die Halluzi-
nationen nicht bewußten Vorstellungen zu entspringen; von ihnen gilt auch,
was Ziehen von den Illusionen sagt: sie ,, vollziehen sich bald im Sinne
aktueller, bald im Sinne latenter Vorstellungen" (840, S. 41). Haben sie auch
ihre Wurzel im Unbewußten, so erzwingen sie sich oft die Aufmerlcsarakeit gegen
den Willen des Patienten vermöge der affektiven Bedeutung des Ursprungs-
komplexes. Daß die Sinnestäuschungen nicht nur die einzelnen Komplexe,
sondern auch den normalen Rest der Persönlichkeit mit ihrer Kritik und
eventuell ihrer teilweisen Einsicht repräsentieren können, erscheint selbst-
verständlich.
Warum bei unserer Krankheit gerade die Täuschungen des Gehörs und der
Körperempfiudungen dominieren, vermögen wir nicht zu sagen. Immerhin
wird es nicht ohne Bedeutung sein, daß bei keiner andern Psychose das Ich und
seine Stellung zur Welt, das Denken und Fühlen so stark alteriert ist. Der Aus-
druck des Denkens und Fühlens in Worten ist so naheliegend, daß behauptet
worden ist, man denke überhaupt nur in Worten. Gerne bringt man ferner mit
der Veränderung des Ich die Körperhalluzinationen in Verbindung, da die Emp-
findungen des eigenen Körpers den Grundstock des Tchkomplexes bilden müsseni).
Es wird wohl etwas Richtiges an dieser Auffassung sein; bewiesen ist sie nicht.
Dagegen ist es sicher, daß ein großer Teil der Körperhalluzinationen aus über-
tragenen und umgestalteten Sexualgefühlen entsteht; können doch Schmerzen
in der Lebergegend, die Gallensteine vortäuschen, sich als der Ausdruck ver-
legter Schmerzen einer eingebildeten Geburt entpuppen. - Die Gesichtshallu-
zinationen treffen wir bei der Schizophrenie wie sonst auch nur bei den deliriosen
Zuständen im Vordergrund. Ich möchte nicht behaupten, daß dies ausschließ-
lich deshalb der Fall sei, weil in den besonneneren Zuständen eine Korrektur
der optischen HaUuzinationen durch andere Sinne und durch den ^Widerspruch
mit den wirklichen Gesichtsbildern zu leicht sei.
1) „Den Wahn körperlicher Beeinfkißimg als Ausdruck der verlorenen Selbst-
bestimmung finde ich in SeVo meiner Fälle." Albrecht (S. 683).
Theorie. Gedächtnistäuscbungen.
317
Kerne Kranldieit ist aber so geeignet wie die Schizophrenie, recht eindringlich
zu zeigen, daß das Wesentliche an dem halluzinatorischen Prozeß im psychischen Organ
liegt weü — ganz abgesehen von vielen anderen Gründen — die HaUuzinationen
nicht Sinnesmaterial, sondern Gedanken und Gefühle und Strebungen ausdrücken,
wenn wir auch wissen, daß die A uslös u n g der Halluzmationen von den Sinnesorganen
aus so gut wie durch andere Eeize geschehen kann.
Konrad hat allerdings bei Halluzinanten stärkere Erregbarkeit der Gehörs-
und Gesichtsnerven gefunden; die Beobachtung bedarf aber noch der Nachprüf mag
an größerem Material.
Der Wernickeschen Sejunktionshypothese liegen ebenfalls Beobachtungen von
Schizophrenen zugrunde; sie ist aber zu mechanisch, als daß sie so komplizierte Er-
scheinungen wie die Sinnestäuschungen verständlich machen könnte.
Die Kraepelinsche Auffassung der „Perzeptionshalluzinationen", die durch
eine Erregvuig der Smneszentren entstehen sollen, wird der Tatsache zu wenig gerecht,
daß die Halluzinationen ganze Strebungen ausdrücken.
3. Die Gedächtnistäuscbungen.
Wer ein Tagebuch führt und nach Jahrzehnten wieder darin liest, weiß,
daß er manches anders notiert findet, als er es im Sinne hat. Eegelmäßig ist dann
die Version des Tagebuches die weniger angenehme. Die Erinnerung ist also
umgestaltet worden in der Eichtung der Wünsche, der Eigenliebe. Bei den
Schizophrenen mit ihrer Schwäche der Logik und der übertriebenen Wirksam-
keit der Affekte haben solche Umbildungen freies Spiel. Ganz wichtige Erfahrungs-
reihen werden verändert oder von der Erinnerung ausgeschaltet und durch
anderes Material ersetzt: Gedächtnisillusionen.
Auch die Gedächtnishalluzinationen sind nichts der Schizophrenie
Eigentümliches, wenn wir auch ihr Prototyp bei Gesunden fast nur im Traum
finden, hier aber als eine gewöhnliche Erscheinung. Die Neigung, plötzlich aus dem
Unbewußten aufzutauchen, teilen sie mit den schizophrenen Halluzinationen
und Wahnideen: die vom Bewußtsein abgespaltenen Komplexe schaffen ein
Gedächtnismaterial, das sich bei irgend einer Gelegenheit mit dem bewußten
Ich verbindet.
4. Genese des Inhaltes der Wirklichkeitstäuschungen.
Wenn man auch von jeher da und dort in einem einzelnen FaUe einen
Einblick in die Mechanik einer Wirklichkeitsfälschung bekommen hat, so ver-
danken wir es doch erst Freud, daß die spezielle Symptomatologie der Schizo-
phrenie erklärbar geworden ist. Zur Darlegung der Verhältnisse haben wir uns
nur an einfache Beispiele gehalten und Komplikationen ignoriert. Es soll aber
ausdrücklich hervorgehoben werden, daß die Analysen sehr viel weiter geführt
werden können, als hier geschehen ist, und daß natürlich das Zustandekommen
des einzelnen Symptoms nicht bloß durch die angeführten Momente, sondern
außerdem durch mehrfache andere Konstellationen bedingt ist.
Auf die Technik der Untersuchung können wir nicht eingehen. Dagegen
ist es leider notwendig, die ganze Auffassung zu verteidigen. Man hat ethische
Grunde gegen die Freudschen Untersuchungen ins Feld geführt; sie mögen
bei der Therapie diskutierbar sein, nur darf man auch dort nicht die momentanen
318
Schizoi)hrenie.
sexuellen Sitten mit der Ethik verwechseln. Gegen die Erweiterung unseres Wissens
an sich aber gibt es keine ethischen Gründe, so wenig wie gegen die Richtigkeit
von Forschungsresultaten. Gültige Einwände gegen unsere Auffassungen habe
ich bis jetzt nicht zu Gesicht bekommeu. Es beweist natürlich nichts, wenn man
mit oder ohne Recht bestimmte „Deutungen" als phantastisch hinstellt. Die
ganze Flut \on Angriffen beruht ausnahmslos auf Unkenntnis des Wesens der
Sache, die man bekämpfen will. Diese Unkenntnis ist begreiflich, denn ohne jahre-
lange eigene Forschung kann man nicht zu einem Urteil kommen. Es ist ja un-
möglich, das, worauf es ankommt, nur zum hundertsten Teil in die Beschreibungen
hineinzulegen. Die genauesten Protokolle der Psychanalysen sind in dieser
Beziehung wertlos, weil uns die Kranken mit ihrer Mimik, mit Ton der Stimme,
mit Atmung, Erröten, mit Bewegungen der Hände und Beine, mit Zittern und
Sperrungen, kurz mit Affektausdrücken viel mehr als mit Worten die Zusammen-
hänge demonstrieren. Auf alle diese Dinge reagiert jedermann unbewußt sehr fein.
Der ungebildete Taglöhner, das einjährige Kind, ja jeder Hund richtet sich mit
großer Sicherheit nach solchen Ausdrücken unserer Stimmung. In der Psych-
iatrie ist es vorläufig verpönt, bewußt darauf Rüclcsicht zu nehmen, während
man ganze Ideen in einzelne ZeUen domizilieren darf, ohne Entsetzen zu erregen.
Die Auffassung schizophrener Symptome im Sinne der Freudschen
Symbolik macht aus folgenden Gründen Anspruch auf Richtigkeit:
Sie erldärt widerspruchslos eine unbegrenzte Menge von Tatsachen, die
sonst ganz unvermittelt und unverständlich dastehen. Daß dies ein Zufall wäre,
ist so undenkbar, wie daß eine Schrift bei veränderter Bedeutung der Buchstaben
eine zusammenhängende sinnvolle Abhandlung geben würde.
Bei richtigen Deutungen ergeben sich trotz der vielen ihnen unterzuord-
nenden Tatsachen keine Widersprüche, während eine falsche Deutung meist
vielfach anstößt und auch von dem Patienten gewöhnlich desavouiert werden kann.
Richtige Deutungen werden von den Kranken gewöhnlich bestätigt, sobald die
Widerstände überwunden sind. Die meisten Deutungen stammen überhaupt gar
nicht vom Arzt, sondern vom Patienten.
Wären die Deutungen willkürlich, so müßten sie sich auch bei beliebigen
anderen Zuständen in gleicher Weise anwenden lassen. Sie versagen aber z. B.
beim Delirium tremens und überall da, wo man es nicht mit einer wesensgleichen
Symptomatologie zu tun hat. Sie lassen sich ferner von den verschiedensten Seiten
verifizieren: das Studium der experimentellen Assoziationen, die Symbolik des
Traumes, der Poesie, der Mythologie, ergibt genau die gleichen Resultate. Die
Ergebnisse sind auch im einzelnen FaUe oft auf ihre Richtigkeit prüfbar, indem
wiederholte Experimente unter gleichen Umständen die gleichen Resultate
ergeben. . .
Mit der Sicherheit eines physikalischen Experimentes verbürgen diejenigen
gar nicht seltenen FäUe die Richtigkeit der Deutungen, wo diese auf reale Vorgänge
schließen lassen, die sich bei der objektiven Prüfung nachträglich als richtig
erweisen. ^ -r»- 1 4.
So konnte ich in einem FaUe aus dem Roman eines bekannten Dichters die
Trennung von seiner Frau voraussagen mehrere Jahre, bevor sonst irgend etwas
darauf hindeutete, und bevor nach allem menschenmöglichen Wissen der Ehe-
mann selber sich der Loslösung von der Frau bewußt war. Wir konnten m anderen
Theorie. InLalt der Wirklichkeitstäuscliungen.
319
Fällen bei Nervösen wie bei Geisteskranken aus Symptomen Zerwürfnisse zwischen
Ehegatten diagnostizieren, deren Eichtigkeit sich erst später herausstellte.
Man kann aus einer bestimmten Mimik auf Fellatio, aus einer Wahnidee auf
Gewissensbisse wegen Päderastie schließen und erhält vom Kranken ohne jede
Suggestion die Bestätigung. Eine Menge der aus der Analyse sich ergebenden
Erlebnisse lassen sich auch sonst objektiv verifizieren, sind also nicht, wie
Keichardt meint, „selbstverständlich Produkte paranoischer Einbildung" i).
Ein wesentlicher Teil der schizophrenen Symptome entspringt den gefühls-
betonten Komplexen. Welche speziellen Komplexe den einzelnen Kranken
beherrschen, das läßt sich schwer allgemein bestimmen. Von einem gewissen
Einfluß sind unzweifelhaft Vorkommnisse, die in bezug auf die Person und die
Krankheit zufällige genannt werden müssen. Wer sich gerade zur Zeit, da seine
Ej-ankheit akut einsetzt, verliebt hat, der wird diesen erotischen Komplex
mit großer Wahrscheinlichkeit in die Elrankheit hinüber zu nehmen haben.
Wer gerade mit etwas anderem beschäftigt ist, wer z. B. um seine ökonomische
Existenz zu kämpfen hat, wird leicht Ideen von Besitz und Reichtum in den
Vordergrund steller. Religiös angelegte Naturen werden natürlich eher zu „re-
ligiösem Wahnsinn" kommen als andere; oft wird die Kjankheit allzu intensiver
religiöser Beeinflussung von anderer Seite zugeschrieben ; es wäre möglich, daß
eine solche Einwirkung auch bei einem von Natur nicht religiös angelegten
Menschen die Wahnrichtung bestimmen könnte. So recht nachgewiesen habe ich
es noch nicht gesehen. Diejenigen Fälle, wo man den Ursprung der religiösen
Wahnideen einigermaßen verfolgen konnte, deuteten alle auf frühere starke
Beschäftigung mit solchen Dingen. War der religiöse Trieb schon früher nicht nur
besonders stark, sondern qualitativ abnorm, so lag es allerdings am nächsten,
die religiöse Betätigung schon der verkannten Kjrankheit zuzuschreiben, und
bei der Unmöglichkeit, gerade bei religiösen Trieben zwischen ungewöhnlicher
Stärke und krankhafter Abnormität prinzipiell zu entscheiden, mußte man die
Frage nach der Ursache wieder offen lassen. Bei Frauen fanden wir am häufigsten
die Liebe zu einem Pfarrer irgendwo an der AVurzel des „religiösen Wahnsinns"^).
So würde nicht die Krankheit aus dem Charakter heraus-
wachsen, wie die vulgäre Auffassung meint, sie würde auch nicht in
ihren Symptomen durch den Charakter bestimmt, wie Tiling sich
denkt, sondern das, was die Symptomatologie bestimmt, ist der ge-
fühlsbetonte Komplex, der aber seinerseits wieder oft abhängig ist
V 0 n a n g e b 0 r e n e n A n 1 a g e n : nur wer den Trieb hat, eine bestimmte Rolle in der
Welt zu spielen, sei es in Politik, Religion oder Wissenschaft, kann die Krank-
1) Eine ausführlichere Kritik der Angriffe auf Freud und auch eine teilweise Kritik
derFreudschen Lehren selbst enthält: Bleuler, Die Psychanalyse Freuds. Wien, Deuticke
lyil, und Jahrbuch für psychanalytische Forschung II, 1910.
, , .'^^'f "^""^^ P""^^"^ Es '^ann B. so gehen, daß zunächst die hienieden
unbefriedigte Sexualität m:Religiosität subUmiert wird, und dann erst auf Grund religiöser
htimmungen der Pfarrer vor allen anderen Männern angosclmärmt und dadurch daa Gefühl
teilweise resexualisiert wird, , v^eiuni
320
Schizophrenie.
hcitssymptome durch einen entsprechenden Komplex determinieren. Eine
Iriebrichtimg mdes ist allen Menschen gemeinsam, die sexuelle, die mit allem
was drum und dran hängt, einen großen Teil unseres Ichi) ausmacht. Deshalb
treffen wir in jedem Falle den sexuellen Komplex, teils allein, teils in Verbindung
mit anderen. ^
Hinter vielen der einzelnen Krankheitssymptome stehen also Wünsche
und Befürchtungen, Strebungen und deren Hindernisse.
Diese Genese bedarf wohl keines Beweises in den häufigen Fällen, wo
z. B. Anstaltspatienten ganz unmotiviert, aber überzeugt, plötzlich erklären-
„Heute kommt mein Sohn und holt mich ab." Beim einen Kranken ist diese
Idee unvermittelt aufgetaucht, dem andern haben es die Stimmen gesagt, der
dritte hat es aus Zeichen erschlossen, die er auf sich bezog, und im Sinne des
Wunsches deutete. Gleich selbstverständlich ist diese Auffassung in vielen anderen
emfachen Fällen: Zwei Frauen glauben (ohne Berührung miteinander) den Mann,
den sie lieben, in der Nähe, bald, weil sie seine Stimme hören, bald ohne einen
solchen Anhaltspunkt, obschon die beiden Männer in Amerika sind. Eine Schizo-
phrene, die in der Anstalt geboren hat, aber gar keine Milch produziert, hört die
Stimmen sagen, das Kind habe die ganze Nacht bei ihr getrunken. Ein Offizier,
der mit seiner Schwiegermutter von jeher nicht gut auskommt, ist überzeugt,
daß sie geköpft werde oder — auf Einwand — doch, daß sie lebenslängliches
Zuchthaus bekomme. Er hat sie ja beim Staatsanwalt verklagt, sie habe vor
Jahren eine andere Frau vergiftet; er hat nicht die mindesten Beweise für seine
Behauptung beigebracht, fühlt sich aber ganz sicher.
In diesen Fällen wird der Widerspruch mit der Wirldichkeit in Zukunft
und Vergangenheit verlegt. Es macht aber den Kjanken gar nichts aus, wenn sie
auch mit der Gegenwart in Kollision kommen. Ein Hebephrene, der anfängt,
alt zu werden, und lauter schlechte Zahnstümpfe besitzt, freut sich eines morgens
kindlich, daß er neue Zähne bekommen hat, und zeigt mit Stolz den Ärzten
und Wärtern seinen Mund; er muß, um seine Behauptung auch vor sich selber
aufrecht zu erhalten, die Empfindung neuer Zähne in seinem Munde illusionieren.
Eine latent Schizophrene, deren Menstruation zum ersten Male aussetzt (Meno-
pause), erwacht in der Nacht daran, daß ihre Glieder sich einziehen, sie wird so
klein wie ein Neugeborenes, strampelt mit Armen und Beinen imd muß vom
Manne wie ein kleines Kind auf den Armen herumgetragen werden (Regeneration
an Stelleder Involution [Jung]). — Ein körperlich armseliges Geschöpf (in der
Jugend AVasserkopf) glaubte sich wundervoll gebaut wie eine Statue; sie ist
bloß abgemagert durch das Bad, das sie beim Eintritt bekommen. Ferner ist sie
in den Himmel aufgenommen, verkehrt mit Heiligen; sie hat also die Misere
dieser Welt doppelt überwunden (Norman 526, S. 279).
Ein hochintelligenter Mann, der trotz eines ersten katatonischen Anfalles
noch eine Rolle spielt und viel öffentlich reden muß, stottert und stammelt etwas.
Im zweiten katatonischen Dämmerzustand meinte er, eine ganz reine Stimme zu
haben, „so Idar, so rein wie nie; jeden Laut kann er haarscharf aussprechen".
Diese Idee veranlaßte ihn dann, fürchterlich laut zu singen, sogar als er auf Besuch
1) Mehr als die Hälfte; denn die andere Hälfte, die der Selbsterhaltung dienenden
Triebe, sind beim Kiiltur menschen verkümmert.
Theorie. Inhalt der Wirklichkeit stäuschungen.
321
^ar. — Ein sexuell Erregter glaubt sicli in der Anstalt in einem Frauenkloster
und koitiert mit der Matratze.
Der WuDscli, nicht in einer Irrenanstalt zu sein, veranlaßt eine Verfälschung
der örtliclien Orientierung in dem Fall einer ganz attenten und arbeits-
fähigen Frau, die an ihren Mann schreibt: „In kurzen Zeilen mui3 ich Dir mit-
teilen, daß ich seit heute 14 Tage in der Erholungsstation bin neben der Irren-
anstalt im BurghöM aus mir noch nicht ganz aufgeklärten Gründen." Sie ist
wirklich im Burghölzli, nicht neben demselben, erkennt die anderen Kranken als
geistesgestört; das hindert die Verfälschung der örtlichen Orientierung, die
übrigens in dieser Art recht häufig vorkommt, nicht.
Einen voUen Bruch mit der Wirklichkeit zeigt auch ein Katatoniker, den
es eine Zeitlang reute, seine Mutter umgebracht zu haben, und der während
dieses Stadiums ernstlich glaubte, das Unglück könne auch ungeschehen ge-
macht werden, wie er sich selbst ausdrückte.
Nicht immer sind die Wünsche so gut begründet und andauernd; auch
momentane Kegungen, die im ganzen durch entgegenstehende lebhaftere Ge-
fühle im Schach gehalten werden, können in Wahnideen umgesetzt werden.
Ein junges Mädchen, das sich beim Beginne einer Katatonie ungeziemend auf-
führte, erhielt von der Mutter eine Strafpredigt und eine Ohrfeige; sie rannte
zu den Hausleuten und schrie: „Haben Sie gehört, Papa hat die Mutter er-
schossen"; gleich nachher bat sie die Mutter kniefällig um Entschuldigung.
Die von Jung analysierte B. S. sieht die Personen, die sie durch irgend eine
Kleinigkeit ärgern, Wärterinnen, Ärzte, auch Mitkranke, die etwas tun, was ihr
nicht gefällt, sofort mit dem Leichenwagen fortgeführt; meinen Vorgänger sah
sie einmal plötzlich wie von einer Kugel weggerafft.
Überhaupt sind den Kranken die Leute, die in ihren Wahn-
ideen sterben, immer irgendwie im Wege und wäre es nur durch
Beziehungen zu verhaßten Personen. Eine Katatouika mochte die Herr-
schaft, bei der sie einige Zeit vor ihrer Erkranktmg gedient hatte, nicht leiden.
In ihren Wahnideen nun war das unschuldige Kind der Herrschaft umgekommen.
Nicht immer werden die Verhaßten einfach als gestorben gedacht. Ein
Katatoniker hat Händel mit seinen Geschwistern; zweimal sah er den Tod
zwischen sich und dem Bruder. Die Idee, den Verhaßten selbst zu töten, kommt
nicht selten zum Ausdruck. Eine Patientin Hagte sich an, ihren Bruder getötet
zu haben. Auf die Frage, ob sie ihn gern habe, sagte sie zwar ja, aber mit einem
Ton imd einem Lächebi, das jedermann überzeugen mußte, das Gegenteil sei
wahr. Ein sehr geiziger Sohn, dessen Mutter ihn am Emporkommen verhinderte,
weil er sie unterstützen mußte, und der überzeugt war, von ihr die geisti^^e Un-
zulänghchkeit geerbt zu haben, sagte zu ihr: „Ich könnte dich mir ganz "ut
vorstellen lang ausgestreckt auf dem Boden und mit einem Löchlein auf der
Stime."
Die Wahnidee des Mordes kommt außerdem noch als sexueUes SjTnptom
vor, wie wir später sehen werden. Bis jetzt haben wir einen einzigen Fall beobachtet
wo sich weder das Ausdemwegeräumen noch die sexueUe Liebe als Wurzel der
iuee nachweisen ließ.
In einer komplizierten Weise erfüllt sich ein paranoider Quärulant der
Übrigens ein Paradigma für manche andere Schizophrenen ist, seine Wünsche
Handbuch der Psycliiiitiie : Bleuler.
21
322
Schizophrenie.
Er bescliuldigt die Leute, die er nicht mag, verschiedener Verbrechen') und
entnimmt die Beweise dafür seinen Halluzinationen und Gedächtnistäuschungen.
Er hat ferner Forderungen an diese Leute zu stellen. Einen Verleumdungsprozeß
behauptete er gewonnen zu haben, obgleich er die Strafe abgesessen und Buße
und Gerichtskosten bezahlt hat, und er bleibt bei seinem Glauben, auch wenn man
ihm das Urteil wieder zeigt. Als er bei uns in Untersuchung war, sagten wir ihm
mit aller denkbaren Bestimmtheit bei jeder Gelegenheit, daß wir ihn für geistes-
krank und seine Forderungen für wahnhaft halten; er ließ sich aber nicht davon
überzeugen, daß wir ihn nicht in unserem Gutachten für gesund erklärt und ihm
auch bei seinen Forderungen und Anklagen recht gegeben hätten. — Einem
jungen Manne, der an Kinderlähmung, allgemeiner Schwäche und Kopfschmerzen
litt, war das Leben verleidet: er gewann die Überzeugung, daß er und seine
Verwandten an einem bestimmten Tage sterben müßten. (Als er aber den Tag
überlebte, suchte er den Wunsch durch einen ganz unbändigen Selbstmordtrieb
zu erfüllen.)
Die Wünsche nach großem Können, nach Reichtum, Macht, Vornehmheit
werden im Größenwahn erfüllt. Er gilt als ein Zeichen von Blödsinn; genau
im gleichen Sinne sind es aber auch die anderen autistischen Wunscherfüllungen.
Der Wahn, der ungeliebte Mann habe durch seinen Tod der Patientin eine
begehrte Verbindung ermöglicht, hat z. B. die nämliche Bedeutung. In Wirk-
lichkeit verhält sich die Sache folgendermaßen: Im Beginn des Wahnes finden
wir einen Wunsch, der vom Schizophrenen ohne Begleitung der Idee seiner Un-
erf üUbarkeit gedacht werden kann oder der — nach dem folgenden Schritt — als
erfüllt gedacht wird. Der Arbeiter kann sich nur mit Hilfe eines vollen Sacrificium
inteUectus als regierenden Kaiser denken ; die Frau, die Tag und Nacht mit ihrem
Manne lebt, kann nur bei vollständigem Abschluß von der Wirklichkeit oder
gänzlichem Bankerott der Logik glauben, daß ihr Mann tot sei. Für besonnenere
Patienten muß somit der beständige Widerspruch des Wunsches mit der Wirk-
lichkeit verhindern, daß der Wahn vollständig ausgebaut werde, und noch
mehr, daß er von seinem Komplex aus die ganze Person beherrsche ; er wird nicht
durchgeführt, bleibt im wesentlichen im Unbewußten oder wird verschoben
und hinter Symbolen versteckt. Um so fühlbarer werden die Hindernisse, die
sich der Wimscherfüllung oder dem Wahne des erfüllten Wunsches entgegen-
stellen: Daher wird häufiger zuerst die Idee der Verfolgung ausgebaut, die schon
bei jedem Normalen bereit liegt, wenn seine Aspirationen scheitern (es wird
selten ein Kandidat durchs Examen fallen, der nicht einen Teil wenigstens der
Schuld bei den Examinatoren findet).
Es gibt nun Fälle, wo die Vorstellung des erfüllten Wunsches nicht auf so
große Hindernisse stößt: der kranke Weltverbesserer, der Prophet, der Philosoph,
der Dichter, oft auch der Erfinder und andere Leute mit ähnlichen Strebungen
lassen sich nicht gleich ad absurdum führen, ja sie finden oft Gläubige. Diese
können den Größenwahn ausbauen, ohne den logischen Zusammen-
hang mit der Wirklichkeit zu verlieren, und der Verfolgungswahn
kann ausbleiben oder erst ganz spät einsetzen.
Bei allen anderen Formen müssen sich die Aspirationen hinter dem Ver-
1) Vgl. auch ob3n S. 5, und die ähnUche Genese bei Eifersuchtswahn weiter
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschungen.
323
fol^uugswahn verstecken; nichtsdestoweniger sind sie das Primäre; eine Patientin
kann sich nicht dagegen verwahren, daß sie ein Kind von Dr. N. habe, wenn ihr
nicht irgendwie die Idee gekommen ist, sie möchte eines haben oder habe eines.
Wenn also jene Wahnformen, die einen krassen Widerspruch mit der
Wirklichkeit enthalten, seien sie im Sinne des Größenwahnes oder nicht,
ungeschminkt und ausgebildet hervortreten, so muß es sich jedesmal um eme
sehr weitgehende Abtrennung von der Wirklichkeit oder dann um eine hochgradige
Denkstörung oder um beides handehi. Ist in einem chronischen Zustand
eine dieser beiden Bedingungen erfüllt, dann ist der Patient gewöhnlich unheilbar
und mag zugleich als hochgradig blödsinnig gelten, wenn er auch andere Verhält-
nisse tadellos beurteilt.
Die Lostrennung von der Wirklichkeit, die hochgradige Störung der Logik
und der durch diese Dinge ermöglichte Größenwahn und andere Wunsch-
erfüUungen können aber ebensogut Teilerscheinungen beliebiger akuter Zustände
und damit vorübergehend sein. Die Auffassung des Größenwahnes als Zeichen der
Verblödung war also eine praktische Kegel mit vielen Ausnahmen, die nicht die
ganze Wahrheit und dafür manches Unrichtige enthielt.
Aspirationen irgend welcher Art verbinden sich leicht mit sexuellen
Ansprüchen. Ein Arbeiter, der von jeher sehr sparsam gewesen und sehr
darauf sah, daß man ihn in gebührender Weise ehrte, lebte seit dem 23. Jahre
in anscheinend glücklicher Ehe. Mit 31 Jahren erklärte er seiner Frau unter
Tränen, er wolle sie glücklich machen ; er werde ein bestimmtes reiches Fräulein
heiraten. Auf Einwand, daß das nicht möglich sei, meinte er, er werde sich eben
scheiden lassen. Er erhielt Zeichen, daß er die Dame heiraten soUe, tat Schritte
dafür. Dieselbe Bedeutung der gleichzeitigen Erfüllung sexueller und ökonomischer
Wünsche hat es, wenn einer geizigen Frau durch die Stimmen telephoniert wird,
es kommen Herren, die ihr Geld bringen. — Eine geistig sehr gut entwickelte
Frau aus dem Volke hat, obwohl sie etwas auf Intelligenz und Bildung hält,
einen Mann geheiratet, der ihr geistig minderwertig erscheint. Sie hat zwar
keinen andern Liebsten, nimmt nun aber so Rache am Manne, daß die Stimmen
ihn foppen und verspotten, sie aber trösten, sie habe ein besseres Los verdient,
sie werde 20.000 Franken erben.
Komplizierter äußert sich das Bedürfnis nach Liebe und Standeserhöhung
im folgenden Falle: Eine hebephrene Bäuerin ist in „telephonischem" Verkehr
mit Herren an einem Kurort ; namentlich ein Baron (der in Wirklichkeit gar nicht
existiert) will sie heiraten. Ihr Mann ist ihr durchgebrannt (wirklich, er war
ein Lump). Patientin hatte aber schon vorher den Zwang in sich gefühlt, um
Mitternacht „zu einem andern Mann" in ein Nachbardorf zu laufen und ihm
ihren Ehevertrag zu bringen. Später halluzinierte sie vielfach: viele Menschen,
die sie bedrohen, eine Schlange, einen ungeheuren Drachen, alles Dinge, die mit
der Sexualität im Zusammenhang stehen, wie die Erfahrung an anderen Kranken
ergibt. Zu gleicher Zeit wird das Bedürfnis nach Reichtum befriedigt : sie sieht sich
m einem großen Garten mit wunderbar schönen Bhimen, darin ein feenhaftes
Schloß mit Girlanden umgeben. Wie die Kranlcheit fortschreitet, sieht sie bei guter
Besonnenheit den österreichischen Kaiser auf ihrem Felde; ihr Enkel ist ein Kron-
prinz von Österreich; mit andern hohen Herrschaften ist sie ebenfalls in Berüh-
rung. Sie mußte auch zwangsmäßig in Wirtschaften.gehen und Kotelette befehlen.
21*
324
Scliizopbrenie.
Der Gegensatz zur AVirldichkeit kam aber, wie oft, ia den Kranklieits-
symptomen ebenfalls zutage. Die Stimmen sagten ihr z. B., wenn sie in Wirt-
schaften groß tat, sie sei ein Luder, ein Laster. Ferner meinte' sie, der Mann habe
sie durch em Pulver oder durch Zauber an sich gefesselt (sie ist also nicht schuld
daß sie eine so ungeschickte Heirat gemacht hat). '
Die Abneigung gegen den Ehegatten respektive der Wunsch einen andern
zu haben, gibt sich bei unseren Kranken auf die verschiedenste Weise zu erkennen
Nicht selten behaupten die Frauen, sie seien gar nicht verheiratet oder wenigstens
ihr Mann sei nicht ihr Gatte. Wie andere gehaßte Leute werden die Ehemänner
häufig tot erklärt, mit oder ohne Jammern. Sehr diskret zeigte sich die Ab-
neigung gegen den ungeliebten Gatten bei einer paranoiden, längst verheirateten
Frau m einem Versehen, in dem sie einen Brief mit ihrem Mädchennamen unter-
schrieb und dann ihren erheirateten Familiennamen dazu korrigierte. (Sie hatte
außerdem eine immer zunehmende Menge Wahnideen und Halluzinationen, die
zum großen Teil gegen den Mann gerichtet waren.) Dieses Versehen ist eine hübsche
Übertragung von Freuds Psychologie des AUtagslebens ins Pathologische.
Eine spätkatatone Frau K. liebt ihren Mann nicht, dagegen einen Be-
kannten aus der Jugendzeit. Sie behauptet nun eine Zeitlang, es existieren
„zwei K.S., ein weißer und ein schwarzer, ein guter und ein böser". Die einfache
Symbolik wird in diesem Falle von der Patientin selbst noch empfunden und
erklärt. Einige Zeit später glaubt sie sich mit ihrem früheren Geliebten ver-
heiratet und ihren Mann ebenfalls mit einer früheren Bekanntschaft. Und um
ihr Glück voll zu machen, sind alle ihre lieben Verstorbenen wieder lebendig
geworden und im Verkehr mit ihr.
Eine stramme Bäuerin hat einen Mann geheiratet, der ihr weder körperlich
noch geistig ebenbürtig ist. Sie liebte einen Pfarrer. Nach Ausbruch der Katatonie
macht sie sich von ihrem Manne dadurch frei, daß sie ihn für untreu und mit
einer andern verlobt glaubt (ein Wahn, der unter solchen Umständen sehr häufig
ist; vergleiche auch den vorhergehenden Fall). Sie geht eines Tages aufs Standes-
amt, um sich zu erkundigen, ob der Mann noch nicht als Verlobter ausgeschrieben
sei. In der Anstalt ruft sie verbigerierend, ihre Genitalien werden für den Pfarrer
zurecht gemacht. Die Wirklichkeit kommt aber auch da einigermaßen zu ihrem
Recht, indem die Kranke sich oft beklagt, der Mann komme in der Nacht zu ihr
ins Bett (eine unter solchen Umständen nicht seltene Idee) ; sie wolle ihn aber nicht,
sondern den Pfarrer. Eine andere Art Anpassung liegt wohl auch darin, daß sie
in der Anstalt nach einiger Zeit den Arzt mit ihrem Pfarrer identifiziert. Der
Arzt ist aber verheiratet, und da er eines Tages zu ihr kommt, empfängt sie ihn
mit dem Ausruf: „So, ist ihre Frau gestorben?" Als das verneint wird, geht sie
mit ihrem Gedankengang weiter, wie wenn es bejaht worden wäre: „Sie be-
kommen ja leicht wieder eine Frau, ich z. B. würde Sie schon heiraten." Da ihre
Konkurrentin doch weiter lebt, nimmt sie eines Tages eine Erinnerungstäuschung
zu Hilfe, der Arzt habe ihr selbst versichert, er könne mit seiner Frau nicht
sexuell verkehren.
In all den zahlreichen Fällen, wo eine Frau ihren Mann fälschlich tot glaubte,
wo sie glaubte, nicht verheiratet zu sein, nicht den Namen ihres Mannes zu haben
und ähnliches, fanden wir ausnahmslos nicht bloß Unzufriedenheit mit irgend
einer einzehaen Eigenschaft oder einer einzelnen Handlung des Mannes, sondern
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschungen.
325
eine tiefer gehende Unbefriedigtlieit, die indes nicht in allen Fällen der Patientin
klar bewußt sein mußte. Unter den angegebenen Anlässen zur Unzufriedenheit
wird auch angeführt, daß der Mann sie sexuell nicht befriedige. Selten handelt
es sich dabei um Impotenz. Die Nichtbefriedigung hat also wohl wie gewöhnlich
ihren Grund in mangelnder Liebe der Frau oder teilweiser Abneigung gegen den
Mann. Es ist nun zur Genese dieser "Wahnideen nicht nötig, daß der Mann im
gewöhnlichen Sinne gehaßt werde; die Frau kann alle Hochachtung vor ihm
haben, sie kann ihn sogar in einer gewissen "Weise lieben, aber er ist ihr irgendwie
doch imgenügend oder unangenehm (Ambivalenz); namentlich scheint in-
tellektuelle oder gemütliche Insuffizienz (im Verhältnis zu den Ansprüchen)
schwer empfunden zu werden. Ebensowenig braucht der Geliebte allen "Wünschen
der Patientin zu entsprechen; er wird oft wahnhaft umgestaltet; aber irgend
einen wichtigen "Vorteil dem Manne gegenüber muß er haben.
"Was von der Frau gesagt ist, läßt sich mutatis mutandis auch beim Manne
finden, doch im Durchschnitt weniger ausgesprochen. Der Mann ist weniger
auf die eine Frau angewiesen; er beschäftigt sich in der Idee oder handelnd
leichter mit dem Gedanken der Scheidung. Die Sache geht ihm auch weniger
tief. Er kaim neben der Frau ganz gut noch die eine oder andere Wahngeliebte
(oder auch eine wirldiche) haben ; er kann sogar eine andere heiraten wollen, um
seine Frau glücklich zu machen, die dann seinen Reichtum teilen soU.
Vielleicht häufiger als die Frau entledigt sich der Mann seiner Verpflichtung
gegen die Gattin dadurch, daß er sie untreu wähnt. Dieser Ursprung des Eif er-
sucht swahnes^) verhindert natürlich nicht, daß die Frau dafür angeklagt
und gehaßt und mißhandelt wird, denn e. ist ja gerade der ,, Zweck" des Wahnes,
dem Manne das Recht zu solchem Fühlen und Handeln zu geben.
Oft gibt die Impotenz den Männern Anlaß zu Wahnideen; der eine schämt
sich vor seiner Frau und muß sie deshalb herabsetzen; der andere wirft die
Schuld auf sie, ein dritter gibt seine Mannheit auf und wird Weib^). Meist ist
indes der Wahn gemischt, indem alle drei Formen beim gleichen Patienten vor-
kommen, eine .aber im Vordergrund steht.
Ein Impotenter der ersten Art wirft seiner Frau vor, sie sei eine Hure,
sie sei schwanger; dann kommt ihm die Idee, er müsse sie ermorden; dazu erhält
er den Grund in der weiteren Wahnidee, sie habe ihn strangulieren, mit der Hut-
nadel erstechen, vergiften wollen. Gleich nach der Hochzeit hatte er die Frau
gezwungen, zu einem Arzt zu gehen und diesem (fälschhch) zu sagen, sie sei seit
8 Wochen verheiratet und schwanger. Später glaubte er selbst an diese
Schwangerschaft.
Ein Schlosser und Vorarbeiter empfindet es schmerzlich, daß er keine Kinder
hat. Er war aber sexuell nie recht leistungsfähig, in der letzten Zeit meist ganz
impotent oder Ejaculator praecox. Wegen Hebephrenie war er seit Jahren
nicht mehr fähig, auf seinem Berufe zu arbeiten; dafür machte er im Hause alle
weiblichen Arbeiten, während seine Frau ein Geschäft führte.
Die Metamorphosis sexmlis paranoica mag auch noch andere Gründe als
^) Er hat auch noch andere Wurzeln.
IV ^.^hrebers Wunsch nacli Kindern ist nicht in Erfüllung gegaugen Er ist auf dem
^^ege, Wexb zu werden, wird von Gott geschwängert und soll dleMenfcllTt erneuern!
326
Schizophrenie.
die Impotenz haben, vor allcni eine kcmplizierende Homosexualität. In einem
■Falle, den ich nicht analysieren konnte, habe ich Grund zu der Vermutung
daß die Patientin sich deshalb für einen Mann hielt, weil sie nur als Mann ihre
Gelehrtenaspirationen zu erfüllen hoffen konnte. Gelegentlich ist dieser Wahn
das zufällige Nebenprodukt einer weit entwickelten und verschobenen Wahn-
idee: eine Patientin liebte vor 50 Jahren einen Pfarrer; schUeßlich war die Pa-
tientin (wie manche andere im gleichen Falle) Christus, und das bewies sie da-
mit, daß sie eine Schenkelhernie als Plodensack demonstrierte.
Eine ebenso große Rolle wie der erotische Komplex im engeren Sinne spielt
namentlich bei Frauen der Trieb nach Kindern. Ein sehr gebildetes Mädchen
schrieb im Anfang ihrer Katatonie an ihre Schwester, sie habe nie einen Mann
geliebt, nun aber werde sie ein Kind bekommen und freue sich so innig darauf.
(Sie war übrigens in der Krankheit sehr erotisch.)
Die eingebildeten Kinder werden in der Regel mit dem Vater beschenkt,
den die Patientin wirklich liebt. Eine verheiratete Frau, die von ihrem ungehebten
Manne zwei Kinder hat, meint, sie habe mindestens dreie von ihrem Bräutigam"
im Leibe und verlangt, daß man dieselben herausschneide. Mit wirkHchen
Kindern, die nicht ganz zu den Umständen passen, wissen die Kranken sich oft
in origineller Weise abzufinden. So erklärte eine Patientin, die vor der Heirat
ein uneheliches Kind hatte, ihre Kinder seien „überehelich"; sie habe deshalb
heiraten müssen, obgleich sie Königin der Welt sei.
Die Unklarheit der Begriffe erlaubt die so häufige Identifikation des Ge-
liebten mit dem Kinde. Beide haben den gleichen Namen, werden mit den gleichen
Koselauten angeredet und überhaupt in keiner Weise unterschieden. Eine andere
Art der Vereinigung verschiedener Wünsche ist es, wenn die Patientin die Tochter,
Braut und Frau des Geliebten zugleich ist.
Ebensogut wie Wirklichkeit dem Angenehmen gegeben wird, kann sie dem
Unangenehmen genommen werden . Die Kranken lassen sich oft von den einfachsten
Dingen nicht überzeugen, wenn sie ihnen nicht passen. Wir haben oben schon
bei dem Querulanten ein Beispiel gesehen. Manchmal macht diese Ablehnung
verschiedene Stadien durch. Als eine unserer Hebephrenen vernahm, der Mann
wolle sich von ihr scheiden, nahm sie das ernst imd schimpfte gewaltig über ihn ;
als sie aber wirklich geschieden war, war es auf keine Weise möglich, sie davon
zu überzeugen, und man durfte sie nicht mit ihrem ihr jetzt wieder zukommenden
Mädchennamen anreden. Einer Katatonischen teilte man den Tod ihres Vaters
mit; sie erklärte die Nachricht als unwahr, und zur Bekräftigung hörte sie den
Vater gleich draußen reden. Als sie doch anfing, überzeugt zu werden, machte sie
es wie viele bei einem Geständnis, sie verlegte das Unangenehme in die Ver-
gangenheit und behauptete, der Vater sei ja schon vor einem Jahre gestorben.
Einige Minuten später übermannte sie die Wirklichkeit ganz, sie weinte ein paar
Tränen und war dann wieder wie früher.
Sobald unsere Wünsche als erfüllbar oder erfüllt gedacht werden, sind ihnen
wichtige Faktoren beigemischt, die negativen Gefühlston haben. Sie kommen
nicht nur mit der Wirklichkeit in Konflikt, die ja den Wunsch nicht erfüllt hat,
sondern die Erfüllung des Wunsches selbst bringt Unannehmlichkeiten mit sich.
In einigen der obigen Beispiele haben wir schon gesehen, wie der erstere
Umstand den Wahn beeinflußt. Das gewöhnliche aber ist, daß die Hindernisse
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschungen.
327
Verfo 1 g u ngs wa hn er ze u ge ni). Wir haben in derMythologie genau den gleichen
Vorgang: die günstigen Naturkräfte und Zufälle werden in den guten Geistern
und Göttern personifiziert, die unerwünschten in den bösen Wesen. Oder, wo
man sich mehr an die Natur anlehnt, sind einzelne Götter Träger guter und böser
Eigenschaften zugleich, wie der Sonnengott in seinen verschiedensten Gestaltungen
nicht nur Fruchtbarkeit spendete, sondern auch tötende Pfeile veraandte;
manchmal allerdings bekommen die Personifikationen andere Namen, je nach
der momentanen Auffassung, so daß sie nahezu oder ganz in zwei und mehrere
Wesen zerlegt werden. Diese Begriffsteilungen bleiben in der Mythologie ebenso
unscharf wie die analogen der Schizophrenie^),
Die Beweise für die gleiche Genese des schizophrenen Verfolgungswahnes
liegen zum Teil darin, daß er fehlt, wenn die Hindernisse der Wunscherfüllung
nicht gefühlt werden, daß man an seiner Wurzel die Hindernisse immer findet,
und namentlich auch darin, daß man bei tausend Einzelheiten nach dem Hinder-
nis die „Erklärung" durch die Verfolgung Platz greifen sieht. So wenn der Kranke
keine Antwort auf seinen Brief bekommt und nun den Arzt der Unterschlagung
bezichtigt, so wenn der Geliebte sich unter unseren Augen in den Verfolger ver-
wandelt^).
Besonders deutlich zeigt sich der Ursprung gegensätzlicher Wahnideen
bei dem Haftkomplex, der ja meist ein Symptom der Schizophrenie ist, aber
auch außerhalb derselben in ganz gleicher Weise vorkommt.
In Poesie imd Wirklichkeit, im Schlaf und im Wachen träumt der Ge-
fangene von Befreiung (vgl. das hübsche Bild von Schwind). Diese Befreiung
ist aber gewöhnlich nicht möglich, wenn die Wirklichkeit, so wie sie ist, auf-
gefaßt wird. Der Gefangene wird also für unschuldig erklärt, oder seine Strafzeit
ist schon längst abgelaufen oder ähnliches. Unter diesen Umständen sind es
eigentlich nicht Mauern und Gitter, die ihn am Weggehen verhindern, sondern
Leute, die ihm übel wollen, natürlich die, die ihn hier eingesperrt halten, die
Gefangenwärter und der Direktor, eventuell der Staatsanwalt, der sich ja schon
beim Prozeß als Feind des Gefangenen gezeigt hat. Das sind nun die Verfolger,
die dann im weiteren halluzinatorischen Ausbau des Wahnes ihre Eolle spielen. —
Bei zwei Patienten — beide Italiener — waren die Befreiungsideen dadurch ersetzt,
daß die Kranken meinten, sie werden von der Umgebung als Gottgesandte an-
gesehen, während sie sich nur für fromm hielten. (Manche schizophrene Italiener
lassen sich ganz gern in der Anstalt ernähren.)
Entsprechend den Assoziationseigentümlichkeiten der Schizophrenen
werden die Widersacher nicht nach logischen Gesetzen gesucht, sondern die
Affekte und die zufällige Konstellation bestimmen im wesentlichen die Per-
sonen, die in den Wahn \ erflochten werden. So werden sehr häufig diejenigen,
die eine solche Auffassung am wenigsten rechtfertigen, als Feinde gedacht:
1) Die Intensität (nicht der Inlialt) des Verfolgungswahnes kann dadurch erhöht
werden, daß Kranke (wie Gesunde) in dem Gefühl, schlecht behandelt zu sein, manchmal
geradezu schwelgen (Algolagnie?).
^) Vgl. Abraham.
') Es läßt sich vermuten, aber bis jetzt nicht beweisen, daß auch die durch Verdrängung
sexueller Wünsche entstehende Angst bei der Bildung von Verfolgungswahn aus unerfüllbaren
Wuaschen mitwirke. Denn wir sehen auch bei Normalen vorübergehendes Älißtrauen bis
zu vagen Verfo!gung.sideen auf dem Boden dieses Affektes entstehen.
323
tScliizophrenie.
die welche in Wirklichkeit die Schützer und Wohltäter des Kranken sind. Eine
unserer Schizophrenen, die früher vermöglich gewesen war, seit längerer Zeit
aber von Freundinnen unterhalten wurde, die ihr nun auch in der ^instalt die
Taxe für eine bessere Klasse bezahlen, hält sich auch von diesen Freundinnen
verfolgt. So wie sie es wünscht, hilft ihr niemand. Die einzigen Personen, die
sie in Verbindung mit dem negativ gewordenen Hilfegedanken bringen kann,
sind die Freundinnen, d. h. sie sind diejenigen, die die kausale Lücke ausfüllen^
die Verfolger, die an der Nichthilfe und folglich auch an ihrem Unglück über-
haupt schuld sind.
Auch wenn die Wünsche des Kranken durch die Wahnideen erfüllt sind,
hat er nur selten Nutzen davon. Was hilft ihm der Reichtum, der Ruhm, den er
sich erträumt hat, wenn er in der Anstalt eingesperrt ist; ja den meisten nutzen
sogar die Freuden der halluzinierten Liebe nichts, so wenig wie sie satt werden
von halluzinierten Speisen. Scham, Angst und andere unangenehme Affekte,
die bei der Betätigung der Sexualität so leicht erregt werden, können kaum fehlen.
Es kommt also auch da eine negative Note hinein; sexuelle Betätigung mit
negativem Affekt ist aber meist gleich Vergewaltigung; kein Wunder, wenn diese
eine so große Rolle bei unseren Kranken spielt. Ferner tut der GeHebte nichts,
um der Kranken zu helfen; er ist doch mehr oder weniger an allem Unglück
der Patientin schuld, wenigstens ist er assoziativ mit allem Unangenehmen
verbunden: gerade wenn an ihn gedacht wird, treten die meisten Sperrungen
und andere pathologische Zustände auf. Die einfache Erfahrung zeigt also, daß
der Geliebte auch ein Feind ist. Die Kranken werden vom Geliebten verhext,
elektrisiert, vergiftet, unter Umständen wird er sogar als Urheber der Einsperrung
angesehen. Gewöhnlich existieren die positive und die negative Vorstellung
nebeneinander: Eine Frau läßt ihren Wahngeliebten von den Stimmenden Ober-
sten der Teufel nennen, während er ihr optisch gelegentlich als Adler erscheint,
„den sie eigentlich ebensogut als Engel bezeichnen könnte" (er hat in "V'^'irkhch-
keit eine ausgesprochene Adlernase).
Die halluzinatorischen Qualen, die der sexuelle Komplex überhaupt ver-
ursacht, veranlassen die Kranken, sich darüber zu beklagen, auch wenn sie ganz
bemißt beständig gerade das Nämliche wünschen. Einer unserer Katatoniker
verlangt sehr kategorisch fast bei jeder Visite, daß man ihm bestimmte Mädchen
oder Mädchen im allgemeinen ins Bett gebe, was ihn gar nicht hindert, sich
zugleich zu beklagen, er wolle sich nicht als Zuchtstier benutzen lassen. — Ein
anderer ist sehr erotisch, verlangt aber wegen Träumen unsittlichen Inhalts die
Versetzung in ein anderes Schlafzimmer^).
Manchmal stammt das Unangenehme aus der logischen Weiterentwicklung
der Wunschideen. Eine Patientin fängt plötzlich an zu schimpfen, man habe ihr
nicht vorzuwerfen, daß sie eine Kindsmörderin sei, sie habe kein Kind um-
gebracht, sie habe auch kein Kind gehabt, sie sei ja nicht verlobt mit dem Ab-
teilungsarzt. Hier wird der Wunsch, da er uns gegenüber zum ersten Male ge-
äußert wird, in negativer Form ausgedrückt. Wir sehen aber in dieser Negation
1) Nach Analogie des Traumes ist es niclit unwahrscheinlich, daß nur Komplexe,
die von vornherein ambivalent sind, Anlaß zu eigentlichen Wahnideen geben. Die Ambivalenz
des Wahnes wäre dann nicht nur in diesen Momenten begründet, sondern außerdem auch
in einer besonderen Disposition der wahnbildenden Komplexe.
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschung
329
nicht nur die AVirklichkeit, die dem Wunsch entgegentritt sondern noch eine
BeLhtung, die dem Gemisch von Wunsch und Wirklichkeit entstammt ; wenn
dil Patientin ein Kind vom A.zt bekäme, so wäre das eine Schande sie mußte
e umbringen, denn „sie ist ja nicht mit ihm verlobt". So weit sie sich also den
wich ab erfüllt denkt, ist sie zugleich eine Kindsmördenn, und das werfen
hr die Stimmen vor. Die Idee der Kindsmörderin frißt dann weiter. In ihrem
Dorf hat vor vielen Jahren mal ein Mädchen ihr unehehches Kmd unagebracht.
sie wäre wie dieses. Die Stimmen machen aber daraus, sie sei wirklich diese
Person und sie sucht in Erregung zu beweisen, daß sie sie nicht ist. Hier smd
die Verfolger die Bepräsentanten des inneren Konflikts.
Ganz ähnlich bei einem Paranoiden. Seine Frau genügt ihm nicht (mehr).
Die Stimmen sagen ihm, er könnte eine Jüngere heiraten; namentlich eine Nichte,
die aber erst 16, jährig ist, hat Eindruck auf ihn gemacht. Er kann legaliter mcht
mit ihr verkehren; der Wunsch, es auf illegale Weise zu tun, ist aber da. Die
Stimmen machen einen Kompromiß zwischen Wunsch und Wirldichkeit und
sagen ihm, er hätte sie genotzüchtigt. Das ärgert ihn natürlich. Die Idee greift
um sich, da er in der Fabrik an einen andern Platz kommt, und er von den neuen
Kebenarbeitern haUuziaiert, sie wollen neben dem Schweinehund nicht mehr
arbeiten. Nun wird er aufgeregt und natürlich auch unangenehm der Frau gegen-
über, die der Erfüllung seiner Wünsche im Wege steht.
Die affektive Ambivalenz kommt nicht nur in Neigung und Abneigung,
sondern auch in Hoffnung und Befürchtung zur Geltung. Als der letzterwähnte
Fabrikarbeiter in der Anstalt war, sagten ihm die Stimmen bald, er komme
in 6 Wochen fort, bald, er müsse für ewig eingesperrt bleiben. Im Gegensatz
zu den späteren schnöden Bemerkungen der Mitarbeiter hatten ihm die Stimmen
kurz vorher verheißen, man woUe ihn in der Fabrik zum Vorarbeiter machen.
Der gleiche Patient hörte als Einleitung zu seiner Psychose viel einfachere Hy-
postasierungen seiner Wünsche und Befürchtungen: so flüsterte man ihm zu,
eine bestimmte Tochter wolle ihn heiraten; er bekomme vor Abend viel Geld;
beim Schießen hat ihm der ganze Schießverein zugeflüstert, er soUe doch bei
Gott acht geben, daß er keinen Zeiger erschieße.
Ein wirklich Geliebter hat auch wieder seine schlimmen Seiten; er kann
z. B. moralisch geringer sein als der nicht geliebte Gatte. Eine Patientin bekam
die Wahnidee, der Lump, an den sie ihr Herz gehängt hatte, sei verrückt. Damit
ist er wohl mehr entschuldigt als bestraft; denn es würde ihrem ganzen Fühlen
widersprechen, anzunehmen, daß sie ausRachegefühl den Wunsch hätte, er möchte
geisteskrank werden.
Konflikte ergeben sich namentlich aus den gewöhnlichen Kämpfen unserer
verschiedenen Triebe, nennen wir sie mal die guten und bösen. Entsprechend
denselben bekommen die Kranken Stimmen und Antriebe zu handeln; den bösen
Trieben widersprechen die Kegungen des Gewissens bei denjenigen Elranken,
die mit einem solchen veranlagt sind. Die guten Triebe werden durch die Opfer,
die sie uns zumuten, mit einer negativen Gefühlsbetonung versehen. So werden
die Kranken häufig getrieben, die gleichen Dinge sowohl zu tun als zu unter-
lassen. Die Stimmen namentlich bringen die Kranken oft in Verzweiflung, wenn
sie ihnen etwas befehlen und dann nach vollbrachter Tat ihnen die gröbsten
Vorwürfe raachen.
330
Schizophrenie.
In manclien Fällen ist der Verfolger nichts als das personifizierte Gewissen.
Ein Paranoider, der sich schlecht aufgeführt hatte, bekam nach der Testaments-
eröffnimg des Vaters Stimmen des Oheims, eines guten Freundes des Vaters
der ihm Vorwürfe machte über sein Lumpenleben, ihm sagte, er könne nichts,
er lasse sich füttern im Burghölzli. Nachher schlössen sich auch andere Stimmen
an, die ihn in anderer Weise verfolgten.
Vielleicht kann unter Umständen der ganze Verfolgungswahn aus schlechtem
Gewissen entstehen^). Ich habe ihn zwar bei der Schizophrenie noch nie ohne
Mischung mit enttäuschten Aspirationen getroffen, obgleich es nicht selten ist,
daß ein Kranker meint, man sehe ihm die Onanie an, und schließlich die Idee
entwickelt, man sehe ihn wegen der Onanie an.
Häufig zeigt sich die Ambivalenz der Gefühle in gegensätzlichen Stimmen ;
es sind solche, die den Kranken trösten, die Partei für ihn nehmen, und solche,
die ihn quälen und anklagen. Sie können sich in die Ohren teilen; indem der
Gute das rechte, der Böse das linke Ohr besitzt.
Nach Freud wären die Befürchtungsträume auch Wünsche; nur wären
sie eben negativ gedacht wegen der Hindernisse, die sich entgegenstellen können.
Ich bin nicht überzeugt, daß diese Auffassung richtig ist, und sehe vorläufig nicht
ein, warum nicht ein negativer Affekt ebensogut direkt die ihm entsprechenden
Gedanken hervorrufen soll wie ein positiver. Wenn ein Patient in seinen Träumen
fürchtet, seine Geschwister werden sterben, er ist aber eifersüchtig auf dieselben,
so kann man das wohl als Wunsch deuten, dem eine negative Komponente
beigemischt ist. Wenn aber eine Hebephrene, die im Kindergartenkurs das
Examen nicht mehr hat machen können, in der Anstalt die Wahnidee bekommt,
man werde ihre Hefte und Bücher zum Spott an die anderen verteilen, so liegt
doch die Auffassung näher, daß sie sich eben schämt, und daß dieses unangenehme
Gefühl in der Wahnidee zum Ausdruck kommt.
Einen ganz besonders häufigen Anlaß zu inneren Konflikten gibt der K i n d e r-
komplex. So selten es ist, daß schizophrene Mütter ihre Kinder wirlchch um-
bringen, so häufig ist es, daß sie sie in den Wahnideen tot glauben; oft werden
die Kinder auch in dieser Beziehung vollständig mit dem Mann identifiziert.
So glaubte die oben erwähnte Frau nicht nur ihren Mann verrückt, sondern
auch ihren gemeinsamen Sohn. Eine unverheiratete gravide Untersuchungs-
gefangene liebt den Vater ihres Kindes und hatte immer Freude, wenn man von
ihrem Zukünftigen sprach. Als aber der Geliebte zögerte, sie zu besuchen und
überhaupt Zeichen von Untreue gab, fing sie an zu jammern: das Kind ver-
schwinde in ihrem Leibe; dann hielt sie es für tot. Einige Tage später, da es eben
nicht abgestorben war, jammerte sie, sie könne das Kind nicht erhalten; oder
es könnte so elend werden wie sie; es wäre wohl doch besser, wenn es stürbe.
Recht charakteristisch ist hier die deutliche Gleichwertigkeit der Wahmdee
des Todes mit dem Wunsch, es möchte sterben. Der letztere wird dann auch
noch logisch begründet. — Schizophrene Frauen, die den Mann nicht lieben,
sind besonders während der (wirklichen oder gefürchteten) Gravidität feindlich
gegen ihn. . i ■ i
Die Identifizierung des Mannes mit dem Kinde zeigt sich auch in dem
1) Vgl. Fall 3 in Bleuler (71).
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschungen.
331
Falle einer Frau, die während des Delirs dem Manne zwei Frauen andichtete
un i sarwie er ich ertränken wollte, so daß sie s.ch alle Muhe geben mußte,
hn über Wasser zu halten; auch der Sohn wollte sich ms Wa^r stürzen um d^n
Fehler des Vaters zu verdecken (alles im schizophrenen D ehr). In 4 l^aUen, die
Sr g g nwärtig sind, wollte die kranke Mutter die Kinder des gehaß en Vaters
wklich tötend); in einem Falle wurde dann der Mann wenigstens m der Wahn-
dee auch umgedacht. Eine der Frauen, die den Knaben schon mit Petrol be-
gossen hatte und dabei betroffen wurde, wie sie das Messer wetzte, begründete
den Mordversuch: „es sei mcht ihr Knabe, sie wolle das Liebste Gott opfern .
Die beiden Gründe nebeneinander sind auch sonst charakteristisch für bchizo-
phrenie- im einen Zusammenhang ist es nicht ihr Kind (sondern das des Mannes),
im andern, der gleich daneben gesetzt wird, ist es doch das ihrige, denn es ist
ihr Liebstes. Eine andere Frau begründete die Absicht damit, der Mann brauche
keine Freude mehr an den Kindern zu haben. — Ein Mann wollte eme andere
Frau heiraten, um die jetzige und ihre Geschwister glücklich zu machen, meinte
aber auch, man wolle ihn töten, sein Kind müsse geopfert werden, damit durch
dessen unschuldiges Blut sein Leben gerettet werde.
Äußerlich anders, aber in ganz gleichwertiger Weise drückt den Haß gegen
den Mann eine Patientin aus, deren Kinder in Wirklichkeit gestorben sind,
die aber die Gedächtnistäuschung hatte, sie selbst habe sie getötet. — Wieder
eine andere Form, die nicht zu selten ist, zeigt eine andere Katatonika mit dem
Wahn, der Mann habe sich erschossen; sie gab ganz gut über alles Auskunft,
nur die Frage nach der Zahl ihrer Kinder konnte sie wegen imüberwindlicher
Sperrungen nicht beantworten.
Die Identifizierung von Kind und Mann kann auch einmal umgekehrt
Eigenschaften des Kindes dem Manne beilegen: Eine Frau, die nicht ganz zu-
frieden war mit ihrem Manne, verlegte all ihren Stolz in den Sohn: „er ist Doktor
und Professor und Gelehrter; er ist zwar erst 20 jährig, nach dem Verstände
aber älter". (Und der Mann?) „Der ist nichts, ich weiß nicht, was er treibt
(Seufzer); er ist auch ein Gelehrter; er ist alles in allem" 2).
Bei den schizophrenen Frauen, die glauben, gravid zu sein, kann man fast
immer den Wunsch nach Kindern nachweisen. In den selteneren Fällen sind
sie verheiratet, aber kinderlos ; meist haben sie einen Geliebten, mit dem sie nicht
zusammenkommen können (seien sie verheiratet oder nicht), der dann der Vater
des Kindes ist. In einzelnen Fällen, besonders im Anfang der Krankheit, weiß
das gewöhnliche Bewußtsein der Patientinnen nichts von der (eingebildeten)
Gravidität. Sie können Geburtsschmerzen durchmachen, die sich wiederholen,
oder die v/enigstcns sehr lange andauern. Man macht dann etwa die Diagnose
einer Unterleibsaffektion. In einem solchen Falle klärte die Patientin nach
^tiniger Zeit die fieberlose Peritonitis selbst auf, indem sie behauptete, sie sei
gravid geworden, weil sie (während der Krankheit!) im Bett des Vaters habe
liegen müssen. — Eine andere Patientin erkrankte in dieser Weise an „Hy-
pochondrie". Sie hatte einen Offizier geliebt, aber auf Verlangen des Vaters
1) Möbius erzählt von einer Störchin, die, vom Gatten verlassen, die hebrüteten
Eier aus dem Nest warf und das Nest voll Rasen trug.
^) Eine gesunde Frau meiner Bekanntschaft nuanciert den Grad ihrer Zärtlichkeit
gegenüber dem Manne deutlich nach der guten oder schlechten Aufführung der Kinder.
332
Schizophrenie,
einen andern Mann geheiratet. Obgleich die Frau offenbar schon recht früh
an bchizophrenie litt, ging es in der Ehe viele Jahre lang äußerlich gut, bis sie
einmal dahinter kommt, daß ihr Mann mit einer andern zu tun hatte. Nun taucht
der Gedanke auf, sie könnte sich scheiden lassen und den andern heiraten- die
Idee wurde nicht ausgedacht (d. h. verdrängt); dennoch wurde Patientin (in
der Einbildung) gravid, bekam Geburtsschmerzen, die sie aber zu der Zeit,
da wir sie zu sehen bekamen, in vager Weise in den oberen Teil des Unterleibes
verlegt hatte, bis ihr eine Freundin suggerierte, sie habe Gallensteine, an die
sie nun glaubt, trotz unserer Ablehnung. Sie ist dieser Schmerzen wegen, die ganz
den Typus der nervösen tragen, arbeitsunfähig und hat eine Menge von Ärzten
konsultiert.
In einem Falle ist vielleicht der Wahn, schwanger zu sein, ein Produkt
bloßer Befürchtung. Ein Mädchen hatte sich von einem in ihr Zimmer dringenden
unbekannten Mann überraschen lassen, und glaubte sich nun trotz aller ärztlichen
Untersuchungen und trotz der nicht fehlenden Menstruation gravid. — In
einem zweiten Falle hatte eine Witwe sich einmal verführen lassen, bekam
Graviditätsfurcht, die sich unter unseren Augen in arge Schmerzhalluzinationen
in den Genitalien mit „hypochondrischen Ideen" verwandelte. Etwas mehr als
ein Jahr später trat nach einigen Heilungsprodromen die Periode zum ersten
Male seit jenem Koitus ein, und einige Tage nachher war die Patientin arbeitsfähig.
Davon, daß die körperlichen Symptome das primäre seien, daß der Schwan-
gerschaftswahn z. B. durch „Allegorie der spezifischen Empfindung aus einem
metritisch erkrankten Uterus" entstanden wäre (Schneie, Handbuch, 70)
habe ich noch nichts gesehen. Doch wäre es ja möglich, daß solche Empfindungen
den Anlaß zur Wahnidee geben würden; so wenn bei Vergiftungswahn eine
zufällige Diarrhöe als Vergiftung aufgefaßt wird, oder, wenn eine Patientin,
die schon vorher Königin von Württemberg gewesen, einen Abszeß in den Bauch-
decken, den sie sich durch beständiges Trommeln auf dieselben erworben hatte,
für einen entstehenden Prinzen hielt. Solche Fehlschlüsse aus falschen Prämissen
sind aber etwas ganz anderes als die Genese eines Wahnes aus körperlichen
Störungen. Die Kranken reagieren denn auch meist viel weniger intensiv aaf
die bloßen Anwendungen ihres Wahnes als auf ursprüngliche Wahnideen: der
Kranke, der gegen den Arzt im höchsten Grade gereizt ist, wenn er sich über
halluzinierte Vergiftungssymptome beklagt, kann seine pseudotoxische Diarrhöe
bloß mit einem fatalistischen Achselzucken den anderen Vergiftungen beizählen.
Bei mehreren Fällen hino" das Aussetzen der Menstruation deutlich
mit dem Wunsch nach Kindern zusammen; wahrscheinlich ist das viel häufiger,
als man nachweisen kann. Umgekehrt sind ein Teil der so gewöhnlichen men-
struellen Aufregungen darauf zurückzuführen, daß die Dokumentierung des
Fehlens der Gravidität die Patientinnen ärgert.
Mit den früheren Andeutungen über Liebe und Ehe ist natürlich die Rolle
der Sexualität in der Symptomatologie der Schizophrenie noch lange nicht
erschöpft^). Es gibt wohl keinen Schizophrenen — wie auch keinen Gesunden — ,
bei dem der sexualle Komplex nicht eine große Rolle spielt. Meist ist dieser
1) Lomer (434) gibt Prozentzahlen für das Vorkommen sexueller Ideen und Hallu-
zinationsn. Ich glaubs, diß er sie bsdeutsnd unterschätzt.
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschungen.
333
ganz im Vordergrund; bei vielen Kranken konnten wir ausschließlich sexuelle
Komplexe finden. So sehr wir uns dagegen sträubten, wurden wir doch um so
„sexueller" in unserer Auffassung, je mehr Erfahrung wir hatten. Ich muß
namentlich gegenüber Einwänden, die oft gemacht werden, be-
tonen, daß wir uns mehr als genug gehütet haben, die Kranken durch
unsere Fragen auf das sexuelle Gebiet zu führen. Immerhin kommen,
namentlich bei Männern, seltener bei Frauen, auch andere Komplexe zuv Geltung,
ohne daß die Sexualität anders dabei beteiligt wäre, als wie bei jedem beliebigen
Gedanken, der natürlich auch seine Assoziationen an diesen größten Ideen-
und Gefühlskomplex hat; bei einzelnen Männern wurde der sexuelle Komplex
durch die anderen geradezu in den Hintergrund gedrängt.
Man hört gegen die sexuelle Auffassung hysterifoimer Phänomene so oft den Ein-
wand, es können nicht alle Leute in diesen Dingen so bewandert sein und solche Ge-
fühlsbetonung dabei haben, wie die Theorien voraussetzen. Das steht in direktem
Widerspruch mit der Wirklichkeit. Bei den Nervenkrankheiten könnte man ja die
Ausrede haben, daß eben nur solche Mädchen hysterisch werden können, deren Ge-
schlechtsleben so entwickelt ist, daß sie genug entsprechendes Wissen und genug
entsprechende Gefühle haben. Die Schizophrenie, die eine organische Grimdlage
haben muß, kann nicht so auswählen. Man muß sich einfach mit der Tatsache
abfinden, daß es keinen Schizophrenen gibt, sei er Mann oder Weib, sei
er alt oder jung, aus guten oder schlechten Kreisen, der nicht mehr als
genug von der Sexualität wüßte und fühlte, um sexuelle Symptome
hervorzubringen. Wie oft hört man von den Eltern die verwunderte Frage : Woher
kann meine Tochter nur das alles gehört haben? Diese Eltern, wie die Psychiater,
die die gleiche Frage stellen, beobachten sich selbst eben zu schlecht. Wer hat nichts
von sexuellen Dingen gehört? Ich meine von den eigenthchen, die Zeugung betreffenden
Dingen. Niemand; jeder hat während seüies ganzen Lebens sehr viel davon gehört.
Und jemanden davor zu hüten, ist einfach mamöglich, wenn man ihn nicht als Kaspar
Hauser erzieht. Ich will von der Literatur und den Zeitmagen nicht eiamal reden,
auch nicht von den Dienern imd Mägden, auch nicht von dem, was jedermami auf der
Straße hört, auch nicht von den Spatzen, Tauben mid Hmiden der Stadt und den
Haustieren auf dem Lande. Aber die Geschichte und vor allem die Eeligion, so wie
sie mit Fleiß und Eifer den Kindern emgepfropft wird, strotzt ja von Dingen,' die nur
aufgefaßt werden können bei emigem Verständnis für die allerintimste SexuaUtät.
Und protestantische Kmder kriegen noch die Bibel in die Hände, die ganz so unge-
schmuikt davon spricht wie Freud; kathohsche treiben ihren Kultus mit der Marien-
legende, sie feiern Feste für sexuelle Vorgänge — und die Kmder soUen nichts davon
wassen? Die ärgsten Idioten müßten sie sein; auf sexuellem Gebiet gibt es aber sehr
wenig Idioten, denn man hat dafür eüi phylogenetisch sehr altes natürliches Verständnis
wie der Säugling für das Saugen und das einjährige Kind für das Essen. Und wenn alle
die gut gezogenen Kmder nicht ehi genügendes Wissen hätten, so müßte ihnen doch
klar Sern, daß sie alle diese Dinge nicht verstehen, sie müßten fragen; sie wissen aber
was sie mcht fragen dürfen, oder was sie nur Kameraden oder Dienstboten fragen dürfen'
imd beweisen damit, wieviel sie wissen, genau wie der Vorbeiredende, der auf die
^ rage, wieviel 3 und 2 sei, mit allen Zahlen bis 10 antwortet, nur nicht mit der richtigen
Sie wissen auch sehr früh - lange vor der Schulzeit - im großen und ganzen, was
sie, aus sexuellen Gründen, nicht tun dürfen. Ein recht drastisches Beispiel haben
wir_ vor kurzem erlebt. Ein lOjähriges Mädchen aus einer hochgebildeten und extrem
christhchcn Familie wurde katatonisch; was überhaupt zu tim menschenmöghch ist
um sie „rein zu bewahren, ist in diesem Falle getan worden; und es war sehr leicht
334
ScLizophrenie.
«s zu tun viel leichter als in den meisten anderen Fällen, da das Mädchen etwas debil
war, gar keinen Trieb hatte, sich zu bilden und zu lesen, und zugleich sehr fol-sam
war. Man kann ziemlich sicher sein, daß sie nichts gelesen hat, was nicht die elterliche
Zensur passierte. Die Erziehung war überhaupt von der Schulzeit an, die ihren frühen
Abschluß fand, fast nur in den Händen der Mutter. Das Mädchen lebte auch möglichst
zurückgezogen, hebte die Gesellschaft nicht, beschäftigte sich nur mit der Haushaltung
der Religion imd etwas Musik. In der Katatonie nun erfreute sie sich nicht weniger
mit ihrem Heiland, der sie eine Zeitlang im Bett besuchte, wie irgend eine alleswissende
Frau, und er, störte sie auch gar nicht, daß der Heiland meist die Gestalt eines Predigers
annahm, der ihr imponiert hatte. — Ein anderes, nach Möglichkeit gehütetes Mädchen
wollte Eier nicht kauen, damit sie ganz aufs „Stöcklein" (-Eierstock) kommen Sie
g«bar wahrend des Essens Kinder aus dem Munde.
Ich bin nun weit entfernt zu behaupten, daß alle die weiblichen Wesen, die be-
haupten, vor der Ehe nichts von diesen Dingen gewußt zu haben, heucheln. Im Gegen-
teil: ich weiß, wie dieseDinge abgesperrt werden können, mid ich traue keinemMädchen
zu, daß diese Sperrmig nicht eine ganz absolute werden müsse, wenn jemand sie danach
frägt, der in dem sexuellen Wissen eine Herabwürdigung ihrer Person sieht oder nur
irgendwie sehen könnte^).
Noch deutlicher als bei den Neurosen kommen bei der Schizophrenie die Ab-
normitäten neben dem normalen Triebe zur Geltung; namentlich die „homosexuelle
Komponente" spielt eine ungeahnt große Rolle. Wir werden aber hier nicht weiter auf
diese Einzelheiten emgehen.
Die Sexualität äußert sich in der Schizophrenie zunächst in dem sexuellen
Charakter der meisten Delirien, der sich namentlich im Anfang der Krankheit
leicht nachweisen läßt. Da ist ein Mädchen erkrankt, nachdem sie eben in einem
Schutzmann ihr Ideal gefunden. In der Anstalt deliriert sie Szenen mit dem
Geliebten. Sie telephoniert ihm, die Herrschaft sei ausgegangen, er könne kommen;
sie verlangt von uns, wir sollen ihr das Fenster aufmachen, damit sie mit ihm
reden könne; da wir nichts tun, findet sie sich aber sofort zurecht, sie spricht
mit ihm durch die Heizung, die für sie das Fenster repräsentiert. Sie liefert uns
kein fein ausgedachtes Schaustück ; die Ausführung der Idee scheint uns karikiert ;
der zeitliche Zusammenhang wird nicht genau festgehalten, sie geht in den Vor-
stellungen auch wieder zurück, wiederholt Aufforderungen, denen der Geliebte
bereits nachgekommen ist u. dgl. ; auch mit den örtlichen Vorstellungen
geht sie sehr frei um; es geniert sie nicht, auf dem Boden zu liegen und dabei zu
meinen, sie telephoniere oder spreche durch das Fenster; ihre Sätze sind auch
nicht immer fertig oder grammatisch richtig; aber der Faden läßt sich ohne die
geringste Schwierigkeit verfolgen, sobald man ihn einmal erkannt hat. Und
man mußte ihn erkennen ohne alles Fragen, nur durch geduldiges Beobachten
der scheinbar unsinnigen Handlungen. — Eine gebildete Dame geht, als der
zweite Anfall sich ankündet, in das Arbeitszimmer eines Musikdirektors und
behauptet, sie werde nun da arbeiten. Man hat Mühe, sie wieder fortzulotsen.
Dann bricht das Delir aus, das einen während einiger Monate durchgeführten
Liebestraum darstellt. Sie liebt einen Musikdirektor, wenn auch nicht den, in
dessen Wohnung sie eingedrungen ist, es war das bloß eine Symptomhandhmg.
1) Man kann diese Art Nichtwissen einen partiellen Emotionsstupor nennen und die
Erscheinung vergleichen dem allgemeinen Stupor, den z. B. Rekruten haben, wenn sie, bei
gewisser Art zu fragen, die einfachsten Dinge nicht mehr zu wissen scheinen.
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschungen.
335
Sie ist mm imDelir mit ihm verlobt, dann verheiratet, sie ist gravid mit Zwillingen :
einem Kinde, das ihr gleicht, und einem, das den Vater repräsentiert ; sie gebiert
schließlich und kommt dann in Remission. Während des Delirs hat sie allerhand
unverständliche Sachen gemacht, sie hat eben ihre Umgebung als Hindernisse
angesehen imd dementsprechend feindselig auf sie reagiert, wenn auch nicht
konsequent, da sie ja neben dem Traum doch die volle Wirklichkeit als solche
registrierte. Wenn sie mit dem Arzte zufrieden war, wurde er in einer nicht in
allen Details aufzuklärenden Weise in das erotische System einbezogen — am
häufigsten ist es, daß der Arzt in solchen Fällen mit dem Geliebten teilweise oder
ganz identifiziert wird — ihre Handlungen waren aber sehr symbolisch, sie schenkte
ihm Verse, die sie gemacht hatte, eingewickelt in viele Papiere, deren Innerstes
noch ein Schamhaar, etwas Menstrualblut, auch gelegentlich ein wenig Fäzes
enthielt usw. Derartige Dinge kamen noch vor zu einer Zeit, da sie schon so klar
war, daß sie mir im Gespräch über Kunst u. dgl. in Feinheit des Urteils entschieden
überlegen war.
Solche Delirien können ein ganzes Leben lang fortgesponnen werden.
Ich kenne eine Katatonische, die 1874 in ähnlicher Weise erkrankte, dann jahre-
lang mit dem eingebildeten Kind des Geliebten lebte, dieses aber meist mit ihm
vollständig identifizierte und auch jetzt noch nicht aus dem Traum heraus-
gekommen ist.
Manchmal tritt die Sexualität in weniger angenehmer Form auf. Sie ist
häufig gemischt mit Angstvorstellungen, nach denen dann auch die Delirien
modifiziert werden. Eine Patientin halluzinierte, wie die Mutter sie beim Vater
anklagte, dann ,,sah sie der Vater so an"; er stach sie mit einem Speer in den
Unterleib, dabei tanzte er so merkwürdig; er war schwarz und ganz nackt; er
erschien ihr auch sonst oft ganz schwarz an ihrem Bett, gelegentlich auch in
der Gestalt eines Stiers. Die Patientin erzählt, daß ihr Vater sie oft geschlagen
habe — und mißbrauchen wollte; er hat oft ihre Genitalien berührt und mußte
noch weiter gegangen sein. So wird die Angst vor dem Vater begreiflich. Daß
aber das Attentat mit dem Speer ein sexuelles war, beweist, abgesehen von dem
vielfachen Vorkommen dieser Dinge in sexuellem Zusammenhang, die vollständig
sexuelle Mimik der Patientin beim Erzählen der Halluzination, die ja an sich
gar nichts verrät: die Kranke verbarg mit verschämtem Lachen ihr Gesicht.
Die tatsächlichen Attentate des Vaters erzählte sie mit der gleichen Mimik, wie
Gesunde solche Dinge erzählen, in objektivem Ton, etwas geniert, aber nicht mit
der aktiven Erotik.
Ein junger Mann hat Delirien folgender Art: Er sieht seine Schwester
,,m den Kleidern einer erstklassigen Balleteuse", sie gleicht der Diana; bei ihr
ist ein wunderschöner Jüngling, den hat Patient selbst geschaffen vermöge der
Beziehung seiner Himsubstanz zur Welt; „das ist Arsenia, das ich in meinem
Gehirn habe, das ist ganz das Gleiche wie Ambrosia". Der Jüngling ist ein
Pseudo-N. (sein eigener Name); er sieht ihm auch ähnlich, er hat das Aussehen
wie Apollo; er wiU die Diana vergewaltigen. Patient fürchtet, sie möchte schließ-
lich unterliegen, dann werde er für 7000 Jahre ganz aus der Welt eliminiert
Die gleiche Geschichte erzählt er auch so, daß er sich und seine Schwester
am Himmel sieht. Er hatte ein (einseitiges) Verhältnis zu seiner altern Schwester
üas aus semem vierten Jahre stammt, aus einer Zeit, wo das Mädchen gerade
336
Schizophrenie.
am Aufblülien war. Er beschäftigt sich nun beständig mit diesen Walmgebilden ;
jede Störung von außen ist ihm deshalb widerwärtig, weil sie ihn von diesen
Gedanken abzieht, xmd so hält er sich für schikaniert und wird selber unangenehm,
wenn man nur in sein Zimmer kommen muß.
Eine andere Kranke sah in einem Tobanfall Judas Ischariot, der sie mit
einem Schwert bedrohte. Wie dort die Geschwisterliebe in Apollo und Diana
nicht übel symbolisiert wui'de, vertritt hier Judas, wie oft, den ungetreuen
Geliebten.
Nicht so selbstverständlich ist das Schwert zu deuten; es zeigt sich aber
bei dieser Patientin, wie bei allen andern, gleichwertig dem Speer in der Hand
des Vaters in dem frühern Beispiel, und dem Messer, das die den Hysterischen
und Schizophrenen erscheinenden „schwarzen Männer" in den Händen haben:
es ist das agressive männliche Geschlechtsorgan^). In der Mythologie spielt
die gleiche Rolle der Pfeil des Apollo, der als Sonnenstrahl wie als Sexualorgan
befruchtet, aber auch tötet. Schwert und Speer habe ich auch von zwei gesunden
Frauen in diesem Sinne brauchen hören (ganz unabhängig von der Defloration).
Diese Waffen sind immer in Verbindung mit anderen sexuellen Vorstellungen
genannt. ,,Ich bin dem Doktor ausgewichen, weil er mir immer durchs höchste
Gut in Gedanken Messerstiche gegeben hat, daß ich oftmals Schmerzen be-
kommen habe und Brand auf der Seite (zeigt dabei die Genitalgegend, und erst
bei Wiederholung wirklich die Seite), und habe gedacht, ich könne ihn durchaus
nicht lieben" (alles mit starker sexueller IMimik)^). Sehr häufig werden die ver-
schiedenen Symbole ganz promiscue genannt. Eine unserer Paranoiden veränderte
den spontan genannten feurigen Spieß im Leibe in viele feurige Nadeln, als man
sie über die Körperhalluzinationen fragte; dann war es wieder ein dickes Ding,
das man ihr in die Brust und den Unterleib stößt, wobei sie sehr viel Affekt
auf den Unterleib, nicht aber auf die Brust verwandte. Die Nadel kommt auch
sonst noch im gleichen Sinne nicht selten vor, und die S}Tnbohk kann so weit
gehen, daß eine junge Katatonika eine Zeitlang verschämt errötete, wenn sie
eine Nadel ansah. Gelegentlich spielt auch der Revolver eine solche Rolle; so
wird eine unserer Hebephrenen von einem Manne mit einem Revolver verfolgt,
der ungebührliches von ihr verlangt; eine andere wird mit einem Revolver
in die Beine geschossen. Auch bei Männern haben wir den Revolver in gleichem
Sinne beobachtet.
Es ist ganz charakteristisch, daß für allgemeiner gültige Symbole des
männlichen Gliedes fast nur Dinge genommen werden, die auch mit Gefühlen
betont sind, und zwar meist mit Grusehi verbundene^). Würste, Kerzen, einfache
Stäbe u. dgl. unschuldige Dinge, die in der gewöhnlichen Zote von Groß und
Klein so häufig hervortreten, scheinen in der Schizophrenie wie im Traum nur
unter ganz bestimmten KonsteUationen die Genitalien vertreten zu können.
So spricht die B. S. Jungs von Schweinsbratwürsten, die die Fähigkeit, als
Symbol zu dienen, durch den Umstand erhalten, daß sie in Verbmdimg gebracht
1) So wird wohl das „Dolchmesser mit Hochzeitszettel" bei Kraepelin (388, S. 198)
verständh^k ^^^^^^^^^ ^.^ ^^^^^ homosexuellen Tendenzen hat Pollutionen, wenn seine
Augen und sein Anus halluzinatorisch mit Messern bearbeitet werden
3) Die Ambivalenz der Sexuaütät kommt also auch hier zum Ausdruck.
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschungen.
337
werden müssen mit dem Symbol des Mundes für Vagina imd des Essens für
Koitieren. Der Stab erscheint als Zauberstab oder als „das rote Holz des Lebens".
Es ist das bezeichnend für die wichtige Eolle, die der Affekt bei der ganzen
Symbolik spielt. Die intellektuelle Ähnlichkeit ist oft Nebensache, viel wichtiger
ist die affektive.
Diesem Umstand verdankt gewiß eines der häufigsten Sexualsymbole,
die Schlange, ihre Bedeutung. Wir finden sie alle Augenblicke in den Hallu-
zinationen, und wir haben noch nie eine Analyse dieses Symptoms gemacht,
bei der es sich nicht deutlich als sexuell zu erkennen gab. Eine Jungfrau von
tadelloser Lebensführimg hat während eines leichten Schubes ihrer Hebephrenie
„nicht unangenehme Erscheinungen von einem schwarzen Manne oder von
einer Schlange, die auf sie zukommen". Eine Präsenile sieht einen Engel; „da
kommt eine Schlange, die umwickelt ihn, dann steht sie so vorn heraus, ganz
steif (Patientin macht mit dem Finger die Stellung des erigierten Penis), deshalb
macht sie nichts Böses". Bei einer andern Kranken kam die Schlange in die
Vulva, um zu trinken'). Gelegentlich ist die Schlange feurig, wenn auch seltener
als der Spieß und das Schwert.
Ein Hebephrene beklagte sich darüber, daß eine Schlange ihn umschnüre,
den Kopf vor seinem Munde, in den sie Grift hineinspritze. Durch seine ana-
mnestische u Angaben wurde unsere Vermutung bestätigt : er war Päderast und
machte sich deshalb Vorwürfe.
Auch andere Tiere sind nicht selten sexuelle Symbole. Neben der Schlange
zunächst das Pf erd^), das recht viele jimge Mädchen fürchten und in ihre Angst-
träume aufnehmen; dann auch der Stier. Der letztere ist oben in einem Beispiel
erwähnt; das Pferd kann auch in Form „zweier Schaukelpferde vorkommen,
die im Bett sind, die man nicht sieht, man spürt nur, wie sie stoßen und rhythmisch
die Decke heben; es sind der N. N. und der X. X." (Bekannte der Patientin, an
die sie sexuelle Wahnideen knüpft). Hunde und Katzen, deren Liebesleben
jedes Kind kennt, sind auch sehr häufig; die Patientinnen spüren sie im Leibe
und am Leibe, sie sehen, wie die Hunde sie verfolgen usw. Ähnlich der Schlange
wird die Maus benutzt; es ist uns schon mehr als einmal vorgekommen, daß
die gleiche Halluzination bald als Maus oder Ratte, bald als Schlange bezeichnet
wurde. Gelegentlich schwillt auch die Maus unter den Augen der Patientin zu
emer großen Ratte an. Von fremden Tieren zeigt sich bei der Prüfung mit Bildern
(bei Anlaß der Wahrnehmungsprüfungen) auch der Elefant als ein sexueUes
Tier (wohl Größe und Rüssel); in den Wahnideen erinnere ich mich nur zweimal,
ihn als deuthches Sexualsymbol getroffen zu haben: einmal vertrat er einen
großen Arzt, an den die Patientin ihre sexuellen HaUuzinationen knüpfte; einmal
erschien er als Halluzination einer ganz jungen Hebephrenen im Anfang der
Krankheit, die durch lauter sexuelle Gedanken charakterisiert war. Eine Patientin
beklagte sich über unsere „Heurüsselbetten" (Heu ist vulgär oft Pubes), es seien
genug Männer, die ihre Heurüssel in ihrem Bett liegen lassen (alles i^t nicht
mißzuverstehender sexueller Mimik). Alle als Sexualsymbol dienenden Tiere
• 1 \7^]' ^"''^ "Erstes Liebeslied eines Mädchens.« Im Traum des Gesunden
m den Mythologien, bei Swedenborg, überall ist die Schlange Sexualsymbol
) Das Pferd ist zugleich Symbol für die Vornehmheitsaspirationen.
Handbuoli der Psychiatrie: Bleuler.
22
338
Schizophrenie.
wurden von einer Patientin in recht bezeichnender Weise spontan als „Schön-
heitstiere" zusammengefaßt.
Der Koitus findet seinen Ausdruck unter anderm in dem Bilde des Mordes')
und zwar sowohl aktiv beim Manne als namentlich passiv beim Weibe^). Eine
Katatonische wird vom Pfarrer sexuell erregt; er sieht sie in der Kirche mit
„tötendem Blick" an, sie spürt denselben im ganzen Leibe. Ferner hat sie ängst-
liche Träume von Toten. Bei der Erzählung auch der Träume hat sie aber einen
ekstatisch-süßlichen Blick, der sich nicht mißdeuten läßt. Eine andere Katatonika
ist ebenfalls in einen Pfarrer verliebt und schreibt in einem Briefe: „Der re-
formierte Pfarrer muß mich zerschmettern." Zuzeiten muß die Wärterin dieser
Kranken — faute de mieux — als Liebesobjekt und -Subjekt dienen; in diesem
Sinne sagte sie einmal, sie möchte sie an sich drücken, bis sie ganz mager wird,
und sie dann anzünden. Eine dritte Katatonische verbigeriert in einigen Variationen
die Worte: „Mordet mich, Sauhund, morde mich", begleitet sie aber mit rasenden
Küssen der eigenen Hände und andern sexuellen Gesten und mischt sie mit
einer Menge sexueller Ausdrücke. Eine andere erwacht aus dem Schlafe mit einem
Schrei und ruft, die Mörder kommen, der Mann hure mit den Patientinnen.
Auch Krieg imd Duell sind Symbole der Kohabitation. Eine unserer
Hebephrenen verfolgte mit deutlich sexuellem Interesse sogar den russisch-
japanischen Krieg, der allerdings noch andere, mir unklare, Beziehungen zur
Kranken hatte. (Vgl. auch unten ,,Religionskries".)
Der Wahn des Selbstgetötetwerdens könnte außerdem den Wunsch aus-
drücken, zu sterben. Wenn auch in vielen Fällen die Wahnidee, ermordet zu werden,
sexuell gemeint ist, so wird es wohl nicht immer so sein, obschon wir einen andern
Ursprung noch nicht sicher nachgewiesen haben. Am ehesten wäre es in dem
Fall eines Mädchens, das, gravid vom Liebhaber verlassen, gestohlen hat und
am meisten darunter litt, daß sie den Eltern entfremdet werde; sie gehöre nie-
mandem, sie müsse getötet werden. Sie brachte wegen des vollständigen Gedanken-
entzuges keinen Brief an die Eltern zustande, während sie an den Geliebten
schreiben konnte.
Sehr eng verwandt und für die Patientinnen oft vollständig identisch
mit dem Getötetwerden ist meist das Verbrannt- oder Gebranntwerden.
Das Feuer der Liebe drückt sich in dieser Weise aus sowie in der feurigen Be-
schaffenheit der Schwerter, Spieße und Nadeln; gelegentlich macht auch ein
Geliebter als feuriger Mann seine Besuche; oder er erscheint in der Matratze,
,,die ganze Genitalgegend glühend rot wie ein Ofen".
So ist es zu verstehen, wenn jenes erfolglos asexuell erzogene Mädchen
mit sanfter Stimme berichtet, wie sie sich fürchte vor „einem Mördermesser,
das ja immer weiter brennt". — Eine Katatonika antwortet bei der Unter-
suchung nur zögernd in abgerissenen seltenen Sätzen; auf die Frage: „Was ist
mit dem Konrad?" (ihrem Geliebten), sagt sie sofort mit lebhafter Mimik und
ganz anderer Stimme: „Muß ich verbrannt werden? Muß ich getötet werden?" —
1) Nicht zu verwechseln mit der Anwendung dieses Wortes für alle Ai'ten von Miß-
handlung (vide Sprache).
2) „Nun, Heinrich, sterb ich doch den süßen Tod", Ottegebe in Hauptmanns „Der
arme Heinrich". — „Verwehr deinem Herzen zu lieben, o Kindlein; denn Liebe ist sterben,
die Lieb ist der Tod." Hu oh, Dornröschen usw. usw.
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschungen.
339
Patientinnen beklagen sich manchmal, man halte sie für Huren, und setzen
hinzu: „Ja, ja, ich weiß schon, ich laise mich nicht verbrennen"; oder etwas
Gleichwertiges. Auch mit der Angst wird das Feuer zusammengebracht: „Es ist
gerade, wie wenn ich ein Feuer in mir hätte, so habe ich Tag und Nacht Angst."
B3i der letzteren Kranken, wie bei mancher andern, führt die Idee des Feuers
zu der, in der Hölle zu sein oder in die Hölle zu kommen (was nicht immer
unterschieden wird). Ein Patient verallgemeinert die Empfindung, daß seine
Geschlechtsteile verbrannt werden, zu der, ganz im Feuer zu sein. Später schwächt
er sie wieder ab und hat infolge der Verlegung nur noch Hitze im Kopf. Die ur-
sprüngliche Halluzination war entstanden aus der sexuellen Reizung, die ihm
die Tochter seiner Hausfrau bereitete. Deshalb drohte ihm diese in den Hallu-
zinationen mit Verbranntwerden, während die unschädliche Mutter ihn tröstete,
er werde nicht verbrannt.
Ein Paranoider wähnt seine Frau untreu und tot; ihn beschuldigt man des
Verkehrs mit einer Schwägerin. Einmal hörte er einen Schrei; das bedeutete,
daß seine Frau soeben gestorben sei. Zugleich war es ihm, wie wenn man ihm eine
Flamme aus dem Herzen herausreiße. — Ein anderer beklagt sich, es sei eins
Frau unter ihm, die ihn verführen will, um ihn durch Brennen umzubringen;
hier wird das Brennen noch in einem andern Sinne gefaßt : er meint, man hätte
ihm nach der Verführung scharfe Salben eingerieben.
Die Identifizierung von Feuer und Koitus kann auch in bezug auf andere
Personen geschehen: ein eifersüchtiger Ehemann behauptete, seine Frau habe
einen Mann angestellt, der ihr das Bett unter dem Hintern anzünden müsse.
Eine Frau hat die Wahnidee, daß man ihr das Haus anzünden wolle, und
zwar hat sie einen bestimmten Kostgänger im Verdacht. Ganz im gleichen Ton,
und wie wenn sie die gleiche Sache ausführen würde, erzählt sie, sie fürchte,
daß der Kostgänger es einmal so weit treiben könne, daß sie ein Kind von ihm
bekomme. Hier hat das Feuer, das das Haus verzehrt, zugleich noch eine andere
Bedeutung, die die gewöhnliche ist, wenn von „Hausanzünden" geredet wird.
Es bedeutet die Aufhebung der Familie, eine Idee, die allerdings meist auch
durch unbefriedigte Sexualität erzeugt wird. — Eine mit ihrem Manne un-
zufriedene Frau erkrankte in der zweiten Gravidität; sie wurde eifersüchtig,
mißtrauisch; die Stimmen befahlen ihr, das Haus anzuzünden, um dem Herrgott
em Rauchopfer darzubringen. (Später wollte sie auch den Sohn opfern.) —
Eme andere Frau, die einen Pfarrer liebt, fürchtet zuerst, das Haus müsse
m Flammen aufgehen; eines Tages glaubt sie, es werde angezündet ; üüchtet sich
aus dem Hause, und wiU nun den Herrgott sehen; nachher meinte sie, sie sei
mit dem Geliebten verheiratet. — Eine andere Frau, deren Mann ein Lump ist,
sah und hörte Leute, die das Haus anzündeten; auch ihr Knabe ist haUuzina-
torisch gestorben. — Die Frau, die von ihrem eingebildeten Geliebten drei Kinder
im Leibe hatte, hatte versucht, ihr Haus, „das Unglückshaus", anzuzünden.
Unser einziger Fall, wo die Sexualität nicht mit Sicherheit mitschuldig
an dem Feuer ist, betrifft einen Katatoniker, der seine Mutter erschossen und
^en Vater verletzt hatte, um sie vor Armut zu bewahren. Er träumte in der
J^acht darauf, das Haus seiner Eltern brenne; er selber sitzt zu oberst auf dem
iJach tut mchts und staunt nur. (Immerhin sind einige Indizien da, daß ein
einseitiges sexuelles Verhältnis zur Mutter bestanden habe.)
22*
340
Schizophrenie.
In enger Verbindung mit den bisher besprochenen Koitussynibolen steht
die Angst. Schon vor Jahrzehnten wußten viele Psychiater, daß ein Zusammen-
hang zwischen Sexualität und Angst bestände, indem sexuelle Reizung Angst
erzeuge und umgekehrt in Angstzuständen oft triebartig masturbiert werde^).
Freud hat dann die pathologische Angst überhaupt ak eine Umsetzung ver-
drängter sexueller Libido erklärt. Ich sehe nun allerdings nicht ein, warum es
nicht auch eine Angst bei bedrohter Existenz des Individuums geben solle so gut
wie eine Genusangst. Allerdings muß ich konstatieren, daß in den pathologischen
Fällen und in den Träumen, die wir analysieren konnten, mit Sicherheit nur die
Genusangst nachzuweisen war. Worin der Zusammenhang zwischen der Se-
xualität und Angst besteht, ist mir noch dunkel, sicher ist nur, daß er existierts).
Man kann sich denken, daß die Unterdrückung des Geschlechtstriebes
als eine Schädigung des Genus Angst mache, wie die Gefährdung des Individuums ;
doch ist das nur eine Analogie. Man weiß ferner, daß die sexuelle Erregung nament-
lich bei der Frau, aber in gewissem Sinne auch beim Manne mit Angstsymptomen,
mit Gruseln imd Zittern verbunden ist. Man weiß, daß nicht nur beim Menschen,
sondern bei vielen niederen und höheren Tieren das Weibchen der Bewerbung
einen lebhaften Widerstand entgegensetzt, der um so auffallender ist, als es sehr
häufig sofort die Initiative ergreift, wie das Männchen sich zurückzuziehen scheint.
Man könnte sich denken, daß eine gewisse Regdierung stattfindet, indem zwei
Kontraste gegeneinander spielen, wie wir das in Physiologie und Psychologie
so häufig sehen, und daß die Hemmung eben das ist, was wir Angst nennen;
aber warum es gerade dann zum Vorschein kommen sollte, wenn der Akt unter-
drückt wird, wäre nicht abzusehen.
Wir treffen also die Angst, wenn sie analysierbar ist, immer in Verbindung
mit sexuellen Symptomen. Wenn man allerdings den schwarzen Mann mit dem
Messer als das Primäre auffaßte, so wäre die Angst in diesen Fällen Individual-
angst. Wir kennen aber die sexuelle Bedeutung des Mannes und sehen alle Tage,
daß die gleiche Angst auch auftritt, wenn das Individuum nicht bedroht wird.
Wir können uns ferner leicht erklären, warum das Sexualsymbol auftreten soll,
nicht aber, was in solchen FäUen die körperliche Bedrohung zu tun hat.
Meist verläuft die Angst unter dem Schein einer solchen Bedrohung. Manch-
mal findet man diese nicht. Ein Katatoniker, der inhaltlose AngstanfäUe hatte,
bat in den einen inständig um ein Mädchen, in den andern onanierte er. Eine
Katatonische mit ziemlich starkem Negativismus onaniert ganz regelmäßig,
wenn sie zu etwas gezwimgen wird, zum Essen, zum Sitzen usw. 3).
1) Vgl. z. B. Cullerre (145), Oppenheim (529 a; S. 117), Muthmann (502 ft;
S. 42) und Bernhard.
2) Stekel gibt Anhaltspunkte zum Verständnis dieses Verhältnisses, leider noch keine
Erklärung. Angstzustände infolge schlechter Zirkulation gehören nicht zum Bilde der
Dementia praecox.
ä) Es gibt auch Nichtgeisteskranke, die in der Angst Pollutionen bekommen;
einem jungen Herrn begegnete es dann, wenn er eilig war, z. B. i-ascli zur Bahn gehen
sollte und sich noch zurecht zu machen hatte. Kinder haben sexuelle Erregung bei Angst
vor dem Lehrer. Vgl. auch v. Kraff t-Ebing, Moll. Angstträume sind sexuelle (Freud).
S avage kannte den Zusammenliang von Angstmelancholie und Sexualität schon vor
Jahrzehnten.
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitatäuschungen.
341
Eine altbekannte Fortbildung („Sublimierung", Freud) des Geschlechts-
triebes ist die Umsetzung in religiöse Gefühle und Vorstellungen. Viele
Kranke suchen, gerade wie Gesunde, ganz bewußt in der Religion Ersatz für
das entgangene I.iebesglück. Sobald aber dieKi-ankheit anfängt, die Vorstellungen
ungeordneter zu machen, tritt der verdrängte erotische Komplex wieder hervor
und mischt sich mit den religiösen Vorstellungen. So trägt der Erlöser oder Gott
oder wer gerade in den Vordergrund des religiösen Interesses gestellt wird,
sehr häufig die deutlichen Züge des Geliebten. Eine Patientin, die in einen Pfarrer
verliebt war, zeichnete den lieben Gott gern mit Bäffchen und Klemmer; auch
Christus bekam Züge von einem protestantischen Geistlichen. Eine solche Figur
wurde einmal am Kreuz gezeichnet mit erigiertem Glied: sie bedeutete nach
der eigenen Erklärung der Patientin den guten Menschen; am Kreuz nebenan
war der schlechte Mann mit schlaffem Glied. Eine der ersten gleiche gekreuzigte
Figur hatte zwei erigierte Glieder. Später ist die Kranke direkt mit dem heiligen
Geist verheiratet. — Eine (latente) Hebephrene liebte ihren Mann nicht mehr
und setzte die Scheidung durch. Am Tage des Urteils sah sie Gott, der ihr eine
Million versprach; der Mann hat ihr aber die Million gestohlen. Gott sagte ihr
unter anderm auch : „Laß die erste Liebe nicht, denn sie hält gewiß, was sie ver-
spricht." Er sprach sächsisch, hatte blonde Haare, karrierte Hosen, kurz alles
wie ein Herr H., den die Patientin vor ihrem Manne geliebt hat. Zugleich „schien
die ganze Herrgottenmacht, die Sonne und die Sterne leuchteten; doch der im
Kirchengesangbuch als Tröster genannt wird, den kenne ich im Leben, er hat
Hosen imd Weste wie der Herrgott und redet sächsisch." Auch Christus und die
Jünger sind in ihrer Familie vertreten. Sie selbst ist die Jehovah, sie ist nicht
Gott, aber Nachfolger von Gott ; sie sitzet zu seiner Rechten. Der König der Ehren
ist Herr H. Wenn sie von dem letzteren (auch ganz Profanes) erzählt, mischt
sie immer eine Flut von biblischen Ausdrücken bei. — Ihr Mann erschien ihr,
seit sie ihn nicht mehr liebte, in den verschiedensten Gestalten, nur hatte er
immer schwarze Haare (wie in der Wirklichkeit). Sie spricht von ihm meist
als „die Schwarzen", sie hat sich von den Schwarzen scheiden lassen.
Bei Männern vertritt etwa eine Heilige die Geliebte. Doch genieren sich
schizophrene Männer gar nicht, auch mit Gott oder Christus verheiratet zu sein;
so unser oben angeführter Patient, dessen erste erotische Gefühle an die Schwester
geknüpft waren: Christus erscheint ihm als ein sehr schönes Mädchen, das Züge
von der Schwester trägt.
Häufiger jedoch sind Männer auch in der Religion aktiv; sie werden Pro-
pheten oder Christus oder auch Gott, als welchen ihnen dann die Vergnügungen
der verschiedenen Paradiese selbstverständlich zur Verfügung stehen. Sie können
in ihrer göttlichen Eigenschaft auch nach bekannten Mustern irgend ein irdisches
Weib lieben.
Nicht selten spielt der Teufel die Rolle, die in den bisherigen Beispielen
den guten Personen zugeschrieben ist. Eine Frau, die sexuell abstinent lebt,
wird seitdem „versucht" vom Geiste Gottes, wobei sie alle Freuden genießt'
sie sieht und hört den Teufel, den sie, ohne sich darüber klar zu sein, mit dem
versuchenden Geiste Gottes identifiziert. Häufiger ist es der Teufel ganz ohne
Beimischung. Einer Magd erschien der Teufel mit dem Gesichte ihres Dienst-
herrn, der mit seinem Zauberstab allerlei Dinge machte, die sie in den Genitalien
342
Schizoiihrenie.
spürte. Der Teufel hat auch oft bestimmte Züge vcm Geliebten oder doch von
einem andern, die Patientin sexuell erregenden Manne.
Neben solch einfachen und relativ leicht verständlichen Vorstellungen
gibt es noch eine Menge unklarer, die bis zur Unkenntlichkeit verzerrt und mit
verschiedenen Elementen verquickt sind. Eine Patientin bekommt jede Nacht
ein schönes Kind von Pfarrer N., „sie ist eben das Mittel zum Eeligionskrieg"
Wenn man weiß,, daß der Kampf oft das Symbol des Koitus ist, so kann das ver-
ständlich werden. — Eine kinderlose Frau, die ihren Mann haßte, besonders
wahrend des Aussetzens der Periode, jammerte zu dieser Zeit, daß im Religions-
krieg so viele Kinder umgebracht würden. — Die schizophrene Vermengung
von verschiedenen Begriffen, die nur äußerlich zusammenhängen, zeigt sich in
dem Ausspruch einer Kranken, die mit dem Ausdruck erotischer Erregung
sagte: „Die Wärterinnen sind auch Jesusblut, die sündigen auch." Jesus und
Sünde gehören allerdings zusammen, aber nicht in dieser Weise.
Aus religiösen Assoziationen stammt wohl auch die nicht seltene assoziative
Verbindung von Fleisch und Genitalien. Ein sehr intelligenter Katatoniker
mit Versündigungswahn sagte direkt, er esse kein Fleisch, weil es an Fleisch-
liches erinnere. Eine Hebephrene assoziierte im Experiment an „lieben"
,,d. h. ein Fleischopfer",
Die Verbindung von Sünde und Sexualität ist wie im Leben auch in der
Schizophrenie eine der häufigsten. Bei Selbstbeschuldigungen spielen die sexuellen
Sünden eine große Rolle, und zwar auch da, wo zunächst andere Dinge angegeben
werden, die man eher sagen und denken kann.
Hierher gehört auch das Reinlichkeitsbedürfnis und das Gefühl,
unrein zu sein. Man hat früher schon bemerkt, daß solche Zwangsideen gerne
bei Onanisten vorkommen. Frend hat gezeigt, daß es sich um eine Übertragung
vom Gefühl moralischer Unreinheit auf das der physischen Beschmutzung
handelt. Die Beobachtungen in der Schizophrenie geben ihm recht. Ein Patient
sagte gerade heraus: ,,Ich kann ihnen die Hand nicht geben, weil ich onaniert
habe". Eine Patientin, die unter anderm sich auch damit gereizt hatte, daß sie
Katzen an die Genitalien gebracht, litt schwer an Zwangsideen der Reinlichkeit.
Namentlich wenn sie eine Katze sah, mußte sie die Hände waschen, ,,um nichts
Schädliches, Giftiges in sich zu bringen"^). In analogem Zusammenhang wollte
eine Dame beständig die Fenster geöffnet haben wegen unreiner Luft. Bei einer
sehr feinfühligen gebildeten Dame konnte man den Zusammenhang experimentell
beweisen. Sie wollte oft in ganz negativistischer Weise die Hand nicht geben,
obschon sie in der Unterhaltung sehr liebenswürdig war. Sie konnte entweder
keinen Grund angeben oder dann den, daß sie viel an die Hände schwitze, was nur
in ganz geringem Maße der Fall war. Es stellte sich nun heraus, daß die Furcht, die
Hand zu geben, immer dann auftrat, wenn im Gespräch etwas vorgekommen
war, das ihren Onaniekomplex wachgerufen hatte. — Ein Katatoniker war in ganz
unsinniger Weise aus dem Fenster seiner Dachstube gestiegen und hatte das Bett
^) Obschon ich bei Kranken noch nie einen andern als sexuellen Waschtiieb gefunden
habe, muß man mit der Auslegung des Symptoms doch vorsichtig sein; bei zwei Kindern
habe ich im ersten und zweiten Jalire die heftige Ablehnung irgend einer Zumutung beständig
von ähnlichen Gesten begleitet gesehen, in einem Falle meist ein Händeringen genau wie
wenn der Erwachsene die Hände wäscht, im andern ein AbAvischen der Hände an den Kleidern.
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuscbungen.
343
auseinander genommen und wieder zusammengesetzt. Er gab an, er habe nur
aus dem Fenster sehen wollen (er war aber hinausgegangen) ; warum er das Bett aus-
einander genommen habe, wisse ernicht, er sei ein Sünder. Dieser Zusammen-
hang von Bettauseinandernehmen und Sünde ließ uns vermuten, daß es sich
auch um einen onanistischen Reinlichkeitskomplex handelte, was sich denn
in anderen iVssoziationen und aus den direkten Angaben des Kranken sicher
nachweisen ließ.
ISicht die Sünde, aber das Sichschämen über die Onanie und das Gefühl,
man sehe einem das Laster an, drückt sich zuweilen darin aus, daß der Patient
das Gesicht nicht zeigen will, eine häufige katatonische Eigentümlichkeit, die
allerdings noch andere Gründe haben kann. Bei einem Mädchen war das im
Beginn der manifesten Krankheit lange Zeit das einzige hervortretende Symptom;
sie konnte nicht anders mit jemandem reden, als indem sie das Gesicht abwandte
oder bedeckte; sie gab den Grund selbst an, konnte aber noch lange nachher,
nachdem sie in Eemission eingetreten war und gut arbeitete, von der „Zwangs-
idee" nicht lassen. Eine andere steckte auf die Frage, warum sie das Gesicht
bedecke, sowie bei sexu eile nAnspielungen den linken Zeigefinger ins Ohr^).
Selbstbeschuldigungen können auch Ausdruck des Wunsches nach Koitus
sein, so wenn sich der Patient unschuldig eines sexuellen Attentats anklagt.
Andere Vergehen als die Onanie habe ich nur zweimal als wesentlichen Inhalt
von Versündigungsideen gesehen. Ein Hebephrene war untröstlich darüber,
in seiner Jugend Äpfel von einem bestimmten Baum gestohlen zu haben; der
Baum wurde dann mit allen möglichen späteren Wahnideen in Beziehung ge-
bracht. — Ein junger Katatoniker hat in Wirldichkeit Sardinen und Bonbons
gestohlen; im Delir waren es Diamanten, wegen deren Wert er nun für ewig in
die Hölle kommt. Bei diesen beiden Patienten haben wir überdies Grund zu der
Vermutung, daß hinter diesen Selbstbeschuldigungen doch noch der Onanie-
komplex stecke.
Eine andere Art der Abweisung sexueller Gedanken ist das (nervös be-
dingte) Erbrechen, das, wie Freud gefunden hat, Ekel, meist sexuellen
Ekel, bedeutet^). Eine Patientin war ihrem Manne, der ihr unangenehm
war, entflohen. Als er plötzlich kam, um sie zu holen, bekam sie Erbrechen,
das drei Wochen lang dauerte. Eine andere Kranke sprach eine Zeitlang von
Schmerzen in den Genitalien, verbunden mit der Idee des Eockaufhebens und von
etwas Ekelhaftem. Einmal hörte sie Stimmen, die vom Rockaufheben sprachen
und mußte sofort mitten im Wohlsein erbrechen. Nach Attentaten haben wir
anhaltendes oder anfallsweises Erbrechen mehrfach erlebt. Eine Patientin
wurde im 14. Jahre mißbraucht. Seitdem hatte sie Angstträume von Lanzen
und Stieren. Mit 19 Jahren verliebte sie sich; das Paar mußte sich trennen;
darauf em Jahr lang katatonische Depression mit HaUuzinationen gleichen
Inhalts und sexueller Aufregung. Seitdem häufig solche Träume und Hallu-
, !} Warum sich der Onaniekoraplex bei Nervösen und bei Schizophrenen so häufic
und mit so elementarer Gewalt vordrängt, ist noch nicht sicher zu sagen. Es gibt doch andere
Sunden die vie schhmmer sind. Vielleicht ist die „Sünde" hier gar nicht im religiösen Sinn
zu verstehen; die „Gewissemangst" wäre vielmehr der primäre Ausdruck der perversen
Betätigung des mächtigsten Naturtriebes. perversen
") Vgl. auch H. Müller (499 a).
344
Scliizophrouie.
zinationen, wenn ihr etwas Widerwärtiges begegnet, dabei Ekel, Aufstoßen und
Erbrechen und ein Gefühl des Eingeschnürtwerdens an der Stelle, wo der Atten-
täter sie faßte (Jung).
Freud hat auch darauf aufmerksam gemacht, daß ein unbewußtes sexuelles
Verhältnis zwischen Vater und Tochter und zwischen Mutter und Sohn bestehe,
das namentlich in den Kindern zum Vorschein komme. Diesen „Ödipus-
komplex" haben wir immer häafiger gefunden, nachdem wir einmal darauf
aufmerksam gemacht worden sind. Er ist auch ein wichtiges Agens bei der Aus-
wahl der Geliebten bei Gesunden und Kranken. Ein Patient meinte, die Mutter
habe den Vater vergiftet. Einmal erwachte er in der Nacht, glaubte, die Mutter
sei zu ihm ins Zimmer gedrungen, er war aufgedeckt, hatte eine Erektion, also
habe die Mutter mit ihm Schweinereien getrieben.
Auch Eltern können den Ödipuskomplex haben. Eine Katatonische stieß
den besuchenden Sohn weg ; sie fühle ein Brennen auf dem Herzen gleich unter
der Haut, und die Nerven darüber, wie wenn man diese nur mit den Fingern fassen
könnte. Ahnliche Gefühle hatte sie einmal mit deutlicher erotischer Färbimg
dem Aj'zte gegenüber, als er sich zum Zwecke der Untersuchung über sie beugen
mußte. Auf die Tochter war sie (in den Wahnideen, nicht in dem erhaltenen Teil
der Persönlichkeit) eifersüchtig, weil diese sich verlobt hatte. Sehr wahrscheinlich
hatte die Verlobung den Anlaß zum Ausbruch der Krankheit gegeben. Sie meinte,
die Tochter sei vom Manne aus dem Hause gejagt, gravid, eine Hure, ins Wasser
gegangen.
Manchmal wird der Ödipuskomplex via Identifikation des Kindes mit dem
Geliebten erst sekundär erzeugt. Zwei Frauen waren deshalb eifersüchtig auf
den Gatten, der das Kind zu Hause hielt, eine dritte auf Gott, der das Kind
zu sich genommen; die drei Gatten und Gott selbst wurden beschuldigt, daß
sie mit den Kindern widernatürliche Unzucht treiben. (Transitivistische Über-
tragung der eigenen sexuellen Liebe.)
Schon bisher mußten wir oft von Sexualität auch da sprechen, wo der
Uneingeweihte den Zusammenhang nicht gleich sehen konnte. So werden denn
sexuelle Empfindungen und Ideen sehr häufig versteckt. Manchmal geschieht
dies durch Verlegung des Genitalbegriffes, meist nach oben. Zunächst hat
die Umgebung der Geschlechtsteile, der Damm und namentlich der Anus, häufig
sexuelle Bedeutung. Psychogener Pruritus, der in der Vulva entspringt, geht leicht
auch auf den Anus über, auch wenn er ursprünglich bloß sexuelles Symptom
war. Eine Patientin, die zuerst den Finger beständig in der Vagina hatte, steckte
ihn später trotz allen Gegenmaßregeln immer in den Anus. Die Defäkation
wird zuweilen zum Symbol der Geburt^). Eine Katatonika berührt mit der Hand
beständig die Genitalgegend, dann greift sie unter die Arme, dann in oder an den
Mund, dann steckt sie die Fingerspitze in ein Ohr.
Bei zwei Patientinnen konnten wir verfolgen, vne die ursprunghchen
Wetzbewegungen des Beckens nach oben verlegt wurden, indem sie bei der
einen ziemlich direkt sich in Kopfbewegungen verwandelten, bei der andexn
zuerst in Bewegungen des Bauches, dann in solche der Brust mid erst ziüetzt
des Kopfes.
1) Kaiser (352): „Heute nacht hat sie mit Kot geschmiert und am Morgen
berichtet: heute nacht habe ich entbunden."
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschungen.
345
Das häufigste Symbol für die Vagina ist der Mund, bald allein, bald
in Verbindung mit anderen Verlegungen^). Aus ihm werden häufig die Wahn-
kinder geboren. Eine Kranke, der der Arzt Milch einflößen wollte, sagte zu
ihm: „Ja, Sie können mich doch nicht heiraten." Eine Patientin sieht einen
Engel, der bei ihr den Mann vertritt, der toten Base „den roten Lebensstengel
in den Mund stecken". (Durch andere Äußerungen der Kranken ließ sich sicher
feststellen, daß das ein sexueller Akt sein sollte.) Eine andere Kranke bezeichnet
als „Körbe" sexuelle Gefühle, bei denen sie auch Bauchweh spürt, und etwas
Weißes an die Finger kommt, das sie wie Sperma beschreibt. Sie muß dabei auch
den Finger in den Mund stecken. Sie hat nun „viele Körbe, Doppelkörbe, oben
hinaus, unten hinaus"; die obere und die untere Öffnung wird identifiziert. —
Ein katatonischer Onanist rieb sich den Finger im Mund hin und her, dann im
Anus. — Eine ganz leicht Hebephrene, im Alter von über 50 Jahren, die sich
noch recht gut in Gesellschaft bewegen konnte, ließ sich vom Arzt nicht in den
Mund sehen und machte dazu die Mimik des sexuellen Genierens, genau wie sie
sie machte, wenn er sie untersuchen mußte wegen ihrer Zystitis, eine Unter-
suchung, die sie mehr zu provozieren suchte als nötig.
Auch das Auge gilt als Symbol des weiblichen Genitale, während die
Nase das des männlichen ujid des weiblichen sein kann, sogar beim gleichen
Kranken. Frauen, die durch die Nase gefüttert werden, beklagen sich manchmal
d.abei, wie wenn man sie sexuell mißbrauchte; ein Patient, der, wenn jemand
die Nase berührte, meinte, das heiße, er (der Patient) onaniere, steckte sich
Zigaretten in die Nase, was für ihn eine bewußte Symbolhandlung war, die den
Koitus darstellen sollte 2).
Fütterung und Injektionen werden von Männern und Frauen oft als sexuelle
Attentate aufgefaßt; manchmal allerdings mit leichten Umdeutungen: eine
Katatonische erzählte mit unzweideutig sexueller Mimik: „Der Arzt hat mir
emen Schlauch eingeführt in eine Röhre, die zum Herzen führt." — Eine Pa-
tientm träumte nach der Injektion, der Äizt habe ihr einen Bleistift in den
rechten Arm (wirkliche InjektionssteUe) gestoßen. Der Bleistift kam sofort zum
Unterleib heraus; sie weiß nicht recht, ob er ihr nicht auch dort hineingestoßen
mirde. — Entsprechend dieser Vorstellungen wird die injizierte Flüssigkeit zu-
weilen „Schlangengift" genannt.
Die Verlegung genitaler Empfindung geschieht oft nach anderen Stelleu
des Unterleibes. Wenn Gesunde statt der Genitalien vom Leibe oder Unter-
leibe reden, so ist für sie der Ausdruck nur ein Bild, sie denken doch nur an
das, was wirkhch gemeint ist. Die Schizophrenen übertragen aber so zu sagen
das Bild m die Wirklichkeit; sie spüren ihre Halluzinationen wirHich an der
mit dem Wort bezeichneten Stelle, und dabei geht die Verlegung viel weiter
als die Konvenienzausdrücke. Schlangen und Mäuse steigen „vom Leib aus"
bis m den Kopf; als Ausgangspunkt wird dabei häufig die Magengegend gezeigt;
^) Vgl. auch Jungs B. S.
« 1. '^''''^ untersuchter nicht geisteskranker Herr assoziierte im Experiment
346
Schizophrenie,
erst wenn man länger zuhört oder auch mehr fragt, wird das Genitale auch
genannt, dann aber meist mit deutlich stärkerer Gefühlsbetonung. Immerhin
kommt eine restlose Verlegung nach oben gar nicht selten vor, so daß die Hallu-
zination ganz vom Genitale losgetrennt ist, von dem sie ursprünglich ausging
Eine bemerkenswerte Kombination hatte eine Patientin, die „im Gehörorgan
in der geistigen Tätigkeit Empfindungen von Liebe spürte" ; Gehörhalluzinationen
schienen nicht gemeint zu sein. — Ein Paranoider beklagte sich, daß er mit
Champooing behandelt werde (imaginär), d. h. Kopffriktion, das bedeute Onanie
Em anderer sprach von den Teilen, mit denen man sündigt, und zeigte die Seite.
Viele halluzinatorischeZustände haben einen sexuellen Hintergrund.
Einer unserer Kranken berichtet, daß er jcAveilei), bevor es in der Nacht mit den
Halluzinationen losgehe (meist Gesichtstäuschungen), „ein süßes Gefühl durch
den ganzen Körper spüre". Mit Angst verbundene Visionen, die immer größer
werden, sind wohl immer sexuell. Den gleichen Ursprung haben gewiß die meisten
Halluzinationen der Körperempfindung.
Vom Brennen haben wir das nämliche schon beschrieben. Von all den
sexuellen Scheußlichkeiten, über die sich männliche und weibliche Patienten
beklagen, brauchen wir nicht zu reden; wenn „die Natur abgezogen" wird, wenn
eine Frau geschändet wird usw., so ist das selbstverständlich sexuell. Hierher
gehören aber auch noch die so gewöhnlichen elektrischen Empfin dünge n^),
und zwar wohl in zweierlei Sinn. Die einen sind verbunden m^t einem „süßen
Gefühl" und sind wohl das Gleiche, was die Dichter als elektrischen Schlag be-
zeichnen, wenn man einmal unversehens die bis jetzt nur von weitem Geliebte
berührt. Ein sexuell erregter Hebephrene halluziniert einen Offizier, der ihm
am Penis saugt und ihn elektrisiert. Dann aber scheinen mehr kribbelnde Emp-
findungen mit dem gleichen Ausdruck bezeichnet zu werden, die im Normalen
vielleicht kein Analogen haben. Wenigstens habe ich schon sehr häufig in sexu-
ellem Zusammenhang über solche Dinge klagen hören; recht oft scheinen sie
vom Hinterkopf auszugehen. Auch noch viel gröbere sexuelle Empfindungen
müssen vorkommen; so ist ein Patient „mit einem "Weib elektrisch verbunden;
das ist eine Qual ärger als am Kreuz". Hierher gehören dann viele Gefühle von
Spannung in den Muskeln, von Steifwerden, die der Normale eher verstehen
kann. Sie können übergehen in Störungen der Motilität. Manche Krämpfe
scheinen daher zu stammen. Die Ähnlichkeit des epileptischen Anfalles mit dem
Orgasmus ist schon im Altertum aufgefallen. Ich erwähne sie hier, ohne sicheres
daraus schließen zu können. Eine unserer Kranken hat in der Nacht öfters or-
gastische Anfälle, mit Stöhnen, Lähmungsgefühlen, Wasserlösen, Erbrechen.
Eine andere hatte im Bett „wollüstige Gefühle, so daß sie sich krampfhaft am
Bett festhalten mußte", dabei wurde sie kalt und steif. Die wollüstigen Gefühle
steigen ihr auch in den Kopf, dann kann sie nicht mehr denken, es ist, wie wenn
sie einen Eiegel im Denkorgan hätte (allgemeine Sperrungen). Ein sexuelles
Krampfsymptom ist auch der hysteriforme Kreisbogen. In einem Falle doku-
mentierte sich das allerdings nur darin, daß die Patientin jedesmal mit dem
1) In neuerer Zeit treten oft Röntgenstrahlen an die Stelle der Elektrizität. So wurde
eine Patientin mißhandelt mit Röntgenstrahlen, die sie in der Größe, im Aussehen überhaupt
genau als Penis beschrieb.
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschungen.
347
Unterleib in die Höhe ging, wenn männliche Personen sich ihr näherten; in
einem andern kam der Krampf nach Aussage der Patientin immer bei gewissen
Gedanken an den Geliebten, der sie an den Labien in die Höhe zu ziehen schien.
Von rhythmischen Bewegungen haben wir oben schon gesehen,
daß sie sexuelle Bedeutung haben können (Kopfbewegungen). (Vgl. auch die
Schaukelpferde im Bett der Kranken.) Bei zwei Frauen haben wir anschließend
an den Tod des Mannes rhythmische Beckenbewegungen gesehen, die sich auch
den Beinen mitteilten; eine sichere Schizophrenie war aber nur der eine der
beiden Fälle.
Manchmal werden onanistische Bewegungen zu Stereotypien; wir
haben die Katatonika schon erwähnt, die schließlich jahrelang den Finger im
Anus hatte. Einer unserer Patienten machte die Onaniebewegimgen immer höher,
so daß er schließlich dem Munde nahe kam. Er behauptete, er habe hundert
Geschlechtsteile, werde deshalb nie fertig; als er in der Nähe des Mundes war,
kam die Idee dazu, er müsse den leeren Kopf nachfüllen, so daß die Bewegungen
jetzt zwei Bedeutungen haben, nach unten die des Onanierens, nach dem Munde
zu die des Nachfüllens respektive Essens.
Wie man schon lange wußte, sind auch Gewohnheiten, wie die des
Schmierens mit Kot und Urin, sexuelle Symbole. Uriniert wird von den
kranken Frauen manchmal im Orgasmus, es scheint der Akt bei ihnen überhaupt
leicht mit der Sexualität verbunden zu werden. Die Defäkation kann auch bei
Schizophrenen mit "Wollust verbunden sein (Schieber).
Andere Anomalien des Geschlechtstriebes können durch Verschiebungen
entstehen. Es hat nicht jeder homosexuelle Neigungen, der in der Katatonie
die Mitpatienten zu koitieren sucht (Na ecke). Die Kranken können sich eben
über das Geschlecht hinwegsetzen oder besser sich das notwendige Geschlecht
hinzuillusionieren. — Ein Herr ist fortgelaufen, um seine (eingebildete) Frau
zu suchen. Er sieht dann den Arzt, den er als solchen erkannt hat, lange an, und
bricht aus: „Sie sind ja meine Geliebte." Nachher frägt er einen andern Arzt,
ob er seine Braut sei, öffnet die Hose. Am folgenden Tag sagte er zu diesem:
„Ich weiß nicht, ob Sie ein Eepräsentant von einem Fräulein sind; gestern war
eine da, die Ihnen glich." Auf den Bart aufmerksam gemacht, sieht er den Arzt
lange an, dann: „Im Theater kommt es auch vor, daß Frauen Männerrollen
spielen." Einige Zeit nachher faßt er verklärt die Hände des Arztes: „Sind Sie
nicht das Fräulein, das Privatstunden bei mir hatte?" Später machte er x\tten-
tate auf Patienten im gleichen Sinne. — Ein anderer Katatoniker übertrug seine
Liebe auf Männer, nachdem er von einem Mädchen sexuell gereizt, aber nicht
zugelassen werden war. Er kannte indessen noch das Geschlecht der begehrten
Mitarbeiter und Mitpatienten.
Die Symbolik der Liebe zeigt sich auch in den Zeich nun<?en vieler
Kranken. Sie schlingen Buchstaben oder Ringe ineinander. Deutliche und un-
deutliche Genitalien sind nicht selten. Wer etwas besser zeichnen kann, geht
weiter. Eine junge Dame zeichnete eine Menge Pagen mit Lanzen, und damit
Uber die Bedeutung der letzteren kein Zweifel walten könne, kamen sie in zwei
Figuren aus der Hose, in der Stellung eines erigierten Gliedes. Die in den Pfarrer
verliebte Zeichnerin identifizierte schließlich ihren Geliebten auch mit dem
heiligen Geist, was Anlaß zu einer schönen Apotheose gab : sie als Maria der heilige
348
Schizophrenie.
Geist als strahlende Sonne da, wo ihr Genitale sein sollte, links und rechts daneben
zwei stilisierte betende Engel. Die Zeichnung wurde vielfach wiederholt und
schließlich zur Unkenntlichkeit abgekürzt.
Folgendes Beispiel, das immerhin sehr gekürzt ist, mag zeigen, wie sich sexuelle
Empfindimgen und Ideen in concreto zu emcm Ganzen gestalten:
Eine Magd fühlte sich verzaubert von ihrem Dienstherrn, der einen Zauberstab
dazu „aufstellte" (sie macht mit dem Fmger die Stellung des erigierten Penis)- der
Zauberstab „oder eine Schlange" wird ihr auch durch den Mund gezogen. Sie beko'mmt
Anfälle von Kreisbogen mit Koitusbewegungen und Orgasmus, und zwar ganz ohne
ihr Hinzutun. Das erste Mal während einer Theatervorstellung, bei der sie Zuschauer
war. Em mitspielender junger Lehrer saß mit gespreizten Beinen da; Patientin hatte
das Gefühl, er schaue sie besonders an (sie hatte früher ein Verhältnis mit emem
Lehrer) ; als er mit dem Ellbogen an die StuhUehne stieß, spürte sie den Stoß im ganzen
Leibe, sie hörte, wie er ihr sagte, „sie solle es ihm machen", die Beine wm-den ihr
auseinander gezogen, dann die Labien, sie wurde an den Labien in die Höhe gezogen;
daim vollständiges Koitusgefühl. Solche Anfälle erfolgten von nun an häufig bei
sexueller Erregung; in der Anstalt sogar, als eine Plochbürste neben ihr Bett gestellt
worden war (der Stiel!). Die sonderbaren Gefühle mit Spreizen und Ziehen an den
Labien erklären sich dadurch, daß em ungetreuer Liebhaber der Patientm vor Jahren
sie und sich durch ähnHche Manipulationen mit den Füigern befriedigt hatte. — Sie
wußte, daß die Anfälle kein wirkücher Koitus waren, nichtsdestoweniger war sie
sich einmal, als sie auf dem Klosett stark pressen mußte, nicht klar, ob sie nicht ge-
boren habe, mid getraute sich nicht, das Klosett zu spülen, wofür sie getadelt wurde.
Nicht alle Icrankhaften Äußerungen der Schizophrenen lassen sich direkt
in die Kategorie der Wünsche und Befürchtungen einreihen. Wenn eine Patientin
erklärt, sie sei die Schweiz, oder eine andere einen Strauß ins Bett nehmen will,
sie werde dann nicht mehr erwachen, so scheint das zunächst ganz imverständlich.
Wir bekommen aber den Schlüssel zur Erklärung durch die Erkenntnis, daß
die Kranken leicht Ähnlichkeiten wie Identitäten benutzen und unendlich
viel mehr als die Gesunden in Symbolen denken, und zwar ohne jede Rücksicht
darauf, ob ein Symbol im gegebenen Falle passend sei oder nicht i).
Es können die unwesentlichsten Teile einer Idee dazu verwendet werden,
dieselbe zu repräsentieren. In dem ganzen Gedicht und der Geschichte der
Kraniche des Ibylcus spielt das „frei" (von Schuld und Fehle) eine sehr geringe
Rolle. Das gibt nichtsdestoweniger der B. S. Anlaß, sich mit den Kranichen
des Ibykus zu identifizieren, weil sie, wenn auch nicht frei ist, doch frei sein sollte.
Das letztere Beispiel zeigt noch in einer andern Richtung, wie sorglos
die Kranken mit den Ideenverbindungen umgehen. Die Patientin ist zwar nicht
frei, sie sollte nur frei sein; das hindert nicht, daß sie mit den Kranichen des
Ibykus identifiziert wird, von deren Idee „frei" ein Teil ist. Auch von dem Plural
wird ganz abgesehen; sie ist die Kraniche, obschon die Patientin sich selbst durch-
aus nicht im Plural denkt (vgl. oben die Patientin, deren Mann „die Schwarzen"
genannt wird). Noch mehr, sie ist die Kraniche. Diese unangebrachte Kopida
ist überhaupt bei den verschiedensten Kranken etwas sehr gewöhnliches. Manchmal
1) Vgl. Klip.stein.
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschungen.
349
fillerdings „bedeutet" irgend ein Symbol für sie etwas anderes. Es ist aber oft
die logische respektive grammatische Form, in der die in pathologischer Weise
aneinander assoziierten Begiiffe verbunden werden, ganz gleichgültig. Da liegt
es sehr nahe, die Kopula zu verwenden; denn was man in solchen Fällen aus-
zusagen hat, ist doch im wesentlichen eine Eigenschaft des Subjekts ; der Kranke
will frei sei7i ; er ist groß usw. So drückte sich die früher genannte Braut Jehovas
aus, sie sei „die Jehova", bemerkte aber noch den Widerspruch mit der gewöhn-
lichen Sprechweise und korrigierte sich. Fräulein B. S., die die Kraniche des
Ibylais ist, hat dieselben beim Eintritt in die Anstalt auch gesehen; sie waren
ganz schwarz, das bedeutet Trauer über ihre Internierung. Sie möchte aus der
Anstalt entlassen werden; Symbol für freie Passage ist ihr wie mancher andern
Kranken der Schlüssel; sie möchte also den Schlüssel haben; sie kann ebenso-
gut sagen, sie stelle den Schlüssel" fest, oder sie „sei der Schlüssel". Sie ,, besitzt"
auch die Schweiz ; und im gleichen Sinn sagt sie : „Ich bin die Schweiz." Sie könnte
auch sagen: „Ich bin die Freiheit", denn ,, Schweiz" bedeutet ihr nichts anderes
als Freiheit; in diesem Sinne sagen deprimierte Schizophrene von sich, sie seien
die Sünde. Der Unterschied zwischen solchen Redeweisen bei Gesunden und
Kranken besteht darin, daß sie von den ersteren als Metapher aufgefaßt werden,
während sich den Patienten die Grenzen zwischen eigentlicher und uneigent-
licher Rede verwischen, so daß sie die Dinge oft auch im buchstäblichen Sinne
denken.
Eine besonders große Rolle spielen die Wortähnlichkeiten. Ein Kranker
findet eine Leinenfaser im Essen. Die Laute „lein" kommen auch in dem Wort
„Feuerlein" vor. Er kennt ein Fräulein Feuerlein. Man wollte ihm also zu ver-
stehen geben, daß er mit ihr ein Verhältnis gehabt habe.
Manches Wort bezeichnet mehr als einen Begriff. So können verschiedene
Begriffe via Wort miteinander verwechselt oder identifiziert werden (Haus ak
Gebäude und als Familie; Kreuz als Körperteil, als Gegenstand, als zeich-
nerische Figur; das symbolische Schwarz der Sünde und das optische Schwarz
eines sichtbaren Gegenstandes).
Ein religiös Paranoider heißt Nägeli (das Wort ist das oberdeutsche Di-
minutiv von Nagel wie Nelke das niederdeutsche und bezeichnet sowohl die Blume
wie einen kleinen Nagel). Christus ist ans Kreuz genagelt worden; also ist der Nägeli
Christus, er ist auch angenagelt worden. Nägel brauche man aber auch zum Lieben.
Er verehrt den Nagel, nicht das Nagelloch (ist von seiner Frau getrennt). Der
Nagel ist das Symbol der Männlichkeit, das Nagelloch das des Weibes und des
Geldes. In der Blumensprache heiße er deshalb Nägeli als Vertreter des Nagels.
Das Weib stelle die Rose dar, die unbeständige verblätternde Blume. Deshalb
heiße auch der Präsident von Amerika „Roosevelt", d. h. der Rose die Welt
der heutigen Weltordnung entsprechend, die das Weib verehrt. Der Mann ist auch
Adam d. h. Odem, oder Morgen (die geringe Ähnlichkeit der letzten beiden Worte
kann bei einem Schizophrenen voU genügen zur Identifikation), d. h. König des
Jages oder durch die Blume gesprochen Nägeli. Die Rose ist gleich Eva, d h
Abendruhe (evemng) oder Königin der Nacht. (Man beachte auch die Tdenti-
tikation nicht nur von Abend und Nacht, sondern von Abendruhe, einem ab-
strakten Begriff, und der Königin der Nacht.) Eva ist auch gleich „ivy" das
ist eine Schlingpflanze, d. h. ein Gift, d. h. Mitgift. Des Wken hdßt
350
Schizophrenie.
Mina, d. h. die meine. Alle diese Dinge gibt der Patient spontan zam besten,
wenn man ihn nur anhört.
Der gleiche Patient bekämpfte den Mißbrauch des eidgenössischen Kreuzes
ah Reldamemittel. Einmal lag er wegen allerlei hypochondrischen Klagen mehrere
Wochen im Bett, wo er sich aber ganz gut befand, „denn er lag ja auf dem Kreuz".
Eine hypochondrisch angelegte Patientin bekam Kreuzichmerzen, wenn sie über
einen Kreuzweg ging. Ein Paranoider glaubte Chloroform im Essen zu spüren:
er wird von einer grünen Gestalt verfolgt {yXopöi, forma).
Alltäglichen Anlaß zu krankhafter Symbolik geben auch die bildlichen
Redensarten, die von den Kranken im eigentlichen Sinne genommen werden.
Ein Patient, der sich wegen der finanziellen Zukunft seiner Familie ängstigte,
wird in besserer Stimmung der Großkaufmann F., ein Riese, Rothschild, die
ganze Welt dreht sich um ihn; er sieht, wie sich die Erde und die Bäume darauf
drehen. Ein anderer beklagte sich, der Wärter habe ihm einen Schlag ins Gesicht
gegeben. Die Untersuchung ergab nichts für den Wärter Belastendes; der Patient
rechtfertigte sich: Wenn man einen zum baden wie ein Skelett ausziehe, so sei
doch das ein Schlag ins Gesicht. Eine Patientin träumt, wie man ihr eine Matratze
um sehr billigen Preis „abgedrückt'' habe (d. h. sie hat sie verkauft), dann sagt
sie: „Ich habe geschossen." (Zu beachten ist hier auch der ungenierte Wechsel
des Subjekts: Sie hat zwar verkauft, aber der Käufer hat ihr die Matratze ,, ab-
gedrückt", er müßte also derjenige sein, der geschossen hat; schießen — ab-
drücken). Ein heiratslustiger Schizophrene hat von einer Witwe einen Korb be-
kommen; das ärgert ihn, und er bildet den Wahn aus, es sei Sünde, daß er sie
gefragt habe; er fühlt nun einen beklemmenden Druck auf der Brust: es sei,
wie wenn jemand auf ihm sitzen würde; es sei möglich, daß es jene Frau sei;
später ist er davon überzeugt, daß sie es ist. Er spürt dann auch, wie sie ihm mit
Hülfe von Teufel und Spiritisten den Leib zusammenschnürt. Andere Patienten
haben schwarze, erschreckende Stimmen, sehen ihr Schicksal als eine schwarze
Wolke auf sich zukommen, sind als Sünder ganz schwarz, haben süße (angenehme)
und saure (unangenehme) Träume, es kommt ihnen wie „Rebenspritzzeug"
(Kalkwasser und Kupfersulfat) in den Mund, so bitter, d. h. sie bekommen den
Zwang zu fluchen. Eine Paranoide „hat Zucker am nötigsten gegen die gallen-
bittern Weltbeschwerden". Ein Gelehrter hält sich für eine Scharade, weil er nicht
versteht, was mit ihm geschieht. Ein (latenter) Hebephrene fällt namentlich
dadurch auf, daß er Lärm macht, wenn irgend etwas Schwarzes herumliegt,
er flucht und scharrt es beiseite : er hatte ein katholisches Mädchen heiraten
wollen, die Schwarzen haben ihn aber daran gehindert; darum sein Haß auf alles
Schwarze. — Ein Katatoniker sieht die „Sozialdemolcratie als vorübergehende
Erscheinung" durch den Saal gehen (Abraham — mündliche Mitteilung). —
Eine Paranoide kann nicht schlafen, weil sie die Maitresse ihres Mannes auf dem
Rücken tragen muß. — Eine Hebephrene beklagt sich über Postkutschen, die
ihr vom Herzen weg unter der Haut herumfahren, dann auf die Straße kommen
und dort verunglücken; die eine Kutsche ist grün ; da ist die Königin von England
darin, die ihr ihr Ich gegeben hat (die Königin von England spielt m den Großen-
wahnideen unserer Frauen oft die RoUe des höchsten für eine Frau Erreicü-
baren auf weltlichem Gebiete wie Maria aaf religiösem und erotischem); sie
iatte Hoffnung, Königin von England zu werden; diese ist aber verunglückt
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschungen.
351
und liegt noch am Wege. Zwei andere Wagen sind gelb; in diesen sind zwei
falsche Geliebte, die verunglücken beim Kirchhof und liegen tot dort. — Einer
Patientin hat man Geld in die Kasse getan, d. h. ihr „in Redensarten Gold-
stücke vorgeworfen". Sie identifiziert in einem andern Bilde die vorgeworfenen
Goldstücke auch mit Schnee und diesen mit Sperma (Danae). — Eine religiöse
Patientin hat die Illusion, die Krankenschwester stehe auf dem Kopfe: sie
ist umgekehrt, d. h. eine Bekehrte, was die Patientin auch gern wäre. — Die
Frau eines Potators wähnt sich in der Hölle, sie muß dem Teufel Kohlen schüren.
— Ein junges Mädchen ist an einer Hochzeit, meinte aber, selbst Anspruch auf
den Bräutigam zu haben; sie sah die Braut am Altar in Gestalt eines Hundes;
der Priester, der traute, hat ihr in der Kirche etwas zu essen gegeben, darum
kann sie nicht mehr arbeiten. Ah sie aus der EÖrche kam, rief sie Vorübergehende
an : „Wir sind noch beide da", womit ,5ie offenbar die noch bestehende Zusammen-
gehörigkeit mit dem Bräutigam markieren wollte. — Die zweite Frau eines
Witwers war überzeugt, daß die erste Frau ihres Gatten noch lebe: sie lebte
aber nur im Herzen des Mannes.
Oft wird die Teilidee, die das Symbol vermittelt, nicht der Bezeichnung,
sondern dem Begriff selbst entnommen. Wenn ein masturbierender Hebephrene,
der normalen sexuellen Verkehr wünscht, im Gebirge den großen Bergstock
so shocking findet, daß es zu einem Konflikt mit seinem Kameraden kommt,
und er nach Hause reisen muß, so ist der Vergleich noch kaum kranlchaft zu
nennen; sicher ist aber kranlchaft die Auffassung des Vergleiches im Sinne des
wirklichen Geschlechtsteiles und die dementsprechende Reaktion. Vollständig
in die Wirklichkeit umgesetzt wird eine Analogievorstellung in dem Falle einer
Paranoiden, die mit ihrem Manne nicht zufrieden ist, sich von ihm verstoßen
fühlt und sich darum für Genoveva hält. Für eine Katatonika bedeuten die
Speisen, die von Hause kommen, die Freiheit und sind deshalb gut; die An-
staltsspeisen bedeuten die Einsperrung imd sind deshalb schlecht. Ein
schweizerischer Ea-anker hat Händel mit seiner Frau, die eine Berlinerin ist;
das verallgemeinert er zu der Wahnidee, die Schweiz bekomme Krieg mit Preußen.
— Eine Deutsche hat einen Schweizer geheiratet, der sie verlassen hat; sie ver-
diente sich ihr Brot namentlich durch Prostitution bei italienischen Arbeitern.
Dieses Verhältnis gibt Anlaß zu der Wahnidee, verschiedene „Völkerschaften"
kämpfen miteinander, und die Italiener nehmen die Deutschen in der Schweiz in
Schutz. — Eine junge Tochter fürchtet wegen schlechter Aufführung die Vor-
wurfe der Eltern; sie haUuziniert nun, daß sie bald von der Mutter, bald vom
Vater totgeschlagen werde. — Einem Hebephrenen gibt sein Verhältnis zu einer
Katholikin Anlaß, eine ihm unverständliche, aber sehr ernst und eindringlich
klingende Stimme als Weisung von Gott aufzufassen, daß er berufen sei, die
Spaltung zwischen Katholiken und Protestanten zu überbrücken, besonders
durch sein Beispiel vorbildlich zu wirken (wobei er sich aber recht schlecht auf-
führte). — Wie eine bewußte Allegorie tönt es, wenn ein Mathematiker erzählt
daß ihm der große Riese Denk erschienen sei; den woUte Gott töten, er konnte
es aber nicht, da wollte ihn das Volk töten: daß er selber der Riese Denk sei
zeigte sich bald nachher, da er als Riese Denk hätte von Gott getötet werden
sollen. Gott „tauchte sehr groß auf". Patient war aber damals gerade so groß
wie bott und hat ihn in vierstündigem Ringkampf überwunden.
352
Schizophrenie.
Hier ist auch der Vergiftungswahn anzuführen. Trotz seiner Häufig-
keit haben wir seine urzel nur in einzelneu Fällen aufgefunden. Die einfache
logische Ausdeutung unangenehmer Körperempfindungen oder des Zwanges
m der Anstalt zu sein, „wo man ruiniert wird", wo das Essen den Bedürfnissen
des Patienten nicht angepaßt ist, und die Pflege überhaupt als eine ungenügende
oder schädliche angesehen wird, liegt beim Schizophrenen nicht so nahe, wie sie
die gesunde Logik und wie die alltäglichen Erklärungen der Kranken zu ergeben
Schemen. Diese Ideen sind bis jetzt noch nie an der Wurzel des Vergiftungswahnes
gefunden worden, und wir wissen, daß zur Ausbildung des Wahnes ein affektiver
Komplex nötig ist, der das „Ich"' des Patienten viel stärker berührt als diese
Unannehmlichkeiten. Hinter Zwangsgedanken mit Vergiftungsangst finden wir
den Onaniekomplex; es liegt nahe, ihn auch hier herbeizuziehen; doch vernimmt
man nicht selten Eedensarten, wie : die Patienten haben sich durch Onanie ver-
giftet, oder „das Fleisch sei durch Ausschweifung vergiftet", ohne daß Ver-
giftungswahn dabei ist.
Die Fälle, die uns einen Einbhck in einzehae Entstehungsweisen des Vergiftmigs-
wahnes gewährten, sind folgende:
Eme Paranoide ist eifersüchtig auf die Ärztin. Sie wird von ihr vergiftet, aber
vne sie ausdrücklich hinzufügt, nicht im Essen, sondern mit Worten. Die Eifersucht
gibt hier den Affekt; die Symbolik der „giftigen Worte" das Material zur Bildung
der Wahnidee. — Eme andere Kranke hat Händel mit der Tochter, warum wissen wir
nicht. Diese „tut ihr Gift ins Essen, weü sie so ein versalzenes Maul hat". Gleiche
Genese wie oben, aber die Patientin ist einen Schritt weiter gegangen und findet das
Gift wirklich im Essen, trotzdem die auslösende symbolische Redensart der Wahn'dee
noch anklebt. — Eine Hebephrene hatte einen Schatz, den sie liebt, aber nicht heiraten
konnte. Später kam zum Liebeskomplex noch ein Bedürhiis nach Reichtum hinzu;
sie machte sich Hoffnimg, daß em reicher Herr, der Kaffeehändler war, sie heirate.
Er tat das nicht und wurde zum Verfolger. Nun wollte sie keinen Kaffee mehr trinken.
Sie beklagte sich aber auch bald, daß man ihr die Milch vergifte, und trank auch keine
Milch mehr. Sie erklärte das doppelt: die Leute sind neidisch auf sie, weil sie nm\ den
Kaffeehändler heiraten kann, und tun ihr in die Milch Gift, das sie mit dem Geschmacke
wirklich spürt; sie haben es ihr auch unmöglich gemacht, den wirklich Gehebten zu
heiraten, durch ihr giftiges Reden; sie haben ihr das Verhältnis zum ersten Gehebten
(die Milch) vergiftet. Die Kranke hat diese Erklärungen selbst gegeben, wie die oben
erwähnten; sie unterscheidet dennoch nicht zwischen wirklicher und s}Tiibohscher
Vergiftimg; sie kann zur gleichen Zeit ganz gut arbeiten, bem'teilt die Situationen
und Personen, so weit sie nicht mit den Wahnideen zusammenhängen, richtig.
Ein Mann hatte ein Verhältnis mit der Frau eines Freundes und wurde zur
Rede gestellt. Nun glaubte er sich überall verleumdet und „mit Gift bespritzt".
Auf mehr logischem Wege kommt ein anderer Patient zur Vergiftungsidee:
er hat em Konkm-renzgeschäft gegen einen reichen Verwandten gegründet, ist ge-
scheitert, verlangt nichtsdestoweniger von demselben Unterstützung, bekommt sie
nicht genügend; nun Wahnidee, der Verwandte habe semen (verstorbenen) Vater
getötet, weil dieser gewußt habe', daß der Verwandte em Urning sei. Die Wahnidee
benutzte er zu einem Erpressungsversuch und fürchtete dann die Gegenwehr des
Angegriffenen mit Waffen und Gift, abstmierte in der Haft wegen Gift in den Speisen. —
Der früher genannte Impotente, der seine Frau gerne los hätte, meint, seuie Frau
wolle ihn unter anderm auch mit Gift umbringen. Hier kann die Wahl des Moid-
mittels allerdings ein Zufall sein.
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschungeu.
353
Im folgenden Falle handelt es sich auch um eine Vergiftungsidee, aber in ganz
anderm Sinne als bei der Vergiftung durch Femde. Das Beispiel zeigt zugleich,
wie die Verschiebungen die Bedeutung einer Idee verstecken können.
Eine verheiratete Patientin ist erkrankt, nachdem sie eine Sublimateinspritzung
in die Scheide gemacht hatte, in der Hoffnung, dadurch eine Gravidität zu unter-
brechen. Sie behauptete nim beständig, sie sei vergiftet, das sei ein fui'chtbares Un-
glück, klagt den Apotheker an, daß er ihr to viel Gift gegeben habe; der müsse bestraft
werden. Sie hat im Konversationslexikon gelesen, daß bei Sublimatvergiftungen Blut
im Rektum auftrete; sie hat nun die „Stereotypie", beständig den Finger ins Rektum
zu bohren, um sich zu überzeugen, daß keiji Blut da sei; alle Güte liilft so wenig da-
gegen wie Gewalt. Sie kann nicht beweisen, daß sie vergiftet sei; sie weiß keine Sym-
ptome anzugeben; dennoch läßt sie sich in langer Behandlimg durch niemanden über-
zeugen, daß sie nicht vergiftet sei. Die Klagen kommen ganz stereot}^ ohne weitere
Assoziationen, obgleich man sonst mit der gebildeten Krauken über viele Dinge recht
eingehend reden kann. Auch die Affektäußermigen stimmen nicht zm* Vergiftmigs-
idee; sie jammert einfach in bestimmten Worten, man begreift aber den Zusammen-
hang nicht. Ganz anders wird die Sache, wenn man sich emige Stmiden Zeit nimmt,
mit der Kranken zu reden. Die Assoziation an die Vergiftung wird dann beständig
der Mann, den sie in einem Tone rühmt, wie wenn sie etwas zu tadebi hätte. Ihr Mann
sei ein sehr lieber Mann, ein anständiger Mann, der beste Mann — alles in einem
Tone, wie wenn ein ,,aber" käme. Das ,,aber" kommt indes nicht, sondern die in
gleichgültigem Tone hingeworfene Bemerkmig: ,,mein Bruder geht abends nicht
aus". Der gleiche Gedankengang wiederholt sich viele Male in ganz stereotyper Weise.
Hält man sie an diesem Thema fest, ohne etwas zu suggerieren, so zeigt sich, daß sie
das, was sie negativ und im guten Sinne vom Bruder sagte, positiv und im schlechten
vom Manne zu sagen hat; es kommt endlich heraus, daß der Mann in letzter Zeit
lange ausgeblieben ist, und daß sie fürchtet, er sei ihr untreu. Deshalb und nicht
weil sie sich vor der schweren Geburt fürchtet, Avie sie angegeben hatte, wollte sie
kein Kind von ihm. Hat man sie so weit, daß dieser ganze Komplex klar in ihrem
Bewußtsein ist, rmd daß man wirklich mit ihr darüber reden kami, dann ist auch
der Affekt em ganz natürlicher, und man findet, daß Bruchstücke seiner Äußerung
m die Klagen über Vergiftung eingegangen sind. Wer das erlebt mid mehrere Male
versucht hat, kann gar nicht mehr zweifehi, daß der Komplex, der die Krankheit
zum Ausbruch brachte, mid der nachher die Symptomatologie beherrscht, eben die
befürchtete Untreue des Mannes ist; hinter diesem steckt wiederum das Gefühl, sie
sei dem Gatten nicht schön genug, wozu einiger Grund vorhanden ist; sie hielt ihn
von jeher für den schönsten Mann weit mid breit, sie selbst aber ist wirldich nicht schön
und hatte die Ehe mit ihm erzwmigen, vielleicht ein wenig mit Hilfe ihres Geldes.
Es wäre nun auch denkbar, daß die versuchte Abtreibung ihr Gewissen belastete,
und daß deshalb die näherliegende Idee der Vergiftimg die Affektbetonmig erhalten
hatte, die nötig ist, um eine so misinnige Wahnidee daraus zu bilden. Ich habe aber nichts
davon gefunden. Die Frau fühlt sich unglücklich, weil sie dem Manne mißtraut; auf
der einen Seite entstand daraus die verzweifelte Furcht vor einer neuen Schwanger-
schaft, auf der andern ist ikr diese unerträgliche Vorstellung für gewöhnlich unzu-
gänglich, während sich die Affektbetonung verschoben hat auf die erträglichere Wahn-
idee der Vergiftung!).
2 Der Fall ist in seiner Genese ganz analog dem früher publizierten einer Hysteiica
die im Puerperium fürchtete, ihr Mann möchte sie verlassen, dann die nahe liegende Wahn-
idee bekam, ihr Kind sei gestorben, und iliren ganzen Affekt auf dieses Ereignis konzentrierte
war (72) ' ''"''"^ ^^^"''^ vollständig aus ilirem Gedäclitnis geschwunden
Hnndbuch der Psychiatrie: Bleuler.
CO
354
Schizophrenie.
Die „Affektbesetzung", wie Freud den Zusammenhang nennt, ist
also bei unserer Schizophrenen von der Untreue des Mannes auf die
Sublimatinjektion „verschoben" worden, wodurch diese zur Wahnidee
werden konnte; die Idee der Vergiftung ist eine „Deckidee" für die Idee
der Untreue.
Durch die Verschiebungen entfernen sich die Wahnideen oft recht weit
von ihrem Ausgangspunkt, und es wäre meist ganz unmöglich, diesen noch zu
erkennen, wenn nicht die Patienten die ursprüngliche Idee immer neben den neuen
Ausarbeitungen derselben beibehalten würden, oder wenn man nicht die Ent-
wicklung verfolgen könnte. Allerdings gibt es noch genug Fälle von hochgradigem
Assoziationszerfall, wo wir noch nicht zu folgen vermögen.
Eine Patientin hat den (unbewußten) Wunsch, mit dem Vater sexuell
zu verkehren, und drückt ihn durch die Wahnidee aus, der Vater wolle sie töten.
Dem Vater assoziiert sie die Mutter und setzt sie schließlich a n Stelle des Vaters.
Der ursprüngliche Wunsch erscheint also zuletzt als Wahnidee, die Mutter wolle
sie töten. Viel weiter geht die Verschiebung bei der früher erwähnten Patientin,
die ein Mann ist und einen Hoden hat, was via Christus heißt, daß sie einen
Pfarrer liebt. Eine andere Patientin hat die nämliche ursprüngliche Wahnidee.
An Stelle des Pfarrers werden sukzessive der Heilige Geist, Gott Vater und
namentlich Christus gesetzt, der seinerseits wieder durch das Lamm vertreten
wird. Zum Lamm gehört der Schafbock. „Ich bin ein Bock" heißt also in diesem
Falle ursprünglich: ,,Ich habe meinen Pfarrer bekommen." Wie weit die Pa-
tienten solche Ausdrücke wirklich nur symbolisch zur Bezeichnung der ersten
Wahnidee brauchen, läßt sich nicht immer entscheiden. Sicher ist, daß sie den
neuen Ausdruck der Wahnidee oft wörtlich nehmen, also eine neue Wahnidee
gebildet haben (in der Regel ohne die alte aufzugeben), aber auch, daß die Auf-
fassungen in dieser Beziehung bei den meisten Kranken wechseln, so daß der
verschobene Ausdruck bald mehr symbolisch im Sinne der ersten Idee, bald im
eigentlichen Sinne als neue Wahnidee gebraucht wird. Doch sind für den
Kranken die Unterschiede der beiden Denkweisen nicht so groß
wie für den Gesunden.
Eine recht häufige Art Verschiebung ist die, daß in einen erotischen Wahn
nach bestimmten Analogien andere Personen eingesetzt werden: die Kranke
liebt den „Direktor" einer Fabrik; in der Anstalt wird dieser durch den „Direktor"
der Anstalt ersetzt; dieser ist ein Arzt, also wird er durch die anderen Anstalts-
ärzte vertreten. Meist werden diese verschiedenen Personen zugleich mehr
oder weniger in eine einzige verdichtet; oder: Ein Mädchen liebt einen Studenten
der Theologie, der die Neigung nicht erwidert; sie sucht nachher vergebens
einen andern Theologen zu heiraten, schließlich heiratet sie den Bruder des
ersten Geliebten, in dem sie nur diesen verehrt; sie wnirde erst nach Jahr und
Tag deutlich schizophren^).
Gar nicht selten wird die Verschiebimg durch affektive Gründe bedingt,
am häufigsten wohl so, daß eine höchst unangenehme Idee ersetzt wird durch
eine weniger unangenehme. Leider überträgt aber dann der Patient den ur-
sprünglichen Affekt auf die neue Idee, so daß er wenig Nutzen von der Ver-
1) Solche Heiraten aus Verschiebung oder, was hier ungefälir das gleiche ist, als Symbol-
handluiigen, sind bei Gesunden nicht selten.
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschungeii
355
änderung liat. Einer unserer Katatoniker war manifest erkrankt, nachdem er auf
einen Eisenbahnzug aufgesprungen, der sich schon in Bewegung gesetzt hatte.
Er meinte nun, von den Eisenbahnen verfolgt zu werden, alle Bahnsignale deutete
er auf sich usw. Es stellte sich aber heraus, daß der Patient sich andere Vor-
würfe zu machen hatte, die imgleich wichtiger waren als jene Übertretung: er
hatte sich mit Kaninchen sexuell vergangen, und das neue („auxiliäre") Trauma
hatte durch die wenn auch geringe Analogie die schlummernde Versündigungs-
idee geweckt und sich an deren Stelle gesetzt. Solche Verschiebungen können
sich natürlich auch nach Ausbruch der Krankheit vollziehen. Es ist z. B. etwas
Ähnliches, wenn der Patient glaubt, unreine Hände zu haben, statt sich moralisch
unrein zu fühlen.
Eine andere Art Entstellung der Wahnideen ist die Verdichtung. Wir
haben schon gesehen, daß sehr leicht der Geliebte mit dem gemeinsamen Kind
in eine Person verschmilzt. Der Prozeß kann noch viel weiter gehen, indem irgend
ein Wahnbegriff das ganze Wahnsystem in sich faßt. Einer unserer Kranken,
bei dem Frauen mit kurz geschnittenen Haaren eine große Rolle spielen, sah
in der Anstalt ein Mädchen mit dieser Haartracht, die noch dadurch besonders
auffallend M'urde, daß dasselbe stereot}'p den Kopf schüttelte. In kurzer
Zeit wurden alle seine Wahnpersonen und das ganze komplizierte Wahhgebäude,
das er sich in etwa 20 Jahren geschaffen, mit dem Mädchen verdichtet, so daß
es ihm alle jene Personen und zugleich den ganzen Wahnkomplex repräsentierte.
Die Anwendung der Freudschen Erklärungsprinzipien ist nicht so einfach,
wie die fragmentarisch angeführten Beispiele vielleicht vermuten lassen. Eine
Komplikation bildet z. B. oft die „Überdeterminier ung" der psychischen
Gebilde. Wenn ein Schweizer mit seiner preußischen Frau Händel hat, so braucht
er deshalb noch nicht die Wahnidee zu bilden, daß Preußen mit der Schweiz
Krieg führe, dazu müssen andere Determinanten mitbestimmend wirken. Um
einen Punkt im Räume zu bestimmen, muß er in drei Dimensionen fixiert sein.
Um ein psychisches Gebilde so zu determinieren, daß nichts anderes gedacht
werden kann, braucht es eine unabsehbare Menge Bestimmungen. Die „Über-
determinierung", die %äele „Deutungen" des gleichen Symptoms verlangt, hat
Freuds Traumdeutung sehr in Mißkredit gebracht: sie wird auch ein Hindernis
sem für die Annahme der Erklärungen der schizophrenen Symptome, und doch
erweist sie sich bei genauerem Zusehen als eine Selbstverständlichkeit; eine Menge
von „Konstellationen", von Dispositionen und Anlässen müssen vorhanden
sem, bis gerade der zu analysierende Gedanke in allen seinen Nuancen zustande
kommt^).
Um die Überdeterminierung in ihren Komplikationen zu zeigen, müßte man
Monographien über einzelne Krankheitsfälle schreiben. Außer den wenigen,
früher angeführten Beispielen, wo die gleiche Wahnidee mehr als eine Wurzel
^) Vergleiche auch die mit Recht als selbstverständlich hingenommene Vieldeutigkeit
der Symbolik in der katholischen Kirche. Überhaupt bietet die mittelalterUche Denkweise
w 1 TM ^^'■g^^i^l^P^inl^te mit der Schizophrenie; auch sie hatte sich autistisch von der
Wirklichkeit abgewandt, auch ihr war das Denkrcsultat nicht das Ergebnis einer logischen
Operation, sondern es war affektiv zum voraus festgestellt, und die Logik kam nur so weit
zur Reitling, als sie zu dem gewünschten Ende führte. Das „Homo Dei" im menschlichen
uesicht konnte ganz gut von einem mod^rnon Srhi^ophrcnen herausgeklügelt sein.
23*
356
Scliizophreuie.
hatte, sei nur noch an Jungs B. S. erinnert; sie ist die Kraniche des Ibykus
nicht nur, weil darin das AVort „frei" vorkommt, sondern auch, weil das Gedicht
den Ausdruck „frei von Schuld und Fehle bewahrt die kindlich reine Seele"
enthält, den sie auf sich bezieht. (In solchen Fällen kann auch die eine Aus-
legung nachträglich von der Patientin zur ursprünglichen Idee hinzu gemacht
worden sein.)
Manchmal tritt die Neigung zur Symbolisierung auch in symbolischen
Handlungen zutage, und dazu ist bei der schizophrenen Dissoziation nicht
einmal nötig, daß ein für den Patienten wichtiger Komplex ausgedrückt werde.
Eine Kranke wollte über den Zaun steigen; als es ihr verboten worden war,
erfand sie verschiedene Ausreden, wenigstens die Füße auf den Zaun zu stellen'
sie löste die Schuhriemen auf und band sie wieder u. dgl.i).
Eine andere Patientin stellte sich auf die Zehen, wenn sie sagte, die und jene
sei ihr zu gemein, sie selbst sei zu gut für das usw. — Eine Katatonika, die aus
dem Untersuchungsgefängnis gekommen war, hatte sich vor mir gefürchtet; bei
Gelegenheit erklärte sie, sie fürchte mich nun nicht mehr und rückte gleichzeitig
möglichst nahe zu mir. — Eine Katatonische kommt aus dem Urlaub, sehr betrübt,
daß es draußen nicht gegangen war. Als sie auf die Abteilung gehen soll, sagt sie
dem Arzt und der Oberwärterin Adieu statt der Mutter. — Ein wichtiger Komplex
verbarg sich hinter einer solchen Handlung (die allerdings mit einer Deckidee
verbunden war) bei einer Katatonischen, die im ganzen Saal ihre Geldtasche suchte
mit der Erklärung, sie müsse sie haben, weil die Leute auf den Zug gehen müssen.
Der eigentliche Grund war aber wohl der, daß sie sich um ihr Vermögen küm-
merte, da der Mann am Sterben und sie in der Anstalt versorgt war. Eine Para-
noide zerriß Papier in kleine Fetzen und warf es in den Abtritt; sie hatte auch
sonst die Neigung, kleine Läppchen zu machen: es seien das ihre Gedanken.
Die Neigung zu symbolischen Handlungen kann den Patienten so beherr-
schen, daß er draußen deswegen unmöglich wird. Eine unserer Hebephrenen
mußte zweimal in die Anstalt gebracht werden, weil sie u. a. Enten von einem
Quittenbaum schnitt, um anzudeuten, daß sie quitt ist mit dem Pfarrer ; die Euten
warf sie in den Bach, das sind die Sünden, die werden ins Meer getragen ; sie lief
singend mit einem Unterrock und anderen Symbolen auf einer Stange im Dorf
herum, um das Verhältnis des Pfarrers zu bestimmten Frauen anzudeuten usw.
Beziehungen der Schizophrenie zum Traum.
Bei imseren Untersuchungen sind uns an den verschiedensten Stehen Analogieu
der Krankheit mit dem Traum begegnet, eine Erschemmig, die nicht ohne Bedeutung
sein kann. Im Traum gibt es eine ganz ähnliche Dissoziation des Denkens: die Symbol-
bildungen, die Verdichtungen, die Herrschaft der Gefühle, die selbst oft versteckt
bleiben, die Wahnideen, die Halluzhiationen, alles finden wir in beiden Zuständen
auf gleiche Weise. Die Analogie wird zur Identität in den Fällen, wo die Kranken ihre
Traumhalluzinationen wie wirldiche behandeln, ihre Wahnideen im Traume büden
und im Wachen daran festhalten^). Wie viele Traumwahnideen in der Schizophrenie
^) Ähnliches kann man bei Kindern sehen, denen man etwa.s verbietet.
-) Es kommt vor, daß ein Schizophrene jahrelang nur im Traume Halluzinationen
produziert, die sich durch ihre Verifikation und ihren einheitlichen Inhalt als pathologisch
erweisen, dann gleichwertige im Halbschlaf, und erst nach Jalu-en auch im Wachen.
Theorie. Inhalt der Wirklichkeitstäuschungen.
357
vorkommen, wissen wir nicht; sicher ist nur, daß Wahnideen — aber nicht alle — im
Traum gebildet werden, nnd daß traumhaftes und schizophren-autistisches Denken
für unsere jetzigen Untersucliuiigsmittel im Avesentlichen identisch sind^).
Es mag hier auch angeführt werden, daß die Träume der Schizophrenen sich,
so weit wir sie bis jetzt analysiert haben, nicht von denen der Gesunden unterscheiden.
Für Längere Analysen, die sich auch bei ihnen machen lassen, ist hier kein Raum;
ich will luir den Fall erwähnen, wo ein Hebephrene sich die Neckereien eines andern
recht gutmütig gefallen ließ, dami aber in der Nacht darauf träumte, der Quälgeist
bekomme Prügel. In einzelnen Fällen kam die Bedeutung des Traumes den Patienten
direkt zum Bewußtsein; sie gaben spontan Freudsche Analysen. Wir sehen also auch
da die krankhafte Vermengung von verschiedenen Gedankenreihen.
Der einzige Unterschied der schizophrenen Erscheinimgen vom Traum, den ich
bis jetzt nennen könnte, besteht in ihrer stärkeren Spaltung der Persönlichkeit. Der
Träumende ist meist ganz von einem Komplex oder einer einheitlichen Mischung
von Komplexen beherrscht. Ferner registriert der Schizophrene doppelt, oder viel-
leicht, wenn er mehrere selbständige Komplexe hat, auch mehrfach im Sinne der
Wirklichkeit und im Sinne der Wahngedanken. Der Träumende registriert, so viel
wir wissen, die Wirklichkeit als solche nicht oder nur in Bruchstücken. Der Unterschied
braucht aber kein prinzipieller zu sein. Denn es gehört zum Wesen des Schlafes, sich
gegen die Außenwelt möglichst abzuschließen. Und vollständig ist dieser Abschluß
auch nicht. Viele registrieren die Zeit im Schlafe besser als im Wachen. Die Mutter
erwacht beim leisesten Seufzer des kranken Bandes, nicht aber bei starken anderen
Geräuschen; sie wählt also aus, unterscheidet Vorgänge in der Wirklichkeit.
So wäre es trotz der verschiedenen Genese und trotz dieses kleineren
Unterschiedes doch möglich, daß sich die bis jetzt bekannte sekundäre
Symptomatologie der Schizophrenie ganz mit der des Traumes deckt.
Man hat auch andere Delirien mit den Träumen verglichen. Namentlich Franzosen
haben geradezu eine besondere Klasse von „onirischen Delirien" aufgestellt und diese
Klasse als eine ätiologische Gruppe der Intoxikationspsychosen auffassen wollen.
Das Prototyp dieser Krankheiten, das Delirium tremens, das schon vor Dezennien
in Frankreich als em verlängerter Traum aufgefaßt worden ist, kann aber bei genauerem
Zusehen nicht wohl mit einem Traume verglichen werden, obgleich beide Er-
scheinmigen äußerlich durch die Gesichtshalluzinationen beherrscht sind. In den
typischen Fällen des Alkoholdelirs ist die Symbolik nicht erkennbar. Ferner ist der
Delirant zu häufig bloßer Zuschauer der Halluzinationen, die ihn als MerkAvürdigkeit
interessieren, aber nicht weiter angehen. Das kommt wohl beim Tramn nicht vor.
Die verschiedenen Arten von Fieberdelirien scheinen mehr Ähnlichkeit mit den Träumen
zu haben; sie sind aber noch zu wenig studiert, um hier in Betracht gezogen zu werden.
Die meisten Fieberdelirien, die ich gesehen, konnte ich leicht von der Schizophrenie
unterscheiden.
) Ls 18t merkwürdig, wie Pilcz und Lasegue finden können, daß „paranoische
Kranke (nach unserer Nomenklatur meist Schizophrene) nicht von ilircn Wahnvorstellungen
träumen (Kraepelin 388. L, S. 153), während wir mit unseren Beobachtungen durchaus
nicht allem stehen: Kahlbaum, Kraepelin (vgl. A. Bd. 18, S. 222), Sante de Santis
V. Krafft-Ebing haben die gleichen Beobachtungen gemacht wie wir, und einer unserer
f-atienten formulierte spontan die auch anderen Kranken vielfach bekannte Tatsache mit
den Worten^ „Das Traumleben der Menschen ist identisch mit der Stimmensphäre der
358
.ScUizophreiiie.
il) Die katatonen Symptome.
1, Allgemeines. '
Bis jetzt gibt es keine annehmbare Erklärung der katatonen Symptomenreihe.
Es ist zwar leicht zu sehen, daß Analogien dazu bestehen in den
Handlungen des Gesunden, die neben dem Gebiet einer konzentrierten Auf-
merksamkeit ablaufen. Man dreht während einer Eede einen bestimmten Knopf,
zeichnet während gespannter Aufmerksamkeit stereotype Figuren; Newton blieb
einen Tag lang in ein Problem versmiken mit dem Strumpf in der Hand auf seinem
Bettrand sitzen. Man ist geneigt, einem einfachen Befehl automatisch zu gehorchen,
wenn die Aufmerksamkeit in anderer Eichtung fixiert ist. Dennoch kann man diese
Symiptome bei der Schizophrenie nicht auf eine bloße Aufmerksamkeitsstörmig zurück-
führen, schon deshalb nicht, weil sich eine solche gar nicht immer nachweisen läßt.
Zu erwähnen ist der merkwürdige Versuch Alters, einen Teil der katatonen Sym-
ptome aus der ,, auslöschenden Wirkung der Aufmerksamkeit" (also nicht aus eijier
Herabsetzung derselben) zu erklären. Negativismus, Automatismen, Stereotypien
sind nach ihm zum Teil psychisch, zum Teil motorisch bedingt. Der intrapsychische
Vorgang ist so aufzufassen, „daß in den entsprechenden Fällen gemäß einer sejmiktiven
Störmig, die wohl in der Norm mit einem starken Bewußtseinswert ausgestattete
Kongruenz der räumlichen Komponente der Bewegxmgswahrnehmung mit der des
Bewegmigswillens nicht zustandekommt, und infolgedessen der korrekte Abschluß
einer vollzogenen Bewegung nicht bewußt wird . . . ." — Lundborg meint, die psychi-
schen Symptome der Katatonie kommen von Insuffizienz der Thyreoidea, die motori-
schen von Insuffizienz der Parathyreoidea ; für mich hat er diese Auffassmig nicht
einmal möglich, geschweige wahrscheinlich gemacht. — Schuele (680) brmgt katalepti-
forme Zufälle (Raptus, Abstinenz, Mutismus) mit Onanie oder Uterinleiden in Ver-
bindung, während die Wer nicke sehe Schule die hyperldnetische MotiHtätspsychor:e
den häufigsten Typus der Menstrualpsychose nennt. Allerdmgs ist es nicht unwahr-
scheinlich, aber auch nicht bewiesen, daß die katatonen Symptome mehr Beziehmigen
zur Sexualität haben als andere sekundäre Erscheinungen der Schizophrenie.
Es ist anzunelimen, daß die katatonen Sjnnptonie keine einheitliche Gruppe
bilden. Zum Teil werden sie wohl nur dadurch zusammengehalten, daß die
meisten derselben ein Zeichen stärkerer Intensität der Krankheit sind. Doch
kommen z. B. Zwangshandlimgeu auch bei ganz leichten Formen vor; wir können
sie aber nicht wohl von den anderen katatonen Automatismen trennen.
So fehlt uns ein einheitlicher Gesichtspunkt für die Betrachtung der Genese
aller katatonen Erscheinungen.
2. Stupor,
Da wir das äußere Bild des Stupors nicht als eüa emheithches Sjonptom be-
trachten, sei auf die Aufzählung seiner verschiedenen Ursprünge hmgewiesen (S. 152).
Außerdem macht durch ödem von Pia und Hirn oder eine andereArt von Hirn-
schwellung entstandener Himdruck stuporartige Erscheinungen. Daß aber enie aU-
gemeine Erschwermig der Hirnvorgänge bei Stupor nicht vorhanden sem muß.
beweisen die früher emähnten Untersuchungen von Groß mit der Schi-iftwage.
3. Der Negativismus.
Die bisherigen Theorien über die negativistischen Erscheinungen sind un-
richtig oder ungenügend, wie ich glaube bewiesen zu habend). Der Negativismus
1) Psychiatr. -neuro! og. W. S. 1910/1911.
Theorie. Katatone Symptome. Stupor. Negativismus.
359
ist z. B. nichts so Einfaches, daß er sich von der Motilität aus erklären ließe, ganz
abgesehen davon, daß primäre motorische Störungen bei der Schizophrenie
noch nicht nachgewiesen sind. So kann zur Zeit eine fertige Theorie nicht auf-
gestellt werden, aber als Bausteine einer solchen mögen folgende Bemerkungen
dienen.
Das Verhältnis der Schizophrenen zur Außenwelt ist ein anderes, im großen
und ganzen feindliches geworden. Die Patienten leben in ihrer autistischen Welt.
So läßt sich denn in manchen Fällen direkt nachweisen, daß sie alle Eeize von
außen, die sie nicht absperren körjien, als unangenehme Störungen empfinden.
Daraus entspringt negativistisches Verhalten.
JSTeben dem autistischen Bedürfnis, mit seinen Gedanken und Gefühlen
allein zu sein, fordert der Berührungsschmerz der Lebenswunde, die jeder
schwerere Schizophrene mit sich herumträgt, die Abweisung mancher äußerer
Einflüsse. Wenn man bei der Analyse oder sonstwie den Komplex berührt, wird
mancher Patient für längere Zeit negativistisch. Fragen, die den Komplex be-
treffen, werden bei den Kranken noch viel häufiger als bei Gesunden zunächst
negativ beantwortet. Man kann es nach Analogie unseres gewöhnlichen Ver-
haltens bei körperlichen Schmerzen als selbstverständlich ansehen, daß nicht
nur die geschehene Berührung, sondern auch die mögliche gefürchtet wird,
woraus sich der andauernde Negativismus erklärt. Wir sehen übrigens auch bei
Gesimden, namentlich bei Kindern, daß sie deutlich allgemein negativistisch
werden, wenn sie einen Schmerz haben, den man nicht lindem kann.
Zur Abwehr fordert auch das allgemeine Verhalten der Umgebung heraus,
das ja, von Seite des Patienten gesehen, ein durchaus feindliches ist (Einsperrung,
Nichtberücksichtigung der wichtigsten Wünsche usw.). Wir sehen deshalb den
Negativismus zu- und abnehmen mit dem Widerstand von Seite der Umgebimg.
Es kommt hinzu, daß die Kranken vermöge ihrer Denlcstörung die Außen-
welt nicht genügend verstehen. Sie haben also den gleichen Grund, blindlings
zu widerstreben, wie manche Epileptische im Dämmerzustand, wie erschreckte
Kinder und Tiere. Auch dieser Ursprung des Negativismus läßt sich in manchen
Fällen deutlich sehen.
Gibt es wirklich schizophrene Motilitätsstörungen, so müssen auch diese
allen Verkehr mit der Außenwelt unerwünscht machen. Sicher aber sind viele
Kranke deshalb abweisend, weil ihnen aUes Denken und Handeln Mühe macht.
Auch die Se xualität spielt mit. Es gibt keinen Affekt, der schon normaliter
so sehr ambivalent wäre wie der sexuelle (namentlich beim weibhchen Geschlecht
der Menschen und Tiere). Wir sehen denn auch bei negativistischen Äußerungen
recht oft deuthch sexuelle Mimik, bald verbunden mit Entrüstung, bald in ver-
schämter Weise, je nachdem die Empfindung der Annäherimg eine mehr oder
weniger große Lustkomponente besitzt.
Der Schritt vom gewöhnlichen Verhalten zum negativistischen erscheint
mcht so groß, wenn man sich klar macht, daß jede positive Strebung auch eine
negatave Komponente in sich hat und umgekehrt (vgl. Theorie der Ambivalenz)
Es braucht also em nur relativ kleines Übergewicht, um die Wage nach der
andern Seite ausschlagen zu lassen.
Gerade da, wo wir eine stark ausgebildete positive Suggestibilität finden
ist als Gegensatz oder als mehr oder weniger bewußte Schutzmaßregel auch die
360
Schizoi^hrenie.
negative Suggestibilität stark entwickelt (Kinder, Hysterische, Senile). Bei
Schizophrenen konstatieren wir in der Befehlsantomatie einen krankhaften
Grad der Suggestibilität, es ist also zu erwarten, daß auch die negative Suggesti-
bilität bei ihnen eine hochgradige sei. Daß sie aber oft überwiegt, dafür sorgen
die zuerst genannten Fälschungen des Verhältnisses zur Umgebung.
Daß der passive Negativismus in den aktiven übergeht, ist selbstverständ-
lich; man muß sich im Gegenteil der Torpidität der Schizophrenen bewußt sein,
um nicht das häufige Vorkommen des bloß passiven Negativismus auffällig zu
finden. Wer widerstrebt, auf Befehl den Mund aufzumachen, beißt unwillkürlich
die Kiefer aufeinander; und auch in komplizierteren Dingen macht man aus
guten Gründen gerne gerade das Gegenteil von dem, wozu man gezwungen
werden sollte. Der aktive Negativismus im Sinne des Dreinschlagens ist
natürlich erst recht verständlich: der Angriff ist instinktiv und bewußt die
beste Abwehr.
Unsere Auffassung macht es auch ohneweiters begreiflich, daß sich der
Negativismus oft nur bestimmten Personen gegenüber äußert. Diese Personen
sind meist die Ärzte, die Wärter, eventuell Angehörige, von denen der Widerstand
ausgeht, oder die mit den Komplexen in Verbindung stehen. Die Nebenpatienten,
mit denen man in oberflächlicher Berührung steht, reizen nur dann zum Ne-
gativismus, wenn der Versuch gemacht wird, sich vollständig einzuspinnen.
Wie der Bruch mit der Außenwelt den äußeren Negativismus
hervorbringt, so der innere Zwiespalt den inneren. Bei Gesunden, die
von verschiedenen Trieben hin- und hergerissen werden, sehen wir das Symptom
ganz deutlich. Bei der Zerklüftung der schizophrenen Psyche muß es viel öfter
und stärker in die Erscheinung treten. Die Patientin kann so gespalten sein, daß
sie, während sie ungeniert ihr Gelüsten an einer für andere bereit stehenden
Speise befriedigt, gleichzeitig mit Worten sich rechtfertigt, sie nehme nichts.
An der Wurzel des rein intellektuellen Negativismus haben wir mit anderen
eine allgemeine Neigung zu Kontrastassoziationen gesucht. Sie läßt sich aber nicht
nachweisen. Dafür haben wir bei Besprechung der intellektuellen Ambivalenz
gesehen, wie nahe die Antithese der These steht, und bei dem Unbehagen, mit
dem viele Patienten ihr eigenes Denken betonen, bei der Unklarheit der inneren
Vorgänge, bei der Notwendigkeit, die Dinge anders als gewöhnlich anzusehen
und sich vorzustellen, ist es selbstverständlich, daß oft statt eines Gedankens
oder statt bestimmter Worte ihr Gegenteil zum Vorschein kommt. Die früher
erwähnten affektiven Gründe begünstigen das Auftreten des Kontrastes statt
der primären Vorstellung; da sie aber die intellektuellen Vorgänge nicht so
stark beeinflussen wie den Willen, so ist es verständlich, daß der intellektuelle
Negativismus viel seltener und namentlich lange nicht so konsequent ist wie
der des Willens. Doch glaube ich, daß wir noch eine Wurzel desselben zu finden
haben, die uns auch erklärt, warum z. B. im Traum geradezu mit Vorliebe eine
Idee dujch ihr Gegenteil dargestellt wird.
Daß viele Wahnideen und Halluzinationen, wenn nicht zu Negativismus,
so doch zu negativistischem Benehmen führen müssen, ist selbstverständlich.
Doch ist oft der Zusammenhang ein umgekehrter, indem z. B. Halluzinationen
durch den Negativismus determiniert werden.
Theorie. Katatone Symptome. Motorische Symptome.
361
4. Die motorischen Symptome.
Beobachtmigen, die zwingend auf eine Entstehung motorischer Symptome
in spezifisch veränderten motorischen Eindenzentren oder an noch periphererer
Stelle hinwiesen, sind noch nicht publiziert worden. So stehen auch die Loka-
lisationsversuche, die gerade hier am häufigsten gemacht worden sind, in
der Luft. So weit wir wissen, sind alle motorischen Symptome in Entstehen und
Vergehen von psychischer Einflüssen abhängig. Diejenigen, die man analysieren
kann, lassen sich oft restlos auf psychischem Wege erklären. Dennoch ist es
nicht auszuschließen, daß irgendwo im motorischen Apparat Alterationen vor-
kommen, die einen Teil der Symptome hervorbringen oder die dazu nötige
Disposition schaffen (man denke an die erhöhte Erregbarkeit der Muskulatur).
Es ist uns aber noch nicht gelungen, Spuren davon zu finden und z. B.
den primären Zerfall der Assoziationen in der Motilität nachzuweisen.
Me ynert hielt gemäß seiner Theorie vom Antagonismus der höheren und tieferen
Zentren diejenigen Störmigen, die man als Reizsymptome auffassen kann, für eine
Folge der gesteigerten Tätigkeit subkortikaler Zentren bei kortikaler Schwäche
(i73, S. 193). Die Theorie ist 1898 von F. Lehmann wieder aufgegriffen worden.
Demgegenüber muß ich betonen, daß bis jetzt, ganz abgesehen von den Schwächen
der Meynert sehen Ernährungstheorie, noch nicht ein Wahrscheüahchkeitsgrimd an-
geführt worden ist, der uns veranlaßte, bei miserer Krankheit auf die Tätigkeit sub-
kortikaler Zentren zu rekurrieren. Choreatische, athetotische, tetanische Erscheinmi gen
sind etwas ganz anderes als die motorischen Sjonptome, die der Schizophrenie ange-
hören. Auch die Bewegungen der Idioten habe ich noch nie mit katatonen verwechselt;
sie haben ihren Zweck offenbar in sich, sie sind ein Ausdruck der uns allen imie-
wohnenden Bewegungsfreude. Ich möchte nun nicht sagen, daß die gleichen Be-
wegungen nicht gelegentlich einmal bei der Schizophrenie vorkommen könnten,
es hat ja auch mancher nicht imbezille Rentier die Stereotypie, die Daumen umein-
ander zu drehen. Aber der Schizophrenie gehören solche Bewegungen nicht an. Ebenso-
wenig die Rhythmen. Doch geben unsere Beobachtimgen der Ansicht von Fauser
und Kraepelin (397) recht, daß bei derKatatonie die natüriiche Neigung zuRhythmen
ungehemmt zum Vorschem kommen könne — aber nm* m dem Sinne, daß eben der
Katatoniker zuweilen Rhythmen benutzt, wo der gesunde sie miterdrücken würde.
Der Zurückführung eines großen Teiles der schizophrenen Motilitätsäußerungen auf
angeborene Mechanismen widerstrebt die Symptomatologie sehr bestimmt.
Am eingehendsten hat Schneie (679) die Motilitätsstö rmigen studiert. Trotz
semer glänzenden Beschreibung kann ich aber semen Unterscheidmigen nicht folgen.
Etwas, was man Krämpfe nennen könnte, sehe ich fast nie; wohl aber beobachten
wir Zwangsbewegungen, aber sie entsprechen nicht der Schucleschen Beschreibung;
diese schildert Bewegungen, die wir zum größten Teil den Stereotypien zuteilen würden!
Psychisch-reflektorische und zerebral-reflektorische Bewegungen vermag ich nicht zu
unterscheiden. Eine einfach tonische Kontraktur ist mir noch lange kein „plump muslai-
lares" Symptom. Schucle spricht auch von emerÄndermig der muskulären Molekular-
konstitution bei Flexibilitas cerea; ich weiß nicht, worauf sich die Aimahme stützt.
Schuele und Wernicke leiten auch gewisse Sonderbarkeiten der Haltung und
ähnliches von Parästhesien oder im speziellen von „Störmigen im Bewußtsein der
Körperlichkeit" her. Man kann aber diese Parästhesien meist nicht finden Tikarti<Ten
Bewegungen können sie allerdings zugrunde liegen, doch gehören solche nicht direkt
der Katatome an^).
1) Kraepelin (388, IL. S. 761/2) kennt bei Phobien Ticks, die Symbole sind- diese
haben dann die gleichen Mechanismen wie katatone Stereotypien.
362
Schizophrenie.
Wo r nicke kann die dauernden Muskelspannungen nicht mit Willenstätigkeit
in Beziehung bringen. GeAvisse Bewegungen nennt er „pseudospontan", was wohl
nur einen negativen Begriff bezeichnen kann, d. h. etwas, was weder spontan noch
automatisch ist. Die Flexibilitas ist ihm der spezifische Rindenreflex auf passive
Bewegiuigen. Anton (19) brmgt die katatone Steifheit in Zusammenhang mit der
Steifheit bei Exstirpation des Großhirns. Alter findet eine spezifische Erkrankung
der Träger der Storchschen Stercopsyche'^).
Kleist unterscheidet mehrere Arten von Bewegungsstörungen, die er in besondere
Hirnbahnen verlegt. So weit ich katatonische Bewegungsstörungen analysieren konnte,
waren sie immer abhängig von psychischen Einflüssen, und wenn, was ja vorkommt,
bestimmte Symptome auf eine stärkere Lokalisation des Prozesses in einer bestimmten
Hirnpartie hindeuteten, so hatten diese Erscheiniuigen niemals katatonen Charakter,
sondern den der gewöhnlichen Herdsjonptome ; speziell sind die schizophrenen Sprach-
symptome (Mutismus, Verbigeration, Maniriertheit, Neologismen) von den aphasischen
Störmigen prinzipiell verschieden. Eine Alteration des ,,Sth'nhirn — Kleinhirnsystems"
habe ich auch einmal bei einer Katatonischen auftreten sehen; die Puikinj eschen
Zellen waren zugrmide gegangen und die Corpora caudata atrophiert. Die dadurch
erzeugten Bewegungsstörungen imterschieden sich aber auf den ersten Blick von denen
der übrigen 400 schizophrenen Anstaltsinsassen. Von ,,choreatischen" Störungen, die
der Schizophrenie angehören, habe ich bei gewiß intensiv wie extensiv nicht geringer
Erfahrung nie eine Spur gesehen. Wenn die Wer nicke sehe Schule von solchen spricht,
so ist das nur deshalb möglich, weil sie sich einen Begriff von choreatischen Bewegungen
gemacht hat, der über das hinausgeht, was man bei den Choreaformen sieht. Die
Lokalisation in einzelne Muskelgruppen läßt sich anatomisch lange nicht so em-
leuchtend begründen wie psychisch, ganz abgesehen davon, daß in manchen einzelnen
Fällen die psychische Genese zu beweisen ist. Ein Schnauzkrampf ist erklärlicher als
Zeichen der Verachtmig wie als lokalisierter Tonus der Hervorstrecker der Lippen,
vmd die plötzliche Intensitätsschwankungen von Null bis zum Maximum unter psychi-
schen Einflüssen sind doch nur dann verständlich, wenn wenigstens die Auslösung der
Symptome eine psychische ist.
Man hat die Katalepsie indieMuskehi verlegen wollen; Schneie (680) nimmt
pathologische, vielleicht infelitiöse Zustände der Muskulatur an. Kahlbaum nennt
sie in wenig klarer Weise ein zerebrospinales Symptom. Rieger meint, „die ganze
Lösung des Geheimnisses" liege darin, daß die antagonistischen Muskeln gleich stark
wie die Protagonisten iimerviert werden. Die Schwierigkeit spontaner Bewegungen
würde für die letztere Auffassung sprechen, wenn sie nur nicht in so vielen Fällen
fehlte. Dann sehen wir diese antagonistische Innervation nicht so recht, wenn nicht
Negativismus sie bedingt.
Uns scheint es unzweifelhaft, daß das Symptom auf einer allgemeineren,
noch nicht näher bekannten Disposition psychisch ausgelöst wird. Nur eine
solche Auffassung kann dem raschen Wechsel unter psychischen Einflüssen
gerecht werden. Leider ist das ziemlich alles, was wir sagen können. Wenn wir
aUerdings zusehen, wo wir das physiologische Prototyp der Katalepsie finden,
so wird es wahrscheinlich, daß das Phänomen etwas zu tun hat mit der Störung
des Gedankenablaufes. Wir sehen Andeutungen von Katalepsie beim Gesunden,
wenn er absorbiert ist (Newton!) oder wenn seine Gedanken nicht weiter
kommen, z. B. in der Ermüdung. Man behält dann etwa eine zufällig ein-
genommene Stellung des Körpers oder eines Gliedes bei. Auch bei anderen Psy-
1) Vgl. forner die Besprechung durch Neisser (512) und Roller.
Theorie. Katatone Symptome. Motorische Symptome.
363
chosen ist Katalepsie regelmäßig mit einer starken Störung im Gedankenablauf
verbunden. Kiklin (612, S. 306) nimmt einen Zusammenhang mit Mono-
ideismus an.
Wirldiche Bewegungsunfähigkeit, die unabhängig vom bewußten oder
unbewußten Willen des Patienten oder direkt im Gegensatz zum. bewußten Willen
ist, und die mit oder ohne Begleit kataleptischer Erscheinungen vorkommt,
hat gewiß sehr verschiedene Gründe. Bei der organischen Benommenheit wird die
Schwierigkeit der Bewegungen ein Teilzustand des allgemeinen Hirnzustandes
sein. Dann gibt es gewiß Ausschaltungen der Motilität nach Analogie der des
Schlafes; sie können dann empfunden werden wie beim Alpdrücken oder un-
bewußt bleiben wie im gewöhnlichen Traum. Sperrungen und Einwirkungen
abgespaltener Komplexe überhaupt hindern natürlich die Motilität oft. Hallu-
zinationen und Wahnideen und die autistische Abschließung von der Umgebung
verbieten oft Bewegungen oder vermindern die Antriebe dazu. Alle oder doch
mehrere dieser Momente mögen sich oft beim gleichen Patienten zusammen-
finden. Es ist dann meist unmöglich, den Anteil jedes einzelnen derselben am
Zustandekommen der Bewegungslosigkeit festzustellen.
Die Bewegungen der motorisch erregten Katato nien, das Turnen,
Wirbeln, Grimassieren usw. sind für uns psychisch bedingt ; Beobachtung und
Besprechung derselben mit den Patienten gaben uns bis jetzt keine Anhalts-
pimkte, andere Ursachen zu vermuten.
Für die Echopraxie wird wohl bei der Katatonie die gleiche Erklärung
gültig sein, wie sie auch an anderen Orten angewandt wird: jede Wahrnehmung
einer Bewegung übt einen mehr oder weniger starken Keiz zur Nachahmimg
aus, der aber unter normalen Umständen durch die anderen Assoziationen unter-
drückt wird. Wenn nun die übrigen Assoziationen ausfallen oder geschwächt
sind, so kann dieser Keiz sich geltend machen. So sehen wir denn auch hier Echo-
praxie meist in Verbindung mit Benommenheit und ähnlichen Zuständen; sie
kommt aber auch zuweilen sonst vor, und das zeigt uns, daß wir ihre Genese nicht
ganz kennen. Manchmal mag die optische oder akustische Fesselung dem Sinnes-
eindruck ein Übergewicht geben und zugleich die anderen Assoziationen hemmen;
unter anderen Umständen kann der Patient mehr oder weniger bewußt in einer
vorgemachten Geste zugleich eine Aufforderung zur Nachahmung sehen. Alle
diese Vermutungen können uns aber nicht genügen.
Der M u tis m usi) ist oft bloße Teilerscheinung der aUgemeinen Bewegungs-
losigkeit, sei diese durch Katalepsie oder Spannung bedingt. Der Hauptgrund
des chronischen Mutismus liegt aber gewiß in drei Grundursachen, die sich zum
Teil decken: m der Interesselosigkeit; die Patienten haben gar nichts zu
sagen; m dem Autismus: die Patienten woüen überhaupt keinen Verkehr mit
der Außenwelt; und im Negativismus: die Patienten wollen gerade das nicht
was man normaliter von ihnen erwarten sollte. Andere Gründe, wie die Schwieri«-
keit der Wortfindung, die sich bei apraxieähnlicher Benommenheit etwa nach-
weisen laßt, dann Wahnideen mögen in einzeken FäUen mitbeteiligt sein.
Nicht ohne Bedeutung für die Auffassung des Symptoms wird es sem, daß es
üie Neigung hat, bei der Lösung von Stuporzuständen zuletzt zu verschwmden.
^) Vgl. auch Sohuele (680).
364
Scbizoplirenie.
5. Katatone Komplexsymptome.
Alltomatismen. Die Abspaltung der Komplexe macht ohneweiters die
Automatismen verständlich. Die im Unbewußten tätigen, abgespaltenen
Strebungen unserer Psyche kommen unter Umständen im Handeln und Denken
zur Wirkung.
Ist der Patient einer Analyse zugänglich, so kann man fast immer den
Komplex hinter den Automatismen finden. Wo der Zusammenhang nicht auf-
zudecken ist, muß man sich daran erinnern, daß alle möglichen zufälligen Er-
eignisse mit dem Komplexe assoziiert werden können, so daß in weit vor-
geschrittenen Fällen analog wie bei den Wahnideen eine Verallgemeinerung des
Prozesses eintreten kann.
Es ist ferner möglich, daß bei gewissen Stadien des schizophrenen Pro-
zesses der Zerfall der psychischen Tätigkeit so hochgradig sein kann, daß auch
wenig gefühlsbetonte Komplexe, vielleicht solche von irgend einer zufälligen,
von außen gegebenen Aktualität, selbständig werden können^).
Aktionen, die aus dem Unbewußten kommen, müssen dem reflektierenden
Patienten natürlich als etwas Fremdes erscheinen^). Sind sie mit seinem aktuellen
Bewußtseinsinhalt im Widerspruch und verbinden sie sich bei der Ausführung
und unmittelbar vor derselben assoziativ mit diesem, so wird die bewußte
Persönlichkeit widerstreben und den Antrieb als Zwang fühlen. Je nach der
Stärke dieses Widerstandes entstehen dann Zwangshandlungen oder bloß
Zwangsideen.
Freud sagt, daß der Zwang im Psychischen immer von Verdrängung herrühre.
Bei unseren Kranken erscheinen die Komplexe zwar gar nicht immer verdrängt, dennoch
möchte ich den Satz Freuds ohne weitere Studien noch nicht als für die Schizophrenie
imgültig erklären, besonders da auch Friedmann mit seiner Theorie von den „unab-
geschlossenen Vorstellungen", die den Zwangserscheinimgen zugrunde liegen sollen,
ganz ähnliche Ansichten gewonnen hat, während schon Neu mann den Zusammenhang
zwischen Sexualität und Mysophobie kamite.
Ist die Abspaltung eine so starke, daß auch bei der Ausführung keine
assoziative Verbindung mit der bewußten Person eintritt, so haben wir eine
automatische Handlung, bei der der Patient wie ein Dritter als Zuschauer
fimgiert. In Zwischenfällen ist bloß der motorische Teil in Verbindung mit der
Person. Der Patient glaubt, aus sich zu handeln, gibt sich aber keine Kechen-
schaft über die Gründe und widersetzt sich auch nicht^).
So sind die Automatismen ganz den Halluzinationen und Wahnideen
an die Seite zu stellen; sie sind Halluzinationen des Denkens, Strebens und
1) Affektstupor kann auch bei Gesunden zu katatonischen Haltungen, zu Stereo-
typien und sogar zu Verbigeration führen. „Ein Gesunder, der vorher gleichmutig über
eine Ölimmersion gesprochen, gercät etwa eine halbe Stunde nach dierem Gespräche durch
einen Toilettefehler bei Begegnung mit einer Dame auf der Treppe in Verlegenheit und
ertappt sich anschließend dabei, daß er vor sich hinmurmelt: eine Ölimmersion - eme
Ölimmersion _ eine Ölimmersion." - Löwy, Zeitschr. f. d. gcs. Neur. u. Psych.,
Daher die verschiedenen Alten von „Störungen des AktiWtätsgefühles" usw.
^'''^ Ifwenn der Komplex die ganze Persönlichkeit in Beschlag nimmt, so sprechen wir
von (hystsriformen) Dämmerzuständen.
Theorie. Katatone Symptome. Komplexsymptome.
365
Wollens, so gut wie es Halluzinationen der Erinnerung gibt. Mschungen und
Übergänge der verschiedenen Symptome ineinander sind deshalb häufig. Ein
verheirateter Mann hat sexuelle Gelüste gegenüber einer Verwandten; nach
einiger Zeit klagen ihn die Stimmen eines Sittlichkeitsverbrechens an; dann
flüstern sie ihm zu, er werde ein Unglück anrichten. Er fühlt den Zwang in sich,
das Unglück selbst anzurichten, aber erst elf Jahre später begeht er ein Attentat,
nachdem sich der Zwang in befehlende Stimmen umgesetzt hat. Ein anderer
hat längere Zeit Zwangsgedanken, dann wird ihm „eine Handlung zugetrieben"
(„Zwangsimpulse"), dann kommt es zu Zwangshandlungen, worauf eine „hyper-
kinetische Motilitätspsychose" ausbricht, nach der der Kranke auf Jahre hinaus
besser ist als vorher, wenn auch die Katatonie immer noch zu diagnostizieren
ist. — Ein Hebephrenc hatte einmal einen Kollegen „Sale Juif" geschimpft,
wofür er getadelt wurde. Dann bekam er die Zwangsidee, er hätte den Ausdruck
in Briefe hineingeschrieben, und mußte diese immer wiedei laut lesen ; später
kam der Zwang, das Wort auszusprechen, der sich mit der Zeit zu einer um-
fangreicheren Koprolalie verallgemeinerte.
Auffallender weise behaupten manche Autoren (im Gegensatz zu anderen z. B.
Schuele), Zwangsvorstellungen kombinieren sich nicht mit Psychosen (z. B.
Thomsen). Richtig ist nur, daß bei den Zwangsvorstellungen der Schizophrenie
meist sehr früh Symptome der letzteren Kranldieit deuthch werden, so daß man sie
in den Vordergrund stellt, mid vielleicht ist auch richtig, daß sich die Formen von
puren Zwangsvorstellmigen, wenn einmal die Schizophrenie ausgeschlossen
ist, sehr selten mit eigentUchen Psychosen kombinieren.
Es muß auch daran erinnert werden, daß Bewegungen wie Klettern infolge der
Idee, eine Katze zu sein, Übergänge zu Automatismen sein köimen, aber durchaus
keine Zwangsbewegimgen sein müssen (Decsi, 158) mid daß in ähnlicher Weise gerade
gegenüber der Schizophrenie die Neigung besteht, den Begriff der Zwangserschemungen
ungebührlich auszudehnen.
Viele brauchen für motorische Automatismen den Namen von Trieb-
handlungen. Dieser sollte beschränkt bleiben auf Triebe mfolge bestehender
Bedürfnisse (Nahrungstrieb, Erhaltmigstrieb, Selbstmordtrieb), deren letzte Motive
bewußt smd. Leider haben wir allerdings für die Pyro- mad Kleptomanien mid ähnliche
vieldeutige Symptomenkomplexe kern anderes deutsches Wort. Für die Schizophrenie
mdes kommt diese Ungenauigkeit nicht m Betracht, ihre Automatismen sind von
der Person mehr oder weniger mmbhängige, aber keine „triebartigen" Handlungen
m emem der obigen Sinne.
Eme gute Beschreibung der automatischen Symptome ist es, weim Berze (59)
mi Anschluß an Wandt darauf Gewicht legt, daß der Bewßtseinsmhalt msofern
verändert sei, daß er nicht „als aktiv gewoUter", sondern als „passiv erlebter" zur Er-
schemung komme; das so bezeichnete Sjonptom ist aber nicht charakteristisch für eme
irgendwie umgrenzte Paranoia, während es eben bei der Schizophrenie alltäglich ist
_ Anhaltspunkte zu emer lokalisatorischen Auffassung der Automatismen existieren
bis jetzt nicht; ein „automatisme dans les centres de la langue" (Arnaud in Ballet
b. 542) ist natürhch eine ganz migenügende Erklärmig für Dinge von so großer affek-
tiver Bedeutung. Auch die Einteilung in primäre und sekundäre zerebrale mid zere-
brospmale Automatismen (Brugia mid Marzocchi) steht natürlich ganz in der
i.utt. Mit den ahnhchen Auffassmigen Schueles können wir von miser.^m Standpmikt
aus nicht rechten^). ytuiKu
Anfn^v, I^iii-ch posthypnotische Suggestionen lassen sich die verschiedenen Arten
Automation experimentell hervorrufen.
von
366
Scbizoplirenie.
Bei einem Teil der sonderbaren Einfälle läßt sich leicht nachweisen,
daß sie plötzlich aus dem Unbewußten auftauchen. Die Liederverse, Bibelsprüche
u. dgl., die zur Verwunderung der Umgebung und oft des Patienten selbst auf
einmal ausgesprochen oder gesungen werden, haben immer Beziehungen zu
den Komplexen der Patienten. Ebenso andere abrupte Aussprüche^). Eine
unserer Kranken äußerte einmal ohne jeden Zusammenhang „es steht in der
Bibel, man müsse zur Samariterin am Jakobsbrunnen kommen" (Ev. Joh. IV).
Sie wurde in der Krankheit davon geplagt, daß sie — wie jene — mehrere
Männer gehabt, zwei eheliche und einen vorehelichen.
Das bekannteste Symptom der Komplextätigkeit ist das unmotivierte
Lachen.
Freud macht (235, S. 14o) darauf aufmerksam, daß bei Analysen die
ICranken oft lachen, wenn ein Komplex getroffen werde. Wir haben das bei
Schizophrenie manchmal gesehen; und unsere Beobachtungen deuten darauf
hin, daß das ominöse Lachen unserer Kranken immer diesen Ursprung habe;
nur kommt die Anregung des Komplexes gar nicht immer von außen, sondern
viel häufiger von innen. Die Kranken wissen meist selbet nicht, warum sie lachen ;
sie empfinden es als Zwang; es ist also hier das gleiche Verhalten wie bei anderen
Komplexäußerungen,
Ebenso spricht es für diese Auffassung, wenn ein periodischer Hebephrene
jeweüen an dem Lachen wieder merkt, wenn ein Anfall kommt: beim Herannahen
eines neuen Anfalles kommen ja die Komplexe wieder zur Wirlamg. Ein früher leicht
ünbeziller Patient, der erst im 45. Jahre manifest erkrankte, soll vorher nie gelacht
haben; im Anfang der Krankheit fiel es auf, daß er lachte. Im folgenden Falle ist der
Zusammenhang mit dem Komplex sehr deutlich: eine Patientin hat den Alb, der sie
einmal drückte, weiter entwickelt in ,,eine oder zwei Gummipuppen", die sie mit dem
GeHebten identifiziert. Dieser plagt sie mm mit den Puppen, drückt sie, würgt sie,
macht ihr Herzklopfen, preßt ihr den Kopf zusammen und befiehlt ihr, lustig zu sein ;
dann muß sie den ganzen Tag lachen.
Das ebenfalls nicht seltene unmotivierte Weinen hat natürlich ähnlichen
Grund.
6. Die Manieren.
Nicht durch Abspaltung, sondern vielmehr durch dauernde Wirkung der
Komplexe erklären sich die Manieren und wenigstens zum Teil die Stereo-
typien. Schon der normale Mensch hat Neigung, diejenigen Äußerungen zu über-
treiben oder wenigstens besonders stark hervortreten zu lassen, die seinen Wün-
schen entsprechen. Der Eitle wird sich in seiner Kleidung und im ganzen Gebaren
zu erkennen geben, der auf seine Körperkraft Stolze im Gang und aUen Be-
wegungen. Aber nicht nur die, die etwas sind, f8,llen uns auf, sondern noch viel
mehr die, die etwas sein wollen, was sie nicht sind. Beim wirklich Vornehmen
ergibt sich die vornehme Haltung, das Vornehme in jeder Bewegung, von selbst,
es ist ein Teil von seinem Sein, er fäUt deshalb nicht auf. Bei dem, der Vornehm-
heit affektiert, bemerkt man den Gegensatz zwischen Natur imd Aäektation;
die gleichen Bewegungen sind beim einen etwas, das zu ihm gehört, beun andern
1) Wie bei Gesunden. Vgl. Freud, Psychologie des Alltagslebens, und Jung (344,
S. 62).
Theorie. Katatone Symptome. Manieren.
367
etwas Fremdes; wer die Form nachahmt, ohne den Inhalt zu verstehen, kann eben
die Form nicht dem Inhalt anpassen; er wird z. B. auf auffällige Nebensachen
ein ungebührliches Gewicht legen; der Träger natürlicher geistiger Kultur mani-
festiert die größere Unabhängigkeit seiner Finger voneinander in allen Bewegungen
der Hand; der, der mehr Kultur zeigen möchte, als er hat, sieht nur, wie der kleine
Finger nebenaus gestellt wird, und tut das in extremer Weise bei jeder guten
und schlechten Gelegenheit usw. So auch die Schizophrenen; nur wird da, wo die
Kontrollo fehlt und die Komplexe überhaupt eine viel größere Tyrannei
entwickeln als bei Normalen, die Übertreibung noch viel stärker werden. Daher
die katatonische Geziertheit, das lümmelhafte Benehmen der Hebephrenen,
die lächerliche Majestät der Megalomanen. So ist es auch erklärlich, daß ein Teil
der Manieren ganz bewußt sind. Ein Hebephrene legte mir sogar seine hohl-
Idingenden Neologismen vor und wünschte meine Kritik, von der er allerdings
nichts als Lob erwartete. Das schnodderige W esen vieler Hebephrenen, verbunden
mit der Neigung, sich wichtig zu machen, die höchsten Probleme anzugreifen,
hat man als einen Symptomenkomplex betrachtet, den der Patient aus der
Pubertät herübergenommen hätte. Es mag sein, daß das etwa mitwirkt. Bei
unserem schlimmsten Repräsentanten der Flegeljahreigenschaften war es
sicher nicht der Fall; so lange er gesund war, besaß er diese Eigenschaften gar
nicht; seine Krankheit wurde erst anfangs der Zwanzigerjahre manifest, als er
längst in Stellung war, und sie war eine ausgesprochene Katatonie. Die sym-
ptomatologische Ähnlichkeit von Pubertät und Schizophrenie beruht gewiß
in der Hauptsache auf etwas ganz anderem: junge Leute streben gerade -wie
manche Schizophrenen gesellschaftlich und geistig mehr zu scheinen, als sie sind,
das äußert sich darin, daß sie sich über die Formen wegsetzen, und daß sie sich
mit Dingen beschäftigen wollen, die eine höhere Intelligenz verlangen. So erldärt
sich auch teilweise die Neigung zu Fremdwörtern und zu besonderer Betonung
derselben. Kraepelin hat z. B. darauf aufmerksam gemacht, daß viel Ka-
tatoniker „Herr Doktor" betonen. Solche Eigentümlichkeiten fanden wir immer
in Verbindung mit einem Komplex von Vornehmheit und Wichtigkeit.
Auch die Neigung zu Diminutiven und das oft damit verbundene kind-
liche Benehmen überhaupt erklärt sich auf ähnliche Weise. In einzelnen Fällen
konnten wir nachweisen, daß sie der Ausdruck des Kinderkomplexes war. Die
Kranken sprachen zuerst mit ihren eingebildeten Kindern in dieser Weise und
verallgemeinerten dann die Manier, besonders wenn der Vater des Kindes mit
demselben identifiziert wurde. Die Diminutivform kann sich aber auch ausschließ-
lich im Gespräch mit dem Kind erhalteni). — Heck er s zweiter Fall sprach im
Offiziersjargon, wohl weil sich das Mädchen Hoffnung auf einen Offizier machte.
Nicht selten wechsehi die Kranken die Manier je nach dem aktuellen
Komplex (Beispiel S. 122).
Auch die Stereotypien haben ihre Analogien beim Gesunden, der bei ab-
gelenkter Aufmerksamkeit nicht aUzu selten stereotype Bewegungen oder Zeich-
nungen macht, die einen versteckten Komplex verraten.
Tn„. ? .ländliches Benehmen könnte auch einen Traum oder sonst einen Komplex aus der
Jugendzeit andeuten, worauf mich Bezzola aufmerksam machte; ich kenne al,er keh
Beispiel einer solchen Genese bei Schizophrenen.
368
Schizophrenie.
Bei den schizophrenen Stereotypien, deren Entstehung man verfolgen
kann, zeigt sich sehr klar, daß sie im Zusammenhang mit einem Komplex stehen.
Die die Schustorbewegung nachmachende alte Jungfer hat vor mehr als 30 Jahren
emen Schuster geliebt. Die Balanzierende hat bei einer Quadrille ihren Angebeteten
kennen gelernt. Der Geliebte einer bereits Erkrankten wird zum Besuch angemeldet;
die Patientin verbigeriert: „das ist, er ist" bis er kommt, und behält die Gewohnheit';
später verbigeriert sie: „mein Lieber", dann dazwischen auch: „unser Bübchen"!
Eine noch als Wärterin brauchbare Schizophrene sagt im Gespräch mit beliebigen
Personen an allen möglichen und unmöglichen Stellen: „nicht wahr, Max"; so hieß
ihr erster Geliebter. Sogar Selbstmordversuche kömien nach Abklmgen des Affektes
in stereotyper Weise wiederholt werden.
Eni Kranker gibt mir fast bei jeder Visite auf einem Zettel vier Worte, die an-
deuten sollen, wie schlecht man ihn behandelt hat. Kranke, die beständig an der
Klinke drücken, hatten früher energisches Begehren hinaus zu kommen, auch wemi sie
jetzt nichts mehr anzufangen wissen, sobald man ihnen die Türe öffnet. Solche, die die
Schuhe der Anwesenden oder den Boden küssen, haben entweder den Komplex der
Niedrigkeit, oder sie drücken gelegenthch auch einmal die Liebe zu irgend einer Person
so aus. Das Wiegen eüies Gegenstandes im Arm oder die gleiche Bewegung ohne den
Gegenstand hängt gewöhnlich mit dem Kinderkomplex zusammen. Eine Kranke
zeichnet eine Menge stilisierter Münde; diese sagen: ,,lobe den Herrn"; luid aus
anderen Assoziationen geht hervor, daß der „Herr" ein geliebter Pfarrer ist. Die
stereot}'pe Berührmig von Axilla, Mund, Ohren und den Genitalien, die von einem
Mädchen tausendmal im Tag ausgeführt wird, hängt mit dem Onaniekomplex zu-
sammen; ebenso Bewegmigen der Hände bei einem Mami, die sich mit der Zeit
immer mehr von den Genitalien entfernt mid dem Mmide genähert haben ; Fmger
im Mund, im Ohr bedeuten auch oft das Gleiche. Kopfbewegungen sind vor unseren
Augen durch Verlegung von Koitusbewegungen entstanden. Bei zwei Patienten ließ es
sich nachweisen, daß der Schnauzkrampf die Verachtiuig der Umgebruig bei großer
Zufriedenheit mit sich selbst ausdrückte^).
Alle diese Deutmigen sind nicht willkürlich, sondern von den Patienten selbst
gegeben und zum Teil objektiv verifiziert; die Patienten assoziieren an die Stereotypie
den Komplex und umgekehrt an den Komplex die Stereotypie. Nicht selten geht
deshalb der Zugang zu dem Patienten durch die Stereotypie. So war die balanzierende
Katatonische ganz steif, mutistisch und abweisend, bis man mit ihr die balanzierenden
Bewegimgen wie im Tanze machte; mit einem Schlage war sie wie umgewandelt;
man konnte in ihr kaum mehr die Kranke erkennen; sie erzählte von ihrer Liebschaft
und ihrer Lebensgeschichte, so viel man wissen wollte, vollständig klar wie eme Gesmide.
Das Experiment ließ sich noch einige Male wiederholen, bis die Fortschritte der schweren
Katatonie es unmöghch machten.
Daß sich die Stereotypien mit ihnen ursprünglich fremden Gedanken
assoziieren können, erscheint in Anbetracht der schizophrenen Assoziations-
eigentümlichkeiten selbstverständlich ; daß sie sich meist mit der Zeit vereinfachen,
und daß sie auch sonst Umwandlungen, wie Verlegung sexueUer Symptome nach
oben, eingehen, hängt mit allgemeinen Eigenschaften unserer Psyche zusammen.
So scheint zunächst die Theorie der Stereotypien gegeben: sie smd Sym-
ptomhandlungen in Freudscheni Sinne; ein Komplex, der immer weiter wirkt,
findet darin seine Entäußerung.
1) Nach Darwin verlängern Orang-Utang und Schimpanse die Lippen, weim sie un-
zufrieden sind (Dromard). Auch bei kleinen Kindern sieht man das.
Theorie. Katatone Symptome. Manieren.
369
Einer besonderen Erklärung bedarf es dann allerdings, daß die Stereotypien
ein so zähes Leben haben. Freud und Jung geben an, daß verdrängte Affekte
sich nicht abnutzen; es muß aber noch nachgewiesen werden, daß diese aus Er-
fahrungen an Nervösen und Gesunden deduzierte Regel auch für die Schizo-
phrenie Gültigkeit habe. Wir sehen nun aber, daß daselbst Stereotypien viele
Jahre lang Komplexe begleiten können, die nicht verdrängt scheinen. Ferner treten
in Remissionen Komplexe oft so zurück, daß man ihre Affektbetonung kaum
mehr nachzuweisen vermag. Es ist also für mich noch nicht sicher, weder daß die
Verdrängung die Ursache der Beständigkeit der Stereotypien sei, noch daß die
Komplexaffekte sich bei der Schizophrenie nicht doch mit der Zeit abschwächen
können. Allerdings habe ich zur Genüge beobachtet, daß sich Komplexe mit
ihren Affekten jahrzehntelang an Inhalt und Kraft imverändert erhalten haben.
Sei dem wie ihm wolle, die Erklärung der Stereotypien als Komplexsym-
ptome möchte vorläufig genügen, wenn sich nicht die Neigung zu Stereotypie-
ningen bei der Schizophrenie auch außerhalb der Komplexe nachweisen ließe.
Nicht selten wird ein zufällig aufgegriffenes Wort lange Zeit verbigeriert. Bei
turnerischen Freiübungen können einzelne Patienten, die noch gar nicht katatonisch smd,
nicht rechtzeitig mit wiederholten Bewegungen aufhören; mehrfach habe ich beim
Klavierspielen beobachtet, daß sehr gut spielende Kranke an einem Triller oder an
einer anderen Wiederholungsfigur hängen blieben. Dromard berichtet, daß die
Patienten die Glieder nicht sinken lassen, wenn man die Unterstützimg plötzlich weg-
nimmt, und daß mitgeteilte oszülierende Bewegungen nicht mit der Ursache aufhören.
Hierher gehört es vielleicht auch, daß die Mimik so oft dem Wechsel der Gefühle
nachhinkt. Bei einem Souffleur war es das erste Zeichen der Krankheit, daß er den
gleichen Satz drei- bis viermal soufflierte mid das trotz guter Einsicht nicht lassen
konnte. Ein Kranker spült den Mund und kann mit den Bewegungen nicht mehr auf-
hören, obwohl er kein Wasser mehr im Munde hat; ein anderer nickt weiter, wenn er
eine Frage mit Nicken beantwortet hat, staubt eine halbe Stunde lang den nämlichen
Lappen aus ; beim Benennenlassen von Bildern findet man dann und wami Persevera-
tion ähnlich wie bei organischen Hirnkrankheiten, ebenso beim Schreiben. Ein Hebe-
phrene hielt an einem Fest eine leidHch passende Rede; dreiviertel Jahre später be-
grüßt er in einer andern Rede den zurückkehrenden Sekundararzt und brmgt darüi
viele Sätze aus der ersten Rede an, die gar nicht mehr zum Anlaß passen. Sommer
(724) fand bei wiederholtem Rechnen nach 8 Tagen wieder die gleichen Fehler wie
das erste Mal. Bei Leseversuchen an der Tronunel (Reiss, S. 617) imd Schußplatte
(Busch) fand man Ähnliches. Auch passiv gegebene Bewegungen können zuweilen
längere Zeit persistieren^). — Wiersma vermutet verlängerte Nachdauer der Reize
bei „Paranoia".
1) Äußerungen, die ursprünglich eine affektive Bedeutung hatten, können sich vom
Komplex loslösen und dann eine zufällige Stereotj^ie vortäuschen: eine Kranke antwortete
bei der Untersuchung zunächst jedesmal „eben das", wenn der Komplex getroffen wurde.
Nach und nach, noch in der gleichen Unterredung, wurde das Wort immer mehr gebraucht
und schließlich auf alle Fragen als erste Antwort gegeben. Es kommt aber gewiß auch vor,
daß zufällige Äußerungen mit einem Komplex verbunden werden, ohne daß wir einen Zu-
sammenhang auffinden. Bei jenem balanzierenden Mädchen ist die Stereotypie doch ein
recht zufälliges Symbol für den Geliebten, und es ist bei den schizoplirenen Assoziations-
gesetzen leicht möglich, daß z. B. ein irgendwie gehörtes Wort sich definitiv mit einem
Komplex verbunden habe. Man kann aber nicht wohl annehmen, daß in allen Fällen wie die
oben angeführten solche zufällige Komplexverbindungen den Anlaß zur Stcreotvnierune
gegeben hätten. ■'^ °
Handbuch der Psychiatrie: Uleulor. „.
24
370
Scliizophronie.
Trotzdem sicli diese Neigung zu Stereotypierung meist nur bei akuten
Schüben Katatonischer nachweisen läßt — in den Assoziationen chronisch
Kranker haben wir sie immer vermißt^) — , kann man doch nicht annehmen,
daß diese Disposition ganz ohne Einfluß auf die Entstehung der Stereotypien
sei. Wir müssen also voraussetzen, daß beide Ursachen am Zustandekommen
der Stereotypien mitwirken; die allgemeine Neigung zur Stereotypierung
entspräche der Disposition; die Komplexwirkung wäre die veranlassende Ur-
sache und würde zugleich den Inhalt der Stereotypie bestimmen.
Wahrscheinlich kommt noch etwas Drittes hinzu. Kra e p el i n macht darauf
aufmerksam, daß sich bei Störung der planmäßigen Verfolgung bestimmter
Ziele Nebenantriebe geltend machen können, und daß ohne die Hemmung durch
neue Ziele eine einmal bestehende Handlung große Wahrscheinlichkeit habe,
immer mehr eingeübt zu werden ; so wären die Stereotypien Willenserregungen,
deren Ziel durch den vorhergehenden Vorgang bestimmt ist. Wir sehen ja auch
bei Ablenlvung des Gesunden eine große Einförmigkeit der Nebentätigkeit.
Schiller zeichnete Bögen voll Eößlein.
Viele Autoren suchen die Stereotypien aus dem Wegfall der hemmenden Hirn-
rinde (z. B. Jastrowitz [324], Fauser [215]), aus der Demenz zu erklären.
Weiter können wir hier auf die Theorie der Stereotypien, die für die ganze Auf-
fassmig dsr Schizophrenie von größter Wichtigkeit ist, nicht eingehen; ich verweise
auf Neisser, Heilbrouner (293). Für uns sind nur noch folgende Einzelheiten von
Bedeutung: daß imterbewußte Komplexe Neigung haben, sich in Stereotypien zu
äußern, zeigt sich auch im Assoziationsexperiment (Riklin, 612 a), ferner macht
auch Ziehen auf den Zusammenhang der Stereot3rpien mit ,, überwertigen Ideen"
aufmerksam. — Die Haltungsstereotypien wurden und werden gerne zurückgeführt
auf sensorische Störmigen (Korrektur von bestimmten Ausfallserscheinmigen,
Wernicke; Störmigen der Selbstempfindung, Siemerling). Ganz ungenügend ist
auch Kahlbaums Auffassmig der Sprachstereotypien. Wir kömien uns zur Not
vorstellen, wie ein tonischer Krampf der Sprachorgane Mutismus machen könnte,
kaum aber, wie ein klonischer bestünmte Worte und Sätze hervorbringen und dieselben
unter Umständen den Verhältnissen anpassen sollte. Auch für neuere, mehr psychische
Lokalisationen, wie die Alters (Sejunlrtion zwischen Stereopsyche und Pathopsyche,
10 a, S. 264) besitzen wir in den Beobachtmigen kerne Anhaltspunkte; wohl aber spricht
manches gegen das Vorhandensein so einfacher Störungen.
Die Stereotypien werden noch mit manchen ähnlichen Erscheinungen
zusammengebracht und teüweise mit denselben verwechselt; es handelt sich dabei
meist um eben so komplizierte Vorgänge, wie die Stereotypie einer ist, imd so ist es
ganz gut möglich, daß emzelne Teüerscheinungen sich mit Teüerschemungen der
Stereotypie decken.
Manche nennen es noch Stereotypie, wenn infolge von Stunmen oder Wahn-
ideen immer die gleiche Handlmig begangen oder die gleiche Stellung emgenommen
u-ird. Denkt man sich die Wahnidee respektive Halluzination unabhängig von der
Stereotypie, wie es die meisten Psychiater tun, so ist natürlich eme solche Auffassung
unrichtig, die Anomalie ist dann an einem andern Orte, m\d die Stereotypie hat psycho-
logisch nur die gleiche Bedeutung wie aus guten Gründen oft wiederholte Handlungen
des Gesunden (Fabrikarbeiter!), oder es ist wie wenn ein Seniler mfolge seines Ge-
dächtnisdefektes immer die gleiche Geschichte erzählt. — Schon mehr der Verbigera-
1) Pfenninger hat bei Wiederholungsversuchen im Gegenteü eine höhere Zahl
neuer Reaktionen als bei Gesunden gefunden.
Theorie. Allgemeine Gesichtspunkte.
371
tion nähert es sich, wenn ein Kranker alle seine Wünsche immer m die gleichen Worte
zusammendrängt: „seien Sie so gut", und bei jedem Eintritt emcr Person m den
Saal bei jeder Ortsveränderung emes Patienten diese Worte ausstoßt, btereotyp ist
hier der Wunsch und das Ausdrucksmittel; um Verbigeratiou handelt es sich nicht,
gerade deshalb, weil der Patient eben etwas sagen will. ... ,
Etwas ganz anderes als die schizophrenen Stereotypien sind die Berufs-
bewegungen, die organisch Hirnlcranke nicht so selten machen. Mit ihnen zusammen
zu erwähnen ist dann die „Perseveration" (Hängenbleiben, Klebenbleiben), die von
vielen nicht recht von der Stereotypie getrennt wird, obschon es sich im wesentlichen
um verschiedene Dinge handelt.
Wenn Heilbronner (29.'3) sagt, daß Perseveration und Verbigeration sich da-
durch unterscheiden, daß zur Perseveration noch ein Sprechtrieb hinzukommen müsse,
um die Verbigeration zu bilden, so ist das nur für die organischen Krankheiten ganz
ausreichend, weil bei der schizophrenen Verbigeration die Komplexwirlomg in erster
Linie mitspricht.
Rag nar Vogt (786) will eine psychologische Einheit aus Perseveration, Stereo-
typie und dem Kr aepe linschen Begriff der Anregung machen.
Masoin (455) und namentlich Weygandt (816) bringen die schizophrenen
Stereotypien zusammen mit den stereotypen BewegTmgen der Kinder und der Idioten,
während Kraepelin zwei Klassen unterscheidet, von denen die eine, die namentlich
durch das Rhythmische der Bewegmigen charakterisiert wird, beiden Zuständen
angehört. Die automatischen, im wesentlichen von der Stimmung unabhängigen
Stereotypien bei unserer Krankheit sehen aber schon bei oberflächlicher Betrachtung
meist anders aus als die wiegenden und wackelnden Bewegungen der Idioten.
Als Kuriosum sei auch erwähnt, daß Dromard (191) die Stereotypien der
Dementia praecox von denen der sekundären Demenz unterscheiden wUl.
Zum Verwechseln ähnlich können den Stereotypien die Ticks werden, die ja auch
oft nichts anderes als Symbolhandlmigen sind.
Ziehens Pseudostereotypien ideenarmer Manischer geben oft Anlaß zu
diagnostischen Schwierigkeiten; nach memer Erfahrung handelt es sich dabei meist
um Mischung von Hemmung mit Ideenflucht.
Die Onomatomanie der Franzosen enthält neben anderen Symptomen oft
auch die Verbigeration.
Daß die Stereotypien etwas mit Komplexen zu tun haben, ist schon vielen auf-
gefallen, 80 Dromard, Ricci, Mondio. Schneie nennt gewisse Haltungsstereotypien
sohr bezeichnend „plastisch gewordene Wahngedanken".
i) Allgemeine Gesichtspunkte.
Trotz der vielen Einzelheiten, die uns die Psychanatyse aufgeklärt hat,
wäre es noch zu gewagt, die ganze Symptomatologie unter einem einheitlichen
Gesichtspunkte zusammenfassen zu wollen. Eine vorläufige Formulierung unseres
Wissens mag aber am Platze sein.
Die m die Augen fallende Symptomatologie ist sicher zum Teil (möglicher-
weise ganz) nichts anderes als der Ausdruck eines mehr oder weniger verun-
glückten Versuches, aus einer unerträglichen Situation herauszukommen Wir
kennen, abgesehen von den rein hysteriformen Mechanismen, drei verschiedene
Modi, nach denen die Kranken sich zu helfen trachten.
1. Der Patient macht die Wirklichkeit unschädlich, indem er sie nicht an sich
her.nkommen laßt (Autismus); er ignoriert sie, spaltet sie ab. üüchtet in seme Ge-
24*
372
Schizophrenie.
danken. Der Autismua hat für diese Patienten die gleiche Bedeutung wie die Kloster-
mauern für die Mönche, die Einöde für manche Heilige, die Studierstube für manche
Gelehrtentypen. Der Unterschied zwischen krank und gesimd ist hier nur ein
quantitativer.
2. Auf die Dauer genügt dieser Behelf selten: in den meisten in die Anstalt
kommenden Fällen werden die Wünsche als erfüllt, die Hindernisse als beseitigt
dargestellt. Zu vollständigem Gelingen kann diese Reaktipnsart allerdings nur dann
führen, wenn zugleich nach Modus 1 die Wirklichkeit ganz abgespalten, oder wenn
sie im Sinne der Wünsche ganz umgestaltet wird. Letzteres geschieht im Dämmer-
zustand, der aber meist nicht auf die Dauer festgehalten werden kann; die Kranken
helfen sich in der gleichen Weise, Avie es in nuce die Tagträumer und die Dichter tun.
Gelingt es nicht, die Vorstellung von der Wirklichkeit ganz nach Wmisch zu
verwandeln, so wird sie doch so weit umphantasiert, daß die Hindernisse mehr alt.
zufällige, wenigstens im Prinzip überwindliche erscheinen (Verfolgungswahn, der die
Hindernisse in Machinationen von Menschen umsetzt).
3. Wohl öfter als wir bis jetzt wissen, wird der zugängliche Teil der Umstände
wirklich umgestaltet, natürlich nicht im Sinne der vollständigen Wunscherfüllung
— wenn das den Patienten möglich ist, gibt es keine manifeste Krankheit — , sondern
im Sinne einer Ausflucht: die Leute werden eben manifest krank. Diese Flucht in
die Krankheit ist beim Ganserschen Syndrom oder bei emzelnen hypochondrischen
Formen oder bei der Faxenpsychose (75 a) in die Augen springend und bildet bei
anderen Formen sicher dann und wann den ausschlaggebenden Faktor. Wir sehen
sie aus einleuchtenden Gründen namentlich bei rein äußerlichen Konflikten : gericht-
liclie Untersuchimg, ökonomische Schwierigkeiten, unerwünschte Entlassmig aus der
Anstalt^).
Nicht nur die ersten beiden, sondern alle drei Ee aktionsweisen können sich
in beliebiger Kombination mischen. Wie bei anderen psychischen Erscheinungen
wirken auch hier fast immer mehrere Motive zusanomen. Außerdem werden die
Mechanismen und die Kesultate dieser affektiven Eudämonie verdeckt und
karikiert durch die übrigen Störungen, vor allem die Unklarheit des Denkaktes und
die akzessorischen Symptome.
2. Kapitel.
Die Theorie der Kraiiltlieit.
A, Die Auffassung der Krankheit.
Mit der Untersclieidung von primären und sekundären Symptomen ist
die Auffassung der Krankheit gegeben. Wir nehmen einen Prozeß an, der
direkt die primären Symptome macht; die sekundären Symptome
sind teils psychische Funktionen unter veränderten Bedingungen,
~^ 1) Es ist gar nicht selten, daß Versclilimmerungen auftreten, wenn die Kranken die
Entlassung vor sich sehen, ja wenn sie nur auf eine bessere Abteilung versetzt werden sollen.
Regelmäßig kann man den Grund darin finden, daß die Kranken die Rückkehr ms Leben
fürchten. Die Frau will nicht gesund sein, weil sie es (noch) nicht verträgt, zum ungehebten
Gatten zurückzukehren, die Gouvernante, weil sie ihre Stellung haßt, der Mann, woü er den
Kampf für die Existenz (noch) zu schwer findet. Eine unserer Katatomkermnen erklarte
rundweg, wenn man sie aus der Schweiz (wo ihr Geliebter wohnt) nach der Heimat ver-
setzen woUe, so werde das durch einen neuen Anfall unmöglich gemacht. Und sie hat Woi t
gehalten. Der AnfaU unterschied sich aber in keiner Weise von den fruhereii. - In den Fallen
von Birnbaum ist der Krankheitsgewinn meistens ein selu: deutlicher.
Theorie. Auffassung der Krankheit.
373
teils die Folgen mehr oder weniger mißglückter oder aucli geglückter
Anpassungsversuche an die primären Störungen.
"Wir müssen aber hinzufügen, daß die Voraussetzung eines physischen
ICrankheitsprozesses nicht absolut notwendig ist. Es ist denkbar, daß die ganze
Symptomatologie psychisch bedingt sei, und daß sie sich entwickeln könne auf
leichten quantitativen Abweichungen vom Normalen; etwa wie die Anlage
zu hysterischen Symptomen zwar bei manchen Menschen so groß ist, daß sie
bei den gewöhnlichen Schwierigkeiten des Lebens hysterisch werden, während
der Durchschnittsmensch es nur bei ganz besonderen psychischen Traumen
werden kann.
So fehlt es nicht an Versuchen, die Krankheit als eine funktionelle aufzufassen.
Tiling paralleHsiert sie geradezu mit Hysterie (mid Paranoia) und mehit, sie entstehe
bei angeborener Geistesschwäche und bei mischlüssigen, zwiespältigen Natm'en. Ähnüch
spricht sich Stadel mann aus.
Ganz abgesehen von dem den schweren Symptomen nicht entsprechenden
anatomischen Befund ist manches der Annahme einer psychischen Genese der
I^janlcheit nicht imgünstig. Verschlimmerimgen und Besserungen sind oft psy-
chisch bedingt. In den Antezedentien der Schizophrenen findet sich meist eine
Anlage zur Introversion, aus der sich der Autismus und indirekt die meisten
anderen Symptome erklären ließen. Die Bedeutung des nicht abzuleugnenden
anatomischen Befundes läßt sich nach Schott (667) als Inaktivitätsatrophie
oder nach Jung als Folge von durch die Affekte gebildeten Toxinen weg-
disputieren. Die Symptomatologie unterscheidet sich prinzipiell von der aller
bekannten organischen und toxischen Störungen^), aber so wenig von den funk-
tionellen Neurosen, daß leichte Schizophrenien oft lange als Hysterien oder
Neurasthenien imponieren, und daß fast alle Erscheinungen nur eine Übertreibung
bekannter Neurosensymptome darstellen; wie sich diese aus einer besonders
starken oder besonders stark erregten Affektivität und eventuell der primären
Neigung zur Introversion erldären lassen, hat Jung gezeigt. Das Zittern ließe sich
zur Not psychisch erklären, sogar die manischen und depressiven Symptome
hat man so auffassen wollen. Die Unheilbarkeit und die Unfähigkeit der meisten
Patienten, sich durch Abreagieren zu beruhigen, ließe sich aus der einmal be-
stehenden Übertreibung der Introversion ableiten, die ein volles Wiedererfassen
der Realität unmöghch macht.
Aber die Hirnbefunde sind da, und wenn auch ihr engerer Zusammenhang
mit der Psychose noch ganz rätselhaft ist, so erscheinen doch die oben ange-
führten Auffassungen der von ims als primär bezeichneten Erscheinungen gezwun-
gen. Es ist ferner auffallend, daß man bei genauer Anamnese meist die Krankheit
schon vor dem als Ursache angeschuldigten psychischen Trauma nachweisen
kann. Die Lockerung der Assoziationen geht so weit, wie wir sie beim Normalen
und Neurotischen nur im Traum, nie unter bloßer Affektwirkung sehen. Die übric^en
primären Symptome, wie das f einschlägige mid relativ gleichmäßige Zittern, ''ein
ieil der PupiUenstörungen, die manisch-depressiven Symptome, die, wo sie vor-
handen sind, integrierende Bestandteile des Krankheitsprozesses zu sein scheinen
üieAnfaUedes organischen Typus, alles das will sich der funktionellen Anschauii '
.mg
') Sommer hat- sie als „Leitungsstörungen" von diesen abgetrennt.
374
Schizophrenie.
nicht recht fugen. Die Introversion kann nicht gut alles erldären, da diejenigen
i'atienten, die ihre Komplexe äußern und danach handeln wollen, genau so
unheilbar sind wie die anderen. Der Verlauf selbst erscheint trotz mancher Aus-
nahmen im großen und ganzen als ein spontaner und von psychischen Einflüssen
m bedeutendem Maße unabhängiger. Die prinzipielle Unheilbarkeit aller und die
Unbeemflußbarlceit des Verlaufes der meisten Fälle sind bei funktioneUen
Störungen ohne alle Analogie. Wichtig ist auch, daß die Krankheit ebensowohl
bei „Wilden" wie bei Kiüturvölkern vorkommt, wenn auch bei den ersteren nach
Kraepelin die Katatonien zurücktreten.
Allen diesen Tatsachen wird restlos eine Auffassung gerecht, welche eine
(anatomische oder chemische) Störung im Gehirn annim.mt, die meist chronisch,
aber mit akuten Schüben und Stillständen verläuft und die primären Symptome
setzt (Assoziationslockerung, eventuell die Disposition zu HaUuzinationen und
Stereotypien, ein Teil der manischen und depressiven Syndrome und der Be-
nommenheitszustände usw.); in schwereren Exazerbationen sind psychische
Symptome wie gewisse Verwirrtheits- und Stuporzustände direkte Folge des
Prozesses. Die übrigen psychischen Symptome entstehen indirekt durch ab-
norme Wirkungen normaler Mechanismen in der primär gestörten Psyche, indem
vor allem die Affektivität ein pathologisches Übergewicht über die geschwächten
logischen Funktionen bekommt.
Die Krankheit als psychischer Prozeß beginnt meistens oder vielleicht
immer schleichend; sie bleibt zunächst latent, bis ein akuter Schub auffallende
primäre Symptome oder ein psychischer Schock stärkere sekundäre Erscheinungen
hervorbringt^). Natürlich besteht kein sich ausschließendes Verhältnis
zwischen akutem Schub des Hirnprozesses und dem auslösenden psychischen
Erlebnis. Auf einer geringen oder einer kaum fortschreitenden Hirnveränderung
kann nur ein schweres psychisches Trauma die manifeste Krankheit auslösen.
Je rascher aber der Prozeß fortschreitet, je schwerer die dauernde Veränderung
ist, um so geringere Anlässe genügen, um stärkere Störungen hervorzurufen, bis
schließlich die alltäglichen Schwierigkeiten des Lebens das labile Gleichgewicht
zu stören vermögen. So wirken am häufigsten beide Ursachen bei der
Kreierung der psychotischen Symptomenkomplexe zusammen.
Nach einem akuten Schub kann der Hirnprozeß stille stehen oder auch sich
bis zu einem gewissen Grad zurückbilden; letzteres ist z. B. anzunehmen bei
nicht letalen Hirnschwellungen. Dann kann auch die Psyche sich wieder in
sehr hohem Maße erholen, oder es bleiben ein Teil der gesetzten Symptome als
„Kesidualzustand". Zu beliebigen Zeiten können aber auch sowohl der Krank-
heitsprozeß als die sekundären Symptome langsam oder rasch weiter schreiten.
Die Besserungen können auch durch psychische Einflüsse bewirkt werden,
teils von außen, indem eine Veränderung irgendwie umstimmend wirkt, teils
von innen, indem der Patient lernt, sich mit seinen Komplexen abfinden, oder
indem ein Dämmertraum seinen Abschluß findet, oder der Affekt sich erschöpft.
Die Heilungsmodi aus inneren psychischen Vorgängen sind noch nicht mit voller
Sicherheit faßbar, doch müssen irgend welche psychische Selbstheilungsprozesse
existieren.
1) Manchmal besteht eine längere Latenzzeit zwischen dem Erlebnis und dem akutL-ii
Ausbruch, indem das erstere zunächst einer Verarbeitung unterliegt.
Theorie. Auffassung der Krankheit.
375
Der Verlauf der Symptome und der des Krankheitsprozesses
brauchen einander also gar nicht parallel zu gehen.
Die Bedeutung des Jünglingsalters für das Manifestwerden der Krank-
heit besteht gewiß wenigstens zum Teil darin, daß in dieser Zeit die Schwierig-
keiten des Lebens beginnen. Vor allem macht sich nun der mächtigste aller
Komplexe besonders geltend: die Sexualität. So sehen wir bei einer großen
Anzahl unserer Patienten die manifeste Psychose zwischen 15 und 25 Jahren
ausbrechen, obgleich sie vorher schon in mehr oder weniger latentem Zustande
vorhanden war. Es ist nicht unbedingt nötig, daß außerdem noch andere Momente
dieses Alter begünstigen. Doch ist natürlich nicht auszuschließen, daß z. B.,
wie man es bis jetzt annahm, auch der eigentliche Krankheitsprozeß eine Vorliebe
für die Nachpubertät zeigu.
Der Ausgang ist nach dieser Auffassung etwas, was nicht bloß in der
Krankheit liegt, sondern auch von manchen inneren und äußeren Zufälligkeiten
abhängt. Bei gleicher Gehirnstörung kann der eine Patient genesen, der zweite
bei etwas anderer psychischer Anlage oder bei fehlender Anregung oder bei
stärker wirkendem psychischem Trauma blödsinnig werden. AVir sind aber ebenso-
wenig imstande, verschiedene Verlaufsweisen und verschiedene Krankheits-
gruppen aus der psychischen Disposition oder den psychischen Erlebnissen ab-
zuleiten wie aus einem supponierten Krankheitsprozeß.
Die wichtigsten der bisherigen Theorien, die teils einzelne Symptome oder
Symptomgruppen, teils das ganze Krankheitsbüd erklären sollten, sind eingehend
besprochen von J ung, auf dessen „Psychologie der Dementia praecox" ich verweisen
mußi).
Hier nur folgendes:
Wir müssen uns klar sein, daß wir nicht voraussetzen dürfen, die Gnmdstörung
zu treffen, wenn wir uns begnügen, die „psychische Höchstfunktion" (Groß),
oder, was damit identisch ist, die „Apperzeption" im Sinne Wundts (Weygandt)
als gestört zu erMären.
Jede allgemeine Störung muß doch die kompliziertesten Funk-
tionen am meisten schädigen; solange also der Mechanismus nicht nachgewiesen
ist, durch den gerade die „Höchstfunktion" angegriffen wird, sind wir damit der Pflicht,
nach Elementarsymptomen zu suchen, nicht enthoben.
Es ist auch nicht besser, wenn man statt der Höchstfunktion im allgemeinen
nur eme Seite derselben heraushebt, wie die Aufmerksamkeit (Tschisch; nach Arndt
24, S. 98) oder die „Fonction du reel" oder die „Ichsynthese" oder den „Umfanc^
des Bewußtsems" (P. Janet). » o
, Aber auch Ausdrücke wie „Schwäche der Vorstellungen" (hnages mentales)
(berieux), „dunmution de l'activite volontaire et mteUectuelle" oder „mcapacite
de leffort mental" (Masseion), „abaissement du niveau mental" sagen uns nichts
obschon sie eme Allgememstörung bezeichnen sollen. Es fehlt jeder Anhaltspunkt,'
die btorung bloß quantitativ-dynamisch aufzufassen, sehen wir doch in einzehien
.«nh .!^.^^^^^^^^^^Geschmack ist aUerdings der Autor more philosophorum etwas zu
. semen Vorgangern umgegangen. Theorien, die aus Richtigem und Falschem
gemischt sind, werden der Wissenschaft gcfähi-hcher als ganze Irrtümer, und Auffassungen
376
Schizophrenie.
Fällen eine große Entfaltung psycMscher Energie. Will man aber doch eine
„Scliwäcliung der psycliischen Tätigkeit" (Preusberg) annehmen, so kann die Hypo-
these alles und folglich nichts erklären; der Begriff ist zu allgemein. Soll der Ausdruck
„abaissement du niveau mental" aber das „Herabsinken" der bewußten Tätigkeit
auf Funktionen, die für gewöhnlich unbewußt smd, bezeichnen, so enthält der Ausdruck
keine Erklärung, sondern er faßt nur einen wichtigen Teil unserer psychologischen
Beobachtungen an Schizophrenen in Worte, die mißverständlich sind, indem sie auch
dynamisch verstanden werden können.
Alle diese Worte bedeuten Scheinerklärungen, die aber den nicht zu unter-
schätzenden Wert haben, daß sie eine Diskussion möglich machen und zu neuer Be-
obachtung anregen.
Es gibt auch Theorien für der Schizophrenie angehörende Krankheitsbilder,
die eine Lokalisation in gewissen Teilen des Gehirns oder der Psyche annehmen. Viel
mehr eine sehr gute Beobachtung als eine Erklärung ist die Annahme Neissers, der
ein Eingreifen tieferer, Bewußtsein nicht vermittehider Hirnteile supponiert. Das
Hypothetische — und sicher auch Falsche — liegt nur darin, daß der Autor die unbe-
wußten psychischen Fimktionen in tiefere Hirnteile verlegt als die bewußten.
Van Erp Taalman Kip meint, der chronische Wahnsinn sei zum Unterschied
von allen anderen Psychosen eine infrakortikale Krankheit. — Pfister (564) möchte
in einem Falle die Schriftbizarrerie mit einem Trauma des 1. Gyrus angularis in Ver-
bindung bringen. — Lomer (423) nimmt gar bei einer Patientin, die halluzinatorisch
ein Attentat durchlebte imd dabei alles in häßlichem Grün sah, Kontraktion der
Eetinagefäße an. Hätte er ein bischen psychologisch gedacht und gesucht, so hätte er
wohl gefunden, was für eine Vorstellimg von imerwünschter „Hoffnung" sich da in
grün ausdrückte.
De Buck erklärt die Katatonie aus Störmigen des Willens, der obersten Zu-
sammenfassung der begleitenden Gefühle und der Umsetzung in Handlung, Funktionen,
die er in die tiefen Schichten der Hirnrinde verlegt.
Wernicke (804, S. 449) macht den Übergang zu den psychischen Lokalisationen,
wenn er sagt: ,,die sogenannten h}T)Ochondrischen Lähmungen geben den Beweis, daß
der Ausschluß des Willens sich in lokalisierten Muskelgebieten geltend machen kann".
Es handelt sich aber nicht um lokalisierte Muskelgebiete, sondern um Vorstellungen
von lokalisierten Muskelgebieten, was etwas ganz anderes ist.
Förste rlings Ausdruck emer „autopsychischen Identifikationsstörung" ist
natürlich nicht eine Erklärung, sondern ein Name für eine einzelne Symptomengruppe,
die sich auf die Person bezieht.
B. Der Krankheitsprozeß.
Was der schizoijhrene Prozeß ist, das wissen wir nicht. Die Ana-
tomie zeigt uns in vorgeschrittenen Fällen eine leichte Hirnatrophie und bestimmte
histologische Veränderungen^).
Die Bedeutung dieser Befunde aber ist uns unbekannt.
Die Atrophie kann die Symptome nicht erklären, da diffuse Reduktion
der Hirnrinde ganz andere Erscheinungen macht; von den histologischen Ver-
änderungen wissen wir nicht, ob sie die Ursachen der Psychose oder bloß den
psychischen Symptomen paraUele Erscheinungen sind, mdem beispielsweise em
toxisches Agens einerseits die psychischen Symptome, anderseits die anatomischen
Veränderungen hervorbringt.
^)Siehe die von Alzheimer bearbeitete Anatomie der Psychosen in diesem Handbuch.
Theorie. Krankheitsprozeß.
377
Kahlbaum hat Gehirnödem mit der Katatonie in Beziehmig gebracht.
Auch wir haben bei einzelnen schweren, tödlichen Fällen starkes Hirnödem und auf-
fallend pralle Anfüllung der Maschen der Arachnoidea gesehen, mid die Sj-mptomato-
logie gewisser Verwdrrtheits- mid Benommenheitszustände scheint damit im Zusammen-
hang zu sein^).
Kiernau und Weber (797) fanden Überreste einer allgemeinen oder toxischen
Meningitis bei der Dementia praecox ; auch ich habe auffallend viele Trübungen der
Pia imd mehrmals längs den Gefäßen angeordnete weiße Knötchen gesehen, welch
letztere vielleicht Überreste abgelaufener tuberkiilöser Meningitiden sind. Das sind
aber nichts weniger als konstante Befunde.
Doutrebente imd Marchand haben in einem Falle Verdickung der Pia
gefunden und meinen, es handle sich um eine daraus folgende Minderwertigkeit
der Hirnanlage. Ideler (disk. Knechts Vortrag, Zeitschr. 1886, S. 331) meint, die
Katatonie könne eine protrahierte Paralyse sein. Klippel und L'Hermite und
andere (Soc. de Psychiatric de Paris 21./1. 1909, N. C. D. 1909, S. 616) bringen die
Krankheit in Beziehung mit Kleinhirnatrophie. Schuele (675 a) und Ferrari denken
an Atavismus, ersterer wegen der Wahn- imd Mythenbildung, letzterer wegen
Eigentümlichkeiten des schriftlichen Ausdruckes. Whitewell vermutet die Ursache
des Stupors in einer kongenitalen Hypoplasie des Gefäßsystems, Meynert (473,
S. 121, und 474, S. 184) in Hydrokephalus, Natverschließimg und leicht transsudieren-
den Gefäßen.
Viele denken sich die Schizophrenie als Ausdruck einer ab ovo krankhaften
Hirnanlage. Das Mitsprechen der Heredität, die Häufigkeit der Krankheit bei Imbe-
zillen und nach Hirntraumen, die abnormen Charakteranlagen vieler späterer Schizo-
phrenen deuten in dieser Eichtung. Das aber, was man als abnorme Anlage auffaßt,
kann bereits Äußerimg der Krankheit selbst sein. Und wenn wir die Literatur fragen,
welche Gehirne denn zu solchen Geisteskrankheiten neigen, stehen war einem voll-
ständigen Tohuwabohu gegenüber. Man will rüstige und invalide Gehirne unter-
scheiden, man trennt die Degenerierten von den Nichtdegenerierten, die Psychopathen
von den Normalen, die Psychoneurotischen von den psychisch Entarteten — aber
was der eine positiv rechnet, wird beim andern negativ gezählt^); die nach diesen
Schemata abgetrennten Krankheiten decken sich gar nicht, und was am schlimmsten
ist, wenn man die Aufstellungen an einem größeren Material nachprüft, so konstatiert
man lauter Widersprüche, die dadurch nicht klarer werden, daß man eben eine fast
unendliche Zahl von Abweichungsrichtungen vom Normalen findet, und daß zur Zeit
noch keine dieser Richtungen mit irgend einer der bekannten Psychosen in Verbindung
gebracht werden kann.
Die Frage, welche von den vorkraepelinschen Krankheitsbildern auf einer
schlechten Gehirnanlage beruhen, ist also nicht beantwortet,' und sie ist auch nicht
beantwortbar, wenn wirklich die alle jene Psychosen umfassende Schizophrenie eine
naturHche Gruppe bildet. Die Frage aber, ob es eine besondere Hirndisposition zur
Schizophrenie gibt, mid wie sie sich ausdrückt, ist noch gar nicht in Angriff genommen,
80 daß wir auch von ihr nicht wissen, ob sie überhaupt lösbar ist.
Zur Zeit beliebter sind die toxischen Theorien, die sich teilen in autotoxische
und infektlöse.
Die einzige Stütze für die erstere Annahme bilden die Versuche Bergers (52),
der im Blut von Katatonikern eine auf die motorischen Rindenzentren des Hmides
^) Vgl. auch Tetzner, Reichardt und Gi.anelii.
H»r '^.^''^^^ ^'^«l«'^ Autoren, die manche Erscheinungsformen der Schizophrenie
aer angeborenen oder ererbten Invahdität des Gehirns zuschreiben, sei Ossipow (539 a)
erwähnt, der die Katatonie „eine Erkrankung des bis dahin gesunden Gehirns" nennt
378
Scliizophrenie.
reizend wirkende Substanz fand, die bei anderen Krankheiten inklusive halluzinatori-
scher Verwirrtheit fehlte. Da die Katatonie bis jetzt klinisch nicht von der letzteren
Kranlcheit abgrenzbar ist, und die Versuche viel zu wenig zahlreich sind, erlauben die
Untersuchiuigen noch gar keinen Schluß. Auch könnte das betreffende Gift ein akziden-
telles oder sekundäres sein.
Im übrigen stehen die autotoxischen Theorien bislang ganz in der Luft. Die
Thyreoidea ist mehrfach angeschuldigt worden, das schizophrene Gift zu liefern
oder CS nicht zu neutralisieren. Emen Grund zu der Annahme kenne ich nicht; die
Unwirksamkeit von Thyreoidm und das miterschiedslose Vorkommen der Krankheit
n Kropfgegenden wie an der Meeresküste spricht aber mit Entschiedenheit dagegen. —
Weniger sicher auszuschließen ist der Zusammenhang mit einer Hyperfmiktion der
Thyreoidea im Sinne des Basedow^), besonders da die meisten Basedowpsychosen trotz
ihrer ziemlich lebhaften Affektivität der Schizophi'enie so ähnlich sehen, daß sie
bis jetzt von ihr nicht getrennt werden können. — Von jeher hat man die Krankheit
mit der Geschlechtsfunktion in Verbindung gebracht, und da Avurden auch die
Keimdrüsen verdächtigt (Lomer, Tschisch). Die Häufigkeit des Krankheitsbeginnes
mit und gleich nach der Pubertät, die Verschlimmerungen während der Menses, die
Häufigkeit der Onanie, das Vorherrschen sexueller Wahnideen Schemen ja auf emen
Zusammenhang mit der Genitalfunktion zu deuten. Die Kastration heilt aber die
Krankheit nicht (vgl. Therapie). Bornstein menit, es könne sich um Ubertreibimg
eines Pubertätsvorganges handeln, weil der 0-Stoffwechsel bei Kindern höher, bei
seinen Schizophrenen niedriger ist als bei gesunden Erwachsenen. Di de (173) hat
in den Genitaldrüsen nichts gefunden, was die Psychose erklärte. Haberkant findet
darin einen genetischen Zusammenhang von Dementia praecox und Osteomalazie,
daß beide von der Keim- und Schilddrüse abhängig seien.
Die Franzosen betrachten die verschiedensten Delirien und Vei'wirrtheitszu-
stände, von denen die meisten zur Schizophrenie gehören, als Folgen einer Giftwirkung.
Dercum hält die Verwirrtheit für ein Zeichen der Intoxikation, die Systematisierung
bei geordnetem Benehmen für ein Zeichen einer Himveränderung.
Bei Psychosen, die der Schizophrenie zuzuzählen sind, möchten viele Autoren
der Erschöpfung oder irgend einer andern Form körperlicher Schwäche einen
wichtigen ätiologischen Einfluß zuschreiben. Stadelmann supponiert eine „Er-
müdungsanlage" als Disposition zur Katatonie, v. Krafft-Ebing meinte, der,, hallu-
zinatorische Wahnsinn" trete dann ein, wenn em Hirn, das infolge neuropathischer,
speziell hereditärer Konstitution schon vorher mit reizbarer Schwäche behaftet ist,
von erschöpfender Ursache betroffen wird. Demgegenüber mag bemerkt werden,
daß Tschisch umgekehrt Gewicht darauf legt, daß er kräftige, blühende, nicht be-
lastete Personen an Katatonie erkranken sah. In Wirklichkeit wird es sich so verhalten,
daß der Kräftezustand mit der Krankheit nichts zu tun hat; auch der Verlauf schemt
weder durch den Kräftezustand beim Ausbruch noch durch Abstinenz oder Über-
ernährung während der Krankheit beemflußt zu werden (Zablocka). Den Übergang
zu den infektiösen Theorien bildet die Ansicht Dides, der irgend eme Infektion,
z. B. die so häufige tuberkulöse, aimimmt, und der von ihm bei Katatonie und Hebe-
phrenie häufig gefundenen Leberverfettung die ungenügende Entgiftung zuschreibt.
Die paranoiden Formen, bei denen er die Leberveränderung nicht gefunden hat, wären
nach seiner Ansicht vielleicht sekundäre Folgen der „toxi-mfektiösen" Prozesse.
Am meisten Wahrscheinlichkeit hat der infektiösen Auffassung Bruce ver-
liehen, der in Krankheiten, die wir den akuten ZufäUen der Schizophrenie zuzählen
1) Nach Abschluß der Arbeit kam mir der Bericht Barkleys über Heilungen durch
partielle Strumektomie und Jodlezithin zu Gesicht. Die Beobachtung bedarf der Nach-
prüfung.
Theorie. Kraakheitsprozeß.
379
müssen, nicht niu- Bakterien im Blute gefunden hat, sondern namentlich auch aus
dem Verhalten der Leukozytose auf eine Infektionskrankheit schließen möchte. Auch
Di de \md Sacquepee haben ähnliche Befunde erhoben. Der Weg ist ein gangbarer,
aber die bakteriologischen Befunde aowohl wie die hämatologischen Untersuchungen
sind ganz migenügend. Immerhin schließen sich oft recht schwere Schübe an eine
akute Infektionskrankheit, so daß der Gedanke nicht ganz abzuweisen ist, die
Schizophrenie könne eme Nachkrankheit gewisser Infektionen sein. Die Krankheit
könnte aber auch direkt durch eine oder mehrere spezifisch wirkende Infektionen
hervorgerufen sein, die chronisch oder akut auftreten und lange Zeit latent
bleiben mögen, von denen aber der Körper nur in Ausnahme fällen wieder ganz
frei werden kann. Wenn die jetzt noch häufige Auffassung des Zusammenhanges
von chronischem und akutem Gelenkrheumatismus richtig ist, so geben uns diese
Infektionen ein Analogen zum Verlauf der Schizophrenie. Die Arthritis deformans
kann chronisch oder akut auftreten; nach emem akuten Schub bleiben oft anatomi-
sche Residuen in den Gelenken; die gleichen Veränderungen können sich aber
auch chronisch ausbilden; die akuten Symptome, die Schmerzen, können gelinde und
heftig, als bloßes dann vmd wann auftretendes Zwacken hi den Gelenken oder als
lähmender Anfall von Gliedersucht zur Erscheinung kommen; sie können jahrelang
aussetzen oder auch viele Jahre lang fast täglich oder wöchentlich zu spüren sein.
Sind aber die lokalen Prozesse intensiv, so bewirken sie immer mit der Zeit bestimmte
Veränderungen an den Gelenken, die in den hochgradigen Fällen den Kranken kon-
trakt machen.
Genau so verläuft die Schizophrenie. Aus der Parallele möchte ich aber nicht
mehr schließen als auf die Möglichkeit einer analogen Infektion.
XI. Abschnitt.
Die Therapie.
Die Therapie der Schizophrenie ist, abgesehen von der Behandlung der
rein psychogenen Erkrankungen, wohl die dankbarste für den Arzt, der nicht
die natürliche Heilung einer Psychose unrechtmäßigerweise seinen Maßnahmen
zuschreiben will.
Eine eigentliche Pro ph yla xe der Krankheit kennen wir zwar noch nicht.
Die Hereditäts Verhältnisse geben uns einen Fingerzeig, daß Mitglieder gewisser
schwer belasteter Familien nicht heiraten sollten. Alkoholikerkinder sind mehr
gefährdet als andere : darin liegt eine Indikation zur Bekämpfung des Alkoholis-
mus. "Was sonst etwa zu sagen wäre, deckt sich mit der allgemeinen Prophylaxe
der Geisteskrankheiten.
Noch schlimmer steht es bis jetzt mit der individuellen Vorbeugung,
da wir die auslösenden Ursachen der Krankheit nicht kennen. Onanie, Liebesgram,
Überanstrengung, Schreck zu vermeiden kann man mit gutem Gewissen emp-
fehlen, weil es sicher auch sonst gut ist, sich vor diesen Dingen zu hüten. Daß
jemals durch solche Vorsicht eine Schizophrenie am Ausbrechen verhindert
wurde, ist nicht zu beweisen.
Ein wenig günstiger stehen wir — wenigstens theoretisch — dem Prodro-
malstadium gegenüber. Ist einmal die Diagnose wahrscheinlich oder sicher,
so wird kein Arzt auf die allgemeinen Vorsichtsmaßregeln verzichten : möglichste
körperliche Hygiene, wozu namentlich genügende Schlafgelegenheit imd Nahrung
gehört; Vermeidung aller Exzitantien toxischer oder psychischer Natur; wir
wissen ja, daß solche Schädlichkeiten nicht selten die Elrankheit manifest machen
oder verschlimmern. Wir dürfen aber etwas weiter gehen. Starke Affekte be-
fördern den Ausbruch von akuten Anfällen. Viel Widerspruch verschlimmert
die Krankheit; Müßiggang begünstigt die Herrschaft der Komplexe, während
eine geregelte Arbeit das normale Denken in Übung erhält. Die daraus entstehen-
den Forderungen sind nicht immer unerfüllbar, da es sich so oft um Kranke
handelt, die von den Eltern abhängig sind.
Alle ehrgeizigen Pläne müssen aufgegeben werden. Dafür muß man suchen,
den Kranken zu einer leichteren Beschäftigung anzuhalten, bei der ein gelegent-
liches Aussetzen nicht zu viel zu sagen hat, so daß man sich nicht mit ihm streiten
muß, wenn ihn eine hebephrene Laune von der Arbeit abhält. Land- oder Garten-
Therapie.
381
arbeit ist natürlich am geeignetsten, namentlich auch deshalb, weil die Kranken
die allgemein als „gesund" geltende Beschäftigung gerne als kurmäßige betrachten
und so sich leichter dazu bereden lassen als zu anderen Berufswechseln. Für
Mädchen ist natürlich auch Hausarbeit unter geeigneter Leitung zu empfehlen.
Mechanische Bureauarbeit Icann in einzelnen Fällen ganz gut tun; warnen muß
man aber vor selbständiger Kopfarbeit, sobald damit eine gewisse Verantwort-
lichkeit verbunden ist; fehlerfreie Leistungen sind eben selten zu erwarten, und
der unvermeidliche Tadel würde die ganze Arbeitsfreudigkeit zu sehr gefährden.
Den Affekten als solchen kann man nicht ausweichen; um so mehr soll man
Situationen vermeiden, die Gelegenheit zu gemütlichen Erregungen geben. Vor
allem sind bei Unverheirateten nähere Bekanntschaften mit dem anderen Ge-
schlechte, bei Verheirateten Gelegenheiten zu ehelicher Unzufriedenheit gefährlich.
Bei Frauen ist das Eintreten der Schwangerschaft mit allen Mitteln zu verhüten.
Leideristes nötig, die Empfehlung der Heirat besonders zu erwähnen.
Nicht nur Mütter und Basen sind sehr oft zu einer solchen Maßregel geneigt,
auch Ärzte verfallen merkwürdigerweise darauf; und zwar nicht nur dann,
wenn sie die „Entschuldigung" der falschen Diagnose ,, Nervosität" anführen
können. In einem Fall empfahl ein Arzt die Heirat, weil doch die Wahnideen
sexueller Natur seien. Die Konsequenzen sind natürlich die bedauerlichsten,
indem dann noch eine zweite Familie und bei der nicht auszuschließenden Here-
dität vielleicht auch die Eander unglücklich gemacht werden. IstdieKrankheit
diagnostiziert oder vermutet, so ist vom Heiraten unter allen Um-
ständen und mit möglichster Energie abzuraten.
Dringend ist auch vor allen teuren Kuren zu warnen. Wie oft empfehlen
noch Ärzte und Nichtärzte chronischen Patienten alle möglichen Nervenkuren !
Die näheren und manchmal noch die entfernteren Verwandten opfern dem
unheilbaren Kj-anken ihr Vermögen, um später mit ihm der Armut zu verfallen.
Ein Kleinbauer von einigem Besitz ist ökonomisch herabgekommen, weil der
Arzt seiner Tochter unter anderm andauernd 2 Flaschen Champagner täglich
verschrieb. Auch in wohlhabenden Kreisen muß nicht selten die Erziehung der
gesunden Kinder darunter leiden, daß einem Kranken ganz unnützerweise zu
viel geopfert wird. Sagen wir es uns und anderen ganz offen, wir kennen bis
jetzt keinen Eingriff, der die Krankheit als solche zur Heilung oder
nur zum Stillstand bringen könnte.
Auch wenn die Kranken in die Anstalt gebracht sind, soll man noch Rück-
sicht auf die Verhältnisse der Familie nehmen. Für recht viele der schwerer
Kranken ist es dauernd oder doch vorübergehend vollständig gleichgültig, in
welcher Klasse sie verpflegt werden. Man sage das in solchen Fällen bei Zeiten
der Familie, die nur zu leicht geneigt ist, der Liebe, aber auch oft der Eitelkeit
oder dem Geschwätz der Nachbarn Hilfsmittel zu opfern, die in anderer Weise
viel nützlicher verwendet werden könnten.
Man hat sowohl im Prodromalstadium wie bei der ausgesprochenen Kranldieit
einige Mittel empfohlen, die heilen oder doch bessern sollten. Man hat natürlich in
neuerer Zeit die Organotherapie (Kraepelin, Sprague und Hill) versucht und
nach Analogie des Myxödems Thyreoidea gegeben, sogar Nebenschilddrüse haben
die Kranken bekommen (Pighini) - ohne Erfolg. Jod imd Thyreolezithin wird
neuerhch wieder bei Katatonie empfohlen.
382
Schizophrenie,
„.11 f o "^^^ ""''^ von Rohe ^deder angerateneKast ratio n ist dem Patienten
selbst unnutzi); Sterilisation wird aber hoffentlich hier ^äe bei anderen koituBfähigen
iragern emer pathologischen Anlage aus rassehygienischen Gründen bald in größerem
Maßstab angewendet werden können.
Erfolge von gynäkologischer Behandlung, die von Zeit zu Zeit von
]einandem empfohlen wird, habe ich nicht gesehen, eher Nachteile (womit natürlich
mcht gesagt sem soll, daß man offenkundig sexualleidende Frauen nicht örtlich be-
handeln darf).
Die entspi;echende Behandlung der Männer mit Bougieren, Tuschieren usw
hat natürlich nicht mehr Erfolg, obschon sie sich wenigstens gegen ein bestimmtes
bymptom, das auch als Ursache angesehen wird, die Onanie, richtet. Als PaUiativum
gegen dieses Symptom, nicht aber gegen die Krankheit, mag dafür hier das Brom
erwähnt werden, das in emzehien Fällen wirldich den Geschlechtstrieb und die Onanie
herabsetzt, bezeichnenderweise aber keinen Einfluß auf die Krankheit hat. Hecker
will auch m einem Falle dui-ch sehr kleine Dosen Brom die sexueUen Beziehungen in
den Reden besaitigt haben.
Man wird ja unter Umständen, namentlich in der Privatpraxis, auch nicht ganz
auf die diätetische Bekämpfmig der Onanie verzichten und daneben kühles und nicht zu
weiches Lager verordnen; ich muß aber hinzufügen, daß diese Mittel bei der Schizo-
phrenie von sehr problematischer Wirksamkeit sind, imd daß es sich, wenn nicht be-
sondere Gründe es nötig machen, hier kaum lohnt, den wenig erfolgreichen Kampf
gegen die schlechte Gewohnheit aufzmiehmen.
Wo ein neuer Anfall durch die Gravidität ausgelöst scheint, muß man an Abort
denken. In einem Fall, wo dieser aus gynäkologischen Gründen ausgeführt worden ist,
und die Furcht, von ihrem Mamie noch mehr Kinder zu bekommen, der Hauptkomplex
der Kranken war, habe ich eine unmittelbar anschließende Besserung gesehen. Ich
getraue mir aber beim jetzigen Stand der Gesetzgebung nicht, aus psychischen Gründen
den Eingriff zu empfehlen, obgleich ich die Kinderzeugung durch eine schizophrene
Mutter für ein Unglück halte.
Gegen die Krankheit selbst werden natürlich alle Arten von Diätkuren emp-
fohlen; namentlich in England wird auch Gewicht gelegt auf Mästung. Ich habe von
allen diesen Dingen weder Gutes noch Böses gesehen, soweit es sich nicht um Alkohol-
entzug handelt.
Die Bluttransfusion ist von Carlo Livi bei der „lipemania stupida" empfohlen
worden. Auch Kocbsalzinf usionen hat man versucht, aber ohne Erfolg (z. B. in
Ufa. W.S. 1904/05, S. 490).
Die Beobachtung, daß nach fieberhaften Krankheiten manchmal eine Remission
eintritt, hat Veranlassung gegeben, künstlich Fieber zu erzeugen (Wagner v. Jauregg).
Man hat geradezu Erysipel mid Streptokokken eingeimpft (Catala, Boeck). In neuerer
Zeit werden die Versuche in weniger gefährlicher Weise, etwa mit Tuberkulin, getöteten
^) Ich erinnere mich genauer an vier kastrierte Schizophrene. Ein Mann hatte sich
selbst die Hoden abgeschrütten ; zwei Frauen sind wegen „nervöser Beschwerden", d. h. in
Wirklichkeit wegen der Geisteskrankheit, und eine dritte wegen entzündlicher Prozesse
in den inneren Genitalien kastriert worden. In keinem Falle zeigte sich ein günstiger EinflüB
auf denjVerlauf.)Zweimal schloß sich die Verschlimmerung, d. h. die manifeste Geisteskrankheit,
an die Kastration an, und es bildete die Vorstellung, kein ganzer Mensch mehr zu sein, einen
integrierenden Bestandteil der Klrankheitssymptome. Auch halbseitige Kastration war bei
einem Manne ohne Einfluß. So bestätigt die allerdings nicht große Erfahrung die selbst-
verständliche Überlegung, daß sexuelle Gedanken nicht auf eine sexuelle Genese der Ivi'ank-
heit hinweisen; sie gehören ja zum normalen Menschen, und ihr Vorhandeiasein zeigt also
eher das Gegenteil, nämhch daß die psychische und physische Sexualität normal oder
wenigstens aktionsfähig sei.
Therapie.
383
Kulturen von Bacillus pyocyaneus, mit Antistreptokokkenserum (Marr), gemacht.
Es ist noch nicht bewiesen, daß auf diesem Wege nicht doch Besserungen erzielt werden
können.
Bruce, der die zur Schizophrenie gehörenden Psychosen zum großen Teil als
Infektionspsychosen ansieht, hat Terpentininjektionen empfohlen, um durch Ver-
mehrung der Lymphozyten die Widerstandsk-raft zu erhöhen; der Wert dieser Be-
handlung ist noch problematisch^).
Man hat auch Zustände, die zu unserer Schizophrenie gehören, von Ver-
giftungen vom Darm aus ableiten wollen und Abführmittel gegeben, ja den Darm
desinfiziert (Macpherson). Man hat keine Anhaltspunkte, die Ansicht für richtig
zu halten.
Ist die Krankheit erkannt, so ist die Frage zu entscheiden, ob Anstalts-
behandlung oder nicht. Die Anstalt als solche heilt die Krankheit nicht. Sie
kann aber erziehen und kann akute durch psychische Einflüsse erzeugte Auf-
regungszustände verschwinden machen. Sie bringt dabei die Gefahr, daß der
Kranke dem normalen Leben zu sehr entfremdet wird, und auch die Angehörigen
sich an die Anstalt gewöhnen. Nach einer Anzahl von Jahren hat man deswegen
oft die größten Schwierigkeiten, auch weitgehend Gebesserte draußen unterzu-
bringen (Kahlbaum, S. 98; Bleuler,' 72h).
Behandlung unter normalen Umständen und in gewöhnlicher Umgebung
ist ceteris paribus vorzuziehen. Der Kranke soll nicht in die Anstalt kommen,
weil er an Schizophrenie leidet, sondern nur dann, wenn eine bestimmte Indika-
tion dafür da ist. Eine solche ist natürlich gegeben, wenn der Kranke zu störend
oder gefährlich wird, wenn Zwangsmittel angewendet werden müssen, wenn er
die gesunden Familienglieder aufzureiben droht, wenn er sich nicht mehr be-
einflussen läßt. In letzterem Falle wird die Anstalt den Kranken zu einem erträg-
lichen Verhalten zu erziehen suchen und dann wieder entlassen.
Die Entlassung aus der Anstalt erfolgt nach gleichen Grundsätzen.
„Heilung" braucht man nicht abzuwarten. Im ganzen kann man als Eegel
aufstellen, daß die frühen Entlassungen die besseren Eesultate haben. An-
scheinend ganz schwer Kranke benehmen sich draußen oft plötzlich ganz gut.
Man muß aber alles abwägen; namentlich auch Eücksicht nehmen auf die Eigen-
schaften der Verwandten, die ebensogut einen Kranken verderben wie weiter
erziehen können. Hat man passende Arbeit für den Gebesserten, so wird man
viel wemger lange zögern wie im gegenteiligen FaUe. Welche der aufgeregten
Kranken sich zu frühzeitiger Entlassung eignen, ist schwer zu sagen. Je „organi-
scher", je wemger psychogen des Bild aussieht, um so weniger Chancen hat die
Entlassung. Das einzige, aUerdings oft gut anwendbare Kriterium ist die Fähig-
keit der Patienten, auf Veränderungen in Umgebung und Behandlung zu
reagieren 2). °
jeden Erfolg Schwerkranken Versuche mit Nucleinsäure gemaclU, ohne
) In schlechten, überfüllten Anstalten, die ja immer seltener werden, werden die
un^Z p'''"' r/T' f, '''^ Arbeitesklaven des Personals das sie ^de
unarfge Gesunde behandelt; sobald sie ein wenig besser sind, müssen sie aus Platzmangel
en lassen werden, wozu der Arzt leichter die Hand zu bieten geneigt ist als da, wo man sfch
küiiöh 1 V ''f chäftigt und die Ki-anklieit noch deuthch sieht. So w^rd unS
i^egntten)„guten Anstalten hangen bleiben, werden aus diesen schlechten „geheilfentlas^""
assen.
384
Schizophrenie.
Daß zu frühe Entlassungen an sich bei Schizophrenen schaden, wie bei
Manisch-Depressiven, glaube ich nicht. Dagegen können die Verhältnisse draußen
so sein, daß sie neuen Eücldall bewirken (Zusammentreffen mit dem Geliebten,
Streit in der Familie, Zusammenleben mit einer glücklich verheirateten Schwester^
die die Patientin an die eigene Unfähigkeit, zu heiraten, erinnert).
Kann man die Kranken nicht in der eigenen Familie unterbringen, so leistet
oft die Pflege in fremden Familien sehr gute Dienste; nur verlangt diese' natürlich
eine Überwachung von kompetenter Seite. Namentlich die abgelaufenen Fälle,
die in einer Anstalt mit etwas Bewegmigsfreiheit Disziplin gelernt haben, eignen
sich für die organisierte Familienpflege.
Die einzige zur Zeit ernst zu nehmende Therapie der Schizophrenie im
ganzen ist die psychische. Leider sind wir aber auch da noch nicht weit über
eine bloße Empirie hinaus. Da die Symptomatologie der Krankheit von den
Komplexen beherrscht wird, und da man von diesen aus oft in die Psyche des
Kranken eindringen kann, sollte man erwarten, daß man sie von da aus auch
beeinflussen könnte. Besserungen auf psychische Einflüsse finden auch unzweifel-
haft statt, aber wir können im einzelnen Falle nicht sagen, was zu tun ist, um
die Besserung herbeizuführen, wir sind also aufs Tasten angewiesen, ja ich
möchte sagen darauf, dem Zufall recht viele Möglichkeiten zu bieten, damit er
eine derselben benutzen könne. Tut man das und im richtigen Moment, so kann
man aber recht viel erreichen.
Auf der Höhe der eigentlichen Krankheitsschübe ist bis jetzt nichts zu
machen. Wir müssen die Besserung abwarten. Schwierig ist es aber in vielen
Fällen, das Ende dieses Stadiums zu erkennen. Ein Katatoniker kann noch
schwer krank erscheinen, negativistisch, gewalttätig, autistisch im höchsten Grade
sein und doch schon auf bestimmte Einflüsse von Seite der Umgebung reagieren
und bei einer Versetzung nach Hause plötzlich den Verwandten als gesund im-
ponieren. In solchen Fällen sehen wir eigentlich erst aus dem Erfolg, daß die
Krankheit eine andere geworden ist. Wer aber gut untersucht und beobachtet,
wird meist vorher schon Anzeichen finden, daß nun mit dem Kranken etwas zu
machen wäre.
Es kommt noch etwas hinzu.
Daß ein akuter Anfall von Schizophrenie ausgebrochen ist und dauert,
flaß der eigentliche Krankheitsprozeß weiter geht oder stille steht, ist von unserem
Handeln meist unabhängig. Daß aber ein bestimmter Kranker nun gerade sich
auf den Kopf stürzen will, daß er schmiert, daß er Scheiben einschlägt, Kleider
zerreißt u. dgl, das ist nicht direkt durch den Krankheitsprozeß bedingt, sondern
das ist eine Eeaktion seiner Komplexe auf innere und namentlich äußere Erleb-
nisse. Es ist also potentia immer die Möglichkeit vorhanden, den Kranken in
seinen Symptomen zu beeinflussen.
Auf welchem Wege aber, das ist im einzehien Falle wie im allgemeinen
schwer zu sagen. Es gibt Kegeln, die sich geradezu widersprechen und doch
richtig sind, je nach dem Fall und der Umgebung. So soll man vor allem danach
trachten, den Negativismus nicht zu reizen; je weniger Widerstand und Wider-
spruch beim Personal, um so weniger Neigung zu Widerstand beim Patienten
im Sinne des Negativismus. Alf der andern Seite kann man mit bestimmten
Befehlen, wogegen ein Widerstand unnütz ist, sehr viel erreichen. In der Pflege-
Therapie.
385
anstalt Eheinau traf ich seinerzeit eine Anzahl Patienten, mit denen man nichts
Anzufangen wußte. Das Wartpersonal behauptete aUen Ernstes, es sei unmöglich,
7el B zu kämmen oder zu waschen u.dgl. Die strikte und ganz unerbittliche
Diu-chführung der Hausordnung auch in dieser Beziehung hatte bei allen innerhalb
weniger Tage den Erfolg, daß sie den Widerstand aufgaben, und bei der Mehrzahl
auch den, daß sie überhaupt zugänglicher ^^nirden. Kann es einen Patienten von
seinem Selbstmordtrieb heilen, wenn man ihn gewähren laßt, so kann es aucü
widerum den gleichen Effekt haben, wenn der Kranke die absolute Unmogüch-
keit einsieht, dem Trieb zu folgen. Viele la:ankhafte Unarten lassen sich dadurch
aus der Welt schaffen, daß man sie nicht duldet.
Die aUgemeinen Aufgaben nun der Behandlung sind Erziehung und
Herstellung des Kontaktes mit der Wirklichkeit, d. h. Bekämpfung des
Autismus. 1 • j-
Beiden Aufgaben kann man oft lange Zeit nicht gerecht werden, bis die
Ki-anken ihr Widerstreben aufgegeben haben und sich überhaupt beeinflussen
lassen. Da ist es sehr wichtig, daß man gelegentlich einen Versuch macht. Bei
keiner Krankheit ist es so nötig wie bei der Schizophrenie, dann und wann die
äußeren Bedingungen zu ändern. Bleiben die Kranken immer unter den gleichen
Umständen, so spinnen sie sich leicht immer mehr ein und werden immer weniger
beeinflußbar. Deswegen auch der große Vorteil der Versetzungen auf andere
Abteilungen, in andere Anstalten, nach Hause oder überhaupt in ein anderes
Milieu. Namentlich die Versetzung in andere Anstalten sollte bei chronisch
gewordenen Fällen mehr geübt werden können (Eiklin, 611). Manchmal kann
man auch bei aufgeregten Patienten die Versetzung auf eine bessere iVbteilung
zu einer Art Kontrakt benutzen. Eine Kranke z. B., die wegen beständigen
Lärmens und immerwährender Gewalttätigkeit nur noch isoliert gehalten werden
kann und sich dabei von Tag zu Tag verschlechtert, wird versetzt unter der Be-
dingung, daß sie sich gut halte, und mit dem ferneren Versprechen, sie so bald
wie möglich zu entlassen. Sie ist vom Augenblick an ruhig und entlassungsfähig.
Am meisten wird die Arbeitstherapie allen Anforderungen gerecht.
Sie übt die normalen Funktionen der Psyche, gibt unaufhörliche Gelegenheit
zu aktivem und passivem Kontakt mit der Wirklichkeit, übt die Anpassungs-
fähigkeit, zwingt dem Patienten den Gedanken ans normale Leben draußen auf;
und vor allem bietet die Arbeit fast die einzige Gelegenheit für das Wartpersonal,
sich mit den Ki'anken eingehender zu beschäftigen ; ist es doch keinem Menschen
möglich, ohne solche äußere Anhaltspunkte mit Leuten, mit denen man keinen
seelischen Eapport hat, auf die Dauer in psychischem Kontakt zu bleiben.
Sogar im akuten Stadium ist die Arbeitstherapie oft anwendbar und nützhch.
Jede Anstalt soll so eingerichtet sein, daß jedem Patienten zu jeder Zeit Arbeit
angeboten werden kann. Arbeit im Freien wirkt in manchen Beziehungen am
günstigsten. Für Frauen tut die gewohnte Hausarbeit nahezu die gleichen Dienste.
Auch Abschreiben uiid andere mechanische Bureauarbeiten erweisen sich für
manche Kranke, die einer solchen Beschäftigung von früher her gewohnt sind,
ganz zweckmäßig. Anstrengung des Geistes ist in einer Großzahl von Fällen
gar nicht zu erreichen, bei anderen schädlich. Sehr wichtig ist, daß die Arbeit
so organisiert sei, daß sie sich eigentlich für den Kranken von selbst versteht.
Die Patienten haben sich dann einfach in einen Organismus einzufügen, dem sie
Handbuch der Psychiatrie: Bleuler. 25
386
Scbizoplireuie.
schon durch den Eintritt in die Aaistalt angehören; die Beteiligung an der Arbeit
verlangt dann nichts, was einem besonderen Gehorsam ähiilich sähe und erregt
so am wenigsten Negativismus.
Die Fälle, in denen die Arbeitstherapie nicht anwendbar ist, zeigt der Ver-
such. Man soll auch daran denken, daß manche Kranke ein abnormes Ermüdungs-
gefühl haben und deswegen nur vorsichtig oder zeitweise gar nicht zur Arbeit
angehalten werden können. In seltenen Fällen vermehrt die Arbeit die Halluzina-
tionen imd muß dann auch ausgesetzt werden — aber womöglich nur temporär.
Bei Pseudovornehmheit, wo der Patient und eventuell sogar seine Ange-
hörigen prinzipielle Einwände gegen Arbeit machen, kann künstlerische Be-
tätigung ein Notbehelf sein, der in einzelnen Fällen ganz gute Dienste leistet,
doch wegen des mangelnden Zwanges zum Kontakt mit der Wirklichkeit über-
wacht werden muß. Auch die Neigung zu Spielereien, Bizarrerien und namentHch
bei der Musik zu bloßem Gefühlsdämmern bildet eine gewisse Gefahr. Immerhin
wird man Berufskünstler während der Besserung sich, wenn immer möglich, in
ihrem Fache betätigen lassen.
Auch der Sport kann als minderwertiges Ersatzmittel der Arbeit gelten.
Neben der Arbeit aber hat er unter einer Bevölkerung, die ihn kennt, großen
Wert. An anderen Orten müssen Spiele wie Karten, Billard, Kegel den gleichen
Dienst tun.
Unterhaltungen aller Art inklusive Tanz und Spaziergänge sind für
die dazu geeigneten Kranken oft sehr nützlich; sie erhalten den Kontakt mit
der Wirklichkeit oder stellen ihn wieder her^). Chronisch eingesponnene Fälle
können manchmal bei einem solchen Anlaß wieder die Wendung zum Besseren
nehmen^).
Man sorge auch besonders dafür, daß der Sonntag, der für unsere Patienten
im ganzen ein ungünstiger Tag ist, genug Gelegenheit zur Unterhaltung biete.
Auch auf den unruhigsten Abteilungen soll Lektüre sich finden. Sehr gut ist es
auch, wenn die Landesgebräuche nicht verbieten, daß weibliche Kranke an diesem
Tage für sich arbeiten können (z. B. Spitzen häkeln, das ihnen etwas Taschen-
geld einbringt).
Die Erziehung der Kranken muß namentlich auf Selbstbeherrschung
gerichtet sein. Damit ist zugleich eingeschlossen die Beherrschung mancher
Krankheitssymptome. Viele Kranke können lernen, die Aufregungen zu imter-
drücken, den Halluzinationen keine Folge zu geben, sich nicht von ihnen auf-
regen zu lassen, schlechte Gewohnheiten abzulegen. Intelligentere Leute von
guten Anlagen bringen es in einzelnen Fällen zu einer bewunderungswerten
Selbstbeherrschung. Man kann aber auch weniger gut begabten Kranken den
Trieb beibringen, ihr Benehmen dem normalen so weit wie möglich anzupassen.
Wie bei aller anderen Erziehung ist natürUch auch hier in erster Linie auf
eine gute Ausfüllung der Zeit hinzuarbeiten. Da viele Schizophrene die Lange-
1) Es ist natürlich -wächtig, die ünterhaltungsanlässe alkoholfrei zu halten, da sonst
oft die Nachteile die Vorteile überwiegen.
2) Auf einer Abteilung, die ich antrat, traf ich eine gewalttätige Patientin, deren Zelle
nur von vier Wärterinnen zusammen betreten werden durfte. An Weihnachten nahm ich sie
zur Feier. Am Berchtoldstage produzierte sie sich als Sängerin, und einige \Vochen nachher
war sie entlassen. Sie hat sich gehalten.
Tlierapie.
387
weile eincrebüßt haben, imiß man diese durch äußeren Stimulus ersetzen. Diejemgen
Ibr die noch Lange;eile empfindenden, sollen m die Möglichkeit versetzt
werden, sie zu verbannen ; sonst fangen sie wie die Gesunden m gleicher Lage
'"''^ BeVmanchen feiner angelegten Kranken hilft in gewissen Stadien ein AppeU
an die Ethik, an den Ehrgeiz; oder es gelingt wenigstens, sie für irgend eme
nützliche Beschäftigung zu interessieren. Bei den weiter fortgeschrittenen und
bei von Natur weniger seiisibel angelegten Patienten ist dieser Weg allerdings
nicht gancrbar. Da wird halt das bewährte Zuchtmittel von Zuckerbrot und
Peitsche nicht zu entbehren sein. Nur soll die Peitsche so weit mögbch mcht m
Zufügung eines Übels bestehen, sondern in Nichtgewähren von Zuckerbrot, auf
das die Kranken kein Anrecht haben. Unsoziales Benehmen führt so wie so
notwendigerweise zu Übeln, die als Strafe aufgefaßt werden können, wie nament-
lich Versetzimg auf eine Abteilung, wo eben die anderen Kranken auch imsozial
und deswegen für den Patienten unangenehm sind. Ich halte es aber für einen
Vorteil, auf Disziplinarmittel nicht ganz zu verzichten, wenn auch hier em Zu-
wenig unendlich viel besser ist als ein Zuviel.
Man sollte meinen, daß religiöse Beeinflussung ein gutes Erziehungs-
imttel wäre. Ich habe aber bei der Schizophrenie noch keinen Erfolg davon ge-
sehen. Ob diejenigen, die sie anwenden, nicht den richtigen Weg finden?
Eine besondere Aufgabe der Anstaltserziehung ist die Gewöhnung an
die Freiheit. In den Anstalten können sich die Kranken nicht selbst dirigieren.
\iele verlieren nach einiger Zeit die Fähigkeit dazu, wenn man nicht besonders
darauf achtet. Man muß sie also durch Gewährung von Freiheiten, durch Aus-
gänge, Urlaube, Probeentlassungen, eventuell auch durch selbständige Arbeit
m der Anstalt daran gewöhnen^). Auch die Kranken, die in den Anstalten ver-
bleiben, kann man großenteils so erziehen, daß sie am Sonntag Spaziergänge
machen^) ; es sieht ja viel menschlicher aus, wenn die Kranken ausgehen können ;
ich muß aber hinzufügen, daß ich mich im einzelnen Falle oft gefragt habe, ob
ich einem solchen Patienten wirldich einen Dienst geleistet habe, wenn er an neue
Bedürfnisse gewöhnt wurde.
Ein wichtiges Erziehungsmittel ist ein besonderer Wärter, der auch
einen überwachungsbedürftigen Kranken von den anderen Elementen fernhalten
und ihm Arbeit und Unterhaltung verschaffen kann. Da wo die Mittel etwas
knapp sind, raten wir den Angehörigen oft, den Kranken in eine niedrigere Ver-
pflegungsklasse zu versetzen und dafür einen Wärter zu bezahlen.
Der Suggestion durch das Milieu ist natürlich volle Aufmerfeamkeit
zuzuwenden. Eine gute Umgebung hat einen ganz andern Einfluß als eine
querulierende oder lärmende. Das Geheimnis des Erfolges vieler Anstalten be-
niht auf viel Platz, vielen Abteilungen oder weitgehender Abschiebungsmöglich-
keit zur Trennung der antisozialen Elemente. Die eigentliche Suggestiv-
therapie erreicht bei der Schizophrenie nicht viel. Manche der Kranken sind
allerdings der Hypnose zugänglich; man kann ihnen Schlaf suggerieren, Halluzi-
^) Bei Probeentlassungen werden auch die Angehörigen zu richtigem Benehmen
gegenüber den Kranken erzogen.
Besonders wenn die Anstalt nicht in der Nähe einer Stadt gelegen ist.
25*
388
Schizophrenie.
nationen für kurze Zeit wegbringen, sie für einmal ruhiger machen; aber die Erfolge
sind nicht dauernd, außer in den Fällen, wo eben 'die Krankheit auch sonst ab-
nimmt. Die Therapie lohnt also die angewandte Mühe nur selten. Immerhin habe
ich in einem Falle mit sehr schlimm aussehenden, häufigen halluzinatorischen Auf-
regungen die von Forel begonnene Suggestivtherapie in dem Sinne fortgesetzt,
daß ich den Patienten im Beginn jeder Aufregung hypnotisierte; schließlich
erreichte man das definitive Ausbleiben der Aufregungen, so daß der Patient
nun etwa 15 Jahre sich draußen hält. Versuche mit Aussetzen der Behandlung
zeigten, daß die Besserung keine zufällige war.
Dagegen wird man auf die gewöhnlichen Suggestivmittel bei der Schizo-
phrenie so wenig verzichten wie bei anderen Kranlcheiten. Wenn auch viel seltener,
so ist es doch auch hier möglich, durch larvierte Suggestion ein Leiden zu heben,
durch ein pulvis sacchari lactis Schlaf zu erzielen usw.
Das Aufdecken der Komplexe und Abreagierenlassen hat in den
schwereren Fällen selten den Erfolg wie bei den Neurosen. Die Patienten werden
dadurch nicht verändert. In leichteren Fällen allerdings, wie sie häufiger in der
Privatpraxis als in Anstalten vorkommen, ist manchmal auf diese Weise ein
deutlicher Erfolg zu verzeichnen, der unter Umständen einige Jahre lang dauert
und auch bei Wiederholungen nicht ausbleibt. Wir haben aber auch gerade jetzt
in der Anstalt einen ziemlich weit gediehenen Fall von Schizophrenie, der draußen
in mehreren Sanatorien seine Schlaflosigkeit nicht los wurde, durch Abreagieren
in wenigen Tagen zu einem normalen Schlaf gebracht. (Es ist für die Therapie
irrelevant, ob es ein eigentliches Abreagieren gebe, oder ob es sich nur um eine
andere Form larvierter Suggestion handle.) Die bei der Hysterie so gut zu frukti-
fizierende Übertragimg der Zuneigung auf die Ärzte hat bei ausgesprochener
Schizophrenie meist nur Icrankhafte „Liebe", gelegentlich mit konselmtiven
geschlechtlichen Verfolgungsideen zur Folge.
Eine systematische Erziehung des Denkens wüßte ich bis jetzt nicht
recht durchzuführen. Wenn man dem Kranken die Herrschaft über seine Kom-
plexe gibt, so ist auch für gewöhnlich das Wünschbare erreicht. Man hat indessen
auch geistige Gymnastik, Schulunterricht, empfohlen (in neuerer Zeit z. B.
Masseion). Der Erfolg ist wohl nicht groß.
In vielen schwereren Fällen ist eine eigenthche Erziehung zu zielbewußt
richtigem Plandeln nicht mehr zu erreichen. Aber auch da ist ein Erfolg möghch,
den man nicht anders als mit dem etwas anrüchigen Worte „Dressur" richtig
bezeichnen kann. Die Kranken können dazu gebracht werden, mechanisch oder
aus Gewohnheit das zu tun, was richtig ist. Sie beherrschen einigermaßen ihre
kranldiaften Antriebe, machen wenig oder nichts Böses, essen selbst, ziehen sich
an und aus und sind oft noch mechanischer Arbeit fähig. Das smd im Hmbhck
auf das antisoziale Verhalten der negativistischen Schwerkranken kemeswegs
zu unterschätzende Eesultate der Behandlung.
Wie man im einzelnen FaUe handehi soll, muß dem Takt des Arztes uber-
lassen werden. Nicht nur die Individualität des Patienten ist zu berücksichtigen,
sondern auch die des Arztes; eine Maßregel, die in der Hand des einen .\rztes.
sich bewährt, kann, von einem andern angewandt, nur Mißerfolge zeitigen. Die
Hauptsache ist, daß man keinen Kranken ganz aufgibt, sondern immer wiedox
bereit ist, einzugreifen, ihm Gelegenheit zu bieten, aus semem Icranldiaften
Therapie.
389
Gedankengang herauszukommen, daß genügend Geld und Personal da ist, um
das Notwendige zu tun, und namentlich, daß in den Anstalten genügend Platz
vorhanden sei, um jedem Kranken zu gegebener Zeit eine Umgebung und eine
Behandhmg teil werden zu lassen, die in diesem Moment für ihn die beste ist.
Das letztere sind pia desideria, die man nie außer acht lassen soll. Einer besonderen
Besprechung bedürfen die Bettbehandlung und die Isolierung.
Die Bettbehandlung ist für viele akute Fälle das Gegebene. So manche
aufgeregte Kranke sind im Bett am besten zu halten. Es liegt in der Bettlage und
im kleiderlos Sein eine nicht zu verachtende Suggestion zum ruhigen Verhalten.
Außerdem gibt das Bett selbst mit seinen Decken und Laken in manchen Fällen
Material zu einer Art unschädlicher Beschäftigung. Bei schwachen, abstinierenden
Kranken ist auch aus körperlichen Gründen Bettruhe notwendig. Ich muß aber
betonen, daß im ganzen die Bettbehandlung der Arbeitsbehandlung nicht gleich
kommt. Ins Bett gehören nur Kranke, die aus irgend einem Grunde nicht arbeiten
können. Natürlich war die Bettbehandlung ein großer Fortschritt gegenüber dem
laisser aller, wie es früher an vielen Orten geübt wurde. Es hat ja namentlich
den Vorteil, daß es Wartpersonal und Patienten einander näher bringt, daß das
erstere gezwungen wird, sich mit seinen Kranken abzugeben, was für beide
Teile so wichtig ist. Den gleichen Zweck erfüllt aber die Arbeit noch besser.
Es gibt auch selten Kranke, die sich über die Arbeit beklagen, während ich in
der Pflegeanstalt es in 12 Jahren nicht erreichen konnte, daß nicht viele Kranke
das Betthegen als eine sehr empfindliche Strafe ansahen^).
In neuester Zeit wird auch Bettbehandlung im Freien empfohlen. Diese
hat natürhch ihre nicht zu imterschätzenden Vorteile: die Abwechslung; die Not-
wendigkeit einer genaueren Überwachung; dann die hygienischen und psychischen
Wirkungen des Liegens in Licht imd Luft. Ich habe aber leider noch keine Erfahrung
in dieser „Behandlmigsmethode".
Auch in bezug auf die Isolierung stimmen meine Erfahrungen nicht
ganz mit den Prinzipien, die sich aus der modernen Literatur zu ergeben scheinen.
Sie ist aus vielen Gründen ein Übel, aber in manchen FäUen ein notwendiges,
und in vielen das kleinste von den vermeidbaren Übeln. Sie hat aber auch viel
Gutes. Isolieren muß man, wenn man ein Herz für seine Kranken hat, oft des-
wegen, weil ein einziger unruhiger Patient einem ganzen Saal voU Kranker in der
Nacht den Schlaf rauben und am Tag das Leben sauer machen kann tmd aUerlei
böse Suggestionen unter seine Kameraden bringt, so daß die Beruhigung der
übrigen verhindert wird.
Für den Kranken selber aber kann die Isolierung ein ausgezeichnetes
Erziehungsmittel sein. Und das viel weniger nach der Eichtimg der Peitsche
als nach der des Zuckerbrotes; die Fernhaltimg aller Reize wird gerade von
Schizophrenen sehr oft als Wohltat empfunden. Kranke mit plötzHchen Auf-
regungen, die sich noch nicht genügend zusammenzunehmen vermögen, können
mit großem Erfolg jedesmal sofort isoliert werden, wenn man dafür Sorge trägt
daß sie das als eine Notwendigkeit und nicht als eine Strafe ansehen. Viele lassen
sich dazu erziehen, daß sie beim Herannahen der Aufregung die Isolierung selbst
Ich habl tal'lt'lT' ^"'"^ ^''^ Bettbehandlung zu Wadenkrampf disp,
onieren.
390
Scliizoijbrenie.
verlangen. Auf dieser Stufe haben sie schon ein Stück Selbstbeherrschung gelernt,
und es wird dann leicht, die Türe des Isolierzimmers offen zu lassen, so daß
die Kranken selbst entscheiden, wann sie wieder gesellschaftsfähig sind. Auch
das ist wieder ein Erziehungsmittel, von dem aus manche zu voller oder doch
größerer Selbstbeherrschung kommen i). — Daß Schizophrene ebenso wie Gesunde
zum großen Teil lieber im Einzelzimmer schlafen, als unter einer meist nicht
gerade sozialen Gesellschaft, wird merkwürdigerweise heutzutage oft übersehen.
Ich habe von den Kranken lange nicht so viel Klagen über Isolierung gehört
wie über das Bettliegen. Ja, ich war in der Pflegeanstalt oft gezwimgen, die
Isolierung mit irgend einem Übel zu verbinden, damit sie nicht von gewissen
Patienten erzwungen werde.
Gerade bei der Schizophrenie hat aber die Isolierung Gefahren, wie sie
bei einer andern Psychose nicht vorkommen. Der Schizophrene, der sich selber
überlassen ist, spinnt sich leicht stärker in seinen Autismus ein, er fängt allerlei
unangenehme Gewohnheiten an, so namentlich das Schmieren.
Wer die Isolierung richtig anwendet, wird nichts von solchen Nachtf^ilen
sehen. Ich kenne aus mehreren Anstalten die fast unverbesserlichen „Zellen-
produkte" sehr gut. Ich kann aber auch hinzufügen, daß ich keines mehr habe
entstehen sehen, und doch ist die Isolierung bei uns immer noch geübt, wenn
auch am Tage viel seltener als früher. Natürlich wird man die Isolierung nie einen
Augenblick länger ausdehnen als nötig, aber das Wesentliche liegt darin,
daß man auch mit den isolierten Kranken immer Kontakt zu be-
halten sucht. Sie bleiben dann psychisch nicht isoliert; sie können ihre Klagen
vorbringen ; wir können im richtigen Moment die Isolierung aufheben oder sonst
irgendwie auf die Kranken einwirken. Fangen sie schlimme Manieren an, so
muß man sofort eine andere Behandlung einschlagen.
Für die palliative Therapie stellen die akuten Anfälle die wichtigsten,
aber auch die schwierigsten Aufgaben. Viele Schizophrenen sind in den halluzina-
torischen Zuständen beständig hochgradig erregt und dabei die am wenigsten
beeinflußbaren Kranken, die in die Anstalten kommen. Ihre Selbstbeschädigungen,
die Zerstörung von allem, was in ihrem Bereiche sich befindet, die tätlichen An-
griffe auf das Personal, alles mit der größten Gewandtheit und Rücksichts-
losigkeit ausgeführt, sind die schwersten Feinde des No-restraint. Ein wirkliches
No-restraint wäre hier in den meisten Fällen die Zerstörung von allem, was zer-
störbar ist, das Personal mit eingeschlossen. Wer hier meint, ohne Zwang aus-
zukommen, der braucht das Wort Zwang in einem andern Sinne als der
Sprachgebrauch verlangt.
Wie nun das notwendige Restraint anzuwenden sei, hängt von den Anstalts-
einrichtungen, von den Erfahrungen und auch ein wenig von der Individualität
des leitenden Arztes ab. Bettbehandlung wird zunächst versucht werden. Scheitert
sie, so ist vom Dauerbad am meisten zu erwarten. Arbeit ist natürlich nur in
den leichteren Fällen und mit Vorsicht zu verwenden; der Prozentsatz der leichter
zu behandelnden Kranken ist abhängig von der Güte der Einrichtimgen, von
der Art der Nebenpatienten, von dem Spiritus loci der Anstalt, von dem Geschick
1) Rollers Satz (S. 35): „Isolierung bringt erregten Kranken oft rasch Ruhe", ist
immer noch richtig.
Therapie.
391
and dem Takt der Ärzte und des übrigen Personals und von eniem Etwas, das
eWalls an die Personen geknüpft ist, aber sich nicht genau fassen laßt und
feb n der Geschicldichkeit und dem Takt zur Geltung kommt. Auch die auf-
geregt n Schizophrenen sind durch die Umgebxmg beeinflußbar, wenn auch
^iele Fälle zeitweise aUer verfügbaren Mittel, zielbewußt auf sie einzuwirken,
Erreicht man auf diese Weise nichts, so kann eine Probeisoüerung
_ mit oder ohne Bewachung durch einen Wärter - zeigen, ob Trennimg von
den anderen Kranken etwas zu bewirken vermag. Wenn ja, wäre temporare
Isolierimg anzuwenden. Wenn nicht, bleiben als ultima refugia der nasse Wie kel
und die Narkotika, einzeln oder kombiniert. Wer den nassen Wickel auch in
den leichteren FäUen anwendet, wird oft die Arme frei lassen können. Ich finde
ihn aUerdings in solchen Fällen nur ausnahmsweise nötig. Der ganze Wickel
ist der ärgste Restraint, den ich kenne; ich habe ihn deswegen oft jahre-
lang nicht angewendet; in chronischen FäUen wird er auch kaum je nötig werden.
In der Heilanstalt gibt es Fälle, bei denen ich leider dieses Mittel nicht umgehen
kann; ich bin mir aber bewußt, daß ich es bei mehr Geld und Platz kaum je an-
wenden müßte.
In Fällen von unbezwingbarem Selbstbeschädigungstrieb greift man besser
zum Bettgurt, der sich leichter anwenden läßt und nicht den vom Kranken
wie vom Personal doch durchschauten Schein einer medizinischen Maßregel
zu wahren sucht. Dabei sieht man, daß die beim Wickel eintretende
Beruhigung gar nicht immer der nassen Einhüllung, sondern dem
physikalischen Zwang zur Ruhe zu verdanken sein muß, der oft die
aufgeregtesten Patienten in kurzer Zeit zum Schlafen bringt.
Der physikahsche Zwang hat entgegen dem, was die neuere Literatur
vermuten ließe, nicht nur schädlichen, sondern in manchen einzelnen FäUen
auch bessernden Einfluß. Die ärgste Unruhe mit Selbstmordtrieb kann nach einer
halbstündigen Anwendung des Bettgurtes zur definitiven Beruhigung kommen.
Wir haben aus Widerwillen gegen solchen Zwang einmal imnützerweise monate-
lang mit allen anderen Mitteln und mit großer Verschwendung von Personal
und Schlafmitteln ein Mädchen behandelt, das sich nach Ablauf des eigentlichen
akuten Schubes nicht von dem Triebe frei machen konnte, sich auf aUe mögliche
Weise zu beschädigen. Sobald der Bettgurt einmal so sicher saß, daß alle An-
strengungen, sich noch zu verletzen, hoffnungslos waren, ergab sich die Patientin,
benahm sich normal und konnte rasch in so gutem Zustande entlassen werden,
daß wir sie sogar von der Bevormundung befreien mußten. Der Fall ist zugleich
typisch dafür, wie psychische Residuen der Krankheit die Krankheit selbst
vortäuschen könne i. Wenn also mit Güte und dem weitestgehenden Entgegen-
kommen nichts zu erreichen ist, bin ich der Meinimg, daß man lieber noch solchen
Zwang versuchen soU, als den Patienten zugrunde gehen zu lassen.
Bei der Schizophrenie halte ich Zwang durch ein physikalisches Mittel
unter allen Umständen für besser als das Halten durch Menschenkraft, die den
Negativismus anregt und steigert und den Kranken auch körperhch wegen des
beständig versuchten Widerstandes mehr erschöpft.
Die Anwendung von Schlaf mitt el n ist nicht nur als chemischer Restraint
von Bedeutung, sondern sie ist bei Schizophrenen wie bei anderen ICranken oft
392
Schizophrenie.
em Erleicliterungsmittel, das ihnen nicht vorzuenthalten, die bloße Menschlichkeit
verlang. Wer psychisch leidet, hat innerhalb der Schranken des Unschädlichen
ebensoviel Anspruch auf Linderungsmittel, wie der körperlich Leidende. Aller-
dings ist es schwer zu sagen, wo die Grenze des schädlichen Gebrauches ist.
Man bekommt aber auch bei recht hohen Dosen verschiedener Schlafmittel
nicht den Eindruck, daß dadurch die Verblödung befördert werde, so daß man
auf die Unschädlichkeit vernünftig angewandter Beruhigungsmittel in gewöhn-
lichen Quantitäten schließen darf. — In sehr vielen FäUen haben Schlafmittel
auch erzieherischen Wert. Kranke, die sonst nicht an Arbeit, ans Bett, ans Bad.
an normale Verhältnisse zu gewöhnen wären, können unter leichter' Sulfonal-
wirkimg nach und nach erzogen werden und verdanken dem Mittel die Besserung.
Natürlich wird kein Schlafmittel kontinuierlich gegeben.
Ein dritter Grund zur Anwendung von Schlafmitteln ist die Eücksicht
auf andere Kranke. Ich ziehe es vor, den Euhestörer zu narkotisieren, wenn sonst
seinetwegen eine ganze Anzahl anderer Kranken des Schlafes beraubt oder auf-
geregt werden sollten.
Eigentlichen Schaden habe ich von Narkoticis noch nicht gesehen. Die
größte Kontraindikation gegen ihre Anwendung liegt darin, daß man sich eben
in den schwereren Fällen nutzlos an sie wendet. Es ist erstaunlich, was für
Quantitäten verschiedener Schlafmittel einzeln oder kombiniert manche Schizo-
phrene einnehmen können, ohne beruhigt zu werden^). Vielleicht dürfte man
allerdings auch in solchen Fällen Dosen geben, die wirken. Wer aber will aus-
probieren, ob bei Steigerung zuerst KoUaps oder zuvor unschädliche Beruhigung
eintrete?
Ein chemisches Zwangsmittel besonderer Art ist das Apomorphiu. Man
kann mit Injektion einer emetisch wirkenden Dosis Apomorphin manche akute
Aufregungen sofort koupieren. Die Beruhigung hält bei Anfällen, die nicht über
einige Tage gehen, oft an, so daß die Aufregung defüiitiv beseitigt ist.
Apomorphin wirkt zugleich als Erziehungsmittel, indem es die Kranken bei
Bewußtsein läßt, während sie ruhiger sind, imd sie so übt, sich besser zu benehmen.
Ich muß das Mittel erwähnen, wage indes aus moralischen Gründen nicht, es zu
empfehlen, möchte aber fragen, ob es nicht unmoralischer ist, einen ganzen Saal voll
Kranker durch einen aufgeregten Patienten mißhandeln zu lassen, als diesen einmal
erbrechen zu machen. Soweit ich es anwenden sah, beklagten sich auch die Kranken
nicht, imi wir haben mit keinem den Kontakt verloren; die Patienten selbst
machten sich meistens lustig darüber, wenn sie auch einen gewissen Eespekt vor
der prompten Wirkung hatten. In Fällen vollständiger Verwirrtheit, in der die
Kranken gar nicht mehr diskussionsfähig waren, habe ich keine Erfahrung damit^).
Eine medikamentöse Behandlung der Schizophrenie gibt es nicht. Ziehen
^) Und zwar bei rein psychischen Aufregungen \yie bei anscheinend organisch be-
dingten. Die Theorie des Schlafes und die der Narkotika hat diesen geAviß höchst Avichtigen
Umstand, so viel ich weiß, bis jetzt ignoriert.
2) An manchen Orten scheint das Mittel verpönt zu sein, weil man schlechte Er-
fahrungen damit gemacht hat. Da hat man es wohl nicht bloß bei geeigneten Patienten
angewandt. Es kann natiü-hch nur nützen bei den ziemUch seltenen Ki-anken, mit denen
man genügenden Kontakt hat, um ihnen die Maßregel begreifhch zu machen, und die zugleich
noch fähig sind, auf eine Zwangs maßregel von ärztlicher Seite im günstigen Sinne und mcht
in der Richtung des Negativismus zu reagieren.
Therapie.
398
(840, S. 5-i3) glaubt bei „hypochondrischer Neurasthenie" dem Übergang in „hypo-
chondrische Melancholie" oft durch Opium vorgebeugt zu haben. Ich kann mir nicht
recht denken, daß unsere prognostischen Kenntnisse den Glauben rechtfertigen. Alle
sonstigen Angaben sind wohl nicht der Rede wert.
Hitzig hat bei periodischen Psychosen, zu denen nach seinen Beispielen auch
unsere periodischen Schizophrenen gehören, Atropin zur Koupierung der AnElle
empfohlen. Das Mittel scheint wirklich zunächst den gewünschten Erfolg zu haben;
ich wandte es aber nur in wenigen Fällen an, weil die Kranken nach einiger Zeit nicht
mehr darauf reagierten mid dann nachholten, was sie vorher zu wenig gelännt hatten.
Die einzelnen Symptome der Krankheit werden nach den gewöhn-
lichen Grundsätzen behandelt. Es mag hier nur erwähnt werden, daß man oft
für einige Stunden die Sperrungen durch Alkohol beseitigen oder mildern kann
(was etwa für eine Untersuchung angewendet werden mag), und daß man gut
tut, die Eigentümlichkeiten, die die Kranken so gerne annehmen, zu unterdrücken.
Die papierenen Kronen, hölzernen Schwerter und aus Lumpen gestoppelten
Kinder sind aus unseren Anstalten verschwunden, und zwar zum Vorteil der
Kranken. Damit soll aber nicht gesagt werden, daß man nicht in einzelnen Fällen
den Patienten ein Eigentum belassen soll, das mit ihren Komplexen zusammen-
hängt; aber es soll nur geschehen unter Erwägung aller Umstände, weil diese
Dinge den Autismus begünstigen.
Ahnlich ist es mit den hypochondrischen und hysteriformen Klagen
über körperliche Beschwerden. Im großen und ganzen wird man am besten
tun, den Patienten daran zu gewöhnen, daß er sich selbst mit diesen Symptomen
abzufinden hat, und daß das Ignorieren das einzige Mittel dagegen ist. Doch
kann es auch Fälle geben, wo man irgend ein Suggestivmittel anwendet. Man
sei aber vorsichtig, um den Kranken nicht daran zu gewöhnen. Ich habe es bei
Übernahme einer Abteilung erlebt, daß eine Patientin gegen gar nicht bestehende
Übel 13 Mittel zu gleicher Zeit benutzen mußte. Als ihr die Dinge entzogen
waren, konnte man viel besser mit ihr auskommen.
Die Nahrungsverweigerung wird mit den gewöhnlichen Mitteln be-
handelt. Man kann gerade Schizophrene oft zum Essen bringen, indem man sie
scheinbar für andere Kranke bestimmte Nahnmg stehlen läßt oder in anderer
Weise ihrem Negativismus oder ihren Wahnideen entgegenkommt. Ich sehe aber
nicht recht ein, was da gewonnen ist; jedenfalls wird in chronisch werdenden
Fällen oft viel an Disziplin und Kontaktfähigkeit verloren. Ich glaube, man tut
— ganz besondere Fälle vielleicht ausgenommen — besser, sich strikte an die
Ordnung zu halten; ißt dann ein Kranker wirklich 8 Tage nichts, so kann man
zur Sonde greifen, soll aber immer wieder aussetzen, um dem Patienten Gelegen-
heit zu geben, selbst zu essen. So wird die Sonde kaum je lange in Anwendung
bleiben. Wenn man in Privatanstalten von diesem Prinzip abgehen muß, so
ist das nicht des Patienten, sondern seiner Angehörigen wegen, die leider weniger
Mitleid mit ihm haben, wenn man ihn monatelang mit der Sonde quält als
wenn er mal ein paar Tage hungert. Daß Hunger oder gute Ernährung' den
Verlauf der Kranldieit beeinflusse, habe ich innerhalb der zulässigen Grenzen
moht gesehen.
Auch anderen unangenehmen Eigentümlichkeiten, namentlich
bchraieren u. dgl, wird man so früh imd so energisch als möglich entgegentreten.
894
Schizophrenie.
wena man nicht nach einiger Zeit iinbeeinfliißbaren Stereotypien gegenüber-
stehen will. Da kommt viel auf die Geschicklichkeit des Personals an. Die An-
ordnung, die Kranken eifrig auf den Nachtstuhl zu führen oder täglich genau
zu bestimmter Zeit zu klistieren, ist bei Schmierern gar nicht immer genügend.
Wegen des Negatisvimus ist es in vielen Fällen gut, wenn die Maßregel so un-
persönlich als möglich, wie eine physikalische Notwendigkeit durchgeführt wird;
bei anderen Kranken kann man sich umgekehrt auf ein gewisses Markten ein-
lassen; jedenfalls aber sind auch gegenüber solchen Einzelsymptomen die äußeren
Umstände oft zu wechseln (Versetzung usw.). Kleinen unerwünschten Gewohn-
heiten kann man oft durch ganz einfache Mittel begegnen; so fing eine im Privat-
hause lebende Katatonika an, das Papier im Abort in die Schüssel zu werfen;
es genügte, das Papierkörbchen, das auf dem Sitz stand, einen halben Fuß höher
zu hängen, um die Unannehmlichkeit für immer zu beseitigen. AVichtig ist
auch, daß man den Kranken die Gelegenheit zur Ausübung der Sonderbarkeiten
entzieht. In alten Fällen lohnt es sich nicht, gegen gewisse Manieren zu Felde
zu ziehen. Kahlbaum meint, man müsse gegen das Ausziehen der Haare
kämpfen, um die dauernde Haarlosigkeit zu vermeiden. Man kann aber ohne
Schaden einige jahrzehntelang Haare ausziehen lassen; sobald sie der Patient
in Ruhe läßt, wachsen sie auch wieder.
Das unangenehmste aller Symptome bei Schizophrenie ist der Selbst-'
mordtrieb. Ich führe das deswegen an, um einmal deutlich zu sagen, daß die
jetzige Gesellschaftsordnung in dieser Richtung vom Psychiater eine große und
ganz unangebrachte Grausamkeit verlangt. Man zwingt Leute, denen aus guten
Gründen das Leben verleidet ist, weiter zu leben; das ist schon schlimm genug.
Aber ganz schlimm ist es, werm man diesen Kranken mit aUen Mitteln das Leben
noch unerträglicher macht, indem man sie einer peinlichen Bewachimg unter-
wirft. Der größte Teil unserer ärgsten Zwangsmaßregeln wäre unnötig, wemi
wir nicht verpflichtet wären, den Kranken ein Leben zu erhalten, das für sie und
andere nur negativen "Wert hat. Und wenn es noch etwas nützte ! Ich bin aber
mit Savage überzeugt, daß bei der Schizophrenie gerade durch die Bewachung
der Selbstmordtrieb geweckt, gesteigert und unterhalten wird. Nur ausnahms-
weise würde sich einer unserer Kranken das Leben nehmen, wenn wir ihn gewähren
ließen. Und wenn es auch ein paar mehr sein sollten, die zugrunde gehen — ist
es recht, wegen dieses Resultates hunderte von Kranken zu quälen und ihre
Krankheit zu verschlimmern? Vorläufig stehen wir Psychiater unter der traurigen
Pflicht, grausamen Anschauungen unserer Gesellschaft zu folgen ; aber wir haben
auch die Pflicht, unser möglichstes zu tun, daß diese Anschauungen sich bald
ändern.
Literatur.
Abkürzungen :
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